Das gemütliche Gasthaus im Löwensteg - Kerstin Garde - E-Book

Das gemütliche Gasthaus im Löwensteg E-Book

Kerstin Garde

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Beschreibung

Vom Loslassen und Neuanfangen

Eigentlich möchte die Hamburger Szenenbildnerin Mia in der Pension »Zum Löwen« nur ausspannen und endlich mal zur Ruhe kommen. Doch die Pension und ihre Besitzer wachsen ihr direkt ans Herz. Deshalb beobachtet sie das Ausbleiben der Gäste und den Renovierungsstau mit großer Sorge. Mit Hilfe der Löwensteg-Bewohner und dem mürrischen Chefkoch des benachbarten Nobelrestaurants »Dreizack« versucht sie, die Pension zu retten. Und rettet damit am Ende auch sich.

Der herzergreifende letzte Band der warmherzigen und romantischen Feel-Good-Liebesroman-Reihe aus Travemünde.

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

Über die Autorin

Weitere Titel der Autorin

Impressum

 

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Über dieses Buch

Eigentlich möchte die Hamburger Szenenbildnerin Mia in der Pension »Zum Löwen« nur ausspannen und endlich mal zur Ruhe kommen. Doch die Pension und ihre Besitzer wachsen ihr direkt ans Herz. Deshalb beobachtet sie das Ausbleiben der Gäste und den Renovierungsstau mit großer Sorge. Mit Hilfe der Löwensteg-Bewohner und dem mürrischen Chefkoch des benachbarten Nobelrestaurants »Dreizack« versucht sie, die Pension zu retten. Und rettet damit am Ende auch sich.

Der herzergreifende letzte Band der warmherzigen und romantischen Feel-Good-Liebesroman-Reihe aus Travemünde.

KERSTIN GARDE

Das gemütliche Gasthausim Löwensteg

Ostsee-Liebesroman

Prolog

Frühling 2015

Es hat geklappt. Ich kann es nicht glauben. Morgen geht es schon los. Aber heute will ich noch mit dir anstoßen! Treffen wir uns an unserer Brücke?

Wie toll war das denn? Voller Freude bestätigte ich Gabriels WhatsApp-Nachricht und machte mich sofort auf den Weg, denn ich war gerade in der Nähe, hatte ich doch eine neue Location für eine Reality-Doku über Hotel-Tests ausgekundschaftet, die noch diesen Herbst an den Start gehen sollte. Ich liebte meinen Job als Location-Scout, hatte erst kürzlich den Einstieg in die Freiberuflichkeit gewagt, nachdem ich zuvor Filmwissenschaften studiert hatte, und verfolgte das langfristige Ziel, Szenenbildnerin zu werden. Und da es für diesen Beruf keine gezielte Ausbildung gab, war es möglich, von einem Bereich in den anderen zu wechseln, wenn man sich bewährte.

Ich steckte vergnügt das Handy weg und legte noch einen Schritt zu.

Ich freute mich so für Gabriel, denn ich wusste bereits, worauf er angespielt hatte. Schon Tage vorher hatte er mir erzählt, dass sein Senior Partner ihm einen sehr wichtigen Mandanten vorstellen wollte, mit der Aussicht, dass Gabriel ihn vertreten sollte. Das war eine Auszeichnung für ihn. Handelte es sich doch nicht um irgendeinen Mandanten, sondern um einen mächtigen Firmenboss aus Norwegen. In Gabriels Lebenslauf würde solch eine Referenz hervorstechen, sofern es klappte. Doch davon ging ich aus. Denn Gabriel war ein Top-Anwalt.

Ich eilte an der Hundewiese vorbei, um schließlich auf die Kennedybrücke zuzuhalten, unter der die Binnenalster in die Außenalster überging. Sie mutete deutlich schlichter an als die parallel verlaufende Lombardsbrücke, die mit ihren steinernen Verzierungen wie aus einer anderen Epoche schien. Die Kennedybrücke hingegen war zweckmäßig, sicher kein Touristenmagnet, aber für uns etwas Besonderes.

Dass wir uns hier treffen wollten, war nämlich kein Zufall. Hier waren wir uns vor zwei Jahren in die Arme gelaufen. Er war aus Timmendorfer Strand nach Hamburg gezogen, um sein Jura-Studium abzuschließen, während ich gerade meine WG gewechselt hatte und die Gegend um den Alsterpark zu meiner neuen Joggingstrecke auserkoren hatte. Wir hatten unser Studium an derselben Uni begonnen, wenn auch in unterschiedlichen Studiengängen, waren uns aber auf dem Campus nie begegnet. Das war erst hier auf der Kennedybrücke passiert. Er war in Gedanken vertieft gewesen, hatte mich nicht kommen sehen. Und ich? Ich hatte in meinen verschwitzten Joggingsachen gesteckt, gerade eine kleine Pause eingelegt und nur auf mein Handy gestarrt, rechts und links von mir nichts gesehen. Prompt war Tollpatsch Mia ihm in die Arme gelaufen.

Es hatte sofort gefunkt. Ich hatte mich auf den ersten Blick in seine blauen Augen verliebt, in sein charmantes Lächeln und die süßen Grübchen an seinen Mundwinkeln. Und als er mir aufgeholfen und mich gefragt hatte, ob ich mit ihm ausgehen würde, jetzt und hier, da hatte ich nicht anders gekonnt, als Ja zu sagen. Ein Ja, das mit Leichtigkeit über meine Lippen und aus vollem Herzen gekommen war, weil ich instinktiv gespürt hatte, wie besonders diese Begegnung gewesen war. Ihm war es nicht anders gegangen.

Schon nach unserem zweiten Date, das nur einen Tag später folgte, war uns beiden die Magie zwischen uns bewusst. Manchmal merkte man einfach, wenn es passte. Wenn zwei Puzzleteile sich zusammenfügten, zu einem großen Ganzen. Keine Zweifel, einfach nur dieses Gefühl, als hätte man immer schon auf den anderen gewartet, um ihn dann endlich zu finden.

Er war nur ein bisschen älter als ich mit meinen damals dreiundzwanzig Jahren, und entsprechend war er auch erfahrener gewesen. Ich hatte mich bei ihm fallenlassen können, was wunderschön gewesen war.

Endlich hatte ich die Kennedybrücke erreicht, aber Gabriel war noch nicht da. Ich ging ein paar Schritte, atmete die gute Abendluft ein. Schwungvoll warf ich die Haare in den Nacken und lehnte ich mich mit dem Rücken an die stählerne Brüstung.

Ein Blick nach oben verriet, der Himmel färbte sich allmählich dunkel, purpurfarbene Muster bildeten sich am Horizont und umleuchteten die Skyline von Hamburg.

Unter meinen Füßen ging die Binnenalster rauschend in die Außenalster über. Ich stützte mich auf dem schmalen Geländer ab, an dem die Farbe bereits abblätterte, schaute ins Wasser hinunter und meinte, darin den Himmel zu sehen. Ein paar Wolken zogen über meinen Kopf hinweg. Eine Möwe krächzte.

