Im Schatten der Dämonen - Aileen P. Roberts - E-Book

Im Schatten der Dämonen E-Book

Aileen P. Roberts

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Beschreibung

Der brillante Abschluss der großen Romantic-Fantasy-Trilogie "Weltennebel"

Der Thron von Northcliffe: Seit Darian, einst Student in London, durch ein magisches Portal seine eigentliche Heimat Albany betrat, führt er einen erbitterten Kampf um sein Erbe. Sein Gegenspieler, der Zauberer Samukal, verfügt über eine scheinbar unbesiegbare Waffe: Dämonen aus dem Zwischenreich, beschworen durch eine mächtige Formel. Doch dann verliert Samukal die Kontrolle über sie, und Albany versinkt im Chaos. Nur wenn es Darian gelingt, an der Seite seiner treuen Freunde und seiner großen Liebe die aus Albany verschwundenen Drachen zurückzuholen, wird seine Welt überleben ...

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Buch

Darian war einst ein ganz normaler Londoner Student – bis er ein magisches Portal in die fantastische Parallelwelt Albany durchschritt und seine wahre Herkunft und Bestimmung entdeckte: Er ist der Erbe des dortigen Throns, der rechtmäßige König des Landes. Nun ist um ebendiesen Thron ein tödlicher Kampf entbrannt zwischen Darian und Samukal, dem machtbesessenen Oberhaupt der Zauberergilde. Doch da Samukal sich bei diesem Kampf der aus dem Zwischenreich beschworenen Dämonen bedient, sind Darians Aussichten auf einen Sieg äußerst gering. Mit seinen wenigen Verbündeten und an der Seite seiner großen Liebe Aramia gibt er dennoch nicht auf.

In einem letzten, verzweifelten Versuch, Samukal, seine zahlreichen Verbündeten und seine tödlichen Dämonen zu besiegen, machen sich Darian und seine Freunde auf die Suche nach weiteren magischen Portalen. Sie wollen sie verschließen, damit Samukal keine neuen Dämonen mehr beschwören kann. Doch nur mit Hilfe der Elfen und der Dunkelelfen wird ihnen dies möglich sein. Werden sie diese gefährlichen Verbündeten auf ihre Seite ziehen können? Und wohin sind die Drachen verschwunden – die Quelle der von ihnen so dringend benötigten weißen Magie in Albany?

Autorin

Aileen P. Roberts ist das Pseudonym der Autorin Claudia Lössl. Ihre Begeisterung für das Schreiben entdeckte sie vor einigen Jahren durch ihren Mann. Als dieser mit der Arbeit an einem Buch begann, beschloss sie, sich ebenfalls als Schriftstellerin zu versuchen. Seither hat sie bereits mehrere Romane im Eigenverlag veröffentlicht, 2009 erschien mit »Thondras Kinder« ihr erstes großes Werk bei Goldmann. Mit der »Weltennebel«-Trilogie legt sie nun ihren zweiten großen Fantasy-Zyklus vor. Claudia Lössl hat sich eine große Fangemeinde aufgebaut. Sie lebt mit ihrem Mann in Süddeutschland. Mehr zur Autorin und ihren Büchern unter www.aileen-p-roberts.de.

Von Aileen P. Roberts sind im Goldmann Verlag außerdem lieferbar:

Das magische Portal. Weltennebel. Roman (47518)

Das Reich der Dunkelelfen. Weltennebel. Roman (47519)

Thondras Kinder. Die Zeit der Sieben. Roman (47681)

Thondras Kinder. Am Ende der Zeit. Roman (47143)

Aileen P. Roberts

Im Schattender Dämonen

Weltennebel

Roman

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.1. AuflageOriginalausgabe Januar 2012Copyright © 2012 by Claudia LösslCopyright © dieser Ausgabe 2012by Wilhelm Goldmann Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 MünchenUmschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, MünchenUmschlagmotiv: © Jürgen GawronKarte: © Andreas HancockTh · Herstellung: Str.Satz: DTP Service Apel, HannoverISBN 978-3-641-06697-0V003www.goldmann-verlag.de

Für alle, die von fremden Welten träumenAlba gu bràth

Kapitel 1

Ein neuer Frühling

In Gedanken versunken stand Darian vor dem düsteren Felsmassiv an der Grenze zum Zwergenland und dachte schaudernd an die Zeit, als er allein und verloren in den Gängen des Unterreichs umhergeirrt war. Aus eigener Kraft hätte er dort nie wieder herausgefunden, doch eine Gruppe von Tiefengnomen hatte sich seiner angenommen und ihm die Rückkehr ans Tageslicht ermöglicht. Nun wollte er sein Versprechen einlösen und ihnen die versprochene Belohnung zukommen lassen. Gestern Abend hatte er eigenhändig einen Rehbock geschossen, und dieser lag nun fertig zerlegt vor dem versteckten Zugang ins Unterreich. Schon seit einiger Zeit wartete Darian darauf, dass eines der kleinen pelzigen Wesen erschien.

»Wer weiß, wann diese Tiefengnome ins Freie kommen«, gab Hauptmann Torgal wieder einmal zu bedenken, so wie öfters in den letzten Stunden. »Ihr habt Euren guten Willen bewiesen, Darian, wir sollten wirklich zurück zum Lager gehen.«

»Nein«, erwiderte er bestimmt, »ich habe diesen Wesen mein Leben zu verdanken und möchte mich erkenntlich zeigen. Wenn ich das Fleisch einfach so hier liegen lasse, schleppt es am Ende ein Bär oder Wolf fort, und das wäre nicht richtig.«

Seufzend ließ sich der alte, grauhaarige Hauptmann auf den Boden sinken und schickte sich an, sein vom häufigen Gebrauch schon recht schartiges Schwert zu polieren.

Die Dunkelheit brach herein, und die beiden Männer setzten sich ans Lagerfeuer, wo sie sich leise über Darians Zeit im Reich der Dunkelelfen unterhielten. Die Verwunderung über viele der Dinge, die Darian aus dem Unterreich und der Dunkelelfenhauptstadt Kyrâstin erzählte, stand Torgal noch immer offen im Gesicht geschrieben. Sein ganzes, nun schon über sechzig Sommer dauerndes Leben hatte er Dunkelelfen für skrupellose, mörderische Wilde gehalten, und auch Darian war dieser Auffassung gewesen. Erst die Begegnung mit Mias Vater Zir’Avan und einigen anderen Dunkelelfen hatte den jungen König schließlich dazu bewogen, seine Meinung zu revidieren.

Funken sprühten auf, als Darian einen weiteren Ast ins Feuer warf, und auf einmal nahm er am Rande des Felsmassivs eine kleine, annähernd kniehohe Gestalt wahr, die neugierig ihren pelzigen Kopf ins Freie streckte.

Langsam, um den Tiefengnom nicht zu erschrecken, erhob er sich. »Fleisch – für euch«, sagte er in der knurrenden, abgehackten Sprache der Unterreichbewohner. Der kleine Tiefengnom mit den kugelrunden dunklen Augen, die aus einem pelzigen, bräunlich schwarzen Gesicht herausstarrten, blieb stocksteif stehen.

»Drrraggrann?«, knurrte er dann.

Darian nickte, denn so sprachen die Tiefengnome seinen Namen aus. Das kleine Wesen drehte seinen Kopf wieder in Richtung der Höhle, brummte etwas, und kurz darauf wuselten weitere fünf Tiefengnome aus der Öffnung heraus.

Darian machte Torgal, der mit gezogenem Schwert aufgesprungen war, ein beruhigendes Zeichen. Er wusste, dass der Hauptmann, im Gegensatz zu ihm, die Sprache der Tiefengnome nicht verstand und die dunklen Wesen mit den spitzen Zähnen als Bedrohung ansah.

Langsam und mit misstrauischen Blicken kamen die Tiefengnome näher, schnappten sich dann rasch die Fleischbrocken und verschwanden wieder in ihren dunklen Gängen.

»Gut, morgen früh können wir zurück zum Lager«, stellte Darian fest.

Kopfschüttelnd blickte Hauptmann Torgal zu der Stelle, wo die Tiefengnome verschwunden waren. »Wir leben wahrlich in seltsamen Zeiten.«

In nahezu verschwenderischer Pracht hatte der Frühling sein buntes Kleid über Albany gelegt, als Darian, seine Gefährtin Mia und der Zauberer Nordhalan erneut aufbrachen, nur wenige Tage, nachdem Darian seine Schuld bei den Tiefengnomen beglichen hatte. Von ihrem Lagerplatz am Rannocsee reisten sie nach Westen, um Darians und Mias kleine Tochter Leána abzuholen. Sie hofften, dass das Mädchen durch das geheime Eichentor auf der Nebelinsel bereits direkt aufs Festland, an die Westküste, gelangt war. Sollte dies nicht gelungen sein, stand ihnen eine längere Reise auf die im Westen liegende Insel der Nebelhexen bevor.

»Was ist, wenn sie irgendwo sonst rauskommt und nicht bei Cadman?« Darian machte sich große Sorgen um Leána, und auch an Mia bemerkte er leichte Anzeichen von Unruhe, selbst wenn sie sich bemühte, diese nicht zu zeigen.

»Tagilis hat gesagt, Lilith wird sie begleiten, ganz sicher kommen sie zurecht.«

Trotzdem drängte Darian seine Gefährten zur Eile. In der Ferne konnten sie einen Weiler erkennen, der sich in den Schutz uralter Bäume schmiegte. Kräftige Männer arbeiteten emsig am Bau einer neuen Straße.

»Wenn das Portal erst geschlossen ist, solltet ihr euch zu erkennen geben«, riet Nordhalan. »Sicher werden sich die Menschen dir und Atorian mit Freuden anschließen.«

»Atorian vielleicht schon, mir eher nicht«, gab Darian zu bedenken und dachte mit Grauen daran, wie er vor einigen Sommern sein Königreich hatte verkommen lassen, als er von einem teuflischen Dunkelelfenpilz abhängig gewesen war.

