Die Abenteuer eines jungen Herrn in Polen - Alexander Lernet-Holenia - E-Book

Die Abenteuer eines jungen Herrn in Polen E-Book

Alexander Lernet-Holenia

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Beschreibung

Vornehmlich erotischer Art sind die Abenteuer des preußischen Kavallerieleutnants Keller. Im Ersten Weltkrieg auf der Flucht, gerät der junge Offizier immer wieder in Situationen, die auch ihre komischen und heiteren Seiten haben. Hinter der russischen Linie und sozusagen vor den Augen der ihn verfolgenden Kosaken verwandelt er sich in die Kuhmagd Kascha, wird zur Zofe befördert und stürzt die Herren in Uniform und in Zivil ringsumher in beträchtliche Verwirrung, bringt gleich darauf einige junge Damen in zwar weniger ungewöhnliche, aber nicht eben unbedenkliche Schwierigkeiten und erntet schließlich, eigentlich wider eigenes Erwarten, aber nicht ganz ohne sein Zutun, doppelten Lohn für all diese Taten ... (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Alexander Lernet-Holenia

Die Abenteuer eines jungen Herrn in Polen

Roman

FISCHER Digital

Inhalt

IIIIIIIVVVIVIIVIIIIXXXIXII

I

Dem Verwalter Rudkowski auf dem Lubienskischen Gute Gorochow, auf welchem Personalmangel herrschte, sollte eine neue Magd vorgestellt werden.

Indem er, von einem Frauenzimmer begleitet, das ein Licht trug, aus seiner Kanzlei in den Flur des Verwalterhauses trat, fand er da den Faktor Hartlieb, der sich fortwährend verbeugte, und neben ihm stand, in einem Schafpelz, ein Tuch um den Kopf und ein Bündel in der Hand, eine junge Person mit hübschem Teint, dunklen Brauen und grauen Augen.

Hartlieb empfing den Verwalter mit der Mitteilung, es sei, wie man ja wisse, immer schwieriger geworden, Personal zu finden, bald werde es überhaupt keines mehr geben, er aber sei nicht schuld daran, denn er habe dem Kaiser von Österreich nicht den Krieg erklärt, und so weiter.

Währenddem sah die Magd, ihr Bündel mit beiden Händen haltend, den Verwalter an, und der Verwalter sah die Stiefel der Magd an, an denen ihn etwas zu interessieren schien.

Aber, erklärte Hartlieb, diese junge Person da habe er immerhin noch auftreiben können, sie spreche zwar schlecht Polnisch, denn sie sei aus der deutschen Kolonie Katerburg, als eine Jungmagd jedoch werde man sie in jedem Fall brauchen können, und so fort.

»Was sind das eigentlich für Stiefel?« fragte plötzlich der Verwalter, und das Frauenzimmer, das die Petroleumlampe trug, näher heranziehend, beleuchtete er die Stiefel der neuen Magd.

Er hatte nämlich eine Schwäche für schöne Stiefel.

Doch sah er sofort, daß diese Stiefel nicht nur schöne, sondern exzeptionell schöne Stiefel waren, oben mit einer Rosette überdies, wie Husarenstiefel.

»Wo hast du die her?« fragte er. Die Neue schien nicht zu wissen, was sie antworten sollte. Hartlieb jedoch, auf seine Art dazwischenredend, erklärte sogleich, man sehe ja jetzt überhaupt viele schöne Stiefel, die die Bauern den Gefallenen, vor allem den toten Offizieren, ausgezogen hätten. Der Verwalter hörte nur mit halbem Ohre hin. Er hob der Magd bald das eine, bald das andere Bein ohne weiteres auf und untersuchte die Stiefel. Schließlich zog er ihr einen Stiefel einfach aus und erklärte, er werde ihr das Paar abkaufen. Und damit begann er auch schon, den, den er ihr ausgezogen hatte, zu probieren.

Die Magd, auf den Zehen des nackten Fußes stehend, warf dem Faktor Blicke zu und machte ihm ungeduldige Zeichen. Als der Faktor aber nichts dergleichen tat, erklärte sie selber in schlechtem Polnisch, sie gäbe die Stiefel nicht her.

