Das verträumte Bistro im Sanddornweg - Kerstin Garde - E-Book
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Das verträumte Bistro im Sanddornweg E-Book

Kerstin Garde

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Beschreibung

Die kleine Straße der großen Herzen

Eigentlich müsste die junge Köchin Pauline sich auf ein Probekochen in einem Sternerestaurant vorbereiten. Aber als sie erfährt, dass das kleine Bistro ihrer Freundin Gina im Sanddornweg kurz vor dem Aus steht, fackelt sie nicht lange: Sofort schmieden die beiden Frauen einen Plan, um endlich wieder Kunden ins "Krabbenstübchen" zu locken. Natürlich können sie auf die Hilfe der Sanddornweg-Bewohner zählen! Wäre da nur nicht die schlechte Restaurantkritik, die den beiden Frauen die Suppe versalzt.

Obwohl Pauline eigentlich nur Starthilfe für den kleinen Laden geben will, merkt sie schnell, wie wohl sie sich an der Ostsee fühlt und dass ihr Herz viel mehr für das süße Bistro schlägt, als sie dachte. Und als sie dann noch den sympathischen Noah kennenlernt, ist es endgültig um sie geschehen. Aber hatte sie nicht einen ganz anderen Plan für ihr Leben?

Idyllische Ostsee, leckere Krabben und der Traum vom eigenen Restaurant - der zweite Band der warmherzigen Sanddornweg-Reihe von Kerstin Garde.

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Seitenzahl: 360

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

Weitere Titel der Autorin:

Die kleine Strandboutique im Sanddornweg

Über dieses Buch

Eigentlich müsste die junge Köchin Pauline sich auf ein Probekochen in einem Sternerestaurant vorbereiten. Aber als sie erfährt, dass das kleine Bistro ihrer Freundin Gina im Sanddornweg kurz vor dem Aus steht, fackelt sie nicht lange: Sofort schmieden die beiden Frauen einen Plan, um endlich wieder Kunden ins »Krabbenstübchen« zu locken. Natürlich können sie auf die Hilfe der Sanddornweg-Bewohner zählen! Wäre da nur nicht die schlechte Restaurantkritik, die den beiden Frauen die Suppe versalzt.

Obwohl Pauline eigentlich nur Starthilfe für den kleinen Laden geben will, merkt sie schnell, wie wohl sie sich an der Ostsee fühlt und dass ihr Herz viel mehr für das süße Bistro schlägt, als sie dachte. Und als sie dann noch den sympathischen Noah kennenlernt, ist es endgültig um sie geschehen. Aber hatte sie nicht einen ganz anderen Plan für ihr Leben?

Über die Autorin

Kerstin Garde schreibt über liebenswerte Heldinnen mit kleinen Schwächen und gefühlvolle Helden, die ihr Herz nicht verstecken. Wichtig ist ihr ein Augenzwinkern zwischen den Zeilen und eine ordentliche Portion Romantik. Die Autorin lebt mit Freund und Katzen in Berlin. Sie hat studiert und eine kaufmännische Ausbildung absolviert.

Kerstin Garde

Das verträumte Bistro im Sanddornweg

Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Clarissa Czöppan

Lektorat/Projektmanagement: Johanna Voetlause

Covergestaltung: Maria Seidel, atelier-seidel.de, unter Verwendung von Motiven © iStockphoto / Mariedofra | iStockphoto / bluejayphoto | iStockphoto/ emer1940

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 978-3-7517-0339-0

www.be-heartbeat.de

www.lesejury.de

1. Kapitel

Ich joggte an der Küste des Ostseebads Graal-Müritz entlang. Federnd gab der Sand unter meinen Turnschuhen nach, während ich den herannahenden Wellen immer wieder auswich.

Der Liebe wegen hatte ich meine Heimatstadt Rostock vor fünf Jahren mit Anfang zwanzig verlassen und mir hier ein neues Leben aufgebaut. Es hatte einige Zeit gebraucht, ehe ich das Gefühl gehabt hatte, in der kleinen Ortschaft mit ihren Häuschen mit Vorgärten, Bäderstil-Villen und verwinkelten Gassen angekommen zu sein. Nun konnte ich mir kaum etwas Entspannenderes vorstellen, als den Tag direkt am Meer zwischen der Rostocker Heide und dem Ribnitzer Großes Moor ausklingen zu lassen. Selbst im Winter duftete es hier nach Salz und Laub.

Der Ausläufer einer Welle erfasste meinen linken Turnschuh, und das Wasser spritzte dabei bis zu meinem Knie hoch, doch ich joggte unbeirrt weiter.

Das Schicksal ging manchmal seltsame Wege, überlegte ich, als mir eine Brise sanft ins Gesicht wehte. Ich hätte früher nie gedacht, dass ich Rostock je verlassen würde, aber dann hatte Nils vor mir gestanden. Groß, blond, ein echter Traummann. Liebe auf den ersten Blick – wie im Film.

Nils hatte gleich von Anfang an einen Plan für uns aufgestellt, den wir strikt verfolgten, bis heute. Erst die Karriere, später die Familie. Er nannte uns gerne Power Couple, aber in letzter Zeit lief es beruflich nicht rund für mich, und ich fühlte mich stattdessen ausgepowert.

Deswegen waren mir die Momente hier draußen, direkt an der See, so wichtig, ich konnte Kraft tanken.

Meine Strecke wurde unebener, deswegen rannte ich die Küste ein Stück wieder rauf, hielt zwischen Sträuchern und Grasbüscheln einen Moment inne.

Tief zog ich die Wollmütze in die Stirn, den Schal über die Nase. Ein kalter Nachmittag an der Ostsee, mitten im Winter. Die Gräser entlang des weißen Sandstreifens bogen sich sacht, doch stetig im Wind. In der Ferne verlor sich die Dämmerung, ging über in ein nächtliches Blau, das sich wie Seide über den Himmel zog. Um diese Jahreszeit wurde es sehr früh dunkel.

Ich genoss den atemberaubenden Anblick und richtete die Ohrstöpsel unter dem Woll-Beanie, um dann den Ton lauter aufzudrehen.

I Follow Rivers schallte mir entgegen. Ich joggte zum Rhythmus des Songs weiter, ließ mich treiben. Langsam näherte ich mich der Seebrücke, die dreihundertfünfzig Meter ins offene Meer hinausragte und um diese Uhrzeit menschenleer war. Auf Holzsäulen gestützt hielt sie den Steg und die Aussichtsplattform bei Wind und Regen sowie jedem Touristenandrang. Die Wellen umspielten die Stämme, peitschten hoch und höher, aber trotz des Windes schaffte es keine hoch genug, um die Plattform zu erreichen. Hier hatten Nils und ich uns damals kennengelernt, dachte ich mit einem warmen Gefühl in der Brust.

Ich verlangsamte meinen Schritt, merkte, dass ich allmählich außer Atem kam.

