Der kleine Trödelladen im Löwensteg - Kerstin Garde - E-Book

Der kleine Trödelladen im Löwensteg E-Book

Kerstin Garde

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Beschreibung

An der Ostsee wartet dein Glück

Stellas Leben gerät aus den Fugen, als ihre Oma überraschend stirbt - und sie deren Trödelgeschäft im Löwensteg in Travemünde erbt: Ein Laden voll von zauberhaftem Klimbim. Da das Geschäft seit Jahren keinen Gewinn mehr macht, will Stella es schnellstmöglich verkaufen. Doch sie bringt es nicht übers Herz, denn sie merkt, wie viele wunderbare Erinnerungen dieser Ort in ihr auslöst.

Also beginnt sie, den kleinen Laden liebevoll zu renovieren. Dabei unterstützen sie nicht nur die Bewohner des Löwenstegs, sondern auch der sympathische Sam. Noch ahnt Stella nicht, welche Schwierigkeiten die Neugestaltung mit sich bringen wird. Und sie kann sich auch nicht erklären, warum ihr Herz so verdächtig laut schlägt, wenn Sam in ihrer Nähe ist ...

Der Auftaktband zur neuen warmherzigen und romantischen Feel-Good-Liebesroman-Reihe von Kerstin Garde. Eine zauberhafte Straße, jede Menge Ostseeflair und ganz viel Gefühl.

Erste Stimmen zum Buch:

»Mit dem Buch (...) ist Kerstin Garde mal wieder ein ganz toller gefühlvoller Roman gelungen. In dem es um Verlust, Trauer, Liebe, Familie, Freundschaft, Zusammenhalt und Neuanfang geht. Dieses Buch regt so viel zum Nachdenken an und hat mich tief bewegt.« (Carla1978, Lesejury)

»Dank des tollen Schreibstils habe ich mich direkt vor Ort an der Ostsee gesehen. Das Wellenrauschen im Ohr und die Prise Meeresbrise gibt es dazu.« (ivonne2000, Lesejury)

»Es wäre sehr schön, wenn es mehr solche Straßen wie der Sanddornweg und den Löwensteg geben würde. Es ist ein richtiges Wohfühlbuch.« (Aloegirl, Lesejury)

Die weiteren Bände der Reihe:

Die traumhafte Konditorei im Löwensteg (erscheint im Sommer 2023)
Das gemütliche Gasthaus im Löwensteg (erscheint im März 2024)

Entdecke auch die Sanddornweg-Reihe der Autorin:

Die kleine Strandboutique im Sanddornweg
Das verträumte Bistro im Sanddornweg
Der zauberhafte Souvenirladen im Sanddornweg

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Seitenzahl: 335

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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Titel

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

Über die Autorin

Weitere Titel der Autorin

Impressum

Über dieses Buch

Stellas Leben gerät aus den Fugen, als ihre Oma überraschend verstirbt. Sie und ihre jüngere Schwester Emilie erben dadurch das Trödelgeschäft im Löwensteg in Travemünde. Ein Laden voll zauberhaften Klimbims in der Nähe der Ostsee.

Als Stella aus Berlin anreist, steht ihr Plan fest: Das Geschäft wirft seit Jahren keine Gewinne mehr ab und muss schnellstmöglich verkauft werden. Doch sie bringt es nicht übers Herz, denn sie merkt, wie viele wunderbare Erinnerungen dieser Ort in ihr auslöst. Sie beginnt, den Laden gemeinsam mit Emilie auf Vordermann zu bringen. Unterstützt werden die beiden dabei nicht nur von den Löwensteg-Bewohnern, sondern auch vom sympathischen Sam. Noch ahnt Stella nicht, welche Schwierigkeiten die Renovierung mit sich bringen wird. Und wieso schlägt ihr Herz immer so verdächtig laut, wenn Sam in ihrer Nähe ist?

Kerstin Garde

Der kleine Trödelladenim Löwensteg

Ostsee-Liebesroman

Prolog

Sommer 2009

Der Abendwind strich mir durchs Haar, während mein Blick zu den Häusern auf der anderen Straßenseite schweifte. Ich schob eine widerspenstige Strähne hinters Ohr, die immer wieder hervorkommen wollte – bis ich es aufgab. Sie einfach vor meinem Gesicht durch die Luft tanzen ließ.

Musik hallte aus einer der Bars, Menschen lachten, bunte Lampions erhellten die Umgebung. Ein untrügliches Zeichen, dass es Sommer war. Viele Urlauber waren an die See gekommen, vergnügten sich hier im Löwensteg, nahe des bekannten Touristenmagneten Vorderreihe, wo das Leben um diese Jahreszeit tobte. Normalerweise hätte ich mich unter sie gemischt, die Ferien genossen, bis in die Morgenstunden getanzt. Aber dieses Jahr war alles anders, denn es würde mein letzter Sommer in Lübeck-Travemünde sein.

Ich atmete tief ein und lehnte mich über die Brüstung der kleinen Dachloggia von Omas Trödelladen.

In der Ferne färbte sich der wolkenlose Himmel von einem dunklen Rot in ein tiefes Lila. Die ersten Sterne gingen auf, funkelten am Firmament. Es sah wunderschön aus.

Ich liebte diesen Ausblick, die Trave, die in die Ostsee mündete, vor der Tür, genauso wie ich das alte Backsteinhaus und den urigen Laden in der unteren Etage mit all seinem altmodischen Klimbim liebte.

Im Löwensteg waren meine Schwester Emilie und ich groß geworden. Emili-e, wie sie stets betonte, nicht ausgesprochen wie die englische Variante Emily. Unsere Oma hatte uns aufgezogen, war uns Mutter und Vater gewesen. Es gab keinen anderen Ort, den ich Zuhause nennen würde, als diesen. Aber nun war die Zeit gekommen, flügge zu werden, das Nest zu verlassen. Und obwohl ich mich darauf freute, war ich auch schwermütig.

»Komm her, Stella!«, rief jemand hinter mir.

Ich drehte mich von der Brüstung weg, schob noch einmal mit beiden Händen meine Haare hinter die Ohren und schaute zu dem Tisch in der Mitte der Loggia, an dem meine beiden besten Freundinnen und meine Schwester saßen und mich zu sich winkten. Ein Haufen verrückter Hühner. Sie bedeuteten mir alles.

