Das Reich der Dunkelelfen - Aileen P. Roberts - E-Book

Das Reich der Dunkelelfen E-Book

Aileen P. Roberts

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Beschreibung

Eine geheimnisvolle Prophezeiung und eine gefährliche Reise in ein dunkles Reich

Seit Darian zum ersten Mal durch ein magisches Portal das fantastische Reich Albany betrat, kämpft der junge König dort um seinen Thron. Doch Darians Feinde – der hinterlistige Zauberer Samukal und seine Verbündeten – scheinen die Oberhand zu gewinnen. Verzweifelt sucht Darian Hilfe bei einem mächtigen Orakel auf der Geisterinsel. Dessen geheimnisvolle Prophezeiung stellt Darian und seine Geliebte Mia vor eine fast unlösbare Aufgabe: ausgerechnet im Reich der Dunkelelfen sollen sie den Schlüssel zur Rettung Albanys finden – bei den Todfeinden der Menschen ...

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Seitenzahl: 680

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AILEEN P. ROBERTS

Das Reich der Dunkelelfen

Buch

Durch ein magisches Portal betrat der Londoner Student Darian einst die fantastische Parallelwelt Albany. Dort sollte er nach der Weihe zum König sein Erbe antreten. Doch Darians Feinden – dem hinterlistigen Zauberer Samukal und seinen Verbündeten – gelang es, den jungen König von seinem Volk zu entfremden und gefangen zu nehmen. Darians Kampf scheint verloren – da gelingt ihm mit Hilfe seiner Geliebten Mia, einer Nebelhexe, die Flucht aus dem unterirdischen Kerker von Rodgill. An der Seite der wenigen Verbündeten, die ihm noch geblieben sind, macht er sich auf den Weg zu den geheimnisvollen Geisterinseln. Dort soll ihm ein Orakel den Weg aufzeigen, wie er Albany doch noch retten kann.

Doch als die Gefährten nach einer kräftezehrenden Reise den Steinkreis auf den Geisterinseln erreichen und das Orakel befragen, ist dessen Antwort niederschmetternd: Darian muss ins Reich der Dunkelelfen hinabsteigen, denn nur dort wird er die Hilfe finden, die er benötigt, um Samukal zu besiegen. Ein gefährliches Unterfangen, denn die Dunkelelfen gelten schon seit Generationen als Todfeinde der Menschen. Dennoch macht sich Darian auf den Weg. Und während Samukals Verbündete an der Oberfläche eine Schreckensherrschaft errichten, kämpfen Darian und seine Freunde um das Schicksal Albanys – und um ihr eigenes Leben …

Autorin

Aileen P. Roberts ist das Pseudonym der Autorin Claudia Lössl. Ihre Begeisterung für das Schreiben entdeckte sie vor einigen Jahren durch ihren Mann. Als dieser mit der Arbeit an einem Buch begann, beschloss sie, sich ebenfalls als Schriftstellerin zu versuchen. Seither hat sie bereits mehrere Romane im Eigenverlag veröffentlicht, 2009 erschien mit »Thondras Kinder« ihr erstes großes Werk bei Goldmann. Mit der »Weltennebel«-Trilogie legt sie nun ihren zweiten großen Fantasy-Zyklus vor. Claudia Lössl lebt mit ihrem Mann in Süddeutschland. Mehr zur Autorin und ihren Büchern unter

www.aileen-p-roberts.de.

Von Aileen P. Roberts sind im Goldmann Verlag außerdem lieferbar:

Das magische Portal. Weltennebel. Roman (47518)

Thondras Kinder. Die Zeit der Sieben. Roman (47057)

Thondras Kinder. Am Ende der Zeit. Roman (47143)

Aileen P. Roberts

Das Reichder Dunkelelfen

Weltennebel

Roman

1. AuflageOriginalausgabe Oktober 2011Copyright © der Originalausgabe 2011 by Claudia LösslCopyright © dieser Ausgabe 2011by Wilhelm Goldmann Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbHKarte: © Andreas HancockTh · Herstellung: Str.Satz: DTP Service Apel, HannoverISBN 978-3-641-05747-3www.goldmann-verlag.de

Für alle, die von fremden Welten träumenAlba gu bràth

Kapitel 1

Der Kerker von Rodgill

Ein kühler Nachtwind strich über Darians Wangen, als er auf der Klippe stand und auf das leise wogende Meer westlich der Nebelinsel hinausblickte. Der Mond spiegelte sich auf der dunklen Oberfläche wider, während durchscheinende, silbrig schimmernde Wassergeister in seinem Licht spielten und in immer neuen Formationen glitzernde Fontänen, gewaltige Wasserpferde oder gar Drachen bildeten. Eine schmale Gestalt, die auf ihn zukam, lenkte seine Aufmerksamkeit von diesem phantastischen Anblick ab. Ihre ebenmäßigen, feinen Gesichtszüge wurden vom sanften Mondlicht beschienen, und ihre langen schwarzen Haare flatterten in der Meeresbrise.

»Mia, endlich habe ich dich wieder«, sagte Darian leise. Er schloss sie in seine Arme, genoss ihre Wärme und sah in ihre faszinierenden grünen Augen. »Sagst du mir jetzt endlich, warum du mich so lange hast warten lassen?«

Ein unsanfter Tritt in den Rücken ließ Darian auffahren – und holte ihn zurück in die Wirklichkeit. Keine Nebelinsel, kein sanftes Mondlicht, keine Mia. Darian befand sich noch immer im Kerker von Rodgill, und Urgol, einer der Aufseher, knurrte ihn ungeduldig an, er solle nicht herumtrödeln.

Wahrscheinlich wird sie mir selbst in meinen Tagträumen niemals sagen, warum sie mich in dem Glauben gelassen hat, sie wäre tot, dachte er bitter. Darians Blick fiel auf den Mann neben ihm, und manchmal glaubte er, auch das wäre ein Traum. Sein Bruder Atorian, den er ganz unverhofft hier unten im Gefängnis wiedergefunden hatte, erhob sich gerade ächzend, strich sich die beinahe hüftlangen, ungepflegten und zotteligen langen dunklen Haare aus dem Gesicht, dann gähnte er herzhaft. Seine Gesichtszüge konnte man unter dem buschigen Bart, welcher in über vierzig Sommern und Wintern gewachsen war, kaum erkennen, außerdem war er von dem Staub des Kohleabbaus ebenso schmutzig wie Darian selbst. Atorians Kleider bestanden nur noch aus Lumpen, und ganz sicher hätte in ihnen beiden niemand die Erben von Northcliff erkannt.

»Komm, Darian, sonst ist nichts mehr zu essen übrig.« Atorian schlurfte zum Eingang der Schlafhöhle, wo ein muskulöser Wächter geschmacklosen, pampigen Gerstenbrei austeilte. Anschließend machten sie sich auf ihren Weg in die Tiefen des Berges, um einen weiteren Tag dort zu schuften und Kohle und Steine abzubauen.

Auch wenn es Darian freute, dass er seinen tot geglaubten Bruder Atorian jetzt wiedergefunden hatte – nach seinen Gesprächen mit ihm war er verzweifelter denn je, denn Atorian hatte ihm alle Hoffnung geraubt, jemals diesem Kerker entrinnen zu können. Zu verschachtelt waren diese Gänge, zu gut bewacht, und niemals zuvor hatte irgendjemand Rodgill lebend verlassen. Häufig glaubte Darian, verrückt zu werden, und in den wenigen Stunden Schlaf, die ihm vergönnt waren, wachte er schweißgebadet auf und hatte das Gefühl, unter den Tonnen von Gestein zu ersticken.

Innerhalb eines Komplexes, der aus drei Höhlen bestand, konnten sie sich relativ frei bewegen, nur deren Zugänge in die höhergelegenen Gänge waren streng bewacht. Eine der Höhlen diente zum Schlafen, in der zweiten, durch die ein unterirdischer Bach floss, konnten sie sich gelegentlich waschen oder ihre Notdurft verrichten, und eine dritte, sehr kleine, beherbergte das Krankenlager. Doch auf einen Heiler durfte hier niemand hoffen. Wer sich nicht von selbst erholte, für den hatte man in Rodgill keine Verwendung mehr und der verließ den Kerker mit den Füßen zuerst. So oft es die Brüder einrichten konnten, machten sie sich nach ihrer kräftezehrenden Arbeit noch einmal auf den Weg den Gang hinauf zu einer einzelnen, in den Fels eingelassenen Zelle, in welcher der Zauberer Nordhalan gefangen war. Auch heute hatten sie sich, anders als ihre erschöpften Mitgefangenen, nach dem Essen bei den Aufsehern der Schlafhöhle abgemeldet und behauptet, sich waschen zu wollen. So lange sie sich nicht zu größeren Gruppen zusammentaten, störte das niemanden, und so eilten sie nun zu Nordhalans Zelle, ein paar hundert Meter den Berg hinauf.

»Darian, Atorian, wie geht es euch?« Freude und Besorgnis gleichermaßen schwangen in Nordhalans Worten mit. Der hochgewachsene Mann mit dem langen schwarzen Bart, welcher mittlerweile eine Menge Grau aufwies, musterte sie durch Gitterstäbe, die, wie Darian nur zu genau wusste, durch Magie verstärkt waren. Sollte Nordhalan versuchen auszubrechen, würde ein Energieblitz ihn zurückwerfen und seine Hände verbrennen. Auch von außen war es ihnen nie gelungen, die Tür zu öffnen, sooft sie es auch schon versucht hatten. Nur durch eine kleine Klappe bekam Nordhalan Essen und Wasser von den Aufsehern. Um ihn zu befreien, hätten sie vermutlich selbst Zauberer sein müssen. Obwohl Nordhalan bereits an die hundertsechzig Sommer und Winter zählte, besaß er noch immer eine beeindruckende Gestalt – wobei auch er durch die sechs Jahre lange Gefangenschaft in Rodgill gelitten hatte, und Bart und Haare ihm jetzt verfilzt und fettig vom Kopf hingen.