»Wir werden ihnen alles erklären«, meinte Mia aufmunternd und beobachtete lächelnd, wie Schwärme von Schmetterlingen über die Wiese vor ihnen flogen und in der Sonne die wildesten Tänze ausführten. Auch die Bäume waren bereits erblüht, überall tollten junge Hasen, Rehe und hier und da sogar die scheuen Waldgnome umher.

Mia blieb stehen, schloss kurz die Augen, und wenig später schwirrte eine große Gruppe von Heidefeen um sie herum. Die winzigen geflügelten Frauengestalten verharrten kurz, dann stoben sie auch schon wieder davon.

»Ich habe sie gebeten, nach Leána und Lilith zu suchen.« Sie hob bedauernd die Arme. »Ob sie das allerdings wirklich tun werden, weiß ich nicht. Sie lassen sich leicht ablenken, und wenn irgendwo eine besonders hübsche Blume blüht, kann es sein, dass mein Auftrag sofort wieder vergessen ist.«

»Trotzdem finde ich es beachtlich, dass du Elementarwesen beschwören kannst«, warf der große Zauberer mit dem langen grau-schwarzen Bart ein. »Keinem meiner Gilde ist das jemals gelungen.«

Mia lächelte zaghaft. Die Gabe, Elementarwesen zu beschwören, war ihr ausgeprägtestes Talent. Ansonsten beschränkten sich ihre magischen Fähigkeiten auf sehr einfache Zauber.

Ein lautes Geräusch ließ Darians Hand zu seinem Schwert fahren, aber dann entspannte er sich. In der Ferne stapfte nur eine Gruppe Waldtrolle durch das Unterholz, und die drei Gefährten eilten rasch weiter. Sie wollten sich nicht auf einen Kampf mit den groben Wesen einlassen, die sich zwar meist friedlich verhielten, jedoch zur Paarungszeit eine deutliche Neigung zu aggressiven Handlungen zeigten. Es dauerte nicht lange, und einige kleine Heidefeen kamen zurückgeschwirrt und tanzten aufgeregt vor Mia auf und ab.

»Sie sind ganz in der Nähe!« Sofort rannte Mia los, wobei ihr langer schwarzer Zopf wild hin und her pendelte. Selbst Darian, der wieder gut in Form und ein ausdauernder Läufer war, konnte sie kaum einholen. Nordhalan zählte bereits an die zweihundert Sommer und ging ihnen daher langsamer hinterher.

Ein strahlendes Lächeln überzog Mias Gesicht, als sie sah, wie zwei kleine Gestalten auf einem großen Pferd über die blumenübersäte Lichtung vor ihnen trabten. Ein Paar winziger brauner Waldgnome sprang erschrocken zur Seite, als das gräulich-braune Tier mit der wallenden schwarzen Mähne mit donnernden Sprüngen näher kam. Ein zweites dunkelbraunes Pferd, welches am Sattel angebunden war, folgte.

»Mutter!« Noch bevor der imposante Hengst richtig zum Stehen kam, war das schwarzhaarige Mädchen aus dem Sattel gesprungen und umarmte Mia stürmisch. Wenig später wurde auch Darian mit überschwänglicher Freude begrüßt und schloss seine kleine Tochter glücklich in die Arme.

Lilith, die zierliche blonde Frau mit der etwas eigenartig anmutenden Knollennase, stieg langsam aus dem Sattel. »Aramia, Darian, ich bin so froh, dass ihr wohlbehalten aus dem Unterreich zurückgekehrt seid.«

Mit einem Lächeln umarmte Mia ihre Nebelhexenfreundin, während Leána Darian aufgeregt erzählte, dass sein Hengst Menhir nicht durch das Portal hätte gehen wollen, sie ihn aber dazu überredet habe. Ein schwarzer Blitz, der von links auf Leána zusprang, ließ Darian zusammenzucken. Dann jedoch erkannte er die schwarze Wölfin Fenja, die ihre kleine Freundin mit feuchten Küssen bedeckte.

»Fenja wollte unbedingt mitkommen«, sprudelte Leána los. »Und sie hat sich nicht so angestellt wie Menhir!«

»Ist denn alles gut gegangen?«, erkundigte sich Mia.

Lilith nickte und deutete auf das zweite Pferd, einen braunen Hengst, der etwas schmaler und eleganter als der kräftige Menhir war. »Liah konnte ich nicht mitnehmen, sie ist inzwischen hochträchtig, daher habe ich dir Lavos mitgebracht.«

Langsam ging Mia zu dem Pferd, das sie aus klugen Augen freundlich ansah.

»Er ist noch recht jung, aber gut ausgebildet. Ich denke, ihr werdet euch mögen.«

Zufrieden klopfte Mia dem Tier den Hals. »Ja, das denke ich auch.«

Leána hatte Darian an der Hand gefasst und zog ihn nun zu ihrer Mutter, wobei sie ununterbrochen vor sich hin plapperte.

»Hast du ihr schon erzählt, was ihre Aufgabe ist …«, begann Darian zögernd, aber Lilith schüttelte rasch den Kopf.

»Wir werden es später tun, wenn sie nicht mehr ganz so aufgeregt ist«, meinte Mia leise und streichelte ihrer quirligen Tochter über die dichten dunklen Haare.

»Was wollt ihr mir erzählen?«

»Du wirst bald deinen Großvater kennenlernen.« Mia beugte sich hinab, und Leána sah sie mit ihren großen blauen Augen an.

»Ich habe einen Großvater?«

»Ja, er sieht allerdings etwas … nun ja … anders aus als wir. Er ist ein Dunkelelf und …«

Bevor sie ausgeredet hatte, erschien Nordhalan auf der Lichtung, und Leána rannte sofort freudig auf ihn zu.

»Bist du mein Großvater? Warum hast du denn gar kein Schwert? Haben alle Dunkelelfen so lange Bärte?«

Nach einem Augenblick der Überraschung nahm Nordhalan die Kleine auf seinen Arm. »Nein, ich bin kein Dunkelelf, und sie tragen gar keine Bärte. Ich bin Nordhalan, ein Zauberer und Freund deiner Eltern.«

»Ach so.« Zuerst wirkte Leána enttäuscht, aber dann strahlte sie schon wieder. »Willst du auch mein Freund sein? War dein Vater vielleicht ein Zwerg, weil du so viele Haare im Gesicht hast?« Sie runzelte grübelnd ihre glatte Stirn. »Aber dafür bist du viel zu groß, es sei denn, deine Mutter war ein Bergtroll.«

»Leána, nicht alle Wesen sind aus verschiedenen Rassen entstanden«, erklärte Mia geduldig, »Nordhalan ist ein Mensch, und du wirst noch viele reinrassige Menschen kennenlernen.«

»Oh!« Nun schien sie sich ein wenig vor dem Zauberer zu fürchten und ging lieber rasch zu Darian zurück, dem sie ihre Arme um die Hüfte schlang.

»Keine Angst, Leána«, versicherte Nordhalan freundlich, »nicht alle Menschen sind schlecht.«

Sie nickte zustimmend, versteckte aber trotzdem schutzsuchend ihren Kopf an Darians Rücken.

»Komm, Leána, dein Onkel Atorian freut sich schon darauf, dich wiederzusehen, genauso wie Tagilis«, forderte Darian sie auf.

»Sie sind auch hier?« Leána begeisterte dies sichtlich, und sie fragte, ob sie auf Menhir reiten dürfe, was ihr Darian auch erlaubte. Jedoch bestand er darauf, die Zügel zu führen.

Glücklich thronte Leána auf dem großen Pferd und sah sich neugierig um, stellte dann jedoch enttäuscht fest: »Auf dem Festland sieht es gar nicht viel anders aus als auf der Nebelinsel.«

»Wo stand denn das Tor, welches aufs Festland führt?«, wollte nun Nordhalan wissen und musterte die kleine Nebelhexe Lilith unauffällig.

»Gar nicht weit von unserem Dorf entfernt«, erklärte sie mit heller, jedoch energischer Stimme. »Zwei ineinander verschlungene Eichen haben es bezeichnet, und auch auf der anderen Seite waren sehr ähnliche Bäume zu sehen. Es war faszinierend. Ich spürte nur ein kurzes Kribbeln, dann waren wir auf der anderen Seite.«

»Ich habe Cadman getroffen«, erzählte Leána und wippte im Takt von Menhirs ausgreifenden Schritten auf und ab. »Er hat sich gefreut, weil Fenja so ein hübscher großer Wolf geworden ist.«

»Wollte er nicht mitkommen?« Mia sah sich suchend um.

»Nein«, Lilith verzog ihren Mund, »ich denke, der alte Mann hat sich vor mir gefürchtet, weil ich eine Nebelhexe bin.«

Allmählich verstummten die Gespräche, und nachdem sie den ganzen Tag lang geritten waren, erreichten sie am Abend den geheimen Lagerplatz, der verborgen in einem schwer zugänglichen Tal an den Ufern des Rannocsees lag. Zusätzlich hatte Nordhalan noch einen Schutzzauber über die Siedlung gelegt, welcher dem flüchtigen Betrachter vorgaukeln würde, die Halbinsel sei völlig unbewohnt. Mehrere mit Stroh oder Heidekraut gedeckte Holzhütten schmiegten sich in den Schutz hoher Bäume und Hecken; rund um das Dorf waren einige Felder angelegt worden, mit denen sich die knapp zwanzig Bewohner ihren nötigen Lebensunterhalt sicherten. Zunächst verhielt sich Leána ungewohnt ängstlich wegen der fremden menschlichen Männer, aber als sie ihren Onkel und Tagilis sah, legte sich ihre Scheu, und vor allem den Zwerg Edur schien sie sofort in ihr Herz zu schließen, denn er machte alle möglichen Scherze mit ihr und ließ sie auf seinen breiten Schultern reiten.

