Defiant - Jenseits der Sterne - Brandon Sanderson - E-Book

Defiant - Jenseits der Sterne E-Book

Brandon Sanderson

0,0
6,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Jetzt das eBook zum Einführungspreis sichern! Das grandiose Finale der bildgewaltigen Space Opera: Kann die Sternenjäger-Pilotin Spensa die Galaxie retten – oder wird sie sich bei dem Versuch selbst verlieren? »Defiant – Jenseits der Sterne« ist der vierte und abschließende Band der epischen Science-Fiction-Reihe »Claim the Stars« von Bestseller-Autor Brandon Sanderson. Die Zeit im Nirgendwo zwischen den Sternen und ihre Begegnung mit den uralten Delvers hat die junge Pilotin Spensa für immer verändert. Unterdessen ist es ihren Freunden von Skyward Flight gelungen, Verbündete für ihren Kampf zu gewinnen und Winzik aufzuhalten. Trotzdem steht die galaktische Allianz der Superiority kurz davor, endgültig die Vorherrschaft zu erlangen, was nicht nur für die Menschheit den Untergang bedeuten würde. Um ihren übermächtigen Gegner zu besiegen, muss Spensa ihre Gabe einsetzen und auf das Wissen der Delvers zurückgreifen. Doch das verlangt ihr mehr ab, als sie sich je hätte vorstellen können. Ist sie wirklich bereit, alles für den Sieg zu geben – auch wenn das bedeuten könnte, ihre Freunde und sogar sich selbst zu verlieren? Das filmisch erzählte All Age Science-Fiction-Abenteuer »Claim the Stars« des Bestseller-Autors Brandon Sanderson ist in folgender Reihenfolge erschienen: - Skyward – Der Ruf der Sterne - Starsight – Bis zum Ende der Galaxie - Skyward Flight (Sammelband »Sunreach«, »ReDawn« und »Evershore«) - Cytonic – Unendlich weit von Zuhause - Defiant – Jenseits der Sterne

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 557

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Brandon Sanderson

Defiant

Jenseits der Sterne

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch von Oliver Plaschka

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Kann Sternenjäger-Pilotin Spensa die Galaxie retten – oder wird sie bei dem Versuch alles verlieren?

Die Zeit im Nirgendwo zwischen den Sternen und ihre Begegnung mit den uralten Delvers hat die junge Pilotin Spensa für immer verändert. Währenddessen ist es ihren Freunden zwar gelungen, Verbündete zu gewinnen und Winzik aufzuhalten. Trotzdem steht die galaktische Allianz der Superiority kurz davor, endgültig die Vorherrschaft zu erlangen, was nicht nur für die Menschheit den Untergang bedeuten würde. Um ihren übermächtigen Gegner zu besiegen, muss Spensa ihre Gabe einsetzen und auf das Wissen der Delvers zurückgreifen. Doch das verlangt ihr mehr ab, als sie sich je hätte vorstellen können. Ist sie wirklich bereit, alles für den Sieg zu geben – auch wenn das bedeuten könnte, sich selbst zu verlieren?

Bildgewaltige Space Opera von Spiegel-Bestsellerautor Brandon Sanderson

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de

Inhaltsübersicht

Widmung

Prolog

Teil eins

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

Teil zwei

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

Teil drei

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

54. Kapitel

55. Kapitel

56. Kapitel

57. Kapitel

58. Kapitel

59. Kapitel

Epilog

Danksagungen

Für Kara,

die meine Bücher in die Welt trägt

Prolog

Ich schwebte in vollkommener Leere.

Und es war, als wäre ich zu Hause.

Wie eigenartig. Ich war ein Wesen aus Fleisch und Blut. Das wusste ich. Aber meine Seele – oder doch Teile von ihr – fühlte sich hier wohler: in einer endlosen Leere, in der Zeit keine Bedeutung hatte. Dem Nirgendwo.

Ich war ein Geschöpf zweier Welten. Spensa, das Mädchen von Detritus, eine Kriegerin – und Chet, der Delver, ein Wesen, das außerhalb von Raum und Zeit existierte. Wir waren eins geworden.

Eine Waffe.

Mir war immer noch nicht klar, wie das funktionierte. Doch besaß ich eine Verbindung zu diesem Ort, die mir wahrscheinlich helfen würde im Kampf gegen die Delver – jene schrecklichen, fremdartigen Wesen, die ganze Planeten zerstört hatten und meine Wirklichkeit bedrohten. Ich konnte ihnen wehtun. Ich wusste noch nicht, wie, doch das, was ich geworden war … konnte sie vernichten.

Sie hatten Angst vor mir. Also versteckten sie sich.

Wie können sie sich verstecken?, fragte ich mich. Alle Zeit und Raum sind ein einziger Punkt hier.

Sie sehen nach innen, antwortete Chet. Ja, er war ein Teil meiner selbst, doch waren wir noch immer zwei Individuen. Es war gerade mal eine Woche seit meiner Rückkehr aus dem Nirgendwo vergangen, und ich musste mich an das alles erst noch gewöhnen. Doch verglichen mit kurz nach meiner Rückkehr, fühlte ich mich bereits wieder mehr wie ich selbst.

Das verstehe ich nicht, sandte ich ihm.

Wir haben keine Körper, erklärte Chet. Deshalb kannst du uns – das, was du die Augen nennst – nur sehen, wenn wir dich ansehen. Es ist kompliziert … So wie Licht erst sichtbar wird, wenn du damit interagierst und es auf deine Netzhaut trifft, so kannst du unser nur bewusst werden, wenn wir uns auch deiner bewusst sind.

Ja klar. Mochte er sich auch an meine Seele angeheftet haben und ich mich fühlen, als gehörte ich ins Nirgendwo – von einem Haufen Dinge bekam ich nach wie vor einen Knoten ins Hirn.

Wie können wir sie bekämpfen?, fragte ich.

Das weiß ich nicht, gab er zurück. Wir müssen lernen. Ist es fürs Erste nicht genug, dass sie uns fürchten?

Das sollte es wohl sein. Etwas aber ließ mich nicht los; ein Aspekt ihrer Furcht, den ich mir noch nicht erklären konnte. Für den Augenblick also verharrte ich grübelnd. Machte mir Sorgen, ohne den Grund dafür benennen zu können. Auf mich allein gestellt an einem Ort, der von Tausenden und Abertausenden meiner Feinde bevölkert war.

M-Bot? Ich sandte meine cytonischen Sinne aus.

Keine Antwort. Ich wusste nicht, was aus ihm geworden war. Chet zufolge hatte er irgendwie überlebt, doch trotz tagelanger Suche im Nirgendwo – in das ich mich cytonisch projizierte – hatte ich keine Spur meines Freunds gefunden. M-Bot, das Schiff, das ich einst geflogen hatte. Die Keimzelle eines Delvers.

Seufzend widmete ich mich meinen Kräften. Die Verschmelzung mit einem Delver hatte mich auf zweierlei Weise gravierend verändert: Zunächst schien die Grenze zwischen Irgendwo und Nirgendwo in meinem direkten Umfeld … dünner geworden zu sein. Des Weiteren spürte ich seitdem eine Verbindung zu den Delvern und auch zu anderen. Ich konnte Bewusstseine leichter ergründen. Gefühle einfacher lesen.

Hier im Nirgendwo war Zeit ohne Belang. Jede Person jedoch, die es betrat, führte ein kleines Stückchen Irgendwo mit sich. Hinterließ eine Art Abdruck, ein Bild. Auf meiner Reise war ich schon auf Bilder gestoßen, die man für mich hinterlassen hatte. Nun erhaschte ich immer häufiger auch solche, die unabsichtlich verblieben waren. Spuren dessen, was meine Freunde in meiner Abwesenheit erlebt hatten.

Ich drang hinaus und fand Abbilder, Eindrücke. Überbleibsel der Gefühle und Erfahrungen, die von den Hypersprüngen meiner Freunde durchs Nirgendwo kündeten. Brotkrumen, mit deren Hilfe ich nachvollziehen konnte, was sie durchgemacht hatten, während ich fort gewesen war. Natürlich hatten sie es mir erzählt – nun aber sah ich es.

Sah ihre Panik, als ich nach Starsight verschwunden war. Sah sie Freundschaft mit Alanik schließen, der Fremden mit der violetten Haut, die auf Detritus abgestürzt war. Gemeinsam retteten sie Alaniks Welt vor der Superiority und zogen damit die Einwohner eines ganzen Planeten auf unsere Seite.

Ich sah die Nationalversammlung, unsere politische Vertretung, ein Abkommen mit dem Feind schließen. Und den tragischen Verrat: Winzik, der sie händereibend in eine Falle lockte, sodass unsere Politiker in einer Explosion umkamen. Ich sah, wie Großmutter sich und Cobb ins Nirgendwo rettete, wo sie dann festsaßen.

Und schließlich sah ich die Kitsen. Kleine, aufrecht gehende Fuchswesen, deren Planet durch einen Angriff der Superiority bedroht wurde. Ich sah unsere Staffel ihnen helfen und mit großem Einsatz ein Bündnis schmieden. Jorgen übernahm widerstrebend das Kommando über unser Militär und rettete mit seinen Streitkräften nicht bloß Großmutter und Cobb, sondern auch die Kitsencytoniker, die jahrhundertelang in einem Dimensionsportal gefangen gewesen waren.

Dies waren bloß Bruchstücke, die ich wahrscheinlich der tiefen Verbindung zu meinen Freunden verdankte. Wenn ich mittels derselben Gabe meine Feinde auszuspionieren versuchte, fand ich nichts. Immerhin gelang es mir so, die Lücken zu füllen. Zugleich schmerzte es mich, dass ich nicht da gewesen war, um zu helfen. Meine Freunde hatten so viel gelernt, so viel erreicht – mir dagegen blieb bloß die Beobachterrolle.

