Das Vierzehn-Tage-Date - René Freund - E-Book

Das Vierzehn-Tage-Date E-Book

René Freund

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Beschreibung

Ungewollte Quarantäne: Mit bewährtem Humor erzählt René Freund eine coronabedingte Beziehungsgeschichte.

Corinna ist das Tinder-Date von David. Die beiden haben sich, wenn man ehrlich ist, aus lauter Langeweile und – coronabedingt – bei ihm zu Hause getroffen. Sie ist Kellnerin und wegen der Lokalsperren arbeitslos. Außerdem ist Corinna unordentlich, trinkt, raucht und stopft sich mit Junkfood voll. David ist Musiklehrer und Veganer. Klar, dass die beiden nicht füreinander bestimmt sind. Nach einer gemeinsam verbrachten Nacht, an die sich Corinna wegen einer Flasche Wodka nicht mehr erinnern kann, sind die beiden froh, einander nie wieder sehen zu müssen.
Als sich jedoch herausstellt, dass der Bote, der ihnen Pizza gebracht hat, mit dem Virus infiziert war, müssen die beiden in Quarantäne. Zwei Wochen gemeinsam statt einsam …

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Über das Buch

Ungewollte Quarantäne: Mit bewährtem Humor erzählt René Freund eine coronabedingte Beziehungsgeschichte.Corinna ist das Tinder-Date von David. Die beiden haben sich, wenn man ehrlich ist, aus lauter Langeweile und — coronabedingt — bei ihm zu Hause getroffen. Sie ist Kellnerin und wegen der Lokalsperren arbeitslos. Außerdem ist Corinna unordentlich, trinkt, raucht und stopft sich mit Junkfood voll. David ist Musiklehrer und Veganer. Klar, dass die beiden nicht füreinander bestimmt sind. Nach einer gemeinsam verbrachten Nacht, an die sich Corinna wegen einer Flasche Wodka nicht mehr erinnern kann, sind die beiden froh, einander nie wieder sehen zu müssen.Als sich jedoch herausstellt, dass der Bote, der ihnen Pizza gebracht hat, mit dem Virus infiziert war, müssen die beiden in Quarantäne. Zwei Wochen gemeinsam statt einsam …

René Freund

Das Vierzehn-Tage-Date

Roman

Paul Zsolnay Verlag

Tag 0: Tinder

Wenn David gewusst hätte, dass sein Auraspray nichts, aber auch gar nichts gegen die Geister auszurichten vermochte, die in nächster Zeit seine Wohnung und sein Leben heimsuchen würden: Er hätte sich die Prozedur erspart. »Pfff, pfff« macht es beim Sprühen, einmal über das Sofa, einmal über die Essecke, einmal im Schlafzimmer und einmal rund um ihn selbst, das kann nicht schaden, »pfff, pfff«.

Eigentlich glaubt David nicht an die angeblich alles Böse fernhaltende Kraft des Erzengel-Michael-Energie-Transformations-Sprays. Aber immerhin, böse Gerüche weichen dem Duft von Lavendel und Sandelholz. Auch schon etwas. Und außerdem: Man kann ja nie wissen. Düfte haben einen Einfluss auf Stimmungen und Gefühle, das ist wissenschaftlich erwiesen. Lavendel beruhigt, das wird ihm die Nervosität nehmen, und Sandelholz wirkt aphrodisierend, das wird ihre Stimmung günstig beeinflussen. »Pfff, pfff.«

David sieht auf sein Handy. Sonntag, 15. März 2020, 19.23 Uhr. Sieben Uhr war abgemacht. Er geht auf seinen kleinen Balkon und schaut auf die Straße hinunter. Es dämmert schon, und von ihr ist noch immer nichts zu sehen. Aufgefallen wäre sie ihm sicher: Die Straßen sind menschenleer. Hier, im Ausgehviertel der Bobos und Hipster, findet um diese Zeit üblicherweise der allabendliche Kampf um die raren Parkplätze statt. Jetzt hört David aus dem nahen Park Vogelgezwitscher. Das hat es um diese Zeit noch nie gegeben. Jedenfalls hat David es noch nie gehört.