Wir waren auf dieselbe Grund- und später Oberschule gegangen, hatten, bis auf Emilie, nun gemeinsam unser Abi gemacht. Ein eingeschweißtes Team, auf das man zählen konnte. Ich erinnerte mich noch, wie sie mir die Hand gehalten und mir unzählige Taschentücher gereicht hatten, als mein erster Freund nach zwei Wochen Ostsee-Urlaub nach Hause gefahren war und dies unwiederbringlich das Aus dieser ersten Liebe bedeutet hatte. Auf ihr Konto ging ebenso, dass sie mich zu meinem achtzehnten Geburtstag in ein Casino geschleppt hatten, wo jede von uns bis zum Ende des Abends zwanzig Euro verloren und sich danach geschworen hatte, so einen Murks nicht noch mal zu machen.

Und als ich die Führerscheinprüfung, immerhin schon nach dem zweiten Anlauf, bestanden hatte, hatten sie eine Party für mich geschmissen. Danach hatte ich den ersten richtig schlimmen Kater meines Lebens gehabt. Doch es war trotzdem ein toller Abend gewesen.

»Worauf wartest du? Setz dich zu uns«, wurde ich aus den Gedanken gerissen.

Ich löste mich von der Brüstung und setzte mich zu meinen Freundinnen an den reichlich gedeckten Tisch, auf dem eine Platte voller belegter Brötchen stand, dazu noch ein paar Schalen mit Snacks. Oma hatte es ohne mein Wissen vorbereitet.

Unser letzter Abend, ging es mir erneut durch den Kopf. Und ich blies Trübsal? Ich schüttelte den Kopf über mich selbst, beobachtete meine Lieben um mich, die beherzt in Käse- und Schinkenbrötchen bissen, und entschied, dass das doch eigentlich eine dumme Idee war, das Trübsalblasen. Ich wollte diesen Abend genießen. Mit den Menschen, die mir wichtig waren.

»Ich habe auch noch was für euch!«, sagte Nova und kicherte. Ihre blonden Strähnen wippten dabei vor ihren großen Augen hin und her. Nova war die Fröhliche unter uns. Immer gut gelaunt, selbst heute lächelte sie ohne Pause. Ich bewunderte sie darum, dass nichts und niemand sie je aus der Ruhe bringen konnte. Ihre Familie kam aus dem nahe gelegenen Niendorf, doch ihre Tante Agnes lebte hier im Löwensteg, den sie daher als ihr zweites Zuhause ansah.

»Ich habe ein paar Muffins für euch zum Dessert. Selbst gebacken – selbstverständlich! Und mit viel Zitrone, wie du es magst, Leo.«

Stolz öffnete Nova eine Plastikbox, die sie unter dem Tisch hervorgezogen hatte und dann herumreichte. Mit einem für Nova typischen Lächeln, das alles überstrahlen konnte, bot sie jeder von uns ein Gebäckstück an.

Beherzt griffen Leo und ich zu, nur Emilie schüttelte den Kopf. Schweigsam sah sie seitlich an der Brüstung auf die Einkaufsstraße herunter, in der wir uns befanden. Dabei schien es, als wäre sie in ihrer eigenen Welt.

»Mmmmh, du hast dich selbst übertroffen«, sagte Leo, nachdem sie von der Köstlichkeit probiert hatte.

»Du fängst völlig zu Recht eine Ausbildung an dieser Konditorschule in Bremen an.« Leo betrachtete den Muffin von allen Seiten. »Ich könnte mich da reinknien, ehrlich. Und die Zitrone schmecke ich auch raus. So lecker!«

Nova lächelte, nun verlegen, wodurch sich ihre Bäckchen ein wenig aufplusterten, was absolut umwerfend aussah. »So gut sind sie nun auch nicht.«

»O doch, meine Liebe, o doch!«, betonte Leo, während ich mir nun auch einen Bissen auf der Zunge zergehen ließ. Und ja, Nova war wirklich zur Konditorin geboren! Sie wurde nie müde zu betonen, dass sie das Talent ihrer Tante Agnes geerbt hatte, die die kleine Konditorei gegenüber betrieb. Somit war es ihrer Ansicht nach ja kaum ihr Verdienst, wie sie dann bescheiden hinzuzufügen pflegte, sondern vielmehr ein Familienerbe.

»Aber wisst ihr, was uns noch fehlt?«, fragte Leo und zog hinter ihrem Rücken eine Flasche Sekt hervor. »Das hier. Denn wir müssen unbedingt noch anstoßen! Wir haben es fast geschafft, Leute. Das Abi ist geschrieben, der Abiball war großes Kino, aber dieser Abend ist nur für uns vier! Bevor es rausgeht in die große weite Welt!«

Ich bemerkte, dass Emilie leise seufzte, während Leo den Korken knallen ließ. Schon sprudelte der Sekt aus der Flasche, und Nova und ich legten schnell Brötchen und Muffins zur Seite, hielten stattdessen rasch unsere Gläser unter die Öffnung, um den sprudelnden Schaumwein aufzufangen.

Beherzt schnappte sich Leo Emilies Glas und füllte es genauso wie ihr eigenes. »Wir haben große Pläne, Ladys!«, betonte Leo, die von uns vieren den weitetesten Weg zurücklegen würde. Sie wollte nämlich an der renommierten Musical School in London studieren, um sich den Kindheitstraum von den Brettern, die die Welt bedeuteten, zu erfüllen.

Wir konnten es ehrlich gesagt noch gar nicht glauben, dass sie dort angenommen worden war. Schließlich war die Musical School eine der härtesten der Welt. Dort wurden fünfundneunzig Prozent aller Bewerberinnen und Bewerber abgelehnt. Noch dazu war Leo keine Muttersprachlerin. Aber sie hatte dennoch überzeugt, sie war für die Bühne geboren, daran gab es keinen Zweifel. Außerdem war sie ein auffälliger Typ mit ihrem honigblonden Pixie-Cut und ihrer kämpferischen Art. Ihre Stimme – sie war stolz darauf, ein Mezzosopran zu sein – bereitete Gänsehaut. Ehrlich! Zwar hatten wir immer gedacht, sie würde die Pension mit angeschlossenem Gasthaus ihrer Eltern eines Tages übernehmen, aber das Schicksal ging manchmal ganz eigene Wege.

Wir hoben unsere Gläser, alle, bis auf Emilie. Jetzt fiel es auch den anderen auf, dass meine jüngere Schwester missmutig wirkte.

»He, Em, was ist denn los mit dir?«, fragte Leo. »Du kannst ruhig einen Schluck nehmen, auch wenn du noch minderjährig bist, aber das ist eine Ausnahme, wie an Silvester, weißt du?«

Emilie seufzte erneut, straffte dann die Schultern. Sie wirkte überaus ernst. Ihre langen dunklen Haare verbargen die kleine Narbe an ihrer Wange und flossen wie ein Wasserfall über ihre schmächtigen Schultern, ließen ihr schmales Gesicht im Licht des Mondes sogar noch blasser als sonst wirken, was die Ernsthaftigkeit ihres Blickes betonte.

