Der letzte Drache - Aileen P. Roberts - E-Book

Der letzte Drache E-Book

Aileen P. Roberts

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Beschreibung

Er wurde geboren, um Albanys Krone zu tragen – doch als Prinz Kayne vor der Thronbesteigung die Weihe zur Unsterblichkeit erhalten soll, verweigern ihm die Drachen diese Gunst. Denn nicht der einstige König, sondern der grausame Zauberer Samukal soll sein Vater sein. Vor den Anfeindungen flieht Kayne aus der Hauptstadt, an seiner Seite Leána, die schöne Tochter einer Dunkelelfin und eines Menschen. Sie entdecken ein magisches Portal – und geraten in unsere Welt. In Schottland treffen sie auf den geheimnisvollen Rob, der Leána nicht nur von Anfang an fasziniert, sondern der auch für Albanys Schicksal von entscheidender Bedeutung sein wird ...

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Buch

In Albany, einem fantastischen Parallelreich, steht ein ganz besonderer Tag bevor: der 25. Geburtstag des Prinzen Kayne, an dem sich endgültig entscheiden soll, ob er der rechtmäßige Thronerbe ist. Nur an diesem einen Tag gewähren die Drachen Albanys einem zukünftigen König ihre Gunst – doch Kayne, an dessen königlicher Abstammung es schon lange Zweifel gibt, versagen sie die magische Weihe. Gekränkt und zutiefst verletzt, verlässt dieser daraufhin seine Heimat. An seiner Seite eine Gruppe drei enger Freunde, darunter Leána, Tochter einer Nebelhexe und eines Menschen.

Leána ist es auch, die beim Baden in einem See ein Magisches Portal entdeckt, das sie in unsere Welt führt. Mutig wagen die Freunde den Übertritt. Sie landen in den schottischen Highlands, einer für sie völlig fremden Kultur. Mühsam finden sie sich zurecht – bis Leána auf Michael und den stummen Rob trifft, die beide ihre Geheimnisse zu haben scheinen. Auf Anhieb erliegt die junge Frau Robs Faszination – und wird in ein ebenso aufregendes wie gefährliches Abenteuer hineingezogen …

Weitere Informationen zu Aileen P. Robertssowie zu lieferbaren Titeln der Autorinfinden Sie am Ende des Buches.

Aileen P. Roberts

Derletzte Drache

Weltennebel

Band 1

Roman

1. AuflageOriginalausgabe Oktober 2014Copyright © 2014 by Claudia LösslCopyright © dieser Ausgabe 2014by Wilhelm Goldmann Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbHUmschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, MünchenUmschlagmotiv: FinePic®, MünchenUmschlaginnenseiten: FinePic®, MünchenLektorat: Kerstin von DobschützKarte S. 7: © Andreas HancockTh · Herstellung: Str.Satz: DTP Service Apel, HannoverISBN: 978-3-641-13164-7www.goldmann-verlag.deBesuchen Sie den Goldmann Verlag im Netz

Für Mara und Stephan und unsere magische Nebelinsel

Prolog

Sanft umhüllte ihn die Nacht. Wie ein Mantel aus dunkler Seide schützte sie ihn vor denen, die er vor dem Vergehen bewahrte, die das jedoch nie verstehen, ja nicht einmal ahnen würden. Der Nebel war sein Freund, sein Begleiter, sein Schutz. Tief unter ihm lagen die mächtigen Berge, zerklüftete Schluchten und Seen. Er breitete seine Schwingen aus, wurde eins mit dem Ostwind, dessen eisiger Atem ihn noch niemals schrecken konnte, war er doch Teil von ihm. Glitzernd im Mondlicht wogte der Ozean unter ihm, und er spürte, wie ihn ein Gefühl von Freiheit durchdrang. Freiheit, nach der er sich so häufig sehnte. Von Menschenohren ungehört schallte sein Schrei über das Meer, vermischte sich mit dem Donnern der Wellen. Ein Schrei, der alles in sich vereinte: Trauer, Zorn, seinen unbändigen Freiheitsdrang. Vieles hatte er verloren, zurücklassen müssen, was er liebte, und das schon vor unendlich langer Zeit. Doch niemals würde er vergessen – niemals! Und vielleicht war das seine größte Strafe.

Das erste Licht des heranbrechenden Morgens zwang ihn, nach Osten abzudrehen. Er war ein Ausgestoßener, nur Mond und Sterne kannten sein wahres Wesen.

Kapitel 1

Das Erbe der Väter

Die letzten Frühlingsstürme tobten sich über der Burg von Northcliff aus. Pechschwarze Wolken hingen über dem nördlichen Meer, doch überall brachen Lichtstrahlen hervor und ließen die Schaumkronen auf den Wellen in allen Farben des Regenbogens funkeln. Der Wind riss an Kaynes dunklen Haaren, als er an der östlichen Mauer stand und dem Donnern der Wogen lauschte, die gegen die Klippen brandeten; eine ewige Schlacht von Wasser und Land. In seinem Inneren tobte ein ähnlicher Kampf. Eine schicksalhafte Zeit war angebrochen, denn morgen würde er zu den Geisterinseln aufbrechen und sich in wenigen Tagen, wenn der erste Sommermond aufgegangen war, dem Urteil der Drachen stellen. Lange hatte er seinen fünfundzwanzigsten Geburtstag herbeigesehnt, doch jetzt, da es bald so weit war, fürchtete er ihn.

»Kayne! Ich suche dich bereits den halben Morgen«, riss ihn eine schrille Stimme aus seinen Überlegungen.

Raschen Schrittes kam seine Mutter herbeigeeilt. Das lange Gewand aus blauer Seide mit den goldenen Borten wehte wild um Elysias auffallend schlanken Körper. Einige blonde Haarsträhnen, in denen sich seit geraumer Zeit auch zahlreiche weiße Haare gemogelt hatten, lösten sich aus den kunstvoll geschlungenen Zöpfen.

Voller Missbilligung verzog sich Elysias schmaler Mund, ihr Gesicht legte sich in Falten, wie sie so vor ihm stand, und wenngleich sie ihm nur bis zum Kinn reichte, trat Kayne einen Schritt zurück, als sie kopfschüttelnd an seinem Leinenhemd herumzupfte.