Er geht ins Wohnzimmer zurück und spielt ein paar Akkorde auf dem Klavier. Wahrscheinlich wird sie nicht kommen, denkt er, und wahrscheinlich ist das auch besser so. Irgendetwas Seltsames liegt in der Luft, wogegen das Erzengel-Michael-Energie-Transformations-Spray wahrscheinlich auch nicht helfen wird. Die Regierung hat Maßnahmen angekündigt, aber nur, weil etwas angekündigt wird, von dem niemand etwas Genaues weiß, muss man ja nicht unbedingt ein Date verschieben, das man geplant hat, als alles noch halbwegs normal war.

David sieht auf sein Telefon. 19.35 Uhr. Keine Nachricht von ihr. Er checkt seinen Tinder-Account, vielleicht hat er etwas übersehen. Nichts. Gegen acht schreibt er: »Hallo Corinna, kommst du noch?«

Wenn Corinna gewusst hätte, dass sie bald Zeit, unermesslich viel Zeit haben würde: Sie hätte sich nicht so beeilt. Aber seit einigen Monaten kämpft sie gegen ihr notorisches Zuspätkommen an, vielleicht, weil sie zunehmend das Gefühl hat, insgesamt eine Zuspätkommende zu werden. Im Leben. Immerhin ist ihr dreißigster Geburtstag jetzt schon zwei Jahre her. Dreißig mag man jung finden, aber für Corinna ist dieser runde Geburtstag ein so schlimmer Einschnitt gewesen, dass sie sich fragt, wie es möglich ist, einen Vierziger oder Fünfziger zu überleben.

Jetzt ist sie mit den klobigen Schuhen und der Bluse vom Flohmarkt viel schlampiger gekleidet, als sie es vorgehabt hatte, und außerdem nicht geschminkt, wobei sie ohnehin nicht der Typ ist, der in voller Kriegsbemalung zu einem Date geht. Aber zumindest die Augen hätte sie ein bisschen betonen können. Und die Haare waschen! Ihr Date ist immerhin drei Jahre jünger als sie, jedenfalls, wenn er bei seinem Alter nicht geschummelt hat.

Schuld an der Verspätung ist ihre Mutter, die sie in ein Gespräch verwickelt hat, wie immer, wenn Corinna es eilig hat. Dass eine totale Ausgangssperre kommen werde, hat ihre Mutter gesagt, das wisse sie von einer Freundin, deren Freund im Ministerium arbeitet, sie solle nicht mehr weggehen, und überhaupt kenne sie diesen Typen ja nicht, und bla, bla, bla.

Und natürlich hat Corinna dann den Bus versäumt, der nur jede halbe Stunde fährt, und natürlich hat sie beim Warten auf den nächsten Bus den Tag verflucht, als sie wieder in das Häuschen ihrer Mutter in dieser Kleingartensiedlung am Ende der Welt eingezogen ist. Es sollte ja nur für ein paar Wochen sein, bis sie eine leistbare Wohnung oder einen Platz in einer netten WG finden würde, aber mittlerweile dauert dieses anstrengende Provisorium schon über ein halbes Jahr, und daran wiederum war dieser Scheißkerl schuld, in dessen Wohnung sie damals unmöglich hätte bleiben können. Besonders anstrengend wird das Provisorium dadurch, dass ihre Mutter nicht etwa eine ängstliche, schwächliche Rentnerin ist oder der gemütliche Großmuttertyp. Sie ist einundfünfzig Jahre alt und steht als Mitarbeiterin der Kinder- und Jugendhilfe voll im Berufsleben. Nicht nur ihr an jedem Wochentag um 5.50 Uhr läutender Wecker, sondern auch ihre Vitalität und Betriebsamkeit erinnern Corinna täglich an ihr nutzloses, schmarotzerhaftes Dasein.