»Ich ... weiß. Aber das ist es nicht ... ich ... wollte gerne etwas sagen«, meinte Emilie und wirkte doch, als würde es ihr schwerfallen. Wir senkten unsere Gläser wieder, ohne einen Schluck genommen zu haben.

»Ja, was denn?«, hakte ich nach.

»Ich wollte ... wo habe ich es denn ...« Sie kramte etwas aus ihrem Rucksack hervor. Drei mit Geschenkpapier umwickelte und Schleifen dekorierte Päckchen kamen zum Vorschein, landeten mit gebotener Vorsicht auf dem Tisch zwischen Muffins und Brötchen.

»Em, was ist denn das?«, fragte Leo berührt. »Sind die Geschenke etwa für uns?«

Sie nickte.

»Aber warum denn?«, hakte Nova nach.

»Na, wisst ihr, es ist so ... ich bin schon etwas traurig, dass ihr alle nun gehen werdet. Eigentlich sogar ziemlich ... doll.« Sie senkte den Blick, schaute auf die drei Geschenke. Es ging mir ganz schön zu Herzen.

Emilie war drei Jahre jünger als wir anderen. Sie musste noch zur Schule gehen. Ich wusste, sie hatte auch ein paar Freunde in ihrer Klasse, mit denen sie sich richtig gut verstand. Aber das war nicht dasselbe. Was wir vier hatten, was uns verband, das war etwas Besonderes. Es war viel stärker als Freundschaft, eher als wären wir Vierlinge. Eine wusste, was die andere dachte. Nie war jemand wirklich einsam, weil immer eine von uns da war, wenn sie gebraucht wurde.

Und natürlich war dieses Band zwischen Em und mir noch viel stärker, denn wir waren Schwestern und zusammen aufgewachsen. Ich würde sie sehr vermissen, aber ein neues Leben würde nichts daran ändern, dass ich immer für sie da sein würde.

»Dass ihr geht, hat mir zuerst richtig Bauchweh bereitet. Immerhin seid ihr meine besten Freundinnen. Aber dann ist mir klar geworden, dass ich eigentlich richtig stolz auf euch bin.« Nun hob sie den Blick und sah jeden bedeutsam an. »Weil ihr eurem Traum folgt. Und ich bin wirklich froh, dass ihr das tut. Ihr habt es so verdient, ehrlich. Nova und Leo machen das, was sie schon immer machen wollten. Stella arbeitet ab Herbst als Trainee für Öko-Marketing in Berlin. Es ist großartig, wenn Träume in Erfüllung gehen.«

Ich lächelte. Seit einer Klassenfahrt in die Hauptstadt vor ein paar Jahren hatte für mich festgestanden, dass ich irgendwann nach Berlin wollte. Dass ich nun eine einjährige Trainee-Stelle bei der ökologischen Suchmaschine Forestle ergattert hatte, war in der Tat wie ein wahr gewordener Traum. Wenn alles glattging, wollte ich danach mit einem BWL-Studium an einer Berliner Uni beginnen.

»Das ist so lieb, Em, ehrlich«, meinte Nova und drückte Emilies Hand.

»Das steht dir auch noch bevor, Em«, sagte Leo, aber Emilie schüttelte den Kopf.

»Ich habe mich entschieden, ich werde nicht studieren oder gar Lübeck verlassen. Wenn es so weit ist, bleibe ich hier und führe mit Oma den Laden fort.«

Leo hob eine Braue. Auch ich hörte das zum ersten Mal. Em war sehr klug, ich war immer davon ausgegangen, dass sie es weit bringen, vielleicht Ärztin oder Wissenschaftlerin werden würde.

»Wenn du erst dein Abi hast, stehen dir viele Türen offen«, betonte Leo.

»Das weiß ich. Ich möchte es aber nicht anders, ich habe es mir lange überlegt«, erklärte Emilie. Ernst sah sie uns an. Und manchmal, so wie gerade jetzt, erstaunte sie mich mit ihrer Entschlossenheit.

»Dieser Laden, dieses Haus, ist mein Heim. Ich liebe es, und ich denke, dass das Geschäft von der nächsten Generation fortgeführt werden sollte. Es ist eine Institution im Löwensteg, das ältestes Gebäude. So etwas darf nicht verschwinden.«

»Aber du verzichtest nicht auf ein Studium, weil du glaubst, dass du hierbleiben musst? Oma wäre damit nicht einverstanden«, hakte ich nach.

»Nein, es ist mein ehrlicher Wunsch.«

»Nun, wenn das so ist, stehe ich voll hinter deinem Plan«, sagte Leo, und wir anderen stimmten zu.

»Deswegen seid ihr ja auch meine besten Freundinnen, denn ich wusste, dass ihr es verstehen würdet«, erwiderte Emilie und griff nach den Geschenken von der Mitte des Tischs, um jeder von uns eines zu reichen. »Ich will, dass ihr wisst, wie wichtig ihr mir seid, und dass ich euch ebenso unterstützen werde, egal wo ihr seid. Auch wenn ich euch furchtbar vermissen werde, seid ihr hier drin.« Sie deutete auf ihre Brust.

»O Mann, Em! Jetzt heul ich gleich!« Leo legte den Arm um Emilie. »Wir lieben dich auch. Das weißt du hoffentlich! Außerdem bleiben wir ja in Kontakt, nicht wahr? Und wir kommen oft zu Besuch, wir sind ja nicht aus der Welt.«

Emilie nickte. »Ja, das weiß ich.«

Ich war unglaublich stolz auf Em. Sie war so erwachsen. Manchmal viel erwachsener als wir anderen, trotz ihrer jungen Jahre.

»Was ist denn da nur drin?«, wollte Nova wissen und fingerte an der Schleife ihres Päckchens herum.

Emilie zuckte lächelnd mit den Schultern. »Macht es auf, dann wisst ihr es.«

Nova befreite ihr Geschenk zuerst, und ich sah ihr an, wie gerührt sie war. »Das ist ... umwerfend, Em, wirklich.«

Sie hielt es hoch, sodass wir es sehen konnten. Ein wunderschön dekorierter Bilderrahmen mit einem Foto von uns vieren. Es zeigte uns bei einer Grillparty am Strand vor drei Jahren. Wie glücklich wir aussahen. Es war unglaublich, wie viel seitdem passiert war. Wie wir uns verändert hatten. Und doch waren mir diese jüngeren Ausgaben von uns unglaublich vertraut.