Hartlieb sah schon Krach entstehen. Der Verwalter jedoch, auf die Art von Leuten, die viel vor Untergebenen den Herrn herauszukehren haben, hatte der Magd jetzt ebensowenig zugehört wie vorhin dem Faktor. Er plagte sich nämlich mit dem Stiefel, der ihm aber, wie sich nun herausstellte, zu eng war.

Mit einer Bemerkung, daß das verdammt schade sei, warf er ihn der Magd wieder hin. Und als der Stiefel durch die Luft flog, sah er ihm noch bedauernd nach.

»Also, wie ist das?« wandte er sich dann zu Hartlieb. »Sie ist aus Katerburg, die da? Und Polnisch kann sie auch nicht? – Wie heißt du?« fragte er die Magd direkt.

Die Magd, die eben ihren Stiefel wieder anzog, erwiderte, sie heiße Katharina Radmacher.

Rudkowski, indem er dem andern Frauenzimmer befahl, es solle die Lampe hinstellen und den Schweizer rufen gehen, ging um die Radmacher, die den Stiefel inzwischen wieder anbekommen hatte und sich nun mit gerötetem Gesicht aufrichtete, herum und inspizierte sie von allen Seiten.

Da sie mit gesenktem Kopf stehenblieb, so griff er ihr unters Kinn und sah ihr ins Gesicht, wofür er einen aus Unsicherheit und eigentümlichem Aufblitzen gemischten Blick empfing … Er wollte eben etwas sagen, als der Schweizer eintrat. So ward er abgelenkt. Eine neue Magd sei da, ward dem Eintretenden erklärt, und Katharina Radmacher erhielt den Rufnamen Kascha und ward dem Schweizer als Kuhmagd zugeteilt. Er, der Schweizer, könne mit ihr deutsch reden, setzte Rudkowski hinzu, während er schon die Papiere, die man ihm übergeben, flüchtig durchsah.

Damit durfte der Schweizer wieder abtreten, und hinter ihm ging, nachdem sie dem Faktor, der sich jedoch nichts aus ihr machte, noch einen raschen Blick zugeworfen, das neue Mädchen Katharina Radmacher, von nun an Kascha geheißen.

Dieses Mädchen war aber in Wirklichkeit gar kein Mädchen, sondern ein sehr junger Herr, und hieß auch nicht Radmacher, sondern Herr Leutnant Keller, im Husarenregiment ›König von Hannover‹.

 

Vier unter das Kommando eines gewissen Freiherrn von Kriechbaum, eines preußischen Generalleutnants, gestellten Kavallerieregimentern nämlich, zwei österreichischen und zwei deutschen, war, nachdem die Infanterie die russischen Linien beim Dorfe Koniuchy durchbrochen, anbefohlen gewesen, dem Fußangriff zu Pferde zu folgen, auf den weichenden Feind einzuhauen und in seinem Rücken soviel Verwirrung anzustiften wie nur möglich.

Man hatte sie, etliche Wochen vor geplanter Unternehmung, aus den Gräben, in denen sie gelegen, zurückgezogen, damit sie in gute Quartiere, mehrere Wegstunden hinter der Front, abrücken, sich dortselbst erholen und auf den Kampf zu Pferde vorbereiten könnten.

Herr Leutnant Keller, der so jung zum Regiment gekommen, daß ihm damals sicher noch die Hemdfahne aus der Reithose geflattert hatte, war jetzt achtzehn Jahre und ein halbes alt geworden und fing, nach Überwindung seiner ursprünglichen Schüchternheit, ein Verhältnis mit einem hübschen Mädchen im Dorfe an. Sie hieß Kascha, und es kam ihm zugute, daß seine Mutter, eine geborene von Langed, von einem Gut aus der Posener Gegend gewesen und daß sie und seine Amme ihn ein wenig polnisch erzogen hatten.