Ich brauchte eine Pause, Seitenstiche fingen an mich zu plagen, also ging ich im Schritttempo weiter und drückte mit beiden Händen in meine Seiten, in der Hoffnung, dass sie dadurch verschwanden. Plötzlich tanzte eine einzelne Schneeflocke vor mir her, als wollte sie mich zurück nach Hause scheuchen, auf die andere Seite von Graal-Müritz, wo Nils und ich ein echtes Traumhäuschen unweit der Küste bewohnten. Ich hielt sie erst für ein Glühwürmchen, bis sie auf meinem Handschuh landete und schmolz.

Noch wollte ich nicht umkehren. Ich spürte weiter die Lust am Laufen in den Beinen, wollte noch ein bisschen die Freiheit hier draußen genießen. Ich joggte noch ein Stück weiter, mit kleinen Gehpausen dazwischen. Dann blickte ich jedoch rüber zu dem prachtvollen Haus zwischen kniehohen Gräsern und Sanddornsträuchern. Meine Laune sank im selben Augenblick. Es war der erste Punkt auf meiner »Es läuft nicht rund«-Liste, an der ich derzeit zu knabbern hatte. So viel also zum Thema abschalten und Kopf frei kriegen.

Das Spitzdach mit Schiefern war wohl das Einzige, was unverändert geblieben war. Die ehemals weiß gestrichene Holzfassade ließ an das bekannte Haus am Strand von Ahrenshoop denken, nun leuchtete sie rot. Vor dem Gebäude erstreckte sich eine großflächige Terrasse, auf der noch vor kurzem viele runde Tische gestanden, Leute gesessen und gelacht und sich an kulinarischen Highlights verköstigt hatten. Jetzt war sie leer, ein paar Absperrbänder verhinderten unmotiviert, dass man sie betrat.

Die Lettern über dem Eingang, die Ristorante Emilios geformt hatten, waren abgenommen worden, das konnte ich trotz der Lichtverhältnisse erkennen. Zurück blieb an der Stelle ein heller Schatten. Langsam näherte ich mich dem Haus, knetete meine behandschuhten Hände, weil sie kalt waren und mir schwer ums Herz wurde, als ich hinter dem Absperrband das Schild mit der Aufschrift Hier entsteht eine Cocktailbar entdeckte. Es kam also kein neues Restaurant hier rein, wie schade!

Das Ristorante hatte als Institution in Graal-Müritz gegolten und bis über die Grenzen des Seebads hinaus. Ein wunderbares Familienrestaurant mit exquisiter Küche – und ich war Teil des Küchenteams gewesen. Stolz war ich jeden Tag, auch beim schlimmsten Unwetter, mit dem Rad zur Arbeit gefahren und abends zufrieden heimgekehrt, in dem Wissen, dazu beigetragen zu haben, dass das Emilios seinen Ruf verdiente.

Vor meinem geistigen Auge sah ich noch mal alles vor mir, und das leere Haus erwachte zum Leben, die Lichter gingen an, die Tür schwang auf, und Gäste traten ein. Überall dampfende Kochtöpfe, herumwirbelnde Köche, filetierte Fische und Jakobsmuscheln auf Risotto. Wie ich es geliebt hatte, Muscheln zu öffnen und anzubraten, ihren Duft nach Meer aufzusaugen, Fischfilets zu panieren oder Meerschaumcreme anzurichten. Essbare Kunst zu erschaffen. Mittendrin unser Chef Emilio, der uns wie einen Teil seiner Familie behandelt hatte. Mein erster Job nach dem Wegzug aus Rostock. Ich war so herzlich aufgenommen worden, dass es mir das Einleben in meine neue Umgebung erleichtert hatte.

Aber nun war all das vorbei, die Türen verschlossen, die Fenster dunkel. Emilio d'Alessio war in den Ruhestand gegangen. Zunächst hatte zwar sein Neffe versucht, das Emilios weiterzuführen, und immerhin hatte er den Laden zwei Monate halten können, letztlich war das Restaurant aber verkauft worden. So hatten fünf wundervolle Jahre bei Emilios für mich geendet, und ich war nun auf Jobsuche, denn keiner von uns wurde vom neuen Besitzer übernommen.

Es kribbelte mir in den Fingern, endlich wieder in der Küche zu stehen, Marinaden zuzubereiten, Fisch und Fleisch einzulegen. Ich vermisste das Gewusel und die vielen verschiedenen Gerüche wirklich sehr. Insbesondere Fisch und seine variantenreichen Zubereitungsarten hatten es mir angetan, ob mit salziger oder säuerlicher Note, nichts schmeckte mehr nach der Ostsee oder kitzelte den Gaumen intensiver.

»Du hast doch bald ein Probekochen im Von Bergen, darauf solltest du dich vorbereiten«, hatte Nils vor kurzem gesagt, bevor er zu seiner wichtigen Geschäftsreise aufgebrochen war. Und er hatte ja recht, ich sollte nach vorne blicken. Beim Von Bergen handelte es sich um ein echtes Nobelrestaurant hier im Seebad, wo eine Stelle als Poissonnier frei geworden war. Nils kannte den Besitzer und hatte sich für mich eingesetzt. Einfach so kam man heutzutage nicht an eine solche Chance, man brauchte Vitamin B, und Nils hatte es und glaubte zudem an meine Kochkünste. Da war es wieder, das Power Couple.

»Der nächste Schritt auf der Karriereleiter«, hatte Nils noch hinzugefügt. »Wenn das klappt, verbesserst du dich sogar noch! Das ist eine einmalige Gelegenheit, die darfst du nicht verstreichen lassen.«

Ich wandte den Blick vom ehemaligen Emilios ab. Ich sollte mich wirklich auf das Künftige konzentrieren, nicht auf das Vergangene.

Außerdem wurde mir allmählich immer kälter, Zeit für einen heißen Zimttee. Ich drehte mich um und joggte nach Hause zurück, den kühlen Ostseewind nun im Rücken.

Atemlos betrat ich eine halbe Stunde später unser Häuschen am Ortsrand, für das Nils, dank seines üppigen Gehalts in der Chefetage einer Bank, den Kredit in Rekordzeit abbezahlt hatte. Es war wunderschön, mit einem Sandweg, einem hübschen Vorgarten und einem Panoramafenster mit Blick auf das Meer. Laut seinem Plan würden hier eines Tages ein Junge und ein Mädchen zwischen den Erdbeer- und Petunienbeeten herumtollen, aber zuvor galt es, so weit wie möglich nach oben zu kommen auf der Karriereleiter. Das sah ich genauso. Eines Tages wollte ich Familie haben, aber erst in ferner Zukunft. Jetzt wollte ich mich auf die berufliche Laufbahn konzentrieren.

Ich schaltete mit einer kurzen Handbewegung das Licht im Flur ein.