»Heute gab es weder Felsstürze noch Tote, also war es ein guter Tag«, beantwortete Atorian nun die Frage des Zauberers, dann lehnte er sich müde gegen den Fels. Darian spürte Wut in sich aufsteigen, denn er konnte sich, anders als sein Bruder, einfach nicht damit abfinden, dass es keine Rettung für sie geben sollte.

»Irgendwann werden wir einen Weg finden«, versprach Nordhalan, wie schon so viele Male zuvor.

Darian wusste nicht genau, wie lange er schon hier unten war, aber es musste sich um mehrere Wochen handeln. »Warum bin ich verfluchter Narr nur allein nach Northcliff zurückgegangen«, ärgerte er sich jetzt.

Die schwielige, schmutzige Hand seines Bruders legte sich auf seine Schulter. Atorian war einen knappen halben Kopf größer als Darian, und Nordhalan behauptete, sie sähen sich recht ähnlich, auch wenn Darian im Gegensatz zu seinem Bruder dunkelblonde Haare hatte. Aber unter all dem Dreck, der sie tagtäglich bedeckte und den auch eine eilige Wäsche kaum beseitigen konnte, war das für Darian schwer nachzuprüfen.

»Du hattest die besten Absichten, Bruder, gräme dich nicht«, versuchte Atorian ihn zu trösten.

Dann mussten sie sich schnell auf den Rückweg machen, denn entfernte Schritte und der Schein von Fackeln kündigten eine Wachablösung an.

Weitere eintönige und trostlose Tage ohne Hoffnung auf eine erfolgreiche Flucht vergingen, und als Darian irgendwann, während er seinen Pickel unermüdlich auf das Gestein krachen ließ, seltsame, beinahe durchscheinende Nebelwesen um seinen Kopf herumschwirren sah, glaubte er, vollständig den Verstand verloren zu haben, und schlug gereizt nach ihnen. Irgendwann wurden diese Wesen so lästig, dass er nur noch wild in der Gegend herumfuchtelte, was, wie er sehr wohl bemerkte, schon die Aufmerksamkeit der Aufseher auf sich zog.

Atorian, der gerade neben ihm Steine auf einen Karren lud, hielt mit der Arbeit inne. »Das sind Bergsylphen, sie leben in den Tiefen der Berge und fügen Menschen kein Leid zu.«

»Dann siehst du sie auch?« Darian ließ die mit Steinen beladene Schaufel sinken.

»Natürlich!« Atorian lachte. »Was dachtest du denn?«

Seufzend fuhr sich Darian über die verschwitzte Stirn. »Dass ich durchdrehe.«

Tröstend legte Atorian seinem jüngeren Bruder eine Hand auf die Schulter und schlug nach den schattenhaften Wesen, die wie kleine Nebelwölkchen mit Augen aussahen. »Ich weiß, es ist schwer, aber du darfst jetzt nicht verzagen.«

Höhnisch lachend stützte sich Darian auf seine Schaufel. »Klar, ich habe ja auch nur noch schlappe fünfhundert Jahre hier unten vor mir.«

»Man weiß nie, was geschieht. Wenn Fehenius und Samukal erst tot sind …«

»O ja, sehr beruhigend«, unterbrach Darian seinen Bruder, auch wenn er froh darüber war, dass dieser offenbar doch nicht gänzlich resigniert hatte, »Samukal als Zauberer wird ja auch nur ein paar hundert Jahre alt und …«

Die beiden wurden unterbrochen, als sich einer der muskulösen Aufseher näherte.

»Macht weiter, ihr Abschaum, sonst bekommt ihr das hier zu spüren.« Mit bösartigem Grinsen hob er seine lange Lederpeitsche.

»Schon gut, beruhige dich.« Atorian hob die Hand und versetzte Darian einen leichten Stoß.

Der fuchtelte gereizt nach den Bergsylphen, die sich kurzfristig zerstreuten, dann aber wieder wie eine graue Nebelwolke auf ihn zuschwirrten. »Wie soll ich denn mit den Mistdingern hier arbeiten?«

Der Aufseher grunzte, ließ seine Peitsche zwischen die Bergsylphen fahren, war aber ebenfalls nicht sehr erfolgreich. »Mach einfach weiter, sie tun nichts.«

Wütend drosch Darian auf den harten Fels ein und versuchte, die lästigen Elementarwesen zu ignorieren.

Auch während der nächsten Tage begleiteten die kleinen, an weiße Rauchwölkchen erinnernden Geschöpfe ihn beinahe ununterbrochen. Darian wurde immer gereizter, und weder Atorian noch Nordhalan schafften es, ihn zu besänftigen.

»Der liebe Darian sitzt also im Kerker von Rodgill.« Leise lachend ließ Samukal seine Finger über den Thron streichen. »Vielleicht sollte ich ihm und Nordhalan bei Gelegenheit einen Besuch abstatten.« Seit einiger Zeit hielt sich Samukal in der Burg von Northcliff auf, auch wenn er sich momentan dem Volk noch nicht öffentlich zeigen wollte. Sein Halbbruder Fehenius strich sich sichtlich nervös die dünnen weißen Haare aus der Stirn.

»Ja, von mir aus.« Sein hageres Gesicht legte sich in missmutige Falten. »Hast du dir schon etwas wegen Rocalls Männern überlegt?«

»Ach, Fehenius«, übertrieben seufzend schüttelte Samukal den Kopf, wohl wissend, dass seine betont herablassende Art Fehenius beinahe in den Wahnsinn trieb, »sie werden für uns kämpfen und dann verschwinden.«

»Diese ungehobelten Rüpel führen sich auf, als würde ihnen die ganze Burg gehören, außerdem verschlingen sie Unmengen unserer Vorräte, der Winter ist nicht mehr allzu fern …«

»Reg dich nicht auf, Bruder, du bist schließlich nicht mehr der Jüngste.«

Ungeduldig schüttelte Fehenius Samukals Hand ab. »Du bist älter als ich, falls du das vergessen hast.«

»Aber im Gegensatz zu dir hat der Zahn der Zeit noch nicht allzu sehr an mir genagt«, lachte Samukal. Erwartungsgemäß lief Fehenius knallrot an, schnappte nach Luft und ballte seine Fäuste. Schon lange wusste Samukal, dass sein Halbbruder ihm sein Zaubererblut, welches von seiner mütterlichen Linie stammte, und die damit deutlich höhere Lebenserwartung neidete. »Noch vor dem Winter wird der Krieg gegen die Zwerge gewonnen sein, und ich werde zu gegebener Zeit dafür sorgen, dass Rocall samt seiner Krieger wieder in den Süden verschwindet«, versicherte Samukal mit fester Stimme. Absichtlich ließ er Fehenius über die Details seines Plans im Unklaren, und bevor Fehenius weiter nachbohren konnte, fragte er: »Wie entwickelt sich denn der junge Prinz?«

»Prächtig!« Wie immer, wenn es um Kayne ging, schwelgte Fehenius in Vatergefühlen. »Ein kräftiger Knabe, und schon unglaublich klug für sein Alter. Dies wird erst sein zweiter Winter, aber er spricht bereits deutlich besser als alle gleichaltrigen Kinder der Adligen.« Stolz straffte Fehenius seine knochigen Schultern. »Er ist eben ganz mein Sohn.«

»Natürlich, und so wie Elysia dich gelegentlich ansieht, würde es sie vermutlich nicht einmal stören, wenn sie es wüsste.«

»Tatsächlich?« Noch einmal schien Fehenius um einen halben Kopf zu wachsen. »Ich wäre ihr zumindest ein besserer Ehemann als Darian es jemals war. Was meinst du, Samukal, sollte ich …«

»Alles zu seiner Zeit.«

»Du musst dir übrigens noch etwas einfallen lassen, denn wenn Kayne auf die Dracheninsel …«

»Alles zu seiner Zeit«, wiederholte Samukal.

»Du weißt sehr wohl, dass ich schon mehr als sechzig Sommer und Winter gesehen habe, und ob mich die Götter damit segnen, Kayne als erwachsenen Mann zu sehen, ist ungewiss. Da er kein wirklicher Nachfahre der Northcliffs ist, werden ihn die Drachen nicht segnen und unser kleiner Betrug fliegt auf.«

»Sei versichert, mein Lieber, ich werde bezüglich der Drachen eine Lösung finden, und mich an deiner Stelle um Kayne kümmern, sollte dir etwas zustoßen.« Samukal lächelte. Er sah genau, wie misstrauisch sein Bruder ihn musterte – und das ganz sicher nicht zu Unrecht.

Kapitel 2

Lichtstreif am Horizont

Darian glaubte, erst vor wenigen Augenblicken die Augen zugemacht zu haben, als er eine vorsichtige Berührung am Kopf spürte.

»Geht weg, ihr Mistdinger, lasst mich zumindest schlafen«, grummelte er.

»Wach auf, Darian.«

Die sanfte, nur zu vertraute Stimme gehörte Mia. Wohlig seufzend rollte er sich auf dem Boden zusammen, wobei er die Arme um sich schlang. Ein Traum, ein weiterer wertvoller Traum, den er nicht so schnell loslassen wollte.

Allerdings rüttelte ihn jetzt jemand an der Schulter.

»Verflucht, es kann doch nicht schon wieder Zeit zum Aufstehen sein«, grollte er, setzte sich widerstrebend auf – und erstarrte.