Wenn er jetzt nach Norwegen flog, ging es mir durch den Kopf, würde ich einige Zeit auf ihn verzichten müssen. Und obwohl er noch gar nicht aufgebrochen war, vermisste ich ihn allein schon bei dem Gedanken. Aber das erschien mir nicht unnatürlich. Er und ich, wir waren so eng miteinander verbunden, dass er für mich wie die Luft zum Atmen geworden war.

»Mia?«, erklang plötzlich seine Stimme.

Ich fuhr herum, blickte in seine hellblauen Augen. Ich hatte nicht gemerkt, dass er inzwischen angekommen war. Das dunkle Haar wehte ihm ins Gesicht. Wieder einmal fiel mir auf, wie schön er war, mit diesen fein gemeißelten Wangenknochen.

»Hab ich dich erschreckt?«, fragte er sanft.

Ich schüttelte den Kopf, spürte, wie mir das Herz vor Glück bis zum Hals schlug, genau wie bei unserer ersten Begegnung damals. Wie jedes Mal, wenn wir zusammen waren.

Ich streckte die Arme aus und schloss ihn darin ein. Er hob mich hoch, drehte sich mit mir und lachte. »O Mia, das wird der beste Tag meines Lebens!«, verkündete er, und ich stimmte in das Lachen ein.

Ja, was wir hatten, war besonders. Ich spürte es bis in meine Zehenspitzen. Dieses Kribbeln des Glücks.

Wir schauten uns an, versanken in unseren Augen, und ich küsste ihn voller Sehnsucht. Es kam mir vor, als schmeckten seine Lippen noch viel besser als sonst. Oder mit jedem Tag, den wir uns liebten, noch etwas süßer.

»Wartest du schon lange?«

»Nicht lange …«

Er setzte mich ab, lächelte mich immer noch an. Seine Wangen waren gerötet.

»Also, jetzt erzähl schon. Du darfst nach Bergen?«, mutmaßte ich.

Sein Strahlen wurde nur noch größer. »Herr Lindblom will mich persönlich kennenlernen und hat mich in seine Villa eingeladen. Der Senior Partner kommt auch mit. Er will sichergehen, dass nichts schiefläuft. Aber es sieht gut aus. Das ist ein millionenschwerer Mandant«, erklärte mir Gabriel mit leuchtenden Augen. »Wenn er sich für mich als seinen Anwalt entscheidet, würde ich sehr wichtige Fälle für ihn bestreiten.«

»Das klingt großartig.« Ich war so stolz auf ihn. Ole Lindblom war für seine wohltätigen Projekte und Umweltschutzaktivitäten bekannt, zudem leitete er gleich mehrere große Unternehmen, die sich dem Fairtrade verschrieben hatten. Daher war er der perfekte Mandant für Gabriel, dessen Idealismus ich immer schon bewundert hatte. Sein Ziel war es, irgendwann eine eigene Kanzlei zu gründen und Umwelt-Anwalt zu werden. Lindblom war ein wichtiger Schritt auf diesem Weg. Und Gabriel wäre der perfekte Anwalt für Herrn Lindblom, so viel stand fest. Einen besseren als ihn gab es nicht.

Er beugte sich zu mir runter und küsste mich.

Ich genoss den Moment. Spürte das Kribbeln in meinen Wangen, die heiß glühten und zugleich vom Abendwind abgekühlt wurden. Er griff nach meiner Hand.

»Wollen wir ein Stück gehen?«, schlug er vor.

»Ich dachte, du wolltest mich ins Restaurant entführen?« Anstoßen und so.

»Das auch. Schließlich müssen wir meinen kleinen Erfolg feiern. Aber vorher möchte ich noch etwas anderes tun.«

Ich sah ihn neugierig an, aber sein schelmisches Lächeln verriet, dass er es mir erst sagen würde, wenn der richtige Moment gekommen war.

»Also? Kommst du mit?«

»Sicher«, stimmte ich zu und erwartete, dass er mich runter zur Außenalster führen würde, um mit mir dort entlangzuspazieren, wie wir es schon so oft getan hatten.

Ein paar Wagemutige hatten dort ihre Decken ausgebreitet, als wäre es schon Sommer. Ich hingegen fror, zog den dünnen Mantel noch etwas fester um mich, woraufhin er schützend den Arm um mich legte. Ich kuschelte mich an ihn, spürte seine Wärme, die so wohltuend war, und bemerkte irritiert, dass wir nicht zum Wasser runtergingen.

Stattdessen führte Gabriel mich noch ein Stück weit über die Kennedybrücke.

»Hier müsste es sein, oder?«, sagte er schließlich.

Er blieb genau an der Stelle stehen, an der wir zusammengestoßen waren. Wie hätte ich es auch je vergessen können? Dies war die Stelle, an der unser Glück begonnen hatte. Hier, am genau zehnten Meridian. Er ließ mich los, und ich vermisste die Wärme, die er gespendet hatte, im selben Augenblick. Ich nickte ihm zu und schloss die Arme um meinen Oberkörper.

»Das hier ist ein besonderer Ort für uns, daher muss ich es hier tun.«

»Was denn tun?«, fragte ich überrascht.

Und dann blieb die Welt stehen. Alles um uns herum erstarrte, nur er und ich nicht, denn plötzlich ging Gabriel vor mir auf ein Knie. Einfach so, ohne Vorwarnung. Ohne irgendein Anzeichen, das ich hätte bemerken können.

Mein Herz raste nun wie wild. Selbst die Kälte des Abends spürte ich nicht mehr. Was hatte das zu bedeuten? Er wollte doch nicht … Ich war so perplex und überrascht, dass mir die Luft wegblieb. Kein Wort kam über meine Lippen, aber sie bebten vor Aufregung.

»Es passieren gerade so viele Dinge in meinem Leben. Vieles ändert sich. Diese Reise, der neue Mandant. Das ist aufregend, wie ein Abenteuer. Ich merke, es geht voran. Und das auch noch sehr schnell. Aber ich will nicht nur Veränderungen in meinem Leben. Es gibt auch jemanden, den ich gerne bis zu meinem Lebensabend bei mir hätte. Mia, ich liebe dich. Und deswegen möchte ich nie mehr ohne dich sein. Ich will mein Leben mit dir verbringen.«

Meine Hand legte sich auf meinen Mund. Noch immer war ich absolut sprachlos.

Aus seiner Jackentasche zog er ein kleines Kästchen hervor. Mir wurde ganz anders. Nun wanderte meine Hand herunter, platzierte sich auf mein viel zu rasch schlagendes Herz, als wollte sie es beruhigen. Ein vergebliches Unterfangen. Meine Augen fingen an zu brennen, mein Atem ging schneller. Seiner auch.

»Mia, du bedeutest mir alles. Dass wir uns hier getroffen haben, ist kein Zufall, es war vorherbestimmt, daran habe ich keinen Zweifel. Du bist intelligent, witzig, du reißt mich mit, du erfüllst mich, ich kann mir nicht mehr vorstellen, jemals wieder ohne dich zu sein. Daher muss ich es fragen, bevor ich aufbreche, bevor alles anders wird, damit du mein Anker bist. Damit ich zu dir zurückkommen kann in dem Wissen, dass uns nichts und niemand jemals trennen kann. Ich liebe dich. Du ahnst nicht, wie sehr. Das will ich der ganzen Welt zeigen, alle sollen es wissen. Du und ich, für immer! Willst du meine Frau werden?« Er öffnete das Kästchen, darin befand sich ein Ring, der wunderschön aussah.