Angenehme Wärme stieg mir entgegen, dann schlüpfte ich aus den Schuhen, legte Schal und Mütze ab und nahm erst mal eine heiße Dusche im ersten Stock, ehe ich meinen kuscheligen Bademantel überstreifte. Ich entschied dann, mir meinen leckeren Zimttee in der Küche zu machen. Im Winter gab es schließlich nichts Besseres als Tee oder Zimt, und wenn man beides in einem haben konnte, umso besser.

Der Wasserkocher kam mir ausgesprochen laut vor, was daran lag, dass es in dem Haus mucksmäuschenstill war, fast gespenstisch. Aber was erwartete ich? Nils war nicht hier.

Ich warf einen Blick auf den Kalender an der Wand, in ein paar Tagen wollte er von seiner Geschäftsreise zurück sein. Ich hatte mir den Tag seiner Heimkehr rot markiert und freute mich auf ihn und auf mehr Quality Time für uns. In den letzten Tagen und Wochen war es nur um die Fusion seiner Bank mit einem schwedischen Partner gegangen. Er hatte versprochen, dass wir nach der Reise endlich wieder mehr Zeit für uns hätten. Genau danach sehnte ich mich gerade umso mehr. Nach seinen starken Armen, seinen sanften Küssen in meinem Nacken. Ich hatte hinter ihm gestanden, zu hundert Prozent. Ich wusste, wie wichtig es ihm war, und hatte deswegen meine eigenen Bedürfnisse hintangestellt. Das hatte mir nichts ausgemacht. Aber nun wollte ich wieder mehr Wir.

Mein Blick glitt vom Kalender zu der Pinnwand daneben, an der ein Foto von uns vom letzten Italien-Urlaub hing. Ein halbes Jahr war das Bild alt, wir waren glücklich gewesen. Über uns die bunten Regenschirme der berühmten Einkaufspassage von Ferrara. Nils und ich lächelten um die Wette in die Kamera. Seine blonden Haare wehten leicht im Wind, meine waren zu einem kurzen Zopf gebunden, der denselben dunkelbraunen Farbton aufwies wie meine Augen. Ich mochte es praktisch, nicht stylisch. Nils war diesbezüglich das Gegenteil von mir, immer adrett. Zwei junge Menschen, die die Welt erobern wollten.

Der Wasserkocher war fertig, ich nahm die blubbernde Kanne hoch und goss das heiße Wasser in meine bauchige Lieblingstasse mit dem Teebeutel darin. Der zimtige Geruch breitete sich sofort in der Küche aus. Seufzend sog ich ihn ein und stellte meinen Tee ins Wohnzimmer auf den schmalen Fernsehtisch neben unserem Walnussteller. Nils liebte es, im Winter beim Fernsehen Walnüsse zu knacken. Ich warf einen Blick auf den AB, in der Hoffnung, dass er angerufen hatte, aber es blinkte kein Lämpchen. Danach zog ich mein Handy hervor, ebenfalls Fehlanzeige. Wenn ich ihn nur nicht so vermissen würde ...

Ich überlegte, ihn anzurufen, fürchtete aber, dass er gerade mitten in Verhandlungen war. In seiner Branche hielt man sich ja nicht unbedingt an Geschäftszeiten. Also legte ich mich stattdessen auf die Couch, kuschelte mich in eine Wolldecke, griff dann nach dem Ostseekrimi auf dem Tisch, den ich gerade las, und wollte mich darin vertiefen. Ich kam jedoch nicht über das aktuelle Kapitel hinaus, denn mein Handy klingelte wie auf Bestellung.

Die Decke flog zur Seite, und ich schnappte mir das Smartphone vom TV-Tisch, achtete vor Aufregung gar nicht aufs Display. Mein Herz klopfte wild, doch statt Nils' Bariton erklang eine sehr undeutliche Stimme, die ich im ersten Moment gar nicht erkannte. Ich brauchte einen Moment, ehe ich die Worte verstand.

»Pauline, die Krabbenstube steht vor dem Aus!«

Wie? Was? »Tante Trudy?«

»Du musst uns unbedingt helfen!«

2. Kapitel

Ich schnappte nach Luft.

Hatte Tante Trudy gerade wirklich das gesagt, was ich meinte gehört zu haben?

Die Krabbenstube, das Fischbistro meiner Familie, wollte seine Pforten schließen? Was war denn in letzter Zeit nur los?! Wieso machten plötzlich alle Lokale dicht, die mir am Herzen lagen?

Die Krabbenstube in Rostock-Warnemünde war immer ein Ort des Zusammentreffens gewesen – für uns als Familie und auch für unsere Gäste. Ein Ort, an dem man sich wohlfühlte und nebenbei leckere Fischbrötchen essen konnte. Hier feierte man Geburtstage, Jubiläen oder ließ es sich einfach gutgehen.

Ich liebte dieses kleine Lokal, in dem ich viele schöne Kindheitstage verbracht, meine Leidenschaft fürs Kochen entdeckt und mit meiner Cousine Gina die Ausbildung zur Köchin absolviert hatte, bevor ich wegen Nils nach Graal-Müritz gezogen war und den Job im Emilios angenommen hatte. Hier hatte meine Karriere als Köchin gestartet.

»Was ist denn passiert?«, fragte ich aufgeregt und fuhr mir mit einer Hand über die glühenden Wangen.

»Ich komme gerade von dort, hatte heute Abend Schicht in der Stube«, erklärte Trudy, die als hauptberufliche Künstlerin versuchte, sich mit dem Kellnerjob über Wasser zu halten. Sie war die beste Servierkraft weit und breit, hatte immer einen witzigen Spruch auf den Lippen und gehörte zum Inventar. So aufgewühlt wie jetzt erlebte man sie selten.

»Ich hab es alles aus erster Hand mitbekommen. Die ganze schlimme Entwicklung. Seit die arme Gina die Leitung der Stube von Yvonna und Tobias übernommen hat, geht alles schief, was nur schiefgehen kann. Und dann stand auch noch vor kurzem diese scheußliche Kritik über die Stube in der Zeitung, im Rostocker Tagesblatt. Du weißt ja, was das für eine Auflage hat! Darauf kamen immer weniger Gäste. Das hat Gina den Boden unter den Füßen weggezogen. Heute Abend, als das Bistro leer geblieben ist, hat sie die Konsequenzen gezogen. Sie will nie wieder einen Kochlöffel in die Hand nehmen! Das müssen wir ihr ganz schnell ausreden. Ohne Küche kein Bistro!«

Das war ja furchtbar.

Noch ein Punkt auf meiner »Nichts läuft rund«-Liste.

Die arme Gina!

