Skyward - Der Ruf der Sterne - Brandon Sanderson - E-Book
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Skyward - Der Ruf der Sterne E-Book

Brandon Sanderson

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Beschreibung

Wo alle Chancen enden, beginnt die Hoffnung: das packende Science-Fiction-Abenteuer von Bestseller-Autor Brandon Sanderson über die Kraft der Hoffnung und eine zu allem entschlossene junge Frau Seit Hunderten von Jahren wird die Welt der jungen Spensa von den Krell angegriffen – nur die Flotte der Raumschiff-Piloten steht noch zwischen den überlegenen Aliens und den Menschen. Hoch oben bei den Sternen als Pilotin ihre Heimat zu schützen ist alles, wovon Spensa jemals geträumt hat. Doch ihre Chancen dafür stehen gleich null: Spensas Vater gilt als Verräter, seit der Pilot urplötzlich sein Team im Stich gelassen hatte und dabei getötet worden war. Jedoch könnte eine unerwartete Wendung Spensa, allen Widerständen zum Trotz, doch noch hinauf zu den Sternen führen ... Mit Spensa hat Bestseller-Autor Brandon Sanderson eine ebenso einfallsreiche wie furchtlose junge Heldin geschaffen. »Skyward« ist ein Science-Fiction-Abenteuer in bester Blockbuster-Manier.

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Seitenzahl: 656

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Brandon Sanderson

SkywardDer Ruf der Sterne

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch von Oliver Plaschka

Knaur e-books

Über dieses Buch

Seit Hunderten von Jahren wird die Welt der jungen Spensa von den Krell angegriffen – nur die Flotte der Raumschiff-Piloten steht noch zwischen den überlegenen Aliens und und den letzten Menschen.

Hoch oben bei den Sternen als Pilotin ihre Heimat zu schützen ist alles, wovon Spensa jemals geträumt hat. Doch ihre Chancen dafür stehen gleich null: Spensas Vater gilt als Verräter, seit der Pilot urplötzlich sein Team im Stich gelassen hatte und dabei getötet worden war. Jedoch könnte eine unerwartete Wendung Spensa, allen Widerständen zum Trotz, doch noch hinauf zu den Sternen führen ...

Inhaltsübersicht

WidmungKartePrologTeil Eins1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. KapitelTeil Zwei7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. KapitelTeil DreiZwischenspiel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel25. Kapitel26. Kapitel27. Kapitel28. Kapitel29. KapitelTeil VierZwischenspiel30. Kapitel31. Kapitel32. Kapitel33. Kapitel34. Kapitel35. Kapitel36. Kapitel37. Kapitel38. Kapitel39. Kapitel40. Kapitel41. Kapitel42. Kapitel43. Kapitel44. Kapitel45. Kapitel46. Kapitel47. KapitelTeil FünfZwischenspiel48. Kapitel49. Kapitel50. Kapitel51. Kapitel52. Kapitel53. Kapitel54. Kapitel55. KapitelEpilogDanksagungenPiloten und ihre Rufzeichen
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Für Karen Ahlstrom,

die all die Tage zählt,

die ich vergesse

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Prolog

Nur Verrückte stiegen bis zur Oberfläche. Meine Mutter sagte immer, es sei dumm, sich derart in Gefahr zu bringen. Nicht nur gab es beinahe ständig Schauer aus dem Trümmergürtel, man wusste auch nie, wann die Krell wieder angriffen.

Natürlich ging mein Vater praktisch jeden Tag nach oben – musste er ja als Pilot. Vermutlich machte ihn das in den Augen meiner Mutter besonders dumm, doch für mich war er immer besonders mutig.

Trotzdem war ich überrascht, als er eines Tages, nach Jahren des Bettelns, endlich einwilligte, mich nach oben mitzunehmen.

Ich war sieben, aber meiner Meinung nach längst erwachsen und kompetent. Mit einer Laterne den geröllbedeckten Boden erhellend, eilte ich meinem Vater nach durch die Tunnel. Das Gestein war vielerorten entzweigebrochen oder gesprungen, wahrscheinlich von den Bomben der Krell – was sich in den tiefen Höhlen als Tellerklappern und Zittern der Möbel bemerkbar machte.

Ich stellte mir vor, diese geborstenen Steine wären die gefällten Körper meiner Feinde, die mit zerschmetterten Knochen die zittrigen Arme in einer Geste der totalen, hoffungslosen Niederlage reckten.

Ich war ein recht merkwürdiges kleines Mädchen.

Mein Vater wandte sich zu mir um und lächelte. Sein Lächeln war immer das Beste, so zuversichtlich, als machte er sich nie Gedanken, was die Leute alles redeten – dass er seltsam sei oder nicht dazugehörte.

Und wieso sollte er auch? Alle mochten ihn. Selbst Leute, die keine Eiscreme oder Schwerter mochten – sogar der weinerliche kleine Rodge McCaffrey –, hatten meinen Vater gern.

Er nahm meinen Arm und zeigte nach oben. »Der nächste Teil ist etwas knifflig. Ich hebe dich hoch.«

»Ich krieg das hin!«, sagte ich und schüttelte seine Hand ab. Ich war erwachsen – ich hatte mir selbst den Rucksack gepackt und sogar Bluttatze, meinen Teddy, zu Hause gelassen. Ein Teddybär war für Babys, selbst wenn man ihm aus Tonscherben und Schnur sein eigenes Exoskelett gebastelt hatte.

Gut, ich hatte meinen Spielzeugjäger eingepackt. Schließlich war ich nicht verrückt – was, wenn die Krell angriffen und ihre Bomben uns den Rückweg abschnitten, sodass wir den Rest unserer Tage fernab jeder Zivilisation im Ödland zubringen mussten?

Ein Mädchen braucht doch seinen Spielzeugjäger für den Fall der Fälle.

Ich reichte meinem Vater meinen Rucksack und sah zu dem Spalt in der Decke. Irgendwas an dem Loch da oben war … eigenartig. Ein unnatürliches Licht fiel hindurch, so anders als der warme Schein unserer Laternen.

Die Oberfläche … der Himmel! Grinsend machte ich mich daran, das steile Gefälle zu erklimmen. Der Fels unter meinen Füßen war brüchig. Ich rutschte ab und zog mir einen Kratzer an der Hand zu, aber ich weinte nicht. Pilotentöchter weinten nicht.

Der Spalt in der Höhlendecke schien hundert Meter weit entfernt. Ich hasste es, so klein zu sein. Nicht mehr lange, und ich würde so groß sein wie mein Vater. Dann war ich endlich nicht mehr das kleinste Kind der Nachbarschaft. Ich würde den Leuten ins Gesicht lachen, aus so großer Höhe, dass ihnen gar keine andere Wahl mehr blieb, als meine Überlegenheit einzugestehen.

Ächzend erklomm ich einen Vorsprung. Der nächste Griff war zu weit für mich. Ich fixierte ihn. Dann sprang ich entschlossen. Wie jede gute Defiant besaß ich den Mut eines Sternendrachens.

Leider aber auch den Körper einer Siebenjährigen. So griff ich fast einen halben Meter daneben.

Ehe ich abstürzte, packte mich eine starke Hand. Glucksend hob mein Vater mich am Kragen meines Overalls hoch, den ich im Stile seiner Fliegerkombi bemalt hatte. Sogar mit einer Anstecknadel oberhalb des Herzens, so wie seine – die Nadel, die ihn als Piloten auswies. Sie hatte die Form eines kleinen Jägers mit Linien darunter.

Er stellte mich neben sich auf den Felsen. Dann schaltete er mit der freien Hand sein Lichtseil an. Das Gerät sah aus wie ein metallenes Armband, doch sobald er es mit zwei Fingern aktivierte, glühte es in hellem, flüssigem Licht. Er berührte das Gestein über ihm, und als er die Hand wieder zurückzog, hinterließ es einen dicken Strang aus Licht, wie ein leuchtendes Seil, das am Fels befestigt war. Das andere Ende band er unter meinen Armen fest, dann löste er es vom Armband. Dessen Glühen verblasste, doch das leuchtende Seil blieb, wo es war, und sicherte mich.

Eigentlich hatte ich immer gedacht, dass Lichtseile brennen müssten, doch es fühlte sich bloß warm an. Wie eine Umarmung.

»Okay, Spin«, nannte er mich bei meinem Spitznamen. »Versuch es noch mal.«

»Ich brauche das nicht«, protestierte ich und zupfte an dem Seil.

»Tu einem ängstlichen Vater einen Gefallen.«

»Ängstlich? Du hast doch vor nichts Angst! Du kämpfst gegen die Krell!«

Er lachte. »Lieber trete ich hundert Krellschiffen entgegen als deiner Mutter, wenn ich dich mit einem gebrochenen Arm nach Hause bringe, Kleine.«

»Ich bin nicht klein. Und wenn ich mir den Arm breche, kannst du mich hierlassen, bis ich gesund bin. Ich kämpfe gegen die Höhlentiere, werde wild und trage ihr Fell und …«

»Jetzt klettere schon«, mahnte er, immer noch grinsend. »Gegen Höhlentiere kannst du später noch kämpfen. Wobei ich annehme, dass die einzigen, die du hier finden wirst, lange Schwänze und vorstehende Zähne haben.«

Zugegeben, das Lichtseil half. Ich konnte daran ziehen, um mich zu stabilisieren. Wir erreichten den Spalt, und mein Vater stemmte mich hoch. Ich packte den Rand und kroch hinaus, trat das erste Mal in meinem Leben aus den Höhlen auf die Oberfläche.

Es war so offen.