»Du hast dich nicht einmal umgezogen«, rügte sie ihn. »Dein Vater und seine …« Sie räusperte sich, und Kayne wusste genau, welche Worte sie sich verkniff: seine Brut.

»Nun gut, die Abordnung von der Nebelinsel wird sicher bald eintreffen.« Elysia schnaufte. »Und im Namen der Könige von Northcliff, rasier dir dieses fürchterliche Gestrüpp aus dem Gesicht!«

Kayne lächelte bitter. »Damit ich nicht aussehe wie Samukal?«

»Du bist Darians Sohn«, behauptete Elysia mal wieder im Brustton der Überzeugung. »Und in wenigen Tagen werden wir das ganz Albany beweisen, Kayne!«

Die Frage, ob Kayne der Sohn von Darian, dem jüngsten Erben von Northcliff, war oder, durch eine heimtückische List eingefädelt, der Nachfahre des Zauberers Samukal, verfolgte Kayne schon sein ganzes Leben lang.

»Der Bart wird nichts ändern, Mutter«, knurrte Kayne.

»Dennoch müssen wir Kayas Gefolgsleuten nicht noch Öl ins Feuer gießen«, giftete Elysia.

Seit er denken konnte, herrschte zwischen Königin Kaya, Frau des verstorbenen Atorian von Northcliff, und seiner Mutter ein ständiger Streit.

»Mein Junge«, zärtlich strich sie ihm über die Wange, »du wärst ein so guter König von Northcliff.«

Unwirsch schob er ihre Hand weg. »Ich werde niemals König von Northcliff sein! Toran ist Atorians Nachfahre. Außerdem könnte niemand mit magischen Fähigkeiten König der Menschen werden.«

Die Nasenflügel seiner Mutter blähten sich, dann zuckte sie mit einer Schulter. »Vieles kann sich ändern. Bei den Elfen beispielsweise ist die Begabung zur Magie kein Hinderungsgrund. Außerdem ist Toran der einzige Nachfahre von Atorian. Wenn du erst als Darians Sohn bestätigt bist …«

»Mutter!« Hart fasste er sie an den Schultern. »Toran ist wie ein Bruder für mich. Wage nicht, irgendwelche Intrigen gegen ihn zu spinnen!«

»Wie sprichst du denn mit mir?«, keifte sie und rieb sich beleidigt den Arm, nachdem er sie losgelassen hatte. »Ich spinne keine Intrigen, aber einem jungen, heißblütigen Mann kann viel zustoßen, wenn er seine Männlichkeit im Kampf beweisen will.«

»Vergiss nicht den Fluch der Northcliffs«, warnte Kayne sie, woraufhin seine Mutter zurückzuckte. »Wer einen von ihnen ermordet, ist selbst des Todes.«

»Ich kenne diese Legende.« Ungeduldig strich sich Elysia eine Haarsträhne hinter das Ohr. »Und ich hatte auch nicht die Absicht, den Jungen zu ermorden. Nur sollten wir unseren Herrschaftsanspruch nicht vorzeitig aufgeben und uns für den Fall der Fälle bereithalten.«

Unseren Herrschaftsanspruch, dachte Kayne, schüttelte den Kopf und wandte sich ab. »Ich gehe mich jetzt umziehen.«

»Vergiss den Bart nicht!«, flötete seine Mutter ihm hinterher.

Voller Zorn eilte er an der Mauer entlang, sprang die Stufen zum Vorhof der Burg hinab und hielt auf die breite Steintreppe zu, die zum Eingang der mächtigen Festung führte. Neben einer alten Eberesche blieb er jedoch stehen und betrachtete schmunzelnd die Szene, die sich ihm bot.

Auf einem imposanten graubraunen Hengst, dessen Hals von weißem Schaum bedeckt war, sprengte eine Reiterin in den Hof. Ihr schwarzer Zopf peitschte hinter ihr her. Lady Ruvelia, die gerade über den Burghof flanierte, sprang im letzten Moment kreischend zur Seite. Der Versuch ihres Gemahls, Lord Vrugen, die beleibte Rothaarige zu stützen, endete für die beiden Adligen aus Rodgill kläglich in einer Pfütze.

»Verzeihung!«, schrie die junge Frau, kämpfte mit dem rebellierenden Pferd, denn dieses stieg auf die Hinterbeine, anstatt stehen zu bleiben.

»Leána, solltest du dir nicht lieber ein Pferd aussuchen, das besser zu einer Prinzessin von Northcliff passt?« Mit einem breiten Lachen im Gesicht kam Toran die Treppen hinabgeeilt.

Kayne bemerkte, wie sich die jungen Hofdamen, teils waren sie aus Culmara auf die Burg gekommen, teils stammten sie aus Adelshäusern von ganz Albany, tuschelnd nach Toran umdrehten. In dem blauen Umhang, dem weißen Hemd und der schwarzen Hose gab der Thronerbe in der Tat ein beeindruckendes Bild ab. Aufgrund seiner Jugend, Toran hatte erst neunzehn Sommer gesehen und war somit sechs Sommer jünger als Kayne, machte der Prinz noch einen etwas schlaksigen Eindruck. Dennoch würde er sicher mit zunehmendem Alter noch mehr seinem Vater Atorian gleichen, den Kayne nur sehr dunkel in Erinnerung hatte.

Endlich hatte Leána ihren tobenden Hengst unter Kontrolle gebracht. Sie sprang elegant aus dem Sattel, knuffte das Pferd freundschaftlich in die Nüstern und ließ sich anschließend von ihrem Cousin umarmen.

»Ich bin eine Nebelhexe«, schallte Leánas fröhliche Stimme zu Kayne herüber. »Als Prinzessin betrachten mich die wenigsten.«

Mit arrogant erhobenen Köpfen stolzierten die beiden Adligen nun an Leána und Toran vorbei, straften die junge Frau mit Missachtung, verneigten sich jedoch tief vor dem Prinzen.

Toran erwiderte den Gruß, brach allerdings gemeinsam mit Leána in Gelächter aus, nachdem die beiden durch das große Eingangstor verschwunden waren.