Der schönste Ring der ganzen Welt.

Ich versuchte, die Tränen zurückzuhalten, aber sie flossen schon über meine Wangen. Das waren die schönsten Worte gewesen, die ich je gehört hatte, die je zu mir gesagt worden waren. Und ich wusste, sie waren wahr, denn sie spiegelten genau das wider, was auch ich empfand. Dieses perfekte Glück. Ein paar Leute schauten zu uns rüber, sie fieberten mit, ich fächelte mir frische Luft zu, schaute ihn an, in seine hoffnungsvollen Augen. Und es gab keinen Grund, auch nur einen Moment zu zweifeln. Ich liebte ihn!

Ich nickte heftig, presste ein »Ja« hervor und fiel ihm in die Arme. »Ich will, Gabriel. Ich liebe dich!«, raunte ich in sein Ohr und küsste ihn. Die Leute um uns herum jubelten, es war seltsam vertraut, fast als kannten sie uns, obwohl wir keinem von ihnen je begegnet waren. Doch in gefühlvollen Augenblicken wie diesen wuchsen Menschen zusammen, fühlten mit, wie etwas in Erfüllung ging, das sie sich vielleicht selbst wünschten.

Aber dass es nun mir passierte, war unglaublich, und doch fühlte es sich unfassbar richtig an. Denn mit uns, das passte. Und dies war die Krönung, die unsere Liebe besiegelte. Wie er es gesagt hatte, für alle sichtbar!

Als sich unsere Lippen wieder voneinander lösten, sah ich ein Leuchten in seinen Augen.

Sanft steckte er mir den Ring an.

Es war der glücklichste Moment meines Lebens.

1. Kapitel

Drei Jahre später

Der Boden gab unter seinen Füßen nach, zerbröckelte und glitt ins Nichts. Wie ein Stein fiel er selbst in die Tiefe, verschwand im Dunst von Nebelschwaden, die ihn, einem gierigen Schlund gleich, verschluckten.

»Nein!«, rief ich und streckte die Hand über dem Abgrund aus. Doch niemand griff nach ihr. Mein Herz raste wie wild. Ich schlug um mich. Donner, Blitz und Hagel prasselten auf mich nieder, und der Regen verwischte meine Sicht. Ich war blind. Sah nichts, hörte nichts. Ein Schrei entrang sich meiner Kehle. Im nächsten Moment schreckte ich auf.

Ich wusste nicht, wo ich war. Mein Atem ging so schnell, dass mir schwindelte. Erst nach und nach ergaben die Formen vor meinen Augen Sinn.

Es brauchte eine Weile, ehe ich die Umrisse meines Schlafzimmers erkannte. Die Kommode, den Schrank, die Vorhänge vor dem Fenster, die irgendwann mal weiß gewesen waren, jetzt aber in einem Grau-Ton imponierten. Einfach nur mein Zimmer. Mit beiden Händen fuhr ich mir übers Gesicht.

Meine Stirn war feucht vom Schweiß. Kalt blieb er an meinen Fingerspitzen hängen. Ich schüttelte mich. Versuchte, die Erinnerung abzuwerfen, einfach nur loszuwerden. Aber wie sollte das gehen?

Drei Jahre war es her. Drei Jahre auf den Tag genau. Mir schwindelte erneut. Ich drückte die Hand auf die Brust, um mein Herz zu beruhigen, erinnerte mich daran, als wäre es gestern gewesen, als ich den Anruf von Gabriels Mutter erhalten hatte. Es war seltsam, wie surreal und erschreckend echt mir diese Erinnerung zugleich vorkam, als hörte ich sie in diesem Moment an meinem Ohr.

»Es gab einen Unfall. Gabriel … er ist …« Ihre Stimme hatte fern geklungen, mechanisch. Als wäre sie nicht sie selbst gewesen, als hätte sie über jemand anderen gesprochen, aber nicht über Gabriel.

Ich wusste noch, wie ich erstarrt war, wie ich mich nur mit Mühe aus dieser Starre hatte befreien können und immer wieder denselben Gedanken gedacht hatte: Nein, das kann nicht sein.

Er war zum Wandern zum Gullfjellet aufgebrochen, dem höchsten Berg östlich der Gemeinde von Bergen, eine wunderschöne Ausflugsregion Westnorwegens. Herr Lindblom hatte ihn dazu ermutigt, sich einen Tag freizunehmen. Doch es war ein Unwetter aufgekommen und Gabriel nicht zurückgekehrt. Dasselbe Unwetter, das zum Zeitpunkt des Anrufs gegen meine Fensterscheiben geprasselt hatte, weil es zu uns heruntergewandert war. Jedes Grollen, jedes Blitzen war mir in die Glieder gefahren wie Hiebe.

Mir war schlecht geworden. Richtig schlecht. Ich hatte das Blut in meinen Adern rauschen gehört, mein Herz bis zum Hals schlagen gespürt. Da war dieser Drang gewesen, das Geschehene rückgängig machen zu wollen. Etwas tun zu müssen, um das Unglück nachträglich zu verhindern, weil es doch gerade erst passiert war. Dieser geringe zeitliche Abstand erzeugte die irrationale Illusion, als wenn das noch möglich wäre.

Aber natürlich war das nicht gegangen.

»Jemand hat ihn in einen Felsspalt stürzen sehen. Die Suchaktion ist nach nur vierundzwanzig Stunden abgebrochen worden. Sie sagen, es gab keine Überlebenschance.«

Ich war zusammengebrochen. Verstummt. Obwohl mir zum Schreien zumute gewesen war.

Nur eine Woche nach unserer Verlobung hatte er einfach so … fort sein sollen? Ich hatte es nicht greifen können. Er war jung und gesund gewesen, er hatte noch das Leben vor sich gehabt. Ich hatte keine Zeit gehabt, mich darauf vorzubereiten, weil es aus dem Nichts gekommen, er mir einfach so entrissen worden war. Aber das konnte doch nicht sein? Nicht bei Gabriel! Das war ein Scherz. Ein ganz übler noch dazu. Wir hatten doch Pläne gehabt für die Zeit nach seiner Rückkehr. Ich hatte es nicht glauben können, nicht glauben wollen. Und ich tat es bis heute nicht.

Verschollen ist nicht tot! Dieser Gedanke war es, an dem ich mich festkrallte wie an einem Strohhalm.

Niemand hatte nachempfinden können, wie ich mich gefühlt hatte, aber alle hatten versucht, mich zu trösten, für mich da zu sein. Dafür war ich dankbar gewesen, und trotzdem hatte ich mich allein gefühlt.