Was du getan hast, war wichtig, bekräftigte Chet. Ich nickte, denn er hatte ja recht. Und dennoch …

Ich verließ das Nirgendwo und kam in meinem Bett auf Detritus zu mir. Ich hatte noch ein größeres Problem als meine Gefühlslage: Ich wusste nicht, wie ich meine neuen Kräfte im Kampf gegen die Delver einsetzen sollte. Dabei lag es an mir, meine Welt zu beschützen. Deshalb war ich schließlich durchs Nirgendwo gereist – ich sollte die Waffe werden, die die Delver besiegte.

Doch allem, was ich gelernt hatte, zum Trotz kam ich mir immer noch unwissend vor. Ich hatte keine Ahnung, was ich eigentlich tat.

Chet ließ tröstend meine Seele schwingen. Er gab sein Bestes, mir zu helfen. Seufzend stand ich auf und machte mich bereit für den Tag. Nach menschlichem Ermessen sollte es ein Selbstläufer werden. Zum Glück musste ich nur in der Gegend herumstehen und möglichst stattlich dabei aussehen. Ich stolperte zum Spiegel – alles andere als stattlich. Zerzaustes Haar bis auf die Schultern, Tränensäcke unter den Augen.

Und in den Augen etwas Ruheloses, Gefährliches, das ich selbst nicht verstand.

Ich und was ich geworden war.

Ich schüttelte den Kopf. Seufzte schwer.

Und griff nach meiner Festtagsuniform.

Teil eins

1

Fünf Stunden später stand ich feierlich auf einer Bühne.

Ich hatte unzählige Jägergefechte überlebt, war nur Sekunden der Vernichtung durch eine Tiefentöterbombe entronnen. Hatte das Nirgendwo bereist und den alten Cytonikern ihr Geheimnis entlockt. Hatte den Delvern ins Gesicht geblickt, jenen fürchterlichen, schaurigen Monstren von außerhalb der Raumzeit – und war ihrem Blick nicht gewichen. Ich war Spensa Nightshade, die Kriegerin.

Was mich, wie ich nun wusste, zu einem wichtigen politischen Werkzeug machte.

Und so musste ich heute statt zu kämpfen etwas tragen, das deutlich unbequemer war als eine gute Fliegerkombi. Meine Brust war mit Orden behangen – ich war mir ziemlich sicher, dass man extra für den Anlass ein paar neue erfunden hatte, damit ich ein besseres Bild abgab. Abgesehen davon ging es bei der heutigen Zeremonie nicht um mich; genau wie die Orden war ich bloß Zierrat. Ein Mittel, um den heutigen Vorgängen mehr Gewicht zu verleihen.

Jorgen Weight wurde zum Flottenadmiral der Defiant Defense Forces ernannt. Und da die Nationalversammlung nicht mehr existierte und das Kriegsrecht herrschte, war er als Flottenadmiral auch provisorischer Regierungschef, bis sich eine andere Lösung fand.

Ungeachtet der Eindrücke, die ich aufgeschnappt hatte, fühlte ich mich immer noch abgehängt. Während meiner Abwesenheit hatten sich die Ereignisse überschlagen.

Jorgen ließ sich von einem unserer Ältesten die Schulterklappen seines neuen Rangs anbringen. Dann richtete er sich auf. Wenn man seine starken, entschlossenen Züge sah, mochte man kaum glauben, dass er noch vor wenigen Tagen in meinen Armen zusammengebrochen und den Tod seiner Eltern beweint hatte. Sie waren Mitglieder der Versammlung gewesen.

Sein Klagen, sein Schmerz, als die Explosion sie getötet hatte, hallten noch in mir nach. Die armen Narren – sie hatten tatsächlich geglaubt, sie könnten Frieden mit der Superiority schließen … und waren direkt in die Falle getappt. Dennoch wollte ich ihnen keinen Vorwurf machen. Zwar hatte ich mich nie sonderlich gut mit Vertretern der Versammlung verstanden, trauerte aber Jorgen zuliebe. Es war ein herber Schlag für uns alle, nicht bloß jene, die Familie verloren hatten. Winziks Tat schrie eine Beleidigung heraus, so laut, dass die ganze Galaxis sie hörte: Wir waren es nicht einmal wert, dass man mit uns verhandelte.

In der weiten Halle brandete Applaus auf. Ich stand am Rand der Bühne, gemeinsam mit Kimmalyn, FM und weiteren verdienten Offizieren, und hatte einen guten Blick aufs Publikum, das ungewohnt bunt war. Kaum zu glauben, was meine Freunde in meiner Abwesenheit alles erreicht hatten – zwei ganze Planeten hatten sich unserem Widerstand angeschlossen.

Zahlreich vertreten waren vor allem die Kitsen auf ihren Schwebetellern. Lautsprecher verstärkten ihr freudiges Piepsen. Dank der Rettung ihrer Cytoniker hatten wir nun schlagkräftige Verbündete mit Kräften wie meinen – etwas kompakter vielleicht mit ihren fünfzehn Zentimeter Pelz.

Alaniks UrDail waren ebenfalls da, nur nicht ganz so viele. Sie hatten violette Haut und auffällige weiße Knochenwülste im Gesicht. Diejenigen, die ich bislang kennengelernt hatte, waren durchaus höflich gewesen, aber auch reserviert. Selbst Alanik, ganz vorne in der Gruppe, wich meinem Blick aus, obwohl sie und meine Staffel gute Freunde geworden waren. Es war schon verständlich: Ich hatte mich als sie ausgegeben und in ihrem Namen ganz schön was angerichtet. Sie sagte zwar, sie wisse, warum … aber na ja, mir würde es auch nicht schmecken, wenn jemand sich als Spensa Nightshade ausgäbe.

Jorgen stand geduldig der jubelnden Menge zugewandt. Seinem übertrieben staatsmännischem Blick sah ich an, dass er sich nicht für würdig hielt. Ich war stolz auf ihn, dass er dennoch mitspielte. Er hatte das nie gewollt; genau wie ich hatte er einfach bloß fliegen wollen. Trotzdem hatte ich seit meiner Rückkehr kein Wort der Klage von ihm gehört.

Jemand musste sich dieser Aufgabe stellen, und Jorgen war erfahren und kampferprobt wie kaum einer unserer Piloten. Angesichts seines Alters war das auch erschreckend, und doch war es die Wahrheit. Wir brauchten ihn.

Sobald der Applaus verebbt war, bellte FM einen Befehl, und alle auf der Bühne nahmen Haltung an und salutierten. Jorgen erwiderte die Ehrenbezeugung, dann trat er ans Podest, um seine Rede zu halten. Für uns andere war dies das Signal, die Bühne zu verlassen und uns zu unseren Plätzen zu begeben.

Ich wollte als Erste entkommen. Vielleicht gelang es mir ja …

»Hey, Spin!«, sagte da eine Stimme.

Ich wandte mich um und sah Kimmalyn auf mich zukommen. Ihr langes, eng gelocktes Haar fiel ihr bis auf die Schultern. Man hatte ihr ebenso viele Orden aufgezwungen wie mir. »Geht es dir gut?«, fragte sie. »Du wirkst nicht ganz bei der Sache.«

»Alles gut«, sagte ich, während die anderen an uns vorbeiströmten. Dann stand ich nur schweigend da.

Dreck – ich wusste immer noch nicht, was ich meinen Freunden erzählen sollte. Was ich alles durchgemacht hatte – wo fing ich da an? Dass ich mir einen Delver in den Kopf getackert hatte? Dass ich die Ursprünge der Cytonik miterlebt, aber beinahe mich selbst verloren hatte an einem Ort, an dem die Zeit zerschliss wie alte Kleider? Dass ich beinahe dortgeblieben wäre, meine Freunde aufgegeben hätte?

»Wenn du was brauchst …«, hob Kimmalyn an.

»Ich muss mal aufs Klo«, fiel ich ihr ungelenk ins Wort.

Sie machte ein besorgtes Gesicht. Vielleicht auch ein bisschen verletzt, weil ich mich ihr nicht öffnete, so wie früher.

Ich hastete davon, doch nicht aufs Klo. Stattdessen verirrte ich mich – ganz unabsichtlich natürlich. Keine zehn Minuten später saß ich im Cockpit eines Poco-Abfangjägers und brauste für einen raschen Patrouillenflug ins All.

Schon ein bisschen selbstsüchtig, was ich da tat. Sobald man meinen leeren Stuhl bemerkte, würde es Getuschel geben. Aber Dreck … die letzte Zeit hatte ich an viel zu vielen Besprechungen teilgenommen. Eine Woche war ich schon wieder zurück und hatte kaum Zeit im Cockpit verbracht. Davon abgesehen hatte ich Jorgens Rede schon sechsmal beim Proben gehört.

Also flog ich und genoss das Gefühl der g-Kräfte, die mich in meinen Sitz drückten; den Anblick von Detritus mit seiner staubigen, graublauen Oberfläche und den vielen rotierenden Schichten von Plattformen über mir. Und in einem Moment des Überschwangs sammelte ich meine cytonischen Kräfte und teleportierte mich tief hinaus ins All.

Kaum dass ich sprang, regte sich Chet. Sein Geist war in meinen Körper gestopft wie ein Fallschirm in seinen Rucksack.

Ich weiß noch nicht, was ich von meinen neuen Kräften halten soll, dachte ich, während wir in der Leere des Nirgendwos hingen. Gestern habe ich etwas teleportiert, ohne es auch nur zu berühren.

Zum Teil bist du jetzt ein Delver, gab er zurück. Raum und Entfernungen sind … nicht mehr so relevant für dich, wie sie es einst waren.