Toran bedeutete einem der Bediensteten, zu ihnen zu kommen. Der junge Bursche zog erschrocken die Schultern ein, als Toran befahl: »Bring Prinzessin Leánas Hengst in den Stall.«

»Das mache ich lieber selbst«, widersprach Leána. Mit einem Klaps auf den Hals rief sie das Pferd zur Ordnung, als es an ihrem blauen Umhang herumzupfte. »Mein Freund hier könnte deine armen Bediensteten verschrecken.«

Tatsächlich suchte besagter Bediensteter sogleich das Weite, während Toran mit wenigen großen Schritten die steinernen Stufen emporsprang. »Wie du möchtest, dann komm doch später in den Thronsaal. Wann werden deine Eltern eintreffen?«

»Ich bin mir nicht sicher, aber ich vermute, es dauert noch eine Weile.«

Damit stapfte Leána los und hielt auf die Stallungen an der Ostmauer zu. Ihre hohen, vorne geschnürten Lederstiefel knarrten, und ihre gesamte Erscheinung sprach von einem rasanten Ritt, wie Kayne auffiel, als sie dicht an ihm vorbeiging. Dreckspritzer zierten ihren Umhang ebenso wie die braune Lederhose.

Kayne löste sich aus dem Schatten des Baumes. Das Pferd machte einen Satz zur Seite und brachte Leána dazu, äußerst undamenhaft zu fluchen. Doch sofort erhellte sich ihr Gesichtsausdruck wieder, und ein Grübchen zeigte sich an ihrer rechten Wange.

»Kayne, wie schön!« Sie breitete die Arme aus, und Kayne drückte sie sogleich an sich, wobei er das Pferd gut im Blick behielt. »Endlich sehen wir uns wieder, kleiner Bruder!«

»Kleiner Bruder?« Er hielt sie ein Stück von sich weg und betrachtete sie von oben herab, wobei er eine Augenbraue in die Höhe zog. Leána war nicht klein für eine Frau, aber an seine etwas über sechs Fuß Körpergröße reichte sie nicht heran. Ihr Kopf ragte nur eine knappe Handbreite über seine Schulter.

»Du bist nun mal jünger als ich, ob es dir gefällt oder nicht«, zog sie ihn auf und boxte ihm spaßhaft gegen die Schulter. Kein Außenstehender hätte Leána für älter als Kayne gehalten. Neunundzwanzig Sommer hatte sie gesehen, dennoch ließ ihre zierliche Erscheinung, das jugendliche Gesicht mit der Stupsnase und den fröhlichen blauen Augen sie nicht älter als neunzehn oder zwanzig wirken. Doch das lag an ihrem Dunkelelfenblut – diese Rasse alterte einfach sehr viel langsamer. Zudem hatte Leána jede Menge Flausen im Kopf, was ihre Jugendlichkeit noch unterstrich.

»Nicht einmal ganz vier Sommer«, knurrte Kayne, »und ob ich tatsächlich dein Halbbruder bin …«

»Ach, Kayne, du wirst immer mein Bruder bleiben.« Liebevoll verstrubbelte sie ihm die Haare. Dann legte sie den Kopf schief. »Wie geht es dir denn?«

Er hob seine Schultern. »Ich bin froh, wenn endlich alles vorbei ist, gleichgültig wie es ausgeht.«

Gemeinsam schlenderten sie über den Hof, und der Hengst ließ es sich nicht nehmen, einer Magd einen Apfel aus ihrem Korb zu stibitzen.

»Du bist unmöglich, Maros«, schimpfte Leána. »Er hat erst seinen vierten Sommer vor sich«, entschuldigte sie sich dann noch.

»Ein prachtvolles Tier«, stellte Kayne fest und musterte ihn nun eingehender. »Stammt er von einem von Menhirs Nachkommen ab?«

»Nein, von Menhir selbst.«

»Das kann doch gar nicht sein!«, rief Kayne aus. »Der alte Hengst müsste schon weit über dreißig Sommer gesehen haben.« Menhir, das Kriegsross von Darian von Northcliff, war eine Art Legende in Albany. Beinahe all seine Nachkommen hatten dieses ungewöhnliche graubraune Fell und die schwarze Mähne und galten als ausgesprochen ausdauernd und zäh.

»Menhir stammt von einem Elfenpferd ab«, erklärte Leána, »und die werden älter als normale Pferde. Auf der Nebelinsel genießt er das saftige Gras und sorgt für seine Stutenherde. Wegen der Verletzung, die er sich im Dämonenkrieg zugezogen hat, reitet Vater keine weiten Strecken mehr mit ihm, aber einen gemütlichen Ausritt an der Küste entlang lassen sich die beiden hin und wieder nicht nehmen.«

»Ach so.« Er betrachtete Leána schmunzelnd. »Und du musstest dir natürlich das wildeste Pferd aussuchen. Zudem einen Hengst – die Ladys von Culmara fänden das ausgesprochen unpassend.«

Sie rümpfte ihre zierliche Nase. »Die Ladys von Culmara finden so ziemlich alles an mir unpassend. Das würde sich erst ändern, wenn …« Sie unterbrach sich selbst, räusperte sich und blickte verschämt zu Kayne auf.

»Wenn sich herausstellt, dass Mutter Darian mit Samukal betrogen hat«, beendete Kayne gelassen den Satz. »Womit ich unpassend und ein Bastard wäre.«

»Ach Kayne …«

»Nein, Leána, lass uns nichts schönreden. Zumindest würde man in diesem Fall endlich Darians Verbindung mit Aramia tolerieren.«

»Hör auf damit, wir sollten uns diesen schönen Tag nicht mit Spekulationen vermiesen lassen«, schlug Leána vor, hakte sich bei Kayne ein, und gemeinsam brachten sie den Hengst in den Stall, wo sie ihn absattelte und sein verschwitztes Fell striegelte. Dabei plauderte sie unbeschwert vor sich hin. Manchmal beneidete Kayne sie um diese fröhliche Art. Viele Adlige bezeichneten Leána seit ihrer Kindheit als Bastard, als Schande für einen Northclifferben. Selbstverständlich nur hinter vorgehaltener Hand, denn grundsätzlich wurde Darian durchaus geachtet, hatte er sich doch während des Dämonenkrieges als Retter von Albany hervorgetan, und noch heute rühmte man ihn als »Dämonenbann«. Auch wenn sich seit der Herrschaft von Kaya vieles in Bezug auf die Nebelhexen – Mischlinge verschiedener Rassen – geändert hatte, so gab es im Volk nach wie vor unterschwellige Vorurteile. Hunderte von Sommern voller Hass und Furcht vor den Abkömmlingen, die teilweise sogar das Resultat von Schändungen gewesen waren, hatte auch eine neue Generation nicht völlig ausräumen können. Nur die weiblichen Nachkommen aus verschiedenen Rassen besaßen magische Fähigkeiten. Besonders die Heilerinnen unter ihnen waren hoch geschätzt. Männliche Halbtrolle, Halbelfen oder auch Gnomenmischlinge und andere aus ungewöhnlichen Verbindungen hervorgegangene männliche Wesen hingegen zeigten keine Begabung zur Magie und wurden meist äußerst argwöhnisch beäugt.