Ich schnappte nach Luft, stand einfach nur da, blickte bloß auf zum … zu dem Nichts. Da war einfach … einfach nur schiere Höhe. Keine Decke, keine Wände. Ich hatte mir die Oberfläche immer wie eine richtig große Höhle vorgestellt. Doch sie war so viel mehr und so viel weniger, beides zugleich.

Wow.

Mein Vater zog sich hinter mir hoch und klopfte sich den Staub vom Anzug. Ich sah erst ihn, dann wieder den Himmel an. Ich grinste breit.

»Keine Angst?«, erkundigte er sich.

Finster senkte ich die Brauen.

»Tut mir leid.« Er gluckste wieder. »Falsches Wort. Eine Menge Leute finden den Himmel einfach sehr einschüchternd, Spensa.«

»Es ist wunderschön«, flüsterte ich und starrte zu der gewaltigen Leere über mir auf. Luft, die sich in grauer, endloser Weite und schließlich in Schwärze verlor.

Dennoch war die Oberfläche heller, als ich sie mir vorgestellt hatte. Detritus, unser Planet, wurde von enormen Schichten uralten Weltraumschrotts geschützt. Ganz weit da draußen, oberhalb der Luft, im All. Aufgegebene Raumstationen, riesige metallene Schilde, alte Metallbrocken so groß wie Berge – in mehreren Schichten, wie geborstene Schalen um den ganzen Planeten.

Nichts davon hatten wir selbst gebaut. Wir waren auf diesem Planeten abgestürzt, als meine Großmutter noch klein gewesen war, und damals war das alles schon alt gewesen. Trotzdem funktionierte manches davon noch. In der untersten Schicht zum Beispiel, die dem Planeten am nächsten war, gab es fliegende Lichtquellen: Himmelsleuchten, riesenhafte Lichter, die dem Planeten Helligkeit und Wärme spendeten.

Gerade in der untersten Schicht existieren auch kleinere Schrottstücke. Ich strengte meine Augen an, versuchte, etwas zu erkennen, aber es war zu weit entfernt. Abgesehen von den beiden nächsten Himmelsleuchten – von denen keine direkt über uns war – konnte ich lediglich schemenhafte Muster im Grau des Himmels ausmachen, hellere Flecken und dunklere Flecken.

»Da oben leben die Krell?«, fragte ich. »Hinter dem Trümmerfeld?«

»Ja«, sagte Vater. »Zum Angriff fliegen sie durch die Lücken in den Schichten herab.«

»Wie finden sie uns denn? Da oben ist doch so viel Platz.« Die Welt schien so viel größer, als ich es mir unten in den Höhlen ausgemalt hatte.

»Irgendwie spüren sie es, wenn sich Menschen zusammenfinden. Immer wenn die Bevölkerung einer Höhle zu groß wird, greifen die Krell mit ihren Bomben an.«

Vor Jahrzehnten waren wir alle Teil einer Raumflotte gewesen. Wir waren vor den Krell zu diesem Planeten geflohen und abgestürzt. Um zu überleben, hatten wir uns aufteilen müssen; heute lebten wir in Clans, die ihre Abstammung zur Crew jeweils eines der alten Sternenschiffe zurückverfolgen konnten.

Großmutter hatte mir diese Geschichten häufig erzählt. Siebzig Jahre hatten wir auf Detritus gelebt, waren als Nomaden durch die Höhlensysteme gezogen, aus lauter Angst, größere Gruppen zu bilden – bis heute. Jetzt hatten wir mit dem Bau von Sternenjägern begonnen und eine versteckte Basis an der Oberfläche errichtet. Wir machten uns bereit, zurückzuschlagen.

»Wo liegt denn Alta?«, fragte ich. »Du hast gesagt, wir kämen in der Nähe der Basis heraus. Ist sie das?« Ich zeigte auf ein paar verdächtig wirkende Felsen. »Gleich dort drüben, oder? Ich will die Sternenjäger sehen.«

Mein Vater beugte sich zu mir herab, drehte mich um neunzig Grad und zeigte mit dem Finger. »Dort.«

»Wo denn?« Ich suchte die Landschaft ab, die fast nur aus blaugrauem Staub und Felsen bestand, dazu Kratern abgestürzter Trümmer aus dem Gürtel. »Ich kann sie nicht sehen.«

»Genau darum geht es, Spensa – wir müssen versteckt bleiben.«

»Aber ihr kämpft doch, oder? Werden die Krell nicht irgendwann merken, wo die Jäger herkommen? Wieso verlegt ihr nicht die Basis?«

»Sie muss hier über Igneous bleiben. Das ist die große Höhle, die ich dir letzte Woche gezeigt habe.«

»Die mit all den Maschinen?«

Er nickte. »In Igneous haben wir Fabriken gefunden; so konnten wir Raumschiffe bauen. Wir müssen in der Nähe bleiben, um die Anlagen zu schützen, aber unsere Einsätze führen uns überallhin, wo die Krell ihre Bomben abwerfen.«

»Ihr beschützt auch andere Clans?«

»Für mich gibt es nur einen Clan, der zählt: die Menschheit. Ehe wir hier abstürzten, gehörten wir alle zur selben Flotte – und eines Tages werden sich die wandernden Clans daran erinnern. Sie werden kommen, wenn wir sie rufen. Sie werden sich versammeln, und wir werden eine Stadt gründen und eine neue Zivilisation errichten.«

»Werden die Krell uns dann denn nicht bombardieren?« Ehe er etwas sagen konnte, gab ich mir selbst die Antwort. »Nein – nicht, wenn wir stark genug sind. Nicht, wenn wir standhaft sind und zurückschlagen.«

Er lächelte.

»Ich werde mein eigenes Schiff haben«, sagte ich. »Ich werde es fliegen so wie du. Und dann wird sich niemand mehr über mich lustig machen, weil ich dann nämlich stärker als alle anderen bin.«

Mein Vater sah mich nachdenklich an. »Und deshalb willst du Pilotin werden?«

»Niemand kann einen zu klein nennen, wenn man ein Schiff fliegt«, erwiderte ich. »Niemand wird mich mehr für seltsam halten, und ich werde keinen Ärger mehr fürs Kämpfen kriegen, weil Kämpfen dann mein Beruf ist. Niemand wird mich mehr verspotten, und alle werden mich lieben.«

Wie sie dich lieben, dachte ich.

Aus irgendeinem dummen Grund schloss mein Vater mich da in die Arme. Dabei sagte ich doch bloß die Wahrheit. Aber ich erwiderte die Umarmung, weil Eltern das mögen. Davon abgesehen war es ja schön, jemanden zum Drücken zu haben. Vielleicht hätte ich Bluttatze doch nicht zu Hause lassen sollen.

Da stockte Vater der Atem, und ich dachte schon, er würde weinen, doch ich hatte mich getäuscht. »Spin!«, rief er und zeigte zum Himmel. »Schau!«

Die schiere Weite schlug mich abermals in ihren Bann. Es war alles so groß.

Aber Vater zeigte auf etwas Bestimmtes. Ich sah genauer hin und merkte, dass ein Teil des grauschwarzen Himmels dunkler war als der Rest. Ein Loch in den Trümmerschichten?

In diesem Moment blickte ich in die Unendlichkeit. Ich zitterte, als schlügen in der Nähe Milliarden Meteoriten ein. Ich sah den Weltraum und darin kleine Nadelstiche von Weiß, ganz anders als die Himmelsleuchten. Sie funkelten und wirkten sehr, sehr weit entfernt.

»Was sind das für Lichter?«, flüsterte ich.

»Sterne«, sagte er. »Ich bin schon oft in die Nähe des Trümmergürtels geflogen, habe aber fast noch nie hindurchgesehen. Es sind zu viele Schichten. Aber ich habe mich immer gefragt, ob ich nicht hinaus zu den Sternen könnte.«

Ehrfurcht schwang in seiner Stimme mit, wie ich es noch nie von ihm gehört hatte.

»Ist das der Grund … weshalb du fliegst?«

Mein Vater schien sich nichts aus dem Ruhm zu machen, mit dem die anderen Clanmitglieder ihn bedachten. Seltsamerweise schien er sich sogar dafür zu schämen.

»Einst lebten wir dort oben«, flüsterte er. »Zwischen den Sternen. Dort gehören wir hin, nicht in diese Höhlen. Die Kinder, die sich über dich lustig machen, sitzen auf diesem Stück Stein fest. Ihre Köpfe sind aus Stein, ihre Herzen kennen nichts als Stein. Steck du dir deine Ziele höher. Streb nach mehr.«

Die Trümmer trieben weiter, und das Loch schrumpfte zusammen, bis ich nur noch einen einzigen Stern sah, heller als die anderen.

»Greif nach den Sternen, Spensa.«

Eines Tages würde auch ich eine Pilotin sein. Ich würde nach dort oben fliegen und kämpfen. Ich hoffte nur, dass Vater mir ein paar Krell übrig ließ.

Da blitzte etwas über den Himmel – ein fernes Trümmerstück trat hell flammend in die Atmosphäre ein. Dann fiel ein weiteres, dann noch eins. Dann Dutzende.

Stirnrunzelnd griff Vater nach seinem Funkgerät – ein superfortschrittliches Stück Technik, das nur Piloten bekamen. »Hier spricht Chaser. Ich bin auf der Oberfläche. Da kommt ein Trümmerregen dicht bei Alta runter.«

»Wir haben es schon gesehen, Chaser«, antwortete eine Frauenstimme. »Gerade bekommen wir die Radarauswertung und … Dreck, wir haben Krell.«

»Auf welche Höhle haben sie es abgesehen?«

»Ihr Kurs … Chaser, ihr Kurs führt sie zu uns. Sie fliegen direkt auf Igneous zu. Helft uns, Sterne. Sie haben die Basis gefunden!«

Vater ließ das Funkgerät sinken.