»Ach Paulinchen, ich weiß mir nicht zu helfen! Ich hab ihr gesagt, dass das alles wieder besser wird, nur eine Durststrecke ist. Sie hört nicht auf mich, ich rede mir den Mund fusselig, um sie zu überzeugen weiterzumachen. Du bist meine letzte Hoffnung, dir hört sie vielleicht zu.«

Trudy klang so mitgenommen, dass ich keinen Zweifel mehr am Ernst der Lage hatte.

»Aber natürlich helfe ich. Ich rede mit ihr.« Meine Cousine würde ich nicht im Stich lassen, sie war für mich wie Schwester und beste Freundin in einem. Wir hatten so einigen Mist zusammen durchgestanden, vom ersten Rauchen einer Zigarette, nach der uns beiden mächtig übel geworden war, bis hin zu dem Typen aus der Parallelklasse, der mit uns beiden gleichzeitig gegangen war, was aber schnell rausgekommen war. Nur bei der Beckham-Welle hatte ich gekniffen, aber die rasierten Seiten hatten ihr gestanden.

Wir hatten immer zusammengehalten. Das würden wir auch diesmal. Uns zwang doch keine Zeitungskritik in die Knie!

Und schon gar nicht kam es infrage, dass ich zuließ, dass das Familienbistro dichtmachte. Es war das Herzstück unserer Familie. Ein Wohlfühlort mit unendlich vielen Erinnerungen.

»Danke, Pauline! Du bist ein Engel! Komm am besten runter, wir sollten keine Zeit verlieren. Es sei denn, Nils will dich heute Abend ganz für sich. Dann sag ihm, dass es nicht anders geht!«

»Er ist gar nicht da. Aber was meinst du mit runterkommen?«

»Ich steh mit dem Smart vor deinem Haus. Wir können gleich los zur Krabbenstube! Die Strecke schaffen wir in einer halben Stunde.«

Ähm ... sie ist schon da? Sie musste das wirklich als absoluten Notfall einstufen, der nicht bis morgen warten konnte. Ich machte mir Sorgen. Aber was hätte sie gemacht, wenn ich nicht sofort Zeit gehabt hätte? Solche Fragen stellte man sich besser gar nicht erst. Denn die Antwort war immer dieselbe: Es war Tante Trudy!

Pflichtbewusst folgte meine Tante den Anweisungen des Navis, welches uns in einer wohlklingenden männlichen Stimme den schnellsten Weg zum Sanddornweg in Rostock-Warnemünde heraussuchte, wo sich die Krabbenstube befand.

Trudy trug einen silbernen Steppmantel, der offen war, darunter erkannte ich einen Cordrock, einen ellenlangen Strickschal und lange gestreifte Strümpfe. Sowie eine Kellnerschürze. Die hatte sie wohl vergessen abzunehmen, hatte sie doch erwähnt, dass sie direkt von der Krabbenstube hergekommen war. Man musste es ihr aber lassen: Mit Anfang fünfzig konnte sie solche Outfits locker tragen. Man würde sie mit ihrem frechen dunkelblonden Bob ohnehin deutlich jünger schätzen. Ich saß in einer schlabberigen Hose, die ich mir rasch übergezogen hatte, und meiner Winterjacke auf dem Beifahrersitz und war dankbar für die angenehme Innentemperatur. Weniger dankbar war ich für den eigenwilligen Fahrstil meiner Tante, sie schien immer am Tempolimit zu fahren, und beunruhigend oft blickte sie zu mir statt auf die Straße. Von ihren ausgelatschten Tretern, die immer vom Pedal rutschten, wollte ich gar nicht erst anfangen.

Trudy legte ihre Hand auf meinen Oberschenkel und beugte sich zu mir vor. »Finde ich wirklich klasse, dass du so spontan bist, Line«, lobte sie mich und bretterte durch die Rostocker Heide, die zu dieser Jahreszeit vollkommen kahl war. Die spindeldürren Bäume rauschten ans uns vorbei, als würden sie auf Stelzen laufen.

Ich deutete leicht eingeschüchtert mit dem Finger auf die Straße. Zum Glück verstand Trudy den Wink und setzte sich wieder gerade hin, den Blick nach vorne.

»Entschuldige auch meinen Überfall, ich wusste mir nicht anders zu helfen. Gina ist so deprimiert, dass sie keinen Kochtopf mehr anrührt, die Küche ist quasi dicht. Und als ich vorhin dort war und niemand kam, hat sie das Handtuch geworfen. Buchstäblich. Ich meine, die Stube war wirklich leer. Abends! Wo wir sonst immer volles Haus haben ... Sie hat geweint und gerufen: ›Das war's!‹«

Was hatte denn nur in der Kritik gestanden, dass es solche Auswirkungen auf die Kundschaft nach sich zog und meine Cousine derart aus der Bahn geworfen hatte?

»Warte kurz, ich schau mir das genauer an«, kam mir die Idee. Was im Tagesblatt stand, stand auch online.

»Nur zu!«

Ich zog mein Handy aus der Umhängetasche und googelte. Schnell wurde ich fündig und rief den Link auf, der mich zur Webseite des Rostocker Tagesblatts führte. Der Artikel war vor zwei Wochen erschienen. Einige Stellen las ich vor: »Ich probiere den Spezial-Krabbenburger namens Holy Crab Bun ...«

Eigentlich war's ja ein Brötchen, aber gut. Der Name des Gerichts ließ mich erst mal stutzen. Eine Anspielung auf Holy Crap, was im Englischen »Heiliger Strohsack«, in diesem Fall aber »Heilige Krabbe« bedeutete. Nur wieso hatten die Speisen englische Namen und dann auch noch solche? Das war früher nie so gewesen. Ein Spezialkrabbenbrötchen war immer ein Spezialkrabbenbrötchen gewesen, nicht mehr, nicht weniger. Was hatte Gina sich dabei gedacht? Aber ich las erst mal weiter.

»Angeblich das beste Gericht des Hauses. Aber labberige Krabben ohne Würze, ohne Finesse auf einem weichen Brötchen, das sicher zwei Tage alt war, lösten eher Unbehagen bei mir aus.«

»Ganz schön unter der Gürtellinie«, sagte Trudy entrüstet.

Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Gina Uralt-Fischbrötchen angeboten hatte.

»In meiner langjährigen Laufbahn als Restaurantkritiker habe ich schon so einige schlecht geführte Restaurants gesehen, aber keines davon kann der Krabbenstube in Sachen mangelnder Atmosphäre, unausgegorener Küche und patzigem Personal das Wasser reichen.«

Der Kritiker schwadronierte über angebliche Bauchschmerzen, die er noch am nächsten Tag gehabt hätte, und verriss das Bistro komplett. Kein einziges gutes Wort hatte er dafür übrig.

Keine Ahnung, wo er gegessen hatte. Vielleicht in einem Paralleluniversum.

Kein Wunder, dass Gina sich das zu Herzen nahm. Der Kritiker schien das ja auch direkt auf sie zurückzuführen. Wortwörtlich stand da: Die neue Inhaberin hat ein erfolgreiches Lokal gnadenlos an die Wand gefahren. Fazit: Die Krabbenstube hat ihren Zenit überschritten. Eine Einrichtung ohne Flair.