»Mia!«

»Nicht so hastig, damit niemand etwas merkt.«

Auch beim zweiten Hinsehen konnte Darian es nicht glauben. Er vermutete, dass die Dunkelheit ihm einen Streich spielte, aber vor ihm, in einen langen Umhang gekleidet, stand die Nebelhexe Aramia, die Darian in England unter dem Namen Mia kennengelernt und in die er sich bereits dort unsterblich verliebt hatte. Mia fiel durch ihren schlanken und durchtrainierten Körper auf sowie ihre hüftlangen schwarzen Haare, die sie, wie auch heute, meist zu einem Zopf gebunden hatte. Eine braune Wildlederhose, hohe Stiefel, ein dunkelgrünes Hemd, Schwert und Dolch vervollständigten das Bild der perfekten Kriegerin. Sie sah aus wie Anfang oder Mitte zwanzig, hatte jedoch bereits über zweihundert Sommer gesehen, eine Tatsache, die auf ihr Dunkelelfenerbe zurückzuführen war.

»Was? Aber …«

Rasch legte Mia ihm einen Finger an die Lippen und schüttelte stumm den Kopf, dann bedeutete sie ihm, mit ihr zu kommen. Sie zog ihn aus der Höhle heraus, in der die Gefangenen schliefen. Die beiden Wachen, eine von ihnen war Urgol, lehnten an der Wand und schienen ebenfalls zu schlafen.

»Ich habe Elementarwesen auf die Suche nach dir geschickt«, erklärte Mia hastig, wobei sie sich nervös umsah. »Komm, wir müssen verschwinden. Ich konnte die Wachen mit Hilfe der Bergsylphen ablenken und niederschlagen, aber sie werden nicht ewig schlafen, und sicher kommt irgendwann die Ablösung.«

»Warte.« Darian war klar, dass sie jetzt keine langen Erklärungen abgeben konnten, aber er musste ihr etwas sehr Dringendes sagen. »Mein Bruder Atorian und Nordhalan sind hier, wir müssen sie mitnehmen!«

»Wie bitte? Atorian?« Mia sah ihn verständnislos an, hielt sich jedoch nicht mit Fragen auf. »Gut, aber es wird schwierig zu dritt«, murmelte sie nach kurzem Nachdenken.

»Ich kann sie nicht hier lassen.« Darian deutete in den dunklen Gang links hinter sich. »Dort hinten sitzt Nordhalan in einer Zelle, die mit Magie versiegelt ist, und wir bekommen sie nicht auf. Ich hole Atorian, dann treffen wir uns bei dem Zauberer.«

»Sei vorsichtig«, flüsterte Mia und zögerte einen Moment. Dann drückte sie kurz seine Hand und eilte leise davon.

Darian bahnte sich seinen Weg durch die schnarchenden Männer und rüttelte seinen Bruder energisch an der Schulter. Dieser grunzte unwillig und wollte seine Hand abschütteln.

»Steh auf«, drängte Darian und zog ihn energisch nach oben. »Wir werden gerettet.«

Verschlafen wischte sich Atorian über die Augen. »Was redest du denn? Hast du geträumt?«

»Nein, Mia ist hier. Ich weiß nicht, wie sie es geschafft hat, aber sie bringt uns nach draußen.«

»Was sagst du?« Nun war Atorian hellwach. Sein Blick fiel auf die schnarchenden Wachen, während Darian hektisch erzählte, dass Mia bei Nordhalan war und versuchte, ihn zu befreien.

»Im Namen der Götter!« Plötzlich kam Leben in Atorian. Er stürzte zu den bewusstlosen Wachen, fesselte sie mit ihren eigenen Gürteln, und nahm ihnen ein kurzes Schwert und die Peitsche ab. »Das wird hilfreich sein.«

Die beiden Brüder nickten sich zu, dann rannten sie in Richtung von Nordhalans Zelle, vor der bereits eine schmale Gestalt in einem Umhang stand. Atorian warf seinem Bruder einen fragenden Blick zu und dieser nickte.

»Bekommst du die Zelle auf?«, fragte Darian aufgeregt.

»Ich weiß nicht.« Mia schien hochkonzentriert, hatte beide Hände ausgestreckt und murmelte beständig Zauberformeln vor sich hin. Darian bemerkte sehr wohl, wie neugierig sein Bruder seine Gefährtin musterte.

Nordhalan stand währenddessen sichtlich angespannt hinter den Gittern. »Haltet euch nicht auf, flieht ohne mich.«

»Nein«, rief Darian entschieden.

»Es nützt Albany nichts, wenn ihr wieder gefangen werdet. Falls ihr wirklich nach draußen kommt, könnt ihr mich zu einem späteren Zeitpunkt befreien.« Der eindringliche Blick des alten Zauberers bohrte sich in den der Brüder.

»Versuch es weiter«, verlangte Atorian währenddessen und spähte nervös um die Ecke. »Falls jemand kommt, halte ich ihn auf.«

»Verdammte Narren, ihr könnt doch nicht …« Bevor Nordhalan jedoch seinen Satz beenden konnte, schwang die Gittertür lautlos auf und der alte Zauberer starrte Mia sprachlos an.

»Der Zauber war nur von draußen zu lösen«, erklärte sie. »Er war nicht sehr schwierig zu erspüren, jedoch für Nordhalan in seiner Zelle nicht zu brechen.«

»Aber wie willst du denn aus den Minen herauskommen, Aramia?«, fragte Nordhalan nach.

»Die Elementarwesen.« Lächelnd ließ Mia eine wolkenartige Bergsylphe auf ihrer Hand landen. »Sie werden uns helfen.«

»Oh, Aramia!« Nordhalan umarmte sie erleichtert, dann machten sie sich rasch auf, denn aus der Ferne hörte man das Geräusch schwerer Stiefel auf hartem Fels.

Mia schlug ein rasches Tempo an und erzählte unterwegs, dass sie nicht die vielbenutzten Gänge nehmen konnten, durch welche die Wachen gingen. Während einer Rast, in der Darian, sein Bruder und Nordhalan schwer atmend an der Wand lehnten, sagte sie: »Ich allein konnte mich gut verbergen, aber jetzt sind wir zu viert. Wir müssen einen anderen Weg finden.«

»Das sehe ich auch so, aber wie soll das gehen?«, erkundigte sich Atorian misstrauisch, der Mia in dem unbeleuchteten Seitengang sicherlich ebenso wenig sehen konnte wie Nordhalan oder Darian.

»Die Bergsylphen werden mich führen.«

»Das hoffe ich.«

»Man kann sich auf Mia verlassen«, flüsterte Darian ihm zu.

»Eine Nebelhexe«, zischte Atorian, und in Darian keimte Wut auf. Aber er schluckte sie rasch herunter, denn er wusste um die lang gehegten Vorurteile in Albany, und wenngleich er seinem Bruder von seiner Liebe zu ihr erzählt hatte, so war ihm doch bewusst, dass Atorian nicht viel davon hielt.

Viele Meilen wanderten die Gefährten durch die dunklen Gänge. Nordhalan hatte vorgeschlagen, magisches Licht zu erzeugen, aber Mia hatte davon abgeraten.

»Ich kann auch im Dunkeln sehen, einen Vorteil muss es ja haben, wenn Dunkelelfenblut durch die eigenen Adern fließt.«

Darian hielt abrupt an, als ihn die kräftige Hand seines Bruders hart am Arm packte. »Sie ist eine Dunkelelfe?«

»Nur zur Hälfte.«

»Aber …«

»Sie hat mich aus der anderen Welt geholt, sie ermöglicht unsere Flucht, was bitte hast du an ihr auszusetzen?« Darian bemerkte selbst, wie gereizt seine Stimme klang.

Atorian antwortete nicht und eilte stattdessen hinter den anderen her. Als sie auf ein kleines Rinnsal stießen, das an der Wand des engen Tunnels hinablief, hielten sie erneut an, um ihren Durst zu stillen. Als irgendetwas an Darians Füßen entlangstrich, schrie er unterdrückt auf.

Beruhigend nahm Mia seine Hand, während sie Atorian zurief: »Hör auf, blind mit dem Schwert herumzufuchteln!«

Atorians einzige Reaktion bestand in einem wütenden Knurren, und seine Klinge schrammte weiterhin gegen die Wand.

»Das war nur ein Tiefengnom«, versuchte Mia die nervösen Männer zu beruhigen. »Wenn man sie nicht reizt, sind sie harmlos.«

»Es macht mich verrückt, nichts zu sehen«, brummte Darian.

Während sie von dem Proviant aßen, den Mia mitgebracht hatte, lehnte er sich neben sie an die Wand. Tausende Fragen schossen ihm durch den Kopf, er wollte endlich wissen, weshalb sie ihm jahrelang verschwiegen hatte, dass sie lebte, sich auf der Nebelinsel versteckt gehalten hatte. Gleichzeitig kam es ihm nicht richtig vor, sie jetzt, wo sie gekommen war, um ihn zu befreien, gleich mit Vorwürfen zu überschütten. Stattdessen nahm er die Gelegenheit wahr, ihr zu erklären, weshalb er sie, nachdem Lilith ihn von seiner Sucht geheilt hatte, nicht sofort auf der Nebelinsel gesucht hatte.

»Ich wollte zuerst meine Fehler in Ordnung bringen, bevor ich dir wieder unter die Augen trete«, begann er unsicher. »Aber wie es aussieht, habe ich nur noch mehr Fehler begangen.«

Sie nahm seine Hand und rang selbst nach Worten. »Ich muss dir auch …«

Die beiden wurden unterbrochen, als Atorian hektisch aufsprang. »Da kommt jemand!«

Tatsächlich hörte man entfernte Stimmen. Kurz darauf war der fahle Schein einer Fackel zu sehen.

»Verdammt.« Mia zog Darian an der Hand in die Höhe und rannte los.