Nach dem Abendessen, als sich alle am Feuer in der größten Hütte versammelten, saß Leána bereits vertrauensvoll auf Nordhalans Schoß und lauschte halb schläfrig den Gesprächen der Erwachsenen, von denen sie vermutlich nicht allzu viel verstand.

Als Nordhalan ein wiederholtes Zupfen an seinem buschigen langen Bart spürte, sah er hinab zu dem kleinen Mädchen.

»Was machst du denn da?«, fragte er empört.

Leána hielt stolz seinen zu mehreren Zöpfen geflochtenen Bart in die Höhe. »Das sieht hübsch aus, außerdem hängt er dir dann nicht so leicht in der Suppe.«

Alle Anwesenden begannen laut zu lachen, während Nordhalan die Kleine mit säuerlicher Miene auf den Boden setzte.

»Mein Bart hat noch niemals in der Suppe gehangen«, betonte er.

»Vater, lässt du dir auch so einen Bart wachsen?«, bettelte sie. »Es macht Spaß, Zöpfe hineinzuflechten.«

Kopfschüttelnd und noch immer grinsend kniff Darian sie spielerisch in die zierliche Nase. »Nein, ich möchte keinen Bart tragen, und bitte lass den von Nordhalan in Zukunft in Ruhe. Ich glaube, er ist da etwas empfindlich.«

Leána seufzte abgrundtief. »Menschen verstehen einfach keinen Spaß, das sagt Murk auch immer.«

Nur sehr mühsam gelang es Nordhalan, seine strenge Miene aufrechtzuerhalten, und als er zusah, wie die Kleine rasch auf Darians Schoß kletterte und an seiner Schulter einschlief, musste er sich eingestehen, dass er Darians Tochter schon jetzt in sein Herz geschlossen hatte.

Während Darian sich mit Torgal und Edur unterhielt, betrachtete Nordhalan ihn und Leána eingehend. Das Mädchen hatte die filigranen Züge und auch die rabenschwarzen Haare seiner Mutter geerbt, wenngleich die von Aramia seidiger und glatter waren, Leánas Haar war etwas dicker und leicht gelockt. Die großen blauen Augen hingegen stammten eindeutig von Darian, und auch ihr Lächeln erinnerte an den jungen Erben von Northcliff.

Diese kleine Familie wird es nicht einfach haben, überlegte der Zauberer bedrückt.

Noch an diesem Abend brachen hitzige Diskussionen aus, wie sie weiter vorgehen sollten, denn endlich schien die Ausführung ihres Auftrages, den sie von Merradann bekommen hatten, nicht mehr ganz unmöglich zu sein. Das Orakel – in Darians früherer Welt auch bekannt unter dem Namen Merlin – hatte sie aufgefordert, sämtliche Weltenportale in Albany zu schließen, damit Samukal keine weiteren Dämonen mehr durch diese beschwören konnte. Dreier Zauberer von zwei unterschiedlichen Rassen bedurfte es, um diese Aufgabe zu bewerkstelligen. Doch erst im Dunkelelfenreich hatten sie dank Mias Urgroßvater Ray’Avan herausgefunden, dass Leána vermutlich eine Portalfinderin war. Heute beschlossen sie, in spätestens zwei Tagen zum Stein von Alahant aufzubrechen.

Doch selbst, wenn sich Leánas Fähigkeit wirklich zeigte – ob sie die Weltentore dann tatsächlich würden schließen können, schien eher fraglich. Denn noch hatten sie keine Nachricht von den Elfen erhalten, die versprochen hatten, im Frühling einen Zauberer zu schicken.

»Vielleicht wartet der Elfenmagier bereits am Stein«, mutmaßte Hauptmann Torgal und fuhr sich durch die kurzgeschnittenen grauen Haare. Darian wusste, dass Torgal all diese Magie ebenso suspekt war wie den anderen Männern, und umso höher rechnete er es ihm an, dass er zu seinem Versprechen stand, an seiner Seite um Northcliff zu kämpfen.

Langsam zerstreute sich die Menge, und die Männer zogen sich in die umliegenden Hütten zurück.

Darian hielt seine kleine Tochter im Arm und starrte grüblerisch ins Feuer. Nachdem Mia sich noch kurz und leise mit Lilith unterhalten hatte, trat sie zu ihm.

»Was hast du? Du wirkst so nachdenklich.«

Darian blickte zu ihr auf und betrachtete zärtlich, wie sich das Licht in ihren dunkelgrünen Augen fing und einen sanften Glanz auf ihr ebenmäßiges Gesicht zauberte.

»Leána wird niemals die Welt sehen, in der ich aufgewachsen bin«, sagte er mit leisem Bedauern. »Weißt du, vorher habe ich nicht wirklich daran gedacht, aber wäre es nicht vielleicht besser, wenn wir alle durch das Portal gingen und in der anderen Welt ein neues Leben anfingen?«

Mia zog ihren Stuhl näher zu ihm heran und streichelte ihm über die halblangen dunkelblonden Haare. »Willst du wirklich Samukal euer Königreich überlassen?«

»Nein, natürlich nicht«, gab er zu und schämte sich plötzlich seiner eigennützigen Gedanken. »Aber Leána ist noch so klein. Vielleicht wäre sie in der anderen Welt sicherer.«

»Ich weiß nicht, Darian, ich habe einige Zeit dort gelebt, und ich fand die andere Welt nicht sonderlich sicher.« Dann lachte sie plötzlich auf. »Und kannst du dir Tagilis, deinen Bruder oder Torgal und Nassàr vielleicht als normale Angestellte in einem Büro in London oder Edinburgh vorstellen? Mal abgesehen davon wären wir auch dort immer auf der Flucht, denn wir alle werden sehr viel älter als normale Menschen, und das würde irgendwann auffallen.«

»Du hast schon Recht.« Die Worte seiner Gefährtin hatten ein Lächeln auf sein Gesicht gezaubert. »Die drei würden vielleicht einige Zeit als verkappte und schrullige Antiquitätenhändler durchgehen«, scherzte Darian, wurde aber sogleich wieder ernst und seufzte tief. »Ich weiß, unsere Aufgabe liegt hier, und wir werden sie meistern!«

Aufmunternd drückte Mia seine Hand, dann nahm sie ihm ihre tief und selig schlafende Tochter aus dem Arm und legte sie sanft in eines der einfachen Holzbetten.

Nachdem es dunkel geworden war, erschien Zir’Avan, Mias Vater, in der Hütte. Aus dem Schatten jenseits des Feuerscheins kristallisierte sich die hochgewachsene, schlanke Gestalt des Dunkelelfen heraus, dessen Haut von deutlich dunklerer Farbe war als die der Menschen. Seine langen anthrazitfarbenen Haare hingen ihm bis beinahe zur Hüfte. Mal wieder beeindruckte Darian Zir’Avans eigenartige Aura aus Unerbittlichkeit, Würde und Stolz, wie er hoch aufgerichtet, mit gestrafften Schultern dort in der Tür stand und alles und jeden mit seinem durchdringenden Blick musterte. Dieses Wesen war ganz sicher der tödlichste Gegner, den man sich vorstellen konnte, mit ganz eigenen, für Menschen häufig kaum nachvollziehbaren Moralvorstellungen. Jetzt trat der Dunkelelfleise und behutsam an Leánas Bett.

»Dies ist meine Enkeltochter?«, fragte er kaum hörbar, und ein zärtlicher Ausdruck trat auf sein sonst so beherrschtes und meist unbewegtes Gesicht.

Mia lächelte stolz, und Darian war froh, dass sie sich jetzt besser mit ihrem Vater verstand. Vor nicht allzu langer Zeit hatte sie Zir’Avan nur Verachtung und Hass entgegengebracht, aber seitdem er ihr und ihren Gefährten im Unterreich sehr geholfen hatte, begann sie ihm langsam zu vertrauen.

»Ich bin von großem Stolz erfüllt. Dieses kleine Wesen ist wundervoll.«

»Warte nur, bis sie wach ist und anfängt, deine Haare zu Zöpfen zu drehen oder ähnlichen Unsinn«, warnte Darian schmunzelnd, was Zir’Avan jedoch nicht davon abhielt, sie weiterhin fasziniert zu betrachten.

Nur sichtlich ungern riss er sich von ihr los.

»Die Nacht bricht herein, wir sollten mit dem Training beginnen«, wandte er sich dann an Darian.

Ebenso wie die anderen Männer hier übte dieser sich nun schon seit geraumer Zeit mit Zir’Avan im Schwertkampf, denn der Dunkelelf war ein Meister darin und konnte ihnen allen wertvolle Ratschläge geben. Torgal und seine Männer hatten zwar noch immer Vorbehalte gegen den Dunkelelfen, doch da er ihnen bislang keinen Anlass gegeben hatte, der ihr Misstrauen bestätigt hätte, nutzten sie diese unerwartete Gelegenheit.

Da Zir’Avan das helle Tageslicht unangenehm war, warteten sie meist bis zum Einbruch der Nacht, entzündeten dann Feuer in dem verborgenen Tal und trainierten mit hölzernen Übungswaffen – mit richtigen Waffen wäre der Kampf gegen Mias Vater viel zu gefährlich gewesen. Auch heute ließ Zir’Avan sie Angriff und Verteidigung gegen die den Dunkelelfen eigenen wirbelnden Schläge üben. Obwohl Darian wusste, dass Zir’Avan nur mit halber Kraft angriff, sah er, dass Torgal, Nassàr und Fendor schon nach kurzer Zeit völlig erschöpft waren.