 

Am 29. September ganz früh morgens, als er schlief, die anderen Offiziere jedoch in der Messe noch beisammensaßen und, nachdem sie aufgehört hatten, Bridge zu spielen, einander unpassende Geschichten erzählten, vernahm der Leutnant wie im Traum ein dumpfes Murren und fortwährendes Dröhnen und Beben von fern; er mochte es längst im Schlaf beunruhigend gehört haben, ohne davon eigentlich erwachen zu können, schließlich jedoch fuhr er auf und lauschte. Auch in der Bauernstube, in der die Offiziere noch immer um das Licht zweier Kerzen beisammengesessen und einander Geschichten erzählt hatten, war das unaufhörliche Poltern und Rollen bemerkt worden, indem nämlich, den Tonfall des Gesprächs begleitend, das Zimmer davon mitbebte … die Offiziere, ihre Geschichtchen unterbrechend, traten vors Haus: deutlich vernehmbar jetzt, auf eine Distanz von zehn Kilometern etwa im Osten, hatte das Trommelfeuer auf die russische Stellung eingesetzt.

In der Morgendämmerung blitzte, wie fernes Wetterleuchten, unzähliges Mündungsfeuer der Geschütze.

Niemand anderer übrigens, nur die schweigenden Offiziere standen auf der Dorfstraße, die Bauern sowohl wie auch die Mannschaften schliefen noch und ignorierten das Feuer.

Überhaupt schienen sich während des ganzen Krieges die Mannschaften und die Zivilbevölkerung um alles zwar weniger zu kümmern als die Offiziere, wofür sie aber auch von allem Entscheidenden unvergleichlich mehr wußten als jene.

Vierhundert Geschütze, worunter allerschwerste Mörser, betrommelten die feindlichen Linien, zerschmetterten den Draht, planierten die Gräben und zogen die blutige Trasse, auf der die Infanterie zu stürmen und die vier Kavallerieregimenter würden zu attackieren haben.

Im Dorf krähten die Hähne.

Es ward Tagwache geblasen, und die Pferde wurden geputzt, gefüttert und getränkt.

Die Bauern, wie gewöhnlich, fuhren aufs Feld.

Es begann ein heißer, südwindiger Herbsttag.

Die Eskadronen rückten nicht aus. Jedoch ließen die Wachtmeister aus eigener Machtvollkommenheit die Sättel packen und unter der Hand alles fertigmachen.

Die Offiziere zeigten sich kaum bei den Eskadronen. Sie machten bei sich im Quartier die längste Zeit Toilette und dachten dabei an den Tod. Währenddem ging das ferne Dröhnen immer und immer weiter.

Der Leutnant Keller badete an diesem Morgen besonders eilig und kleidete sich auch mit solcher Hast an, als versäume er etwas. Er versäumte jedoch gar nichts. Er stand später bloß ganz zwecklos auf der Dorfstraße herum und sah seinem Rittmeister, Herrn von Neumann, von weitem zu, wie der Zigaretten rauchte.

Er kam auf die Idee, ob er sich nicht vielleicht rasieren lassen sollte. Er hatte sich noch nie rasieren lassen, aber vielleicht sei es doch schon nötig geworden, dachte er. Er kehrte in sein Quartier zurück und sah sich in einem kleinen Spiegel an.

Nein, es war noch nicht nötig, sich zu rasieren.

Dann stellte er träumerisch die Olive der obersten Verschnürung gerade, genau an der Stelle, an der erfolgreiche Offiziere den »Pour le Mérite« zu tragen pflegen.

Später ging er ums Haus, um zu sehen, ob er vielleicht Kascha finden könne …

Dabei warf er einen Blick auch in den Stall, in welchem seine Pferde standen, zwei eigene Braune und das Dienstpferd für den Reitburschen. Er sah aber zu seinem Erstaunen, daß die Pferde alle drei schon gesattelt, allerdings noch mit lockeren Gurten, dastanden. Im Begriffe, dem Burschen etwas zu sagen, bemerkte er Kascha und trat auf sie zu, mit ihr ein Gespräch anzufangen.