»Selbstverständlich wollte Torgal auf seinem eigenen Pony reiten, was die Reise für meine Eltern etwas langwieriger gestaltet hat«, erzählte Leána gerade. »Über den Eichenpfad erreichten wir das Festland sehr schnell, aber dann mussten sie auf das Pony und Torgal Rücksicht nehmen.«

»Torgal, wie geht es ihm?«

Ein strahlendes Lächeln erhellte Leánas Gesicht. Kayne wusste, wie abgöttisch sie ihren kleinen Bruder liebte. Vor fünf Wintern waren Darian und Aramia noch einmal Eltern geworden und hatten den Kleinen nach Torgal, dem verstorbenen Hauptmann und guten Freund von Darian, benannt.

»Er ist so niedlich«, rief Leána aus, dann kicherte sie. »Während der ersten Zeit waren meine Eltern verwundert, wie gehorsam und ruhig er ist. Aber seitdem er mit den beiden Halbkoboldzwillingen Urs und Frinn spielt, hat er so einiges an Blödsinn gelernt!«

»Womit er eher nach dir schlägt.«

Sie widersprach nicht, grinste nur vor sich hin und verließ die Pferdebox. »Nun gut, Maros, dann friss bitte keine Stallburschen«, sie zwinkerte Kayne zu, als ein halbwüchsiger Knecht sich erschrocken an die Wand drückte, »oder lass zumindest einen von ihnen übrig.« Übertrieben aufrecht stolzierte sie hinaus. »Wir Adligen wollen ja schließlich nicht selbst ausmisten!«

»Du bist unmöglich, Leána«, lachte Kayne, »dieses Pferd passt hervorragend zu dir.«

»Sag ich doch.« Sie hielt auf das mächtige Gebäude aus grauem Gestein zu. »Ich gehe mich umziehen«, erklärte sie, »dann kann zumindest niemand Anstoß an meinem Äußeren nehmen.«

»Ich war auch gerade auf dem Weg zu meiner Kammer, um mich umzukleiden.«

»Warum das?« Ihre blauen Augen wanderten über seine Erscheinung. »Dieses dunkelgrüne Hemd steht dir hervorragend.« Sie neigte den Kopf und lächelte ihn an, wobei sich erneut das Grübchen zeigte. »Es passt sogar zur Farbe deiner Augen!«

»Das sieht meine Mutter anders. Ich soll mich in den Farben von Northcliff kleiden.«

Leána ersparte sich eine Antwort, schnaubte lediglich, drückte Kayne einen Kuss auf die Wange und rannte die steinernen Stufen hinauf. »Ich mag dich so, wie du bist.«

»Es wäre schön, wenn alle das so sehen würden wie du«, murmelte Kayne in den Wind, bevor auch er die Burg von Northcliff betrat und sich zu seinen Räumen im Südflügel aufmachte, den er und seine Mutter bewohnten.

Leider gelang es Kayne nicht, den zahlreichen Adligen aus dem Weg zu gehen, die dieser Tage in der Königsburg wohnten. Und so musste er neugierige Blicke, Getuschel und scheinheilige Glückwünsche über sich ergehen lassen. Normalerweise lebten hier nur wenige zumeist junge Hofdamen oder Krieger, Kinder von Adligen, die sich von Kayas Kriegern ausbilden ließen und sich entweder der Armee von Northcliff anschlossen oder nach ihrer Lehrzeit nach Hause zurückgingen. Das Menschenreich teilte sich in zahlreiche Distrikte, zu denen kleinere Siedlungen, Städte und Ländereien gehörten. Jene Adlige, die ihre Ländereien verwalteten, mussten einen Teil der Steuern an Northcliff abführen, konnten aber im Gegenzug auch auf die Unterstützung der Königsarmee zählen, sollte diese nötig sein. Zudem durften sie bei wichtigen Belangen, die entweder das gesamte Menschenreich oder ihre Ländereien betrafen, mitentscheiden. 

Das letzte Wort hatte natürlich Kaya, und später würde es Toran haben, und Kayne wusste, wie sehr es Kaya hasste, wenn die Adligen manchmal aus lächerlichen Gründen große Ratssitzungen einberiefen; etwas, das ihm Torans Mutter beinahe schon sympathisch machte, auch wenn er ihr sonst nicht sehr nahe stand. Natürlich war aber auch ihm mit dem Erwachsenwerden klar geworden, dass selbst ein König nicht vollkommen allein regieren konnte, wenn seine Herrschaft nicht auf purer Gewalt und Schrecken basieren sollte.

Zu Anlässen wie einer Weihe platzte Northcliff beinahe aus allen Nähten. Als Kayne endlich in seinen Gemächern angekommen war, atmete er auf, doch er wusste, das Schlimmste stand ihm noch bevor.

Kapitel 2

Vergangenheit und Zukunft

Der Anblick der Burg von Northcliff faszinierte Darian jedes Mal aufs Neue. Generationen seiner Ahnen hatten in dieser imposanten Festung, die auf den nordwestlichsten Klippen des Reiches thronte, gelebt, gekämpft, geliebt und waren gestorben. Hätten die grauen Steine sprechen können, Geschichten von Leidenschaft, Verrat und Betrug wären dem Zuhörer sicher gewesen. Schon vor dreißig Sommern und Wintern, als Darian das erste Mal über diesen Hügel geritten war, hatten ihn gemischte Gefühle geplagt. Das Empfinden, endlich nach Hause zu kommen, breitete sich in ihm aus, war aber zugleich gepaart mit der Angst vor der Verantwortung, ein Erbe von Northcliff zu sein. Auch heute war das nicht anders. Selbst wenn Kaya gut und meist gerecht über Albany herrschte, so war Darian doch der älteste lebende Northcliffsohn und trug somit einen Anteil an allen Entscheidungen, die das Menschenreich betrafen. So vieles war in dieser Burg geschehen, deren vier von Zinnen geschützte Türme sich mächtig gegen den blauen Himmel des Nordmeeres abhoben. Die letzten Sturmwolken hatten sich während des Tages verzogen, und die untergehende Sonne tauchte Albany in dieses rotgoldene Zwielicht, das Darian stets geliebt hatte.