Darian selbst hielt sich ein klein wenig besser, da er bereits mit Bas’Akir geübt hatte, aber auch er wusste, dass er noch viel zu lernen hatte. Der Beste von ihnen war Atorian, dessen Klinge nur so durch die Luft zischte und der Zir’Avans Attacken meist zielsicher parierte. Leichte Eifersucht machte sich in Darian breit, und er nahm sich vor, härter zu trainieren. Allerdings hatte Atorian auch schon über zweihundertfünfzig Sommer und Winter Zeit gehabt, um seine Kriegskunst zu perfektionieren. Rein äußerlich wirkte er dabei nicht viel älter als Darian, der Anfang dreißig war. Die Erben von Northcliff konnten durchaus bis zu fünfhundert Jahre alt werden, wenn sie nicht vorher getötet wurden, und alterten auch rein äußerlich entsprechend langsam.

Die Männer und Mia hatten bereits eine ganze Weile trainiert, und langsam, aber sicher erlahmten besonders die Schläge von Torgal und den älteren Männern. Gerade wollte Darian vorschlagen, das Training zu beenden, als die Männer ohnehin innehielten, denn plötzlich stand Leána vor ihnen, nur in ein dünnes Hemdchen gekleidet und mit zerzaustem Haar.

»Darf ich auch mitmachen?«, fragte sie begeistert, dann fiel ihr Blick auf Zir’Avan, und sie ging ohne Scheu auf ihn zu. »Du hast dunkle Haut, so ähnlich wie eine Sumpfnyade«, stellte sie fest.

Zunächst schien Zir’Avan der Vergleich mit einer Sumpfnyade zu missfallen, dann zeichnete sich allerdings ein Schmunzeln auf seinem Gesicht ab. »Mein Name ist Zir’Avan, und ich bin dein Großvater.«

»Bringst du mir bei, auch so gut mit dem Schwert zu kämpfen?«, bat sie und fasste an den Griff seiner schlanken Elfenklinge.

»Natürlich, meine Kleine.« Sichtlich erfreut über das Interesse seiner Enkeltochter, versprach er: »Ich werde dir ein kleines Schwert aus starkem Holz schnitzen.«

»Sie ist erst sechs, das kann noch warten«, mischte sich Darian jetzt ein und fasste seine Tochter an den Schultern.

»Kinder meines Volkes erhalten bereits in ihrem dritten Sommer ein Schwert.« Unverständnis stand in Zir’Avans Zügen.

»Leána ist aber keine Dunkelelfe.«

Beruhigend legte Mia ihrem Gefährten eine Hand auf die Schulter. »Auch auf der Nebelinsel hat sie schon spielerische Kämpfe mit den anderen Kindern ausgetragen, es wird ihr nicht schaden.«

»Mia, sie ist ein kleines Mädchen, das kann doch nicht dein Ernst sein!«

Mia nahm Darian an der Hand und führte ihn etwas abseits. »Es ist wichtig, dass Leána lernt, sich zu verteidigen. Sie hat Dunkelelfenblut in sich und wird sicher eine gute Kriegerin werden.«

»Sie ist …«, er fuchtelte wild in ihre Richtung, »klein und zart. Leána kann warten, bis sie meinetwegen fünfzehn oder sechzehn ist.«

»Sie soll ja noch nicht in einen richtigen Kampf ziehen. Aber jetzt lernt sie leichter und spielerisch, und Zir’Avan ist ein hervorragender Lehrmeister.«

Darian behagte die Vorstellung, dass Leána eine Kriegerin werden sollte, überhaupt nicht, aber da er sich freute, dass Mia ihren Vater zu akzeptieren begann, willigte er schließlich ein. Nach längerem Nachdenken musste er sich auch eingestehen, dass es gut war, wenn Leána schon jetzt mit dem Training begann. Sicher, sie war ein kleines Kind, aber in dieser Welt war es wichtig, von Kindesbeinen an mit dem Schwert vertraut zu sein. Er selbst hatte den Umgang mit der Waffe erst mühselig und unter großer Anstrengung erlernen müssen, als er mit fünfundzwanzig hierhergekommen war.

Sie wird es leichter haben als ich, dachte er, wenngleich er sich kaum auszumalen wagte, dass dieses niedliche kleine Mädchen eines Tages gezwungen sein würde, jemanden zu töten. Aber das wäre wohl immer noch besser, als selbst getötet zu werden.

Im Augenblick sprang Leána wild um Edur herum und versuchte, ihn am Bart zu fassen.

»Musst du nicht eigentlich längst schlafen?«, keuchte der Zwerg irgendwann entnervt.

»Nein, ich habe Dunkelelfenblut in mir, ich kann viel länger wach bleiben«, erwiderte sie selbstbewusst und setzte ihre Jagd fort.

Schließlich gab sich der junge Zwerg geschlagen. »Gut, aber ich bin kein Dunkelelf und muss ins Bett.«

»So, und wir haben jetzt noch das Vergnügen, Wache zu halten«, meinte Nassàr, eine Grimasse schneidend, zu seinem Freund Fendor. Als Mia und ihr Vater anboten, dies für sie zu übernehmen, schoben die beiden Männer trotzig ihr Kinn vor und schüttelten die Köpfe. Kurz drauf löste sich die Gruppe auf, und jeder verschwand in die umliegenden Hütten.

Langsam schritten Nassàr und Fendor zwischen den in Dunkelheit liegenden Holzhütten hindurch und überquerten den schmalen Damm, der aufs Festland führte. Ihr Lager, das während der letzten sechs Sommer und Winter zu einem kleinen Dorf angewachsen war, war nahezu perfekt vor feindlichen Blicken geschützt. Diese Insel lag am Rande eines Sees, war von Bäumen und Büschen bewachsen, und das Tal war nur durch einen Pass in den Bergen zugänglich.

»Besser wir halten selbst Wache als ein – Dunkelelf«, sprach Fendor Nassàrs Gedanken aus.

»Da hast du Recht.« Der alte grauhaarige Krieger fuhr sich über den Dreitagebart. »Seine Kampfkunst ist beeindruckend, aber ich würde ihm nicht mein Leben anvertrauen.«

Einträchtig umrundeten die Männer den See, um zu dem Pass zu gelangen, der hinauf in die wilden Berge führte.

»Ich wünschte, die kleine Kaya käme wieder vorbei«, begann Fendor irgendwann und blickte sehnsüchtig in den sternenübersäten Frühlingshimmel. Die junge Frau hatte vor einigen Monden den verletzten Tagilis von Ilmor zum Rannocsee begleitet und war kurze Zeit geblieben – nicht ohne mit ihrer quirligen und unkomplizierten Art allen Männern den Kopf zu verdrehen. Leider war sie dann jedoch wieder nach Ilmor abgereist.

»Meinst du nicht, sie ist etwas zu jung für dich?«, entgegnete Nassàr grinsend.

»Ach was, ich bin noch gut in Form.« Fendor fuhr sich durch das noch immer volle braune Haar. »Außerdem sehe ich jünger aus.«

»Ha, ha, wenn, dann kommt sie eher wegen dieses Halbelfen zurück. Sie hat ihm ganz schön glühende Blicke zugeworfen.«

»Was?« Fendor sah seinen Freund entsetzt an, bemerkte dann aber, dass dieser ihn nur aufziehen wollte.

»Blödsinn, Tagilis ist …« Der Krieger beendete seinen Satz nicht, sondern deutete schaudernd auf den nahen See, wo der Halbelf am Ufer saß, eine durchscheinende Gestalt vor sich, mit der er sich offensichtlich unterhielt. Die schwachen Strahlen des Mondlichts genügten, um die Umrisse der schwebenden Frau auf geisterhafte Weise nachzuzeichnen. »Das ist aber schon gruselig, oder?«

Mit einem Gefühl der Beklemmung nickte Nassàr. Als erfahrenen Krieger von über sechzig Sommern erschreckte ihn so schnell nichts, aber ein Halbelf von der Nebelinsel, der einen Geist als Gefährtin hatte, war doch etwas zu viel.

»Das sind eigenartige Zeiten, Fendor. Wir sind mit Nebelhexen, Dunkelelfen und anderen Halbwesen verbündet, am Ende wird noch ein Bergtroll zu unseren Gefährten zählen.«

Belustigt schlug Fendor seinem Freund auf die Schulter, und sie machten sich an den Aufstieg, um den Zauberer Nordhalan und ihren Gefährten Markat abzulösen, die am Eingang zum Tal Wache gehalten hatten.

Kapitel 2

Das Portal nach Schottland

Drei Tage später brachen Darian, Mia, Leána, Atorian, Zir’Avan und Nordhalan zum Stein von Alahant auf, um das Portal in die andere Welt ein für alle Mal zu schließen. Auch Torgal und die anderen Krieger hatten sie begleiten wollen, aber es war wichtig, dass sie unentdeckt reisten. Eine kleine Gruppe würde weniger auffallen. Und im Falle eines Kampfes hatten sie fantastische Krieger bei sich, die auch eine zahlenmäßige Unterlegenheit ausgleichen würden. Trotzdem waren die Gefährten nervös, denn der Stein von Alahant lag weit im Norden, nahe der Hauptstadt Culmara, und somit in Samukals direktem Einflussgebiet. Außerdem wussten sie noch immer nicht, wie sie das Portal verschließen konnten. Nordhalan und Zir’Avan hatten bereits verschiedene starke Bannzauber durchgesprochen, aber ob diese wirklich ausreichen würden, wussten sie nicht. Letzten Endes war das Gelingen wohl von der Gemeinschaft aller Zauberer abhängig.

