Die traumhafte Konditorei im Löwensteg - Kerstin Garde - E-Book

Die traumhafte Konditorei im Löwensteg E-Book

Kerstin Garde

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Beschreibung

Kuchenduft und Ostseezauber

Konditorin Nova erlebt eine Überraschung, als ihre Tante Agnes ihr erzählt, dass sie auswandern will. Nova soll deren kleines Café "Bei Agnes" weiterführen. Voller Tatendrang stürzt sich die junge Frau in das Abenteuer. Sie stellt den sympathischen Nathan als Konditor ein und arbeitet ununterbrochen, um den Traum vom eigenen Laden zum Erfolg zu führen. Doch das ist leichter gesagt als getan, denn eine lärmende Baustelle vertreibt die Gäste, und noch dazu bringt Nathan Novas Herz ganz schön zum Stolpern. Zum Glück halten die Bewohner des Löwenstegs fest zusammen und unterstützen Nova, wo es nur geht. Und manchmal braucht es eben nur einen Schubs in die richtige Richtung, um das große Glück zu finden.

Der zweite Band zur neuen warmherzigen und romantischen Feel-Good-Liebesroman-Reihe von Kerstin Garde. Eine zauberhafte Straße, jede Menge Ostseeflair und ganz viel Gefühl.

Die weiteren Bände der Reihe:
Der kleine Trödelladen im Löwensteg
Das gemütliche Gasthaus im Löwensteg (erscheint im März 2024)

Entdecke auch die Sanddornweg-Reihe der Autorin:
Die kleine Strandboutique im Sanddornweg
Das verträumte Bistro im Sanddornweg
Der zauberhafte Souvenirladen im Sanddornweg

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

Über die Autorin

Weitere Titel der Autorin

Impressum

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Über dieses Buch

Konditorin Nova erlebt eine Überraschung, als ihre Tante Agnes ihr erzählt, dass sie auswandern will. Nova soll deren kleines Café „Bei Agnes“ weiterführen. Voller Tatendrang stürzt sich die junge Frau in das Abenteuer. Sie stellt den sympathischen Nathan als Konditor ein und arbeitet ununterbrochen, um den Traum vom eigenen Laden zum Erfolg zu führen. Doch das ist leichter gesagt als getan, denn eine lärmende Baustelle vertreibt die Gäste, und noch dazu bringt Nathan Novas Herz ganz schön zum Stolpern. Zum Glück halten die Bewohner des Löwenstegs fest zusammen und unterstützen Nova, wo es nur geht. Und manchmal braucht es eben nur einen Schubs in die richtige Richtung, um das große Glück zu finden.

Der zweite Band zur neuen warmherzigen und romantischen Feel-Good-Liebesroman-Reihe von Kerstin Garde. Eine zauberhafte Straße, jede Menge Ostseeflair und ganz viel Gefühl.

Kerstin Garde

Die traumhafte Konditorei im Löwensteg

Ostsee-Liebesroman

1. Kapitel

Sommer 2008

Angestrengt trat ich auf die Bremse. Mein Fahrrad kam sofort zum Stehen. Mit einem tiefen Atemzug sog ich die Luft in meine Lungen. Wieso war ich denn nach der kurzen Strecke schon außer Atem? Ich musste wirklich mehr für meine Kondition tun. Leichter gesagt als getan, denn eine Sportskanone war ich nicht gerade. Aber immerhin war ich am Ziel. Ich schob das Rad zu einem Fahrradständer, schloss es dort ab und blickte die Trave entlang, die in der Ferne in die Ostsee mündete. Das Wasser schimmerte so dunkel wie der Himmel über mir, der in nachtschwarzen Samt gehüllt war.

Ein paar vereinzelte Sterne funkelten in der Ferne, und die Geräuschkulisse von Travemündes geschäftiger Touristenmeile Vorderreihe drang zu mir herüber. Unweit entfernt saßen Leute vor Restaurants oder Bars, lachten und hörten Musik. Jeder schien gut gelaunt, denn es war Wochenende. Einfach mal alles hinter sich lassen, den Abend genießen. Das wollte ich auch, aber ich war zu aufgeregt, um mich zu entspannen. Und das hatte einen Grund ...

Ich wischte mir über die Stirn. Zu allem Überfluss war ich auch noch ein bisschen verschwitzt, aber das schob ich auf die sommerlichen Temperaturen, hatten wir doch Anfang Juni. Man konnte inzwischen ohne Jacke auf die Straße, selbst abends.

Ich tupfte mir die Stirn mit einem Taschentuch ab, ließ es in meiner Hosentasche verschwinden und schnappte mir den Tortenbehälter aus dem Fahrradkorb, in dem sich die beste Torte befand, die ich je gebacken hatte. Tante Agnes hatte mir dafür Zutaten und einen kleinen Platz in der Backstube ihrer Konditorei zur Verfügung gestellt, in der ich auch häufig im Ladengeschäft aushalf. Ich war ehrlich stolz auf die Sahne-Erdbeer-Komposition mit selbst gemachtem Biskuitboden, der so leicht und luftig war, dass er eigentlich mitsamt der Box vor mir hätte schweben müssen.

Zügig lief ich zur Prinzenbrücke hinunter, wo bereits bunte Lichter blinkten und Musik zu hören war.

Leo hatte weder Kosten noch Mühen gescheut, es an ihrem Geburtstag so richtig krachen zu lassen.

»Man wird nur einmal achtzehn«, hatte sie schon Wochen vorher gesagt und dann dieses Partyboot gemietet. Wobei Boot mächtig untertrieben war, wie ich nun feststellte. Denn an der Prinzenbrücke lag eine echte Jacht! Mit schmalen, hoch aufragenden Masten, an denen sich jedoch kein Segel befand. An die fünfzehn Meter lang war das Schiff.

Leo hätte die Feier auch in der Pension ihrer Mutter veranstalten können, wie sonst auch. Immerhin verfügte das Haus Zum Löwen über einen eigenen Partykeller. Aber Leo hatte gemeint, dass dies ein ganz besonderer Geburtstag sei, den sie auf besondere Weise verbringen wolle. Eben auf dem Wasser.

Natürlich waren die Mädchen aus meiner Clique davon total begeistert gewesen. Die ungleichen Schwestern Stella und Emili-e, nicht Emily, worauf sie bestand, hatten in jeder großen Pause der letzten vier Wochen kaum ein anderes Thema gekannt.

»Dann brauchst du aber einen DJ. Und der muss verdammt gut auflegen können!«, hatte Stella gesagt. »Und zwar die richtige Musik«, hatte Emilie betont, die gerade in einer Phase war, in der sie dicken Kajal unter den Augen trug und nur Nightwish hörte.

Mir war zu dem Zeitpunkt, als die Party noch in der Planungsphase gewesen war, eine ganz andere Frage durch den Kopf gegangen, nämlich, wen Leo alles einladen würde. Uns drei, das war ja selbstverständlich, waren wir doch ein eingeschworenes Team, die besten Freundinnen der Welt. Aber an unserer Schule gab es auch ein paar coole Jungs, ganz besonders Manuel war mir da eingefallen, der eine Klasse über uns war. Dass ich ihn echt gern hatte, war ein offenes Geheimnis, daher hatte Leo mir auch versprochen, dass sie alles daransetzen würde, dass er kam. Und nun stellte sich die Frage, ob er heute hier sein würde.