Sie schien diesmal jedoch überhaupt keinen Sinn dafür zu haben; zudem merkte der junge Herr beim Näherkommen, daß sie eben zum Mistaufladen angehalten war, ihr Vater stand dabei, und sie grinste den Leutnant bloß verlegen und eigentlich auch recht beziehungslos an – als sei er für sie erledigt, dachte er, und als ob sie schon wisse, daß das Regiment werde abzumarschieren haben! … Sie kam ihm höchst schmierig, ja verworfen vor.

In diesem Augenblick hörte er Alarm blasen, und a tempo führte der Reitbursch die drei Pferde, deren Gurten nun auch schon angezogen waren, aus dem Stall heraus. Keller verwunderte sich sehr, wie denn der Bursche den Zeitpunkt, fertig zu werden, so genau hatte erraten können, gleichzeitig aber sah er, wie auch schon sein Diener mit den Handkoffern, die er, erst seit der Leutnant das Zimmer verlassen, in Hast gepackt haben mußte, aus dem Hause rannte, sie auf einen Trainwagen zu werfen.

Der Augenblick war von beunruhigender Exaktitüde:

Während der Reitbursch die Bügel herunterzog, damit der Leutnant aufsitzen könne; kam auch der Diener schon zurückgerannt und brachte seinem Offizier den Tschako, schnallte ihm die lange Pistole um und reichte ihm die Handschuhe. Dann nestelte er die Fangschnur vom Pelzhut und legte sie ihm um den Hals. Alles tat er so genau, wie der Reitbursch das Seine getan, und es war, als hätten die beiden seit Wochen gewußt, was sie in eben diesem Augenblick, und in keinem anderen, würden zu tun haben.

 

Die Division hatte Befehl erhalten, sich beim Vorwerk von Zaloszcze, mit Front nach Westen, in zwei Treffen aufzustellen, und zwar mit den beiden deutschen Regimentern, Husarenregiment König von Hannover und Karabinierregiment Graf Styrum, im ersten, und mit den beiden österreichischen Regimentern, Ulanenregiment Erzherzogin Maria Theresia und Dragonerregiment Infant von Portugal, im zweiten Treffen.

Als der Divisionär, Generalleutnant Freiherr von Kriechbaum, aus seinem Quartier trat, um aufzusitzen, rannte ihm eine schwarze Katze über den Weg, vor der er sich hätte bekreuzigen mögen, wenn er, als Lutheraner, gewußt hätte, wie das anfangen; und als der Geistliche seines Stabes, Konsistorialrat Pustkuchen, der mit ihm zugleich aus dem Haus getreten war und seine Bewegung bemerkt hatte, ihm zuzureden begann, er solle doch seinen Aberglauben fahren lassen und ein rechtes Vertrauen auf Gott fassen, schrie er ihn an, er habe ihn erstens nicht gefragt und zweitens sei von Gott zu reden schon in nichtkritischen Fällen unangebracht genug, in kritischen aber geradezu unerträglich.

Trotzdem aber hielt er, auf dem Alarmplatz angekommen, an die Division eine Ansprache, in der doch wiederum Gott vorkam, und zwar in der Zusammenstellung mit Kaiser und Vaterland.

In diesem Augenblick überbrachte ihm eine Garde du Corps, als Ordonnanzoffizier, eine versiegelte Ordre.

Er las sie und ließ die Division sogleich in Zügen umkehrtschwenken und die Front, auf diese Weise, nach Osten verkehren.

Nach Vollzug dieses Manövers standen die Österreicher mit einem Male im ersten, die Deutschen aber im zweiten Treffen, so daß der Konsistorialrat Pustkuchen, wenn er nicht im Quartier geblieben wäre, Gelegenheit gehabt hätte zu sagen, die Ersten würden die Letzten und die Letzten die Ersten sein.