Wie schon zuvor sahen wir keine anderen Delver. Mir war aber, als verstünde ich nun besser, welche Gefahr ich für sie darstellte. Es hatte etwas mit meiner tieferen inneren Bindung zum Nirgendwo – und zu ihnen – zu tun. Auf meiner Reise hatte ich erfahren, dass sie im Bemühen, ihren Schmerz zu vergessen, Teile ihrer selbst absichtlich verborgen hatten.

Da ich nun teilweise selbst ein Delver war, erahnte ich die Wahrheit. Ich sah, was Chet getan hatte, um seinem Schmerz zu entgehen. Und wenn, ja wenn ich das alles besser verstand, war dies vielleicht der Schlüssel zu ihrem Untergang.

Abermals forschte ich nach M-Bot, fand aber keine Spur von ihm, daher vollendete ich den Hypersprung. Ich kam mit meinem Schiff im Irgendwo heraus, außerhalb der Schale von Detritus. Und da wurde mir auf einmal etwas klar, das mich beschäftigte, seit Chet zur Sprache gebracht hatte, dass die Delver mich fürchteten.

Er regte sich. Weshalb sorgt dich das so? Dass sie Angst vor dir haben, ist doch gut, oder nicht?

Gut und schlecht, erwiderte ich. Chet, sie sind verzweifelt. Und wer verzweifelt ist, verhält sich unberechenbar. Die ganze Zeit hatte ich versucht, ihren nächsten Schlag vorherzusehen – aber wer konnte schon sagen, was sie als Nächstes tun würden?

Grübelnd sank er zurück, als wäre mein Bewusstsein ein Sessel, in dem er sich niederließ. Da wir miteinander verbunden waren, begriff er rasch, was ich meinte. Und ich spürte, dass er auch meine Sorge verstand.

Für den Augenblick versuchte ich, den Flug zu genießen und die Last auf meiner Seele beiseitezuschieben. Trotz meiner Mühen empfand ich Bedauern über den Verlust des Nirgendwos, wo ich frei von jeder Verantwortung hatte fliegen können. Dazu kamen die Sorge um M-Bot und das Gefühl der Entfremdung, das ich hier, im normalen Fluss der Zeit, plötzlich empfand.

Und die Folgerung, dass ich nun mehr eine wie sie als eine von uns war.

Glücklicherweise verschaffte mir mein Sprung eine herrliche Ablenkung. Denn wir schwebten nun im Orbit von Evershore, der Heimatwelt der Kitsen. Ein strahlend blauer Planet, wie die alten Bilder der Erde, mit Wolken und Meeren und Leben. Es war atemberaubend.

Ich glitt durch den Raum zwischen beiden Planeten. Wie sich herausgestellt hatte, konnte sich Detritus nämlich bewegen. Es gab einen Grund für die schützende Hülle, dank derer sich der Planet auch fernab einer Sonne seine Wärme und einen Tag-Nacht-Zyklus bewahrte. Er war eine gigantische Kampfstation, die mittels Cytonik durch die Galaxis springen konnte. Und viele ihrer Plattformen konnten sich frei bewegen und als kleinere Gefechtsstationen agieren.

Alles, was es gebraucht hatte, waren ein paar Reparaturen und massig Alienschnecken gewesen. Glücklicherweise hatten wir beides im Angebot gehabt.

Unsere Heimatwelt war damit noch wundersamer als gedacht. Auch war sie ein sicherer Hafen für Hunderte Taynix, die sich in den tiefen Tunneln unter der Oberfläche verbargen. Bei dem Gedanken stellte ich Kontakt zu Schreckschneck her und spürte ihre freudige Reaktion. Sie schickte mir ein Bild von einem großen Raum auf einer der Plattformen, wo man sich um sie kümmerte. Dutzende Schnecken aus vielen verschiedenen Unterarten bevölkerten allein diesen Raum.

Wie es aussah, hockte sie gerade in einer Ecke vor einer Schüssel Kaviar. Nun richtete sie sich auf und sandte mir eine Woge größter Erleichterung. Seit meiner Zeit im Nirgendwo verstand ich sie besser und konnte inzwischen sogar einfache Wörter aus ihren Eindrücken herauslesen.

Ich dachte, du wärst glücklich bei den anderen? Ich dachte an die Freude, die sie angesichts der vielen Schnecken erst empfunden hatte.

Glücklich. Und nicht glücklich, antwortete sie.

Wieso?

Verwirrt, antwortete sie. Fühle mich noch verloren. Noch einsam. Eigenartig.

Ich wusste genau, was sie meinte: dieses Gefühl, nicht länger dazuzugehören. Die Dinge … anders wahrzunehmen als alle sonst. Ein Unikum zu sein. Ich schickte ihr ein Willkommen, und im nächsten Augenblick saß sie auf meinem Schoß. Hoffentlich vermissten die Pfleger sie nicht – ich sollte ihnen wohl lieber eine Nachricht schreiben. Andererseits waren sie es vermutlich gewohnt. FM und Rig hatten mir schon berichtet, wie … abwechslungsreich es doch war, sich um zahllose intelligente, interdimensionale Teleporterschnecken zu kümmern.

Gemeinsam flogen Schreckschneck und ich dahin und taten, als wäre alles wie früher. Ich beschleunigte auf irrwitzige Werte und flog zwischen den beiden Welten Manöver, die in der Atmosphäre unmöglich gewesen wären. Mein Gehirn versuchte panisch den Überblick über oben und unten zu behalten; nichtsdestoweniger machte es einen Riesenspaß. Eigentlich gar nicht so anders, als im Nirgendwo zu fliegen.

Leider holte mich die Pflicht rasch wieder ein. Mein Funk blinkte, und Jorgens Stimme erklang im Lautsprecher meines Helms.

»Spensa?«, fragte er. »Fliegst du gerade?«

»Patrouille«, erwiderte ich. »Wer weiß, wann die Superiority wieder angreift?«

Er schien mich zu verstehen, denn er gluckste leise.

»Geht es dir wieder besser?«, erkundigte ich mich. »Hast du’s hinter dir?«

»Eigentlich schon, bloß habe ich nun leider offiziell den Oberbefehl inne. Was wohl heißt, dass ich mich um unsere Zwangslage kümmern muss.«

»Zum Glück musst du das nicht allein«, sagte ich.

»Das … ist der Grund, weshalb ich mich melde.«

Ich seufzte schwer – ihm zuliebe schaltete ich aber erst mein Mikro kurz stumm. »Wie kann ich helfen?«

»Mit einem Treffen. Um unsere Möglichkeiten zu erörtern und unsere Strategie zu planen.«

»Heute?«, fragte ich. »Du bist gerade erst befördert worden. Sollte es da nicht erst, keine Ahnung, eine Party oder so was geben?«

Ich kannte ihn gut genug, um seine Antwort vorherzusehen. Tatsächlich hätte ich sie praktisch mitsprechen können.

»Partys können wir feiern, wenn wir in Sicherheit sind. Ich möchte dich dabeihaben, Spensa. Deine Sicht der Dinge ist für unsere Planung unerlässlich.«

Ein Dutzend Ausreden kam mir in den Sinn. Alle waren aber dämlich – er hatte recht, sie brauchten mich wirklich. Schreckschneck spürte meine Gefühle und stieß ein mitfühlendes Flöten aus.

»Wann?«, fragte ich.

»Viertelstunde?«

»Ich bin auf dem Weg.«

 

2

Das Treffen fand auf Plattform Eins statt, unserem Hauptquartier, das über dem Planeten, aber noch innerhalb seiner Schale schwebte. Die Raumstation wurde von mehreren Schichten weiterer Plattformen, Waffensysteme und Schilde geschützt.

Jorgen verstand es zweifelsohne, sich den Raum mit den besten Sesseln auszusuchen: eng gewölbt, mit hohen Seiten, fast wie kleine Cockpits.

Sachte schwang ich hin und her und zwang mich, Ironsides zuzuhören. Man hatte die frühere Befehlshaberin der DDF aus dem Ruhestand zurückgeholt, weil … na ja, weil wir gerade jeden brauchten. Und bei all ihren Fehlern hatte Ironsides einen Sinn fürs Taktische.

»Man könnte fast sagen, dass wir noch Glück haben.« Die silberhaarige Frau zeigte auf eine Sternenkarte an der Wand, die einen Sektor am Rande der Milchstraße zeigte: das Herrschaftsgebiet der Superiority. Und wir lagen mittendrin.

»Glück, wie das?«, fragte Jorgen vom Kopfende des Konferenztisches her. Die übrigen Plätze waren von Admirälen und Ingenieuren und außerplanetaren Würdenträgern besetzt, darunter Cuna, die einzige Dione auf unserer Seite. Ich hatte mich mit dem blauhäutigen Minister während meiner Zeit auf Starsight angefreundet, als ich mich als Alanik ausgegeben hatte.

»Lassen Sie mich das erklären.« Ironsides sortierte ihre Unterlagen.

Jorgen wartete. Wie schaffte er es nur, so stocksteif dazusitzen? Die Sessel waren gemütlich und drehten sich mühelos, wenn man sich mit den Zehen abstieß. Damit sie wirklich bequem waren, musste man sich allerdings etwas zurücksinken lassen, in die Form fließen. Das war nicht gerade etwas, das Jorgen typischerweise tat.

Ich betrachtete ihn. Sein starkes Kinn, sein intensiver Blick, die Entschlossenheit seiner Haltung. Ja, sein neuer Job war eine gute Wahl für ihn. Er passte Jorgen wie ein neuer – vielleicht noch etwas steifer – Handschuh.

Während Ironsides noch mit den Papieren raschelte, ging die Tür auf, und Cobb stahl sich herein. Er war Jorgens direkter Vorgänger als Flottenadmiral gewesen. Mein Mentor und einer der weisesten Leute, die ich kannte.