Aber wie hätte ich ihnen erklären sollen, wie es wirklich in mir ausgesehen hatte? Den Druck in meiner Brust, das Gefühl, als würde mir jemand die Kehle zuschnüren. Als würde ich an einem Abgrund stehen, nein, sogar hineinstürzen. In die dunkle Tiefe.

Mein Leben war zerstört gewesen, nichts hatte mehr Sinn ergeben. Jeder Tag ein Kampf. Jedes Essen eine Qual, ich hatte furchtbar abgenommen. Ich war nicht zur Trauerfeier gegangen. Ich hatte mich geweigert anzuerkennen, dass er für tot erklärt worden war.

Tag und Nacht, es war alles dasselbe. Manchmal vergaß ich ganz, was geschehen war, glaubte, dass er jede Sekunde durch die Tür kommen würde, versteckte mich hinter der Illusion, dass in Wahrheit alles ganz normal wäre. Wie immer. Aber er kam nicht ins Zimmer, kam nicht zu mir zurück. Er ließ sich nicht nach einem Tag harter Arbeit in der Kanzlei in seinen Ohrensessel sinken, lächelte mich nicht an und fragte mich nicht, ob wir eine meiner Shows ansehen wollten, für die ich die Locations gesucht hatte. Stattdessen fand ich eine Beileidsbekundung seines Senior Partners im Briefkasten. Mit Worten, die mich gar nicht erreichten, weil alles in mir taub geworden war.

Tage vergingen, Wochen vergingen, irgendwann waren es Monate.

Mit der Zeit fasste ich eine gewisse Stärke, fand andere Wege. Ich wusste nicht genau, wann es passiert war. Doch ich hatte angefangen, mich ganz meinem Job zu verschreiben, Tag und Nacht nach Locations für Drehs gesucht. Ein bisschen, als hätte ich mich in eine Parallelwelt geflüchtet. Denn umherzustreifen, schöne Drehorte zu erkunden, das nahm mich ganz ein. Meine Familie sagte, dass das nur ein Verdrängen der Gefühle sei, was jedoch immer noch besser war, als diesen Schmerz zu empfinden. Arbeit, immerzu Arbeit, ich hatte für nichts anderes mehr Zeit.

»Kind, du musst etwas tun, du kannst doch nicht ewig so weiterleben«, sagte Mama und vermittelte mir eine Beratungsstelle. Doch es brauchte zwei weitere Monate, ehe ich mich aufraffte, dort mal anzurufen und einen Termin auszumachen. Was sollte das schon bringen? Sie konnten mir Gabriel nicht zurückbringen. Zu meinem Erstaunen merkte ich aber, dass das Gespräch mit der Psychologin guttat. Ich fühlte mich weniger allein. Und als ich dann auch noch zu einer Selbsthilfegruppe ging, wo ich Menschen treffen konnte, die durchgemacht hatten, was ich durchmachte, merkte ich zum ersten Mal, dass es doch ein Leben danach geben könnte. Vielleicht nicht sofort, aber irgendwann.

So war aus dem tiefen Riss in meinem Herzen eine Narbe geworden, die nur noch hin und wieder schmerzte. Die Welt war ein Stück weit grauer geworden, immerhin, ich kam zurecht. Nahm wieder mein Leben in die Hände, stieg vom Location Scout zur Szenenbildnerin auf, tat nun das, was ich immer hatte tun wollen. Mein lang gehegtes Ziel. Gabriel wäre so stolz auf mich gewesen. Und nun näherte sich dieser Tag. Heute vor drei Jahren.

Alles drohte wieder hochzukommen. Ich hatte es schon vorher geahnt, die ganze Woche über war ich angespannt gewesen, wie auch die Jahre zuvor. Wie sollte man damit umgehen? Wie sollte man das je begreifen können? Dass dieses besondere Licht in meinem Leben verschwunden war?

Just in dem Moment klingelte mein Handy. Ein Blick aufs Display verriet, es war meine gute Freundin Leonie.

Ich schluckte die Tränen runter und ging ran.

»Hey, Süße«, meldete sich Leo. »Wie geht es dir?«

Ich seufzte. Das war wohl Antwort genug.

Leo kannte meine Geschichte.

Zwar hatte sie Gabriel nie kennengelernt, aber ich hatte ihr so oft von ihm erzählt, dass sie natürlich auch wusste, welcher Tag heute war. Dieser Tag, vor dem ich mich das ganze Jahr über fürchtete.

»Hör mal, ich hab mir was überlegt. Komm doch zum Frühstück zu uns.«

Ich wischte mir über die Augen. Appetit hatte ich keinen.

»Du sollst heute nicht allein sein. Ich decke den Tisch, aber du musst nichts essen, wenn du nicht willst«, schlug sie beherzt vor. »Du kommst einfach zu mir und wir machen etwas, das dich auf andere Gedanken bringt.«

Das klang vernünftig genug, dass ich es mir überlegen wollte. Was hätte ich heute auch sonst tun sollen? Pläne für Szenenbilder vorbereiten vielleicht. Immerhin ging bald ein neuer Job für mich los. Ein wirklich tolles Projekt für eine erfolgreiche Fernsehserie. Nur konnte ich mich gerade nicht darüber freuen. Es war wie alles andere in meinem Leben, grau in grau. Aber daran hatte ich mich gewöhnt.

»Mia? Was meinst du?«, hakte Leo geduldig nach. »Sag bitte Ja. Ich weiß, wie schwer der Tag für dich ist. Aber ich möchte für dich da sein.«

Ich musste lächeln. Typisch Leo, sie war einfach eine ganz Liebe. Es wäre sicher gut, heute unter Menschen zu sein.

»Ja … ich komme.«

»Super! Bis gleich.«

2. Kapitel

Kurz darauf parkte ich vor ihrem Reihenhaus und stieg aus. Ich lief auf das Gebäude zu und blickte an der Außenfassade hoch. Ein typischer Hamburger Altbau mit winzigen Balkons. Da surrte mein Handy. Ich zog es aus der Hosentasche und erhaschte einen Blick aufs Display, wo eine Nachricht von Mama angezeigt wurde.

Heute ist ein neuer Tag, sieh nach vorne!, las ich. Seufzend steckte ich das Mobiltelefon wieder weg, ohne die Message anzuklicken und die gesamte Nachricht zu lesen. Ich wusste bereits, was drin stand. Mamas ewiges »Es ist drei Jahre her …« Aber davon wollte ich heute nichts hören.

Zügig betrat ich den Hausflur und lief die Treppen bis in den dritten Stock hoch, als wäre ich auf der Flucht, als könnte ich vor diesem Datum fliehen.

Ich war ehrlich froh, dass ich Leo hatte.