»Das war doch der Abend, an dem Leo unbedingt mit dem Segelboot rauswollte und dann ins Wasser geplumpst ist, oder?«, hakte Nova nach und lachte.

»O Gott, das hatte ich eigentlich verdrängen wollen«, erwiderte Leo gackernd. »Ich hatte zu tief ins Glas geschaut.«

»Pssst, ihr weckt noch Oma«, meinte Emilie warnend. Sie erlaubte uns zwar seit jeher, die Dachloggia für unsere Mädelsabende zu nutzen, allerdings unter der Auflage, dass wir sie nicht mitten in der Nacht mit zu lauter Musik oder Gelächter aus dem Schlaf rissen.

»Sorry«, meinte Leo kleinlaut.

»Danke, Em, ehrlich, das bedeutet mir alles!«, sagte Nova und presste das Bild an ihre Brust. »Lass dich umarmen!« Sie beugten sich beide über den Tisch, wichen geschickt der Sektflasche aus und schlangen die Arme umeinander. Lange hielten sie einander fest.

»Es gefällt dir, ja?«

»Ich liebe es!«

»Aber jetzt macht bitte weiter auf«, bat Em und ließ von Nova ab, glitt auf ihren Stuhl zurück und schaute gespannt in die Runde.

Auch in Leos Geschenk steckte ein schöner Bildrahmen mit einem Foto von uns allen.

»Em ...«, sagte Leo schluchzend und schloss Emilie ebenso innig in die Arme. »Du verrücktes Huhn. Du weißt doch, wie nah ich am Wasser gebaut bin.«

Emilie strich Leo über den Rücken, beruhigte sie.

»Ist ja schon gut. Jetzt du, Stella.«

Ich nickte, öffnete mein Geschenk, indem ich die Schleife vorsichtig aufzog und das Papier auseinanderfaltete, darin war ein Bild von uns Freundinnen im Trödelladen. Wir lächelten in die Kamera, als wollten wir darum wetten, wer das breiteste Grinsen hatte. Ich erinnerte mich, wie wir damals beim Ausmisten der Regale geholfen hatten, weil sich manche Dinge einfach nicht verkaufen ließen, aber Platz wegnahmen. Die Entrümpelung war vor allem unserer Oma schwergefallen, hatte sie sich seit jeher nur schwer von Dingen trennen können. Das war auch heute noch so. Weswegen der Trödelladen inzwischen wieder genauso vollgestopft war wie vor dem Ausmisten.

Vier Jahre war die Aktion her, aber mir kam es vor, als wäre es gestern gewesen. Der Trödelladen von Oma war damals wie heute voller Wunder: kleine Schmuckkästchen, Medaillons mit Gravur, Türknäufe mit Schnörkeln aus vergangenen Zeiten. Man konnte sich geradezu in diesen alten Dingen verlieren und auch etwas über ihre Herkunft oder Geschichte erfahren, wenn man Glück hatte. Manchmal gab es nämlich Spuren, die wiederum eigene Geschichten erzählten, wie Nachrichten auf alten Postkarten, die von spannenden Reisen erzählten.

Jede von uns hatte sich damals nach getaner Arbeit etwas zur Belohnung aussuchen dürfen, während das, was wir aussortiert hatten, gemeinnützig gespendet worden war. Stolz hielten wir unsere Funde in die Kamera. Ich hatte mich für ein altes Kästchen entschieden, das ich noch heute besaß, darin meinen Schmuck aufbewahrte.

Aber das eigentlich Schöne an dem Bild war, dass man unsere innige Freundschaft erkennen konnte, unseren Zusammenhalt.

O Mann, jetzt hatte ich wirklich einen Kloß im Hals. »Danke dir, Em, es ist wunderschön. Du hast dir so viel Mühe gegeben, das ist wundervoll.« Ich drückte sie an mich, küsste sie auf die Schläfe.

»Aber wir haben jetzt gar nichts für dich«, meinte Leo betrübt.

»Das macht nichts. Dieser Abend ist mir genug«, sagte Emilie.

Wir waren alle in diesem Moment so ergriffen, dass wir zusammenrückten und Emilie festhielten. Das tat gut, ich merkte, wie ich etwas runterkam.

In den letzten Tagen hatten wir viele Vorbereitungen für unser neues Leben getroffen, waren damit beschäftigt gewesen zu planen, zu recherchieren und auch zu packen, den Umzug in die Wege zu leiten. Da war der Gedanke an Verlust ziemlich in den Hintergrund getreten. Aber nun war er wieder da und sehr präsent.

»Ich habe eine Idee!«, sagte Leo nach einer Weile und richtete sich auf. »Es ist wohl offensichtlich, dass wir nicht einfach in alle Himmelsrichtungen losziehen können, wenn zuvor noch eine Sache zu erledigen ist!«

»Was denn für eine Sache?«, hakte Nova nach.

»Wir werden uns gegenseitig etwas versprechen«, erklärte Leo. Dabei reckte sie die Brust, wirkte überaus feierlich und schaltete die Musikfunktion ihres Handys ein, doch leise genug, dass es Oma nicht wecken würde.

»Ein Schwur?«, wunderte sich Nova.

»Ja, ein Schwur. Wir schwören, dass wir uns niemals aus den Augen verlieren werden. Möge kommen, was wolle! Egal wo wir auf der Welt sind, zwischen uns wird es immer ein Band geben.«

Ein Leuchten trat in Emilies Augen. Leos Idee schien ihr zu gefallen.

Ich fand sie auch großartig und stimmte beherzt zu, genauso wie Nova.

»Darüber hinaus versprechen wir uns, dass wir uns mindestens einmal im Jahr treffen werden. Bis an unser Lebensende!« Bedeutsam sah Leo jeder von uns in die Augen. »Und zwar hier, auf dieser Dachloggia von Oma Hildes Trödelladen.«

»Ja!«, rief Emilie begeistert und presste die Flächen beider Hände aneinander.

»Was für eine nette Idee, Leo«, sagte Nova sichtlich angetan. »Das gefällt mir, da bin ich dabei.«

»Dann ist es abgemacht?«, hakte Leo nach.

Wir nickten alle.