Ich blickte den Steg hinunter, an dessen Ende sich das Schiff befand. Mit klopfendem Herzen erinnerte ich mich an mein Vorhaben, heute Abend mit Manuel ins Gespräch zu kommen, wenn er denn da war. Für die meisten klang das sicher gar nicht allzu kompliziert, für mich war es eine Mammutaufgabe. Ich war nicht unbedingt das, was man extrovertiert nannte. Es kostete mich einiges an Überwindung, jemanden anzusprechen, den ich noch nicht gut kannte. Insbesondere, wenn dieser Jemand Manuel war. Aber ich wollte auf keinen Fall kneifen! Dass ich allerdings so aufgeregt war, dass mir das Herz gegen die Innenseite meiner Brust hämmerte, hätte mir niemand angesehen. Nach außen wirkte ich immer fröhlich und gut gelaunt, innen drin sah es anders aus. Aber das sollte niemand wissen.

Ich ging weiter, ließ meinen Blick schweifen. Bunte Lichterketten blinkten über dem Deck, Leute tanzten zu Human von den Killers, und einer von denen, die besonders abrockten, war tatsächlich Manuel. Ich hielt inne, guckte noch mal hin, um ganz sicherzugehen, aber ja, er war es. Ich erkannte ihn an seiner Statur und seinen etwas längeren Haaren, die mir sehr gefielen, wie eigentlich alles an ihm.

Oh Mann, er war also tatsächlich gekommen. Bestimmt hatte ihn die Aussicht, auf einem Partyboot zu feiern, überzeugt. Wann hatte man dazu schon Gelegenheit?

Ich betrat das Boot. Meine Knie wurden ganz weich, und ich klammerte mich an meinem Tortenbehälter fest.

Seine Freunde kannte ich gar nicht, sie gingen nicht auf unsere Schule. Einer von den Jungs machte sogar den »Robotertanz«, ein anderer, der ein wenig größer war, lehnte lässig an der Reling und schaute zu. Ob ich mal hingehen sollte? Einfach so? Bevor ich aber irgendetwas sagen oder tun konnte, stand plötzlich Leo vor mir.

»Nova! Da bist du ja!«, freute sie sich.

»Happy Birthday, Süße«, sagte ich und drückte sie mit einem Arm an mich, während ich mit der anderen Hand die Torte balancierte.

»Danke! Er ist übrigens da«, raunte sie mir dabei zu. Aber das hatte ich ja schon selbst bemerkt.

»Ich weiß ...«, entgegnete ich heiser, ließ sie wieder los und drückte ihr den Erdbeer-Sahne-Kuchen in die Hand, bevor der mir noch runterfiel.

»Selbst gemacht. Nicht von Tante Agnes«, betonte ich. Meine Tante war ausgebildete Konditormeisterin, mit ihren Torten konnte ich nicht konkurrieren. Aber diese hier war mir richtig gut gelungen. Mit einer Achtzehn aus Sahne in der Mitte.

»Wow, die Torte sieht ja toll aus«, meinte Leo und musterte das Sahnegebilde unter dem durchscheinenden Deckel.

»Ich stell sie auf den Buffettisch in die Pantry, ja? Sodass sich jeder was nehmen kann«, schlug sie dann vor.

»Super!«, entgegnete ich. »Aber was ist eine Pantry?«

Leo hielt inne, drehte sich noch mal zu mir um. »Im Grunde Küche und Aufenthaltsraum zugleich«, erklärte sie und grinste über meine zweifellos beeindruckte Miene. Sie kannte sich ja wirklich aus. »Hat mir alles der Besitzer erklärt.«

Schon war Leo wieder weg. Ich blickte ihr hinterher. Sie war sehr sportlich mit ihrem frechen Pixie Cut, noch dazu durchtrainiert. Ich war ein bisschen neidisch. Nicht auf ihre Figur, mit meinen paar Pfündchen zu viel war ich eigentlich zufrieden. Aber ihr Selbstbewusstsein – das hätte ich gerne gehabt.

Jetzt stand ich etwas verloren herum. Nervös knetete ich die Hände, schaute mich an Deck um, wen ich kannte, und fing einen etwas abfälligen Blick von Manuels Kumpel auf, was mich entmutigte. Aber leider wurde ich oft so angesehen, ganz besonders von Jungs. Ich war eines dieser Mädchen, die man fast immer übersah, oder aber mit fiesen Blicken musterte. Klar, ich wusste, dass ich kein Topmodel war, aber manchmal taten solche Blicke echt weh. Rasch wandte ich den Kopf und erblickte Stella und Emilie an der Reling gegenüber.

Ich hob die Hand und eilte auf sie zu, weil mein Plan, Manuel anzusprechen, sich nun doch wieder völlig abwegig anfühlte.

»Abend«, sagte ich zu den beiden Schwestern und fand es wieder einmal faszinierend, wie verschieden sie aussahen: Stella, die Ältere, war groß und hatte lange, dunkelblonde Haare, die sie meist zu einem Zopf gebunden trug. Ihr herzförmiges Gesicht mit den dunklen Augen wirkte stets freundlich. Em war beinahe das Gegenteil von ihr, sehr zierlich, drei Jahre jünger und trug dicken Kajal unter den Augen, der farblich perfekt zu ihren glatten, dunklen Haaren passte. Sie hatte eine kühlere Ausstrahlung, war aber ein sehr herzlicher Mensch, wenn man sie näher kannte. Ein wenig verkopft im Gegensatz zu ihrer älteren Schwester.

Eigentlich war es für eine Vierzehnjährige ziemlich spät, aber Stella hatte gewiss wie immer das Okay von Oma Hilde, die die beiden großzog, bekommen, dass sie zusammen ausgehen durften, wenn Stella auf Em aufpasste und kein Alkohol getrunken wurde. Außerdem wuselten Leos Eltern an Deck herum, da die meisten an Bord noch minderjährig waren, wie ich mit meinen siebzehn ja auch.

»Hallo, Nova«, grüßte mich Stella lächelnd. »Schon gesehen? Manuel ist an Bord«, erklärte sie zwinkernd.

Oh ja, und schon flatterte mir wieder das Herz in der Brust.

»Du weißt noch, was du dir vorgenommen hast?«, erinnerte mich Em.

Ihn anzusprechen und einfach mal mutig zu sein? Als könnte ich das vergessen. Ich merkte nur, dass mich der Mut immer mehr verließ.

Wir linsten alle drei zu Manuel, der sich gerade mit einer Blondine aus der Parallelklasse unterhielt.

»Ich ... warte noch auf den richtigen Zeitpunkt«, murmelte ich. Aber ob der kommen würde, war ich mir nicht sicher.

Etwas später verriet mir Leo, dass Manuel gerade am Buffet in der Pantry war und meinen Kuchen aß.

»Das wäre jetzt die perfekte Gelegenheit, ins Gespräch zu kommen, oder?«, meinte Leo. Und damit hatte sie mehr als recht. Ich wollte es mir selbst beweisen, dass ich kein Hasenfuß war. Augen zu und durch!