Corinna läuft der Straßenbahn nach. Vergeblich. Auch hier muss sie auf die nächste warten. Soll sie schreiben, dass sie sich verspätet? Oder ist das uncool? Soll sie einfach wieder umdrehen, weil ihre Mutter vielleicht doch recht hat? Das wiederum hieße, den ganzen Abend lang deren apokalyptische Vorträge anzuhören, und darauf hat sie erst recht keine Lust. Auf ein Date allerdings auch nicht. So richtig angefreundet hat sich Corinna mit dieser verwirrend riesigen Partnerschaftssuchmaschine noch nicht, aber immerhin, die Grundregeln von Tinder hat sie begriffen. »Das ist tinderleicht«, hat ihre Freundin Sophie behauptet, und an ihrem heutigen Unglück ist ganz allein sie schuld, denn Sophie hat sie gedrängt, ja geradezu genötigt, dem Chatten und virtuellen Flirten endlich einmal Taten folgen zu lassen, denn schließlich sei Corinna zweiunddreißig Jahre alt und so weiter. Die hat leicht reden, die kann sich ganz unbeschwert auf Tinder umsehen, seit sie verheiratet ist und zwei Kinder hat!

Ein paar hundert Meter noch, ein Blick aufs Handy, ob die Adresse stimmt. Eine Nachricht. 20.08 Uhr: »Hallo Corinna, kommst du noch?«

Antworten? Nicht antworten? Corinna spürt den Schweiß auf der Stirn und dass ihre Wangen rot werden, sie sieht dann aus wie eine Schülerin im Turnunterricht nach dem Zirkeltraining, schrecklich jung, schrecklich gesund und schrecklich uninteressant.

Interessant, denkt David, als es an der Tür läutet. Er hat gerade sein Ralph-Lauren-Hemd ausgezogen und das Haus-T-Shirt an, und jetzt kommt sie doch. Egal. Er springt vom Klavierhocker. »Pfff, pfff.« Ein Blick in den Spiegel verrät ihm, dass er auch in dem enganliegenden T-Shirt ziemlich gut aussieht. »Pfff, pfff.« Er öffnet die Wohnungstür.

Wie ein Wirbelwind kommt ihm Corinna entgegen und läuft geradewegs an ihm vorbei, als hätte sie vor, eine Hausdurchsuchung zu machen.

»Hier riecht es seltsam«, sagt sie.

»Hallo«, sagt David.

»Nach alten Leuten.«

»Danke. Aber bei meinem Alter habe ich nicht geschummelt.«

»Ach ja? Und bei was hast du schon geschummelt?«

»Ich habe gar nicht geschummelt!«

David weiß nicht, wie es innerhalb von Sekunden passieren konnte, dass er das Gefühl hat, sich rechtfertigen zu müssen. Er mustert Corinna. Ihre Haare sind so schön und wild wie auf ihrem Profilbild. Hipster-Typ. Ungeschminkt. Vintage-Bluse, wahrscheinlich vom Flohmarkt. Die klobigen Schuhe passen nicht wirklich zu ihr, könnten aber auf eine gewisse Bodenständigkeit hindeuten. Keine Tussi. Jedenfalls äußerlich betrachtet.

Corinna zeigt auf das Klavier: »Also zumindest bei einem hast du nicht gelogen. Du bist tatsächlich Musiker. Du spielst Klavier.«

»Nun ja …«

»Hier hat doch wer Klavier gespielt? Ich bin doch nicht verrückt oder was.«

»Ach, das ist nur …«

»Nur was?«, will Corinna wissen.

»Ein Hobby«, antwortet David. Er hat absolut keine Lust, jetzt sein ganzes Leben vor ihr auszubreiten.

»Also ist das jetzt ein Hobby, oder bist du Musiker?«

»Na ja.«

»Kunst kennt kein Na ja. Also was? Bist du Musiker mit Herz und Seele und Leidenschaft und alles?«

Solche Fragen, findet David, sollte man erst bei Kerzenschein zu fortgeschrittener Stunde stellen, und nicht anstelle der Begrüßung. Er startet noch einen Versuch.