Der Generalleutnant Freiherr von Kriechbaum jedoch ließ den Regimentern nicht die Zeit, hierüber nachzudenken, noch auch über die Motive der Frontveränderung überhaupt: ob er sie nämlich etwa anbefohlen, weil er die Österreicher für tapferer hielt als die Deutschen, oder weil ihm die Deutschen zu gut waren, um sie, wie er es nun offenbar mit den Österreichern vorhatte, im ersten Treffen wegrasieren zu lassen, noch ehe die Maschinengewehre niedergeritten worden wären – er befahl vielmehr, mit der Direktion auf die Hügelkette, hinter der die Dörfer Koniuchy und Swiniuchy lagen, im Schritt zu avancieren, indem er auf diese Art, mit der schon zum Gefecht formierten Division über alles hinwegreitend, an den Kanonendonner näher heranzog; und rauschend und glitzernd, in zwei Frontbreiten zu je zwölfhundert Schritten, und etliche hundert Schritte das zweite hinter dem ersten, gingen die Treffen an. Wie unter den Hufen der Geschwader nun der weiße Feldstaub aufquoll und mit dem Winde flog, schien es, als brenne, in Feuer und Rauchdampf aufgehend, das dürre Land.

Die österreichische Brigade mochte sich inzwischen mit dem Biß in den sauren Apfel, daß nunmehr sie im ersten Treffen stand, abgefunden haben, denn nachdem zwar der österreichische Brigadier, Graf Ste-Croix, als Aristokrat natürlicherweise von milder Gesinnung, von seinen beiden um vieles aufgeweckteren Obersten, Leopold Schuster und Pollak von Ahnenburg, gegen den Preußen aufgewiegelt worden und sich, mit der Absicht, sich zu beschweren, in Richtung auf den Divisionär Freiherrn von Kriechbaum in scharfen Galopp gesetzt, fiel er alsbald, offenbar einer besseren Einsicht Raum gebend, wieder in Trab und kehrte schließlich im Schritt an seinen Platz zurück. Damit war die Affäre erledigt.

Auch die Mannschaft hatte in den sauren Apfel gebissen und sang Lieder. Das Ulanenregiment Erzherzogin Maria Theresia sang immer wieder dasselbe ruthenische Lied, das von einem grünen Ahornbaum handelte, und die Portugal-Dragoner sangen, schwadronenweise, ein Lied, in welchem sie sämtliche Offiziere hochleben ließen, vor allem aber den sehr beliebten Major Graf Hunolstein und die Rittmeister Graf Grünne und Graf Lanthieri. (Man wundere sich nicht über die vielen bei der österreichischen Kavallerie befindlichen Grafen, man glaubte nämlich, den Regimentern, wie auch dem ganzen Staate, mit solchen Zuteilungen besonderen Gefallen zu erweisen und eine rechte Freude zu machen.)

Das Lied, das die Portugal-Dragoner sangen und das, indem es den übrigen Text beibehielt, nur die Charge des Verherrlichten fallweise änderte, lautete:

Herr Rittmeister soll leben,

soll leben fürstengleich,

in seinem Glanz und Schimmer,

so leben wir in Österreich!

Es war auf eine ungemein beschwingte Tanzmelodie zu singen.

Man mochte eine halbe Stunde oder schon drei viertel Stunden im Vorrücken begriffen gewesen sein, als der Kanonendonner sich rasch aufs äußerste verstärkte und gleichzeitig, anscheinend von eröffnetem Sperrfeuer, die Erdfontänen schwerer russischer Granaten auf dem noch fernen Hügelkamm emporsprangen – offenbar sollte der Infanterieangriff eben beginnen. Der Generalleutnant, selbst in starken Trab fallend, ließ, um mit der Division auf keinen Fall zu spät zu kommen, sogleich antraben, und, als explodierten lange Munitionskolonnen, flog, vom Einsetzen der verstärkten Bewegung, mit einem Mal unter den beiden Treffen weißliches Staub- und Rauchgewölk hoch auf.