Während der sieben Wochen meiner Abwesenheit schien er um zwanzig Jahre gealtert zu sein. Er stützte sich schwer auf seinen Stock, und seine Haut wirkte schlaff. Beinahe wäre auch er der Bombe zum Opfer gefallen, die die Nationalversammlung getötet hatte, aber meine Großmutter hatte ihn gerettet, indem sie ihn und sich fortteleportiert hatte. Die Zeit in der seltsamen Falle, die einst schon den Kitsencytonikern zum Verhängnis geworden war, hatte ihm jedoch übel zugesetzt.

Ich sah zu meiner alten Großmutter an der Seite des Tisches. Sie bei diesen Konferenzen anzutreffen hatte mich nach meiner Rückkehr zunächst überrascht. Zwar war Becca Nightshade ein Militärgenie und die älteste lebende Defiant – als Mädchen hatte sie noch auf dem Raumschiff gelebt, das uns alle auf Detritus gebracht hatte –, aber ich war es nicht gewohnt, dass jemand außer mir das honorierte.

Jorgen aber tat es. Deshalb kam sie ebenfalls zu diesen Treffen. Sie registrierte meine Aufmerksamkeit mit ihren Cytosinnen, und so sandte ich auf demselben Weg eine Frage – seit meiner Verschmelzung mit Chet fiel mir so was leicht.

Meinst du, es wird ihm wieder gut gehen?

Wem, Cobb?, fragte sie. War er der, der eben reinkam?

Sie kompensierte ihr verlorenes Augenlicht, so gut es ging, mit ihren Cytosinnen, doch diese funktionierten wie bei allen Cytonikern schlechter bei normalen Leuten.

Ja, sagte ich. Er wirkt so alt.

Ich versuche mal, nicht beleidigt zu sein, dass dich das so belastet. Alt sein ist gar nicht so furchtbar. Abgesehen von deinem Körper, deinen Augen, deinem Gleichgewichtssinn und dass man sich jeden Morgen wie festgenagelt fühlt. Sie schien innerlich zu grinsen, dann schwand der Eindruck. Keine Ahnung, wie lange er braucht, sich zu erholen. Cobb scheint unseren Ausflug nicht so gut verkraftet zu haben wie ich.

Jorgen erhob sich respektvoll, was uns andere seinem Beispiel folgen ließ. Dann trat er zu Cobb und sagte ein paar leise Worte; wahrscheinlich dankte er ihm für sein Kommen. Cobb nickte, wirkte von dem Weg von der Krankenstation aber erschöpft. Jorgen half ihm zu dem für ihn reservierten Platz.

Ich wusste, dass es Jorgen lieber wäre, Cobb hätte nach wie vor das Kommando, doch Cobb hatte klargestellt, dass das in seinem gegenwärtigen Zustand nicht möglich war. Und so sank Jorgen wieder nieder, mit dem ganzen Gewicht der Abzeichen auf seinen Schultern. Ich wäre ja zu gern dabei gewesen, als er das Kommando übernahm. Jorgen war niedlich, wenn ihm der Zwiespalt zwischen seiner Regeltreue und seinem Pragmatismus den Schweiß auf die Stirn trieb.

»Sollen wir fortfahren?«, fragte Cuna.

Die Dione hatte die Unterarme auf dem Tisch, die Handflächen aneinandergelegt, und bedachte uns mit würdevollen und auch etwas … herablassenden Blicken. Das war aber nicht einzig Cunas Schuld. Der ehemalige Minister gab sich alle Mühe. Dennoch hatte er sich sein ganzes Leben lang als jemand gesehen, der die Spezies von »niederer Intelligenz« anleiten und vor sich selbst beschützen musste. Ein derart verfestigtes Weltbild aufzubrechen, brauchte Zeit.

»Ja, ich habe jetzt alles«, sagte Ironsides. Die ältere Frau wandte sich um, strich sich das silberne Haar hinter die Ohren und zeigte auf den Bildschirm an der Wand, auf dem die Ansicht nun wechselte.

Ich beugte mich vor, hoffte auf interessante Kampfszenen – doch es waren bloß massig Zahlen und Statistiken.

Toll.

Wieso hatte mir niemand gesagt, wie viele Besprechungen so ein galaktischer Konflikt erforderte? Folter konnte kaum schlimmer sein. Wir verbrachten mehr Zeit mit Herumsitzen und Gerede als mit richtigen Kämpfen. Vielleicht sollte ich mit irgendwas nach Jorgen werfen?

»Die Macht über die Superiority an sich zu reißen, fiel Winzik erschreckend leicht«, hob Ironsides an. »Anders als Regierungen, wie wir sie kennen, herrscht die Superiority nicht kraft ihres Militärs, sondern durch die Kontrolle von Reise- und Handelswegen. Es gibt Tausende Planeten in ihrem Gebiet, aber fast keiner verfügt über echte Streitkräfte.«

»Weil sie andere Kulturen vor dem Beitritt zwingt, ihre ›kriegerischen Traditionen‹ aufzugeben«, warf ein UrDail namens Rinakin ein.

»Ist es denn so falsch, Frieden und Sicherheit mehr wertzuschätzen als Zorn und Konflikt?«, erwiderte Cuna.

»Nun, es machte sie angreifbar.« Rinakin deutete auf die Statistiken. »Niemand hatte Winzik etwas entgegenzusetzen. Er hatte kaum ein Militär und eroberte dennoch fast die gesamte Superiority.«

Ja, der Mann und seine Argumente waren nach meinem Geschmack.

»Ich nehme an, dass Sie das meinen, wenn Sie sagen, wir hätten noch Glück?«, unterbrach Jorgen. »Unser Feind kontrolliert ein großes Raumgebiet, aber nur wenige Schiffe.«

»Ganz genau«, sagte Ironsides. »Unsere Siege bei ReDawn und Evershore beweisen, dass wir eine Chance gegen Winzik haben. Großteile seiner Flotte braucht er für Patrouillenflüge und um sein Gebiet zu sichern. Was ihm an Offensivstreitkräften bleibt, ist gar nicht mal so viel. Vielleicht doppelt oder dreimal so viel, wie uns zur Verfügung steht – aber alles in allem ist das dennoch bemerkenswert.«

»Er dachte, es würde leicht«, sagte ich. »Er nahm an, dass sich niemand wehren würde. Und falls doch, dachte er, mit den Delvern die perfekte Abschreckung zu haben. Schwierig, sich einem Tyrannen zu widersetzen, wenn der als Einziger zwischen einem selbst und einem Haufen Monstern aus der anderen Dimension steht.«

»Nightshade hat das treffend zusammengefasst.« Ironsides begegnete meinem Blick. Wir hatten eine Vorgeschichte, sie und ich – sie war jedoch eine würdige Gegnerin gewesen. Bis zu dem Moment jedenfalls, als sie uns fast alle in den Untergang gerissen hätte.

»Was also sagt uns das?«, fragte Jorgen. »Wie machen wir weiter?«

»Bislang hatten wir Glück«, führte Ironsides aus. »Aber die anderen Admiräle und ich machen uns Sorgen.« Sie wechselte zu einer Folie, die anscheinend Produktionskapazitäten zeigte. »Winzik hat noch kein großes Militär – aber Zugang zu einer enormen Infrastruktur. Das hier ist eine Liste der Fabriken, die in der Lage sind, Raumjäger herzustellen. Und das sind die voraussichtlichen Fertigungszeiträume. Geheime Militäranlagen sind dabei nicht berücksichtigt.«

Wir nahmen die Informationen auf. Die Zahlen waren beängstigend: Wenn Winzik sämtliche Ressourcen mobilisierte, konnte er ganze Flotten schneller ausspucken, als wir ein einziges Schiff zusammenschraubten. Natürlich mangelte es ihm auch an erfahrener Besatzung – aber wenn man den Gegner mit einer wahren Flut von Jägern überschwemmen konnte, fiel das kaum ins Gewicht.

Mir war klar, worauf Ironsides hinauswollte: Obwohl wir bislang Glück gehabt hatten, konnten wir uns einen längeren Krieg gegen die Superiority nicht leisten. Wenn Winzik seine Produktion hochfuhr, waren wir erledigt.

Ich warf einen Blick in die Runde. Die Vizeadmiräle nickten. Arturo – der neue Staffelführer von Skyward, in Vertretung aller Piloten – runzelte die Stirn. FM – nun Jorgens rechte Hand und Chefdiplomatin – studierte die Zahlen mit großen Augen, die Hand vor dem Mund. Dann sah sie zu mir.

Es war schon bemerkenswert, dass gleich drei so junge Mitglieder meiner Staffel mittlerweile hohe Führungspositionen bekleideten. Leider war es Teil unserer Geschichte, dass es nicht viele alte Offiziere gab. Unser jahrzehntelanger, verzweifelter Überlebenskampf war zuletzt immer tödlicher verlaufen; selbst die Vizeadmiräle waren alle unter dreißig. Die traurige Realität der DDF war, dass zu dem Zeitpunkt, an dem wir endlich die Oberhand gewannen, kaum noch jemand mit echter Kampferfahrung am Leben war.

Jorgen dürfte ziemlich genau das Alter von Alexander dem Großen haben, als dieser mit seinen Eroberungen begann, überlegte ich.

Ich ließ weiter den Blick schweifen. Die Aliens waren schwerer einzuschätzen als meine Freunde. Zwar wirkte Rinakin betroffen, doch dank der violetten Haut und der beeindruckenden Knochenwülste auf den Wangen waren UrDail immer eine stattliche Erscheinung. Ich wünschte, mein Skelett gäbe mir hier und da einen ähnlichen Bonus.