»An alle, dies ist ein Notfall!«, rief die Frauenstimme. »Ein extrem großer Verband von Krell hat das Trümmerfeld durchstoßen. Alle Jäger sofort melden. Sie haben es auf Alta abgesehen!«

Vater fasste mich am Arm. »Bringen wir dich besser zurück.«

»Aber sie brauchen dich!«, protestierte ich. »Du musst doch kämpfen!«

»Ich muss dich zu…«

»Ich kann selbst zurück. Der Weg durch die Tunnel ist einfach.«

Vater sah wieder zu den Trümmern auf. »Chaser!«, rief eine andere Stimme über Funk. »Chaser, bist du da?«

»Mongrel?« Vater legte einen Schalter um. »Ich bin auf der Oberfläche.«

»Du musst Banks und Swing zur Vernunft bringen. Sie sagen, wir müssen fliehen.«

Vater fluchte verhalten und drückte einen weiteren Schalter. Eine weitere Stimme erklang. »… nicht bereit für eine direkte Konfrontation. Sie werden uns wegfegen.«

»Nein«, sagte eine Frau. »Wir müssen uns ihnen stellen und kämpfen.«

Ein Dutzend Stimmen redete durcheinander.

»Ironsides hat recht!«, rief mein Vater dazwischen, und bemerkenswerterweise verstummten alle.

»Wenn wir sie Igneous bombardieren lassen, verlieren wir die Apparatur«, sagte mein Vater. »Wir verlieren die Fabriken. Einfach alles. Wenn wir jemals wieder eine Zivilisation, eine Welt haben wollen, dann müssen wir uns jetzt wehren!«

Ich wartete schweigend, hoffte mit angehaltenem Atem, dass er zu abgelenkt war, mich fortzuschicken. Beim Gedanken an eine Schlacht musste ich zittern, aber sehen wollte ich es trotzdem.

»Kämpfen wir«, sagte die Frau.

»Kämpfen«, stimmte Mongrel zu. Ich kannte ihn dem Namen nach, hatte ihn jedoch noch nie getroffen. Er war der Wingmate meines Vaters – das hieß, sie flogen gemeinsam und gaben aufeinander acht. »Bei allen heißen Felsen, wird das ein Spaß! Ich werde dich himmelhoch schlagen, Chaser. Wart nur ab, wie viele ich abschieße!«

Mongrel klang ungeduldig, vielleicht schon etwas zu begierig auf die Schlacht. Er war mir sofort sympathisch.

Mein Vater haderte nur kurz, dann legte er sein Armband mit dem Lichtseil ab und drückte es mir in die Hände. »Versprich mir, dass du direkt nach Hause gehst.«

»Versprochen.«

»Nicht rumtrödeln!«

»Werde ich nicht.«

Er hielt sich das Funkgerät vor den Mund. »Das wollen wir mal sehen, Mongrel! Ich renne jetzt zur Basis. Chaser aus.«

Mein Vater sprintete los in die Richtung, die er mir gezeigt hatte. Einmal hielt er noch inne und machte kehrt, nahm seine Pilotennadel ab und warf sie mir zu wie einen glitzernden Stern. Dann eilte er weiter durch den Staub, der verborgenen Basis entgegen.

Natürlich brach ich augenblicklich mein Versprechen. Ich kletterte zurück in den Spalt, versteckte mich aber dort, die Nadel fest umklammert, um zuzusehen, wie die Sternenjäger von Alta aufstiegen und dem Himmel entgegenstrebten. Und als ich genau hinsah, konnte ich auch die dunklen Krellschiffe erkennen, die ihnen entgegenschwärmten.

Schließlich jedoch, in einem seltenen Anflug gesunden Menschenverstands, beschloss ich, meinem Vater besser zu gehorchen. Ich ließ mich mit dem Lichtseil in die Höhle darunter hinab und machte mich auf den Weg durch die Tunnel. Unser Clan besaß einen gemeinschaftlichen Funkempfänger, und ich hoffte, dass ich den Verlauf des Kampfs vielleicht verfolgen konnte, wenn ich es rechtzeitig zurückschaffte.

Da hatte ich mich allerdings verschätzt. Der Weg war länger, als ich ihn in Erinnerung hatte, und dann verlief ich mich auch noch. So wanderte ich gerade in der Tiefe herum und malte mir die ruhmreiche, herrliche Schlacht dort oben aus, als mein Vater ehrlos aus der Formation ausscherte und vor dem Feind floh. Seine eigene Staffel schoss ihn zur Vergeltung ab. Bis ich zu Hause ankam, war die Schlacht gewonnen und mein Vater verloren.

Und mich nannte man forthin die Tochter eines Feiglings.

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Teil Eins

 

 

 

 

 

 

 

 

1

Vorsichtig verfolgte ich meinen Feind durch die Höhle.

Ich hatte meine Stiefel ausgezogen, damit sie keinen Laut verursachten, und meine Socken ebenfalls, damit ich nicht ausrutschte. Der Fels war angenehm kühl unter den Fußsohlen. Lautlos tat ich einen weiteren Schritt.

So tief hier unten kam das einzige Licht vom schwachen Leuchten der Würmer an der Decke, die sich von der durchs Gestein sickernden Feuchtigkeit ernährten. Man musste schon minutenlang im Dunkeln sitzen, bis sich die Augen an das schwache Licht gewöhnten.

Eine weitere Regung in den Schatten – dort, bei diesen dunklen Haufen, bei denen es sich um feindliche Bauten handeln musste. Ich erstarrte in geduckter Stellung, lauschte, wie mein Gegner sich schabend fortbewegte. Vor meinem geistigen Auge sah ich einen Krell: ein furchtbarer Alien mit roten Augen und dunkler Rüstung.

Mit ruhiger Hand – und quälend langsam – legte ich mit dem Gewehr an, hielt den Atem an und schoss.

Ein Schmerzensschrei war mein Lohn.

Treffer!

Ich tippte mir auf die Hand und aktivierte meines Vaters Lichtseil. Das orangerote Glühen, mit dem es zum Leben erwachte, blendete mich kurz.

Dann eilte ich vor, um meine Trophäe einzusammeln: eine tote Ratte, säuberlich aufgespießt.

Bei Licht betrachtet erwiesen sich die Schatten, die für mich feindliche Befestigungsanlagen gewesen waren, als Felsen. Mein Gegner war eine dicke Ratte und mein Gewehr eine improvisierte Harpune. Neuneinhalb Jahre waren seit jenem schicksalsträchtigen Tag vergangen, an dem ich mit meinem Vater zur Oberfläche geklettert war, doch meine Fantasie war so stark wie immer. So zu tun, als jagte ich etwas Aufregenderes als Ratten, half, die Monotonie zu ertragen.

Ich hielt den toten Nager am Schwanz hoch. »So spüre denn die Macht meines Zorns, gefälltes Untier!«

Wie sich erwies, wurden aus merkwürdigen kleinen Mädchen merkwürdige junge Frauen. Doch ich hielt es für geboten, meinen Hohn für den Tag zu trainieren, an dem ich wirklich gegen die Krell kämpfen würde. Großmutter hatte mich gelehrt, dass ein großer Kämpfer allein durch Prahlerei die Herzen seiner Feinde mit Furcht erfüllen konnte.

Ich packte meine Trophäe in den Beutel. Das waren schon acht – nicht schlecht für einen Beutezug. Ob mir noch Zeit für eine weitere blieb?

Ich sah auf mein Lichtseil – das Armband hatte auch eine kleine Uhr neben der Ladestandsanzeige. 0900 – wahrscheinlich war es Zeit, umzukehren. Ich sollte nicht zu viel vom Schultag versäumen.

Also warf ich mir den Sack über die Schulter, nahm die Harpune – die ich aus in den Höhlen gefundenen Teilen gebaut hatte – und trat die Wanderung nach Hause an. Dabei folgte ich den handgezeichneten Karten in meinem kleinen Notizbuch, die ich stets ergänzte.

Ein Teil von mir bedauerte es, diese stillen Höhlen zurückzulassen. Sie erinnerten mich an meinen Vater. Davon abgesehen mochte ich es, wie leer alles war. Niemand da, der mich verspottete, anstarrte oder Beleidigungen flüsterte, bis mir keine andere Wahl mehr blieb, als meine Familienehre mit einem kräftigen Schlag in sein dummes Gesicht zu verteidigen.

An einer mir bekannten Kreuzung hielt ich an. Boden und Decke wichen hier seltsamen metallenen Mustern, rund mit wissenschaftlicher Beschriftung, die beide Oberflächen überzogen; ich hatte sie immer für alte Sternenkarten gehalten. Auf der gegenüberliegenden Seite ragte ein riesiges, uraltes Rohr aus dem Gestein – eins von vielen, das Wasser zwischen den Höhlen transportierte, es reinigte und auch zur Kühlung der Maschinen benutzte. Aus einer Naht tropfte Wasser in den Eimer, den ich dort zurückgelassen hatte. Inzwischen war er halb voll, von daher gönnte ich mir einen tiefen Schluck. Kühl und erfrischend, mit einer metallischen Note.

Wir wussten nicht viel über die Leute, die diese Anlagen gebaut hatten. Wie der Trümmergürtel waren sie schon hier gewesen, als unsere kleine Flotte auf dem Planeten abstürzte. Sie waren Menschen gewesen, denn die Beschriftungen wie diese hier waren in menschlichen Sprachen. Doch wie nah wir miteinander verwandt waren, stellte immer noch ein Rätsel dar. Sie waren nicht mehr da, und die geschmolzenen Flächen und uralten Wracks an der Oberfläche deuteten darauf hin, dass sie ihren eigenen Krieg durchlitten hatten.