Sie waren noch nicht weit gekommen, als der Gang sich immer weiter verengte. Bald hatten die etwas kräftiger gebauten Männer Probleme voranzukommen, und schließlich standen sie an einem so engen Spalt, dass selbst die schlanke Mia nicht hindurchpasste.

»Es ist zu eng, wir müssen zurück«, sagte sie resigniert.

»Ich dachte, du kennst den Weg.« Atorians Stimme hatte einen nervösen und auch deutlich gereizten Klang angenommen.

»Elementarwesen haben kein Gefühl dafür, wo ein Mensch durchpasst und wo nicht«, stellte sie richtig.

»Diese Erkenntnis kommt leider zu spät!«, raunte Atorian. »Dann sag deinen Elementarwesen wenigstens, sie sollen die Männer hinter uns auf eine ebenso falsche Fährte schicken.«

»Lass sie!«, rief Darian wütend.

»Verliert jetzt nicht die Nerven«, verlangte Nordhalan, dessen Stimme in der Dunkelheit ruhig und gefasst klang.

Mia ging jedoch ohnehin nicht auf Atorian ein, sondern trat ein paar Schritte zurück und sagte dann leise: »Dort oben ist eine Höhle, vielleicht auch ein weiterer Gang. Wenn wir hinaufklettern, finden uns die Wachen nicht, und vielleicht können wir sogar von dort aus weitergehen.«

Darian hatte zwar keine Ahnung, wo ›dort oben‹ war, aber er vertraute Mia und das im wahrsten Sinne des Wortes blind.

»Haben das deine Elementarwesen gesagt?«, fragte Atorian herausfordernd, und es war offensichtlich, dass er Darians Einstellung keineswegs teilte.

»Nein«, Mias Stimme blieb gelassen, »aber wenn du einen besseren Vorschlag hast, nur zu.«

»Kämpfen«, knurrte Atorian.

»Das hat keinen Sinn, wir wissen nicht, wie viele es sind.«

»Ich bin der König von Northcliff, und wenn wir keinen anderen Weg finden, werden wir uns in den Kampf stürzen, und dann übernehme ich das Kommando.«

»Du magst der König von Northcliff sein, aber du bist nicht mein König«, erwiderte Mia trocken. »Wir Nebelhexen haben keinen König und brauchen keinen König, und nachdem ich herausgefunden habe, wer Samukal wirklich ist, habe ich mir geschworen, niemals wieder Respekt vor einem Reinblüter zu haben, wenn der sich diesen nicht auch zuvor verdient hat.«

Darian hörte, wie Atorian scharf die Luft einsog, und sosehr er die wieder erstarkte Hoffnung und den Kampfeswillen seines Bruders auch begrüßte, sosehr beunruhigte ihn diese Wandlung in diesem prekären Moment.

»Jetzt hört auf zu streiten«, versuchte Nordhalan zu beschwichtigen. »Aramia hat Recht. Sicher könnte ich Magie einsetzen, aber wir wissen nicht, wie viele Männer hinter uns her sind. Jetzt schweigt und klettert.«

Der bestimmenden Worte des Zauberers wegen schnaubte Darians Bruder entrüstet, stimmte schließlich aber doch noch zu, die Wand hinaufzuklettern, als Nordhalan für einen Augenblick magisches Licht über seinen Händen aufflammen ließ. Tatsächlich tat sich über ihnen eine kleine Höhle auf, die nach kurzer Untersuchung jedoch nicht weiterführte. Rasch löschte Nordhalan das Licht wieder, denn die Stimmen der Verfolger wurden lauter, und schon bald sah man den unsteten Lichtschein von Fackeln, die sich rasch näherten.

Darian und seine Gefährten verhielten sich ganz still und wagten kaum zu atmen, als kurz darauf mindestens fünfzehn Männer polternden Schrittes durch den schmalen Gang unter ihnen kamen.

Die Wachen fluchten, als es immer enger wurde.

»Wo sind die denn hin?«

»Weiß nicht, haben sich wohl in Luft aufgelöst.«

»Blödsinn, wahrscheinlich waren wir auf der falschen Spur.«

»Die Trolle passen hier sowieso nicht durch, los, drehen wir um.«

Als ein sehr großer Mann seine Fackel hob, fiel sein Lichtschein bis an den Rand der kleinen Höhle.

Die Verfolgten hielten den Atem an und drückten sich noch dichter an die kühle Wand der Höhle.

»Ich glaube, da ist …«, setzte der Wächter an, doch dann griff er sich schreiend ins Gesicht.

»Was hast du denn, Wudgan?«

»Da war irgendein Vieh«, heulte er auf und schlug wild um sich.

»Wahrscheinlich nur ein Tiefengnom«, vermutete einer seiner Gefährten.

»Los jetzt, wir gehen zurück, hier können sie nicht durchgekommen sein.«

Grummelnd entfernten sich die Männer, und Darian und seine Gefährten atmeten erleichtert auf, als der Lichtschein verschwand und sich erneut Dunkelheit in der Höhle ausbreitete.

»Was war das?«, flüsterte Darian, nachdem er sich sicher war, dass ihn die Wachen nicht mehr hörten.

»Eines meiner ach so nutzlosen Elementarwesen«, antwortete Mia mit einer Spur von Schärfe in der Stimme in Atorians Richtung.

Dieser stieß lautstark die Luft durch die Nase aus, rang sich dann jedoch zu einem »Danke« durch.

»Wir sollten uns hier ausruhen und später weitergehen«, schlug Nordhalan vor.

Die anderen stimmten seinem Vorschlag zu, obwohl es sie alle drängte, den Berg zu verlassen. Doch laut Mia würde das ohnehin einige Tage in Anspruch nehmen. Hier in der kleinen Höhle konnten sie sich bequem ausstrecken und waren halbwegs sicher vor ihren Verfolgern.

»Dein Bruder mag mich nicht«, stellte Mia flüsternd fest. »Was tut er eigentlich hier? Und wieso lebt er überhaupt noch?«

Darian rutschte näher an sie heran, dann erzählte er ihr leise von der verrückten Verwechslungsgeschichte: Irrtümlicherweise hatte man Atorians Hauptmann damals für ihn gehalten, und er selbst war unerkannt im Gefängnis von Rodgill gelandet. Nach einer Weile hörte man das gedämpfte Schnarchen von Atorian und Nordhalan und plötzlich machte sich eine gewisse Befangenheit zwischen Mia und Darian breit.

»Warum hast du zugelassen, dass mich alle glauben gemacht haben, du wärst tot?«, fragte Darian verletzt.

Seufzend nahm Mia seine Hand, und wenngleich er sich so lange Zeit danach gesehnt hatte, sie wieder zu spüren, war es ihm jetzt beinahe unangenehm. »Es ist nicht ganz einfach zu erklären.«

»Ich weiß, ich habe unglaublich viele Fehler gemacht und es tut mir leid, was ich damals auf der Nebelinsel zu dir gesagt habe. Trotz allem verstehe ich nicht, weshalb du mir das angetan hast. All die Jahre habe ich um dich getrauert und mir die Schuld an deinem Tod gegeben.« Lange verdrängte Gefühle von Wut, Enttäuschung und Unverständnis flammten in ihm auf. Er konnte nicht anders und entzog ihr seine Hand.

»Ich wollte dir nicht wehtun«, begann sie zögerlich. »Wäre es nur um mich allein gegangen, hätte ich alle Gefahren auf mich genommen und wäre bei dir geblieben. Aber so war es nicht.«

»Dann erklär es mir endlich!« Darian verstand nicht, wovon Mia sprach. »Fang jetzt bloß nicht an, etwas von der Verantwortung für das Volk von Northcliff zu erzählen, dass sie keine Nebelhexe als Königin akzeptiert hätten und …«

Mia unterbrach ihn und streichelte ihm so zärtlich über die Wange, dass er innehielt.

»Das wollte ich gar nicht sagen. Ich war nicht allein, sondern hatte die Verantwortung für ein weiteres Leben zu tragen.«

»Was?!«

»Ich war schwanger, als ich durch das Portal ging.« Als Darian lautstark Luft holte, fügte sie rasch hinzu: »Ich wusste es nicht, aber Lilith spürte es, als sie uns fand. Sie hat alles getan, um uns zu retten. Ich bin erst auf der Nebelinsel wieder aufgewacht, und selbst da wusste Lilith nicht, ob wir beide überleben würden. Es war ein sehr kleiner und schwacher Lebensfunke in meinem Schoß. Lilith hatte geahnt, dass Fehenius mich als Druckmittel gegen dich einsetzen wollte, und für unser Kind wäre es noch weitaus gefährlicher gewesen. Also beschloss sie gemeinsam mit Ohaman, mir einen Trank zu verabreichen, der es für jeden Nichtmagiekundigen so aussehen ließ, als wäre ich tot. Auf der Nebelinsel erzählte sie mir alles, und ich war sehr aufgebracht darüber, was sie dir angetan hatten. Aber schließlich hat Lilith mich überzeugt, dass es für das Kind zu gefährlich wäre. Wir Nebelhexen dürfen keine Kinder bekommen, das ist streng verboten. Als dann all die furchtbaren Gerüchte über dich im Umlauf waren …« Sie unterbrach sich selbst. »Hätte ich nur gewusst, dass Fehenius dich abhängig gemacht hat, wäre ich auf der Stelle zu dir gekommen und hätte dir geholfen.«

Für kurze Zeit war Darian nicht in der Lage, überhaupt zu antworten. Mias Worte wirbelten durch seinen Kopf, und er musste seine Gedanken zunächst sortieren. All die Jahre hatte er in dem Glauben gelebt, Mia wäre tot. Abermals fühlte er Zorn in sich aufsteigen. Er fragte sich, ob ein Kind all die schrecklichen Taten rechtfertigen konnte, die nur deswegen geschehen waren, weil Mia nicht an seiner Seite gewesen und er ein unwürdiger König gewesen war. Doch seine Wut verflüchtigte sich rasch, er durfte und konnte Mia nicht für seine Missetaten verantwortlich machen. Mia hatte richtig gehandelt, und wenn er es sich recht überlegte, hätte er sie in dem Wissen um das Kind wahrscheinlich selbst darum gebeten. Der Gedanke an ein Kind, ihrer beider Kind, löschte alle anderen Überlegungen einfach aus.