Sie war zwei Jahre lang meine Gesangslehrerin an der Musikschule gewesen, bevor sie nun in Mutterschutz gegangen war. Das Singen war seit jeher mein Hobby, ich hatte es wieder aufgenommen, in der Hoffnung, darin Trost zu finden. Doch schnell hatte ich gemerkt, dass es nicht mehr das Richtige für mich war. Die Lieder, die ich hatte singen sollen, hatten mich nicht mitgerissen. Auch Leos Lob für meinen schönen Mezzosopran hatte nichts daran geändert. Als ich den Vertrag wieder hatte kündigen wollen, hatte Leo mich zur Seite genommen und gefragt, was wirklich mit mir los sei. So waren wir damals ins Gespräch gekommen. Keine Ahnung wieso, aber ich hatte gemerkt, dass ich ihr bedingungslos vertrauen konnte und ihr meine Geschichte erzählt. Sie hatte nur zugehört, nicht geurteilt, keine klugen Ratschläge gegeben, die ich gar nicht hatte hören wollen. Danach hatte ich mich nicht nur erleichtert gefühlt, das Eis zwischen uns war auch gebrochen gewesen, ich war dort geblieben, hatte weiter gesungen und mich von ihr unterrichten lassen. Ein Stück weit war so auch meine Liebe zur Musik zurückgekehrt.

Leo hatte eine wunderbare Stimme, hatte selbst auf Musicalbühnen gestanden und konnte Gesangstechniken vermitteln wie keine andere. Selbst totalen Laien wie mir, die zumeist nur unter der Dusche sangen. Außerdem waren wir zu guten Freundinnen geworden, die sich auch außerhalb des Unterrichts trafen. So wie jetzt. Leo war eine starke Frau, die für einen da war, wenn man sie brauchte.

Ich war froh, an diesem Tag nicht allein zu sein. Natürlich wollte ich auch die kleine Alina sehen, die laut Leo schon ein ordentliches Stück gewachsen war, seit ich sie zuletzt getroffen hatte. Fast wie an einem ganz normalen Tag.

Ich hielt vor der Tür mit dem Klingelschild Andresen / Bianchi und klingelte. Schon hörte ich Schritte von drinnen. Leo öffnete mir, die süße Alina auf dem Arm. Säuglinge sahen so niedlich aus mit ihren zerknautschten Gesichtern, die nichts als Zufriedenheit ausstrahlten.

»Mia, meine Süße, schön, dass du vorbeischaust«, sagte Leo und drückte mich vorsichtig an sich, darauf bedacht, dass Alina nicht aufwachte.

»Hi, Leo«, sagte ich, ohne den Blick von dem Baby abwenden zu können. »Die ist ja wirklich gewachsen«, stellte ich begeistert fest. Wie normal das alles klang. Es war wirklich gut, dass ich heute hier war.

»O ja, und sie hat einen gesegneten Appetit. Komm rein.«

Sie führte mich durch den Flur, der vollgehängt war mit Bildern ihrer früheren Produktionen. Auf einem trug sie ein Les-Misérables-Kostüm, hatte sie doch eine Rolle in dem Stück ergattert. Ich konnte nur staunen über ihre Beweglichkeit, die sie in Form eines beeindruckenden Spagats auf einem der Bilder zur Schau stellte. Das Herzblut und die Liebe zu ihrem Beruf standen ihr ins Gesicht geschrieben, und das, obwohl es nur eine Fotografie war.

Auf einer dieser Produktionen hatte sie ihr Herzblatt kennengelernt.

»Setz dich doch«, sagte Leo, nachdem sie mich in ihr gemütliches Wohnzimmer geführt hatte. Auf dem Esstisch hatte sie ein paar Brötchen und Aufschnitt bereitgestellt, auch Müsli und Milch sowie eine große Karaffe Orangensaft. Ich ließ mich auf einen der gepolsterten Stühle sinken.

Vorsichtig legte sie das Baby in eine kleine Trageliege. Alina gluckste zufrieden, wachte aber nicht auf. Wir musterten die Kleine eine ganze Weile verliebt, wie sie so selig schlummerte. Ich beneidete sie um die Sorglosigkeit, die sie erleben durfte.

»Tee?« Leo hob fragend eine Kanne, die ich erst jetzt bemerkte.

»Gerne.« Umsichtig goss sie mir etwas ein, ich griff nach der Tasse, nippte daran. »Mmh. Ingwer-Tee?«

»Den hat Riccardo aus diesem entzückenden kleinen Teeladen unten an der Ecke mitgebracht. Ich liebe diese Sorte.« Leo zwinkerte und nahm ihre eigene Tasse.

»Der gute Riccardo. Er ist so ein toller Papa, so verliebt in die Kleine.«

Leo lächelte glückselig.

Ein bisschen, das musste ich zugeben, beneidete ich Leo. Zwar suchte Riccardo gerade einen Job, da er ja nun mit ihr sesshaft geworden war und nicht mehr als Techniker auf Konzerten oder Musicalshows deutschlandweit arbeiten konnte, doch trotz dieser Lage hatten die beiden sich und Alina. Eine süße kleine Familie. Auch ich hatte mir immer Kinder gewünscht. Aber daran und an so vieles andere wollte ich jetzt nicht denken. Das Leben hatte mir einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Mein Blick glitt durch den Raum, hin zu dem Regal, in dem unzählige Notenbücher standen, bis zu dem Flügel am Fenster.

»Die Kleine wird sicher musikalisch werden wie ihre Mama«, überlegte ich, Leo aber winkte ab.

»Na, mal sehen. Ich werde jedenfalls keine dieser Mütter, die ihre Kinder zum Geige- oder Klavierspiel zwingen. Außerdem hat sie ja noch einen Papa, und Riccardo ist alles, nur kein Musiker.« Sie grinste.

Ich nahm noch einen Schluck Tee. Er war wirklich ausgezeichnet. Vielleicht sollte ich nachher auch noch mal unten am Teeladen vorbeisehen und mir eine Packung mitnehmen?

»Magst du etwas essen?«, bot mir Leo beherzt an. Aber ich schüttelte den Kopf. Ich hatte immer noch keinen Appetit. Genauer gesagt schnürte sich mir der Magen zu.

Leo atmete tief ein.

»Du weißt, dass ich eine tolle Schulter zum Ausweinen habe«, hakte sie nach und strich sich imaginären Staub von ihrem Wollpulli.

Ich musste unwillkürlich lächeln. Ja, zufällig wusste ich das. Ich nickte und nahm erneut einen Schluck.

»Ich bin für dich da, Süße. Ich weiß, dass heute ein schwerer Tag für dich ist und du eine wirklich harte Zeit hinter dir hast.«

»Es fühlt sich so unwirklich an«, sagte ich leise und umschloss meine Tasse mit beiden Händen. Die wohltuende Wärme strömte in meine Finger. »Als wenn ich aus der Zeit gefallen wäre. Alles läuft ganz normal weiter für die anderen, aber nicht für mich.«

Leo nickte verstehend.

»Auf dem Weg hierher musste ich daran denken, wie dieser Tag heute sein könnte, wenn … wenn Gabriel noch hier wäre. Was wir machen würden? Hätten wir zusammen gefrühstückt? Wäre er dann zur Arbeit gefahren? Hätte er frei gehabt und den Tag mit mir im Bett verbracht?«

Leo lächelte, ihr Blick glitt in die Ferne. »Das wäre sicher ein schöner Tag. Vielleicht würden wir auch hier sitzen, so wie jetzt, nur dass er bei uns wäre.«

Ich schaute zu dem leeren Stuhl neben mir und seufzte.