Im Trabe, der, wie meist bei großen Formationen, sich bald verlangsamte, bald wieder so hastig ward, daß einzelne Reiter schon galoppierten, verstummten die Lieder, und zurückgehalten gewesene Aufregung und Kanonenfieber, ja selbst Angst machten in der Bewegung und im unruhigen Schwanken der ganzen Regimenter sich merkbar … Lange Infanteriekolonnen, ermüdet und staubüberweht, erschienen in den Senkungen seitlich nebenher auf dem Wege in die Positionen, aus denen sie den nun wohl schon stürmenden ersten Angriffswellen würden nachzurücken haben, und bereits war im Windwehen auch das fortwährende Spielen von Militärmusiken fernher vernehmbar, die, stundenlang an derselben Stelle haltend, die an ihnen vorbeiziehenden Truppen zum Kämpfen anzufeuern hatten. An die eigenen Geschützstellungen war man wohl schon nahe herangekommen, die Abschüsse gellten besonders stark. In das Wogen und Lärmen der Geschwader wurden mit einem Mal laut Befehle geschrien, ihrem Sinn nach nicht sogleich erfaßt, die Österreicher sah man eskadronenweise die Säbel ergreifen und hörte von dorther Generalmarsch blasen, es handelte sich um eine Ehrenbezeigung offenbar, denn zwischen hinrieselnden Schleiern Staubes stand auf einer Bodenerhebung zur Rechten, zu spät bemerkt allerdings, eine Gruppe zu Fuß, hinter der Handpferde warteten, ein diamantenes Glitzern, Blitzen, Scharlachgeleucht von Gurten und Ordensmänteln ward sichtbar, überhöht von der kaiserlichen Standarte, schon war es vorüber. Die Abschüsse der Artillerie, wie ungeheuer laute Peitschenschläge knallend, hatte man nun hart vor sich, und im nächsten Augenblick ritt die österreichische, Minuten später die deutsche Brigade auch schon zwischen die Geschütze einer Batterie, die Bedienung stob fluchend auseinander, weiter über Wassergräben, Zäune und Sturzäcker ging der eilige Trab, und erst am Fuße des hohen Hügels, auf dem die Erdfontänen der russischen Einschläge sprangen, hielt im uneingesehenen Raum, aus sich weiterwälzenden Staubwolken tauchend, mit Klirren und Schwanken die Division.

Infanteriekolonnen, auch sie in Deckung dieses Hügels herangerückt, standen wartend und schmolzen in die Anfänge von Laufgräben hinweg, um darin im Gänsemarsch in die immer wieder sich in Angriffswellen entleerenden Sturmstellungen jenseits der Höhe nachzurücken, Maschinengewehrfeuer und Kleingewehr raste drüben fortwährend, es mochte ein Uhr mittags sein, der Angriff war in vollem Gange.

Zwei schwere Granaten schlugen ganz nahebei ein, die eine in das Intervall zwischen den beiden deutschen Regimentern, die andere mitten in die erste Schwadron der Karabiniere. Ein Gellen und Jammern ertönte von dorther und der trommelnde Galopp durchgehender Pferde. Nervös bis zum Zusammenkrampfen der Muskeln und mit leicht zusammengebissenen Zähnen warteten die Regimenter. Der Generalleutnant Baron Kriechbaum hielt mit seinem Stabe im russischen Artilleriefeuer auf der Hügelhöhe, von wo aus er zwar das Terrain für seine Attacke überblicken konnte, sonst jedoch in denkbar unangenehmster Situation sich befindend, eine Tatsache, die den österreichischen Brigadier, Grafen Ste-Croix, mit Genugtuung erfüllte. Gewissermaßen aber als ahne er dieses, ließ der Generalleutnant in diesem Augenblick den Grafen durch den Divisionsadjutanten, Herrn von Krachte, auffordern, sich zwecks besserer Übersicht gleichfalls auf die Hügelhöhe zu verfügen, welchem Ansinnen zu genügen der Graf jedoch unumwunden ablehnte, indem er dem Generalleutnant durch den Brigadeadjutanten Graf Berlichingen, der mit Herrn von Krachte zum Divisionsstab zurückritt, mitteilen ließ, er denke nicht daran, seinen Standpunkt woanders einzunehmen als auf dem ihm durch das Exerzierreglement vorgeschriebenen Platze.