»Hallo. Ich bin …«

»Oder ist es nur ein Hobby? Hobby, Hobby, Hobby … das ist ein schreckliches Wort. Hobby, Hobby … und es wird immer schlimmer, je öfter man es sagt, merkst du das?«

»Ich bin David.«

Er nähert sich ihr unsicher und weiß nicht, wie er sie begrüßen soll. Sie küsst ihn links, rechts, links auf die Wangen. Er riecht nach Lavendel und ein bisschen nach Weichspüler, findet sie. David bleibt etwas ratlos stehen.

»Begrüßungsküsschen, das macht man doch, wenn man sich datet? Nicht?«, fragt Corinna. Und sich selbst fragt sie, warum sie immer etwas falsch machen muss und warum sie sich nicht wie ein normaler Mensch benehmen kann, wenn sie unsicher ist.

David hebt zaghaft seine breiten Schultern: »Nun ja, in Zeiten wie diesen, ich weiß nicht …«

Corinna hält sich ehrlich erschrocken die Hand vor den Mund. »Oh mein Gott, das hatte ich vergessen. Scheiße! Ich hoffe, du bist mir nicht böse.«

»Nein, ich …«

»Hatte ich ehrlich vergessen. Ich hab’ einfach nicht dran gedacht.«

»Es ist ja auch schon drei Tage her, dass wir … das hier abgemacht haben«, sagt David beschwichtigend. »Weil wir geahnt haben, dass sie alles dichtmachen.«

»Vor drei Tagen …«, sinniert Corinna.

»Vor drei Tagen war alles noch anders«, sagt David.

»Meinst du, es wird etwas passieren?«, fragt Corinna.

»Keine Ahnung«, antwortet David und sieht durch die Balkontür auf die Straße hinunter. »Aber da draußen sieht es gespenstisch aus.«

»Ich weiß. Ich hab’ gerade die ganze Stadt durchquert, um hierherzukommen. Entschuldige übrigens die kleine Verspätung.«

Immerhin, denkt David, sie kann auch normal sein. »Klein« fand er die Verspätung zwar nicht, aber gut, sie hat sich entschuldigt. Corinna setzt ihr unschuldiges Lächeln auf und überlegt, ob sie bleiben soll. Oder doch gleich wieder heimfahren? Aber was spricht dagegen, den Abend mit ihm zu verbringen? Er sieht gut aus, er ist nett, wenngleich ein bisschen zu muskulös für ihren Geschmack. Warum hat sie schon wieder Fluchttendenzen? Sie sollte sich einfach ein bisschen entspannen!

»Darf ich hier rauchen?«, fragt sie.

»Nein«, antwortet David.

»Hab’ ich mir gedacht.«

»Möchtest du … ich hab’ nicht viel hier … aber … möchtest du …«, stammelt er.

»Bietest du mir jetzt ein Glas Wasser an oder was?«, fragt Corinna.

»Bier hätte ich auch.«

»Okay.«

»Alkoholfreies.«

»Dann lieber Wasser.«

Corinna sieht beim Fenster hinaus. Bier schmeckt ihr eigentlich selten, und in der alkoholfreien Variante mag sie es noch weniger, vor allem, weil es nicht einmal seinen Zweck erfüllt. Gin Tonic wäre ihr eigentlich am liebsten gewesen.

David kommt mit zwei Gläsern, einer Karaffe Wasser und einer halben Flasche Wodka zurück. Er reicht Corinna ein Glas.

»Ich hab’ Wodka gefunden«, sagt er.