»Er hätte dich gemocht. Er kam … mit jedem aus.« Das hatte ich so sehr an ihm geliebt, seine positive Art, die jeden für sich eingenommen hatte.

Leo schaute mich betrübt an und reichte mir ein Taschentuch. Mir war gar nicht aufgefallen, dass eine Träne über meine Wange rollte. Ich tupfte sie weg, versuchte mich zu fassen.

»Womöglich brauchst du mal Abstand von allem?«, sagte Leo vorsichtig, fast zurückhaltend.

Ich schloss die Augen. Meine Hände krallten sich unterdessen um meine Tasse, als hinge mein Leben davon ab.

»Du weißt, ich hab das nie so gesagt, weil meiner Meinung nach jeder seine eigene Zeit hat. Aber heute ist nun mal kein Tag wie jeder andere. Was denkst du darüber?«

Ich sog die Luft durch die Zähne.

»Du denkst also auch, dass ich endlich anfangen soll nach vorne zu sehen?«, schnaubte ich und dachte an die SMS von Mama.

Leo hob abwehrend die Hände. »Das wollte ich damit nicht sagen, ich dachte ja nur …«

Wie weit nach vorne sollte ich denn noch sehen? Ich verdeutlichte mir, was in den letzten Jahren geschehen war. Wie ich mich entwickelt hatte. Die Aufs und Abs, die Tatsache, dass die Selbsthilfegruppe mir eine gewisse Stabilität gegeben hatte, meine Beförderung. Immerhin war ich nun Teil des Teams der Alsterhaus-Serie, die hier in Hamburg gedreht wurde. Was also meinte Leo?

»Abstand kann helfen, wieder klar zu sehen«, fügte sie hinzu.

»Ich habe mein Leben in den Griff bekommen«, sagte ich ärgerlich.

Leo zog eine Braue hoch, legte den Kopf schief und sah mich an, als würde ich fabulieren.

»Süße, merkst du es denn wirklich nicht?« Sie streckte die Hand nach ihrem Mobiltelefon aus, das auf dem Beistelltisch lag, und wischte dann mehrmals über das Display, ehe sie es mir vor die Nase hielt.

Auf dem Screen sah ich eine entzückende Pension mit Gaststätte und Vorgarten. Es sah malerisch aus. Ein Ort voller Licht und Idylle. Einladend. Umringt von Blumen und Gräsern. Eine Kuhfleckenkatze hockte auf einer der Stufen und gähnte in die Kamera. Das Bild hätte aus einem Prospekt sein können.

»Das Zum Löwen?«

Leo nickte und lächelte mich sanft an. »Die Pension meiner Mama. Ich hab sie gefragt, ob noch ein Zimmer frei ist, und sie hat Ja gesagt.«

»Oh … aha.« Was hatte das mit mir zu tun? Na ja, ich konnte es mir wohl denken.

Leo lehnte sich zurück. »Hör mir erst mal zu, Mia, bevor du Nein sagst. Du weißt, wie lieb ich dich habe, und das ist auch der Grund, warum ich mir ein bisschen Sorgen um dich mache. Ich sehe doch, dass es dir nicht gut geht. Zu gerne würde ich dir helfen. Ich habe mir daher gedacht, du brauchst einfach mal einen Tapetenwechsel. Jetzt mehr denn je. Die letzten Wochen hast du nur gearbeitet. Das hält doch kein Mensch durch. Außerdem kommst du hier in Hamburg nicht auf andere Gedanken, wie sollte das auch gehen? Was du brauchst, ist eine Auszeit, um wieder auf die Beine zu kommen, neue Perspektiven zu gewinnen.«

»Du schlägst mir vor, dass ich Urlaub in der Pension deiner Eltern machen soll?«

»Das ist mein Vorschlag, ja. Du fährst nach Travemünde und beziehst das Zimmer im Zum Löwen. Dort entspannst du dich so richtig, machst endlich mal Urlaub. Und zwar richtigen Urlaub, nicht nur zu Hause sitzen und grübeln, nein, ich will, dass du dir die Gegend anschaust und die Seele baumeln lässt. Geh an den Strand, die Ostsee ist direkt vor der Tür. Genieße das Wetter, die See, einfach alles. Ich bin mir sicher, es würde dir guttun.«

Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Das klang so verführerisch, dass ich fast gewillt war zuzustimmen. Doch es gab einen Haken.

»Ausgerechnet Lübeck …«

Timmendorfer Strand, der Heimatort von Gabriel, wäre direkt vor meiner Nase.

Es würde unweigerlich bedeuten, sich der Vergangenheit zu stellen. Ich war nicht sicher, ob ich dazu bereit war.

»Liebes, ich muss dir gestehen, dass das Teil meines Plans ist.«

»Was?«

»Ich habe das Zum Löwen nicht nur wegen der schönen Lage und der Nähe zum Meer vorgeschlagen oder weil du als ehemaliger Location Scout von Hotel-Tester einen Blick für tolle Herbergsbetriebe hast.«

Ich hob eine Braue. Was meinte Leo?

Ihre Hände legten sich vorsichtig auf meinen Unterarm.

»Ich sage das nur ungern, aber … wenn man dich so sieht, hat man das Gefühl, du bist in der Vergangenheit stecken geblieben. In diesem Schmerz …«

Also doch, es ging doch darum! Hatte sie sich mit meiner Mutter verbündet?

»Ich weiß, wie schwer es dir fällt, wie schlimm es für dich war. Aber Mia … Ist es nicht an der Zeit, ihn loszulassen?« Ihre Stimme war ganz sanft und einfühlsam. Aber das löste etwas in mir aus. Genauso wie Mamas SMS. Sogar noch mehr, weil es von Leo kam.

»Wieso meinen alle, besser zu wissen als ich, wann ich was fühlen soll und wann nicht?«, entfuhr es mir. »Wann ich bereit bin, Gabriel gehen zu lassen oder wann nicht. Ihr könnt das nicht wissen, ihr könnt es auch nicht entscheiden.«

Nun flossen mehrere Tränen, sie rollten wie ein unendliches Rinnsal über meine Wangen.

»O Mia … das kam total falsch an, entschuldige bitte! So wollte ich es nicht sagen.«

Sie reichte mir erneut ein Taschentuch. Ich schniefte hinein und hasste den Gedanken, dass sie dennoch irgendwie recht hatte. Vielleicht hatte ich mein Leben weniger im Griff, als ich dachte? Es ging mir nicht gut, ich musste was ändern.

Ihr Arm legte sich um mich, ich nutzte nun doch die Chance, von ihrer Schulter Gebrauch zu machen, lehnte mich an diese. Ich hatte heute stark sein wollen. Eigentlich.

»Nein … ich muss … mich entschuldigen. Das war … nicht ganz fair«, gab ich zu und schniefte leise. »Ich weiß … dass du es nicht böse gemeint hast.«

Und Mama tat es auch nicht, niemand tat das.

Sie hauchte ein Küsschen auf meinen Schopf. »Ich hätte es vielleicht anders angehen sollen.«

»Nein. Ich möchte, dass du mir immer sagen kannst, was du denkst.« Ich richtete mich wieder auf, sah sie ernst an. »Wieso hast du ausgerechnet an Lübeck gedacht?«

Leo atmete tief ein, nickte dann schließlich.

