Der Baron Bagge - Alexander Lernet-Holenia - E-Book

Der Baron Bagge E-Book

Alexander Lernet-Holenia

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Beschreibung

Winter 1915, Erster Weltkrieg. Der österreichische Baron Bagge reitet in den nördlichen Karpaten am Schluß einer Schwadron. Auf einer Brücke kommt es zum Gefecht, das die angreifenden Reiter für sich entscheiden können. Doch die weiteren Geschehnisse nehmen einen unerwarteten Verlauf. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Alexander Lernet-Holenia

Der Baron Bagge

Novelle

FISCHER Digital

Mit einem Nachwort von Hilde Spiel

Inhalt

Vor kurzem, während eines [...]Es ist leider nur [...]Ich bin auch, lang [...]Nachwort

Vor kurzem, während eines Empfanges beim Akkerbauminister, geriet ein gewisser Baron Bagge in Wortwechsel mit einem jungen Herrn von Farago, einem noch unreifen und aufbrausenden Menschen, der sich’s auf einmal, in lauter und aufsehenerregender Weise, verbat, daß Bagge mit seiner, Faragos, Schwester rede. Der Baron ersuchte einen zufällig anwesenden Major meines Regiments, ihn zu vertreten, und der Major, seinerseits, schlug als zweiten Vertreter mich vor. Die Gegner meinten zwar sich auf den Standpunkt stellen zu können, Farago sei berechtigt gewesen, seine Schwester zu schützen. Denn Bagge habe schon die Leben zweier Frauen auf dem Gewissen. Das war uns neu. Überhaupt wußten wir von der Vergangenheit Bagges, der fast ausschließlich auf einem entlegenen Gut, Ottmanach, in Kärnten, lebte, wenig oder nichts. Doch erklärten wir, auch gar nicht befugt zu sein, darauf einzugehen, Angelegenheiten so privater Natur, offiziell noch dazu so unbeweisbare, gehörten einfach nicht hierher, und so blieb Farago schließlich nichts übrig, als sich zu entschuldigen. Bagge hörte die Entschuldigung mit zerstreutem und geistesabwesendem Ausdruck an, dann verbeugte er sich, und wir gingen. In der Folge aber mochte er sich verpflichtet fühlen, mir einige Erklärungen zu geben, und er erzählte mir seine Geschichte.

Es ist leider nur zu wahr, sagte er, daß jene beiden beklagenswerten Geschöpfe, von denen die Rede gewesen ist, sich das Leben genommen haben, und man sagt, es sei um meinetwillen geschehen. Ich aber bin in Wahrheit nicht schuld daran! Weder kann ich mir schmeicheln, sonderlich vorteilhaft auszusehen, noch etwa, eigentlich reich zu sein, noch hatte ich mich, seit langem schon, um irgendwelche Frauen überhaupt bemüht. Im Gegenteil: wenn ich merkte, daß ich der einen oder der andern nicht mehr ganz gleichgültig sei, so versuchte ich, mich zurückzuziehen, und erklärte ausdrücklich, an eine Heirat nicht zu denken. Dennoch bestand von jenen beiden wohl in einer Art weiblichen Zwangsreflexes, zuerst die eine und dann die andere auf dieser Heirat, und das um so mehr, als sie vielleicht ahnten, daß ich sie gar nicht heiraten könne. Denn ich war eigentlich schon verheiratet, und das kam so:

Wenngleich der Beginn des Krieges mich auf Reisen, in Mittelamerika, überrascht hatte – denn ich wollte der Eröffnung des Panamakanals beiwohnen und vorher die Antillen besuchen –, so gelang es mir doch noch, auf einem holländischen Schiff nach Europa zurückzukommen, und ich machte den Anfang des Feldzuges gegen Rußland im Dragonerregiment Marquis und Graf von Gondola mit. Zu Beginn des Jahres 1915 war, unter dem ungeheuren Druck der Armeen des Großfürsten Nikolaj, unsere Front über die Karpaten bis in die ungarische Ebene zurückgedrückt worden und hatte sich zum Teil, durch Verluste und winterliche Strapazen, sogar auch schon aufgelöst. Im Februar aber ging man daran, sie neu zu bilden. Frische Truppenmassen wurden hauptsächlich um Munkatsch und Nireghaza zusammengezogen. Als der Vormarsch beginnen sollte, erhielt meine Division Befehl, von Tokaj aus nach Norden zu aufzuklären.