»Ist er allein?«

Sie nickte. Das würde es leichter machen.

Ich wusste, wenn ich es jetzt nicht versuchte, würde ich es wohl niemals schaffen. Also straffte ich die Schultern, eilte unter Deck, wo sich das Buffet laut Leo befand, und entdeckte ihn mit einem kleinen Teller in der Hand, auf dem tatsächlich ein Stück von der Torte lag, auf die ich so stolz war. Vorsichtig schob er sich mit einer Kuchengabel einen Bissen in den Mund.

»Hey, Manuel!«, sagte ich ein wenig atemlos. Verdammt, mein Herz pochte so heftig, ich war sicher, er konnte es hören.

»Kennen wir uns?«, entgegnete er. Klar, ich war ihm noch nie aufgefallen. Das überraschte mich wenig.

»Ich bin Nova. Aus der Klasse unter dir. Linden-Gymnasium.«

»Ach, richtig.«

Man musste es entschuldigen, er war erst letztes Jahr an unsere Schule gekommen, da konnte man sich nicht alle Namen und Gesichter merken, schon gar nicht die der Schülerinnen und Schüler anderer Klassen. Er hingegen war mir gleich aufgefallen.

»Schmeckt's?«, brannte ich zu erfahren.

Er wog den Kopf hin und her, schaute sich um, als suchte er nach jemandem, der ihn aus dieser Situation befreien konnte, was mir wieder etwas Mut nahm. Er gab sich nicht mal die Mühe zu verbergen, dass er schnell wieder weg wollte.

»Die hab ich gemacht«, verkündete ich rasch, um das Gespräch ein bisschen in Fahrt zu bringen.

Überrascht hob er eine Braue. »Jetzt weiß ich, wer du bist! Deine Tante leitet doch diese kleine traditionelle Konditorei, oder?« Aus seinem Mund klang es irgendwie von oben herab, dieses ›klein‹ und ›traditionell‹. Aber immerhin wusste er das. Und das konnte ja nur bedeuten, dass ich doch nicht völlig unauffällig war.

»Ja, schon, aber die hab ich gemacht, nicht Tante Agnes«, erklärte ich, bevor er das noch falsch verstand. Mit einer Torte meiner Tante hätte ich mich ja auch schwerlich brüsten können. »Das ist nämlich mein Traum. Kuchen backen, Konditorin werden«, redete ich aufgeregt drauflos, ohne Punkt und Komma. Meine Familie bestand schon seit Generationen aus Zuckerbäckerinnen und Zuckerbäckern, worauf ich stolz war. »Ich backe einfach total gerne ... aber diese Torte ist mein Meisterwerk ...« Ich hatte mir alle Mühe gegeben, und meiner Meinung nach hatte es sich auch gelohnt.

Er nickte langsam, stocherte in der Sahne herum. Ich beobachtete seine Mundwinkel genau, hielt den Atem an, als sie zuckten, bis sie sich schließlich nach unten senkten.

»Meisterwerk, ja? Da musst du wohl noch ein bisschen üben«, haute er raus und versetzte mir mit seinen wenigen Worten einen Stich ins Herz.

»Wie meinst du das?«, fragte ich aufgeregt, vielleicht hatte ich ihn ja nur falsch verstanden. Obwohl es da kaum was falsch zu verstehen gab.

»Na ja ... um ehrlich zu sein, scheinst du mir eher wie jemand, der lieber die Torten deiner Tante isst, anstatt selbst Talent für die Backstube zu haben, oder? Und das schmeckt man eben auch.«

Autsch.

»Ich bin nur ehrlich«, erklärte er.

Der Mund blieb mir offen stehen. Hatte er das eben wirklich gesagt? Einfach so? Gesagt, dass ich verfressen UND eine miese Tortenbäckerin war?

Er stellte den Teller auf dem Tisch ab, die Torte war zermatscht, nur wenige Bissen hatte er gegessen. »Um ehrlich zu sein, es schmeckt widerlich.«

Noch ein Schlag, diesmal in die Magengrube. Ich starrte den Mistkerl perplex an. Hätten wir im Boxring gestanden, wäre ich spätestens jetzt zu Boden gegangen. K.o. Leider war ich überhaupt nicht schlagfertig, daher fiel mir auch keine Erwiderung ein, außer Gestammel, das ich mir zum Glück aber verkniff. Ich merkte nur, wie mir die Tränen in die Augen schossen. Krampfhaft versuchte ich, sie zurückzudrängen, die fröhliche Nova-Maske auf mein Gesicht zu pressen, was aber diesmal nicht gelang.

»Das sehe ich anders«, erklang plötzlich eine Stimme hinter mir. Manuel und ich drehten uns zu einem Typen um, der aus einer Ecke heraustrat, in der er fast unsichtbar gewesen war. Wie lange er da wohl gestanden und alles mit angehört hatte?

Ich kannte ihn nicht, was bedeutete, dass er nicht auf unserer Schule war, aber ich bildete mir ein, dass er einer der Jungs vorhin an Deck gewesen war, die mit Manuel abgehangen hatten. Der große Typ, der sich an die Reling gelehnt hatte. Er überragte uns beide. In den Händen hielt er einen Pappteller, auf dem sich ein Stück meiner Torte befand.

»Ach ja? Wie siehst du es denn, Nathan?«, fragte Manuel genervt.

Nathan, wunderte ich mich. Wie in Lessings Nathan der Weise, den wir gerade erst im Deutsch-Leistungskurs durchgenommen hatten?

Er schob sich demonstrativ ein riesiges Stück Sahne in den Mund, die er sich sichtlich auf der Zunge zergehen ließ, er rollte sogar genussvoll mit den Augen, dann sah er mich direkt an, und zwar anerkennend und freundlich. »Sie schmeckt ausgezeichnet. Die beste Torte, die ich seit Langem gegessen habe.«

Seit Langem? Oh Mann, das ging runter wie Öl ... Ich freute mich unglaublich, das zu hören, aber nach Manuels unerwarteten Angriffen war ich nicht sicher, ob Nathan das ernst meinte. Immerhin gehörten sie zur selben Clique, und es war gut möglich, dass sie mich einfach gemeinsam veralbern wollten, war ich doch ein dankbares Ziel. Wegen meines Gewichts, das aus irgendeinem Grund andere Menschen viel mehr zu stören schien als mich selbst, war ich schon früher oft gehänselt worden. Und Kuchen und Dicksein – das erzeugte eben schnell ein gewisses Bild bei oberflächlichen Personen.

»Quatsch, erzähl doch nichts«, brachte Manuel hervor und lachte gehässig.

Nathan aß in Ruhe sein Stück Torte auf. Langsam und mit einem genussvollen Lächeln auf den Lippen.

»Aber ja doch, ich glaube ich nehme noch ein Stück.«

Tatsächlich schnappte er sich noch etwas. Mir dämmerte, dass sein Lob ernst gemeint war.

»Alter, ich hab dich nicht mitgenommen, damit du hier Torte frisst«, ächzte Manuel. Wieso es ihm so sehr gegen den Strich ging, dass jemand mein Backwerk mochte, verstand ich nicht. Vielleicht nahm er es persönlich, wenn jemand seine Meinung infrage stellte. Als dürfte man von dieser nicht abweichen. Dass Nathan es dennoch tat, fand ich großartig.