Ich goss das restliche Wasser in meine Feldflasche und stellte den Eimer wieder hin. Dann tätschelte ich liebevoll das Rohr und ging weiter. Die Anlagen schienen mich mit einem leisen, vertrauten Summen zu grüßen. Ich folgte dem Klang und gelangte schließlich an eine helle Felsspalte zu meiner Linken.

Ich trat hinein und blickte auf Igneous hinaus. Meine Heimat und die größte der Vereinten Höhlen. Meine hohe Warte ermöglichte mir einen atemberaubenden Blick auf die unterirdische Stadt und ihre kastenförmigen Behausungen, die aussahen wie verbundene Würfel.

Der Traum meines Vaters hatte sich erfüllt: Indem sie an jenem Tag vor neun Jahren die Krell besiegten, hatten die jungen Piloten einer Nation Leben eingehaucht. Dutzende Nomadenclans hatten sich zusammengefunden und Igneous und die umliegenden Höhlen besiedelt. Trotzdem behielt jeder Clan seinen eigenen Namen, der sich von dem Schiff oder der Abteilung des Schiffs ableitete, auf dem er gearbeitet hatte. Mein Clan waren die Motorskaps – von der alten Bezeichnung für die Besatzung des Maschinenraums.

Gemeinsam nannten wir uns die Defiants – die Standhaften. Nach der Defiant, unserem ursprünglichen Flaggschiff.

Natürlich hatten wir durch unseren Zusammenschluss die Aufmerksamkeit der Krell erregt. Die Aliens waren immer noch entschlossen, uns auszulöschen, von daher dauerte der Krieg weiter an, und wir benötigten einen steten Nachschub an Jägern und Piloten, um unsere wachsende Nation zu schützen.

Über den Gebäuden von Igneous erhob sich die Apparatur: alte Schmiedewerke, Raffinerien und Fabriken, die geschmolzenes Gestein aus der Tiefe pumpten und die Bauteile für Jäger herstellten. Die Apparatur war so faszinierend, wie sie einzigartig war; obgleich auch andere Höhlen maschinell mit Wärme, Strom und sauberem Wasser versorgt wurden, war bloß die Apparatur von Igneous in der Lage, solch komplexe Güter herzustellen.

Hitze strömte durch die Spalte und trieb mir Schweißperlen auf die Stirn. Igneous – mit all den Werken, Fabriken und Algenbecken – war ein schweißtreibender Ort. Und obwohl die Höhle gut ausgeleuchtet war, wirkte sie irgendwie doch immer düster. Allerorten schimmerte das orangerote Licht der Raffinerien.

Ich verließ die Spalte und trat an eine alte Wartungsklappe in der Wand, die ich entdeckt hatte. Auf den ersten Blick sah sie aus wie jede andere Stelle der steinernen Wand und war damit gut geschützt. Ich stemmte sie auf und besah mir meine geheimen Besitztümer dahinter: Teile für die Harpune, meine Ersatzflasche und die alte Pilotennadel meines Vaters. Aus Gewohnheit drückte ich sie kurz an mich, dann legte ich sie zusammen mit dem Lichtseil, dem Kartenbuch und der Harpune zurück in den Hohlraum. Dafür nahm ich einen schlichten Speer mit einer Steinspitze an mich.

Dann schloss ich die Klappe und warf mir wieder den Beutel über die Schulter. Acht Ratten trugen sich erstaunlich schwer, besonders wenn man – selbst mit siebzehn noch – einen Körper besaß, der sich weigerte, größer als eins einundfünfzig zu werden.

Ich stieg hinab zum regulären Eingang in die Höhle. Dieser wurde von zwei Soldaten der Bodentruppen – die so gut wie nie in echte Kämpfe verwickelt wurden – bewacht. Obwohl ich beide beim Vornamen kannte, ließen sie mich kurz warten und taten, als müssten sie erst Erlaubnis einholen, um mich passieren zu lassen. In Wahrheit kommandierten sie mich einfach gern rum.

Jeden Tag das Gleiche. Jeden verdammten Tag.

Aluko untersuchte misstrauisch den Inhalt meines Beutels.

»Was für Schmuggelware erwartest du zu finden?«, fragte ich. »Kiesel? Moos? Vielleicht ein paar Steine, die deine Mutter beleidigt haben?«

Er betrachtete meinen Speer und schien sich zu fragen, wie ich mit einer derart primitiven Waffe acht Ratten erlegt hatte. Nun, sollte er doch. Endlich reichte er mir den Beutel zurück. »Geh weiter, Feigling.«

Zeig Stärke. Ich hob das Kinn. »Eines Tages wirst du meinen Namen hören und Tränen der Dankbarkeit dafür vergießen, dass du einst das Glück hattest, der Tochter von Chaser zu helfen.«

»Ich vergesse lieber, dass ich dich je gekannt habe. Geh weiter.«

Erhobenen Haupts betrat ich Igneous und marschierte zu den Glorreichen Industriehöhen, wie mein Viertel sich nannte. Es war gerade Schichtwechsel, und zahlreiche Arbeiter strömten mir entgegen. Die Farbe ihrer Overalls zeigte an, welche Aufgabe sie in der großen Maschine erfüllten, die unseren Staat – und den Krieg gegen die Krell – am Leben hielt: Müllwerker, Wartungsarbeiter, Algenzüchter.

Natürlich keine Piloten. In ihrer Freizeit hielten sich Piloten in den tiefen Kavernen bereit, und während des Diensts wohnten sie in Alta, der Basis, für deren Schutz mein Vater sein Leben gegeben hatte. Die Basis war kein Geheimnis mehr, sondern zu einer großen Anlage auf der Oberfläche gewachsen, die Dutzende Schiffe sowie den Kommandostab und die Trainingseinrichtungen beherbergte. Ab morgen würde auch ich dort oben wohnen – sobald ich den Test bestanden hatte und Kadettin geworden war.

Über mir erhob sich eine große Metallstatue der Ersten Bürger: eine Gruppe Leute, die in stolzer Pose symbolisch die Waffen gen Himmel reckten, während hinter ihnen Schiffe auf metallenen Strahlen aufstiegen. Obgleich sie die Kämpfer in der Schlacht um Alta darstellten, fand sich mein Vater nicht darunter.

Hinter der nächsten Biegung lag unser Zuhause, einer von vielen Metallwürfeln, die einem größeren in der Mitte entsprangen. Unserer war klein, doch groß genug für drei Leute, erst recht, da ich manchmal tagelang auf Erkundung oder zur Jagd in den Höhlen unterwegs war.

Meine Mutter war nicht zu Hause, aber Großmutter fand ich auf dem Dach, wo sie Algenwraps zum Verkauf an unserem Stand rollte. Ein regulärer Beruf blieb meiner Mutter aufgrund dessen, was mein Vater angeblich getan hatte, verwehrt, deshalb mussten wir uns mit unkonventionellen Ideen durchschlagen.

Als sie mich hörte, blickte Großmutter auf. Ihr Name war Rebecca Nightshade – ich trug denselben Nachnamen –, doch selbst Leute, die sie kaum kannten, nannten sie Großmutter. Vor ein paar Jahren war sie praktisch blind geworden, ihre Augen waren milchig weiß. Sie saß gebeugt, und ihre Arme waren dünn wie Stöcke; trotzdem war sie die stärkste Person, die ich kannte.

»Aaaah«, sagte sie. »Das klingt wie Spensa! Wie viele hast du heute erwischt?«

»Acht!« Ich lud meine Beute ab. »Und ein paar sind ganz besonders saftig.«

»Setz dich, setz dich.« Großmutter schob die Matte mit Wraps beiseite. »Dann lass sie uns mal putzen und kochen! Wenn wir uns ranhalten, kann deine Mutter sie heute noch verkaufen und ich derweil die Felle gerben.«

Eigentlich hätte ich in die Schule gemusst – Großmutter hatte das wieder vergessen –, aber ernsthaft, was sollte es noch bringen? Im Moment hielt man uns bloß noch Vorträge zur Berufswahl. Dabei wusste ich längst, was ich werden wollte. Egal, wie schwer der Eignungstest für Piloten war – Rodge und ich hatten zehn Jahre lang dafür gelernt. Wir würden ganz bestimmt bestehen. Wozu also sollte ich mir anhören, wie toll das Leben als Algenzüchter war?

Ganz davon abgesehen hatte ich eine Menge Fehlstunden, weil ich die Zeit für die Jagd brauchte, und besaß gar nicht die Qualifikation für was anderes. Ich belegte wirklich alles, was ich fürs Fliegen brauchte – Schiffsaufbau und -reparatur, Mathe, Kriegsgeschichte. Alles andere aber war eher ein Bonus.

Ich setzte mich hin und half Großmutter, die Ratten zu häuten und auszunehmen. Sie arbeitete sauber und gründlich, nur mithilfe ihres Tastsinns.

»Von wem soll ich dir heute erzählen?«, fragte sie, den Kopf gebeugt, die Augen halb geschlossen.