»Aber ein echter Schwur muss besiegelt werden«, erklärte Leo und hob ihr Glas. »Steht bitte auf, nehmt euren Sekt!« Wir folgten ihrer Bitte. »Hakt eure Arme ineinander!«

Wir taten, worum sie uns bat, denn es war witzig und doch bedeutsam. Wir bildeten automatisch einen Kreis. »Auf unseren heiligen Schwur!«, sagte Leo, und wir tranken aus den Gläsern der jeweiligen Nachbarin zur Linken, ohne uns loszulassen. Was aber gar nicht so leicht war.

Das prickelnde Getränk rann mir übers Kinn, ich musste grinsen. »Du bist irre, Leo«, meinte ich, hangelte nach einem Taschentuch und wischte mir damit über den Mund.

»Nun ist es besiegelt, Ladys!«, erklärte Leo zwinkernd, und wir lachten gelöst, konnten nun den letzten Abend entspannt genießen und die schöne Sommernacht.

1. Kapitel

Acht Jahre später

»Mit dem Rundumsorglos-Tarif von DialNet können Sie nichts falsch machen«, erklärte Marius einem Kunden das Mobilfunk-Paket für schnelles und zuverlässiges Telefonieren.

Ich blickte hinter dem Test-Terminal hervor, an dem ich gerade neue Handys zum Ausprobieren anschloss, und beobachtete ihn. Marius' braune Haare hingen ihm unmotiviert in die Stirn, offenbar ließ er sie wachsen, reichten sie doch schon fast bis auf die Schultern, die er angestrengt hängen ließ. Er wirkte müde, als hätte er nächtelang nicht geschlafen. Wahrscheinlich war das auch der Fall, war es doch erst wenige Tage her, seit er gemeinsam mit seiner Schwester Lena diesen Handyshop in Prenzlauer Berg eröffnet hatte, und es musste sich erst noch alles einpendeln, was die Abläufe anging. Genauer gesagt war es bereits das zweite Geschäft der Geschwister, und trotz ihrer Erfahrung mit Handyshops stand augenblicklich alles kopf. Außerdem war ein Angestellter kurzfristig abgesprungen, was auch der Grund war, warum Lena mich gefragt hatte, ob ich aushelfen würde. Schließlich hatten die Semesterferien gerade begonnen, und ich konnte nun mal anderen keine Hilfe verwehren. Zumal es ja auch nur für ein paar Tage sein sollte, bis Lena jemand Neues gefunden hatte. Und während noch die Luftballons und das Neu im Kiez-Banner von der Decke hingen, gab es schon die nächsten Probleme im Laden. Der Internetzugang zur Übertragung der Kundendaten an die Zentrale des Franchisegebers DialNet war, um es freundlich zu formulieren, etwas unzuverlässig, was natürlich ironisch war, wurde hier doch angeblich absolut zuverlässiger Internetzugang garantiert.

Hinzu kamen Kunden, die wenig Zeit hatten und schnelle Lösungen suchten. Erst gestern hatte sich vor der Theke eine Schlange an Leuten gebildet, die allesamt über Internetstörungen geklagt hatten. Marius hatte sich einiges anhören dürfen, obwohl wir hier natürlich wenig Einfluss auf die Performance des Anbieters hatten.

Vielleicht war das typisch für diese Stadt, überlegte ich und schaute aus dem Schaufenster, wo Leute in ihren Übergangsjacken vorbeieilten, als wären sie von einer Tarantel gestochen worden. In Berlin war alles immer in Bewegung, alles war aufregend und hip. Vor allem hier, da wir uns in einem In-Viertel befanden. Von dem Puls der Stadt wurde man besonders zu Beginn schnell mitgerissen. Doch mit der Zeit erschien das Tempo auch anstrengend.

Inzwischen war ich siebenundzwanzig und lebte seit acht Jahren in der Metropole, die ähnlich wie New York nie schlief. Nach meinem Traineeprogramm hatte ich noch ein Jahr für die Suchmaschine Forestle gearbeitet, ehe diese mit Ecosia zusammengelegt worden war. Die Suchmaschine, die bei einer gewissen Anzahl von Suchanfragen einen Baum pflanzen ließ. Ein wirklich tolles Konzept. Man hatte mich übernehmen wollen, doch ich hatte mich für das BWL-Studium entschieden, zu dem ich endlich zugelassen worden war. Ich erhoffte mir mit dem besseren Abschluss höhere Chancen auf dem Markt, spielte mit dem Gedanken, anschließend ins Öko-Marketing zurückzukehren.

Acht Semester später hatte ich nun also den Bachelor in der Tasche, arbeitete seit zwei Semestern an meinem Master und fühlte jeden Tag mehr, wie mir die Energie trotz aller vielversprechender Pläne ein bisschen schwand. Selbst jetzt, in der vorlesungsfreien Zeit, fühlte ich mich müde und vermisste die Ruhe meiner geliebten Ostsee jeden Tag mehr. Aber das war nicht alles, was mich runterzog.

Wieder sah ich zu Marius. Etwas in meiner Brust zog sich zusammen. Ich vermisste ihn, seine Nähe. Aber das mit uns ... das hatte nicht sollen sein. Was immer noch ein bisschen schmerzte.

Wir hatten uns gleich an meinem ersten Tag an der Uni kennengelernt, denn mein Handy war kaputtgegangen, und ich hatte ein neues gebraucht. Kurz vor Ladenschluss war ich in Marius' Geschäft gestürmt. Er hatte gerade Feierabend machen und nach Hause gehen wollen, und so waren wir uns zwischen Tür und Angel über den Weg gerannt, oder vielmehr ineinander.

Ich war so mit meinem MP3-Player beschäftigt gewesen, der einfach nicht den richtigen Song hatte abspielen wollen, dass ich links und rechts nichts gesehen hatte, dann hingeflogen war und prompt Sterne gesehen hatte, weil wir uns auch noch die Köpfe aneinandergestoßen hatten. Marius hatte versucht, mich aufzufangen, und war ebenfalls gestürzt. Gefunkt hatte es sofort. Und wie!

Ich hatte nur ihn gesehen. Seine blauen Augen, die mir sanft entgegengeblickt hatten wie zwei Stücke des Himmels.

Er hatte mir aufgeholfen, mich reingebeten und mir einen Tee gemacht, sich für den ungeschickten Aufprall entschuldigt, obwohl es ja nicht allein seine Schuld gewesen war. Das Handy hatte ich dann auch noch am selben Abend erwerben können. Wir waren sofort auf einer Wellenlänge gewesen, zwei Menschen, die Pläne für ihr Leben gehabt hatten, die sich noch dazu überschnitten. Zudem eine Anziehungskraft, auf die Magneten neidisch geworden wären. »Ich frage das sonst nie so direkt, deswegen bin ich vielleicht auch etwas ungeschickt ... aber würdest du vielleicht mit mir ausgehen?«, hallten seine Worte in meinen Ohren nach. Ich lächelte unwillkürlich bei der Erinnerung. Natürlich hatte ich Ja gesagt, und aus einem Date waren bald mehrere geworden, irgendwann waren wir zusammengezogen, und ein Leben ohne Marius war für mich bald nicht mehr denkbar gewesen. Auch Kinder hatten wir gewollt. Eine ganze Schar. Ich hatte mir immer schon zwei Mädchen und zwei Jungs gewünscht, Marius hatte das getoppt, indem er noch einen Familienhund obendrauf gepackt hatte. Ich vermisste uns.