»Dann nehm’ ich den.«

David schenkt sich Wasser und Corinna Wodka ein. Sie nimmt einen Schluck, spürt die Wärme im Magen und weiß: Gleich wird sie wunderbar entspannt und souverän sein. Sie wird jetzt einfach den Mund halten und David die Gesprächsführung überlassen. Als hätte er ihre Gedanken gelesen, räuspert sich David und fragt: »Und … machst du das öfter?«

Corinna lacht auf. »Nein, David, sorry, das geht nicht. Lass dir bitte eine andere Eröffnungsfrage einfallen. Irgendwas! Bayern oder 1860, Austria oder Rapid, gerührt oder geschüttelt, Barolo oder Bordeaux, von vorne oder von hinten, aber nicht: Machst du das öfter?!«

»Also bei mir ist es erst das dritte Mal, und ich …«

»Erst das dritte Mal!«, ruft Corinna aus. »Süß!«

»Ehrlich«, sagt David und spürt, dass er errötet. Und die Hitze auf seinen Wangen wird durch Corinnas nächste Bemerkung nicht unbedingt besser.

»Das mit dem Sex wird nichts werden«, sagt sie, »in Zeiten wie diesen. Aber was willst du dann? Warum treffen wir uns überhaupt?«

»Wir könnten einander kennenlernen«, antwortet David.

»Ich glaube, du willst mich gar nicht kennenlernen«, gibt Corinna zurück.

»Tatsächlich machst du es einem nicht leicht, das zu wollen«, sagt David und ist ein bisschen stolz auf seine schlagfertige Antwort.

Corinna lacht, trinkt ihren Wodka aus, schenkt sich selbst nach und sagt: »Das war immerhin ehrlich, das mag ich.«

»Was hat dir gefallen an mir? An meinem Profil?«, will David wissen, denn er findet, eine andere Sorte Mann würde eigentlich besser zu Corinna passen, eher ein Typ mit Bart und Sandalen und so. »Warum wolltest du mich kennenlernen?«

»Ich fand’s cool, dass sich einer David19 nennt«, antwortet sie und schenkt sich noch einen klitzekleinen Schluck nach. »Ich meine, in Zeiten wie diesen, das ist nicht schlecht, David19.«

»Eigentlich ist es gar nicht so cool«, sagt David19.

»Sowas hab’ ich schon befürchtet.«

»Ich wollte mich David91 nennen, nach meinem Geburtsjahr, aber das war nicht mehr frei, also hab’ ich David19 genommen. Das war aber vor den Zeiten wie diesen.«

Corinna trinkt ihr Glas aus und sieht David an.

»Wieso ist einer wie du nicht verheiratet und hat zwei Kinder?«

»Ist das nicht ein bisschen viel verlangt? Ich bin neunundzwanzig! Außerdem: Wie ist einer wie ich?«, fragt David zurück.

Corinna überlegt, ob sie ihm eine Antwort geben soll. Aber sie kann ihm ja schlecht zu Beginn des Abends sagen, dass er gut aussieht und halbwegs witzig ist, der Einrichtung seiner Wohnung nach zu schließen gut verdient und außerdem einen süßen Hintern hat, es also nur gute Gründe gäbe, einen wie ihn zu heiraten. Deshalb sagt sie nur: »Und jetzt?«

David überlegt kurz, entscheidet sich dann aber wieder für die ehrliche Variante. Immerhin scheint Corinna nicht nur beim Austeilen, sondern auch beim Einstecken ganz gut zu sein.

Er räuspert sich kurz und sagt: »Du hast das sicher auch schon mal gelesen: Wenn sich zwei Menschen begegnen, wissen sie nach fünf Sekunden, ob das etwas wird mit ihnen oder nicht.«

Corinna nickt. »Kenn ich, ja. Wobei ich glaube, die fünf Sekunden sind großzügig bemessen. Es sind eher drei Sekunden.« Mehr wird sie aber jetzt nicht sagen. Das soll er machen.

»Nun ja, jedenfalls glaube ich …«, fängt David an und räuspert sich wieder.

»Könntest du vielleicht endlich mal einen Satz zu Ende reden?«

»Na ja …« David hebt die Schultern.

Corinna sieht ihm direkt in die Augen: »Sag es.«

»Nun ja … das wird wohl nichts mit uns.«

Corinna lacht, so sehr ist David die Erleichterung darüber anzusehen, dass er es endlich über die Lippen gebracht hat. Nun gut, besser eine schnelle Pleite als eine, mit der man sein halbes Leben verschwendet, denkt Corinna. Vielleicht hat Sophie noch Zeit auf ein Glas Wein oder Elsa, die kann sie auf dem Heimweg anrufen.