»Komm, Darian, Torgal schläft so fest, wir sollten ihn wirklich ins Bett bringen.«

Darian war gar nicht bewusst gewesen, dass er die graubraune Stute angehalten hatte. Jetzt blickte er lächelnd zu Aramia hinüber, die ihren kleinen Sohn vor sich im Sattel sitzen hatte. Torgal schlummerte selig an der Schulter seiner Mutter. Sein Pony hatten sie – trotz seines lautstarken Protestes – bereits im knapp vier Meilen entfernten Culmara zurückgelassen, da der Kleine vor Müdigkeit beinahe aus dem Sattel gefallen war.

Voller Bewunderung beobachtete Darian, wie das letzte Licht des Tages auf Aramias rabenschwarzen Haaren tanzte. Noch immer konnte er kaum fassen, dass sie schon zweihunderteinundfünfzig Sommer und Winter erlebt hatte und kaum älter wirkte als ein Mensch mit Ende zwanzig; ein Umstand, den Aramia ihrem Dunkelelfenblut zu verdanken hatte. Doch bei ihm verhielt es sich ähnlich. Als legitimer Sohn von Jarredh von Northcliff entstammte er einer Linie von Menschen, die ein Alter von bis zu fünfhundert Sommern erreichen konnten, von den gewöhnlichen Menschen als »die Unsterblichen« bezeichnet. Behutsam drückte er seine Schenkel an den Bauch seiner Stute, und sie ritten weiter auf die Burg zu. Bald vernahm er das beständige Donnern der Wogen, die sich gegen die Klippen warfen. Tosend strömte Meerwasser in den Burggraben, den ersten Verteidigungsring der Festung. Die Hufe der Pferde klapperten, als sie über die hölzerne Zugbrücke ritten, den inneren Verteidigungsring hinter sich ließen und endlich im Burghof anhielten. Sofort eilten einige Diener herbei und nahmen ihnen die Pferde ab. Sicher hatte man bereits auf sie gewartet.

»Ich vermute, du möchtest Kaya gleich sehen«, sagte Aramia. »Ich bringe zuerst Torgal ins Bett und geselle mich später zu euch.«

Darian wusste, dass seine Gefährtin sich nicht sehr gern in der Burg aufhielt. Sie verstand sich gut mit Kaya, und auch Toran mochte seine Tante, doch die teils eingebildeten Adligen, die Aramia als Nebelhexe und illegitime Geliebte von Darian verachteten, waren ihr zuwider. Angst verspürte seine Gefährtin nicht vor diesen missgünstigen Menschen, das wusste er genau. Vielmehr fiel es ihr schwer, in kritischen Situationen ihr aufwallendes Dunkelelfenblut zu beherrschen, deshalb war sie während der letzten Sommer und Winter nur sehr selten mit ihm nach Northcliff gereist.

»Lässt du bitte das Gepäck in unsere Gemächer bringen?«, rief Darian einem der Stallburschen zu.

»Selbstverständlich, Prinz Darian.«

Voller Vorfreude, einige alte Bekannte wiederzusehen, machte sich Darian auf den Weg. Er grüßte die Wachen an der Eingangstür, durchquerte die große Halle mit den zahlreichen Gemälden längst vergangener Schlachten und verstorbener Northcliffbewohner und wandte sich dann an eine der Dienerinnen. »Wo ist Kaya?«

Die blonde junge Frau errötete leicht, knickste und deutete die Steintreppe hinauf. »Die Königin befindet sich in ihrem Arbeitszimmer. Möchtet Ihr mir folgen oder im Thronsaal auf sie warten?«

»Das Arbeitszimmer war mir immer lieber als der Thronsaal«, entgegnete Darian mit einem Augenzwinkern.

Geschäftig tippelte die Magd die breite Steintreppe hinauf und stolperte dabei beinahe über ihr langes blaues Kleid mit der weißen Schürze. Am Ende des Ganges hielt sie an, verbeugte sich kurz vor Darian und klopfte an die mächtige Eichenholztür. Sie trat ein, während Darian wartete und das Bild seines Großvaters Isarius betrachtete. Dieser saß auf einem imposanten Schimmelhengst und versenkte gerade sein Schwert in einem Bergtroll.

»Die Königin erwartet Euch«, verkündete da die Magd, und er betrat das Turmzimmer.

»Darian, ich freue mich, dich zu sehen.« Kaya kam auf ihn zu, und er schloss sie in seine Arme, danach drückte er ihr einen Kuss auf die linke Wange.

»Wie war eure Reise?«

»Sehr angenehm und ohne Schwierigkeiten.«

»Das ist schön.« Kaya schob ihn ein Stück von sich weg und betrachtete ihn kopfschüttelnd. »Es ist ernüchternd – wir haben beide eine Lebensspanne von annähernd fünfundfünfzig Sommern hinter uns, trotzdem siehst du nicht einen Tag älter aus als zu der Zeit, als wir durch Albany gereist sind und um den Thron von Northcliff gekämpft haben.«

»Ach, Kaya.« Liebevoll streichelte er über ihr geflochtenes Haar, in das sich seit einer Weile mehr und mehr graue Strähnen schlichen. »Du bist noch immer eine faszinierende Frau, und das sage ich nicht, weil du zu meinen besten Freunden zählst, sondern weil es wahr ist.«

Ein müdes Lächeln zeigte sich auf ihrem herzförmigen Gesicht. Auch wenn er nicht gelogen hatte, denn Kaya war trotz ihres Alters eine attraktive Frau, so kam er doch nicht umhin, die Kummerfalten zu bemerken, die sich um ihren Mund eingegraben hatten.

