Fragmente aus verlorenen Sommern - Alexander Lernet-Holenia - E-Book

Fragmente aus verlorenen Sommern E-Book

Alexander Lernet-Holenia

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Beschreibung

Beginnend mit dem an Hölderlin orientierten Band ›Das Geheimnis Sankt Michaels‹ (1927) über die balladesken Gedichte aus ›Die Goldene Horde‹ (1935) bis zum Großgedicht ›Germanien‹ (1946) und Lernets letzter Lyriksammlung zu Lebzeiten, ›Das Feuer‹ (1949), reicht die Auswahl, die sich, wie Rüdiger Görner in seinem Nachwort schreibt, »vom mythischen Bild zum Minnesang bis zur Welt ›neumexikanischer‹ Schlagerkomponisten« spannt. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Seitenzahl: 70

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Alexander Lernet-Holenia

Fragmente aus verlorenen Sommern

Gedichte

Herausgegeben von Rüdiger Görner

FISCHER Digital

Nachwort von Rüdiger Görner

Inhalt

ProömiumI Mythische BilderTötung des AmaziasDie Weissagung des TeiresiasTodesfahrtDer Tod ArthursLinosLazarusHimmelfahrt Henochs, ein FragmentDer bethlehemitische KindermordAriels GesangDie BilderII Gefilde und JahreszeitenDie StadtDer FrühlingDer SommertagDer HerbstFragmente aus verlorenen SommernDas LandDas GewitterDie MondbergeDer KirchhofLuzkDie AlpenWenn die Wildgänse schreienVenezianisches LiedIII GermanienIV Anrufungen und NachtgedankenAn einen SchattenAn FoscoloAn die HoffnungAnrufungAn ÖsterreichAn ShelleyAn Giacomo LeopardiAn Gottfried BennNach Walter John de la MareFragmente nach Robert BrowningV VereinzelndeDie AlteDie unglückliche LiebendeErwachendes MädchenDer SchreibendeLa Comtesse de Dye:Der SterbendeBoccaccio da Certaldo: Das Tanzlied der EmiliaJohannes von PatmosIm Rattern des ZugsAsoka’s LiebesliedDie Trophae (III)GrabschriftRüdiger Görner: Nach-Worte. Über die melancholisch-lyrische Formlust des Alexander Lernet-Holenia

Proömium

Hilf mir, Göttin, den Gott zu singen, welcher von Anfang

war und das Wort war. Denn das Wort war bei Gott, und

Gott war das Wort; dasselbige war im

Anfang bei Gott. Und ward Fleisch und wohnte bei uns, doch wir haben’s

nicht begriffen; und nahm die Sünden der Welt

auf sich und trug sie, aber die Welt hat’s

nicht begriffen; und brachte sich selbst

den Menschen zum Opfer, aber die Menschen haben’s

nicht begriffen und es mit Dornen gekrönt und gegeißelt

und im Purpur verspottet

und am Kreuze erhöht. Die Himmel verhüllten ihr Antlitz

in Finsternis. Gott aber rufte vom Kreuz; und sie glaubten,

daß ihn dürste, und reichten

ihm einen Schwamm, getränkt in Essig. Und abermals

schrie er mit schrecklicher Stimme. Dann starb er. Die Erde

bebte, und von den entheiligten Höhen Morias

stob der Staub: es zerriß der Vorhang im Tempel; der Boden

barst, die Berge spalteten sich, und die Gräber

gaben die Toten zurück; und das Meer gab

seine Toten wieder zurück; und die Hölle

gab ihre Toten zurücke. Es stand die

Schöpfung still. So vollbracht’ er das immerwährende Opfer.

Schrecken hatte die Kreaturen befallen. Sie bargen die Züge

ihres verstörten Gesichts in den Schoß der Natur.

Selbst die Blumen ergriff es. Sie fühlten, die Frühlings-

blumen, die Schuldlosen, fühlten die große Verwandtschaft,

die sich dem Boden entwand,

ahnten die Mitschuld. Schauer befielen die Wiesen,

und es hatte die Blüte der Weiden noch nie so gefroren.

Wasser weinten um den Gekreuzigten. Selber die Erde

bebte noch nach wie ein Leib, als er sich selbst auf dem hohen

Golgatha leerließ und in ihr Innerstes eindrang.

Er, der sich schon aus dem Äther zu den Geschöpfen

niedergesenkt, nun stürzt’ er noch weiter. Wälder

durchstieß er, träufende, nach unsäglichen Mustern gewund’ne

Klüfte sprengte er auf und warf die Felsen beiseite, die eh’rnen

Pforten zerbrach er des Abgrunds, und von unzähligen Rängen

heulte die Hölle ihn an …

I Mythische Bilder

Tötung des Amazias

O, schon am Fenster in der Früh, ihm war:

der Garten ging, ein Schauspiel aufzuführen.

Er hörte viele Stimmen, wie von Tieren.

Ihm schien, er hätte zu viel Wind im Haar.

Als ob es ihn an schwere Kindheit mahnte

und es verbürg sich hinter jedem Ding:

da bat er um die tröstende Verwandte,

die immer da war, bis es ihm verging

wie damals. Und der Schreck des Überfalls

befiel ihn plötzlich und schuf ihn noch kleiner

und weinender in seiner Furchtsamkeit.

Da war es schon wie Tröstung. Aber als

sie ihn erstachen, starb er wie nach einer

ganz unverstandnen Kinderzeit.