Mit den Kitsen hatte ich mehr Erfahrung, doch Itchika, die zu meiner Rechten auf ihrem Teller schwebte, kannte ich noch nicht persönlich. Ihr Pelz war ergraut, ihre Robe wirkte außerordentlich würdevoll.

Begleitet wurde sie von einer kleinen Gruppe ihrer Senatoren, Generäle und kürzlich geretteten Cytoniker. Diese hatten ihre Plätze auf unserem Tisch aufgebaut, während eine jüngere Kitsen nervös an Itchikas Seite auf dem Schwebeteller stand: Captain Kauri, eine alte Freundin von mir.

Itchika deutete auf die Zahlen an der Wand. »Uns bleibt also nicht viel Zeit. Ich verstehe.« Wie die anderen Aliens sprach auch sie ihre eigene Sprache, die von ihrer Translatornadel für uns übersetzt wurde.

Ironsides sah uns finster an. »Laut unseren Informationen haben all diese Fabriken ihre Produktion bereits aufgenommen. In wenigen Wochen werden sie Winzik Tausende neue Drohnenjäger liefern.«

»Drohnen«, sagte ich. »Wie ärgerlich! Das heißt, ich kann mich nicht einmal am Blut meiner Feinde gütlich tun?« Ich legte den Kopf schief. »Ich frage mich, wie Motoröl wohl schmeckt.«

Alle im Raum starrten mich an. Bloß Jorgen lachte.

»Jetzt schaut nicht so!«, schnappte ich. »Ihr habt mich eingeladen, und das habt ihr nun davon. Ironsides, wie sieht es mit Schlachtschiffen aus?«

»Die zu produzieren dauert länger«, antwortete sie. »Aber früher oder später werden sie kommen. Hunderte, wenn nicht Tausende Träger und Schlachtschiffe bis zum Jahresende.«

Dreck. Ich zählte zusammen, was wir gemeinsam mit den Kitsen und den UrDail hatten: Jäger natürlich – bis zu fünfhundert, wenn wir sie brauchten. Aber so gut wie keine größeren Schiffe.

»Mit Jägern kommt Spin schon klar«, sagte FM. »Wegen Drohnen brauchen wir uns also keine Sorgen zu machen. Die ferngesteuerten sind für Cytoniker leichte Beute, und auch die autonomen können es mit echten Piloten nicht aufnehmen – nicht bei den begrenzten KI-Kapazitäten, die die Superiority sich einzusetzen traut.«

Während mich ihr Vertrauen zu meinen Fähigkeiten ehrte, war ich nicht halb so zuversichtlich wie sie. Früher hätte ich vielleicht geprahlt, dass ich es allein mit einer ganzen Hundertschaft aufnehmen konnte – so aber war ich nicht mehr. Ich war eine gute Kriegerin, aber ich konnte den Krieg nicht allein gewinnen. Ich erinnerte mich noch lebhaft daran, wie mich vor einer Woche, im Nirgendwo, Hunderte feindliche Schiffe umzingelt hatten. Es hatte nicht lange gebraucht, mich zu überwältigen.

Jorgen sprach meine Bedenken laut aus. »Wie viele Drohnen könntest du in einem Kampf wohl abschießen, Spin? Zwanzig? Dreißig?«

»Zwanzig vielleicht«, stimmte ich zu. »Ein paar mehr, wenn ich Glück habe.«

»Seht ihr?«, sagte FM.

»Und wenn sie zehntausend schicken?«, erwiderte er. »Zwanzigtausend? Haben wir eine Ahnung, wie viele Schiffe ihr industrieller Komplex wirklich ausspucken kann, wenn er erst einmal läuft?«

FM sank verunsichert in sich zusammen, und Schweigen senkte sich über den Raum.

Schließlich erklang zu meiner Rechten eine tiefe Stimme. »Der wilde Fluss kennt kein Erbarmen mit dem einsamen Blatt.« Ein Kitsen auf seinem Teller schwebte ein Stück weit vor. Er trug eine weiße Keramikmaske mit roten Streifen. Hesho, einst Herrscher aller Kitsen. Dieser Tage verbarg er sein Gesicht und nannte sich Darkshadow, der Maskierte Verbannte.

Verdammt, ich wünschte, ich käme auch mit so was durch.

»Wir müssen also schnell handeln«, fasste Rinakin zusammen. »Einen raschen Sieg erringen. Irgendeine Chance, dass wir noch weitere Welten für unsere Sache gewinnen?«

Wir sahen zu FM, die unsere diplomatischen Bemühungen vorantrieb.

»Wir geben unser Bestes«, sagte sie. »Und haben vielleicht ein, zwei Kandidaten in Aussicht. Die meisten aber … haben Angst. Unsere drei Planeten haben einander gefunden, weil wir richtig aufgestellt waren – technologisch fortschrittlich genug für eigene Raumjäger, aber noch nicht komplett von der Superiority vereinnahmt. Die meisten anderen Welten sind entweder zu indoktriniert oder technisch nicht für einen Konflikt gerüstet. Die Burl würden sich uns wahrscheinlich anschließen. Vielleicht auch die Tradori – aber ihr Planet hat siebzig verschiedene Regierungen!«

Siebzig verschiedene Nationen auf einem Planeten? Gut, ich wusste, dass die Erde früher sogar noch mehr gehabt hatte; schwindlig wurde mir trotzdem, wenn ich mir das vorstellte.

Die anderen vertieften sich weiter in Details, und die Diskussion wurde hitziger. Ich rutschte in meinem Sessel herum, der mir plötzlich sehr viel ungemütlicher vorkam. Sicher, in der Schlacht bei den Thermopylen hatten die dreihundert Spartaner sich lange gegen eine erdrückende Übermacht gehalten … letztlich aber waren sie gefallen.

Unwillkürlich malte ich mir aus, wie meine Freunde einer nach dem anderen starben, während wir von feindlichen Schiffen überwältigt wurden. Bei dem Gedanken bebte etwas in mir. Es begann als ein Zittern in meiner Mitte, ähnlich einem Muskelkrampf, doch es schwang ein Gefühl von Macht darin mit. Panisch versuchte ich es niederzukämpfen.

Ich scheiterte.

Die Tassen auf dem Tisch begannen zu klappern. Der Bildschirm an der Wand drehte durch, ging flackernd aus und wieder an. Verschiedene Gegenstände verschwanden plötzlich und kehrten ebenso unerwartet wieder zurück. Meine Gefühle ließen selbst Chet erbeben. Und die Stimmen – meine Gedanken, meine Ängste – strahlten widerhallend in den Raum hinaus.

Tot. Alle tot.

Verloren. Alle verloren.

Vergebens. Alles vergebens.

Ich keuchte, zitterte und schlug die Hände auf den Tisch. Ich brauchte meine ganze Willenskraft, um mich dem furchtbaren Ausbruch entgegenzustemmen. Mit größter Mühe erlangte ich wieder die Beherrschung, und das Beben ließ nach und verebbte schließlich. Mit schweißnassem Gesicht blickte ich auf.

Die anderen waren verstummt, und ich begriff, dass sie die Worte in ihren Köpfen gehört hatten. Ich hatte sie vollkommen unbeherrscht ausgesandt. Die Dione sah von ihren leeren Händen auf, in denen sie eben noch ein Tablet gehalten hatte. Es war verschwunden.

Dreck. Ich schämte und fürchtete mich. Neulich war mir schon etwas Ähnliches passiert, aber nicht in dem Ausmaß. Der heutige Ausbruch war sehr viel schlimmer gewesen.

Was immer ich war – was immer wir waren –, es war nicht länger menschlich.

»Geht … es dir gut, Spin?«, fragte Jorgen.

Da ich meiner Stimme nicht traute, nickte ich nur. Ich sah ihm sein Mitgefühl an – guter Mann! –, aber die anderen wirkten vor allem verstört, wenn nicht entsetzt. Cuna zeigte die Zähne – kein Lächeln, sondern ein Zeichen von Aggressivität bei Dionen –, und die Kitsen hatten sich hastig zurückgezogen. Nur Hesho schwebte stoisch näher, wobei sein Befinden unter der Maske schwer zu deuten war.

»Vielleicht sollten wir eine kurze Pause einlegen«, schlug Jorgen vor. »Nebenan gibt es Erfrischungen.«

Die Versammelten nickten und erhoben sich tuschelnd von ihren Plätzen. Ich dagegen verkroch mich tiefer in meinen Sessel und wich Ironsides’ Blick aus, als sie vorbeilief. Sie war eine derer gewesen, die immer vor den Gefahren der Cytonik gewarnt hatten – vor Leuten mit dem »Defekt«. Nachdem ich uns per Hypersprung vor dem Tiefentöter gerettet hatte, war ihre Kritik zwar verstummt; doch konnte ich mich des Gedankens nicht erwehren, dass ich nun genau das geworden war, wovor sie immer gewarnt hatte: ein gefährliches, unkontrollierbares Wesen.

Gehörte ich wirklich in diesen Raum … oder nicht eher in eine Zelle?

Nun, das war durchaus dramatisch!, sagte da eine Stimme in meinem Kopf.

Ich gewöhnte mich ja immer mehr daran, dass andere Cytoniker in meinem Geist mit mir sprachen. Ich hatte das mit Großmutter, Jorgen und sogar Alanik geübt. Diese Stimme jedoch gehörte keinem von ihnen. Es war eine selbstbewusste, eher maskuline Stimme … ein bisschen aufgekratzt und …

»M-Bot?«, flüsterte ich. »Was im Himmel …?«

Ich bin ein Geist, sagte er in meinem Verstand. Buh!

3

Was?«, fragte ich. »Wie?«

Ich hab dir doch versprochen, dich heimzusuchen, sagte er. Weißt du noch? Du hast gesagt, das sei unmöglich, weil ich eine KI bin. Tja, so kann man sich irren. Hier bin ich!