»Ich … Wir … haben wirklich ein Kind?«, presste er schließlich hervor.

»Ja, Darian, eine kleine Tochter.«

»Wie heißt sie?« Seine Stimme war ganz heiser vor Erregung.

»Leána.« Große Zärtlichkeit schwang in diesem einzigen Wort mit. »Ich habe sie nach einer der Frühlingsblumen auf unserer Insel benannt. Sie ist ein so fröhliches Mädchen und sie …« Ihre Stimme brach, und Darian fühlte Tränen auf seine Hand tropfen.

Darian nahm Mia in den Arm und streichelte über ihre Haare. Auch er war ergriffen. Natürlich war ein Teil von ihm noch immer verletzt, und er wusste im Augenblick auch nicht, ob er Lilith je verzeihen konnte, dass sie ihn angelogen hatte – aber ihm war durchaus klar, in welcher Gefahr Mia und seine kleine Tochter geschwebt hatten. Vermutlich hatten Lilith und Mia erst abwarten wollen, wie sich alles entwickelte, und dann hatten die Dinge einfach ihren Lauf genommen. Monate vergingen, dann Jahre, und er war zu dem geworden, was … Er wischte seine Gedanken endgültig beiseite. »Hätte ich nur gewusst, dass du ein Kind hast. Ich verstehe jetzt, dass du mir in dem Zustand, in dem ich damals war, als ich dich wiedergesehen habe, nichts von ihr erzählt hast.«

»Wie gesagt, wäre es nur um mich gegangen, ich hätte dir geholfen, das musst du mir glauben.«

»Ich glaube dir.« Darian drückte sie fest an sich. »Wie ist sie? Erzähl mir von ihr.«

»Leána hat dunkle Haare, so wie ich, und sie ist ein kluges, aufgewecktes Kind. Die Augen und das Lächeln hat sie von dir.«

Während Mia weitererzählte, versuchte Darian sich seine kleine Tochter vorzustellen, die er noch niemals gesehen hatte – und vielleicht auch nie sehen würde, falls es ihnen nicht gelang, diesem Gefängnis zu entrinnen.

»Aber Mia«, sagte er plötzlich empört, »wieso hast du sie denn allein gelassen. Falls uns beiden hier unten etwas geschieht …«

Sie legte ihm einen Finger auf die Lippen. »Leána ist jetzt schon über fünf Sommer alt, sehr vernünftig, und Lilith und die anderen passen gut auf sie auf. Auf der Nebelinsel ist sie in Sicherheit, und ich wollte unbedingt zu dir. Ich habe ihr erklärt, dass ich ihrem Vater helfen muss und dass wir dann gemeinsam zu ihr kommen.«

»Du hast ihr von mir erzählt?«, fragte Darian atemlos. »Was … Wie … Ich meine, ich war …«

Mia unterbrach ihn mit einem Kuss. »Ich habe ihr gesagt, dass ihr Vater ein wunderbarer Mann ist. Mutig, klug und stark. Dass er nur im Augenblick Schwierigkeiten mit bösen Menschen hat und dass er, sobald er diese besiegt hat, sicher zu uns kommt.«

»Oh, verdammt, Mia – sie hat ein vollkommen falsches Bild von mir!«

»Hat sie nicht.« Darian spürte selbst in der Dunkelheit ihren Blick. »Du bist verraten und betrogen worden. Es war nicht deine Schuld, dass du von dem Azetá abhängig geworden bist, außerdem wolltest du alles wiedergutmachen. Leána wird sehr stolz auf dich sein.«

»Falls wir hier lebend rauskommen.«

»Das werden wir!«

Obwohl Darian wusste, dass er eigentlich hätte schlafen sollen, bat er Mia, noch etwas von Leána zu erzählen. Sie tat ihm den Gefallen, und so waren sie beide unausgeruht, als Atorian ruckartig erwachte und meinte, sie sollten jetzt aufbrechen.

Noch immer konnte Darian nicht fassen, was Mia ihm erzählt hatte. Er sagte seinem Bruder und dem Zauberer nichts, denn zunächst musste er das alles selbst verarbeiten. Allerdings verspürte er nun mehr denn je den Wunsch, diesen Berg lebend zu verlassen.

Angeführt von Mia schlichen die vier Gefährten weiterhin durch schmale Gänge, wateten durch unterirdische Bäche und kletterten über heruntergebrochene Felsen. Da die Schritte in ihren Ohren ohnehin schon viel zu laut hallten, schwiegen sie die meiste Zeit und unterhielten sich während der kurzen Pausen nur im Flüsterton. Obwohl hier und da Fackeln in einem der Gänge aufleuchteten oder wie aus weiter Ferne Stimmen ertönten, schienen sie ihre Verfolger nun schon seit einiger Zeit abgeschüttelt zu haben.

Trotzdem war die Reise in der ständigen Dunkelheit für die drei Männer eine Qual. Nur Mia schien gut damit zurechtzukommen, auch wenn sie niemals im Unterreich der Elfen gelebt hatte.

Irgendwann meinte Atorian gereizt, sie könnten doch nun Nordhalan endlich magisches Licht erzeugen lassen.

Darian spürte, dass Mia, die sich häufig mit seinem Bruder in die Haare bekam, sogleich widersprechen wollte, aber er tastete in der Finsternis nach ihr und hielt ihre Hand fest.

»Es sind schon so lange keine Wachen mehr aufgetaucht. Ich denke, wir können es wagen.«

Mia klang gereizt, als sie antwortete. »Was denkst du, Nordhalan?«

»Ich würde es begrüßen, wieder sehen zu können, wohin ich trete.«

»Dann ist es entschieden!«, rief Atorian zufrieden.

»Aber gebt mir nicht die Schuld, Eure Majestät«, sagte Mia zynisch, »falls etwas schiefgeht.«

»Niemals, Mylady!« Im aufflammenden Schein von Nordhalans magischem Licht verbeugte er sich spöttisch vor ihr.

Gereizt verdrehte Darian die Augen, doch auch er war so froh, endlich wieder etwas zu sehen, dass er den Streit der beiden auf sich beruhen ließ. Obwohl Nordhalans Licht sanft war und die Dunkelheit fast schon vorsichtig zurückdrängte, blinzelte er einige Male, dann ging er zu Mia und zog ihr die Kapuze vom Kopf. »Endlich kann ich dich wieder ansehen.«

Sie lachte hell auf, während Atorian knurrend zu dem Zauberer meinte: »Ich möchte nur wissen, was er an ihr findet. Gut, sie ist hübsch, auf eine ungewöhnliche Art, aber …«

Nordhalan unterbrach ihn schmunzelnd. »Aramia ist mutig und klug. Eigentlich genau die Art von Frau, der auch du nicht abgeneigt bist, Atorian.«

Dieser runzelte nur ärgerlich die Stirn und ging allen voran weiter in den finsteren Gang hinein. Als er über einen der kleinen, pelzigen Tiefengnome stolperte, fluchte er laut, während das Wesen empört zischte.

Mia grinste. »Komm, bevor er sich die Füße bricht und wir ihn am Ende noch durch die Gänge tragen müssen.«

Kopfschüttelnd folgte Darian ihr, und sie setzten ihre beschwerliche Reise fort.

Mias Proviant reichte kaum aus, um alle satt zu machen. Niemand wusste, wie lange sie noch brauchen würden, um die Oberfläche zu erreichen, denn die Bergkette von Rodgill erstreckte sich über viele Meilen, und war im Laufe der Jahrhunderte von einem Netz aus Gängen durchzogen worden, um Kohle abzubauen. Mia meinte, Elementarwesen könnten die Zeit nicht messen und wären daher keine große Hilfe. Und so wagten sie kaum etwas zu essen und wurden immer hungriger.

Am vierten Tag ihrer Flucht gerieten Mia und Atorian erneut heftig aneinander, und bevor der Streit eskalierte, zog Darian seinen älteren Bruder zur Seite.

»Sag mal, willst du, dass die Wachen uns doch noch hören? Was ist denn jetzt schon wieder los?«

Wütend schüttelte Atorian seinen Bruder ab. »Keiner von uns weiß, wo sie uns hinführt. Ich habe langsam das Gefühl, wir finden hier niemals heraus.«

Darian seufzte. Die lange Reise unter den Bergen hindurch zehrte auch an seinen Nerven. »Mia wird uns schon an die Oberfläche bringen.«

Schnaubend wandte sich Atorian ab und lehnte den Kopf gegen die Wand.

»Was hast du für ein Problem mit ihr?«, wollte Darian wissen und stellte sich herausfordernd vor Atorian. »Ohne sie hätten wir wahrscheinlich noch hundert Jahre in diesem Gefängnis gesessen.«

»Tut mir leid, Darian, aber nach all den Sommern und Wintern neige ich zur Vorsicht. Außerdem musst du verstehen, dass früher meist ich derjenige war, der die anderen angeführt hat, und jetzt soll ich einfach hinterherlaufen, ohne zu wissen, wohin sie uns bringt.«

»Und wo sollte sie uns deiner Meinung nach hinbringen?«

»Vielleicht direkt zu den Dunkelelfen«, brach es aus Atorian heraus.

