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Beginnend mit dem an Hölderlin orientierten Band ›Das Geheimnis Sankt Michaels‹ (1927) über die balladesken Gedichte aus ›Die Goldene Horde‹ (1935) bis zum Großgedicht ›Germanien‹ (1946) und Lernets letzter Lyriksammlung zu Lebzeiten, ›Das Feuer‹ (1949), reicht die Auswahl, die sich, wie Rüdiger Görner in seinem Nachwort schreibt, »vom mythischen Bild zum Minnesang bis zur Welt ›neumexikanischer‹ Schlagerkomponisten« spannt. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)
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Seitenzahl: 70
Alexander Lernet-Holenia
Fragmente aus verlorenen Sommern
Gedichte
Herausgegeben von Rüdiger Görner
FISCHER Digital
Nachwort von Rüdiger Görner
Hilf mir, Göttin, den Gott zu singen, welcher von Anfang
war und das Wort war. Denn das Wort war bei Gott, und
Gott war das Wort; dasselbige war im
Anfang bei Gott. Und ward Fleisch und wohnte bei uns, doch wir haben’s
nicht begriffen; und nahm die Sünden der Welt
auf sich und trug sie, aber die Welt hat’s
nicht begriffen; und brachte sich selbst
den Menschen zum Opfer, aber die Menschen haben’s
nicht begriffen und es mit Dornen gekrönt und gegeißelt
und im Purpur verspottet
und am Kreuze erhöht. Die Himmel verhüllten ihr Antlitz
in Finsternis. Gott aber rufte vom Kreuz; und sie glaubten,
daß ihn dürste, und reichten
ihm einen Schwamm, getränkt in Essig. Und abermals
schrie er mit schrecklicher Stimme. Dann starb er. Die Erde
bebte, und von den entheiligten Höhen Morias
stob der Staub: es zerriß der Vorhang im Tempel; der Boden
barst, die Berge spalteten sich, und die Gräber
gaben die Toten zurück; und das Meer gab
seine Toten wieder zurück; und die Hölle
gab ihre Toten zurücke. Es stand die
Schöpfung still. So vollbracht’ er das immerwährende Opfer.
Schrecken hatte die Kreaturen befallen. Sie bargen die Züge
ihres verstörten Gesichts in den Schoß der Natur.
Selbst die Blumen ergriff es. Sie fühlten, die Frühlings-
blumen, die Schuldlosen, fühlten die große Verwandtschaft,
die sich dem Boden entwand,
ahnten die Mitschuld. Schauer befielen die Wiesen,
und es hatte die Blüte der Weiden noch nie so gefroren.
Wasser weinten um den Gekreuzigten. Selber die Erde
bebte noch nach wie ein Leib, als er sich selbst auf dem hohen
Golgatha leerließ und in ihr Innerstes eindrang.
Er, der sich schon aus dem Äther zu den Geschöpfen
niedergesenkt, nun stürzt’ er noch weiter. Wälder
durchstieß er, träufende, nach unsäglichen Mustern gewund’ne
Klüfte sprengte er auf und warf die Felsen beiseite, die eh’rnen
Pforten zerbrach er des Abgrunds, und von unzähligen Rängen
heulte die Hölle ihn an …
O, schon am Fenster in der Früh, ihm war:
der Garten ging, ein Schauspiel aufzuführen.
Er hörte viele Stimmen, wie von Tieren.
Ihm schien, er hätte zu viel Wind im Haar.
Als ob es ihn an schwere Kindheit mahnte
und es verbürg sich hinter jedem Ding:
da bat er um die tröstende Verwandte,
die immer da war, bis es ihm verging
wie damals. Und der Schreck des Überfalls
befiel ihn plötzlich und schuf ihn noch kleiner
und weinender in seiner Furchtsamkeit.
Da war es schon wie Tröstung. Aber als
sie ihn erstachen, starb er wie nach einer
ganz unverstandnen Kinderzeit.
Als Odysseus die Kirke verlassen hatte, fuhr er zu Schiff nach Norden bis an das Ende des Ozeans. Dort, an einem niedrigen, mit Erlen, Pappeln und Weiden bestandenen Ufer, zogen er und seine Gefährten das Schiff ans Land, gruben eine Grube von einer Elle im Geviert, schlachteten zwei Schafe und ließen das Blut in die Grube fließen. Da kamen aus dem Erebos viele Seelen der Toten herauf, auch des Teiresias, des Sehers, Seele kam und trank von dem Blut aus der Grube. Odysseus fragte den Teiresias, wann er heimkehren werde und wie er heimkehren werde. Da erwiderte Teiresias:
Glaubst du wirklich, ich sagte dir’s,
was du zu hören liebst,
weil du uns vom Blut eines Tiers
etwas zu trinken gibst?