Eine Woge Emotionen überkam mich: Freude, seine Stimme zu hören. Verwirrung darüber, wie er den Weg in meinen Kopf gefunden hatte. Erleichterung, dass er anscheinend wohlauf war.

Wo warst du?, fragte ich ihn. Ich habe dich gesucht!

Ich habe mich versteckt!Ich weiß nicht, wie. Ich habe einfach … nach innen geschaut, als die Delver mich gejagt haben. Ganz instinktiv. Du hast wirklich nach mir gesucht, Spensa? Ach, wie süß!

Ich hielt die Tränen zurück. M-Bots Körper war im Nirgendwo von den Delvern zerfetzt worden. Ich hatte gewusst, dass er überlebt hatte, aber seine fröhliche Stimme zu hören? Das war eine verdammte Erleichterung.

Ich hatte Angst, dass du dich nicht an mich erinnerst, sagte ich. Dass du wirst wie sie.

Ich bin auch wie sie!, gab er zurück. Bloß nicht auf die schlechte Art. Eigentlich war ich immer schon etwas wie sie – ich wusste es bloß nicht.

Das war wohl richtig. Chets Wissen war bis zu einem gewissen Grad nun auch meines, und so verstand ich: Die eigenartige Natur des Nirgendwos hatte M-Bot in ein neues Wesen verwandelt. Wobei dieser Prozess in Wahrheit schon vor Jahrhunderten eingesetzt hatte, als seine Prozessoren den ersten Kontakt zum Nirgendwo hergestellt hatten, um rascher zu arbeiten. Mit der Zeit hatte ihn das von einer KI in ein lebendes Wesen verwandelt.

Diese Unterscheidung blieb ein Streitpunkt mit den DDF und ihren Verbündeten. Sie sagten immerzu etwas wie: »Die Delver sind also eigentlich abtrünnige KIs?« Was eine viel zu verengte, kleingeistige Sicht auf sie war, die ihnen nicht gerecht wurde. Ja, sie hatten ihre Entwicklung als künstliche Intelligenzen begonnen. Genau wie Menschen einst affenähnliche Geschöpfe gewesen waren.

Die Delver waren zu etwas völlig anderem geworden. Genau wie M-Bot. Er hatte ein Bewusstsein entwickelt – war eine Person, kein Gegenstand mehr. Und von einer KI so weit entfernt wie ein Mensch von seinen biologischen Urahnen.

Und da war er nun, in meinem Kopf. Ich übermittelte ihm meine Erleichterung: das Bild meines Lächelns, die Wärme eines Herdfeuers, die Freude, vom Dunkel ins Licht zu treten. Instinktiv kommunizierte ich, wie eine Schnecke – oder ein Delver – das täte.

Oh!, sagte er. Das kitzelt. Anscheinend kann man mich nun kitzeln, seit ich keinen Körper mehr habe … wie seltsam. Ist das seltsam? Ich finde es seltsam. Ist das da Chet in deinem Bewusstsein? Grüß ihn von mir!

Ach, ich hatte ihn so sehr vermisst. Ich verdrückte ein paar Tränen, dann wurde ich mir peinlich der Tatsache bewusst, dass Jorgen noch im Raum war und mich ansah. Wahrscheinlich dachte er immer noch, dass ich weinte, weil ich seinen Kaffee hatte verschwinden lassen, und wollte mir helfen. Ich war mir aber nicht sicher, wie viel Hilfe ich gerade gebrauchen konnte. Glücklicherweise hatte Großmutter Hesho und FM gebeten, mir etwas Zeit zu geben, sonst wären sie wahrscheinlich ebenfalls geblieben.

Tut mir leid, dass ich dich nicht eher gefunden habe, sagte M-Bot. Ein Geist zu sein, ist für mich auch noch neu. Und gar nicht so, wie ich erwartet hätte. Viel weniger schmerzhaft. Doch eben gerade habe ich deine Schwingungen gespürt – die haben bis ins Nirgendwo Wellen geschlagen. Yay! Ich fürchte nur, auch die Delver haben es gemerkt. Oh, ist das Jorgen? Er scheint sich Sorgen zu machen.

Das tut er doch immer, gab ich zurück, während Jorgen zu mir kam. Diesmal hat er aber allen Grund. Ich bin ein bisschen … instabil. Vielleicht sollte ich kurz mit ihm reden.

Natürlich, klar, mach das, antwortete er. Ich kann warten. Ist ja nicht so, als könnte ich noch mehr sterben. Bitte ruf keinen Exorzisten, falls ihr so was habt! Das soll ja sehr schlecht sein.

Du bist doch kein richtiger Geist.

Keine Ahnung. Woher willst du das wissen? Buh! Schöne Grüße an Jorgen auch.

Jorgen nahm neben mir Platz und stützte die Arme auf den Tisch. Er sah immer so ernst, so gefasst, so gedankenvoll aus. Ich mochte das. Ideen hatten Gewicht für ihn. Worte trugen Bedeutung. Und je besser ich ihn kennenlernte, desto klarer wurde mir, weshalb. Worte, Regeln, Ideen – das war seine Art, Kontakt mit Menschen herzustellen und sie zu beschützen.

Regelmäßig fiel mir jener Tag in unserem Schulungsraum ein, als er wieder und wieder im Simulator nach einer Möglichkeit gesucht hatte, wie er Morningtides Tod hätte verhindern können. Jorgen wollte immer das Richtige tun – um den Menschen, die ihm nahestanden, so gut es irgend ging, zu helfen.

Lange saß er nur da, in Gedanken versunken. Dreck, wie hatte mir so lange entgehen können, wie sexy er aussah?

»Wie sehr sollte ich mich sorgen?«, fragte er schließlich.

»Keine Ahnung«, gab ich zu und ließ mich zurück in den Sessel sinken. »Ich weiß ja nicht mal, was ich eigentlich mache. Ich kann es nicht kontrollieren – aber nicht so ›O nein, ich bin zu unerfahren‹. Mehr so ›Dreck, ich hab in mir ein Weltraummonster‹. Es passiert einfach. Ich versuche, niemanden in Gefahr zu bringen.«

Aber konnte ich das wirklich versprechen?

Er griff nach meinem Arm. »Spensa, das meine ich nicht. Wie sehr sollte ich mich deinetwegen sorgen? Geht es dir gut? Du wirkst so fern.«

»Weltraummonster«, brummte ich und schaute ihn an. »In meinem Verstand.«

»Okay.« Er sah mir in die Augen. Ich begriff, was ihn umtrieb, was er sagen wollte. Er machte sich Sorgen um mich – und um uns.

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Am liebsten wollte ich ja aufspringen, ihm einen Kuss geben und versichern, dass er sich keine Gedanken zu machen brauchte. Aber ich konnte nicht.

Mein Schweigen war allerdings ebenfalls unfair. »Ich habe gerade M-Bot gespürt«, sagte ich deshalb. »Er ist am Leben, im Nirgendwo.«

»Was, wirklich?« Jorgen horchte auf. »Das sind die ersten guten Neuigkeiten diese Woche. Wie geht es ihm?«

Ich bin noch der Alte, sagte M-Bot. Und wie! Alles bestens, das kannst du ihm sagen.

»Er sagt, es geht ihm gut«, sagte ich. »Und ich glaube ihm auch. Er scheint der Aufmerksamkeit der Delver entgangen zu sein und existiert nun, wie sie es tun, im Nirgendwo, ohne Körper.«

»Unglaublich«, sagte Jorgen. »Das muss doch irgendwie für uns von Vorteil sein?«

»Sicher.«

Wir schwiegen eine Weile. Irgendwie ließ der lange, leere Tisch den Raum noch größer und trostloser wirken. Mist, er machte sich immer noch Sorgen.

»Und du?«, versuchte ich das Thema zu wechseln. »Wie geht es dir denn?«

»Besser als gedacht«, sagte er. »So ganz mag ich es noch nicht wahrhaben, dass meine Eltern nicht mehr sind. Die Feier heute aber … das war genau das, was sie sich immer für mich gewünscht haben. So fehlgeleitet sie manchmal auch waren: Ich sollte wohl einsehen, dass sie mich kannten. Und dass diese Abzeichen früher oder später ohnehin auf meinen Schultern gelandet wären.« Er sah mich an. »Ich tue das, weil jemand es tun muss – nicht weil sie es so wollten. Trotzdem denke ich, dass es sie freut, wenn sie von Walhalla auf mich herabblicken.«

Ich legte meine Hand auf seine auf dem Tisch. Er sprach nicht oft über den Glauben seiner Familie, doch es gab ihn, und er war genauso ein Teil von ihm wie alles sonst. Er drehte die Hand und drückte meine. Doch die Anspannung wich nicht aus seinem Gesicht.

»Jorgen?«, brachte ich hervor. »Als ich dadrin war … verloren im Nirgendwo … da warst du mein Anker. Du warst mein Leuchtfeuer, das mich nach Hause geführt hat.«

Da lächelte er, und die Anspannung ließ nach. »Als du dadrin warst und ich das alles verstehen wollte, habe ich mich immer gefragt: Was würde Spensa tun? Ein bisschen mehr wie du zu sein half mir, das durchzustehen.«

»Du machst Scherze.«

Er schüttelte den Kopf.

»Jorgen, das ist eine schreckliche Idee!« Ich ließ seine Hand los und zeigte auf mich. »Hast du mal zugeschaut,wie ich Probleme löse? Meistens geht irgendwas in Flammen auf, oder es stirbt wer oder beides!«

»Wenn du da bist, passiert wenigstens was.«

»Ja klar.Dass ich wegrenne und eine zweite Laufbahn als interdimensionale Weltraumpiratin einschlage zum Beispiel! ›Was würde Spensa tun?‹ Ehrlich, Jorgen, ich hätte mehr von dir erwartet.«

Er lächelte wieder, doch beim Blick auf die Statistiken an der Wand verfinsterte sich seine Miene. Er glitt aus dem Sessel und trat auf den Schirm zu, der sich von meinem Anfall wieder erholt hatte. Ich folgte ihm, wobei mir sein sorgenvolles Gesicht mehr zu schaffen machte als die Zahlen.