Die Weissagung des Teiresias

Als Odysseus die Kirke verlassen hatte, fuhr er zu Schiff nach Norden bis an das Ende des Ozeans. Dort, an einem niedrigen, mit Erlen, Pappeln und Weiden bestandenen Ufer, zogen er und seine Gefährten das Schiff ans Land, gruben eine Grube von einer Elle im Geviert, schlachteten zwei Schafe und ließen das Blut in die Grube fließen. Da kamen aus dem Erebos viele Seelen der Toten herauf, auch des Teiresias, des Sehers, Seele kam und trank von dem Blut aus der Grube. Odysseus fragte den Teiresias, wann er heimkehren werde und wie er heimkehren werde. Da erwiderte Teiresias:

Glaubst du wirklich, ich sagte dir’s,

was du zu hören liebst,

weil du uns vom Blut eines Tiers

etwas zu trinken gibst?

Hast du plötzlich keine Lust

mehr auf die Gefahr?

Bist du fort und hast nicht gewußt,

daß es für immer war?

Jahrelang überstandest du.

Plötzlich fällt dir ein

wiederzukehren? Ach, wozu!

Alles wird anders sein.

Wenn du auch krank vor Heimweh bist

und dein Herz verdorrt,

immer, wenn einer fortgeht, ist

er für immer fort.

Träumtest du auch vor dich hin

über dem Wellenschlag,

wie daheim die Wiese im

Sommernachmittag

weht, und daß der Birnbaum hoch

hängt darüber her,

ach, die Wiese ist ja doch

längst die Wiese nicht mehr,

ach, der Wald nicht der Wald mehr, ach,

nicht dein Haus mehr dein Haus!

Leise weinet nur der Bach,

Wind geht ein und aus,

und in dem, was dir gehört,

bist du ich weiß nicht wer, –

immer, wenn einer wiederkehrt,

kennt ihn keiner mehr.

Auch an dein Weib erinnerst du

dich nur nach und nach,

doch keine Stimme flüstert dir zu:

»Dies ist Telemach!«

Wär’s nicht besser, du bliebest von dem

allen weiter getrennt?

Willst du zurück, bloß daß dich auf dem

Hof nur der Hund erkennt?

Alle deine Gefährten sind

tot und weiß Gott wo.

Dich nur landen sie einst, wie ein Kind

schlafend, und lassen dich so,

und dann wachst du auf, und es ist

Heimatland. Und da

wirst du nicht wissen, wo du bist,

Herr von Ithaka.

Todesfahrt

Wenn ein Mann gestorben ist, muß er, neun Tage und neun Nächte lang, nach Norden in das immer tiefer sinkende Tal des Todes reiten.

Was sie dir auch bestritten,

und daß es oben fast

keinen Himmel mehr gäbe inmitten:

wenn du nun ausgelitten

und überstanden hast,

so mach du dich endlich mit den

zwei besten Knechten beritten

und einem kleinen, dritten

Tragpferd für die Last.

Die Pferde, vor allen Dingen,

sollen nicht zu groß

noch zu hoch im Blut sein,

sondern anspruchslos,

gut beschlagen und gut ausgeruht sein,

nicht zu schwere und nicht zu rasche,

kurz: nicht zu schlecht noch zu gut sein,

am Sattel die Kürbisflasche

und mit unter die Eisentasche

gesteckten, geschliffenen Klingen

für einen Kampf zu Roß.

Auf der einsamen Radspur

hat es seine Zeit

und wird lange dauern.

Also zieh deinen grauen

Rock an und warmes Kleid,

aber doch nicht ganz wie die Bauern,

sondern wirf darüber den blauen

Mantel von seinerzeit,

und gib dem Knecht eine Schafschur

für die Ewigkeit.

Denk, wie weit du zu reiten

hast, und sieh auf den Pack;

rüste die Knechte zum Streite

und miß ihnen Hafer für beide

Hälften am Futtersack.

Als der Tod auf den Hof trat,

floh alles bis auf die zwei.

Einsam lieget die Hofstatt,

alles ist vorbei.

Was deine Augenweide

war und Liebes-Ach,

Beatrix und beide

Marien und Herzeleide,

Blanche und Sobeide,

lauter Sanfte wie Seide,

weint dir eine nach?

Ach, es war nur der Wind, und

wieder ist’s wie zuvor,

niemand weint als der Springbrunn

über dem Rosenflor.

Da hättest du, hörte ich sagen,

als sie die Pferde gebracht,

dich aufgesetzt unter dem Torweg

und nach einem bestimmten Wagen-

gleis auf die Suche gemacht,

bis dich einer zuletzt noch gesehen

auf dem absinkenden Hohlweg

gegen Mitternacht.

Der Tod Arthurs

Beau Sire Bedevere, einst war ich mit dem,

der niemandes Sohn ist, an einen See

gekommen, aus dem wir, von ferne schon,

schwarze Schwäne sich heben gesehn.

Es war am Mittag. Weißes Gewitter stieg.

Ein stummer Donner, neigte das Laubgewölk

sich über die Wasser. Die Blätter der Schwert-

lilien bebten vom lautlosen Hall.

Am Ufer ging die Nymphe des Sees,

um ihre nackten Füße schlug

ihr nasses Kleid. Aus den Wassern stieg

eine Hand und hielt einen Degen empor,

die Scheide umwunden vom weißen Gurt,

dessen die Enden zahllos sich

wie Bänder kreuzten im Mähnenhaar

eines Pferds, wie im Haare von einer, die

zum Tanzen geht, einer Bauernmagd.