»Von Beowulf!«

»Ah, der König der Geatas also? Nicht Leif Eriksson? Er war der Liebling deines Vaters.«

»Hat er denn einen Drachen getötet?«

»Er hat eine neue Welt entdeckt.«

»Mit Drachen?«

Großmutter gluckste. »Eine gefiederte Schlange in manchen Legenden, aber ich wüsste nicht, dass sie gegeneinander gekämpft hätten. Beowulf aber war wirklich ein mächtiger Mann. Er war dein Ahne, weißt du. Den Drachen hat er erst erschlagen, als er alt war; zuerst hat er sich einen Namen im Kampf gegen Monster gemacht.«

Wortlos arbeitete ich mit dem Messer, häutete die Ratten und nahm sie aus, schnitt das Fleisch und warf es zum Kochen in einen Topf. Die meisten Leute in der Stadt lebten von Algenpaste. Echtes Fleisch – von Rindern oder Schweinen, die man in Höhlen mit speziellen Bedingungen züchtete – war viel zu selten für den täglichen Konsum. Also nahm man mit Ratten vorlieb.

Ich liebte es, wie Großmutter Geschichten erzählte. Ihre Stimme wurde leise, wenn die Monster zischten, und kühn, wenn die Helden prahlten. Während ihre flinken Finger arbeiteten, spann sie die Mär des alten Wikingerhelden, der den Dänen in der Zeit der Not beistand. Ein Krieger, der von jedermann geliebt wurde, und der selbst gegen einen größeren und überlegenen Gegner Tapferkeit bewies.

»Und als das Monster sterbend zusammenbrach, hob der Held Grendels Arm und Schulter als grausige Trophäe empor«, schloss Großmutter. »Er hatte das Blut der Gefallenen gerächt und seine Kraft und Tapferkeit bewiesen.«

Aus der Wohnung unter uns drang ein Klappern – meine Mutter war zurück. Ich ignorierte es für den Moment. »Er hat den Arm mit bloßen Händen abgerissen?«, hakte ich nach.

»Er war stark, ein wahrer Krieger! Und er war vom alten Blute – damals kämpfte man noch mit den Händen wie mit dem Schwert.« Sie beugte sich vor. »Du wirst mit dem Geschick deiner Hände und deinem Scharfsinn kämpfen – wenn du ein Raumschiff fliegst, brauchst du keine Arme auszureißen. Hast du auch deine Übungen gemacht?«

Ich verdrehte die Augen.

»Das habe ich gesehen«, sagte Großmutter.

»Nein, hast du nicht.«

»Schließ deine Augen.«

Ich gehorchte und wandte das Gesicht zur hohen Höhlendecke.

»Lausch auf die Sterne«, sagte Großmutter.

»Ich höre bloß …«

»Lausch auf die Sterne. Stell dir vor, dass du fliegst.«

Ich seufzte. Sosehr ich Großmutter und ihre Geschichten liebte, diesen Teil fand ich immer öde. Trotzdem versuchte ich zu tun, was sie mir beigebracht hatte. Sitzend, mit zurückgelegtem Kopf, stellte ich mir vor, ich würde emporschweben. Versuchte, alles andere hinter mir zu lassen und die hellen Sterne über mir strahlen zu sehen.

»Diese Übung habe ich immer mit meiner Mutter gemacht«, flüsterte Großmutter. »Im Maschinenraum der Defiant. Wir haben auf dem Flaggschiff gedient, einem Schlachtkreuzer größer als diese ganze Höhle. Dort saß ich, lauschte auf den Klang des Antriebs und auf etwas anderes dahinter – den Klang der Sterne.«

Ich versuchte, sie mir als kleines Mädchen vorzustellen, und irgendwie half das. Mit geschlossenen Augen kam es mir beinahe so vor, als würden wir schweben. Emporgreifen …

»Wir waren die Besatzung des Maschinenraums«, sagte Großmutter. »Und nicht wie die anderen. Der Rest der Besatzung hielt uns für seltsam, doch wir sorgten dafür, dass das Schiff in Bewegung blieb. Ließen es zu den Sternen fliegen. Mutter sagte, weil wir sie hören konnten.«

Und einen kurzen Moment lang … glaubte auch ich etwas dort draußen zu hören. Meine Fantasie, vielleicht? Ein ferner, reiner Klang …

»Selbst nachdem wir hier abgestürzt sind, haben wir Maschinisten zusammengehalten: Clan Motorskaps. Wenn andere dich seltsam finden, dann, weil sie sich daran erinnern und vielleicht Angst vor uns haben. Dies ist dein Erbe. Das Erbe von Kriegern, die einst den Himmel bereisten und eines Tages dorthin zurückkehren werden. Hör nur!«

Ich stieß einen langen, tiefen Seufzer aus, als der Klang – was immer ich da zu hören glaubte – verhallte. Als ich die Augen wieder aufschlug, erschrak ich fast, dass ich mich wieder auf dem Dach befand, im rötlichen Licht von Igneous.

»Wir haben Maschinen gewartet und das Schiff bewegt?«, wiederholte ich. »Was hat das denn mit einem Kriegerleben zu tun? Wäre es nicht besser gewesen, die Waffen abzufeuern?«

»Nur ein Narr denkt, dass Waffen wichtiger als Strategie und Bewegung sind!«, widersprach Großmutter. »Lass mich dir morgen noch einmal von Sunzi erzählen, dem größten General aller Zeiten. Er lehrte, dass Stellung und Vorbereitung Kriege gewannen – nicht Schwerter und Speere. Ein großer Mann, Sunzi. Er war dein Ahne, weißt du.«

»Dschingis Khan ist mir lieber.«

»Ein Tyrann und Monster – wobei sich natürlich eine Menge Lehren aus seinem Leben ziehen lassen. Aber habe ich dir je von Königin Boudicca, der stolzen Rebellin gegen die Römer, erzählt? Sie war deine …«

»Ahnin?«, riet meine Mutter und kam die Leiter an der Außenseite des Gebäudes hoch. »Sie war eine britannische Keltin. Beowulf war Schwede, Dschinghis Khan Mongole und Sunzi Chinese. Und alle sollen sie Ahnen meiner Tochter gewesen sein?«

»Die ganze Alte Erde ist unser Erbe!«, sagte Großmutter. »Du, Spensa, stehst in einer Linie von Kriegern, die Jahrtausende zurückreicht, eine wahre Linie zur Alten Erde und ihrem edelsten Blut.«

Mutter verdrehte die Augen. Sie war alles, was ich nicht war – groß, schön, gelassen. Sie nahm die Ratten zur Kenntnis, dann jedoch verschränkte sie die Arme und sah mich an. »Sie mag das Blut einer Kriegerin haben, aber heute ist sie zu spät zur Schule.«

»Sie ist in der Schule«, widersprach Großmutter. »Der wichtigen.«

Ich erhob mich und wischte mir die Hände mit einem Lumpen ab. Ich wusste, wie Beowulf Monstern und Drachen entgegentrat … aber wie seiner Mutter, wenn er eigentlich in der Schule sein sollte? Ich entschied mich für ein vages Achselzucken.

Mutter musterte mich streng. »Er starb, weißt du? Beowulf starb im Kampf gegen den Drachen.«

»Er kämpfte bis zum Ende seiner Kräfte!«, sagte Großmutter. »Er besiegte das Untier, obwohl es ihn das Leben kostete, und brachte seinem Volk Frieden und ungeahnten Wohlstand! Alle großen Krieger kämpfen für den Frieden, Spensa. Denk immer daran.«

»Und wenn sonst nichts bleibt, kämpfen sie für die Ironie«, sagte Mutter. Abermals betrachtete sie die Ratten. »Danke dafür. Aber jetzt beeil dich! Hast du nicht morgen die Pilotenprüfung?«

»Ich bin bereit dafür. Heute lernen wir bloß Sachen, die ich nicht brauche.«

Mutter sah mich unnachgiebig an. Jeder große Krieger wusste, wann er seinen Meister gefunden hatte, also schloss ich Großmutter in die Arme und dankte ihr leise.

»Seele einer Kriegerin«, raunte sie. »Denke an deine Übungen. Lausche auf die Sterne!«

Lächelnd ging ich nach unten, wusch mich hastig und machte mich dann auf den Weg zu meinem hoffentlich letzten Schultag.

2

Erzählen Sie uns doch mal, wie Ihre tägliche Arbeit beim Sanitärkorps aussieht, Bürger Alfir.« Mrs. Vmeer, unsere Berufsberaterin, nickte dem Mann, der vor unserer Klasse stand, aufmunternd zu.

Bürger Alfir sah nicht aus, wie ich mir einen Sanitärtechniker vorgestellt hatte. Trotz seines charakteristischen Overalls und seiner Gummihandschuhe war er eigentlich sehr ansehnlich: starke Wangen, kräftige Arme, ein paar Brusthaare, die aus seinem engen Ausschnitt sprossen.

Beinahe konnte ich ihn mir als Beowulf vorstellen – bis er das Wort ergriff.

»Nun, wir kümmern uns vor allem um Verstopfungen. Was wir als schwarzes Wasser bezeichnen – das sind vor allem menschliche Abfallprodukte. Dann kann es wieder zur Aufbereitung fließen, wo die Apparatur ihm Wasser und brauchbare Mineralien entzieht.«

»Die perfekte Wahl für dich«, flüsterte mir Dia zu. »Abfallaufbereitung? Wäre ein Fortschritt für die Tochter eines Feiglings.«

Bedauerlicherweise durfte ich sie nicht schlagen. Nicht nur war sie Mrs. Vmeers Tochter, ich hatte bereits eine Verwarnung wegen eines Kampfs mit ihr. Eine weitere konnte mich meinen Eignungstest kosten, so dumm es auch war. Sollten Piloten denn keine großen Kämpfer sein?

Wir saßen auf dem Boden des kleinen Zimmers; unsere Tische wurden heute von einem anderen Lehrer benötigt. Ich kam mir vor wie eine Vierjährige, der man Geschichten vorlas.