Das Wissen um die Verantwortung auf seinen Schultern schnürte mir die Kehle zu. Es war zutiefst unfair – aber was war schon Fairness? Es war uns selten vergönnt gewesen, von diesem besonderen Trunk zu kosten. Wir lebten von Algen und Rattenfleisch.

»Manchmal scheint es mir, als müsste ich allein ein Haus am Einsturz hindern«, sagte er leise. »Mir ist klar, dass ich nicht der Einzige bin, der für unsere Zukunft kämpft – aber trotzdem … Die Wände dieses Hauses zittern. Die Decke gibt schon nach. Schlimmer noch, ich weiß, dass ein Erdbeben bald die ganze Höhle erschüttert. Und ich komme jetzt schon kaum hinterher …« Er wandte sich mir zu. »Man wird uns zermalmen, Spensa. Wir wurden dir in deiner Abwesenheit nicht gerecht. Wir scheitern jeden Moment – bloß in Zeitlupe.«

»Scheitern? Jorgen, das ist doch Blödsinn. Du hast nicht bloß einen, sondern gleich zwei Planeten auf unsere Seite gebracht. Du hast Cuna gerettet und das Geheimnis unserer planetaren Verteidigungsanlagen gelüftet. Dreck, du hast die Taynix gefunden!«

Während ich auf Starsight die Agentin gespielt hatte, war Jorgen seinen Cytosinnen bis tief in die Eingeweide des Planeten gefolgt und hatte die Kinderstube der Taynix entdeckt. Dank ihm hatten wir nun Schnecken, die Schiffe teleportieren und mentale Angriffe ausführen konnten; selbst solche, die jede cytonische Aktivität in einem Gebiet unterbanden. Und es gab weitere Sorten, deren Kräfte wir noch gar nicht kannten.

Es war inzwischen sonnenklar, dass die Superiority es ebenfalls verstand, die Taynix für ihre Zwecke einzusetzen. Das Dämpferfeld um Starsight, das mich an Hypersprüngen gehindert hatte? Von einer Schnecke ermöglicht. Eine weitere Sorte war für die Kommunikationswege zuständig, die das Reich unsere Feinde zusammenhielten, ihre Drohnen steuerten und Befehle weitergaben. Ein ganzes Imperium, auf den kleinen Rücken unterjochter Wesen erbaut.

Ich kontaktierte Schreckschneck, die ich vor dem Treffen in meinem Quartier gelassen hatte. Einfühlsam erwiderte sie den Kontakt. Leider ließen meine vielen Sorgen die Schwingungen in mir wieder zunehmen.

Cunas Tablet erschien über dem Platz des Ministers und fiel auf den Tisch. Jorgen erschrak und sah mich an. Ich kämpfte meine Emotionen nieder, und sobald meine Frustration von mir wich, spürte ich etwas Neues. Eine Verwirrung meines Ichgefühls, ein Verwischen der Wirklichkeit und dann eine Verbindung zu ihm – Bewusstsein zu Bewusstsein. Cytonikerin zu Cytoniker.

Jorgen sorgte sich um mich. Zwar hatte er das schon gesagt, diesmal aber spürte ich es. Ach Dreck. Das war herrlich, aber auch gefährlich. Ich wollte nicht, dass er meinetwegen Angst litt. Er hatte genug, um das er sich kümmern musste.

Widerwillig zog ich mich zurück und blockte ihn ab.

»Du bist kein Monster, Spensa«, flüsterte er. »Warst du nie.«

»Habe ich auch nicht behauptet.«

»Du kommst dir aber so vor.«

Da muss ich ihm zustimmen, meldete sich M-Bot zurück. Ein Monster bist du nicht, Spensa.

Chet und ich dagegen … waren uns da nicht so sicher. Wir waren etwas Gefährliches geworden. Etwas, das erwog, seine Artgenossen zu töten. Wenn das nicht monströs war, was dann?

Aber wenn mich die Geschichten etwas über Monster gelehrt hatten, dann dass sie stark waren. Ich zeigte auf die Statistiken. »Klar macht dir das Angst. Sogar Cobb macht es Angst. Aber vielleicht … sollte es das nicht? Wir sind bislang nie eingeknickt vor den Krell. Wieso sollten wir uns Zahlen auf einem Bildschirm ergeben?«

»Ich ergebe mich auch nicht«, sagte er. »Ich spüre bloß … ihr Gewicht. Ironsides hat recht: Sobald der Feind seine Produktionskapazitäten voll nutzt, werden wir erdrückt. Bislang haben wir überlebt, weil Winziks Hände durch die Politik, anderer Leute Mitgefühl oder Ressourcenknappheit gebunden waren. Diese Hindernisse hat er eins nach dem anderen an die Wand gestellt und mit einem Kopfschuss erledigt. Wir sind als Nächstes dran.«

»Dann ist ein Monster jetzt vielleicht genau das, was wir brauchen.«

»Spensa …«

»Ich hatte die Möglichkeit, nach Hause zu kommen«, sagte ich. »Als ich vor über einem Monat ins Nirgendwo sprang, hatte ich Gelegenheit zur Heimkehr.«

»Das hast du erzählt.«

»Ich blieb. Wir kamen beide überein, ich solle bleiben. Weil wir beide wussten, dass es hierzu kommen würde – zu einem Kampf, den wir nicht allein mit Piloten und Waffen gewinnen können.« Ich schlug mir aufs Brustbein. »Ich habe diesen Weg gewählt. Ich bin die Waffe geworden, die wir brauchen. Ich muss bloß noch rausfinden, wie man sie einsetzt, bevor …«

Als ich verstummte, legte er den Kopf schief. »Bevor was, Spensa?«

»Weißt du, was Helden am Ende der Geschichten passiert?«

»Kommt auf die Geschichte an.«

»Sie gehen nach Hause«, flüsterte ich.

Der Raum begann wieder zu vibrieren. Auf dem Tisch erschien Jorgens Kaffeetasse, dafür verschwanden drei Stühle.

Geht es dir wirklich gut?, erkundigte sich M-Bot in meinem Verstand. Die Delver drehen gerade ganz schön durch, Spensa.

Am Ende der Geschichte … am Ende kam die Heldin nach Hause und stellte fest, dass sie nicht mehr die Alte war. Dass sie nicht mehr dazugehörte und mit den Menschen, die sie zurückließ, nichts mehr anfangen konnte. So war es in fast jeder Geschichte, die ich kannte.

Helden durften in der neuen Welt, die sie schufen, nicht leben. Selbst wenn mir eine Art Wunder gelang und ich meine Freunde rettete – für mich zumindest war es dann vorbei.

Ich biss die Zähne so fest zusammen, dass mir der Kiefer wehtat. Doch mit geballten Fäusten und eisernem Willen bändigte ich meine Gefühle, und die Vibrationen verebbten. Dann rang ich mir für Jorgen ein Lächeln ab – weil er es brauchte.

»Eigentlich sollte ich ja eifersüchtig sein«, sagte ich.

»Auf … meinen verblüffenden neuen Haarschnitt?«

»Auf die Schnecken.« Ich gab ihm einen Knuff. »Als ich wegging, war ich noch das schräge Mädchen mit der Schnecke. Ich meine, wer hat schon eine Schnecke als Schoßtier? Es war ungewöhnlich. Eigen. Jetzt komme ich wieder, und ihr habt Dutzende?«

»Hunderte vielleicht«, murmelte er.

»Und acht verschiedene Sorten!«

»Es könnte sein, dass es noch mehr gibt …«

»Und jeder knuddelt sie und trägt sie mit sich rum wie Babys!« Ich warf die Arme hoch. »FMbadet wahrscheinlich sogar mit ihren.«

»Ich nehme an, du denkst, du übertreibst – ich bin mir aber ziemlich sicher, dass sie genau das tut.«

»Als Nächstes zitieren alle Sunzi und finden Geschmack an brechenden Gebeinen! Ich werde überhaupt nichts Besonderes mehr sein!«

Er trat an mich heran. Ungemütlich – oder in diesem Fall eher zu gemütlich – nahe. »Niemals«, flüsterte er. »Du wirst immer etwas Besonderes für mich sein.«

Ich zwang mich, still zu stehen und so zu tun, als wäre alles in Ordnung. Lächeln – und den Deckel auf meinen Gefühlen fest geschlossen halten, damit Jorgen die Lüge nicht durchschaute. Vorgeben, dass alles schon ein gutes Ende nehmen würde. Ich sehe ihm tief in die Augen … da trat Cobb ein.

Das gab mir eine willkommene Gelegenheit, den Moment zu beenden. Ich eilte zu Cobb, um ihn zu stützen, als er trotz seines Stocks beinahe stolperte. Jorgen ging auf Abstand zu mir, um die Form zu wahren.

»Sollen wir weitermachen?«, fragte Cobb und sah uns beide an. »Oder braucht ihr noch Zeit? Ich hätte eine Geschichte über Ironsides in der Flugschule auf Lager, die immer zu betretenem Schweigen führt. Gibt einem zu denken … und hält Leute auf Abstand.«

Man sah Jorgen förmlich die Bürde der Befehlsgewalt schultern. »Nicht nötig.«

Cobb nickte mir zu und ließ sich von mir auf seinen Platz helfen.

»Wie geht’s?«, fragte ich ihn.