»Ich kann nicht anders, die ist zu gut. Einfach ... köstlich.«

»Sie ist zum Kotzen!«, wurde Manuel lauter, und da bemerkte ich es zum ersten Mal. Eine Fahne stieg mir entgegen. Ich hustete leise. Manuel und seine Kumpels mussten etwas Härteres aufs Schiff geschmuggelt haben, als das, was hier ausgeschenkt wurde.

»Ein Gedicht! Du solltest deinen Traum unbedingt weiterverfolgen.« Nathan schaute mich aufmunternd an.

»Lächerlich! Ich hätte dich gar nicht mitnehmen sollen«, schnauzte Manuel ihn an und gab Nathan einen leichten Schubs, der diesen aber nicht mal ins Wanken brachte.

»Jetzt krieg dich ein, du hast zu viel getrunken«, meinte Nathan gelassen.

»Und wenn schon! Das ändert nichts daran, dass das die mieseste Torte aller Zeiten ist.«

»He, wo bleibt ihr denn?«, fragte plötzlich der Typ, der den Robotertanz gemacht hatte, und lugte in die Pantry. »Wollt ihr hier Wurzeln schlagen oder was?«

»Ganz bestimmt nicht«, meinte Manuel und zog an mir vorbei, stieß an meine Schulter, dann war er weg. Nathan aber blieb noch einen Moment.

»Alles okay?«, fragte er, während ich mir zerknirscht die Schulter rieb.

Ich nickte. »Geht schon.« Das war gelogen. Ich kämpfte immer noch mit den Tränen.

»Lass dich nicht unterkriegen, deine Torte ist wirklich gut«, versicherte er mir erneut und lächelte mich an. Wer war dieser Typ nur? Wo kam er her?

»Manuel fühlt sich groß, wenn er andere runtermachen kann. Auf so was reagiere ich allergisch.«

Was sollte ich da erst sagen?

»Nathan, kommst du?«, rief der Robotertänzer.

»Bin gleich da.«

Wieder sah er mich an. Mir fiel auf, dass er schöne Augen hatte. Ganz sanft und freundlich. Als würde er wirklich mich sehen.

»Kann ich dich allein lassen?«, fragte er besorgt.

Ich hätte gerne noch länger mit ihm geredet. Aber sein Kumpel drängte. Also nickte ich.

Nathan schenkte mir noch ein Lächeln und verließ die Pantry. Allein stand ich nun vor dem kleinen Buffet. Das zermatschte Stück Torte, das Manuel achtlos auf dem Tisch abgestellt hatte, vor mir. Ich griff nach dem Pappteller und warf ihn mitsamt der Torte in den Mülleimer, versuchte, mich an Nathans freundlichen Worten zu erfreuen. Aber das war leichter gesagt als getan. Es tat verdammt weh, was Manuel gesagt hatte, noch immer fühlte ich diesen Knoten im Magen. Konditorin zu werden, war mein Traum, schon immer. Ich hatte nicht viele Talente, aber backen konnte ich. Zumindest hatte ich das bis eben angenommen.

Die fröhliche Nova-Maske fiel. Ich spürte, wie etwas Heißes über meine Wangen rann. Da kam Leo herein. »Nanu, wo ist denn Manuel?«, wunderte sie sich. Ich konnte nicht anders. Ich wollte mich ja zusammenreißen. Aber in dem Moment platzte alles aus mir raus.

Leo zog mich in die Arme. »Oh nein, Nova, was ist denn nur passiert?«

Schluchzend erzählte ich ihr alles, versuchte noch, Manuel zu entschuldigen, obwohl er so mies gewesen war. Aber Leo fasste mich bei den Schultern.

»Ich erlaube das nicht«, raunte sie mir ins Ohr.

»Auf meiner Geburtstagsparty macht niemand meine beste Freundin runter«, erklärte sie und sah mir dann fest in die Augen. »Und auch sonst nirgends!«, betonte sie mit einem Blick, der mir Angst gemacht hätte, wäre sie sauer auf mich gewesen. »Ich werfe ihn sofort von Bord. Eigenhändig.« Schon ließ sie von mir ab und stieg die Treppe hoch.

»Warte ... nicht ...«, versuchte ich, sie aufzuhalten. Ich wollte einfach nicht, dass das noch eskalierte. Am Ende ruinierte es ihre Party. Also rannte ich Leo nach, kam aber zu spät. Sie machte bereits kurzen Prozess, verwies Manuel des Schiffs.

»Ich will dich hier nicht länger haben!«, rief sie so laut, dass es über das ganze Deck hallte.

»Was ist denn mit Leo los?«, wunderten sich Stella und Em, die sich an meine Seite gesellten.

»Sie ist sauer auf Manuel, weil er mich beleidigt hat.« Ich beobachtete staunend, wie Leo sich für mich ins Zeug legte.

»Was? Was hat der gesagt?«

»Dass ... ich nicht backen kann und ... zu viel esse.«

Sofort stellten sich Em und Stella zu Leo. »Niemand macht eine von uns runter!«, sagte Stella entschlossen. Und ich spürte Wärme in der Brust aufsteigen, weil ich so tolle beste Freundinnen hatte. Erneut brannte etwas in meinen Augen, diesmal aber vor Glück.

»Schon gut, ihr Hühner, dann geh ich halt. Hier war ja eh nichts los«, verkündete Manuel abfällig und verließ lässig das Schiff, seine Freunde folgten ihm, darunter auch Nathan, der mir noch einen letzten Blick zuwarf. Er hätte eigentlich bleiben können, dachte ich. Er war keiner dieser Idioten. Aber offenbar zog er es vor, mit seinen Freunden abzuhängen, oder er wollte auf den angetrunkenen Manuel aufpassen.

Kaum waren Manuel und seine Kumpels von Bord, applaudierten die restlichen Gäste, weil der Störenfried endlich in seine Schranken verwiesen worden war. Mir wurde klar, dass eigentlich niemand von unserer Schule Manuel so richtig mochte, weil er ein Arsch war. Nur die Blondine rannte ihm noch hinterher.

Leo, Stella und Em kamen zu mir und umarmten mich. »Wir halten doch zusammen oder nicht? Für immer«, meinte Leo.

Es tat gut, solche Freundinnen zu haben.

»Gib nichts auf diesen Doofkopp, der hat keine Ahnung«, meinte Leo noch. »Und jetzt will ich auch was von der Torte!«

Aber Manuels Worte hatten dennoch einen Keil tief in meine Brust getrieben ...

2. Kapitel

Manuels Worte waren mir für den Rest des Abends nicht mehr aus dem Kopf gegangen, was mir die Party ziemlich verleidet hatte. Auch die halbe Nacht hatte ich mir deswegen um die Ohren geschlagen, mich von einer Seite meines Gästebetts zur anderen gerollt und mich gefragt, ob er vielleicht doch recht hatte? In den Sommerferien arbeitete ich immer für ein paar Wochen bei Tante Agnes im Ladengeschäft der Konditorei, um an der Kasse zu bedienen. Manchmal übernachtete ich auch bei meiner Tante. Meine Eltern und ich lebten eigentlich in Niendorf, einer kleinen Ortschaft nordwestlich von Lübeck-Travemünde. Aber wenn es sich anbot, blieb ich direkt hier, bei Tante Agnes im Löwensteg, wo auch meine drei besten Freundinnen lebten. Nach der Party war der Heimweg zu Agnes deutlich kürzer gewesen. Deswegen lag ich nun in meinem Bett in dem kleinen Gästezimmer unter dem Dach, das ganz und gar mein Reich war, in dem ich mich einrichten konnte, wie es mir gefiel.