»Ach Schiet«, sagte ich, als ich ein Foto des Autors unter dem Artikel entdeckte. Mittleres Alter, Stirnglatze, fieser Blick. Der Verfasser des Verrisses war niemand Geringeres als Christoffer Lantz, der als absoluter Experte der Ostsee-Küche galt. Seine Meinung hatte Einfluss und war gleichermaßen unter Gastronomen gefürchtet. »Ich bin wirklich so was von sauer auf diesen Kerl!«, schimpfte Trudy. Inzwischen hatten wir die Rostocker Heide hinter uns gelassen und fuhren durch den Stadtteil Hohe Düne, entlang der Küste. Nachdenklich schaute ich aus dem Beifahrerfenster. Im gleichmäßigen Takt rollten die nachtdunklen Wellen an Land und wieder zurück. »Das ist bestimmt ein ganz unzufriedener, einsamer Mensch, der sich bei anderen aufspielen muss, um wer zu sein!«, fuhr sie fort.

Plötzlich schwankte der Wagen.

Trudy hatte beide Hände vom Lenkrad gelassen und wedelte mit den Händen in der Luft, als wollte sie den Kritiker würgen.

»Das Steuer!«, rief ich.

Trudy lachte, dabei schüttelte sie den Kopf leicht, sodass ihre ellenlangen Ohrringe klimperten, und umschloss das Lenkrad wieder. »Ups ...«

»Du steuerst uns noch ins Meer«, schimpfte ich.

»Mein Wagen sieht tatsächlich saftig aus, er könnte mal wieder eine Wäsche vertragen.«

Ich fand das nicht wirklich lustig, aber Trudy meinte mich beruhigen zu können, indem sie auf zwei kleine rosa Kristalle deutete, die an einer Kette von ihrem Rückspiegel baumelten. »Keine Sorge, Linchen, die beschützen uns«, versicherte sie mir. Ich hatte es fast vergessen. Trudy war nicht nur Künstlerin, sie glaubte auch an die energetische Wirkung von Kristallen auf ihr Umfeld, wie sie es formulierte. Dazu hatte sie eigene Studien durchgeführt und selbständig ermittelt, welche Kristalle was bewirkten, denn die offiziellen Quellen waren ihrer Ansicht nach Humbug.

»Kann also nichts passieren.«

Wirklich überzeugend ...

Trudy schlenkerte erneut etwas. Aber dann fing sie sich. Ich atmete einige Male tief durch und bereute es, nicht meinen Wagen genommen zu haben und ihr einfach nur hinterhergefahren zu sein.

»Lantz hat Einfluss, aber ich verstehe immer noch nicht, wie seine Kritik allein solche Auswirkungen haben kann. Zumindest die Stammkunden kommen doch gewiss noch«, lenkte ich aufs Ursprungsthema zurück.

»Ich verstehe das auch nicht, Liebes. Zumal ja jeder mit Verstand sofort merkt, dass die Kritik an den Haaren herbeigezogen ist. Nun ein paar Gäste aus dem Sanddornweg und der Umgebung halten uns schon die Treue. Aber es sind nicht viele. Da haben sich viele wohl was Neues gesucht, gibt ja einige Alternativen nah am Strand. Dabei hat Gina sich solche Mühe gegeben, ihre Vorstellungen im Bistro zu verwirklichen: neue Speisekarte, neues Ambiente, alles so richtig hip!«

Oh, daher auch der Holy Crab Bun? Gina war ja schon immer ein bisschen ausgeflippt gewesen, aber ob das eine gute Idee gewesen war? Die Krabbenstube war doch mehr ein Traditionslokal. Ich war auf die Veränderungen gespannt.

»Was sagen denn Onkel Tobias und Tante Yvonna wegen der Entwicklung?« Ginas Eltern hatten als Vorbesitzer der Krabbenstube sicher eine Meinung dazu.

»Ich habe mit ihnen schon telefoniert. Yvonna wollte natürlich sofort nach Warnemünde zurückkommen, um Gina beizustehen, aber ich hab ihr gesagt, dass Tobias und sie sich mal lieber um die Probleme ihres Fischsupermarkts kümmern sollen und dass ich hier ein Auge auf alles habe. Wir können keine zwei Läden in Schwierigkeiten brauchen, außerdem habe ich meiner lieben Schwester erklärt, dass Gina stärker ist, als sie glaubt. Und vor allem, als Gina selbst es glaubt.«

Onkel Tobias hatte vor ein paar Monaten ein altes Haus in Travemünde geerbt und seinen Traum vom eigenen Fischsupermarkt prompt wahrmachen wollen. Mit Yvonna und meinen Eltern als Unterstützer hatte er sich direkt ans Werk gemacht. Mama und Papa fungierten nicht nur als Geldgeber, sie packten auch richtig mit an, hatten sogar ihren kleinen Kiosk verkauft und ihren Lebensmittelpunkt ins anderthalb Autofahrtstunden entfernte Travemünde verlegt. Ich fand es klasse, dass sie sich noch mal was Neues aufbauten. Allzu weit weg war Travemünde ja zum Glück auch nicht. Und nach langer Vorbereitung, inklusive Umbau und Organisation, war der Markt vor ein paar Wochen eröffnet worden. Klar, ein neues Unternehmen hatte ganz besonders am Anfang mit vielen Unwägbarkeiten zu kämpfen. Außerdem hatte es einen Wasserrohrbruch im Lager gegeben, der zu weiteren Verwicklungen geführt und alle beschäftigt gehalten hatte. Ich stimmte Trudy zu, dass wir das Problem mit der Stube erst mal allein angehen sollten.

»Wenn du Gina dazu bringst, die Küche wieder zu betreten, ist ja schon viel gewonnen.«

Ich nickte.

Trudy drehte an ihrem altmodischen Radioknopf herum, bis Fantasy von Earth, Wind & Fire aus den Lautsprecherboxen erklang. Während sie noch nach einer besseren Frequenz suchte, wankte ihr Wagen wieder, und ich krallte mich in meinem Sitz fest ...

3. Kapitel

Ich war froh, als wir mit der Auto-Fähre nach Warnemünde übersetzten, auf unserem Weg niemanden umfuhren und irgendwann in den Sanddornweg einbogen. Inzwischen war es Abend, und jahreszeitbedingt so dunkel wie in tiefster Nacht. Trudys Fahrstil hatte ziemlich viel Adrenalin durch meine Venen gepumpt. Doch der Anblick der kleinen Einkaufsstraße, in die wir eingebogen waren, hatte eine beruhigende Wirkung auf mich. Rechts und links reihten sich entzückende schiefe Häuschen aneinander. Oben, direkt unter krummen Mansardendächern, waren Wohnetagen, darunter kleine Lädchen. Eins neben dem anderen, und jedes für sich einzigartig.