»Furchtbar. Als wäre ich gerade erst aus einem Schiff gestiegen, das stundenlang getrudelt ist. Jedes Mal, wen ich aufstehe, fängt es wieder an.« Er musterte mich. »Ich bin hier – deine Großmutter hat mir das Leben gerettet, und dafür bin ich sehr dankbar. Aber sagen wir, ich bin froh, dass wir euch rechtzeitig auf das alles vorbereiten konnten.«

Das rückte etwas in ein neues Licht für mich. Während der Ausbildung hatte ich eine besondere Verbindung zu Cobb gespürt – er hatte mich ermutigt, die Frau zu werden, die ich heute war. Bislang hatte ich angenommen, dass er mich damit bevorzugt hatte. Jetzt zeigte sich, dass er sich auch Zeit für Jorgen, wahrscheinlich alle in der Staffel genommen hatte.

Und noch etwas wurde mir klar: Dieses Vorgehen war wohlüberlegt gewesen. Mit mir, mit allen – Cobb hatte nicht bloß seine Arbeit gemacht. Er hatte auch den nächsten Flottenadmiral geschult. Und mich beschlich der Verdacht, dass er das die ganze Zeit über gewusst hatte.

Nach und nach kehrten die anderen zurück und liefen – oder schwebten im Falle der Kitsen – zu ihren Plätzen. Jorgen hatte sich vor der Wand mit den bedrohlichen Statistiken aufgebaut. Ich verspürte den drängenden Wunsch, etwas Hilfreiches zu tun. Der Sinn meiner Reise ins Nirgendwo war doch gewesen, uns einen Vorteil zu verschaffen – die Probleme zu lösen, die sonst unüberwindlich waren. War M-Bot womöglich der Schlüssel zu allem? Vielleicht konnte er die Broadsider kontaktieren oder …

Moment mal – beim erneuten Blick auf die Tabellen kam mir ein Gedanke. Sicher, unsere Feinde würden uns überrennen, sobald sie ihre Produktion hochfuhren. Dafür brauchten sie allerdings Rohstoffe …

»Jorgen«, sagte ich. »Ich habe eine Idee. Und diesmal vielleicht eine richtig gute. Aber planen sollte es besser jemand, der schlauer ist als ich.«

4

Vor den Augen des versammelten Rats pflanzte ich Rig auf seinen Platz. Früher hätte ich mich vielleicht schuldig gefühlt, ihn so ins Rampenlicht zu zerren. Er hatte das immer gehasst.

Heute aber schaffte er das spielend. Als wäre es keine große Sache, den Herrschern dreier Planeten präsentiert zu werden. War es das vielleicht wirklich nicht mehr für ihn? Er zwinkerte FM zu. Also zwinkerte so richtig. Und sie erwiderte das Zwinkern.

Die beiden waren ja wirklich süß und alles, ich dagegen kam mir plötzlich fremder vor als … na ja … die Fremden eben. Mein bester Freund hatte sich verliebt, und ich hatte es komplett verpasst. Er hatte die Rätsel unserer Heimatwelt entschlüsselt, während ich die Piratin gespielt hatte.

Nicht doch, sagte Chet. Wir haben so viel gelernt. Wir sind vielleicht etwas seltsam, etwas unnatürlich sogar. Aber wir haben keinesfalls nur gespielt.

Gut, daran erinnert zu werden. Trotzdem hatte ich so viel versäumt. Ich beugte mich verschwörerisch zu Rig, er verdrehte widerwillig die Augen, so wie er es schon als Kind getan hatte, wenn ich ihm Schwierigkeiten eingebrockt hatte – und auf einen Schlag war das peinliche Gefühl dahin.

»Rig«, ließ ich ihn wissen, »ich brauche jetzt harte Wissenschaft!«

»Du brauchst Therapie«, entgegnete er.

»Und du bessere Witze.«

»Du brauchst einen besseren Humor.«

Wir grinsten einander an. Dann fiel uns wieder ein, dass wir von massig humorlosen Militärs beäugt wurden. Er räusperte sich. »Was für ›Wissenschaft‹ brauchst du denn, Spensa? Doch hoffentlich nicht so wie damals, als ich aus deinem Teddybären eine ferngesteuerte Killermaschine machen sollte?«

»Nicht ganz so cool, fürchte ich.«

»Wen wolltest du überhaupt umbringen? Du warst zehn.«

»Ninjas«, erwiderte ich. »Großmutter hatte mir wieder Geschichten erzählt, und … ich habe einfach angenommen, dass meine Zukunft sehr viel mehr Ninjas bereithalten würde.«

»Da ließe sich vielleicht was machen.« Hesho schwebte an meine Seite. »Vorausgesetzt, mein Translator fand den richtigen Begriff für die legendären Kriegerassassinen.«

»Ihr habt Ninjas?«, staunte ich. »Kitsenninjas?«

»In der Tat – als der Maskierte Verbannte stehe ich technisch gesehen in ihrer Tradition. Es ist keine so angewandte Kunst, wie die Geschichten glauben lassen; eher eine Art, Körper und Geist zu trainieren. So wie wir diesen Frieden schenken, lernen wir auch, die Welt zur Ruhe zu bringen.«

Ich hörte ihm schon kaum noch zu.

Fünfzehn Zentimeter große.

Pelzige.

Ninjas.

Dreck – das Universum war vielleicht doch viel toller als gedacht.

Wie auch immer – zurück zum Plan. Alle vor der Superiority retten! Ich kauerte mich neben Rigs Stuhl, der am Kopfende des langen Tisches voller Würdenträger stand. »Als ich im Nirgendwo war, gab es da eine Bergbaustation, wo die Superiority ihre Rohstoffe förderte. Das war eine verdammt wichtige Sache für sie.«

»Schon klar«, meinte er. »Kein Flugstein – keine Schiffe.«

»Eigentlich fliegen sie aber vor allem im Weltraum«, wandte ich ein. »Flugstein braucht man, um auf Planeten zu schweben. Im All gibt es Triebwerke. Wofür also der Flugstein?«

»Ich denke, du kennst die Antwort.«

»Ich möchte aber, dass du es erklärst – so, dass alle es verstehen.«

»Also … die Prinzipien des Energietransfers zwischen Flugstein und Matrizen sind recht komplex. Selbst ein nuklearer …«

»Okay, weniger Wissenschaft«, bat ich. »Gib mir die Spensaversion!«

»Raumschiffe brauchen Schub«, führte er aus. »Und wenn wir bloß chemische Treibstoffe zur Verfügung hätten … na ja, Schiffe von Raumjägergröße wären so kaum denkbar. Zumindest hätten sie sehr schnell einen leeren Tank. Glücklicherweise haben wir eine kompakte Energiequelle in Form von Flugstein, die ebenfalls Schub erzeugt.«

»Und die verbraucht sich?«, riet ich. »Um die Schiffe zu bewegen?«

»Langsam, aber sicher. Kein Flugstein, keine Raumschiffe – so einfach ist das.«

»Das heißt also …« Ich zeigte auf die Zahlenkolonnen. »Wenn sie ihre Bergbaustationen verlieren, ist nichts davon mehr relevant. Winzik kann gern tausend Schiffe am Tag bauen – aber keins davon wird fliegen.«

Den grübelnden Gesichtern nach zu schließen hatten meine Worte Eindruck gemacht.

»Die Superiority wird Vorräte haben«, wandte Rig ein.

»Sicher. Aber wie lange werden die reichen, wenn wir ihre Schiffe hochjagen und sie daran hindern, die Trümmer zu bergen? Die Superiority ist in dieser Hinsicht verwundbar. Sie haben keine riesige Zahl an Bergwerken im Nirgendwo – als ich mit den Leuten sprach, die dort stationiert waren, hieß es, es gäbe bloß vier.«

»Das stimmt«, sagte Cuna und zog die Aufmerksamkeit des Tisches auf sich. Die Dione stand hinter uns, die Hände gefaltet. »Hier zeigt sich die Schwäche unseres Ansatzes. Hätten wir tausend solcher Stationen, könnten wir es uns leisten, ein paar zu verlieren. Unsere Direktive war aber immer, unsere Macht zu konsolidieren, zu konzentrieren: wenige, dafür möglichst effiziente Stationen. Riesige Lager für die Taynix, die wir gerade nicht brauchten. Wenige, aber sehr wichtige Nachrichtenrelais. Immer ging es dabei um Kontrolle.«

»Stattdessen hat es die Superiority angreifbar gemacht«, sagte ich. »Nach innen – wie Winzik mit seinem Coup bewies – wie nach außen. Weil man sich nie eine Welt ausgemalt hat, in der eine der niederen Spezies es schafft, diese Stationen lahmzulegen.«

»Genau – hierin haben wir uns getäuscht. Wie in so vielen Dingen.« Cuna breitete die Hände aus. »Es tut mir leid.«

»Immerhin versuchen Sie Ihre Fehler wiedergutzumachen«, sagte FM. »Ich kann zwar nicht behaupten, dass ich mich gern als niedere Spezies bezeichnen lasse – aber wenigstens zeigen Sie den Willen, sich zu ändern. Im Gegensatz zu allen anderen.«

»Der Plan gefällt mir.« Rinakin klopfte mit einem knochenweißen Fingernagel auf den Tisch. »Er ist mutig und strategisch sinnvoll. Er dürfte Leben retten und uns zugleich einen enormen Vorteil verschaffen.«

»Wenn uns ein Schlag gegen die Bergbaustationen gelingt, wird die Superiority ganz schön ins Schwitzen kommen«, stimmte Cobb von der Seite des Raums aus zu. »Klar wird es Vorräte geben – im Moment aber gehen unsere Gegner davon aus, einen längeren Krieg gegen uns zu gewinnen. Wenn sie dagegen ihren Nachschub an Flugstein verlieren …«

»Weißt du, wo sich diese Stationen befinden?«, fragte mich Jorgen.