Es war aber noch keine weitere Viertelstunde vergangen, so sah man den Divisionsadjutanten aus der Gruppe des Stabes sich wieder loslösen und den Hang herabgaloppieren. Er schrie zuerst der österreichischen und dann, weiterjagend, auch der deutschen Brigade kurzerhand den Befehl zu, zu attackieren.

Wenngleich anzunehmen war, daß die Österreicher, in einer gewissen Unseriosität, glauben mochten, der Generalleutnant habe diesen Befehl nur gegeben, weil er sich über den Grafen Ste-Croix geärgert, so sah man doch, wie sie sogleich im Schritt angingen und, alsbald in Trab und in Galopp fallend, den Hang hinanjagten, indem die Trompeter Attacke bliesen und die Säbel ergriffen wurden. Mit fliegenden Pelzröcken verschwand die Brigade über den Hügelkamm. Schon aber ging, auf jähen Befehl, auch das deutsche Treffen, Karabiniere und Königshusaren, im Schritt an und fiel alsbald in Galopp, den Österreichern folgend, mit unruhig wogenden Lanzen.

Als der Leutnant Keller, auf gleicher Höhe mit den andern Offizieren vor der einhertosenden Front der Husaren reitend, den Hügelrücken überflog, sah er am Fuße des Hügels in den Drahtverhauen der eigenen und der leeren feindlichen Stellungen Reste der österreichischen Reiterei, die das Hindernis nicht hatten überwinden können, sozusagen wie Wollflocken an den Verhacken hängen, während die übrige Brigade in unordentlichen Knäueln über das Trichterfeld schon weiterjagte: lose übersät war das Gelände überall mit Schwärmen und Trüppchen, ja mit Tausenden von einzelnen Infanteristen, offenbar (es war nichts deutlich zu sehen) hieben die österreichischen Regimenter bereits auf die fliehenden Russen ein. Zwei Artillerielagen empfingen das deutsche Treffen beim Hinwegreiten über die Hügelhöhe, dem Leutnant Keller zunächst ward Oberleutnant von Lüderitze vom Sattel gerissen, schon war die Brigade den Hang hinab, übersprang, bei äußerster Aufregung und hier und dort auch stürzenden Pferden, die breiten Gräben und drängte sich durch den halbzerschmetterten Draht, indem die Pferde schreckliche und schmerzhafte Risse und Verletzungen an den Beinen empfingen oder, sich verfangend, zusammenbrachen und ihre Reiter vornüber in das stachlige Gewirr warfen. Zum guten Glück jedoch hörte inzwischen die Einwirkung der feindlichen Artillerie mit einem Schlage fast völlig auf, die russischen Batterien mochten wohl schon aufzuprotzen und zu fliehen im Begriffe sein. Die Brigade löste sich endlich, als wehten Flocken davon, aus dem Draht mit Rudeln und einzelnen Reitern los und galoppierte, stark aufgelöst, über das Trichterfeld. Gruppen schon entwaffneter Russen kamen ihr entgegen und hoben, als sie dieses zweite Reitertreffen sahen, zum Zeichen ihrer Wehrlosigkeit laut rufend die Hände. Eigene Infanterie, in unordentlichen Schwärmen avancierend, ward überholt, man mochte im ganzen schon einige Minuten galoppiert sein, die Pferde, laut schnaubend, bedeckten sich mit Schweiß und mahlten Schaum in den Mäulern und zwischen den Hinterbacken.

Die Karabiniere überholten zwei abfahrende russische Batterien und stachen Bedienung und Bespannung unter wütendem Geschrei nieder. In diesem Augenblick empfing die Brigade, in die Nähe des Dorfes Satanow gekommen, frontal zuerst einige einzelne Schüsse, dann infernalisches Infanteriefeuer. Das österreichische Treffen vorne, unversehens vor eine Reservestellung gelangt, die eben von heranlaufendem Feinde besetzt ward, attackierte, als es den Graben noch ohne Draht sah, sofort; und die deutsche Brigade folgte, Knäuel stürzender Pferde und Menschen hinter sich lassend.