Aber Schlaf konnte ich jetzt nicht mehr finden, die Morgensonne ging gerade auf, ihre ersten Strahlen kitzelten mich bereits durchs Fenster im Gesicht. Rastlos erhob ich mich, machte mir einen Kaffee in der Küche und schleppte mich anschließend ins Wohnzimmer, wo ich mich auf die Couch fallen ließ. Um acht Uhr machte der Laden auf, dann würde ich hinter der Theke stehen. Jetzt war es kurz vor fünf Uhr, und ich fühlte mich alles andere als fit, könnte eigentlich noch etwas weiterschlafen. Ob ich mich noch mal hinlegte?

»Morgen«, meldete sich ein zartes Stimmchen aus dem Sessel gegenüber zu Wort und erschreckte mich doch fast zu Tode.

»Agnes!«, keuchte ich.

Jetzt war ich hellwach.

Meine Tante war ein sehr zarter Mensch, mit leiser Stimme und in ihrer Erscheinung unauffällig. Dass sie in ihrem Sessel gesessen hatte, hätte ich gar nicht mitbekommen, hätte sie nichts gesagt.

Tante Agnes war eine Meisterin ihres Fachs, sie machte die wunderschönsten Törtchen und Kuchen, fruchtigsten Gebäcke und leckersten Teigtaschen, die man sich nur vorstellen konnte. Jedes ein Unikat, jedes wunderschön anzusehen, mit köstlichen Details verziert, sodass es nicht nur ein Gaumen-‍, sondern auch ein Augenschmaus war. Ihr Tagewerk begann um fünf Uhr in der Früh, also gleich. Agnes war mein großes Vorbild, ich wünschte nichts mehr, als dass ich backen könnte wie sie.

»Ich wollte dich nicht erschrecken. Warum bist du denn schon so früh wach?«, fragte sie lächelnd.

»Ich konnte nicht schlafen.« Ich führte meine Tasse zu meinen Lippen.

»War bestimmt eine aufregende Party.« Agnes nahm auch einen Schluck aus ihrer Tasse Kaffee.

Daran wollte ich am liebsten nicht mehr denken.

»Ach ... lass uns doch über etwas anderes reden.« Nachdem ich mir schon die Nacht deswegen um die Ohren geschlagen hatte, wollte ich es nun gut sein lassen.

»Du meinst, weil da auch dieser Junge war?«, hakte sie schmunzelnd nach. Eigentlich war Agnes doch sonst nicht so neugierig, sondern ganz im Gegenteil, sehr zurückhaltend. Und woher wusste sie überhaupt, dass ich Manuel mochte ... gemocht hatte ... was auch immer?

»Ich war doch auch mal in deinem Alter«, sagte sie und verriet dadurch zugleich, dass sie einfach ins Blaue geraten hatte. »Was ist passiert?«

Sie sah mich eindringlich an, und ich ahnte, sie erwartete nun eine Teenie-Herzschmerzgeschichte.

Mir kannst du es doch sagen, schien ihr Blick zu verheißen.

»Also schön«, eröffnete ich und erzählte ihr die ganze Geschichte. Dabei konnte ich beobachten, wie sich der sanfte Schimmer in ihren Augen zusehends mehr in ein Funkeln verwandelte.

»Und nun hat dich dieser dumme Junge verunsichert, und du zweifelst an deinen Fähigkeiten«, schlussfolgerte sie.

Ich nickte.

»Das musst du nicht, Nova. Wirklich nicht. Und du weißt auch wieso, nicht wahr?« Agnes erhob sich, ging zu dem alten Wandschrank hinüber, öffnete das obere Schubfach und holte ein altes Album hervor. Eines, das ich von früher kannte, aber seit Jahren nicht gesehen hatte. Dann setzte sie sich mit diesem neben mich. »Kannst du dich daran erinnern? Das hast du dir früher immer so gerne angesehen, als du noch klein warst.«

Ich nickte. Das alte Album mit den Familienfotos hatte ich sehr geliebt, doch inzwischen fast vergessen. Nun schlug mir der Staub entgegen, und zum ersten Mal fiel mir bewusst auf, wie alt der Einband war.

»Du hast früher gesagt, es sei besser als jedes Märchenbuch.«

Gleich das erste Bild zeigte die Konditorei hier im Löwensteg. Es war eine Schwarz-Weiß-Aufnahme, ein wenig vergilbt. Es nach all den Jahren wieder anzusehen, war so wohltuend wie eine heiße Milch mit Honig vor dem Schlafengehen.

Trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, erfasste mich der Zauber der Vergangenheit sofort.

Kleine, runde Tischchen mit verschnörkelten Beinen standen vor der Konditorei, über deren Eingangstür die Lettern Fräulein Zucker hingen. Ein gänzlich anderer Name als der, den die Konditorei heute trug. Jetzt hieß sie nämlich Bei Agnes, was Gemütlichkeit ausstrahlte. Das Fräulein Zucker hingegen erinnerte mich ein wenig an einen dieser alten amerikanischen Bonbonläden, in denen die Verkäufer Schiffsmützchen trugen und eigenartig altmodische Kleidung, die meist gestreift war. Tatsächlich entdeckte ich in dem Moment ein kleines Regal im Schaufenster des Fräulein Zucker, in dem sich Bonbons befanden. Sie waren natürlich auch in Schwarz-Weiß, aber ich stellte sie mir knallig bunt vor. Es sah noch genauso aus, wie ich es in Erinnerung hatte. Und genau wie früher lag eine gewisse Magie über diesem Album und seinen Bildern aus älteren Tagen.

Agnes seufzte und blätterte weiter. »Ich schaue es mir immer wieder gerne an. Es hilft mir, mich zu erinnern, wo ich herkomme und was ich kann. Denn weißt du, als ich in deinem Alter war und mein Vater Kunibert, dein Opa, mir sagte, dass ich eines Tages die Konditorei leiten würde, fühlte ich einen mächtigen Druck auf den Schultern.«

Genau wie ich.

Sie nickte mir zu, als hätte sie in dem Moment meine Gedanken gelesen. Wir waren uns sehr ähnlich.

»Ich habe mich immer gefragt, ob ich gut genug sein würde, ob meine Torten und Kuchen den Leuten schmecken würden.« Sie lächelte, strich mit den Fingerspitzen über das nächste Bild. Auf diesem sah man das Geschäft aus der Perspektive vom heutigen Edelrestaurant Dreizack, also mit Blick über die Kreuzung. Ein alter Aufsteller stand auf der Straße. Frische Erdbeertörtchen, 70 Pfennige das Stück.