»Das weißt du doch längst, oder?«

Ja, ich ahnte es.

»Du hast dich nie richtig von ihm verabschiedet«, erinnerte sie mich. »Das kannst du dort tun. Es … gibt keinen besseren Ort.«

Ich schluckte. Seine Ruhestätte war in Timmendorfer Strand. Ich hatte mich nie dorthin gewagt. Es hätte bedeutet, es zu akzeptieren.

Der Realität ins Auge zu sehen. Und nichts hatte ich mehr gescheut als das. Ich wusste nicht, ob ich stark genug dafür war. Doch ich sah auch ein, dass das der Grund sein könnte, warum ich trotz meiner Erfolge auf der Stelle trat. Leo schaute mich mitfühlend an, ich kam mir vor wie ein offenes Buch, in dem sie las. »Gabriel hätte nicht gewollt, dass du dein Leben nicht mehr lebst«, sagte sie ruhig.

Wieder etwas, das ich nicht hören wollte. Wieder etwas, mit dem sie recht hatte.

»Ich weiß nicht, ob ich das kann, Leo … ich stimme dir ja zu, euch allen, die ihr mir immer wieder sagt, dass ich abschließen muss. Aber was … wenn ich es nicht kann? Wenn ich dort bin, aber es nicht über mich bringe?«

»Du bist nicht allein, Süße. Ich bin für dich da. Wenn du das nicht machen willst, verstehe ich das. Und wenn du es doch tust, aber nicht abschließen kannst, ist es auch okay. Ich will doch nur, dass es dir besser geht. Und ich glaube fest an dich.«

Das wusste ich. Ich drückte ihre Hand.

»Du hast ja recht«, gab ich zu und schluckte den Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hatte, herunter. Ich sah in diesem Moment sehr klar, erkannte, dass dies tatsächlich die Aufgabe war, die mir bevorstand. Eine Art Prüfung, vor der ich mich bisher erfolgreich gedrückt hatte.

Zudem war ich meine eigene Chefin, meine Auftragslage erlaubte mir auch eine spontane Reise … Der nächste Dreh für die neue Staffel der Alsterhaus-Serie stand in zwei Wochen an, und das Studio war erst in einer Woche frei, weswegen meine Tätigkeit im Augenblick nur im Feinschliff der Szenenbildung stand. Alles, was wir an spezifischen Requisiten brauchten, war bestellt. Jetzt ging es um Details, die der Szene Leben einhauchen sollten. Dafür war der Fundus des Studios ideal. Es gab eine eigene Webseite, auf der man sich anmelden konnte, um die Bestandsliste zu sehen und vorhandene Requisiten zu reservieren. Also alles Dinge, die man am Laptop machen konnte, zu Hause, unterwegs oder eben in Lübeck. Es würde kaum einen besseren Zeitpunkt für einen Urlaub geben.

Ich seufzte.

Leo löste sich von mir und schaute mich aufmunternd an. »Denke drüber nach«, schlug sie vor.

Ich schüttelte den Kopf. Es gab nichts zum Nachdenken. Ich sollte es tun. Es war das einzig Vernünftige. Ich wollte mich nicht länger zurückziehen, mich nicht länger von meiner Traurigkeit bestimmen lassen. Ich wollte wieder Farben um mich haben, nicht nur Grau in Grau. Mut erfasste mich. Wenn ich jemals wieder lernen wollte, nach vorne zu blicken, dann war dies die Chance dazu. »Ich werde hinfahren«, sagte ich mit wachsender Entschlossenheit.

Leo hob erstaunt eine Braue. »Du fährst hin?«

Ich nickte. Es war die richtige Entscheidung, die richtige Zeit und der richtige Ort.

Leo hatte mir unzählige Geschichten von der Straße erzählt, in der sie aufgewachsen war, sodass ich fast das Gefühl hatte, sie bereits zu kennen, obwohl ich noch nie dort gewesen war.

Und zugegebenermaßen hatte sie damit meine Neugierde geweckt.

Nun selbst dorthin zu fahren, gefiel mir besser und besser. Auch der Besuch in Timmendorf … ich wusste, ich musste es tun, wenn ich nicht länger hinter diesem grauen Schleier leben wollte.

»Ich bin stolz auf dich, Mia. Ich glaube, das ist die richtige Entscheidung«, freute sich Leo. Ich sah ihr an, wie ihr ein Stein vom Herzen fiel.

»Unterbringung und Logis sind für dich selbstredend kostenlos. Da sind Mama und ich uns einig. Freunde von mir sind Freunde von ihr. Und die müssen nichts bei uns bezahlen, sie sind immer willkommen.«

Ich spürte, wie ich in Aufbruchsstimmung geriet. In mir wuchs ein Wunsch nach Veränderung. Nach Abschluss und Neubeginn.

»Danke, Leo. Dafür und für alles andere.«

»Nicht doch, Süße. Du bist mir wichtig, das weißt du hoffentlich.«

Ich nickte.

»Und keine Sorge, niemand dort weiß, was geschehen ist. Du kannst dort ganz entspannt sein, musst keine Fragen beantworten und kannst die Zeit nutzen, um dich zu ordnen. In deinem Tempo. Tu das, was dir guttut.«

Das klang gut.

»Du bist wirklich eine tolle Freundin, weißt du das?«

»Ja, das ist mir bewusst.« Sie zwinkerte. Wir umarmten uns.

3. Kapitel

Am nächsten Morgen stand ich früh auf, packte meine Tasche und frühstückte. Leo schickte ich eine Nachricht, dass ich losfahren würde, und sie schrieb zurück, dass sie mich ankündigte. Meine Arbeit konnte ich mitnehmen, das war kein Problem. Ein Laptop und ein Zeichenblock genügten. Ich würde einen Verkaufsraum des alten Alsterhauses entwerfen, der dann im Studio nachgebaut werden würde. Dazu wollte ich mich an dem historischen Alsterhaus orientieren und hatte bereits genug Recherchematerial gesammelt und heruntergeladen.

Nachdem ich meinen Teller abgespült und in den Schrank zurückgestellt hatte, wurde mir erst klar, was ich vorhatte. Ich wollte tatsächlich nach Lübeck fahren. Und ich hatte sogar Lust darauf. Ich knüpfte Hoffnungen an diesen Aufenthalt, auch wenn mir gleichzeitig klar war, dass es schwer werden würde. Denn ich wollte Leos Vorschlag folgen, das tun, was mir gefiel, aber auch Dinge abschließen, die ich nie hatte abschließen können.

Nach dem Frühstück klingelte ich bei meiner Nachbarin, für die ich schon öfter den Urlaubsdienst gemacht hatte.

»Natürlich sehe ich nach Ihrer Post«, versprach sie freundlich. Anschließend schickte ich Mama eine SMS.

Ich fahre in Urlaub, für eine Woche! Bin nicht zu erreichen. Hab dich lieb.