Ich bestaunte die einzelnen Geschäfte im Licht der Straßenlaternen: Fahrradverleih, Blumengeschäft, Souvenirshop. Als sähe ich sie zum ersten Mal, und zugleich war es ein Gefühl, als würde ich nach Hause kommen. Zwar war ich im Stadtteil Lütten Klein groß geworden, aber meine Eltern waren mit mir so oft hier gewesen, dass mir beim Anblick des Sanddornwegs warm ums Herz wurde und ich ihn wie ein zweites Zuhause empfand.

»Ich hatte fast vergessen, wie schön es hier ist«, sagte ich leise.

»Wie lange bist du denn nicht mehr hier gewesen?«, wunderte sich Trudy.

»Ein halbes Jahr, mindestens.« Die Äste der Bäume waren kahl. Ein Hauch von Schnee lag auf ihnen, morgen früh würde er weg sein.

»Da hat sich inzwischen aber einiges verändert«, meinte Trudy und fuhr langsamer. »Aber manches ist auch gleich geblieben«, fuhr sie fort. »Hier, sieh mal, Buchmann's, den Buchladen, gibt's noch.« Trudy deutete zu dem Geschäft zu meiner Rechten. Es war spät, der Buchladen hatte schon geschlossen, doch es war schön, dass er noch existierte.

»Und aus der Änderungsschneiderei ist eine Strandboutique geworden, die Viola mit ihrer Enkelin Lou im Sommer eröffnet hat. Sieh mal, dieser Schal hier ist von ihrem eigenen Label.« Trudy löste eine Hand vom Steuer, um mir einen Strickschal mit Ankermuster zu zeigen. In der Tat ein wunderschöner Strickschal. Gefiel mir super, ich musste mir die Boutique bei Gelegenheit unbedingt ansehen.

Am Ende des Wegs ragte ein altertümlicher Torbogen auf, der zwei Gebäude miteinander verband. Eines davon war das Sanddorn Hotel, das Haus gegenüber mit gelblichem Anstrich die gute alte Krabbenstube. Mein Herz klopfte vor Euphorie ein wenig schneller, als ich sie sah. Ein typisches Ostsee-Lokal mit Ostsee-Küche, das Touristen stets angelockt hatte. Zugleich fielen mir aber auch die bunten Neonlichter an den Schaufenstern auf. Okay, das war weder das, was ich erwartet hatte, noch hatte es Ostsee-Flair. War wohl Teil von Ginas Modernisierungsaktion.

Trudy parkte ihren Smart ruckelnd vor dem Bistro. Als ich mich abschnallte, merkte ich erst, wie ich mich während der Fahrt verkrampft hatte.

Wir stiegen aus, und ich musterte die Neonlichter. No crap, eat crab leuchtete mich einer von mehreren Sprüchen aus Lichtröhren an. Ich musste zugeben, ein bisschen kam ich mir vor wie im falschen Film. Wie war Gina nur auf diesen Trichter gekommen? Und ein Blick durch die großen Schaufenster ins Innere offenbarte: Es ging in dem Stil weiter. Dort hingen irgendwelche Filmplakate, wo früher ein Fischernetz für See-Atmosphäre gesorgt hatte. Das war überhaupt nicht der Stil der alten Krabbenstube ...

Wir gingen zu der Tür an der Seite des Hauses, die über einen Hausflur in die Wohnetage führte. Trudy klingelte erst ein Mal, dann zwei Mal und schließlich Sturm. Da Gina nicht reagierte, klopfte sie sodann energisch gegen das Holz.

»Jetzt mach uns schon auf, Gina«, rief Trudy, und dann endlich ging ein Stockwerk drüber das Licht an, und Gina schaute aus dem Fenster. »Du kannst gleich wieder gehen! Nichts wird meine Meinung ändern. Die Stube bleibt zu!«, rief sie lallend und knallte das Fenster zu, ehe wir was sagen konnten.

4. Kapitel

»So nicht, junge Dame!« Trudy hatte einen langen Atem, das musste man ihr lassen, unbeirrt klingelte sie weiter, bis Gina keine Wahl blieb, wenn sie heute noch eine ruhige Minute haben wollte. Wir hörten ihre wütenden Schritte auf der Treppe bereits durch die Tür.

Verärgert öffnete sie und lugte durch den Türspalt, die Haare zu einem Pixie geschnitten und schwarz gefärbt. Sie mochte freche Frisuren und wechselte gefühlt alle zwei Wochen die Haarfarbe, seit ich denken konnte. Immer hatte sie Fröhlichkeit ausgestrahlt. Aber nun sah ich jemanden mit dunklen Augenringen vor mir, der trotz junger Jahre verlebt wirkte. Ich erschrak direkt, versuchte aber, es zu verbergen. Wo war die unbeschwerte junge Frau hin, mit der ich hätte Pferde stehlen können zu jeder Zeit?

»Weißt du eigentlich, wie spät es ist? Du hast mich aus dem Bett geholt, Tante Trudy«, ächzte sie. Ihre Stimme klang wenig fest, ich bemerkte auch eine leichte Fahne.

»Es ist grade mal halb zehn, noch nicht mal Ladenschluss, aber du bist schon im Bett.« Normalerweise machte die Stube um zwölf Uhr dreißig auf, und die Küche schloss ab zehn abends. Je nachdem, wie viele Gäste dann noch da waren, war der Ladenschluss flexibel.

»Du weißt, wieso ich die Pforten schließen musste, das haben wir schon dis...kutiert!«

»Diskutiert haben wir nichts, du hast Marco und mich vor vollendete Tatsachen gestellt. Außerdem hast du uns vorhin regelrecht rausgeworfen.«

Gina musste wirklich sehr aufgebracht gewesen sein, denn so ein Verhalten war völlig untypisch für sie. Sie war der herzlichste Mensch, den ich kannte. Dass sie nun so anders war, versetzte mir einen Stich.

Und dann erst sah sie mich. Mir schlug das Herz bis zum Hals, als sich ihre Augen schlagartig verengten.

»Was will die denn hier?«, fragte Gina verärgert. Ich hatte nicht mit so einer Reaktion gerechnet, verspürte ich doch viel mehr den Drang, sie zu umarmen und zu trösten.

»Musst du nicht irgendetwas total Wichtiges in deinem geliebten Graal-Müritz machen?«

»Was meinst du?«, fragte ich verwirrt, es gab im Moment nichts Wichtigeres als das hier. Unser Familienbistro war nicht mehr wiederzuerkennen, und dann wollte Gina es auch noch aufgeben!

Gina winkte ab.

»Pauline ist aus demselben Grund hier wie ich – wir wollen dir helfen.«

»Gibt nichts zu helfen! Die Krabbenstube hat ihren Zenit überschritten. Lest Zeitung, da steht's schwarz auf weiß.«

»Seit wann gibst du denn was darauf, was irgendwelche Zeitungsfritzen denken?«, forderte Trudy Gina heraus.