Vielleicht hatte ich mich noch nicht daran gewöhnt, dass seit drei Monaten alles anders war.

Es hatte nur noch Streit und wenig Nähe zwischen uns gegeben, der Alltag hatte mit aller Kraft zugeschlagen, und dann hatte er auch noch einen Motorradunfall gehabt, bei dem er sich sogar überschlagen hatte. Zum Glück war ihm dennoch nichts passiert, von einer Knieverletzung und einer leichten Gehirnerschütterung abgesehen. Ein echtes Wunder. Doch das Ereignis hatte ihn verändert, er war schlechter gelaunt und wir beide nicht mehr glücklich gewesen. Ständig hatte er abwesend gewirkt, als würde ihn etwas bedrücken, doch er hatte nicht mit mir darüber sprechen wollen.

Und dann war es wie fast aus dem Nichts gekommen. Klar, ich hatte gemerkt, es gab Probleme, aber ich hatte gedacht, dass es nur eine Phase wäre. Dass wir daran arbeiten würden. Er aber hatte gesagt, dass es so nicht weitergehen könne. Es war der Anfang vom Ende gewesen. Mit allem, was dazugehörte. Fassungslosigkeit, Enttäuschung, Wut. Auch der Wunsch, Freunde zu bleiben, was meiner Meinung nach immer ein bisschen unrealistisch war, spielten doch zumeist tiefe Verletzungen und Kränkungen bei einer Trennung mit rein. Aber zugegeben, wir hatten es inzwischen irgendwie hinbekommen, dass ein normaler Kontakt zwischen uns möglich war.

Noch immer schaute ich zu ihm, aber es wurde mir erst jetzt bewusst. Der Kunde nörgelte in einem schnodderigen Ton, doch das brachte Marius nicht aus der Ruhe.

Schließlich einigten sich die beiden Männer.

»Ja, dann nehm ick ditte mit der Flätt-Rate.«

»Da haben Sie die richtige Entscheidung getroffen«, hörte ich Marius sagen. Seine warme Stimme löste ein fernes Kribbeln in meiner Brust aus.

Der Vertrag war schnell unterzeichnet, der Kunde verabschiedete sich. Marius konnte zufrieden mit sich sein, doch so sah er nicht aus. Vielleicht war es auch für ihn komisch, dass ich nun seit zwei Tagen wieder in seinem Leben war, wenn auch auf andere Weise als zuvor.

»Ich bin zurück!«, rief plötzlich Lena, die sich mit dem Kunden quasi die Klinke in die Hand gegeben hatte, und schlug schwungvoll die Tür hinter sich zu.

Lena und Marius hätten Zwillinge sein können. Sie sahen sich unglaublich ähnlich, beide waren sehr schlank, hatten dieselben welligen braunen Haare und dieses samtene Blau in den Augen. Ihre Eltern hatten sich nicht allzu sehr um die beiden gekümmert, weswegen Marius seine jüngere Schwester quasi großgezogen hatte.

»Schön, Lena, ich hoffe, es hat geschmeckt«, meinte Marius, während er Kundendaten über seine Tastatur eingab. Oder vielmehr es versuchte. Ich merkte, wie er immer stärker auf die Tasten einhackte.

»Klar, der Italiener um die Ecke ist einfach perfekt für die Mittagspause. Und wie lief es bei euch?«

»Geht so«, knurrte er. »Jetzt ist der Zugang wieder blockiert. Was ist da nur los?«

Ich hob den Daumen in Lenas Richtung und verkabelte ein weiteres Handy. Immerhin funktionierte das Testterminal, das war ja schon was.

»Ruf in der Zentrale an, Marius«, schlug Lena vor und gesellte sich dann zu mir. »Alles okay?«

Ich nickte. Eigentlich lief es sogar recht gut. Als ich gestern hier aufgeschlagen war, hatte ich es mir jedenfalls schwieriger vorgestellt. Doch ich hatte mich von Anfang an auf den Job konzentrieren wollen und dies auch, zumindest meistens, hinbekommen.

»Tut mir ehrlich leid, dass ich dich hier mit reingezogen habe. Und ich fürchte, wir brauchen dich auch noch ein paar Tage.« Sie schaute mich entschuldigend an. »Ich wusste nicht, wen ich sonst hätte fragen können, der sich mit den Abläufen auskennt. Vasili brauchen wir in der Eins, den kann ich auf keinen Fall abziehen. Aber ich habe ein Inserat aufgegeben und schon mit jemandem telefoniert, der am Montag nächste Woche vorbeikommt. Ich bin guter Dinge, dass es klappt, und dann bist du auch erlöst.«

»Schon in Ordnung«, versicherte ich. Es war nur logisch gewesen, mich zu fragen, hatte ich doch tatsächlich einiges an Erfahrung in ihrem ersten Handyshop sammeln können, weil ich dort zuvor während des Bachelorstudiums ausgeholfen hatte. Nachdem Marius und ich ein Paar geworden waren, hatte er mich gleich in ihr aufstrebendes Handy-Imperium integriert, was ein kleines zusätzliches Einkommen, das vom Bafög-Amt gestattet wurde, bedeutet hatte.

Die Frohgemut-Geschwister wollten eines Tages in jedem Berliner Bezirk einen Handyshop haben. Dies war die Nummer zwei. Und bei jeder Neueröffnung gab es eben Probleme, das war ganz normal. Ein weiteres Handy war am Terminal angeschlossen, ich nickte zufrieden.

»Ich brauche auch kurz eine Pause«, meinte ich zu Lena und setzte mich in den Personalraum, weil ich zu Mittag essen wollte. Da ich nicht viel Hunger hatte, nahm ich mir nur ein Sandwich aus dem Kühlschrank, setzte mich an den Tisch und blätterte in einer Zeitschrift. Dabei stolperte ich über einen Artikel über die Ostsee. Über dem Text prangte ein schönes Bild von rauschenden Wellen.