Hast du plötzlich keine Lust
mehr auf die Gefahr?
Bist du fort und hast nicht gewußt,
daß es für immer war?
Jahrelang überstandest du.
Plötzlich fällt dir ein
wiederzukehren? Ach, wozu!
Alles wird anders sein.
Wenn du auch krank vor Heimweh bist
und dein Herz verdorrt,
immer, wenn einer fortgeht, ist
er für immer fort.
Träumtest du auch vor dich hin
über dem Wellenschlag,
wie daheim die Wiese im
Sommernachmittag
weht, und daß der Birnbaum hoch
hängt darüber her,
ach, die Wiese ist ja doch
längst die Wiese nicht mehr,
ach, der Wald nicht der Wald mehr, ach,
nicht dein Haus mehr dein Haus!
Leise weinet nur der Bach,
Wind geht ein und aus,
und in dem, was dir gehört,
bist du ich weiß nicht wer, –
immer, wenn einer wiederkehrt,
kennt ihn keiner mehr.
Auch an dein Weib erinnerst du
dich nur nach und nach,
doch keine Stimme flüstert dir zu:
»Dies ist Telemach!«
Wär’s nicht besser, du bliebest von dem
allen weiter getrennt?
Willst du zurück, bloß daß dich auf dem
Hof nur der Hund erkennt?
Alle deine Gefährten sind
tot und weiß Gott wo.
Dich nur landen sie einst, wie ein Kind
schlafend, und lassen dich so,
und dann wachst du auf, und es ist
Heimatland. Und da
wirst du nicht wissen, wo du bist,
Herr von Ithaka.
Wenn ein Mann gestorben ist, muß er, neun Tage und neun Nächte lang, nach Norden in das immer tiefer sinkende Tal des Todes reiten.
Was sie dir auch bestritten,
und daß es oben fast
keinen Himmel mehr gäbe inmitten:
wenn du nun ausgelitten
und überstanden hast,
so mach du dich endlich mit den
zwei besten Knechten beritten
und einem kleinen, dritten
Tragpferd für die Last.
Die Pferde, vor allen Dingen,
sollen nicht zu groß
noch zu hoch im Blut sein,
sondern anspruchslos,
gut beschlagen und gut ausgeruht sein,
nicht zu schwere und nicht zu rasche,
kurz: nicht zu schlecht noch zu gut sein,
am Sattel die Kürbisflasche
und mit unter die Eisentasche
gesteckten, geschliffenen Klingen
für einen Kampf zu Roß.
Auf der einsamen Radspur
hat es seine Zeit
und wird lange dauern.
Also zieh deinen grauen
Rock an und warmes Kleid,
aber doch nicht ganz wie die Bauern,
sondern wirf darüber den blauen
Mantel von seinerzeit,
und gib dem Knecht eine Schafschur
für die Ewigkeit.
Denk, wie weit du zu reiten
hast, und sieh auf den Pack;
rüste die Knechte zum Streite
und miß ihnen Hafer für beide
Hälften am Futtersack.
Als der Tod auf den Hof trat,
floh alles bis auf die zwei.
Einsam lieget die Hofstatt,
alles ist vorbei.
Was deine Augenweide
war und Liebes-Ach,
Beatrix und beide
Marien und Herzeleide,
Blanche und Sobeide,
lauter Sanfte wie Seide,
weint dir eine nach?
Ach, es war nur der Wind, und
wieder ist’s wie zuvor,
niemand weint als der Springbrunn
über dem Rosenflor.
Da hättest du, hörte ich sagen,
als sie die Pferde gebracht,
dich aufgesetzt unter dem Torweg
und nach einem bestimmten Wagen-
gleis auf die Suche gemacht,
bis dich einer zuletzt noch gesehen
auf dem absinkenden Hohlweg
gegen Mitternacht.
Beau Sire Bedevere, einst war ich mit dem,
der niemandes Sohn ist, an einen See
gekommen, aus dem wir, von ferne schon,
schwarze Schwäne sich heben gesehn.
Es war am Mittag. Weißes Gewitter stieg.
Ein stummer Donner, neigte das Laubgewölk
sich über die Wasser. Die Blätter der Schwert-
lilien bebten vom lautlosen Hall.
Am Ufer ging die Nymphe des Sees,
um ihre nackten Füße schlug
ihr nasses Kleid. Aus den Wassern stieg
eine Hand und hielt einen Degen empor,
die Scheide umwunden vom weißen Gurt,
dessen die Enden zahllos sich
wie Bänder kreuzten im Mähnenhaar
eines Pferds, wie im Haare von einer, die
zum Tanzen geht, einer Bauernmagd.