»Es mag nicht sehr ruhmreich klingen, aber ohne das Sanitärkorps hätte niemand von uns Wasser. Auch Piloten können nicht fliegen, wenn sie nichts zu trinken haben. In gewisser Weise haben wir den wichtigsten Job in den Höhlen.«

Obwohl ich ein paar dieser Vorträge versäumt hatte, kam mir das alles sehr bekannt vor. Das Belüftungskorps hatte Anfang der Woche dasselbe gesagt. Genau wie tags zuvor die Bauarbeiter und davor schon die Schmiedearbeiter, das Reinigungspersonal und die Köche.

Alle hatten sie praktisch dieselbe Rede gehalten – dass wir alle wichtige Teile der Maschine waren, die gegen die Krell kämpfte.

»Jeder Job in den Höhlen ist ein unverzichtbarer Teil der Maschine, die uns am Leben erhält«, sprach Alfir meine Gedanken aus. »Wir können nicht alle Piloten sein – aber kein Job ist wichtiger als die anderen.«

Als Nächstes würde er irgendwas über Gehorsam und den Platz in der Gesellschaft erzählen.

»Um sich uns anzuschließen, muss man in der Lage sein, Anweisungen zu befolgen. Ihr müsst bereit sein, euren Beitrag zu leisten, wie unbedeutend er auch scheinen mag. Denkt immer daran: Gehorsam ist Standhaftigkeit.«

Ich verstand ihn ja und pflichtete ihm bis zu einem gewissen Grad auch bei. Ohne Wasser, Essen und sanitäre Einrichtungen würden es Piloten im Krieg nicht sehr weit bringen.

Trotzdem erschien mir so eine Laufbahn wie aufzugeben. Wo blieb der Funke, die Energie? Wir sollten doch Defiants sein – Krieger, die sich ihrem Schicksal widersetzten.

Alfir endete, und die Klasse klatschte höflich. Draußen vor dem Fenster liefen derweil die nächsten Arbeiter in Reih und Glied unter den aufrechten, geometrischen Statuen vorbei. Manchmal schienen wir weniger eine Kriegsmaschine als ein Zeitmesser des Schichtbetriebs zu sein.

Die Schüler verschwanden in die Pause, und auch ich stand auf, ehe Dia noch eine weitere altkluge Bemerkung machte. Das Mädchen versuchte schon die ganze Woche, mich zu provozieren, nur damit ich mir Ärger einhandelte.

Stattdessen hielt ich auf einen Schüler am anderen Ende des Raums zu – ein schlaksiger Junge mit rotem Haar, der sich, kaum, dass der Vortrag vorbei gewesen war, in ein Buch vertieft hatte.

»Rodge«, sagte ich. »Rigmarole!«

Sein Spitzname – das Rufzeichen, das wir ihm ausgesucht hatten und das er führen würde, sobald er Pilot war – ließ ihn aufsehen. »Spensa! Wann bist du denn reingekommen?«

»Mitten im Vortrag. Hast du mich nicht bemerkt?«

»Ich bin im Kopf Manöverlisten durchgegangen. Verdammt, bloß ein Tag noch. Bist du denn gar nicht nervös?«

»Natürlich nicht. Wieso sollte ich nervös sein? Ich hab das drauf.«

»Ich wünschte, da wäre ich mir auch so sicher.«

»Machst du Witze? Du weißt doch praktisch alles, Rig!«

»Du solltest mich lieber Rodge nennen. Noch haben wir uns unsere Rufzeichen nicht verdient. Erst wenn wir den Test bestehen.«

»Was wir auf jeden Fall werden.«

»Aber was, wenn ich nicht das Richtige gelernt habe?«

»Fünf grundlegende Wendemanöver?«, stellte ich ihn auf die Probe.

»Spitzkehre rückwärts«, antwortete er sofort. »Ahlstrom-Looping, doppelter Schieber, Flügelkehre und Imban-Manöver.«

»DDF-Belastungsgrenzen für verschiedene Manöver?«

»10 g beim Aufsteigen oder Eindrehen, 15 g vorwärts, 4 beim Abtauchen.«

»Triebwerktyp bei einem Poco-Abfangjäger?«

»Welches Modell?«

»Das neueste.«

»A-19-Booster. Ja, das weiß ich alles, Spensa – aber was, wenn die Fragen nicht in der Prüfung drankommen? Was, wenn etwas kommt, das wir nicht gelernt haben?«

Da befiel mich doch ein leiser Hauch des Zweifels. Wir hatten zwar Übungstests geschrieben – aber was tatsächlich abgefragt wurde, änderte sich mit jedem Jahr. Es gab zwar immer Fragen zu Triebwerken, Jägerkomponenten und Manövern – theoretisch konnte aber alles drankommen, was wir je gelernt hatten.

Ich hatte ja eine Menge Fehlstunden. Trotzdem sagte ich mir, dass ich mir keine Sorgen zu machen brauchte. Beowulf hätte sich keine Sorgen gemacht – Selbstvertrauen war die Seele des Heldentums.

»Ich schreibe eine Eins, Rig. Du und ich, wir werden die besten Piloten der Defiant Defense Forces. So gut, dass sich allein bei unserem Anblick die Klage der Krell wie Rauch von einem Scheiterhaufen erhebt!«

Rig legte den Kopf schief.

»Zu dick aufgetragen?«, fragte ich.

»Woher nimmst du das nur?«

»Es klang nach dem, das Beowulf sagen würde.«

Rodge widmete sich wieder seinen Studien, und wahrscheinlich hätte ich mich ihm anschließen sollen. Doch ein Teil von mir hatte genug vom Lernen. Ich wollte nicht weiter versuchen, Sachen in mein Hirn zu stopfen. Ich wollte die Herausforderung endlich annehmen.

Leider lag noch ein weiterer Vortrag vor uns. Ich lauschte dem Geplapper der anderen Schüler, war aber nicht in der Stimmung, mich mit ihrer Dummheit auseinanderzusetzen. Stattdessen marschierte ich auf und ab wie ein Tier in seinem Käfig, bis ich bemerkte, dass Mrs. Vmeer und Alfir vom Sanitärkorps auf mich zukamen.

Sie trug einen hellgrünen Rock, doch was sie wirklich auszeichnete, war die silbrige Kadettennadel an ihrer Bluse. Die besagte, dass sie den Eignungstest bestanden hatte. An der Flugschule selbst schien sie gescheitert zu sein – sonst hätte sie eine goldene Pilotennadel –, aber das war nichts Ungewöhnliches. Und hier unten in Igneous war selbst eine Kadettennadel eine große Ehre, die Mrs. Vmeer besondere Kleidungs- und Essensprivilegien bescherte.

Sie war keine schlechte Lehrerin – sie behandelte mich nicht anders als die übrigen Schüler und sah mich auch nie abschätzig an. Ich mochte sie irgendwie, wenngleich ihre Tochter das reinste Geschöpf der Dunkelheit war, allenfalls wert, erschlagen zu werden, damit sich ihr Leichnam zu Tränken verarbeiten ließ.

»Spensa«, sagte Mrs. Vmeer. »Bürger Alfir möchte mit dir sprechen.«

Ich wappnete mich für Fragen nach meinem Vater. Alle wollten immer über ihn reden. Wie war es, die Tochter eines Feiglings zu sein? Würde ich mich nicht am liebsten verstecken? Hatte ich je eine Namensänderung erwogen? So was fragten besonders die Leute, die sich für einfühlsam hielten.

»Du sollst ja eine ganz schöne Entdeckerin sein«, sagte Alfir.

Ich war schon drauf und dran, ihm eine scharfe Erwiderung entgegenzuspucken, verkniff es mir aber.

»Du gehst zum Jagen in die Höhlen?«, fuhr er fort.

»Äh, ja. Ratten.«

»Leute wie dich können wir immer gebrauchen.«

»Beim Sanitärkorps?«

»Viele Maschinen, die wir warten, verlaufen durch weit entfernte Höhlen. Für die Expeditionen dorthin brauchen wir Leute, die was aushalten. Wenn du einen Job willst, biete ich dir einen an.«

Einen Job. Beim Sanitärkorps?

»Ich werde Pilotin«, platzte es aus mir heraus.

»Der Eignungstest ist schwer.« Alfir sah unsere Lehrerin an. »Nicht viele bestehen ihn. Ich biete dir eine sichere Stelle bei uns. Willst du es wirklich nicht in Betracht ziehen?«

»Nein danke.«

Mit einem Schulterzucken ging Alfir davon. Mrs. Vmeer musterte mich einen Moment, dann schüttelte sie den Kopf und ging die nächste Vortragende begrüßen.

Mit verschränkten Armen drückte ich mich an die Wand. Mrs. Vmeer wusste, dass ich Pilotin werden wollte. Wieso meinte sie, ich würde so ein Angebot annehmen? Und Alfir hätte gar nichts gewusst, wenn sie nichts gesagt hätte. Also was war hier los?

»Sie werden dich nicht Pilotin werden lassen«, sagte eine Stimme neben mir.

Ich blickte herab und merkte mit etwas Verspätung, dass ich neben Dia gelandet war. Das dunkelhaarige Mädchen saß auf dem Boden und lehnte sich gegen die Wand. Wieso unterhielt sie sich nicht mit den anderen?

»Ihnen bleibt gar keine Wahl«, entgegnete ich. »Den Test kann jeder ablegen.«

»Ablegen schon«, stimmte Dia zu. »Aber sie entscheiden, wer ihn besteht, und das läuft nicht immer fair ab. Die Kinder der Ersten Bürger bestehen automatisch.«

Ich betrachtete das Gemälde an der Wand. Wir hatten die Ersten Bürger in allen Klassenzimmern hängen. Und ja, ich wusste, dass ihre Kinder automatisch zur Flugschule zugelassen wurden. Sie hatten es verdient, weil ihre Eltern in der Schlacht von Alta gekämpft hatten.