»Danke für das Wasser«, sagt Corinna und wendet sich zur Tür. »War echt toll. Ich werd’ dann wohl mal …«

Irgendetwas in ihrer Stimme rührt David. Er ist zwar beim optischen Erkennen nicht besonders gut, im Lesen der Körpersprache ein Analphabet, aber er kann Stimmungen gut an Stimmlagen erkennen. Und da hat er jetzt etwas gehört … etwas Verletztes? Und das tut ihm leid, oder es würde ihm leidtun, wenn es denn so wäre, und außerdem fängt er mit dem angebrochenen Abend ohnehin nicht mehr viel an.

»Jetzt, wo das klar ist, könnten wir uns einfach einen entspannten Abend machen, was meinst du?«, fragt David.

»Ja«, antwortet Corinna. »Und zwar jeder für sich. Das ist in Zeiten wie diesen ohnehin vernünftiger. Außerdem habe ich Hunger. Wahnsinnigen Hunger.«

»Ich habe auch Hunger«, meint David. »Bestellen wir was im Cavallino.«

»Du meinst, wir essen eine Pizza miteinander?« Ganz unkompliziert will Corinna jetzt auch nicht sein.

»Warum nicht?«, fragt David arglos.

»Ja, warum nicht. Hast du Rotwein?«

David räuspert sich wieder: »Äh … nein.«

»Weißwein?«

»Auch nicht. Aber wir können was bestellen. Was immer du willst. Cavallino liefert auch Wein.«

»Tatsächlich?« Sollte Corinna gleich mit allem herausrücken? Ach, wer weiß, vielleicht sollte sie das lieber für sich behalten.

David geht zu seinem Computer, tippt etwas ein, liest vor: »Lieferung nach Hause, gratis ab einem Bestellwert von 25 Euro. Das schaffen wir doch. Was möchtest du trinken? Chianti?«

»Nimm den Bardolino, der kostet die Hälfte und macht auch betrunken.«

»Du kennst dich aber gut aus. Und zum Essen? Teilen wir uns eine große?«

»Sollte reichen.«

»Ich würde die Vegetariana nehmen«, sagt David.

»Ach du meine Güte«, gibt Corinna zurück.

»Wieso sagst du das?«

»Dachte ich mir schon, dass du so einer bist.«

»So einer?«, fragt David nach und ärgert sich leise darüber, dass Corinna so eine ist, die schnell mit Vorurteilen da zu sein scheint, ohne sie auszusprechen.

»Leute wie du wollen immer gesund leben und fühlen sich so anständig und toll«, entgegnet Corinna. »Dabei kommen die Artischocken für die Pizza nicht nur aus Ägypten, sondern auch aus der Dose.«

»Woher willst du das wissen?«

»Die Artischocken kommen immer aus der Dose.«

»Also wollen wir uns eine Vegetariana teilen oder nicht?«

»Von mir aus.«

»Aber ich nehme die Vegetariana ohne Käse«, gibt David kleinlaut von sich, wissend, was jetzt kommen wird. Und es kommt natürlich, denn Corinna, die den veganen Braten längst gerochen haben muss, fragt mit gespieltem Entsetzen: »Warum um Himmels willen?«

»Ich bin Veganer«, sagt David mit fester Stimme, und der Fortlauf des Abends hängt nun für ihn doch ein wenig davon ab, welche der zahlreichen dummen Bemerkungen Corinna von sich geben würde. Das Spektrum war reich: Sind Veganer nicht diese Außerirdischen, die Raumschiff Enterprise attackieren? Wieso hast du keinen Spaß am Leben? Warum isst du den Tieren das Futter weg? Du hältst dich wohl für etwas Besseres? Wird man davon nicht impotent?