Gott, ich vermisste die Ostsee, ging es mir durch den Kopf.

In der vorlesungsfreien Zeit war ich stets für ein paar Wochen nach Hause gefahren, dieses Jahr war ich aber noch nicht dort gewesen, wegen des Neueröffnungsstresses von Laden Nummer zwei hatte es sich nicht ergeben. Doch wie schön das jetzt wäre: Erholung pur, keine Handyverträge, keine Internetprobleme. Kein Marius ...

Aber erst wenn hier alles besser lief. Denn vorher konnte ich Lena und Marius nicht im Stich lassen.

In dem Moment kam er herein, nahm sich ebenso ein Sandwich aus dem Kühlschrank und setzte sich zu mir.

Es war das erste Mal seit der Trennung, dass wir so nah beieinandersaßen. Zwar hatten wir vereinbart, in Kontakt zu bleiben, aber mehr als ein paar Whatsapp-Nachrichten waren nicht daraus geworden. Jeder hatte Zeit für sich gebraucht, was ja auch nur verständlich gewesen war.

Er packte sein Sandwich aus, während ich seinen vertrauten Geruch bemerkte.

»Wie geht's dir denn?«, hakte er plötzlich nach und sah mich mit seinen sanften Augen an.

»Ich komme schon klar«, sagte ich und widmete mich meinem Mittagessen. In diese Augen durfte ich nicht länger als ein paar Sekunden sehen, alles andere wäre ungesund.

Er nickte. »Das freut mich, ehrlich.«

Er biss ebenfalls von dem Sandwich ab, und ich wusste eigentlich gar nicht, was ich sagen sollte. Zwischen uns war alles anders, ein bisschen, als hätte jemand eine unsichtbare Mauer zwischen uns hochgezogen. Wir hatten nicht einmal mehr richtige Gesprächsthemen.

»Ich wollte dir danken, Stella«, fing er jedoch an.

»Ich helfe euch wirklich gerne.«

»Ich weiß, aber das ist nicht der Grund, warum ich dir danken will. Zumindest nicht der einzige.«

Ich hob eine Braue, legte mein Sandwich wieder aufs Papier. Es schmeckte nicht so recht.

»Du weißt, dass du mir noch immer viel bedeutest. Ich will sagen, dass ich froh bin, dass wir noch Freunde sind. Ehrlich.«

»Klar, Freunde ...« Er bedeutete mir auch noch was, vielleicht sogar zu viel. Aber darauf wollte ich mich nicht konzentrieren, sondern auf meinen Job. Deswegen war ich schließlich hier.

»Und wenn du mal Hilfe brauchst, bin ich für dich da. Darauf kannst du zählen. Das weißt du hoffentlich?«

Ich nickte, ja, ich wusste es. Auch wenn wir nicht mehr zusammen waren, zwischen uns würde immer etwas Besonderes sein.

Nur im Augenblick schmerzte es eben noch ein bisschen. Oder auch ein bisschen mehr.

Ihm fiel mein Magazin auf, und er lächelte unwillkürlich. »Ach, die Ostsee ...« Wir waren einige Male zusammen dort gewesen, hatten meine Familie besucht. »Das war immer sehr schön«, fügte er hinzu und nahm noch einen Bissen.

»Ja, das war es«, meinte ich leise und hatte irgendwie keinen Appetit mehr. Ich packte das Brot ein und legte es in den Kühlschrank zurück.

»Ich hoffe, ich habe dich nicht vertrieben?«, fragte Marius besorgt.

Ich schüttelte den Kopf. »Alles gut«, sagte ich und begab mich in den Laden zurück, denn ich wollte die Zeit nutzen und zwei neue Smartphone-Modelle am Terminal anschließen. Diese musste ich vorher testen. Zugleich war ich froh, dass ich etwas zu tun hatte, das mich ablenkte, weil Marius' Nähe mich durcheinanderbrachte. Eines der Geräte hatte ein ausfaltbares Display. Total verrückt.

Im Laufe des Tages kamen noch einige Kunden, die meisten schlossen Verträge ab, einige hatten Probleme mit ihren Mobiltelefonen, brauchten einen Akkuersatz oder neue Ladekabel. Lena und Marius regelten alles souverän. Dass sie eines Tages ein Handy-Imperium leiten würden, stand außer Frage.

Irgendwann wollte Marius zur Nummer eins fahren, um dort nach dem Rechten zu sehen.

»Bis morgen, Lena. Ciao, Stella«, sagte er und hob die Hand.

Ich hob meine ebenso und murmelte ein »Ciao, Marius«.

Kaum war er gegangen, wandte sich Lena an mich.

»Du kannst auch gehen, wenn du magst. Den Rest manage ich allein.«

»Ehrlich? Brauchst du mich nicht mehr hier?«

Sie schüttelte den Kopf und füllte etwas aus, reichte mir dann einen Scheck. »Das habe ich gestern vergessen, sorry. Also der ist für deine Mühe gestern und heute.«

Ich nahm ihn an, sie hatte mir einen guten Stundenlohn gegeben.

»Morgen dann wieder zur gleichen Zeit?«

Sie nickte. »Danke. Wirklich, ich weiß, es ist nicht leicht für dich.«

Ich nickte auch und zog mir meine Jacke über, trat raus aus dem Laden, atmete die frische Luft ein, die schon ein bisschen nach Frühling roch, und betrachtete die Straße, in deren Mitte ein Streifen Bäume wuchs, die allmählich grün wurden. Von einem der offen stehenden Fenster drang ein leckerer Geruch nach einem späten Mittagessen.

Da kam mir die Idee, dass ich etwas für Jørgunn und mich kochen könnte, hatten wir doch noch ein paar Pellkartoffeln von gestern übrig. Aus denen ließ sich doch was machen. Das würde mich auch auf andere Gedanken bringen. Ich machte mich auf den Weg zum Supermarkt.

Backfisch im Bierteig mit Bratkartoffeln und Remoulade sollte es geben, nach dem Rezept meiner Oma.

Ich seufzte, dachte an den Löwensteg, meine Freundinnen und an unseren Schwur von unserem letzten gemeinsamen Sommer auf der Dachloggia von Omas Trödelladen. Der Schwur, dass wir uns wenigstens einmal im Jahr dort treffen wollten. Es hatte sich eingebürgert, dass wir diesen besonderen Tag auf das Jahresende legten. Denn zu dieser Zeit waren alle im Löwensteg bei der Familie. Bis dahin war es jedoch noch etwas hin, überlegte ich, betrat den Supermarkt und hielt auf die Fischabteilung zu. Trotzdem vermisste ich unsere Clique gerade besonders, fühlte ich mich doch ziemlich einsam im Moment.