Zir’Avan hatte in seinem Leben noch nie auf einem Pferd gesessen, hielt sich jedoch erstaunlich gut auf dem Rücken der Schimmelstute, die eigentlich Markat gehörte. Leána saß abwechselnd im Sattel vor ihrer Mutter oder vor Darian und schien sich des Ernstes der Lage nicht bewusst zu sein. Für sie war das alles ein großes Abenteuer, und sie freute sich, ihre Eltern endlich wieder bei sich zu haben. Das fröhliche kleine Mädchen lockerte die Stimmung während der Reise auf und lenkte die Erwachsenen von ihren Sorgen ab. Zudem zeigte sich in diesem Frühling das Wetter von seiner angenehmsten Seite, denn meist war es mild, und nur kurze, aber heftige Schauer zogen über Albany hinweg. Wenngleich sich die Gefährten abseits der wenigen ausgebauten Straßen und Wege hielten, konnten sie doch aus der Ferne erkennen, wie emsig an den Hauptverbindungen durch das Land gearbeitet wurde, und wunderten sich darüber.

»Ich möchte wissen, was Samukal vorhat«, überlegte Atorian mal wieder, als er durch dichtes Unterholz spähte und beobachtete, wie an die zwanzig Männer einen ausgefahrenen Weg mit grob behauenen Steinen befestigten.

»Vielleicht will er den Handel mit den Zwergen oder den Lords im Süden ausbauen«, mutmaßte Darian.

»Ich verstehe nicht, wie sich die Zwerge auf ihn einlassen konnten«, ärgerte sich Nordhalan, denn auch er hatte versucht, das kleine Volk des Ostens auf ihre Seite zu bringen, jedoch ohne Erfolg.

»Wenn nicht einmal Edur sein Volk überzeugen konnte, werden wir wohl ohne die Zwerge auskommen müssen.«

Eines Abends machten sie in einem lichten Eichenhain Rast. Im Osten erhoben sich düster die Berge des nördlichen Zwergenreichs, und höchstens zwei Tagesritte trennten sie noch vom Stein von Alahant. Drei frisch erjagte Wildhühner brutzelten über dem Feuer, und Leána war mit ihrer Mutter auf die Suche nach Kräutern gegangen. Fröhlich hüpfte das kleine Mädchen durch den Wald und jagte den beinahe durchsichtigen Nachtnymphen mit ihren schwarzen Flügeln hinterher, die in der hereinbrechenden Dämmerung aus ihren Erdhöhlen kamen.

»Leána, jetzt komm schon«, drängte Aramia, »das Essen wird bald fertig sein, und wenn wir nicht genügend Kräuter finden, schmeckt alles langweilig.«

Leána nickte gehorsam, ließ sich dann aber von einem winzigen Gnom ablenken, der einen hübsch schillernden Pilz mit sich schleppte. Sie folgte dem kleinen bräunlichen Wesen und fand sich urplötzlich auf einer Lichtung wieder. Im Licht der Sterne stand ein Steinkreis, bestehend aus fünf verhältnismäßig kleinen Monolithen, die nicht viel höher waren als Leána selbst, zum Teil mit Moos überwachsen oder bereits umgestürzt.

Ganz verzaubert ging das Mädchen näher heran, und nach und nach begannen zuvor nicht erkennbare, geheimnisvolle Zeichen auf den Steinen zu leuchten. Wie von Geisterhand zog Nebel auf, und dann bildete sich ein silbern und golden glitzerndes Tor über den Steinen, während der Rest der Welt in den Hintergrund rückte.

Leise schimpfend eilte Aramia durch den Wald. Leána war ihr schon wieder entwischt, und wenngleich sie wusste, dass ihre Tochter dank ihrer guten Nachtsicht und einem angeborenen, ausgeprägten Orientierungssinn auch allein zurück zum Lagerplatz finden würde, befürchtete sie, Leána könnte irgendetwas anstellen. Dass diese Befürchtung nicht ganz unbegründet war, wurde der Nebelhexe spätestens in dem Augenblick klar, als sie das fahle Leuchten zwischen den Bäumen bemerkte. Die Luft prickelte vor Magie, und Aramia sah Nebelgeister um sich herum tanzen. Sofort lief sie los.

»Leána, nicht!«, schrie sie entsetzt, als die Kleine gerade dazu ansetzte, durch das Portal zu treten.

Instinktiv rief Aramia die Nebelgeister an, befahl ihnen, um ihre Tochter herumzutanzen und sie abzulenken, und tatsächlich blieb das kleine Mädchen stehen.

Aramia stürzte zu ihr, riss sie zurück und drückte sie dann erleichtert und vor Aufregung zitternd an sich.

»Leána, was tust du denn nur?«, keuchte sie.

Ihre Tochter blickte verwundert auf, dann sah sie zu dem kleinen Steinkreis und sagte enttäuscht: »Das hübsche Licht ist fort.«

Auch Aramia bemerkte, dass nun alles verschwunden war: der Nebel, das Portal, die Nebelgeister. Verwirrt sah sie ihre Tochter an. »Hast du irgendetwas getan? Einen Zauber gesprochen oder so etwas?«

Die Kleine schüttelte energisch den Kopf, und Aramia zog sie seufzend auf die Füße. »Komm, Leána, wir müssen es den anderen sagen.«

»Wird Vater mit mir schimpfen?«, erkundigte sich das Mädchen betreten. Aber Aramia versicherte ihm, dass es nichts falsch gemacht habe.

Nachdem die Gefährten gehört hatten, was vorgefallen war, war das Abendessen schnell vergessen. Sie eilten zu dem verfallenen Steinkreis, und als Leána näher trat, geschah das Gleiche wie nur kurze Zeit zuvor. Nebel zog auf, ein silbernes und goldenes Flimmern lag in der Luft, und nur wenig später spannte sich ein leuchtendes Portal über dem kleinen Steinkreis. Andeutungsweise erkannte man eine karge, felsige Landschaft auf der anderen Seite.

»Leána ist tatsächlich eine Portalfinderin«, stellte Nordhalan bewundernd fest, »und wie es aussieht, kann sie sogar durch ihre bloße Anwesenheit die Weltennebel dazu bringen aufzuziehen.«

»Was sind Weltennebel?«, wollte Leána wissen und blickte neugierig durch die Nebelschwaden, die alles jenseits des Steinkreises unwirklich erscheinen ließen.

»Wenn sie aufziehen, kann man die Welten wechseln.«

»Wollen wir nachsehen, wie die andere Welt aussieht?«, fragte sie abenteuerlustig, aber ihre Mutter hielt sie eisern an der Hand fest.

»Nein, Leána, wir müssen das Portal schließen, denn ein böser Mann möchte schlechte Dinge durch dieses Tor bringen.«

Beleidigt schob Leána die Unterlippe vor und ließ sich von Aramia wegführen, woraufhin das Portal augenblicklich verblasste. Nun beratschlagten Nordhalan und Zir’Avan erneut, wie sie das Portal verschließen konnten. Sie sprachen die mächtigsten Bannzauber, die ihnen einfielen, aber stets genügte Leánas Anwesenheit, um die Nebel wieder aufziehen zu lassen.

»Es wird daran liegen, dass ein dritter Zauberer fehlt«, vermutete Nordhalan schließlich resigniert, und Zir’Avan stimmte ihm zu. Sie verzeichneten das Tor in der Karte und hofften, dass am Stein von Alahant tatsächlich ein elfischer Magier auf sie wartete.

Am Tag darauf waren die Gefährten gerade in der Morgendämmerung dabei, ihr Lager abzubrechen und ihre Spuren zu verwischen, als durch die Bäume eine hochgewachsene, schattenhafte Gestalt in Begleitung einer sehr viel kleineren erschien.

Bevor sich Darian auch richtig umgedreht hatte, hielt Zir’Avan schon sein Schwert in der Hand. Sofort stellten sich alle im Kreis um Leána auf, doch die Kleine quetschte sich an ihnen vorbei, und Darian stürzte ihr hinterher.

»Das ist doch nur meine Freundin!«, rief Leána empört aus, und Darian stutzte, als er die junge Elfe erkannte, die er vor vielen Sommern am Rande des Elfenreichs getroffen hatte. Lharina wirkte noch immer so zart und zerbrechlich, wie er sie in Erinnerung gehabt hatte, ähnelte jetzt jedoch beinahe schon einer jungen Frau. Ihr grünes Gewand schleifte über den Boden, als sie näher kam. Es musste eine Art Reitrock sein, denn bei näherem Hinsehen erkannte Darian, dass es aus zwei weiten Beinteilen bestand. Ihr schlanker Oberkörper steckte in einer cremefarbenen Bluse, und ein dunkelgrüner Mantel hing um ihre schmalen Schultern.

Ein großer, ernst aussehender Elf wartete in einiger Entfernung und beobachtete die Szene mit prüfendem Blick.

»Senkt die Waffen, ich kenne sie«, rief Darian rasch seinen angespannten Gefährten zu, die verwundert wirkten, jedoch taten, wie ihnen geheißen.

Leána umarmte die Elfe freudig, dann wandte sie sich triumphierend ihren Eltern zu. »Seht ihr, sie ist kein Geist! Das ist meine Freundin, die ich zu Hause auf der Nebelinsel getroffen habe.«

Mit würdevoller Miene verbeugte sich die Elfe. »Mein Name ist Lharina, und ich bin gekommen, euch zur Seite zu stehen. Darian, es freut mich, dich wiederzusehen.« Sie warf einen verschmitzten Blick hinter sich. »Auch wenn es meinem Volk nicht recht ist, muss ich meinen Auftrag ausführen und unsere Welt vor großer Gefahr bewahren.«

Die Gefährten sahen sich ein wenig verdutzt an, doch Darian lud Lharina und auch ihren schweigsamen Begleiter ein, sich zu setzen. Der Elf allerdings blieb, wo er war, und bewachte seine Schutzbefohlene nun aus der Ferne.