»Wie bitte?« Zuerst war Darian wirklich perplex, dann wurde er wütend. »Es ist nicht Mias Schuld, dass ihr Vater ein Dunkelelf ist. Ich jedenfalls vertraue ihr.«

Atorian schien überhaupt nicht überzeugt zu sein. »Ich kann keiner Dunkelelfe trauen, und du kennst sie auch noch nicht allzu lange.« Einen Augenblick stockte Atorian, dann kam Darian nicht umhin zu bemerken, dass seine Stimme bedrückt klang. »Meine Frau, Lorana, wurde bei einem Dunkelelfenangriff getötet.«

Zunächst wusste Darian nicht, was er erwidern sollte, dann legte er seinem Bruder eine Hand auf den Arm. »Das tut mir sehr leid, aber Mia hat genauso viel Interesse daran, hier möglichst schnell rauszukommen, wie wir.«

»Ach ja? Was macht dich da so sicher?«

Kurz zögerte Darian, dann packte er seinen Bruder fest an den Schultern und blickte ihm in die Augen. »Weil sie eine kleine Tochter hat – meine Tochter!«

Für einen Augenblick rang Atorian nach Worten. Im schwachen Schein von Nordhalans magischer Feuerkugel blickte er von Darian zu Mia, die mit verschränkten Armen etwas abseits stand und sich leise mit dem Zauberer unterhielt.

»Du … du hast ein Kind mit ihr?«

Darian nickte. »Sie hat es mir auch erst vor Kurzem gesagt, und ich werde alles dafür tun, Leána kennenzulernen und diese verdammten Grotten endgültig hinter uns zu lassen.«

Sichtlich verwirrt von den Worten seines Bruders sackte Atorian auf den Boden, und Darian setzte sich neben ihn.

»Du wirst die Kleine nicht öffentlich als deine Tochter anerkennen können. Du bist bereits verheiratet und hast einen Sohn, er wird der Thronfolger werden.«

»Nein, Kayne ist nicht mein Sohn, da bin ich mir sicher.« Anschließend schmunzelte er. »Außerdem bin ich ja jetzt nicht mehr der rechtmäßige König, und es wird dein Sohn sein, der eines Tages auf dem Thron sitzt.«

Atorian fuhr sich über das Gesicht. »Das ist ohnehin eine vertrackte Angelegenheit. Ich bin der Ältere, aber du hast den Segen der Drachen erhalten.« Atorian wirkte unschlüssig. »Wir sind beide berechtigt zu regieren.«

»Ich überlasse dir den Thron mit Vergnügen, ich habe ohnehin alles falsch gemacht.« Voller Sehnsucht blickte Darian zu Mia hin. »Und vielleicht ist es so auch leichter, mit ihr und Leána zusammenzuleben.«

»Wir werden sehen.« Ächzend erhob sich Atorian. »Zuerst müssen wir hier raus, und dann überlegen wir, wie wir unsere Burg zurückerobern.«

Während sie weitermarschierten, erzählte Darian auch Nordhalan von seiner kleinen Tochter, und der Zauberer konnte seine Überraschung nicht verbergen. Schließlich legte er Darian und Mia jedoch jeweils eine Hand auf den Arm. »Ihr werdet es nicht einfach haben, aber ich verspreche, euch mit all meiner Kraft zu unterstützen.«

»Und ich ebenfalls«, verkündete Atorian überraschend. »Ich bedaure es, an dir gezweifelt zu haben, Aramia. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen.«

»Vielleicht.« Die dunkelhaarige Frau hob ihr Bündel auf. »Aber jetzt sollten wir weitergehen.«

Die Gefährten folgten ihr durch nun etwas breiter werdende Tunnel. Zum Glück schienen Atorian und Mia ihre ewigen Streitereien aufgegeben zu haben, denn auch wenn sie kaum miteinander sprachen, so ließen sie einander zumindest in Ruhe.

Irgendwann glaubte Darian, frischere Luft zu riechen und einen leichten Luftzug zu spüren. Zunächst konnte er es selbst nicht glauben und wollte seinen Freunden auch keine falschen Hoffnungen machen. Doch dann hielt Mia an, und ihre Augen strahlten. »Die Elementarwesen sagen, die Oberfläche sei nicht mehr fern.«

Darian fiel ihr um den Hals, und auch Atorian und Nordhalan stießen erleichterte Rufe aus, und mit neuem Mut marschierten sie weiter, den nun stetig ansteigenden Tunnel hinauf.

Leider hielt ihre Freude jedoch nicht allzu lange an, denn auf einmal, wie aus dem Nichts, standen zwei Trolle und einige Wächter vor ihnen. Sie waren aus einem der Seitengänge gekommen und griffen an, ohne zu zögern.

Atorian zog seine Peitsche aus dem Gürtel und schlug sie dem Troll über das Gesicht. Dieser knurrte zwar gereizt, doch auf seiner dicken, lederartigen Haut richtete diese Waffe nicht viel Schaden an. Also benutzte Atorian sie nur noch als Ablenkung oder zielte auf die empfindlicheren Augen der Kreatur.

Darian musste vor den langen Peitschenschnüren zurückweichen. Da er Atorian ohnehin nicht helfen zu können schien, fasste er sein Schwert fester, um nun an Mias Seite gegen zwei der Soldaten zu kämpfen. Denn ganz sicher war Atorian findig genug, um gegen einen einfallslosen Troll zu bestehen. Darian konzentrierte sich auf seine Gegner und schlug mit aller Kraft zu. Was er an Kampfeserfahrung vermissen ließ, glich Mia mit ihrer großen Geschicklichkeit und schnellen Finten wieder aus.

Rasch tobte ein gefährliches Scharmützel, und die Gänge hallten vom Waffenlärm wider.

Die Gefährten waren allesamt durchaus gute Kämpfer, jedoch forderten die lange Flucht und die mangelnde Nahrung allmählich ihren Tribut. Trotzdem gelang es Nordhalan mit mächtigen Feuerblitzen, einige Angreifer zurückzudrängen, und wie er da im magischen silbrig-blauen Licht kämpfte, erkannte Darian endlich, welch ein großartiger Zauberer er sein musste. Die geballte Kraft seiner Magie entlud sich in den Gängen, warf Schatten an die Felsen, und unwillkürlich fragte sich Darian, wer damals dazu imstande gewesen war, Nordhalan zu überwältigen und ihn in dieses unterirdische Verließ zu sperren.

Aus dem Augenwinkel heraus sah Darian zudem, wie Atorian trotz seines schlechten Zustands einen Troll erst heftig mit Peitschenschlägen eindeckte, sich dann auf dem Boden abrollte, um dessen fuchtelnden Pranken zu entgehen, und schließlich das fallengelassene Schwert eines toten Wächters ergriff. Mühelos tötete Atorian die Kreatur mit einem gezielten Stich in die Kehle. Jetzt musste Darian jedoch selbst aufpassen, denn schon zischte eine Schwertklinge heran, ritzte glücklicherweise aber nur seinen Arm auf. Im letzten Augenblick war es Mia nämlich gelungen, das Schwert des Angreifers abzulenken.

Dank Nordhalans magischer Gegenwehr hielten die übrig gebliebenen Verfolger im Augenblick respektvoll Abstand, sicher würden sie jedoch schon bald erneut vorstoßen. Mitnichten würden sie die Flüchtigen einfach ziehen lassen.

»Ich werde versuchen, die Decke zum Einsturz zu bringen«, verkündete Nordhalan.

Ganz langsam wichen die Gefährten zurück, und auch in ihre Gegner kam wieder Bewegung. Da ließ Nordhalan einige machtvolle Worte in einer für Darian unverständlichen Sprache durch den Gang hallen, und die Decke über ihnen erbebte. Risse bildeten sich, breiteten sich knackend aus, und kleine Gesteinsbrocken polterten herab. Von den Wachen hörte man erschrockene Rufe. Sie blieben kurz stehen und blickten verunsichert zur Höhlendecke.

Die Fliehenden hielten den Atem an, auch sie spähten erwartungsvoll zur Decke, in der Hoffnung, diese würde ihre Angreifer endlich unter sich begraben. Zwei weniger furchtsame Trolle jedoch drängten bereits wieder vor, die herabfallenden Gesteinsbrocken ignorierend. Mit mächtigen Schritten und wutverzerrten Gesichtern kämpften sich die monströsen Bergtrolle voran und kamen bedrohlich näher.

Noch kräftiger und durchdringender hallten nun Nordhalans Zaubersprüche von den Felsen wider, doch für einen Augenblick schien es, als würde sein Zauber nicht wirken. Ein verschlagenes Grinsen breitete sich auf den Gesichtern der Kreaturen aus, sie waren jetzt fast bei ihnen. Dann vibrierte der Boden, und ein deutlich stärkeres Beben erschütterte den Berg. Die Wachen hielten sich an den rauen Steinen fest, und ihre Warnrufe wurden übertönt, als sich endlich eine Gesteinslawine auf die Trolle ergoss.

Die Gefährten sprangen zurück und rannten, ohne sich noch einmal umzudrehen, den Gang entlang. Der Boden unter ihren Füßen erzitterte, während Tonnen von Gestein herabkrachten. Sie mussten sich beeilen, um nicht selbst darunter begraben zu werden.

Endlich hörte der Steinschlag hinter ihnen auf, und der Staub, welcher die Gänge erfüllte, begann sich langsam zu setzen. Nach Luft ringend machten die Gefährten Halt, und als sie ein wenig zur Ruhe gekommen waren, breitete sich auf ihren Gesichtern ein erleichtertes Lächeln aus.