»Ich bin eine normale Sterbliche, daran lässt sich nichts ändern.« Sie atmete tief durch. »Vielleicht sollte ich sogar froh sein, dass Atorian nicht mehr sieht, wie ich langsam, aber sicher verwelke.«

Noch einmal drückte Darian sie an sich. »Er hätte dich bis zu deinem letzten Tag geliebt, und das weißt du.«

Kaya nickte stumm, und ihm fiel das feuchte Schimmern in ihren Augenwinkeln auf, als sie zu dem Gemälde an der Wand sah, das den letzten König von Northcliff zeigte.

Stolz und aufrecht, den Königsring aus silbernen und bronzefarbenen Strängen, genannt Torc, um den Hals und ein Schwert in der Hand, stand Atorian auf einer Klippe. Der dunkelblaue Umhang der Northcliffs, auf dem ein über der Festung schwebendes Schwert aufgestickt war, wehte um seinen muskulösen Körper. Der Maler hatte Atorian gut getroffen, sein kantiges, ausdrucksstarkes Gesicht und den herrischen Blick, den Darian nur zu gut kannte. Sie hatten ihre Schwierigkeiten miteinander gehabt, waren eine Zeit lang sogar beide in Aramia verliebt gewesen, bis Atorian Kaya getroffen hatte, dennoch vermisste auch er seinen älteren Bruder schmerzlich.

»Toran ähnelt ihm. Wenn er erst ein paar Sommer mehr Kampferfahrung hat und sich vielleicht eines Tages einen Bart wachsen lässt, wird man ihn für Atorian halten.«

Ruckartig wandte sich Kaya ab, dem Fenster zu, unter dem beständig die Wellen des Nordmeers gegen die Klippen brandeten. »Ich hoffe, er wird nicht viele Kämpfe austragen müssen.«

»Kaya«, Darian legte ihr eine Hand auf die Schulter, »er ist jung, er will sich beweisen. Du kannst ihn nicht ewig in der Burg einsperren.«

»Ich will ihn nicht auch noch verlieren«, entgegnete sie heiser.

Behutsam drehte Darian sie zu sich um und wischte ihr eine Träne von der Wange. »Wo ist die Kaya Eshwood geblieben, die sich ohne Furcht zwischen die Schurken und Gesetzlosen von Ilmor gewagt und gegen Dunkelelfen und Bergtrolle gekämpft hat? Jene Kaya, die völlig auf sich gestellt und als junge Frau durch ein sehr viel gefährlicheres Albany gezogen ist?«

»Ich weiß, Darian, ich bin eine entsetzliche Glucke«, gab sie zu, schnitt eine Grimasse und deutete auf einen der Stühle.

Darian setzte sich, ließ sie dabei aber nicht aus den Augen.

»Mir ist klar, ich muss Toran ziehen lassen, und ich bin mir sicher, in diesem Moment sitzt er mit Leána in seinem Gemach und schmiedet die wildesten Pläne. Aber es gibt noch immer Anhänger der ’Ahbrac, die sich mit dem Tod ihres Anführers nicht abfinden können und die Oberfläche mit ihren Gräueltaten überziehen.«

»Die Dunkelelfen jagen Kaz’Ahbracs fanatische Gefolgsleute«, versicherte Darian. »Du hast die Freundschaft und Unterstützung des Herrscherpaares von Kyrâstin, und seitdem Murk König ist, gibt es keine Trollüberfälle mehr. Niemals war Albany friedlicher.«

»Das weiß ich, Darian.« Aus einem Wandschrank, der neben den hohen Bücherregalen aus dunklem Holz stand, holte sie einen Krug und zwei tönerne Becher. Sie goss Darian Rotwein ein und nahm selbst einen Schluck.

»Lass Toran eine Weile mit seinen Freunden umherziehen«, sagte Darian und drehte den Kelch in der Hand. »In seinem Leben hat er nicht viel mehr von seinem Reich gesehen als die Nebelinsel und die Städte des Nordens.«

»Er war im Dunkelelfenreich«, widersprach sie, was Darian dazu veranlasste, seine Augenbrauen in die Höhe zu ziehen.

»Mit einer Eskorte von einhundert Soldaten aus Northcliff«, entgegnete er mit einem Schmunzeln.

Missmutig starrte Kaya in ihren Weinbecher, so als würde sie auf dem Grund des Kelches eine Antwort auf ihre Befürchtungen finden.

»Für dich und Aramia ist es einfacher, Leána loszulassen. Ihr habt euch und den kleinen Torgal.«

»Und meinst du, für uns wäre es weniger schlimm, würde Leána etwas zustoßen?«, fragte er herausfordernd.

»Natürlich nicht. Nur ist Leána zehn Sommer älter, sie hat Dunkelelfenblut und …«

»Kaya!«, lachte Darian. »Leána hatte ihren ersten – zugegebenermaßen nicht erlaubten – Streifzug durch Albany hinter sich, als sie vierzehn war. Selbstverständlich haben wir uns Sorgen gemacht, nur ist uns eines klar geworden: Du musst deine Kinder ihre eigenen Wege gehen lassen, wenn du sie nicht verlieren möchtest.« Er legte eine Hand auf seine Brust. »Zumindest, wenn du nicht willst, dass sie nur aus Pflichtgefühl zu dir zurückkommen, sondern mit Freude und aus freien Stücken. Junge Leute müssen ihre eigenen Erfahrungen machen, Abenteuer bestehen, an überstandenen Gefahren wachsen. Toran soll ja nicht gleich nach Ilmor reiten und mit den zwielichtigen Gestalten dort unten im Süden einen Streit beginnen. Auch soll er keine ’Ahbrac jagen oder den Zwergenkönig Hafran zum Zweikampf herausfordern.«

»Die Zwerge!«, stöhnte Kaya. »Die bereiten mir ebenfalls schlaflose Nächte. Ich habe den Eindruck, sie planen etwas.«

»Wie meinst du das?«, hakte er nach. Zwischen den Menschen und den Zwergen des Ostens herrschte keine direkte Feindschaft, nur hatten sich die Zwerge, die unter König Hafran dienten, dem Kampf gegen die Dämonen und Dal ’Ahbrac nicht angeschlossen, was ihnen viele noch immer übel nahmen. So schwelte ein unterschwelliger Streit zwischen den Völkern. Die Zwerge des Nordens hingegen, eine kleine Gruppe, die größtenteils nahe der Hafenstatt Grottná lebte, waren den Menschen verbunden. Besonders der Zwerg Edur, einer von Darians besten und ältesten Freunden, tat sich immer wieder durch Bemühungen um gute und faire Handelsbeziehungen hervor.