Lharina erzählte, wie sie schon vor langer Zeit herausgefunden hatte, dass Leána eine starke Magierin sei, dieses Geheimnis allerdings bewahrt hatte, da die Nebelhexe noch zu jung gewesen war. Mit fester Stimme sprach Lharina davon, dass sie selbst die Wiedergeburt der Elfenseherin Lathara sei, die noch zu Hochzeiten der Diomár gelebt hatte, und dass sie die Gabe besaß, in die Zukunft zu sehen, und auch die Erinnerungen Latharas in sich trüge.

»Mein Volk und selbst meine Eltern waren dagegen, dass ich mich in die Geschehnisse der Menschen einmische«, erklärte sie sehr selbstsicher und erwachsen. »Aber in diesem Frühling konnte ich sie endlich überreden, und der Elfenrat hat mir die Erlaubnis erteilt, euch beim Schließen der Portale zu helfen, sofern ihr auch etwas für uns tut.«

»Und was soll das sein?«, wollte Atorian wissen und richtete sich auf.

Hellblaue Augen wanderten zu ihm. »Unser Volk ist während der letzten fünfhundert Sommer und Winter beträchtlich gewachsen. Wir leben, für unsere Verhältnisse, viel zu dicht beieinander, und das führt zu großen Streitigkeiten.«

»Die Westküste ist ein weitläufiges Gebiet«, wunderte sich Atorian. »Ihr solltet mehr als genug Platz zur Verfügung haben. Oder beansprucht ihr nun einen Teil des Menschenreichs für euch?«

Argwohn stand in Atorians Augen, aber Lharina schüttelte lächelnd den Kopf.

»Nein, das wollen wir nicht, aber nachdem ihr eine Portalfinderin bei euch habt, bieten sich neue Möglichkeiten. Falls Leána ein Portal in die Urheimat der Elfen findet, möchten wir einen Teil unseres Volkes hindurchführen, bevor ihr es verschließt.«

Die Urheimat der Elfen, überlegte Darian.

Für einen Augenblick herrschte Schweigen, dann wandte sich Nordhalan an das Elfenmädchen. »Meines Wissens nach wurde das Elfenportal im Süden des Landes zerstört – daran kann auch Leána nichts ändern.«

»Vielleicht gibt es ja ein zweites? Es ist nur die vage Hoffnung eines Volkes, das sich nach der alten Welt sehnt. Ich weiß nicht, ob sich diese Hoffnung jemals erfüllt, aber wir möchten als Dank für unsere Hilfe euer Wort, dass ihr es uns mitteilt, falls ihr das Portal findet.«

Nordhalan nickte huldvoll. »Dies würden wir selbstverständlich tun, allerdings wissen wir nicht mit Gewissheit, wo die Portale liegen. Wir sind nur im Besitz einer unvollständigen alten Karte und einer sehr schlecht gezeichneten Skizze des fehlenden Teils.«

Liebevoll streichelte Lharina der kleineren Leána über den Kopf. »Falls ein zweites Portal existiert und es nicht zerstört wurde, wie jenes im Süden, wird Leána es eines Tages finden, und dann kann mein Volk vielleicht in einer anderen Welt ein neues Leben beginnen.«

»Gehst du dann auch fort?«, wollte Leána mit weit aufgerissenen Augen wissen.

»Noch ist die Zeit nicht gekommen, dies zu entscheiden«, versuchte Lharina sie zu beruhigen. »Auch wissen wir nicht, ob die alte Heimat der Elfen überhaupt noch für uns bewohnbar ist. Dennoch möchten wir uns diese Möglichkeit offenhalten.«

»Teilt uns mit, wie wir das Portal schließen können«, verlangte nun Zir’Avan.

Ohne Scheu blickte Lharina zu dem großen Dunkelelfen auf. Kurz schloss sie die Augen, ein kühler Wind kam auf, und als sie den Dunkelelfen erneut ansah, hatte ihre Stimme einen ganz anderen Klang angenommen. »Nachtjäger und Kinder des Lichts vereint, so war es in alter Zeit, und vielleicht wird es erneut so sein.«

Hastig drückte Darian seine kleine Tochter an sich, denn Lharinas Veränderung war gespenstisch. Mit leicht gesenktem Kopf blickte sie zu den Anwesenden auf, ihre Augen hatten einen merkwürdigen Glanz bekommen und schienen von einem uralten, äußerst starken Geist bewohnt.

Nur einen Augenblick später schüttelte sie jedoch ihren blonden Kopf, der Wind legte sich wieder, und fast unschuldig blickte sie zu Zir’Avan, der sie fragend musterte. »Verzeiht bitte, manchmal kommen diese Visionen, und dann bin ich nicht ich selbst.« Sie deutete zuerst auf den Dunkelelfen, dann auf Nordhalan und am Ende auf Mia. »Ihr seid drei Zauberer, von unterschiedlichem Blute, ihr könnt die Portale schließen.«

»Ich bin doch nur eine Nebelhexe«, warf Aramia ein. »Außer Elementargeister zu beschwören verfüge ich kaum über magische Kräfte.«

Ein helles Lachen ertönte von der jungen Elfe. »Nur Elementargeister beschwören! Das ist eine große Kunst, und selbst allein wärst du in der Lage, die Portale für kurze Zeit zu versiegeln.« Als Mia skeptisch die Stirn runzelte, sah Lharina sie mit ihren hellblauen Augen ernst an. »Du kannst einen Bann auf die Steine sprechen, der verhindert, dass die Nebelgeister in die Nähe der Portale kommen. Sie sind Bestandteil der Weltennebel, und wenn sie fort sind, wird ein Durchschreiten des Portals unmöglich sein. Um die Weltenportale endgültig und für alle Zeit zu versiegeln, sind allerdings in der Tat drei mächtige Zauberer nötig, damit ein starker, unumstößlicher Bann auf die Steine gelegt werden kann.«

Staunend hatte Mia zugehört, aber Darian kannte sie gut und sah ihr ihre Zweifel an. »Ich allein soll solch eine Macht haben? Nebelgeister sind launisch und schwer zu beherrschen …«

Lharina legte ihr sanft eine Hand auf den Arm. »Ich werde dir helfen, denn durch meine Ahnin weiß ich, wie man Elementargeister bannt.«

Große Verwirrung und Verunsicherung herrschte, und nun redeten alle aufgeregt durcheinander.

»Warum hast du uns dies alles nicht schon viel früher verraten?«, übertönte Nordhalans kräftige Stimme die der anderen.

»Eine berechtigte Frage«, stimmte Atorian säuerlich zu.

Mit einem leichten Lächeln betrachtete Lharina den alten Zauberer. »Die Zeit war noch nicht reif, auch wusste ich nicht, dass es so etwas wie Portalfinder gibt. Ich spürte nur, dass Leána etwas Besonderes ist, da sie die alten Eichenpfade benutzen kann. Solange ich noch sehr jung war, konnte ich zudem mein Volk nicht überzeugen, euch zu helfen. Außerdem kommen meine Visionen und das alte Wissen Latharas über mich, ohne dass ich beides beeinflussen oder steuern kann. Erst kurz bevor Nordhalan uns um Hilfe bat, suchte mich eine Erinnerung von Lathara heim, und da sah ich, wie ein gefährliches Tor versiegelt wurde.«

An Atorians Miene erkannte Darian deutlich, dass er dem Elfenmädchen nicht uneingeschränkt Glauben schenkte, und Zir’Avans Gesicht blieb zwar gewohnt ausdruckslos, jedoch hatte der Dunkelelf seine Arme vor der Brust verschränkt und seinen Kopf abschätzend zur Seite geneigt. Darian selbst wusste nicht genau, was er denken sollte – einerseits hatte er das Gefühl, Lharina wäre ehrlich, andererseits mochten ihre sanftmütige Art und ihre zerbrechliche Gestalt ihn auch dazu verleiten, sich täuschen zu lassen. Plötzlich erinnerte er sich an etwas. Er zog die Kette mit dem normalerweise unsichtbaren Säckchen vom Kopf und hielt es nun in der Hand.

»Das hast du mir vor langer Zeit gegeben. Ich habe bis heute nicht herausgefunden, wofür es gut ist.«

Lächelnd schloss Lharina seine Hand darum. »Behalte es, es ist Sternenstaub, den ein alter und weiser Magier aus unserer Urheimat hierherbrachte. Auch ich weiß nicht, wozu er gut ist, aber ich sah schon vor langer Zeit in einer Vision, dass du ihn bekommen sollst. Achte gut darauf.«

Enttäuscht hängte sich Darian den kleinen Beutel wieder um, und Leána beobachtete staunend, wie er verschwand, als Darian die Kette über den Kopf streifte.

Während der nächsten drei Tage brachen immer wieder Diskussionen darüber aus, ob man Lharina wirklich trauen konnte oder ob die Elfen mal wieder ihre ganz eigenen Pläne hatten, so wie Zir’Avan es behauptete. Doch Lharina zeigte sich sehr freundlich und hilfsbereit und übte mit Aramia, Nebelgeister zu bannen. Da morgens und abends häufig der weiße Dunst zwischen den Bäumen hing, war dies auch nicht schwierig zu bewerkstelligen. Um Aramias neu erlerntes Können gefahrlos auf die Probe stellen zu können, reisten sie zunächst zurück zu dem kleinen Steinkreis, welchen Leána vor kurzem gefunden hatte, denn dort mussten sie nicht mit Samukals Wachen rechnen.

Sobald Leána sich dem Steinkreis näherte, zogen auch schon dichte Nebelschwaden auf. Konturlose Geister schwebten umher und tanzten zwischen den hohen Monolithen. Nach einem aufmunternden Nicken der kleinen Elfe schloss Aramia ihre Augen. Sie war so nervös, dass sie sich kaum zu konzentrieren vermochte. Dann legte sie jedoch ihre Hände auf den ersten Stein und sprach einen Bann darauf, der die Nebelgeister davon abhalten sollte zu erscheinen.