»Der Gang hinter uns ist verschüttet. Jetzt können wir den Rest des Weges beruhigt zurücklegen.«Mia umarmte Darian glücklich. »Bald haben wir es geschafft.«

Von neuer Hoffnung erfüllt machten sie sich wieder auf den Weg, Darian fasste Mias Hand und sie eilten weiter. Ihre neu gewonnene Euphorie wurde jedoch schlagartig beiseitegefegt, als erneut ein kleiner Trupp Wachposten hinter der nächsten Biegung zum Vorschein kam. Flackernde Fackeln gaben den Blick auf fünf Männer frei, und Darian hatte nicht die geringste Ahnung, was diese ausgerechnet in diesem Seitentunnel zu suchen hatten. Sollte die Kunde ihrer Flucht sie tatsächlich überholt und an der Oberfläche ihre Runde gemacht haben? Viel Zeit zu überlegen blieb ihm aber ohnehin nicht, denn schon stürzten die Wachen mit erhobenen Klingen heran.

Geistesgegenwärtig riss Nordhalan seine Hände empor, bläuliches Licht sammelte sich an seinen Fingerspitzen, entlud sich in einem Blitz und streckte den vordersten der Angreifer nieder. Dieser prallte heftig gegen den Fels, und sein Schwert flog in hohem Bogen davon. Ungeachtet des Schicksals ihres Kameraden stürmten die restlichen Wächter vorwärts. Noch bevor Nordhalan, dessen Gesicht nach all den Strapazen nun deutliche Erschöpfung zeigte, ein weiteres Mal seine Magie einsetzen konnte, waren die Männer schon heran, und der Erste rammte Nordhalan seine Schulter in die Brust, während er ausholte und nach Mia hieb. Der alte Zauberer wurde zurückgeschleudert, sein Kopf prallte gegen die Felswand, und er blieb reglos liegen. Aus dem Augenwinkel sah Darian, wie sein Bruder zwischen den Angreifern nach vorne stürzte und das Schwert des niedergestreckten Wächters ergriff. Mias Klinge wirbelte durch die Luft. Im gleichen Augenblick hallten die Gänge wider von Metall, das brutal aufeinandergeschlagen wurde. Der Tunnel war so eng, dass sie kaum zu zweit nebeneinander kämpfen konnten. Darian musste achtgeben, mit seinen wilden Schlägen, die er nur noch schwerlich kontrollieren konnte, Mia nicht zu verletzen. Nach und nach fielen zudem die Fackeln zu Boden, und schließlich hielt nur noch ein einziger Wächter eine Lichtquelle in der Hand, während er mit der anderen das Schwert gegen Darian schwang. Der erlaubte sich einen flüchtigen Blick zu seinem Bruder und erkannte, wie dieser sich am Rande des Lichtscheins gleich gegen zwei Männer zur Wehr setzte, dann musste er eilig zurückweichen. Mias Gegner stürzte mit einem Kampfschrei nach vorne, aber er hatte wohl nicht mit der Wendigkeit einer Dunkelelfe gerechnet. Geschmeidig tauchte sie unter seinem erhobenen Arm durch, drehte sich blitzschnell um und rammte ihm von hinten ihr Schwert in den Rücken. Der verbliebene Wächter bedrängte Darian mit harten Schlägen, doch schon eilte ihm Mia zur Seite. Gemeinsam attackierten sie ihren Widersacher, der mit entsetztem Gesicht zurückwich. Um sich vor Mias prasselnden Schlägen zu schützen, riss der Mann sein Schwert schützend hoch und taumelte rückwärts. Dieser kurze Moment ermöglichte es Darian, erneut einen Blick auf Atorian zu riskieren, der gerade mit seinen Feinden – einer von ihnen war bereits verletzt – in einem Seitengang verschwand. Seine kurze Unaufmerksamkeit wäre Darian beinahe zum Verhängnis geworden. Die Klinge des Gegners schnellte auf ihn zu, und nur der raschen Reaktion von Mia hatte er es zu verdanken, dass die Waffe ihn nicht traf. Sofort griff Darian erneut an, und endlich gelang es ihm, mit seiner eigenen Klinge durch die Deckung des Gegners zu dringen. Er spürte, wie das Metall in den feindlichen Körper glitt, kurz darauf stieß auch Mia zu. Der Mann brach tot zusammen. Darian ergriff eine der am Boden liegenden Fackeln, doch da erhellte ein sanftes Licht den Gang. Nordhalan war offensichtlich wieder zu Bewusstsein gekommen und eilte nun herbei.

»Atorian – wir müssen ihm helfen«, keuchte Darian. Er war völlig außer Atem, und seine Lungen brannten, als hätte er Morscôta inhaliert. Trotzdem stolperte er los in die Richtung, aus der Schwertergeklirr ertönte. Doch in diesem Moment kam Atorian bereits wieder aus dem Seitengang heraus, mit nur noch einem Gegner. Dieser taumelte kraftlos zur Seite, Atorians Schwert beschrieb einen raschen Kreis durch die Luft und trennte dem letzten Wachposten den Kopf von den Schultern.

»Gott sei Dank, Atorian, ich dachte schon, wir wären verloren.« Darian sah, wie sein Bruder mit hängenden Schultern, das Schwert hinter sich herziehend, auf sie zukam. »Bist du verletzt?«

Es verwunderte ihn, dass Atorian gar nicht antwortete, stattdessen ging er mit starrem Blick auf Mia zu, die dabei war, ihren besiegten Gegner seines Dolches zu entledigen. Aus heiterem Himmel hob Atorian plötzlich sein Schwert und stürzte auf Mia zu. Darian wollte schreien, ihr eine Warnung zurufen, aber ihm blieb die Luft weg. Er konnte nicht fassen, was gerade geschah.

Vermutlich retteten Mia nur ihre angeborenen Instinkte. Reflexartig riss sie ihr Schwert nach oben, wich zur Seite aus und stellte sich dann ihrem unerwarteten Gegner. Auch Mias Gesicht drückte Unglauben aus. Schon wieder zischte die Klinge auf Mia zu, sie glitt zur Seite und lenkte Atorians Schwert von sich weg.

»Ist er des Wahnsinns?«, meldete sich nun Nordhalan zu Wort. Er hatte eine Hand auf die blutende Wunde an seinem Kopf gepresst und beobachtete die Kämpfenden sichtlich schockiert.

Nun riss sich Darian aus seiner Erstarrung. »Atorian! Hör auf, was tust du denn?«, schrie Darian und wollte vorwärts stürzen, aber Nordhalan hielt ihn zurück.

»Du würdest sie nur behindern.«

Die beiden waren in einen rasenden Kampf verwickelt. Darian wusste, wenn er jetzt eingriff, würde er sich und Mia nur in Gefahr bringen. So schnell Mia auch auswich oder parierte, Atorian wirbelte ebenso rasch herum. Stahl schlug auf Stahl, Funken sprühten und Darian rief seinem Bruder zu, er solle mit diesem Wahnsinn aufhören.

»Nordhalan, kannst du das nicht beenden?«

Der alte Mann verzog das Gesicht. »Ich befürchte, in meinem jetzigen Zustand würde ich sie eher beide verletzen. Mein Kopf dröhnt, und ich kann mich kaum konzentrieren.«

Wieder hieb Atorian nach Mia, und Darian glaubte, ihr Schädel würde gespalten werden, aber im letzten Augenblick wich sie nach links, zog ihr Schwert blitzschnell nach unten – und stach nach Atorian.

»Mia, nicht!«, rief Darian aus dem ersten Impuls heraus, aber dann stockte er.

Auch Nordhalan holte hörbar Luft, dann rief er: »Das kann doch nicht …«

Normalerweise hätte Atorian jetzt eine klaffende Wunde in der Seite haben müssen, aber stattdessen hatte es ausgesehen, als habe Aramias Klinge nur Luft durchschnitten. Bevor Darian sich von seiner Verwunderung erholt hatte, erwartete ihn aber schon der nächste Schrecken. Denn plötzlich warf Mia ihr Schwert zur Seite und kniete sich vor Atorian, der schon wieder zum Angriff ansetzte. »Mächtiger Culahan, ich erbitte deine Gnade, lass mich und meine Freunde passieren.«

Mias Worte klangen beschwörend.

»Mia!« Ohne auf Nordhalans Protest zu hören, stürzte Darian nach vorne, fasste Mia an den Schultern und wollte sie zum Aufstehen bewegen.

»Atorian, lass sie in Frieden!«

Gerade eben noch hatte Atorian in seinem Schlag innegehalten, aber nun kam ein unmenschliches, donnerndes Brüllen aus seinem Mund und er rannte los.

»Das ist nicht dein Bruder«, rief Mia und stieß Darian zur Seite, während – wer auch immer es war – einen neuen Angriff startete. »Geh zurück, Darian, lass mich das machen, ich weiß, was ich tue!«

Ein schwacher, halbherziger silberblauer Blitz von Nordhalan hatte das Wesen aufgehalten. Mia stellte sich vor Darian, der seine Klinge umklammert hielt und noch immer nicht begreifen konnte, was sich gerade vor seinen Augen abspielte.

Mia hob ihre Hände, ging langsam auf das Wesen zu und redete leise, beinahe schon liebevoll auf es ein. »Es tut uns leid, dass wir in dein Reich eingedrungen sind. Ich bitte dich, verschone uns. Ich bin Aramia von der Nebelinsel, ich bin ein Freund der Elementargeister. Wir hegen keinerlei feindliche Gesinnung.«

Die Gestalt verharrte, musterte Mia durchdringend, und dann kamen Worte aus seinem Mund, die Darian endgültig klar machten, dass dies nicht Atorian sein konnte. Ähnlich der Stimme des Culahan, den er auf der Nebelinsel getroffen hatte, schienen diese Worte direkt aus der Erde zu kommen, klangen tief und mächtig, uralt und dunkel, so wie eine Lawine, die zu Tal geht.