Corinna würdigt ihn keines Blickes, als sie sagt: »Ich nehme eine Prosciutto, und statt der Oliven noch extra Salami. Wenn es dich nicht stört.«

David findet, er darf jetzt auch ein bisschen provozieren: »Wenn es dich nicht stört, dass für deine Pizza zwei Tiere gestorben sind.«

»Wieso zwei?«, will Corinna wissen.

»Ein Schwein für den Schinken, eines für die Salami.«

»Na dann. Bestell mir eine Massenmordo speciale und für dich eine Sonoilbestemenschvonwelt grande.«

David nimmt sein Telefon und gibt die Nummer ein, während Corinna sich eine Zigarette dreht.

»Ja, hallo … ich … äh … möchte eine Pizza bestellen. Zwei Pizza. Pizze sagt man dann, nicht?« Corinna verdreht die Augen. Schlimm, diese Leute, die nach einem Italienurlaub oder dem Kurs Italienisch für Anfänger an der Volkshochschule glauben, in der Pizzeria all ihre Kenntnisse einem Kellner entgegenschleudern zu müssen, der noch dazu in den meisten Fällen kein Italiener, sondern Türke oder Tschetschene ist. Beim Cavallino ist es zwar tatsächlich ein Italiener, aber das macht es nicht besser. »Haha … Ja … Liefern … Ja, zum Liefern, bitte … Also eine Vegetariana … Stimmt es, dass die Artischocken aus der Dose sind? Aha. Verstehe. Ja … Vegetariana also, ohne Artischocken. Ja. Ohne Artischocken. Senza carciofi. Und ohne Käse. Ja. Unbedingt ohne Käse. Haben Sie Räuchertofu? Tofu! Kein Tofu? Und dann, wenn es geht, eventuell keinen Knoblauch, oder nicht zu viel Knoblauch, weil …«

Mit zunehmender Anspannung hat Corinna zugehört. Sie ahnt, dass David einer von denen ist, die so lange an ihrer Pizzabestellung herumbasteln, bis von den ursprünglichen Zutaten nichts, aber auch gar nichts mehr übrig bleibt. Sie reißt David das Telefon aus der Hand: »Ciao Cecco, sono Corinna. Potresti farci due pizze per favore? Come al solito, per me, ma questa volta potresti aggiungere prosciutto, prosciutto crudo, salame e pancetta. Sì, davvero una montagna di carne! E poi prepara una pizza gay senza niente, ma con aglio extra, per favore, e peperoncini, davvero … sì, ho bisogno di un po ’di fuoco. E due bottiglie di vino. Bardo, sì. Ci vediamo. Sì, se non ci sono piú volte come questa. Ciao.«

Sie reicht David das Telefon zurück.

»Du kennst die?«, fragt David verwundert, nachdem er seine Adresse angegeben und aufgelegt hat.

»Bisschen«, antwortet Corinna.

»Warum?«

»Ich arbeite dort.«

»Was?«

»Hast du mich nie gesehen? Ich bin die Unscheinbare, die mit dem Tablett und den Tellern herumgeht und immer freundlich ist …«

»So oft bin ich nicht dort.«

»Und wenn, hättest du mich doch nicht bemerkt.«

»Du hast gesagt, du bist Künstlerin … also auf deinem Profil.«

»Künstlerin? Nein, Kellnerin!«

»Aber ich dachte mir noch, Künstlerin, das klingt interessant.«

»Kellnerin ist uninteressant, oder was?«

»Nein, so hab’ ich das nicht gemeint!«

»Wo darf ich hier rauchen?«, fragt Corinna.

Immer diese Themenwechsel ohne irgendeine greifbare Auskunft, denkt David leicht ermüdet. »Auf dem Balkon, wenn es sein muss.«

Corinna geht zur Balkontür, öffnet sie, zündet die Zigarette an. David sucht nach einem Aschenbecher oder etwas Ähnlichem, findet aber nichts. Er verschwindet in der Küche, kommt mit einem Einmachglas wieder, stellt es Corinna hin.

»Nimm das hier als Aschenbecher.«