Aramia hörte wildes, widerspenstiges Gekreische in ihrem Inneren. Konturlose Hände zupften an ihr, aber sie befahl den Nebelgeistern, sich zurückzuziehen. Tief in sich fühlte sie eine Quelle der Kraft, stellte sich vor, wie diese Kraft sich ausbreitete und sich wie ein imaginärer Schutzkreis um die Monolithen legte. Tatsächlich dehnte sich die feine Energie aus, verwob sich zu einer Art Mauer, die von höherer Dichte war als die Nebelgeister. Diese Magie wirkte sie an jedem einzelnen der Steine, und als sie geendet hatte, war sie entsetzlich erschöpft.

»Hast es funktioniert?«, fragte Darian gespannt.

Unsicher hob Aramia die Schultern, aber als Lharina mit Leána an der Hand zum Steinkreis trat, blieben die Nebel fern. Die verschlungenen Spiralen und Zeichen in den Steinen begannen fahl zu glühen, aber das silberne und goldene Portal spannte sich nicht mehr darüber.

»Du hast es geschafft!« Stolz drückte Darian sie an sich, und auch Zir’Avans ernste Miene drückte Bewunderung und Anerkennung aus, als er eine leichte Verbeugung in Aramias Richtung andeutete.

»Ist es jetzt geschlossen?«, wollte Leána enttäuscht wissen.

»Für den Augenblick ist es das«, bestätigte Lharina, »es sei denn, deine Mutter würde den Bann lösen.«

Erschrocken sah Aramia auf. »Aber Samukal könnte das herausfinden und mich dazu zwingen.«

»In der Tat könnte dies geschehen. Später werde ich gemeinsam mit Nordhalan oder Zir’Avan zurückkehren und das Portal endgültig versiegeln, denn du bist im Augenblick zu erschöpft. Jeder von uns wird einen eigenen Zauber wirken, der dem anderen unbekannt ist, sodass niemand ihn aus uns herauspressen kann. Der Bann der Nebelgeister sollte lediglich eine Übung für dich sein, Aramia, und dir zeigen, dass auch du allein für kurze Zeit ein Portal davor bewahren kannst, missbräuchlich benutzt zu werden.«

Dies erfüllte Aramia mit Erleichterung, und jetzt zweifelte sie auch nicht mehr an Lharinas guten Absichten. Sie musste unbedingt Nordhalan und auch Atorian davon berichten, denn die beiden waren zurückgeblieben, um die Gegend um Alahant herum auszukundschaften. Müde ließ sich Aramia von Darian zu ihrem Pferd führen und stieg in den Sattel.

»Ich als Nebelhexe habe ein magisches Portal geschlossen«, murmelte sie noch immer ungläubig.

Darian, der Leána gerade in den Sattel gehoben hatte, legte seine Hand auf ihre.

»Du bist eben eine wundervolle Zauberin, ich habe das immer gewusst.«

»Das sehen aber hunderte von Bewohnern Albanys anders.«

»Die werden das schon auch noch eines Tages einsehen«, meinte Darian zuversichtlich.

Großes Erstaunen und auch Bewunderung rief Aramias Tat bei Atorian und Nordhalan hervor, als die beiden am Abend von ihrem Erkundungsritt zurückkehrten. Atorian sprang als Erster vom Rücken seines schwitzenden Pferdes, von dem feiner Dampf aufstieg. »Am Stein von Alahant standen nur fünf Wachen, die wir sicher leicht überwältigen können.« Dann runzelte er die Stirn. »Eine Sache war jedoch unheimlich. Ich hatte die ganze Zeit über das Gefühl, beobachtet zu werden«, gab Atorian zu bedenken. »Es hat sich angefühlt wie ein unangenehmes Ziehen im Nacken, aber ich konnte niemanden erkennen.«

Lharina warf Tahilán, ihrem Wächter, einen fragenden Blick zu. »Beobachten unsere Leute den Stein?«

»Das mag sein, Euer Vater war in großer Sorge, Prinzessin.«

Laut seufzend schüttelte Lharina den Kopf. »Zuerst will er nichts mit den Menschen zu tun haben, und dann lässt er mich verfolgen.«

»Er fürchtet um Eure Sicherheit.«

»Mir wird nichts geschehen.«

In Tahiláns edel geschnittenem Gesicht sah man große Zweifel, aber er widersprach nicht, sondern verbeugte sich nur und zog sich ein wenig zurück.

Nachdem sich nun eindeutig herausgestellt hatte, dass Leána eine Portalfinderin war, beschlossen die Gefährten, dass das Mädchen am nächsten Tag abseits warten sollte, bis das Portal am Stein von Alahant verschlossen war. Diesmal wollten Nordhalan, Zir’Avan und Lharina ihre Bannzauber darauflegen, denn Aramia war noch recht ungeübt und benötigte lange für ihren Zauber. Dieses Risiko wollten sie diesmal nicht eingehen. Erst wenn sichergestellt war, dass keine Gefahr durch Samukals Wächter drohte, sollte Leána zum Stein gebracht werden, um sicherzustellen, dass dieser tatsächlich verschlossen war.

Darian sah seiner Gefährtin genau an, wie ungern sie mit Leána in dem Waldstück zurückblieb, das etwa eine halbe Meile vom Stein von Alahant entfernt lag. Vermutlich hätte Mia lieber mit ihnen gekämpft, aber Darian hatte sie überzeugen können, dass sie der beste Schutz für ihre gemeinsame Tochter war.

Darian, Atorian und Zir’Avan wollten versuchen, die Wachen – soweit möglich – ohne großes Blutvergießen zu überwältigen, während Nordhalan und das Elfenmädchen mit ihrem Wächter warten sollten, bis der Weg frei war.

Leise schlichen die drei Männer durch das Unterholz und entdeckten bald drei gelangweilte Wachen, die in der Nähe des Monolithen saßen und Karten spielten. Sie schienen nicht sehr aufmerksam, und als sie von hinten angegriffen wurden, waren sie derart überrumpelt, dass sie kaum dazu kamen, Gegenwehr zu leisten. Zwei weitere Wachen, die gerade auf der Jagd gewesen waren, wurden von Zir’Avan schnell und leise niedergeschlagen und herangeschleift.

»Das war ja fast schon zu einfach«, meinte Atorian und sah sich unbehaglich um.

Nun hatte auch Darian das Gefühl, Blicke im Nacken zu spüren, doch selbst Zir’Avans feine Sinne konnten keine Gefahr entdecken. Darian rief leise nach seinen Begleitern, und der Zauberer und die beiden Elfen kamen rasch näher.

Während Darian und Atorian, ihre Schwerter schlagbereit erhoben, Wache hielten, sprachen die drei Magier ihre Bannzauber über den Stein. Nur an den hoch konzentrierten Gesichtern der Zauberer bemerkte er, dass sie etwas taten – weder schossen die von ihm erwarteten Blitze aus ihren Händen, noch geschah sonst etwas ähnlich Spektakuläres. Stattdessen verspürte er irgendwann eine Art Summen in seinem Inneren. Es war ein fremdes, wenn auch nicht direkt unangenehmes Gefühl. Er blickte zu Atorian hinüber, der wachsam die Gegend im Auge behielt.

»Spürst du das?«, wisperte Darian.

Sein Bruder sah ihn fragend an. »Was?«

»Eine Art Vibrieren …«, er deutete auf eine Stelle oberhalb seines Magens, »… etwa hier.«

»Nein, ich merke nichts«, versicherte Atorian, während er sich unbehaglich umsah.

Ob das an meinem Zaubererblut liegt?, überlegte Darian, dann beobachtete er weiterhin die Anstrengungen seiner Gefährten, wobei ihn erneut ein wehmütiges Gefühl beschlich. Jetzt würde er die Welt, in der er aufgewachsen war, niemals wiedersehen, und auch wenn er hier eine Heimat und wunderbare Freunde gefunden hatte, berührte in dies doch sehr.

Endlich kehrten seine Gefährten zurück, und Darian machte sich eilig auf die Suche nach seiner kleinen Familie. In Mias Gesicht stand ganz offene Erleichterung, als sie ihn sah.

»Hattet ihr Erfolg?«

Er nickte und hob Leána auf Menhirs Rücken, bevor auch er aufstieg. »Jetzt wird sich zeigen, ob die drei auch so gut sind wie meine kleine Nebelhexe.«

Mia runzelte nur kritisch die Stirn, setzte zu einer Erwiderung an, stutzte dann aber. Und dann hörte es auch Darian: Aus der Richtung, in der sich der Stein befand, erscholl Kampflärm. Offensichtlich war eine Ablösung für die Wächter gekommen, und Atorian, Zir’Avan und Nordhalan verteidigten sich gegen eine wachsende Anzahl an Männern. Zudem hörte man Warnrufe aus dem Dorf, welches sich unweit des Steins von Alahant an einen bewaldeten Hügel schmiegte.

Tahilán kam gerade mit den versteckten Pferden zurück, und bevor Darian etwas unternehmen konnte, war Mia losgaloppiert, um ihren Freunden Zeit zu verschaffen.

Leise fluchend musste Darian zurückbleiben, denn er wollte Leána nicht allein lassen, so gern er auch geholfen hätte. Trotz seines Ärgers über ihr impulsives Verhalten stellte er mal wieder bewundernd fest, wie leicht Mia vom Sattel aus die Männer in Schach hielt. Sie wendete den jungen Hengst mal hier hin, mal dort hin, ihre Klinge pfiff nur so durch die Luft, und so gelang es Atorian, Zir’Avan und Nordhalan, in die Sättel zu steigen.