Kurz darauf setzte ich mich hinters Steuer und fuhr gen Norden, die Reisetasche im Kofferraum und einen Proviantbeutel auf dem Beifahrersitz. Ich folgte der Schnellstraße und bewunderte die flachen Wiesen und Felder, die Windräder im Hintergrund, die sich behäbig drehten. Der Frühling lag in der Luft, das verriet der süßliche Duft blühender Felder, der durch das halb geöffnete Seitenfenster drang, und der hellblaue Himmel, der aussah, als wäre er gemalt.

Für einen Sekundenbruchteil stutzte ich, denn ich hatte es gesehen. Das helle Blau, das kein Grau gewesen war. Ein Anflug von Euphorie riss mich mit. Wenn das nicht ein erster Schritt in die richtige Richtung war.

Ich lachte leise, war nun umso mehr bereit, mich auf alles einzulassen, was ich mir vorgenommen hatte, und das fühlte sich richtig an. Ich schaltete das Radio an. Pandora’s Box von OMD drang aus den Boxen. Ich liebte diesen leicht verstaubten Sound des 80er-und-90er-Jahre-Senders. Die Musik versetzte mich in Aufbruchsstimmung. Ich fing sogar an mitzusingen, was ich schon ewig nicht mehr gemacht hatte.

Nach einer Weile kamen die ersten Backsteinhäuser in Sicht. Durch das leicht geöffnete Fenster roch ich das Salz in der Luft. Mein Navi übernahm die Führung und lenkte mich nach Lübeck, vorbei am Holstentor, dem Wahrzeichen dieser wunderschönen Hansestadt, und schließlich immer weiter nach Norden, bis ich Travemünde erreichte.

Der Löwensteg war parallel zu den zwei bekannten Touristenstraßen Kurgartenstraße und Vorderreihe angelegt, die ihrerseits entlang der Trave verliefen. Leo hatte mir so viel über diese Straße erzählt, dass ich fast das Gefühl hatte, nach Hause zu kommen, als ich links und rechts von mir die steinernen Löwenköpfe an den Hauswänden erspähte, die den Eingang zum Löwensteg markierten. An der Mähne des einen Löwen war ein bisschen Stein abgebröckelt, was jedoch der majestätischen Ausstrahlung keinen Abbruch tat.

Es folgte eine entzückende Straße voller Boutiquen, Juweliergeschäften und teuren Restaurants, die zugleich edel als auch maritim wirkten. Dies, so wusste ich, war der Untere Löwensteg … Flaniermeile und Touristenmagnet.

Doch kaum hatte ich die Straße mit dem schlichten Namen Rose passiert, gelangte ich in den Oberen Löwensteg, der rustikaler und gemütlicher anmutete. Rechts von mir entdeckte ich eine traumhafte Konditorei, über deren Eingang der Name Fräulein Zucker prangte.

Auf der anderen Straßenseite befand sich ein kleiner Trödelladen, und direkt daneben das gemütliche Gasthaus Zum Löwen, das genauso aussah wie auf dem Bild, das Leo mir gezeigt hatte. Sofort kam in mir Urlaubsstimmung auf, sah es hier doch ganz anders aus als in meiner Straße in Hamburg mit ihren anonymen Wohnblocks.

Ich war angekommen.

Rasch lenkte ich mein Auto an den Straßenrand, um zu parken. Mit einer kurzen Handbewegung schaltete ich den Motor aus. Sofort verstummte dieser, und mein Kleinwagen hörte auf zu ruckeln und zu knattern. Mein Blick glitt die Straße hoch bis zu deren Ende, wo sich ein kleiner Park voll blühenden Grüns auftat. Wieder eine Farbe, die kein Grau war.

Ich stieg frohen Mutes aus, schnappte mir den Proviantbeutel vom Beifahrersitz sowie meine Tasche aus dem Kofferraum und musterte die Pension. Sie hatte Ähnlichkeit mit einem Fachwerkhaus, wies im Gegensatz zu allen anderen Häusern keine Backsteine auf, sondern war in helleren Tönen gehalten, die durch dunkle Muster von Holzbalken durchzogen wurden. Dadurch hob sich das Gebäude ein wenig von den anderen ab.

Direkt neben dem Eingang standen zwei kleine Löwenstatuen, die den Lübecker Löwen nachempfunden waren. Lübeck und die Löwen, da bestand eine historische Verbindung, dank Heinrich dem Löwen, der die Hansestadt übernommen und neu gegründet hatte. Auch das wusste ich von Leo, deren Name witzigerweise auch Löwe bedeutete.

Ich betrat das Haus und wurde empfangen vom Geruch nach altem Holz, spürte, wie die Dielen gemütlich unter meinen Schuhen knarzten und blickte mich um.

Die kleine Lobby sah entzückend aus, etwas aus der Zeit gefallen, doch man merkte ihr an, wie liebevoll das Haus geführt wurde.

Zu meiner Rechten war eine kleine Rezeption, die ebenso ganz aus Holz gemacht war. Mir fiel gleich auf, dass es hier ein bisschen anders aussah als in den Hotels und Pensionen, die ich früher in meiner Eigenschaft als Location Scout aufgesucht hatte. Dies hier war persönlicher, familiärer und deutlich altmodischer. Aber das gefiel mir. Es passte zu dem Häuschen und der Umgebung. Tief atmete ich ein. Unglaublich, dass ich es wirklich durchzog und hier war.

Ich war ein bisschen stolz auf mich. Ich hatte vieles vor. Wollte Neues sehen, nach vorne blicken und manches hinter mir lassen. Der Plan stand fest: Hier sollte alles anders werden. Und in mir breitete sich das gute Gefühl von Zuversicht aus, dass mir das auch gelingen würde. Wie wichtig es war, an das eigene Vorhaben zu glauben … das hatte ich fast verlernt.

Auf dem Tisch stand ein kleiner Karton, in den sich eine Kuhfleckenkatze gezwängt hatte. Eindeutig war er viel zu klein für die propere Katze. Was sie jedoch nicht darin hinderte, es sich gemütlich zu machen. Von meinen neugierigen Blicken ließ sie sich nicht aus der Ruhe bringen, sie gähnte und blinzelte mir entgegen.

Hinter der Rezeption machte ich ein Regal an der Wand aus, auf dem viele Fotos und Andenken standen. Umrahmt wurde das Gestell von einer Lichterkette, die allerdings gerade ausgeschaltet war.

Nebenan war die Gaststätte mit demselben Namen, wie ich feststellte, als ich das Gemurmel von Gästen und leise Musik vernahm. Fast wäre mir das Schild über der Seitentür mit der Aufschrift Zur Bar Zum Löwen entgangen.

Ich betätigte die Tischklingel, die sofort schrillte. Nun erschreckte sich die Katze doch. Mit aufgeregt zuckenden Öhrchen schaute sie mich vorwurfsvoll an und leckte sich dann über das Mäulchen, als wollte sie sich beruhigen.

Die Tür zur Gaststätte ging im selben Augenblick einen Spalt auf, sodass das Gemurmel und die fröhlichen Klänge lauter zu mir vordrangen. Genauso wie der Duft von Fischgerichten und Bratkartoffeln.