Die verschränkte die Arme vor der Brust. »Seit deswegen fast keiner mehr in die Stube kommt. Und ihr solltet nun auch gehen, ich will allein sein.«

Ich musste nur an das Neongeschwader denken und war mir doch recht sicher: Es lag nicht an der Kritik allein.

»Wir wollen nur mit dir reden«, sagte ich ruhig. »Dagegen kannst du doch nichts haben.«

Gina rollte mit den Augen, die Hand schon am Griff, denn die Tür bewegte sich schnell in Richtung Schloss, bis Trudy ihren Fuß dazwischenschob.

»Dir ist klar, wenn du uns die Tür vor der Nase zuschlägst, klingel ich die ganze Nacht durch.«

Wenn Trudy so etwas sagte, musste man es ernst nehmen. Sie brachte das wirklich fertig. Das wusste auch Gina, die seufzend die Tür aufzog. »Also gut, kommt rein«, sagte sie schnippisch, und kurz darauf saßen wir in dem rustikalen Wohnzimmer, das noch Tobias' und Yvonnas Handschrift trug, von den beiden leeren Bierflaschen auf dem TV-Tisch abgesehen.

Gina verschwand in der Küche und kam wenig später mit einem Tablett zurück, auf dem drei dampfende Teetassen standen. Sie stellte dieses auf dem Tisch ab und ließ sich in den Sessel plumpsen. Ihre Augen wirkten verquollen und gerötet, sie tat mir ehrlich leid. Bestimmt hatte sie geweint. Sie nahm einen kräftigen Schluck aus einer Wasserflasche, die sie unter dem Tisch hervorzog. Dann klopfte sie sich mit der flachen Hand im Wechsel auf die linke und die rechte Wange, als wollte sie sich selbst wacher machen.

»Ich weiß eure Sorge zu schätzen«, sagte sie nun klarer und viel versöhnlicher. »Aber in den letzten zwei Wochen, seit dem Erscheinen der Kritik, ist mir einfach klar geworden, dass Lantz recht hat: Ich sollte mir den Traum vom eigenen Bistro aus dem Kopf schlagen, ich bin weder als Köchin noch als Gastwirtin geeignet. Ich hab's vielleicht als Urlaubsvertretung meiner Eltern hingekriegt. Aber das hier ist 'ne Nummer größer. Das ist halt so: Nicht jeder hat Talent für das, was man liebt.«

Dabei war das immer Ginas großer Traum gewesen, die Krabbenstube eines Tages selbst zu führen. Seit ihrer Ausbildung hatte sie sich darauf vorbereitet. Ich wusste das, weil wir sie zusammen hier in dieser Küche einen Stock tiefer absolviert hatten. Herrje, Gina hatte überhaupt erst meine Liebe zum Kochen geweckt, weil sie unermüdlich in der Küche geholfen und köstlichste Fischsnacks zubereitet hatte.

»War denn an dem Tag, als Lantz da war, was passiert? Ich meine, das alte Brötchen und patziges Personal passen doch gar nicht zur Krabbenstube, wie man sie kennt.«

Gut, das taten Neonschilder auch nicht ...

Gina zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht, es schien ihm einfach nicht bei uns zu gefallen. Über die Speisekarte hat er sogar gelacht. Dabei war ich doch so stolz auf die ganzen Neuerungen in der Stube mit Charme und Witz, versteht wohl nicht jeder. Ich wollte mehr mit der Zeit gehen, meine Vorstellungen verwirklichen. Seit ich wusste, dass ich das Bistro bald übernehme, hab ich mir Gedanken dazu gemacht, wie ich mehr junge Leute anlocken kann, vorher war es doch arg verstaubt.«

Es fiel mir wirklich schwer, das zu sagen, aber ich musste ja ehrlich zu Gina sein. »Das, was du als verstaubt bezeichnest, war das, was die Leute an der Stube liebten. Moderne Lokale sind super, keine Frage, aber unser Familienbetrieb ist eben durch und durch ein Ostseelokal.«

Sie hatte mit den Änderungen nicht neue Kundschaft angelockt, sondern alte verschreckt. Klassisches Eigentor.

»Da seht ihr es! Ich hab alles ruiniert«, ging Gina ein Licht auf, und erneut schossen ihr Tränen in die Augen.

»Uns fällt schon was ein, wie wir wieder mehr Leute herlocken können. Trudy und ich helfen dir, du bist ja nicht allein«, versuchte ich sie aufzumuntern.

Gina schien darüber nachzudenken, ließ den Kopf aber hängen, schüttelte ihn schließlich.

»Du hast doch völlig recht, ich hab ein gut laufendes Lokal in diese grelle Neonhölle verwandelt. Und ich dachte noch, ich tu was Gutes! Auch Mama hat recht. Wir sollten das Lokal verkaufen.«

Nun klappten Trudy und mir gleichzeitig die Kinnlade runter.

»Was sagst du?«, fragte ich bestürzt.

»Ich hab vorhin mit ihr telefoniert, kurz nachdem ich den Laden geschlossen habe. Und sie meinte, wenn mich das alles überfordert, würden Papa und sie die Stube verkaufen.« Sie zog die Nase hoch.

»Du hast hoffentlich nicht zugestimmt?«, meinte ich. Das wäre ja wirklich die schlechteste Lösung. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass Tante Yvonna und Onkel Tobias das wirklich wollten.

»Ich habe noch gar nichts gesagt«, blaffte Gina mich an und hickste hinterher. »Nur, dass ich drüber nachdenke.«

»Gina, du bist hier aufgewachsen, niemand ist stärker mit der Stube verbunden als du!«, erinnerte ich sie. Das hier war ihr Zuhause. Wir alle liebten die Krabbenstube, wir alle hatten unsere Erinnerungen an das kleine Fischlokal mit seinem verträumten Ambiente, aber Gina war es gewesen, die als kleiner Dreikäsehoch über den Flur in der Wohnetage gewetzt war, den Sanddornweg mit ihren Streichen unsicher gemacht hatte oder die ihrer Mama von klein auf in der Küche hatte helfen wollen. Aber all das schien sie im Moment vergessen zu haben.

»Bedeutet dir die Stube denn gar nichts mehr? Es ist doch schon schade genug, dass unsere Familie so plötzlich in alle Windrichtungen verteilt ist, da können wir nicht auch noch auf unser Herzstück hier verzichten«, sagte Trudy betrübt.

»Ich will das alles auch gar nicht!«, klagte Gina.

»Aber ich hab keine Kraft mehr! Vielleicht könnt ihr es ja besser als ich? Ja, versucht ihr es.«

Trudy und ich tauschten Blicke aus.