»Los!«, rief Atorian schon von weitem. Darian riss Menhir herum und galoppierte durch eine Schneise im Unterholz davon. Ganz kurz glaubte er, so etwas wie eine dunkle Gestalt zwischen den Bäumen zu sehen, und fühlte einen eisigen Hauch, aber dann hatten seine Freunde, verfolgt von den wütend grölenden Dorfbewohnern, schon zu ihm aufgeholt. Mit den Pferden konnten die aufgebrachten Bauern selbstverständlich nicht mithalten, und so hatten Darian und seine Gefährten bald einen sicheren Abstand zwischen sich und das Dorf gebracht. Dennoch ritten sie noch einige Meilen in Richtung Norden, bevor sie anhielten.

In den Bergen versteckt banden sie ihre Pferde an Bäume und setzten sich auf den von der Sonne gewärmten Boden.

»Jetzt müssen wir wohl damit warten, das Portal zu testen«, stellte Atorian fest, dann nahm er einen tiefen Schluck aus seinem Trinkbeutel. »Die Männer werden wachsam sein und Samukal informieren.«

»Eine gute Gelegenheit, sich den Dreckskerl vorzuknöpfen«, meinte Darian, denn schon lange wollte er sich an seinem Ziehvater rächen.

»Das halte ich für keine gute Idee.« Nordhalan hob warnend eine Hand. »Falls Samukal tatsächlich Hilfe von Dämonen hat …«

»Wir haben Zir’Avan, der wird einiges ausgleichen können.«

Der Dunkelelf zog seine feinen dunkelgrauen Augenbrauen in die Höhe. »Dein Vertrauen ehrt mich, junger Mann, aber auch ich kann nicht gegen einen Dämon bestehen.«

Nachdem alle angestrengt nachdachten, ergriff Nordhalan das Wort.

»Ich schlage vor, Darian und Atorian geben sich nun zu erkennen, und wir versuchen, möglichst viele Anhänger zu sammeln, die euren Thronanspruch unterstützen. Darf ich die Karte sehen, Aramia?« Er nahm das Pergament von Mias Urgroßvater entgegen und blickte eine ganze Weile darauf. »Weiter im Norden, etwa an der Grenze zum Zwergenreich, ist ein Portal eingezeichnet. Vielleicht sollten Aramia, Leána und die beiden Elfen dorthin reiten, während wir anderen durch die umliegenden Dörfer ziehen und die Rückkehr der Northcliffbrüder verkünden.«

»Ich muss nach Hause zurückkehren«, wandte jedoch Lharina ein. »Meine Hilfe ist nicht mehr unbedingt vonnöten, und das bekannteste Tor ist geschlossen.«

Einen Augenblick lang stutzte Nordhalan, verbeugte sich dann jedoch vor ihr. »Verzeiht, Prinzessin Lharina, Ihr wart uns eine große Hilfe. Sollten wir auf das Portal ins Reich der Elfen stoßen, werden wir Euch Bescheid geben.« Er zögerte kurz. »Allerdings weiß ich nicht, wie wir es erkennen können.«

Lharinas Augen überzog ein sonderbarer Schleier, dann ritzte sie elfische Schriftzeichen und Symbole in die Erde. »Auf dem Stein, der das Portal in unserem ehemaligen Land im Süden bezeichnete, war dies eingemeißelt. Sollte es ein zweites Portal geben, werden die Zeichen vermutlich auch dort zu finden sein.«

»Gibt es zu jeder Welt mehrere Portale?«, erkundigte sich Darian gespannt.

»Das weiß ich leider nicht, und es ist auch nur eine vage Hoffnung für mein Volk.«

»Geh nicht, Lharina«, bat Leána mit traurigem Blick. Geschmeidig ließ sich Lharina auf die Knie nieder, sodass ihr grünliches Gewand wie flüssig gewordene Seide über das Gras glitt und beinahe mit ihm verschmolz. »Unsere Wege werden sich noch viele Male kreuzen, kleine Nebelhexe«, versprach sie mit einem freundlichen Lächeln, woraufhin sich Leánas Gesicht wieder ein bisschen erhellte.

Nach einer raschen Verabschiedung schwangen sich Lharina und ihr Begleiter auf ihre Pferde. »Falls ihr das Portal findet, schickt einen Boten an den Rand unseres Reiches.« In geschmeidigen Sprüngen galoppierten die Pferde fort und ließen Darian und seine Freunde mit leichter Wehmut zurück.

»Wenn sich die Elfen uns anschlössen, würde sich die Waagschale des Schicksals deutlich zu unseren Gunsten neigen.« Atorian sprach aus, was viele von ihnen dachten, aber gleichzeitig wussten sie, dass das Volk des Westens sich, ähnlich wie auch die Dunkelelfen, meist nur um seine eigenen Angelegenheiten kümmerte.

»Zumindest haben wir Lharina als Freundin gewonnen, und das einzige Samukal bekannte Portal ist jetzt geschlossen«, murmelte Darian nachdenklich, dann sah er kopfschüttelnd in den Himmel. »Wenn wir nur die Drachen zurückbringen könnten, sie fehlen mir.«

Seine Gefährten stimmten ihm wehmütig zu, dann verfielen alle in stumme Grübeleien.

»Hältst du es wirklich für sinnvoll, schon jetzt die Rückkehr der Northcliffbrüder zu enthüllen?«, meinte Mia plötzlich zu Nordhalan gewandt.

Nordhalan nickte. »Ja, in jedem Fall. Es wird noch ein beschwerlicher Weg werden, und ein Herrscher ist nur dann ein wahrer Herrscher, wenn er die Unterstützung des Volkes hat.«

»Ich sehe das wie Nordhalan«, pflichtete Atorian dem Zauberer bei, wobei er einen Fuß auf einen Stein setzte und sich mit den Armen auf sein Knie stützte. »Diese Saat braucht viel Zeit, um aufzugehen, und so müssen wir sie rechtzeitig säen. Und dieser Zeitpunkt ist jetzt.«

Mia schien zu überlegen, dann zuckte sie mit den Schultern. »Vermutlich habt ihr Recht.« Sie warf einen Blick auf Leána. »Ich dachte nur, es wäre sicherer, vorerst im Verborgenen zu bleiben.«

»Ich weiß, was du meinst«, erklärte Darian. »Auch mir ist nicht wohl dabei.«

Atorian trat vor die beiden und legte jedem eine Hand auf die Schulter. »Glaubt mir, ich kann euch beide nur zu gut verstehen. Nach all der Zeit fühle selbst ich mich unwohl bei dem Gedanken, jetzt wieder an die Öffentlichkeit zu treten. Auch hege ich Zweifel, vom Volk akzeptiert zu werden.«

Darian senkte traurig den Blick, und ein schlechtes Gewissen übermannte ihn. »Ich habe ja nicht gerade dazu beigetragen, den guten Ruf der Northcliffs zu fördern.«

»Wir alle wurden das Opfer von Intrigen und unheilvollen Geschehnissen, Darian«, entgegnete Atorian. »Lasst uns jetzt säen, und der Tag der Ernte wird kommen.«

»Wohl gesprochen, Atorian«, pflichtete ihm Nordhalan bei, und damit war es entschieden.

Dass das Portal am Stein von Alahant nicht das einzige war, welches Samukal für seine düsteren Pläne nutzte, konnte natürlich niemand wissen. Der selbsternannte Herrscher über Northcliff war gerade in Culmara beschäftigt und überwachte den Bau eines Tempels, den er, angeblich zu Ehren der Götter, erbauen ließ. Das Ergebnis war ein recht schlichtes Bauwerk, bestehend aus vier Säulen und einem hölzernen Dach. Die Bewohner Culmaras sollten dort ihre Opfergaben für die Götter abgeben, auf dass diese ihre Stadt verschonten.

Schmunzelnd beobachtete Samukal, wie schon jetzt verängstigte Bewohner mit Lebensmitteln und Beuteln, in denen vermutlich Goldstücke steckten, Schlange standen. Während der letzten Tage hatte sich herumgesprochen, dass in einem kleinen Weiler südlich von Culmara die vermeintlichen Diener der Götter gewütet hatten, weil die Bewohner angeblich nicht genügend Buße getan hatten. Zunächst war Samukal wütend deswegen gewesen, denn er hatte keinem seiner Dämonen dazu den Auftrag erteilt, aber nun stellte es sich als durchaus nützlich heraus. Von den Einnahmen, die er hier durch den Steuereintreiber Berem würde einsammeln lassen, konnte er bei den Zwergen eine weitere Straße in Auftrag geben. Zwar gaben sich die Menschen, soweit es ihm seine Propheten berichteten, viel Mühe beim Ausbau der Hauptverbindungen, aber das kleine Volk, das mit Stein vertraut war, würde noch schneller und effektiver arbeiten, und das neue Bündnis zwischen Northcliff und dem Zwergenreich konnte weiter gefestigt werden, wenn sich Samukal als großzügig erwies.

Mitten in diese vielversprechenden Überlegungen hinein spürte er ein leises Ziehen an seiner Halskette. Einer seiner Dämonen versuchte, mit ihm Kontakt aufzunehmen, und so begab sich Samukal rasch außerhalb der Stadt. Im Schatten eines Hügels verborgen, rief er nach dem Dämon.

Eine große, schlanke Gestalt, die in einen dunklen Umhang gehüllt war, manifestierte sich aus dem Schatten. Auf den ersten Blick konnte der Dämon für einen schlanken und sehr bleichen Mann durchgehen, aber wenn man genau hinsah, erkannte man, dass seine Züge nicht wirklich menschlich waren. Weiße, pergamentartige Haut spannte sich über hervorstehenden Knochen, und die Augen besaßen keine Pupillen, sondern spiegelten nur tiefste, alles verschlingende Schwärze wider. Wie immer fühlte sich Samukal in der Anwesenheit eines Dämons unbehaglich, durfte es sich jedoch nicht anmerken lassen, denn auch nur ein kleiner Augenblick der Schwäche konnte fatale Folgen haben.

»Was willst du?«, fragte er daher harsch.