»Eindringlinge, Räuber, Zerstörer«, grollte das Wesen, immer noch in Atorians Gestalt. »Ihr reißt unsere Berge auf, stehlt ihnen das Herz und beutet sie aus.«

Als sich Nordhalans Hände auf Darians Schultern legten, zuckte er zusammen. »Sie hatte Recht, es ist ein Culahan«, flüsterte der Zauberer und zog Darian langsam mit sich nach hinten. »Lass Aramia mit ihm verhandeln.«

Nur widerstrebend wich Darian zurück. Im Augenblick griff der Culahan nicht an, aber dennoch war die Gefahr sicher nicht gebannt.

»Wir waren Gefangene, wir sind nicht die, die deinen Berg zerstören«, fuhr Mia sanft fort. Dann streckte sie eine Hand aus, und kurz darauf schwirrten ein paar beinahe durchscheinende Bergsylphen um sie herum. Der Culahan gab ein leise brummendes Geräusch von sich, dann löste sich Atorians Gestalt auf, und ein graues Wesen ohne feste Konturen füllte den ganzen Gang aus. Sein Mund glich einer Felsspalte, seine Augen tiefen dunklen Höhlen, und auch dieser Culahan sah aus wie lebendiger Fels.

»Lang ist es her, dass jemand zu mir sprach. Kein menschliches Wesen ist den Bergsylphen freundlich gesinnt«, dröhnte der Culahan, und seine Augen bohrten sich in Mias.

»Wir sind den Wächtern entkommen. Ich bitte dich, Geist der Berge von Rodgill, gewähre uns Durchlass.« Demütig beugte sie den Kopf, und Darian verharrte in atemloser Anspannung.

Der Culahan grollte, seine Stimme wurde immer lauter, und Darian nahm ein unangenehmes Vibrieren in seinem Inneren wahr. Er war sich sicher, das Wesen würde sie jetzt töten, den Gang einstürzen lassen oder sie einfach überrollen, aber stattdessen löste es sich ganz unvermittelt auf, verschmolz mit der Felswand und war verschwunden.

Sofort eilte Darian zu Mia, umarmte sie und drückte sie fest an sich. Dann kam ihm ein entsetzlicher Gedanke. »Atorian – was ist mit ihm? Ist er …«

Unsicher hob Mia die Schultern, doch Darian rannte schon los, griff sich eine am Boden liegende Fackel, die mittlerweile fast heruntergebrannt war, und stürzte in den Gang, in dem er Atorian hatte verschwinden sehen. Gleich am Eingang lag ein Wächter, sein Schädel war regelrecht zerschmettert worden. Langsam und mit zittrigen Beinen ging Darian weiter. Nun fürchtete er sich davor, Atorian zu finden, hatte Angst, dass auch er von dem Berggeist getötet worden war.

Sein Bruder lag mit dem Gesicht nach unten auf dem kalten Fels. Ganz vorsichtig drehte Darian ihn um, hielt die Luft an und tastete nach seinem Puls.

»Er lebt!«, rief er dann glücklich nach hinten. Sofort waren seine Freunde bei ihm. Mia zog ihren Umhang aus, legte ihn Atorian über und besah sich die Platzwunde an seiner Schläfe.

»Er hatte Glück.«

Jetzt, als die Anspannung nachließ, sank Darian zittrig gegen die Wand. »Ich dachte wirklich, Atorian bringt dich um«, sagte er. »Ich hatte Angst, sein Hass gegen alle Dunkelelfen hätte ihn übermannt.«

Vorsichtig strich Mia Atorian eine Paste auf die Wunde, dann träufelte sie ihm etwas aus einem kleinen Fläschchen in den Mund und reichte das Gefäß dann an Nordhalan weiter. »Eine von Liliths Tinkturen. Sie wird deine Kopfschmerzen lindern.«

»Herzlichen Dank.« Der Zauberer nahm einen kleinen Schluck, dann setzte er sich neben Atorian auf die Erde.

»Weshalb hat dieser Culahan Atorians Gestalt angenommen?«, wunderte sich Darian.

Mia lächelte ihn an. »Es gibt alte Geschichten, dass die Geister der Berge die Gestalt ihrer Feinde annehmen können, um deren Verbündete zu verwirren. Zunächst habe ich es auch nicht bemerkt, aber ich wunderte mich über die ungewohnt fließenden Bewegungen. Atorian kämpft gut, aber er ist ein Mensch, und die bewegen sich anders, und als mein Schwert kein Fleisch durchschnitt, wurde mir klar, dass das nicht Atorian sein konnte. Zudem konnte ich eine Aura fühlen, wie sie den meisten Elementarwesen zu eigen ist.«

»Wie gut, dass du bei uns bist, Aramia«, seufzte der alte Zauberer und schloss seine Augen.

Es dauerte eine ganze Weile, bis Atorian endlich zu sich kam. Zunächst blinzelte er verwirrt, als Mia ihm behutsam aufhalf, und fasste sich dann an den Kopf.

»Nicht, lass die Paste drauf«, schimpfte Mia.

»Was ist denn geschehen?«

Darian erklärte ihm, was vorgefallen war, und Atorian riss die Augen auf, als er von dem Berggeist hörte.

»Ich kämpfte in dem Seitengang mit einer der Wachen, und dann kann ich mich daran erinnern, dass eine graue Masse zuerst den Wächter und dann mich davonschleuderte. Ich krachte gegen Felsen, wollte euch noch warnen, aber dann wurde alles dunkel um mich.«

»Ist schon gut«, versuchte Darian ihn zu trösten. »Mia konnte ihn aufhalten.«

Atorian zog seine Augenbrauen zusammen, dann nickte er Mia widerstrebend zu und erhob sich langsam, wobei er das Gesicht verzog. »Du hast doch nicht im Ernst gedacht, ich will dich töten?«

»Zumindest zog ich es in Erwägung«, meinte Mia und hob die Schultern. »Wir Nebelhexen sind nicht sehr beliebt, und eine mit Dunkelelfenblut …«

Mit sichtlich empörtem Gesicht trat Atorian nach vorne und legte Mia eine Hand auf den Arm. »Ich gebe zu, ich hatte Vorbehalte, die allerdings ein Erbe schrecklicher Erlebnisse längst vergangener Tage sind. Aber du bist die Gefährtin meines Bruders, die Mutter meiner Nichte, niemals würde ich dir etwas zu Leide tun.«

»Dann hätten wir das ja geklärt.« Mia warf den beiden Männern einen Blick zu. »Möchtet ihr euch noch etwas ausruhen, oder sollen wir weitergehen?«

Von dem Kampf waren alle erschöpft, aber die Aussicht, in Kürze wieder frische Luft zu atmen und Tageslicht zu sehen, war zu verlockend, und Atorian meinte, er wolle keinen weiteren Zusammenstoß mit einem Berggeist riskieren.

Sie sammelten ihre wenigen Sachen zusammen, nahmen den toten Wächtern ihren Proviant ab und machten sich dann auf den Weg. Erfreulicherweise war weder Nordhalans noch Atorians Verletzung schwerwiegend oder gar lebensbedrohlich. Dennoch hofften alle inständig, dass sie auf keine weiteren Wachen treffen würden. Wo die Männer hergekommen waren, würden sie nie erfahren. Vielleicht war es eine reguläre Patrouille gewesen, vielleicht auch gezielt ausgesandte Männer, die von der Oberfläche aus in die Mine geschickt worden waren. Auch blieb es ihnen ein Rätsel, warum der Culahan nicht längst die in den Tiefen arbeitenden Sklaven und Wachmänner angegriffen hatte. Mia war der Ansicht, dass der Culahan über längere Zeit im Fels geruht hatte – diese Ruhephasen konnten durchaus viele Jahre betragen. Dass er jetzt erwacht war, würde das Leben derer, die noch immer in Rodgill waren, sicher nicht einfacher machen. Allerdings meinte sie auch, Elementargeister seien schwer berechenbar und würden nicht immer nach menschlichen Maßstäben logisch handeln. Möglicherweise würde er die Männer in den Tiefen des Berges schon bald wieder vergessen und an der Oberfläche durch die Berge streifen.

Nach einem anstrengenden Marsch bergauf stieß Atorian plötzlich einen erfreuten Ruf aus. »Licht! Ich sehe Licht!«

Tatsächlich drangen durch einen schmalen Spalt Sonnenstrahlen herein, und sofort hasteten die vier Gefährten weiter. Atorian quetschte sich als Erster durch den Durchlass und sank draußen, seine Augen bedeckend, auf die mit Gras bewachsene Erde. Er hatte so viele Jahre unter dem Berg verbracht, dass ihm das gleißende Sonnenlicht sicher wehtat. Darian und Nordhalan erging es ähnlich, doch sie gewöhnten sich etwas schneller daran.

Mia ließ ihren Blick über das weite, zum größten Teil von Heidekraut und Felsen bedeckte Land schweifen, welches hier und da von kleinen Wäldern überzogen war. Darian trat blinzelnd neben sie und umarmte sie. »Ich danke dir! Ich danke dir tausend Mal.«

»Jetzt können wir zu Leána auf die Nebelinsel gehen.« Sie zögerte kurz. »Oder möchtest du zuerst Verbündete suchen?« In einer der kurzen Pausen hatte Darian ihr erzählt, dass er Torgal und Edur um Verzeihung bitten wollte.

»Zuerst muss ich Leána kennenlernen«, erwiderte er lächelnd, doch dann runzelte er die Stirn. »Wo sind wir hier?«

»Im Zwergenreich.«

»Oh, dann ist Edur …«, er unterbrach sich selbst und betonte noch einmal: »Leána geht vor.«