»Ich überlasse die Krabbenstube euch. Vielleicht gelingt es euch ja, das Image des Bistros zu retten. Dann muss es auch nicht verkauft werden. Macht alles rückgängig, was ich verändert hab, es war sowieso eine Schnapsidee.«

Als Gina abermals anfing zu weinen, tat sie mir so leid, dass ich sie am liebsten umarmen wollte. Doch da war irgendwie eine Art Mauer, die sie um sich gezogen hatte und die mich abhielt. Ich wollte ihr keinesfalls zu nahe treten.

»Vielleicht brauchst du eine Auszeit, um dich zu ordnen. Wir könnten erst mal etwas aufräumen und dich vertreten. Pauline hat doch Erfahrung im Leiten von Restaurants«, überlegte Trudy, und ich nickte langsam. Vor dem Aus des Emilios hatte ich tatsächlich in der Urlaubszeit des Chefs die Leitung übernommen.

»Ich bin gerade auf Jobsuche, da hätte ich etwas Zeit zwischen jetzt und dem nächsten Bewerbungsgespräch. Wenn wir die Stube in diesem Zeitraum in ihr altes Selbst zurückverwandeln, kommen vielleicht auch ein paar Gäste wieder. Das Konzept hat immerhin seit der Wende funktioniert, und die doofe Kritik fällt dann vielleicht auch nicht mehr so ins Gewicht. Ich überlege mir einen Plan, wie wir das hinbekommen können.« Der Zeitdruck wäre groß.

Gina nickte, erhob sich mit verweintem Gesicht und verließ das Zimmer mit dem Versprechen, gleich zurück zu sein.

»Ich habe sie noch nie so gesehen«, sagte ich leise und voller Sorge.

»Es bricht einem das Herz. Wir müssen es irgendwie anstellen, die Stube wieder zum Laufen zu bekommen. Wenn uns das gelingt, dann kehrt vielleicht auch Ginas Motivation zurück, und sie übernimmt wieder das Ruder. Soll sie sich ein paar Tage freinehmen, die nutzen wir dann, um alles auf Vordermann zu bringen.«

Vielleicht konnten wir so dem Verkauf der Krabbenstube entgegenwirken. Einen Versuch war es jedenfalls wert.

Kurz darauf kam Gina mit einem Schlüsselbund zurück, den sie mir in die Hand drückte.

»Die Krabbenstube ist mir wichtig. Und ich weiß, dass sie dir auch was bedeutet. Daher vertraue ich dir und Trudy ihr Schicksal an. Tu, was du für nötig hältst. Ich hoffe, sie bleibt bestehen. Aber ich bin im Moment nicht zu gebrauchen.«

Sie ging erneut Richtung Tür. »Ich bin müde und geh jetzt ins Bad«, kündigte sie an und verschwand.

Mein Blick wanderte zu den Teetassen, keine von uns hatte sie angerührt, alle waren zu aufgewühlt gewesen. Ich fasste einen Entschluss. Es war keine gute Idee, Gina jetzt allein zu lassen. Vielleicht brauchte sie noch jemanden zum Reden oder einfach das Gefühl, dass jemand da war.

»Ich bleibe heute Nacht lieber bei ihr.« Zwar hatte ich keine Sachen dabei, aber ich würde sicher was hier im Haus finden.

»Das finde ich super von dir!«, meinte Trudy sichtlich erleichtert.

Ich brachte meine Tante noch runter. Draußen schob ich einen kleinen Keil unter die Tür, um sie offen zu halten. Wir schlenderten zur Straße. Das gedimmte Licht der Straßenlaternen spiegelte sich in den feuchten Spuren aus geschmolzenem Schnee.

»Was machen wir, wenn Gina nicht zurückkehrt?«, überlegte ich sorgenvoll. Ich hatte nur begrenzt Zeit auszuhelfen, denn mein Bewerbungskochen war bald.

»Das überlegen wir uns, wenn es so weit ist. Dann ziehen wir Yvonna und Tobias zu Rate. In jedem Fall wird die Stube nicht verkauft«, meinte Trudy entschlossen.

Da waren wir uns einig.

»Außerdem, ich kenne unsere Gina, ich bin sicher, sie kehrt zurück, wenn sie erst sieht, wie sich die Krabbenstube unter deiner Leitung wieder macht«, war Trudy sich sicher und schloss ihre Wagentür auf. Sie schien großes Vertrauen in meine Fähigkeiten zu haben, was mich ehrte.

»Wenn wir morgen schon um zehn da sind, können wir schon mal alles in Ordnung bringen und pünktlich um halb eins aufmachen.«

Ich nickte, das klang nach einem Plan.

Wichtig war, dass die Krabbenstube ihr altes Gesicht zurückbekam und am Laufen blieb. Dass die Leute sahen, dass es uns noch gab und man hier nach wie vor gemütlich beisammensitzen und Ostsee-Schmaus genießen konnte!

Sie stieg in den Smart und bretterte los. Ich atmete tief ein, blickte den Sanddornweg runter, der so friedlich vor mir im Dämmerlicht der Laternen lag, und beobachtete kleine Schneeflocken, die durch die Luft tanzten.

Wir mussten die Krabbenstube retten, sie gehörte hierher, und Gina tat es auch.

5. Kapitel

Mein Handy bimmelte mich am nächsten Morgen aus dem Schlaf, ich erschrak, mich im Wohnzimmer über der Krabbenstube wiederzufinden, und musste mich erst orientieren. Offenbar war ich im Sessel eingeschlafen, Gina und ich hatten noch etwas über alte Zeiten und unsere gemeinsame Kochausbildung geredet, dann war sie auf der Couch eingeschlafen, wo sie jetzt aber nicht mehr lag. Ich zog mein Handy aus meiner Umhängetasche. Ein Blick aufs Display verriet, dass es Nils war. Ich hätte es am Klingelton erkennen müssen, war aber noch nicht ganz da. Das änderte sich im selben Moment.

Sofort war ich hellwach.

»He, Pauline, tut mir leid, dass ich gestern nicht mehr angerufen habe, es hat sich einfach nicht ergeben. Hach, was ist das wieder für ein Wetter, ich steh grad auf dem Deck«, meldete er sich gut gelaunt. Er ahnte nicht, was hier alles passiert war oder wie sehr er mir fehlte. Gerade jetzt, da ich das Gefühl hatte, mir würde die Decke auf den Kopf fallen.

»Es ist schön, deine Stimme zu hören«, sagte ich. Das war es wirklich.

»Wie ist es auf dem Schiff, und wie kommt ihr mit den Verhandlungen voran? Bist du zufrieden?«

Ich hörte im Hintergrund die Wellen rauschen. Ein wenig ungewöhnlich war es schon, Fusionsverhandlungen zweier Banken während einer mehrtägigen Skandinavien-Kreuzfahrt zu tätigen. Aber man gönnte sich ja sonst nichts.