Technisch gesehen hatte mein Vater das auch – aber ich verließ mich besser nicht darauf, dass mir das half. Man hatte mir stets versichert, dass ein gutes Testergebnis jedem, ungeachtet seines Stands, die Tür öffnete. Die Defiant Defense Forces – die DDF – kümmerte es nicht, wer man war, solange man nur fliegen konnte.

»Mir ist klar, dass ich nicht als Tochter eines Ersten zähle«, sagte ich. »Aber wenn ich bestehe, komme ich rein. Wie jede andere auch.«

»Genau darum geht es, du Spinnerin – du wirst auf keinen Fall bestehen, ganz egal. Meine Eltern haben gestern darüber geredet. Admiral Ironsides hat befohlen, dich abzuweisen. Du hast doch nicht ernsthaft geglaubt, sie würden Chasers Tochter für die DDF fliegen lassen?«

»Lügnerin!« Ich spürte mein Gesicht kalt vor Zorn werden. Sie versuchte mich nur wieder zu reizen, zu einem Ausbruch zu provozieren …

Dia zuckte die Achseln. »Du wirst schon sehen. Mir ist der Test egal – mein Vater hat mir einen Job im Verwaltungskorps besorgt.«

Ich zögerte. Das klang nicht nach ihren üblichen Beleidigungen. Es hatte nicht den boshaften Biss, die übliche Freude am Sticheln. Es … schien ihr wirklich wichtig zu sein, dass ich ihr glaubte.

Ich marschierte zu Mrs. Vmeer, die sich gerade mit der nächsten Rednerin unterhielt, eine Frau vom Algenzüchterkorps.

»Wir müssen uns unterhalten«, sagte ich.

»Einen Moment, Spensa.«

Ich blieb stehen, wo ich war, die Arme verschränkt, bis Mrs. Vmeer sich entschuldigte und mich seufzend beiseitenahm. »Was ist denn, Kind? Hast du dir Bürger Alfirs freundliches Angebot noch einmal überlegt?«

»Stimmt es, dass die Admiralin persönlich befohlen hat, dass ich den Test nicht bestehen darf?«

Mrs. Vmeer verengte die Augen zu Schlitzen und warf ihrer Tochter einen Blick zu.

»Stimmt das?«, wiederholte ich.

»Spensa.« Mrs. Vmeer sah mich an. »Du musst verstehen, wie heikel diese Angelegenheit ist. Die Reputation deines Vaters ist …«

»Stimmt es?«

Mrs. Vmeer presste die Lippen zusammen und gab keine Antwort.

»Dann ist also alles eine Lüge?«, rief ich. »Das ganze Gerede von Gleichheit und dass es nur auf das Können ankommt? Dass man den richtigen Platz für sich zum Dienen finden soll?«

»Es ist kompliziert.« Mrs. Vmeer senkte die Stimme. »Wieso lässt du den Test morgen nicht einfach sein und ersparst uns allen die Peinlichkeit? Lass uns lieber darüber reden, was gut für dich wäre. Wenn nicht das Sanitärkorps, dann vielleicht die Bodentruppen?«

»Damit ich den ganzen Tag Wachdienst schieben kann?« Ich wurde lauter. »Ich muss fliegen. Ich will mich beweisen!«

Mrs. Vmeer seufzte wieder, dann schüttelte sie den Kopf. »Tut mir leid, Spensa. Aber das stand nie zur Debatte. Ich wünschte, einer deiner Lehrer hätte den Mut gehabt, dich davon abzubringen, als du noch jünger warst.«

In diesem Moment brach alles über mir zusammen: meine Zukunftsträume, meine genauestens zusammenfantasierte Flucht vor einem Leben des Spotts.

Lügen. Lügen, die ich insgeheim immer gewittert hatte. Natürlich ließen sie mich diesen Test nicht bestehen. Natürlich war ich zu sehr eine Schande, als dass man mich fliegen lassen könnte.

Ich wollte toben. Ich wollte jemanden schlagen, etwas zerbrechen, schreien, bis mir die Lunge blutete.

Stattdessen eilte ich aus dem Raum, nur fort von den höhnischen Blicken der anderen Schüler.

3

Ich suchte Zuflucht in den stillen Höhlen. Ich wagte es nicht, zurück zu meiner Mutter und Großmutter zu gehen. Meine Mutter wäre fraglos froh – sie hatte ihren Mann an die Krell verloren, und die Aussicht, dass mich das gleiche Schicksal ereilte, jagte ihr Angst ein. Großmutter dagegen … sie würde mir raten zu kämpfen.

Nur – gegen wen? Das Militär wollte mich ja nicht.

Ich kam mir vor wie eine Idiotin. All die Jahre hatte ich mir weisgemacht, dass ich Pilotin werden würde, und in Wahrheit hatte ich nie eine Chance gehabt. Meine Lehrer mussten mich jahrelang hinter vorgehaltener Hand verlacht haben.

Ich durchquerte eine mir unbekannte Kaverne am äußeren Rand meiner bisherigen Erkundungen, Stunden von Igneous entfernt. Dennoch folgten mir die Scham und Wut auf Schritt und Tritt.

Was für eine Idiotin ich doch war.

Ich gelangte an einen Abgrund, kniete mich hin und aktivierte das Lichtseil meines Vaters. Laut Großmutter hatten wir diese Dinge nach Detritus mitgebracht; die Forscher und Krieger der alten Raumflotte hatten diese Ausrüstung benutzt. Ich hätte so etwas an sich gar nicht haben dürfen; alle dachten, dass das Armband mit meinem Vater zerstört worden war.

Ich legte das Handgelenk auf den Fels und tippte ein weiteres Mal mit den Fingern. Dieser Befehl verband das energetische Seil mit dem Gestein.

Eine Dreifingergeste ließ mehr Seil heraus. Solcherart kletterte ich, das Seil in den Händen, über den Rand und ließ mich zum Boden herab. Sobald ich sicheren Stand hatte, löste ein weiterer Befehl das obere Seilende und ließ es zurück in das Armband schnellen. Ich wusste nicht genau, wie es funktionierte – bloß, dass ich es alle ein, zwei Monate aufladen musste, was ich stets in aller Heimlichkeit tat.

Ich kroch in eine Höhle mit Kurdi-Pilzen. Sie schmeckten widerlich, waren aber essbar – und Ratten liebten sie. Ein hervorragendes Jagdgebiet. Ich löschte meine Lampe, ließ mich nieder und wartete lauschend.

Ich hatte die Dunkelheit nie gefürchtet. Ich dachte an die Übung, die Großmutter mir beigebracht hatte, bei der ich zu den singenden Sternen flog. Als Kämpferin durfte man das Dunkel nicht fürchten. Und ich war eine Kämpferin.

Ich war … ich würde … ich wollte so gern eine Pilotin werden …

Ich hob den Kopf und drängte das Gefühl des Verlusts zurück. Stattdessen schwebte ich – hinauf zu den Sternen. Und wieder war mir, als hörte ich einen fernen Ruf – fast wie Flötenklang.

Ein Scharren riss mich ins Hier und Jetzt zurück: Rattenkrallen auf Stein. Automatisch hob ich die Harpune und ließ ein klitzekleines bisschen Licht aus meinem Armband.

Panisch fuhr die Ratte zu mir herum. Mein Finger bebte am Abzug, doch ich schoss nicht, als sie Reißaus nahm. Was für eine Rolle spielte es auch? Wollte ich wirklich weiter mein Leben führen, als ob nichts gewesen wäre?

Üblicherweise lenkte das Höhlenerkunden mich von meinen Problemen ab. Heute riefen sich die Probleme ständig in Erinnerung, wie ein Stein im Schuh. Denkst du auch dran? Dass man dir gerade deine Träume stahl?

Ich fühlte mich wie in den ersten Tagen nach dem Tod meines Vaters. Als mich jeder Moment, jeder Gegenstand, jedes Wort an ihn und das jähe Loch in meiner Brust erinnert hatte.

Seufzend befestigte ich das Ende meines Lichtseils an der Harpune, damit es sich mit der nächsten Oberfläche verband, die es berührte. Ich zielte auf den oberen Rand einer weiteren Felswand und schoss. Das gewichtlose, leuchtende Seil hing bereit. Ich steckte die klappernde Harpune in die Schlaufen auf meinem Rücken und kletterte hinauf.

Als Kind hatte ich mir ausgemalt, dass mein Vater den Abschuss überlebt hatte. Dass er in diesen endlosen, unerkundeten Tunneln gefangen gehalten wurde. Ich stellte mir vor, ihn zu retten, so wie eine Figur aus Großmutters Geschichten das täte. Gilgamesch oder Jeanne d’Arc, oder Tarzan von Greystoke. Ein Held.

Die Kaverne bebte leicht, als entrüstete sie sich, und Staub fiel von der Decke. Ein Einschlag auf der Oberfläche.

Das war knapp. War ich zu weit nach oben geklettert? Ich konsultierte meine handgezeichneten Karten. Inzwischen war ich ganz schön lange unterwegs. Mehrere Stunden bestimmt. Ein paar Kavernen weiter hinten hatte ich kurz gedöst …

Ich sah auf die Uhr an meinem Armband. Es war schon der nächste Tag, fast Mittag – am Abend würde der Test stattfinden. Wahrscheinlich hätte ich umkehren sollen. Mutter und Großmutter würden sich Sorgen machen, wenn ich nicht zum Test auftauchte.