Was für Preise!, ging es mir durch den Kopf. Ein weiteres Bild zeigte unsere Familie vor dem hinreißenden kleinen Laden. Opa Kunibert und Oma Sophia trugen ihre Arbeitskleidung, verschränkten entschlossen die Arme vor der Brust und wirkten eigenartig ernst und zugleich sehr stolz auf ihre Arbeit.

»Wir haben alle mit Zweifeln zu kämpfen. Das Foto hier stammt übrigens aus dem Jahr 1955. Zwei Jahre zuvor hat dein Großvater das Haus gekauft, um sich selbständig zu machen. Bis dahin hatte er in einer Bäckerei als Angestellter gearbeitet. Sophia und Kunibert waren für ihre Zeit sehr modern. Sophia wurde Teil der Geschäftsleitung, Kunibert war der Meinung, dass sie das besser konnte als er. Sie haben alles zusammen aufgezogen, alle Entscheidungen gemeinsam getroffen. Nach den schrecklichen Folgen des Kriegs begann eine Zeit des Aufbaus, das hatten sie schnell erkannt und für sich genutzt. Das Haus selbst ist natürlich noch etwas älter, aber nicht viel. Ich glaube, es war eines jener Gebäude, die wiederaufgebaut werden mussten, und wenn ich mich nicht täusche, ist es sogar eines der ältesten hier im Löwensteg, von Oma Hildes Trödelladen gegenüber abgesehen.«

Ich nickte fasziniert. Das alles hatte etwas Märchenhaftes an sich. Und eine Sogwirkung, der man sich nicht entziehen konnte. Eine Welt, in der es nur um Süßes und Gebäck ging.

»Das ist wirklich schön«, murmelte ich und strich vorsichtig mit einer Hand über die alten Seiten, die schwarz statt weiß waren, anders als bei heutigen Fotoalben. Außerdem steckten die Bilder unter einer Art Klebefolie, die sie schützte.

Agnes lächelte. »Dennoch war es natürlich auch ein unternehmerisches Risiko, ein eigenes Geschäft zu gründen. Das war damals nicht anders. Und dann machte gegenüber an der heutigen Kurgartenstraße noch eine zweite Konditorei auf, das Kuchen & Meer von der betuchten Familie Mertens.« Sie blätterte weiter. »Es war ein Kampf ums Überleben, da sich beide Geschäfte auch noch denselben Innenhof teilten. Ein ständiges Werben um die Gunst der Kundschaft und Großaufträge. Für unsere Familie ging es um alles oder nichts.«

Nun konnte man Fotos von unserem Innenhof sehen. Auch hier standen Tische und Stühle, vergnügten sich Gäste in altmodischer Kleidung im 50er-Jahre-Stil mit Kaffee und Kuchen. Vom Haus der Familie Mertens war jedoch nur der Schatten zu erkennen, der sich unheilvoll in Richtung unserer Tische erstreckte. Wie bei jeder märchenhaften Geschichte gab es eben auch dunkle Wolken, die das Glück trübten.

»Kunibert hatte einen Haufen Schulden aufnehmen müssen, um das Geschäft aufbauen zu können. Es stand fest, wenn das Fräulein Zucker sich nicht bewähren würde, würde es seinen Ruin bedeuten. Und diese reichen Unternehmer hatten genügend Geld, um Kunibert und Sophia das Leben schwer zu machen. Sie beauftragten große Werbeagenturen, um noch größere Kampagnen zu starten: riesige Plakate überall in der Stadt und Werbeseiten in Magazinen und Zeitungen. Es sah nicht gut aus für uns, denn die Maßnahmen zeigten Wirkung. Schnell füllten sich die Tische gegenüber, die unseren blieben leer. Das Aus stand kurz bevor, aber dann ist deiner Oma die Idee im Schlaf gekommen.« Agnes' Augen blitzten vor Vergnügen.

»Im Schlaf, wirklich?«

Sie nickte, blätterte weiter und deutete auf ein Foto, auf dem Oma Sophia mit einem Blech voll süßer kleiner Kuchen-Pralinen zu sehen war. Jede sah ein bisschen anders aus, manche waren mit dunkler Schokolade überzogen, manche mit Gelee verziert. Aber sie alle wirkten wie kleine Kunstwerke und hatten die Form winziger Schiffchen.

»Dies sind ihre berühmten Ostseeträume aus feinstem Lübecker Marzipan«, erklärte Agnes stolz. »Deine Großmutter hat das Rezept im Traum gesehen und es dann tatsächlich ausprobiert. Noch heute sind die Ostseeträume unser Verkaufsschlager. Als sie damals eingeführt wurden, hat es nicht lange gedauert, bis sich das Blatt gewendet hat. Die Kundschaft kam nun zu uns statt zum Kuchen & Meer, jeder wollte die kleinen süßen Köstlichkeiten probieren. Und wie sie einem auf der Zunge zergangen sind! Sie waren nicht so süß, dass man Zahnschmerzen davon bekam. Nein, deine Oma hatte genau die richtige Mischung gefunden, die die Leute liebten. Das hat damals alles verändert. Selbst der damalige Bürgermeister ist einmal die Woche in unser Geschäft gekommen, um eine Tüte Ostseeträume zu kaufen.«

Ein glückliches Lächeln zeichnete sich auf dem schmalen Gesicht meiner Tante ab. Ich merkte ihr an, wie stolz sie auf Sophia und ihre umwerfende Idee mit den Kuchenpralinen war.

»Die Ostseeträume haben ihren Namen übrigens, weil Sophia die Ostsee so sehr geliebt hat. Und ich finde auch, dass der Name perfekt ist. Jeder wollte plötzlich die schiffchenförmigen Mini-Törtchen haben.« Agnes lachte. »Deswegen hat deine Großmutter das Rezept auch geheim gehalten. Sie fürchtete, dass andere Konditoren es einfach kopieren und die Kundschaft weglocken würden. Letztlich konnten wir uns behaupten, und die Mertens mussten das Geschäft gegenüber schließen.« Agnes lehnte sich in ihrem Sessel zurück, wärmte ihre Hände an ihrer Tasse und schaute in die Ferne. »Was ich dir sagen will, ist, dass eine Situation manchmal ausweglos erscheint, sie es aber mitnichten ist. Es war ein Spiel wie David gegen Goliath. Nun sieh dir an, was aus uns geworden ist: Uns gibt es noch heute.«

»Das Kuchen & Meer aber auch.«

»Aber nicht hier in Travemünde. Allerdings hast du recht, die Familie Mertens war trotzdem noch sehr erfolgreich. Sie haben eine zweite Konditorei im Zentrum der Stadt eröffnet, die dann sehr gut lief. Und wie du weißt, folgten danach weitere Filialen, sie haben eine Konditor-Kette gegründet und sind zum Konditor Nummer Eins aufgestiegen. Und heute haben sie drei Geschäfte allein in Lübeck und noch ein paar weitere außerhalb. Aber hierher nach Travemünde trauen sie sich nicht mehr.« Agnes wurde nicht müde zu betonen, dass die Kette das Backhandwerk eigentlich verraten hatte, produzierten sie doch heute Massenware. Außerdem hatten sie den Untergang vieler kleiner Geschäfte zu verantworten. Damals wie heute.