»Sie streiten wegen der Grenze, sie fordern mehr und mehr Gold im Tausch für größtenteils minderwertiges Eisen …«

»Wir sind nicht auf die Zwerge angewiesen«, unterbrach er sie. »Die Dunkelelfen liefern uns hervorragende Waffen. Bessere, als Northcliff jemals gesehen hat.«

»Selbstverständlich«, stimmte Kaya zu, doch ihre Stimme nahm einen zynischen Tonfall an. »Nur wenn ich Hafran sage, er kann sein Eisen behalten, wird ihn das beleidigen, und er könnte es zum Anlass nehmen, sein Volk weiter gegen die Menschen aufzuhetzen.«

Bedächtig strich sich Darian über sein Kinn, spürte ein paar Stoppeln von der mehrtägigen Reise. »Das mag sein. Die Zwerge sind kein einfaches Volk.«

»Nein, da sind mir die Dunkelelfen lieber. Sie mögen ein für viele Menschen seltsames Verhalten an den Tag legen, aber sie haben ihre Prinzipien, stehen bedingungslos zu ihrem Wort und sind auf ihre eigene Art leichter einzuschätzen.«

»Du hast es nicht einfach, Kaya.«

»Nein.« Sie stellte ihren Kelch mit einem lauten Scheppern auf den Schreibtisch aus dunklem Eichenholz. Dann zog sie wahllos Papiere und Schriftrollen aus einem beachtlichen Stapel. »Ein Bauer beschwert sich, weil sein Nachbar angeblich sein Land mit Korn bestellt. Eine Adlige besteht auf einen eigenen Hofzauberer, weil sie der Kobolde nicht Herr wird.«

Darian kratzte sich am Kopf und setzte zu einer Antwort an, aber Kaya fuhr damit fort, Blätter herauszufischen. »Die Bewohner von Morotia fühlen sich bedroht, weil die Dunkelelfen einen neuen Zugang zur Oberfläche in der Nähe ihrer Stadt schaffen wollen.«

»Warte, Kaya«, er hob eine Hand, »du meinst, die neue Siedlung nördlich des Kratersees?«

»Richtig.« Sichtlich gereizt rieb sich die Königin ihre Schläfen. »Die Stadt wächst und gedeiht, sie sind sehr erfolgreich in der Herstellung von Wein und im Anbau von Getreide. Selbst die Fischerei floriert, seitdem die meisten ihre Furcht vor den angeblichen Monstern des Kratersees überwunden haben.«

»Weshalb wollen die Dunkelelfen neue Tunnel an die Oberfläche graben?«

»Wie du weißt, haben sich mittlerweile einige Dunkelelfenfamilien an der Oberfläche angesiedelt.«

Darian nickte. Seitdem die meisten Elfen und Dunkelelfen ihren jahrtausendealten Streit beigelegt und alle Völker vereint gegen die Dämonen gekämpft hatten, waren einige Vertreter des Unterreiches an die Oberfläche zurückgekehrt, so wie es in alten Tagen der Fall gewesen war. Elfen als Wesen des Lichts und der Sonne und Dunkelelfen, Jäger der Nacht, hatten Seite an Seite gelebt, und so würde es vielleicht bald wieder sein. Viele hatten sich an der Grenze zum Zwergenreich angesiedelt, andere in dem rauen und von Menschen und Zwergen unbeachteten Waldgebiet der Halbinsel östlich des Kratersees. »Bislang haben uns die Bewohner des Unterreiches keinen Anlass zur Klage gegeben«, erzählte Kaya weiter. »Wie es ihre Art ist, zeigen sie sich kaum bei Tage, jagen nachts und behalten sogar das Zwergenreich im Auge. Das ist alles wunderbar. Nur wollen sie mit ihren Familien in Kyrâstin und den anderen Dunkelelfenstädten in Verbindung bleiben und nicht immer den langen Umweg über den Zugang in Ilmor in Kauf nehmen. Auch wenn die meisten Menschen froh darum sind, dank der Lehrstunden durch die Dunkelelfen nun eine so schlagkräftige Menschenarmee wie die von Northcliff zu haben, fürchten gerade die, die in der Nähe von Morotia leben, eine Invasion aus dem Unterreich.«

Kopfschüttelnd lachte Darian auf. »Eine Invasion der Dunkelelfen könnte ohnehin niemand verhindern, würde das in deren Interesse liegen. Die Dunkelelfen bilden unsere Männer und Frauen aus, und das ohne eine wirkliche Gegenleistung zu erwarten. Auch wenn es Dun’Righal nie offen ausgesprochen hat, denke ich nicht, dass er uns so bereitwillig seine Krieger zur Verfügung gestellt hätte, wären Northcliff und die Dunkelelfen durch Mia, Leána und Torgal nicht direkt blutsverwandt. Sowohl Mias Vater Zir’Avan als auch ihr Urgroßvater Ray sind hoch angesehen bei der Herrscherfamilie und ganz Kyrâstin. Für die Dunkelelfen herrscht nun eine familiäre Bindung zu Northcliff, deshalb würde eine Invasion sie entehren. Familienbande sind ihnen heilig.«

»Mir ist das klar, Darian.« Sie lächelte müde. »Nur habe ich gegen Dämonen und ’Ahbrac gekämpft, und ich weiß, wie viel schlechter es um die Kampfkunst der Northcliffkrieger bestellt war, bevor uns die Dunkelelfen ihre Kampfkünste lehrten. Doch die Menschen vergessen rasch. Die Alten sterben nach und nach, und die neue Generation nimmt als gegeben hin, worum wir hart gekämpft haben. Darum, die – zugegebenermaßen häufig schwer nachvollziehbaren – Wert- und Ehrvorstellungen der Dunkelelfen zu begreifen, bemüht sich kaum ein Adliger, geschweige denn das einfache Volk.« Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen. »Manchmal wünschte ich, Toran würde die Herrschaft übernehmen. Gleichzeitig möchte ich ihn davor bewahren.«

»Du weißt, du kannst mich jederzeit um Rat fragen«, erinnerte sie Darian, dann grinste er. »Ob dieser Rat weise ist, sei dahingestellt.«