Bei Tokaj ragt, als letzter Ausläufer der Karpaten, ein mit Weinbergen bedeckter, erloschener Vulkan, wie ein verstummter Mund der Unterwelt, in die Ebene. Die Division, die, außer aus Gondola- und Graf-Scherffenberg-Dragonern, aus den Ulanenregimentern de la Ost und Großherzog von Toskana bestand, war teils in Tokaj selbst, teils in den umliegenden Dörfern einquartiert. Ich stand, als Oberleutnant, bei der vierten Schwadron oder Eskadron, wie man damals noch sagte, meines Regiments, unter einem Herrn von Semler zu Wasserneuburg als Rittmeister und mit den Leutnants J. Hamilton, einem Amerikaner – denn die Vereinigten Staaten hatten uns damals noch nicht den Krieg erklärt –, und einem gewissen Karl Maltitz, einem noch sehr jungen Menschen, als weiteren Offizieren. Die Mannschaft, meist noch guter Friedensbestand, setzte sich größtenteils aus galizischen Polen, doch auch aus bukowinischen Deutschen und Rumänen zusammen.

Semler galt für einen fahrigen und unberechenbaren Charakter, und es gab Leute, die sogar schlechtweg behaupteten, er sei einfach ein Narr. Auf jeden Fall mochte das Leben in den kleinen polnischen Garnisonen, in denen das Regiment während der letzten Jahre gelegen, die Langeweile dortselbst und das viele Trinken ihm nicht gut getan haben und auf die Nerven gefallen sein. Zudem war er erblich wohl auch irgendwie belastet. Meine Mutter zumindest behauptete es. Sie kannte die Semlers von Kärnten her. Meine Mutter war auch der Anlaß, aus dem mein Vater, der ursprünglich in preußischen Diensten gestanden, überhaupt nach Kärnten zog und, seit seiner Verheiratung, meist in Ottmanach lebte. Ottmanach ist aus dem Besitz meiner Mutter. Sie kannte die Semlers gut. Wasserneuburg oder Wasserleonburg, wie es auch heißt und woher sie sind, liegt nicht weiter von Ottmanach als eine Tagesfahrt im Wagen. Man erzählte sich eine Menge Geistergeschichten von Wasserneuburg. Allein Geistergeschichten in einer Familie bedeuten im allgemeinen bloß, daß mit dem Geisteszustand der Familie selbst irgend etwas in Unordnung sei. Bei den Semlers soll die Überspanntheit durch eine gewisse Frau von Neumann in die Familie gekommen sein. Die Neumann, heißt es, brachte nacheinander fünf oder sechs ihrer Männer um, bis irgendein Auersperg oder Lobkowitz Herr über sie wurde. Man hat mir das, als ich klein war, oft erzählt. Doch sind es vielleicht wirklich bloß Kindergeschichten gewesen. Äußerlich jedenfalls merkte man Semler den Spleen durchaus nicht an. Er konnte sogar sehr liebenswürdig sein. Aber in kritischen Momenten wurde er plötzlich ganz unberechenbar. Das sollte sich denn auch alsbald erweisen. Er wurde nicht nur schuld an seinem eigenen Tode, sondern auch am Tod Hamiltons, Maltitz’ und an dem von hundertundzwanzig Unteroffizieren und Dragonern. Auch an meinem Tod wäre er um ein Haar schuld geworden. Aber vielleicht war es doch nicht so, daß er wirklich schuld war. Vielleicht war seine Narrheit bloß irgendein Mittel zu irgendeinem Zweck. Vielleicht war die Katastrophe, in die er seine Schwadron geführt hat, die Opferung dieser ganzen Hekatombe von Menschen und Rossen, nur dazu da, damit etwas, das im Bereiche des Lebens, weil es dazu zu spät war, nicht mehr geschehen konnte, nach dem Leben geschehe, im Tode also, würde man sagen, – aber es geschah doch nicht eigentlich im Tod, sondern in jener Zeit und in jenem Raum, die zwischen dem Sterben und dem wirklichen Totsein liegen. Denn daß es da ein Intervall gebe, halten viele für sicher. Nach einigen währt es nur Augenblicke, nach andern Tage, äußerstenfalls, sagt