Zur Hölle mit dem Test. Ich malte mir die Demütigung aus, am Eingang abgewiesen zu werden. Durch eine enge Öffnung zwängte ich mich in den Tunnel über mir. Hier in den Höhlen war meine Größe ausnahmsweise von Vorteil.

Ein weiterer Einschlag erschütterte die Kaverne. So viel Geröll, wie da herabfiel, war es definitiv eine dumme Idee, bis zur Oberfläche zu klettern. Mir war das egal. Ich war in leichtfertiger Stimmung. Ich spürte, ja hörte fast, wie etwas mich antrieb. Also kletterte ich weiter, bis ich einen Spalt in der Decke erreichte. Licht drang herein, ein gleichförmiges, steriles Weiß. Dazu kühle, trockene Luft – ein gutes Zeichen. Ich schob meine Sachen vor mir her, schlängelte mich durch die Öffnung und hinaus ins Licht.

Die Oberfläche. Ich blickte auf und sah den Himmel. Wie immer verschlug es mir den Atem.

Eine ferne Himmelsleuchte beschien Teile der Gegend, und über mir funkelte ein Trümmerregen, strahlende Linien, Schnitten gleich. Eine Formation von drei Scouts sah sich die Sache näher an. Solche Trümmer waren Teile von Schiffen und anderem Weltraumschrott, aus denen sich oft noch Wertvolles bergen ließ. Sie brachten aber auch unser Radar durcheinander und konnten einen Krellvorstoß verschleiern.

Ich stand im blaugrauen Staub, spürte den selten gefühlten Wind auf meinen Wangen und gab mich der Ehrfurcht hin. Ich war in der Nähe von Alta herausgekommen; ich sah die Basis nur etwa eine halbe Stunde entfernt. Da die Krell nun wussten, wo wir waren, gab es keinen Grund mehr, die Basis zu verstecken, und so hatte sie sich von einem geheimen Bunker zu mehreren großen, befestigten Bauten gewandelt, verteidigt von Abwehrgeschützen und einem unsichtbaren Schild.

Vor den Mauern von Alta bestellten Menschen ein kleines Gelände. Das hatte mich immer gewundert: Bäume und Felder – was sollte das werden? Versuchten sie, auf diesem kargen Boden Essen anzubauen?

Ich wagte es nicht, mich weiter zu nähern. Die Wachen würden mich für einen Plünderer aus einer abgelegenen Höhle halten. Dennoch hatten das kräftige Grün der Felder und die trotzigen Mauern der Basis etwas Dramatisches. Alta war ein Beweis unserer Entschlossenheit. Drei Generationen lang hatte sich die Menschheit wie Ratten auf diesem Planeten versteckt – doch die Zeit des Versteckens war vorbei.

Die Scouts kehrten nach Alta zurück, und ich folgte ihnen einen Schritt. Stecke du dir deine Ziele höher, hatte mein Vater gesagt. Strebe nach mehr …

Und wohin hatte mich das geführt?

Ich schulterte meinen Rucksack und meine Harpune und machte mich in die andere Richtung auf. In der Nähe hatte ich schon einmal einen anderen Zugang gefunden; mit ein wenig Glück konnte ich vielleicht ein paar meiner Karten verbinden. Doch als ich ankam, musste ich feststellen, dass die Höhle komplett eingestürzt war.

Nicht weit entfernt kamen ein paar Trümmer herab und wirbelten Staubwolken auf. Ich blickte auf und sah noch weitere Brocken über den Himmel ziehen, glühende Metallstücke …

Die direkt in meine Richtung fielen.

Dreck!

Ich rannte den Weg zurück, den ich gekommen war.

Nein. Neinneinneinneinnein! Es donnerte in der Luft, und ich spürte die Hitze der näher kommenden Bruchstücke.

Da! Ich entdeckte einen kleinen Höhleneingang – fast nur eine Spalte. Ich warf mich hinein, rutschte und schlitterte ins Innere.

Hinter mir erklang ein gewaltiges Krachen, das den ganzen Planeten zu erschüttern schien. Panisch aktivierte ich mein Lichtseil und schlug die Hand auf den Stein, dann stürzte ich auch schon in das wirbelnde Chaos. Das Seil riss mich zurück, während Felssplitter und Steine um mich flogen. Die Höhle erbebte.

Dann wurde alles still. Ich blinzelte den Staub aus den Augen und stellte fest, dass ich an meinem Seil inmitten einer zehn bis fünfzehn Meter hohen Höhle baumelte. Dabei hatte ich meinen Rucksack verloren, und den Arm hatte ich mir auch böse aufgeschürft.

Super. Ganz toll gemacht, Spensa. Das kommt dabei raus, wenn man die Beherrschung verliert. Stöhnend, mit schmerzendem Kopf tippte ich mir auf die Hand, um das Seil zu verlängern und mich zum Boden herabzulassen.

Dort brach ich zusammen und schnappte nach Luft. In der Ferne hörte ich noch weitere Einschläge, doch sie entfernten sich.

Schließlich kämpfte ich mich auf die Beine und klopfte mir den Staub ab. Aus einem nahen Geröllhaufen sah ich einen Gurt meines Rucksacks ragen. Ich befreite ihn und sah nach der Feldflasche und meinen Karten. Denen schien es gut zu gehen.

Mit meiner Harpune verhielt es sich anders. Ich fand den Schaft, doch vom Rest nicht mehr viel. Wahrscheinlich war er ebenfalls unter Geröll begraben.

An einen Stein gelehnt, sackte ich zusammen. Ich wusste ja, dass man während eines Trümmerregens nicht an die Oberfläche ging. Ich hatte praktisch darum gebettelt, dass mir so was passierte.

Da hörte ich ein Krabbeln. Eine Ratte? Reflexartig hob ich den Harpunenschaft und kam mir doppelt dumm dabei vor. Dennoch zwang ich mich aufzustehen, schulterte meinen Rucksack und machte Licht mit meinem Armband. Ein Schatten huschte davon, und ich folgte ihm mit leichtem Hinken. Vielleicht fand ich ja einen anderen Ausgang.

Ich hob das Armband und erhellte die Höhle. Weiter voraus traf das Licht auf eine reflektierende Oberfläche. Metall? Eine Wasserleitung vielleicht? Ich lief darauf zu.

Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, was ich da vor mir sah. Dort – in der Ecke der Höhle verborgen, umgeben von Schutt – war ein Schiff.

4

Es war ein Raumjäger.

Er sah alt aus und war mir vom Design her völlig unvertraut. Seine Spannweite war größer als die der DDF-Schiffe; rasiermesserscharfe Flügel von der Form eines bösen W rahmten das alte, staubbedeckte Cockpit in der Mitte. Der Flugring, der Jägern ihren Auftrieb verlieh,, war unter ihm im Geröll vergraben, doch soweit ich sehen konnte, unzerstört.

Einen Moment lang vergaß ich den Test. Ein Schiff.

Wie lange lag es schon hier, dass es so tief in Geröll und Staub versunken war? Ein Flügel war fast zu Boden gedrückt, von einem Einsturz wahrscheinlich, und das Hecktriebwerk war eine einzige Katastrophe.

Ich kannte das Modell nicht. Das war unglaublich. Ich kannte jedesDDF-Design, jedes Krellschiff und die umherziehenden Handelsschiffe der Nomadenclans. Ich hatte sogar die alten Schiffe studiert, mit denen wir in den ersten Jahrzehnten nach dem Absturz auf Detritus geflogen waren.

All diese Schiffe konnte ich praktisch im Schlaf herunterbeten und aus dem Gedächtnis zeichnen. Aber dieses Design hatte ich noch nie gesehen. Ich setzte meinen Rucksack ab und kletterte ganz vorsichtig auf den herabgebogenen Flügel. Mein Armband gab mir Licht, während ich mit den Stiefeln den festgebackenen Staub abschabte und die verkratzte, metallische Oberfläche freilegte. Gerade diese Seite des Schiffs war arg mitgenommen.

Es ist hier notgelandet, dachte ich. Vor langer Zeit.

Ich kletterte näher ans kreisrunde Cockpit. Das gläserne Verdeck – wahrscheinlich eher eine Kunststoffverbindung – war bemerkenswert intakt. Das Schiff hatte wohl schon seit Generationen nicht mehr genug Energie, das Cockpit zu öffnen, aber ich fand den manuellen Riegel genau da, wo ich ihn erwartete. Als ich den Staub abstrich, entdeckte ich Buchstaben: NOTENTRIEGELUNG stand dort auf Englisch.

Das Schiff war also wirklich ein Menschenschiff. Dann musste es alt sein – vielleicht so alt wie die Apparatur und der Trümmergürtel.

Vergeblich riss ich an dem kleinen Hebel. Das Ding klemmte. Die Hände in die Hüften gestemmt, erwog ich, das Cockpit aufzubrechen – doch das wäre eine Schande gewesen. Dieses Ding war antik und gehörte eigentlich auf einen Sockel im Schiffsmuseum von Igneous, wo wir die Helden der Vergangenheit ehrten. Immerhin sah ich kein Gerippe im Cockpit, also war der Pilot entweder entkommen, oder das Schiff lag schon so lange hier, dass die Knochen zu Staub zerfallen waren.

Alles gut. Wir müssen hier mit sehr viel Feingefühl vorgehen. Das konnte ich – ich hatte massig Feingefühl. Eigentlich immer.

Ich befestigte ein Ende meines Lichtseils an dem Hebel, dann kletterte ich quer über das Schiff zum halb verschütteten Heck und befestigte das andere Ende an einem Felsen. Dadurch trennte ich den Energiestrang komplett von meinem Armband, das erlosch. Das Seil aber funktionierte ein bis zwei Stunden auch ohne Energieversorgung.