»Wenn du das Geschäft hier eines Tages übernimmst, werde ich dir das geheime Rezept für die Ostseeträume beibringen«, erklärte Agnes feierlich. »So hat es Sophia bei mir gehandhabt, und so sollst du es mit deinen Erben handhaben.«

Ich nickte langsam, fühlte mich von dieser Feierlichkeit angesteckt. Mit so einem fantastischen Rezept konnte doch nichts schiefgehen.

»Wenn ich etwas mit Bestimmtheit sagen kann, dann, dass du auf jeden Fall das Zeug zur Konditorin hast. Du solltest dich nicht von so einem dummen Jungen, der noch grün hinter den Ohren ist, verunsichern lassen. Denn sieh dir an, was Sophia geschafft hat. Ohne sie gäbe es unser Geschäft heute nicht mehr. Der Beruf des Zuckerbäckers und der Zuckerbäckerin liegt uns im Blut. Man braucht Geschick und Kreativität. Beides hast du. Das weiß ich genau.«

»Danke, Agnes, lieb von dir, dass du das sagst.«

»Ich sage das nicht einfach nur so. Es ist die Wahrheit in meinen Augen. Du hast ja deine Großmutter leider nicht mehr kennengelernt, denn Kunibert und sie gingen viel zu früh von uns. Aber ich habe viele ihrer Kuchen und Torten im Laufe meines Lebens gegessen. Eins verrate ich dir: Wann immer ich etwas von deinen Werken probiert habe, war es mir, als hätte meine Mutter Sophia sie persönlich gebacken. Da ist diese Note, die nur ihre Kuchen aufgewiesen haben. Doch bei dir bemerke ich sie auch.«

Ich machte große Augen.

»Es ist wahr!«, versprach mir Agnes und kreuzte zur Bestärkung die Finger. »Du hast viel mit deiner Großmutter gemeinsam.«

»Ach, Tante Agnes, danke, das ist lieb von dir.« Ich drückte sie im Überschwang an mich, bereit, noch etwas länger an meinen Traum zu glauben.

»Nichts zu danken. Ich sage nur, wie es ist.« Agnes zwinkerte mir zu.

3. Kapitel

Neun Jahre später

Ich nahm die Schüssel mit der Sahne aus dem Kühlschrank, um sie mit einem Schneebesen steif zu schlagen. Heute wollte Tante Agnes zu Besuch kommen. Und wenn Tante Agnes kam, gab es immer Kuchen. Dieser war auch schon fertig. Eine schöne Himbeer-Johannisbeer-Torte. Zweistöckig. Mein Biskuitboden konnte sich sehen lassen, leichter und luftiger ging es nicht. Ich hatte viel dazugelernt.

Mein Blick glitt zur Wanduhr, ein bisschen Zeit hatte ich noch, ehe meine Tante hier aufschlagen wollte. Noch etwas passierte stets, wenn Tante Agnes kam: Es bedeutete immer auch, dass die Nostalgie Einzug hielt.

Denn mit Agnes brachte ich nicht nur die Familien-Konditorei in Verbindung, sondern auch den Löwensteg, die Sommer an der Trave und meine drei besten Freundinnen. Ich dachte daran, dass Leo und Stella nach dem Abi in die Welt hinausgewollt hatten. Genauso wie ich. Nur Em hatte Travemünde treu bleiben wollen.

Wir anderen aber hatten unser Zuhause verlassen, um uns zu verwirklichen. Leo hatte eine Ausbildung zur Musicaldarstellerin in London absolviert. Niemand hatte eine schönere Stimme als sie. Dennoch hatte sie nur wenige Engagements bekommen. Jetzt lebte sie in Hamburg und gab Gesangsunterricht, erwartete ihr erstes Kind. Stella hingegen hatte in Berlin studiert, war jedoch vor ein paar Monaten nach Travemünde zurückgekehrt, weil Oma Hilde gestorben war und Em und sie den alten Trödelladen geerbt hatten. Gemeinsam hatten die Schwestern ihn auf Vordermann gebracht.

Ich hatte nach dem Abi eine Ausbildungsstelle an einer renommierten Konditorei-Schule in Bremen bekommen und meinen Abschluss gemacht. Seitdem durfte ich mich offiziell Konditorin nennen, war in die Fußstapfen meiner Familie getreten und lebte immer noch in der Hansestadt an der Weser.

Ich wusste nun, was ich konnte, und ich liebte meinen Job. Jede von uns führte ihr eigenes Leben, und in Momenten wie diesen, in denen mir das bewusst wurde, vermisste ich meine Freundinnen besonders, und auch die unbeschwerte Zeit, in der wir uns täglich gesehen hatten. Doch wir hatten uns eine Sache geschworen: uns nie aus den Augen zu verlieren und uns mindestens einmal im Jahr zu treffen.

Ich rührte kräftig mit dem Schneebesen um, bis die Sahne fester wurde, denn mein Handmixer war ausgefallen, machte dann eine kleine Pause und öffnete das Fenster, um auf den Hof zu blicken. Die Sonne strahlte mir entgegen. Ein paar Nachbarn hatten sich unten auf die Wiese gelegt, um sich zu sonnen. Abends grillten sie öfter. Inzwischen lebte ich seit einer gefühlten Ewigkeit in dieser Wohnung in Bremen. Mein Zuhause war sie selbst jetzt noch nicht geworden, aber sie war ein Ort zum Wohlfühlen.

Allerdings war sie derzeit auch die einzige Wirkungsstätte für mein Handwerk. Vor drei Monaten hatte mir meine Chefin, in deren Konditorei ich nach der Ausbildung angefangen hatte, leider gekündigt, weil sie ihren Laden aufgeben musste. Vor zwei Tagen hatte ich meinen letzten Arbeitstag gehabt und war nun offiziell auf Jobsuche. Ich fand es schade, denn ich hatte mich gut mit ihr verstanden, aber manchmal funkte das Schicksal eben dazwischen. Doch das war nicht alles. Nova Böhme machte keine halben Sachen. Nicht nur mein Job war weg. Mein Freund Lucas war es auch. Und das fast zeitgleich. Es schien, als wäre in den letzten drei Monaten mehr passiert als in all den Jahren, die ich nun schon von zu Hause weg war.

Mein Blick glitt zu den bunten Magneten am Kühlschrank, die eigentlich ihm gehörten. Lucas hatte sie vergessen, als er seine Sachen gepackt hatte und ausgezogen war, jetzt erinnerten sie mich jeden Tag an ihn. Wegwerfen konnte ich sie nicht, obwohl ich es gewesen war, die ihn vor die Tür gesetzt hatte. Dennoch tat es jedes Mal ein bisschen weh, sie zu sehen. Vermisste ich ihn etwa?

Seufzend schloss ich wieder das Fenster. Entschied, die Sahne noch mal kräftig zu schlagen. Mit etwas zu viel Schwung im Arm spritzte das süße Gemisch über den hohen Rand der Schüssel hinweg auf die Arbeitsfläche, wo es sich im Kuhfleckenmuster verteilte. Seufzend schnappte ich mir ein Tuch, um das Malheur wegzuwischen. Wenn sich doch nur alle Probleme so leicht beseitigen ließen.

Wieder glitt mein Blick zu den Magneten.