man, neune. Sonst hätte man doch auch, zumindest früher, die Toten schneller begraben oder verbrannt. Aber es gab Zeiten, in denen man über eine Woche wartete, ehe man sie bestattete, im ältesten Rußland zum Beispiel. Allein was ist der wirkliche Unterschied zwischen Augenblicken und Wochen … Ich glaube, du verstehst mich nicht ganz, nicht wahr? Ich will aber versuchen, dir’s zu erklären. Doch ist es am besten, ich erkläre dir’s, indem ich dir erzähle, wie alles geschehen ist. Ich habe aber noch von Hamilton und von Maltitz zu reden. Hamilton, wie gesagt, war Amerikaner, aus einer der sogenannten alten Familien im Süden, aus Kentucky, glaube ich. Oder liegt Kentucky nicht im Süden? Ich weiß es nicht genau. Ich bin, wie gesagt, zwar auf den Antillen, aber nicht in den Staaten gewesen. Hamilton war groß, knochig und über seine Jahre gereift. Für Frauen hatte er, wie es schien, nicht viel übrig. Statt dessen trank er ziemlich reichlich und war dann äußerst unterhaltend. Meist trank er mit Semler. Nur vertrug er’s, und Semler vertrug es nicht. Hamilton versorgte auch das ganze übrige Regiment mit ausgezeichnetem Whisky, den wir um diese Zeit nur mehr schwer bekamen, er aber bezog ihn noch, über die Schweiz, aus Schottland. Er galt auch für recht vermögend. Warum er übrigens in den Krieg gegangen, war nicht ganz klar. Vermutlich, weil er sehr männlich war, oder aus Sinn für männliche Taten und aus Kameradschaftlichkeit, selbst für die Männer eines ganz andern Volkes. Allerdings machen die Frauen der angelsächsischen Rasse, glaube ich, so viele Schwierigkeiten und sind, besonders in Amerika, derart auf Erpressungen und Geld aus, daß die Männer es dort leicht haben, männlich zu werden. Maltitz aber war gar nicht männlich. Er war noch ein Kind. Um ihn, wenngleich ich eigentlich immer nur ein paar Worte mit ihm gesprochen habe, ist mir auch mehr leid als um alle die andern. Ich sehe sie übrigens noch oft vor mir: Semler auf einem hohen Halbblut, einem Dunkelbraunen, den Pelzkragen aufgestellt und die Goldschnüre drumgewickelt, die Zügel über den Arm gehängt und die Hände, weil er an den Fingern fror, in den Taschen, weit vor der Schwadron haltend und vor sich hinbrütend, der eiskalte Rückenwind wehte dem Braunen den Schweif an die Kruppe und an die Hinterbeine, und überhaupt war es immer so, als würde dieser Rittmeister und als würden wir alle von etwas, das unsichtbar war wie der Wind, irgendwohin geweht; Hamilton hatte den hohen, grau überzogenen Helm, den wir damals noch trugen, immer irgendwie ein wenig auf dem Hinterkopf auf, etwa wie die Amerikaner auf Bildern aus dem Anfang des vorigen Jahrhunderts ihre Zylinder; und ich sehe Maltitz’ verfrorenes Kindergesicht wieder und die ein wenig stumpfen slawischen Bauerngesichter der Chargen und Mannschaften in ihren damals noch farbigen Uniformen, unter die sich nur hin und wieder erst hechtgraues Tuch gedrängt, alle vermummt in ihre Pelze und Schneehauben, in hochüberpackten Sätteln, auf zottigen Pferden in spannenlangem Winterhaar … Sie sind alle dahin, alle zugleich. In Wahrheit, wollte einer die Schwadron wieder ausgraben, wo sie verscharrt und verfault liegt, so würde, bis auf mich und drei oder vier Reiter, keiner fehlen, kein Mann und kein Pferd, keine Waffe, nichts, kein Hufeisen, kein Riemen, keine Eßschale, keine Schnalle am Sattel, aber die Wirklichkeit wäre nicht deutlicher als meine Erinnerung, denn es ist, als hätten die Geschehnisse jede Linie mir mit glühenden Nadeln in die Augen geschrieben, und ich vergesse nichts und werde es nicht vergessen, nie, niemals!