Mit den Einkäufen machte ich mich auf den Weg nach Hause, wo ich mich ohne Umwege in die Küche begab, den Fisch panierte und in die Bratpfanne warf. Eine zweite Pfanne stellte ich auf die Herdplatte daneben, um anschließend die frisch geschnippelten Pellkartoffeln von gestern Abend hineinzugeben. Es roch schnell sehr wohltuend in unserer Küche. Ich öffnete das Fenster zum Hinterhof, damit es nicht zu stickig wurde. Auch bei uns im Viertel roch es schon nach Frühling. Der Winter war so mild gewesen, dass sich bereits jetzt die ersten Knospen der Bäume zeigten. Sie lenkten den Blick von den dahinterliegenden Altbauten ab.

Ich genoss den Anblick eine Weile, dann hörte ich, wie sich der Schlüssel in der Wohnungstür drehte und meine Kommilitonin Jørgunn heimkam.

Jørgunn war meine Lebensretterin gewesen. Sie studierte gemeinsam mit mir BWL im Master. Als sie erfahren hatte, dass ich eine Bleibe suchte, weil ich aus Marius' und meiner Wohnung ausgezogen war, hatte sie mir ein WG-Zimmer angeboten. Ich hatte es mir kurzfristig angesehen und es nur zu gerne genommen, die Lage war gut und der Mietpreis erschwinglich.

Es gab noch eine zweite Mitbewohnerin. Marcella war derzeit allerdings im Urlaub.

»Das riecht ja fantastisch«, sagte Jørgunn und kam in die Küche, wo sich der Duft von Zwiebeln, Backfisch und Bratkartoffeln ausbreitete.

Ihre Tasche glitt neben unseren Esstisch, die Fleecejacke streifte sie ab und hängte sie über die Stuhllehne, darunter kamen bunte Armstulpen zum Vorschein und ein Shirt mit der Aufschrift: Mein Einhorn sagt, die Realität lügt.

Auch wenn der Name Jørgunn vermuten ließ, dass sie aus einem skandinavischen Land kam, war sie Urberlinerin. Jedoch mit norwegischen Wurzeln, wie sie gerne erklärte, wenn man sie nach ihrem besonderen Vornamen fragte.

»Danke.« Ich zwinkerte. Ich hatte mir auch alle Mühe gegeben, es sollte immerhin ein schönes Abendessen werden. Jørgunn holte Teller aus dem Schrank und fing an, den Tisch zu decken. »Wie war dein Tag?«, hakte sie nach.

»Gut.« Ich überlegte noch mal und nickte dann überzeugt. »Ja, gut.«

Jørgunn sah mich an, als glaubte sie mir nicht.

»Okay ...« Sie fuhr sich durch ihre hellroten Haare, die sich wild kringelten. »Jetzt hast du es ja zumindest hinter dir.« Sie spielte auf meine Begegnung mit Marius an. Aber sie lag falsch.

»Ich gehe morgen noch mal hin.«

»Schon wieder? Die nutzen dich doch aus.« Sie pustete verärgert eine Locke aus der Stirn.

»Quatsch, ich mach's gerne und werde bezahlt. Montag hat Lena ein Vorstellungsgespräch mit einem Bewerber, danach brauchen sie mich sicher nicht mehr. Ist alles im grünen Bereich.«

Wieder dieser Blick, als traute sie meinem Urteil nicht.

»Ob das wirklich eine gute Idee ist, dass du ausgerechnet mit ihm zusammenarbeitest?«

»Wieso denn nicht?«

»Nun ... eure Trennung ist gerade mal ein paar Wochen her.«

»Drei Monate!«

»Ich hab die Taschentuchpyramiden auf der Couch gesehen, ich habe bis tief in die Nacht Gespräche mit dir geführt, so locker, wie du nun tust, hast du es nicht weggesteckt.«

Ich seufzte.

»Am Anfang ist es doch normal, dass man weint ...«

»Ich hab dich letzte Nacht weinen hören.«

Nun biss ich mir auf die Unterlippe, ich hatte echt geglaubt, sie hätte es nicht gemerkt. Ihr konnte ich nichts vormachen.

»Ich mache mir Sorgen, dass dir der Job mit ihm vielleicht nicht bekommt.«

»Es ist alles geklärt zwischen uns. Wir sind Freunde. Mehr nicht.«

Jørgunn schien immer noch nicht überzeugt.

»Dass er das so sieht, weiß ich. Ich hoffe nur, dass dir das auch klar ist. Eine Trennung ist zudem ein Prozess. Wenn man immer wieder zurückgeworfen wird, geht es nicht voran«, sagte sie. »Außerdem glaube ich nicht an Freundschaft nach einer Trennung.«

»Ich komme klar, wirklich. Dann habe ich halt ein Tränchen verdrückt, na und?«

Ich war ziemlich gut darin, Dinge herunterzuspielen.

Jørgunn hob skeptisch eine Braue und organisierte Besteck. »Ich möchte nur nicht, dass dir jemand wehtut, verstehst du?«

»Danke, das ist lieb, Jørgunn, ehrlich. Aber ich passe schon auf mich auf. Und ich weiß, wie viel ich mir zumuten kann. Außerdem ist es doch wie eine Prüfung für mich. Nur so kann ich herausfinden, wie ich mit der Situation umgehen kann. Denn früher oder später würden wir uns sowieso begegnen, gleicher Freundeskreis und so.«

Sie nickte. Kurz darauf setzten wir uns mit je einem Glas Weißwein an unseren Esstisch und genossen den Fisch.

»Es schmeckt ausgezeichnet«, sagte Jørgunn und schob sich gleich noch eine Gabel in den Mund.

Ich lächelte.

»So schmeckt das Meer«, sagte ich und seufzte.

»Du vermisst dein Zuhause in letzter Zeit sehr oft«, überlegte sie und trank noch einen Schluck.

Sie hatte recht. Ich fühlte mich auch etwas einsam. Mein Leben hatte sich schließlich sehr verändert. Doch an der See war das nie so. Da mochte kommen, was wollte, ich fühlte mich stets geerdet, wenn ich das Meer sehen konnte.

»Vielleicht wäre das ja 'ne Idee«, fiel es ihr ein. »Urlaub in Travemünde bei deiner Oma? Das bringt dich auf andere Gedanken.«

Daran hatte ich auch schon gedacht. Ich pikte etwas von der goldenen Panade mit der Gabel auf und probierte. Es war wirklich nicht schlecht, hätte auch von Oma sein können.