Ich hatte gehofft, das mit uns wäre für die Ewigkeit. Doch es hatte nur zwei Jahre gehalten, davon hatten wir gerade mal zwei Monate zusammengelebt. Ich hatte gedacht, Lucas wäre die Liebe meines Lebens. Ein Mann, mit dem ich mich blind verstand, der mich nahm, wie ich war – eben die kleine Nova mit den Pausbäckchen, die kein Model war und es nie sein würde, aber trotzdem jemand, mit dem man Pferde stehlen konnte. Meine vorherigen Partner hatten früher oder später angefangen, an mir herumzunörgeln, sie hatten mich verändern wollen, was mir jedes Mal das Gefühl gegeben hatte, ich sei nicht gut genug. Aber Lucas war anders gewesen. Zumindest am Anfang unserer Beziehung, die bei einem Rettungseinsatz begonnen hatte.

Ich wusste es noch genau. Meine Chefin hatte sich so schwer die Hand am Ofen verbrannt, dass ich sofort einen Krankenwagen bestellen musste, und einer der Sanitäter, die sie untersuchten, war Lucas. Unsere Blicke trafen sich, und es funkte sofort zwischen uns. Etwas Derartiges hatte ich nie zuvor erlebt. Nicht auf diese Weise.

Ich seufzte.

Einen Tag später kam er noch mal in den Laden, um sich nach meiner Chefin zu erkundigen und nach meiner Nummer zu fragen. Ich gab sie ihm mit klopfendem Herzen.

Der Rest war Geschichte. Sogar eine recht schöne. Wir waren ausgegangen, hatten uns verliebt, und ich hatte das Gefühl gehabt, er würde zu mir stehen, egal was kommen möge.

Aber nachdem wir dieses Jahr zusammengezogen waren, war alles anders geworden.

Man lernt einen Menschen eben erst dann richtig kennen, mitsamt all seinen Eigenarten, wenn man ihn nicht nur in den Honeymoon-Momenten erlebt.

Lucas hatte einen ziemlich ausgeprägten Gesundheitssinn an den Tag gelegt, den ich bei unseren Dates nie bemerkt hatte. Schnell war klar geworden, dass er einem kaum noch Luft zum Atmen ließ, weil er über nichts anderes mehr reden und nachdenken wollte, als eben über Gesundheit und Gesundheitserhaltung. Jeden Tag Sport, am besten mehrmals, sodass es auf mich schon wieder ungesund wirkte. Er verweigerte Speisen, wenn auch nur ein Gramm zu viel Zucker enthalten war.

Damit nicht genug. Es ging nicht nur um seine Gesundheit, sondern auch um die seiner Mitmenschen, bei denen er ähnlich strenge Maßstäbe ansetzte wie bei sich selbst. Beim Zusammenleben wurde folglich auch mein Gewicht plötzlich zum Thema. Etwas, das ihn zuvor nicht gekümmert hatte.

»Du musst abnehmen!«, war die Devise, obwohl ich selbst mit meinem Körper zufrieden war. Ich hatte mäßiges Übergewicht, mochte meine Rundungen, weil sie zu mir gehörten, meine Hausärztin war mit mir zufrieden. Tatsächlich machten meistens andere Menschen ein Problem daraus. Solche, die vielleicht mit sich selbst unzufrieden waren. Fortan bestand er auf einen Ernährungsplan, was ja nicht verkehrt war, nur eben die Art, in der er mich belehrte, stieß mir auf. Als hätte ich gar kein Mitspracherecht oder als müsste ich viel an mir ändern, ehe ich akzeptabel wäre. Das erinnerte mich schmerzlich an meine vorherigen Partner, die genauso gewesen waren. Immer war etwas an mir verkehrt gewesen, immer hatte ich an mir arbeiten müssen. Irgendwann fragte ich mich, warum Lucas überhaupt mit mir zusammen war, wenn er mich doch so schrecklich fand? Denn dass er etwas an mir auszusetzen hatte, wurde immer offensichtlicher, schließlich sollte ich mich ja komplett verbiegen für ihn. Keine Ahnung, warum ich mir das überhaupt hatte gefallen lassen. Vielleicht weil ich den alten Lucas so sehr geliebt hatte und ihn unbedingt zurückhaben wollte. Weil ich mir vielleicht auch eingeredet hatte, dass er, eben dieser alte einfühlsame Lucas, zurückkommen würde, wenn ich mich an seine Spielregeln hielt.

Aber dann hatte ich zufällig herausgefunden, dass es noch viel mehr Spielregeln gab, als mir bewusst gewesen war. Ich erinnerte mich genau, wie ich nach einem harten Arbeitstag in der Konditorei mit dem Bus heimfahren wollte, aber ausgerechnet an dem Tag ein Fahrerstreik war. Also lief ich nach Hause, allzu weit war unsere Wohnung nicht entfernt. Dabei kam ich an Lucas' Fitness-Studio vorbei und sah durch das Fenster etwas, das mir endgültig das Herz zerriss.

Er trainierte nicht nur, er trainierte mit ihr, dieser wunderschönen, gertenschlanken Trainerin in den knappen Sportklamotten. Und er berührte sie zärtlich, küsste sie ... selbst jetzt musste ich schlucken, wenn ich nur daran dachte. Es war solch ein Schock, denn nie im Leben hätte ich damit gerechnet, dass Lucas mich betrog.

Ich hatte nur vage Erinnerungen an diesen Moment, in dem ich in das Studio gestürmt war.

»Pack deine Sachen und zieh aus!«, sagte ich, ganz ruhig und kontrolliert, aber so entschlossen wie nie zuvor in meinem Leben. Lucas war fast von seinem Spinningrad gefallen, so sehr hatte es ihn erschreckt, dass ich ihn erwischt hatte.

Er hatte gar nicht versucht, irgendetwas zu kitten. Ich hätte es eh nicht zugelassen. Denn das war der berühmte Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Ich hatte ihn nicht mehr sehen wollen, nie mehr. Und als er schließlich weg gewesen war mit seinen ganzen Sportsachen, seiner Waage und den Gesundheitsratgebern, hatte ich endlich wieder frei atmen können.

»Er war einfach nicht der Richtige«, hatte Stella neulich am Telefon gemeint, als wir nochmal darüber geredet hatten. Aber das war gar nicht der Punkt. Ich war es gewöhnt, dass manche Leute mich schief ansahen, weil ich mich auch mit ein paar Kilos zu viel mochte, was für manche offenbar unverständlich war. Sie sahen es dann als ihre Pflicht an, mich darauf hinzuweisen, dass ich mich besser unwohl oder nicht hübsch fühlen sollte. Meist hatte ich dann die fröhliche Nova-Maske aufgesetzt, getan, als würde es mich nicht berühren, obwohl es das getan hatte. Dass Lucas sich in diese Riege eingereiht hatte, hatte mir das Herz gebrochen. Dass er mich durch ein fitteres Model ausgetauscht hatte, umso mehr. Ich war zu dem Schluss gekommen, dass die Sache mit der Liebe Unsinn war. Ganz langsam, fast schon heimlich, hatte sich dieser Gedanke in meinen Kopf geschlichen und sich dann dort breit gemacht.