 

Bagge schwieg einen Augenblick lang und blickte vor sich ins Leere, dann fuhr er fort:

Am 26. Februar, gegen Mittag, ward die Schwadron alarmiert und erhielt Order, als Nachrichtendetachement, der Division und der Armee vorauf, nach Norden aufzuklären. Denn im Südwärtsweichen hatten unsere Truppen sich vom Feinde gelöst, und im Raum zwischen uns und dem Gebirge waren seine Positionen nun unbekannt. Gleichzeitig erhielt auch von den anderen Regimentern je eine Schwadron Befehl, jede auf gewisse Distanz von der andern, gegen die Karpaten aufklärend vorzudringen. Die Division sollte alsbald folgen. In der Tat wimmelte, als wir zu Pferde aufsaßen, die Ebene rings um Tokaj von den diversen Formationen der aus ihren Quartieren rückenden und sich sammelnden Regimenter. Die einzelnen Reiter sahen, auf Entfernung, aus wie kleine, nach rückwärts abfallende Dreiecke, und von den vielen roten Hosen schien das Schneefeld wie mit winzigen Bluttropfen übersprüht. Schwach, wie fernes Krähen von Hähnen, schwebte das Blasen der Trompeten mit dem Winde daher.

Als wir aufbrachen, taute es, und selbst einige wenige Sonnenstrahlen fielen, wie schräge Stürze funkelnden Messings, über die Ebene. Dann verschwand die Sonne wieder, und ich habe sie auch während dieses ganzen Rittes nicht mehr gesehen. Es trübte sich ein und ward zugleich um ein geringes kälter. Dünne Nebelschleier spannen über den gefrorenen Sümpfen und dem Bodrog-Fluß. Die Wolken aber bekamen eine wollige, schwarzblaue Farbe. Wir nahmen an, daß es alsbald schneien werde.

Die Schwadron, die, weil sie ihren Train und die Küche zurückgelassen hatte, mit Gepäck, Proviant und Futterrationen überladen war, begann auf der Straße gegen Scharoschpatak dahinzutraben und passierte binnen kurzem die Stelle am Fuße der Weinberge, wo der Divisionär, Feldmarschalleutnant von Coulant zu Kolb, mit seinem Stabe hielt. Es leuchtete der Scharlach seiner Sattelgurte und des Futters in seinem offenen Mantel. An seinem Halse hing ein hoher Orden. Der Stab sah gepflegt und rasiert aus, und die Schnallen der Pferderüstungen blitzten.

Hinter der Front, bis Schatoralja-Ujhely, das wir gegen vier Uhr am Nachmittage erreichten, ging der Marsch ohne Zwischenfälle vor sich, wenngleich die Straße von Artillerie und Kriegsgeräten erfüllt war. Nun aber gelangten wir an die endlos von Osten nach Westen sich hinziehenden Linien unserer flüchtig eingegrabenen Infanterie, und obwohl es hier hieß, es sei vom Feinde noch nichts zu sehen, so konnte er doch, indem wir weiter vordrangen, jeden Augenblick vor uns auftauchen. Wir sendeten also eine Vorpatrouille und seitliche Sicherungen aus und übersprangen die Infanteriestellungen. Unten, in den Gräben, erhielt die Mannschaft eben die Abendmenage, die Fahrküchen waren herangekommen, und es roch nach Rauch und Kaffee. Einige spanische Reiter wurden, damit wir passieren könnten, zur Seite gerückt, dann setzten wir unseren Weg fort. Die Leute in den vorgeschobenen Feldwachen sahen uns schweigend nach, wie wir, im Stil eigentlich längst schon vergangener Zeit, und antiquiert gekleidet und bewaffnet, ins Ungewisse ritten, nun blieb auch das zurück, und nur mehr große Krähenschwärme flogen aus dem öden Vorfeld vor den Stellungen kreischend vor uns auf. Linker Hand hatten wir noch immer Hügel und bräunliche Weinberge, rechter Hand die verschneite Ebene, auf der die Ziehbrunnen ragten. Ganz zur Rechten, in der Ferne, sahen wir auch wiederum einen kleinen, erloschenen Vulkan.