Kaya deutete ein Lächeln an, wenn auch ein recht halbherziges. »In den ersten Sommern und Wintern nach Atorians Ermordung hast du mir sehr geholfen, Darian, und das werde ich dir niemals vergessen. Aber ich bin Königin von Northcliff und kann dich nicht jedes Mal wegen ein paar grantiger Zwerge oder Adliger, die sich wegen der Dunkelelfen in ihr Gewand pissen, von deiner Nebelinsel holen.«

Lachend prostete er ihr zu. »Na siehst du, da ist sie wieder, die alte Kaya Eshwood. Ich verspreche dir, ich kümmere mich um die Dunkelelfen im Süden. Bei Kaynes …«, er unterbrach sich selbst, »… Weihe werden Dun’Righal und seine Gemahlin Xin zugegen sein und sicher auch ein Vertreter aus Morotia.«

»Kaynes Weihe!« Voller Hohn lachte Kaya auf. »Das ist lächerlich. Wir hätten Elysia und ihre Brut schon längst aus Northcliff verbannen sollen. Das einzig Erfreuliche an dieser Farce ist, dass ich ihr in wenigen Tagen ihre Truhe vor das Burgtor stellen kann.«

»Mach nicht Kayne für die Taten seines Vaters verantwortlich!«, wies Darian sie scharf zurecht. Sosehr er Kaya mochte und ihre Wut auf Samukal verstand, ihr teils sehr unfaires Verhalten Kayne gegenüber hatte ihn schon immer gestört. »Er hat sich trotz Samukals anfänglichem Einfluss zu einem liebenswerten jungen Mann entwickelt und ist zudem mit Toran befreundet.«

Darauf ging Kaya nicht weiter ein, aber sie knirschte mit den Zähnen. »Du musst nicht Tag für Tag Elysias Intrigen und ihr Gezeter ertragen, Darian. Und gleichgültig, was ihr alle sagt – Kayne ist eine Gefahr. Vielleicht keine unmittelbare, aber etwas Düsteres lauert in ihm.«

»Nordhalan persönlich hat ihn unterrichtet«, widersprach Darian. »Wir haben ihm Samukals Fehler nur allzu deutlich vor Augen geführt. Ich bin mir sicher, er wird sie nicht wiederholen. Kaya, sobald sich diese leidige Geschichte um Kaynes Herkunft geklärt hat, bringe ich Elysia dazu, Northcliff zu verlassen.« Er atmete tief durch. »Kayne hingegen möchte ich nicht vor die Tür setzen. Auch wenn er nicht mein Sohn ist, habe ich ihn immer so behandelt und …«

»Du hast Samukal versprochen, dich um ihn zu kümmern.«

»Nicht alles an Samukal war schlecht und verdorben«, entgegnete er leise. »Am Ende hat er mich sogar gerettet, und inzwischen glaube ich seinen Beteuerungen, dass er mich auf seine Weise geliebt hat.«

»Ohne ihn wäre Dal’Ahbrac und seine Sippe niemals derart erstarkt. Er hat Dämonen aus dem Zwischenreich zwischen den Welten beschworen. Er trägt die Schuld an Atorians Tod!«

»Kaz’Ahbrac hat Atorian getötet, nicht Samukal. Und ganz sicher trägt Kayne keine Schuld daran, denn er war damals noch ein kleiner Junge.«

Kaya schloss die Augen, schluckte lautstark und gab dann zu: »Doch er gleicht Samukal so sehr. Manchmal schrecke ich regelrecht zusammen, wenn er mir im Halbdunkel begegnet.«

Energisch fasste Darian sie an den Schultern und drehte sie zu sich, sodass sie ihm in die Augen sehen musste. »Kaya, für die Ähnlichkeit mit seinem Vater kann Kayne ebenso wenig wie Toran, dass er Atorian ähnelt!«

Kaya blickte ihn an, dann seufzte sie. »Ich weiß, Darian.« Die Anspannung fiel von ihr ab, und nun lächelte sie wieder. »Ich sollte dich doch öfters von deiner Nebelinsel holen, damit du mich wieder zurück auf den richtigen Pfad bringst.«

Kapitel 3

Freundschaft und Feindschaft

Kürzlich habe ich Jel’Akir überredet, mit an die Oberfläche zu kommen«, erzählte Leána, während sie mit Toran auf der Mauer zum westlichen Burghof saß, wo jeden Abend bei Anbruch der Dämmerung das Training der Soldaten von Northcliff mit den Dunkelelfen stattfand. Gemeinsam beobachteten sie die Schwertkampfübungen.

»Ist dir eigentlich schon mal aufgefallen, wie viele Männer in Northcliff mittlerweile einen Kinnbart tragen?«, fragte sie ihren Cousin amüsiert.

»Das liegt wohl daran, dass Hauptmann Sared einen trägt«, vermutete Toran. »Er ist ein herausragender Krieger, viele wollen ihm nacheifern.«

»Du nicht?«

Übertrieben hochnäsig reckte er sein Kinn empor. »Ich bin der Prinz von Northcliff, ich muss mich vom gemeinen Volk abheben!«

»Angeber«, kicherte sie und stieß ihn in die Seite. »Wahrscheinlich wächst dir einfach kein vernünftiger Bart.«

Toran seufzte ertappt auf und fuhr sich über sein glattes Kinn. Schon immer war seine Gesichtsbehaarung sehr spärlich ausgefallen. »Jel’Akir ist doch die Schwester von Bas’Akir, der Onkel Darian damals im Dunkelelfenreich das Leben gerettet hat«, lenkte er dann ab.

»Richtig«, Leána wackelte mit den Beinen, »seitdem steht seine Familie wieder in der Gunst der Herrscherfamilie und lebt in Kyrâstin. Jel hat es sogar geschafft, bei den Kriegern der Mhragâr aufgenommen zu werden und wird während des Sommers einige junge Menschen aus dem Norden ausbilden, die sich für die Kriegskunst interessieren.«

»Ihr habt euch angefreundet, nicht wahr?«

»Ja.« Leána lächelte. »Jel fühlt sich an der Oberfläche wohl, auch wenn sie die Sonne nicht sonderlich mag. Aber ich denke, sie wird früher oder später in eine der Höhlen ziehen, die die Dunkelelfen jetzt im ganzen Land bewohnen.«

»Im Gegensatz zu mir kann sie gehen, wohin sie mag«, entgegnete Toran, und seine dunklen Augenbrauen zogen sich düster zusammen.

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