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Gefährliche Erinnerung - Lenas Kampf um die Wahrheit
Kreidebleich liegt Lena in der guten Stube, bei ihrem Anblick wird es dem Bergdoktor himmelangst! Was ist nur los mit der jungen Frau? Obwohl ihr körperlich nicht wirklich etwas zu fehlen scheint, hat sie immer wieder diese Anfälle! Ob die seelische Ursachen haben?
Ein Wunder wär es ja nicht, nach allem, was das Madel in seinem noch recht kurzen Leben bereits hat mitmachen müssen. Der eigene Vater sitzt seit Jahren im Gefängnis, weil er angeblich den Großvater erschlagen haben soll! Und das Leben unter der Aufsicht von Tante und Onkel auf dem heimischen Hof ist wahrlich auch kein Zuckerschlecken.
Vielleicht wäre es für Lena an der Zeit, sich den Schatten der Vergangenheit zu stellen und das Geschehene aufzuarbeiten. Doch dummerweise kann sie sich an nichts erinnern ...
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Im schönen Zillertal lebt und wirkt der Mann, den Millionen Leser und Fernsehzuschauer seit Jahren lieben: Dr. Martin Burger - Der Bergdoktor. Ein Mann, dessen persönliches Schicksal ihn empfänglich gemacht hat für die Probleme und das Leid seiner Mitmenschen. Ein Arzt, der stets bereit ist, das Äußerste für seine Patienten zu wagen. Das idyllische Dorf St. Christoph dient als Kulisse für die spannenden Geschichten. Hier ist Dr. Martin Burger eine soziale und moralische Instanz - ein aufrechter, geradliniger Charakter, der alle guten traditionellen Werte in sich vereinigt und selbstlos danach handelt.
Mit inzwischen über 1800 Folgen, einer Gesamtauflage von über 55 Millionen Exemplaren und einer gleichnamigen TV-Serie hat "Der Bergdoktor" längst den Gipfel der Berg- und Heimatromane erklommen. Eine echte Erfolgsserie!
Jede Woche erscheint eine neue Folge.
Jede Folge ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen Folgen der Serie gelesen werden.
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Seitenzahl: 133
Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Gefährliche Erinnerung
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Michael Wolf
Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam
ISBN 978-3-7325-7165-9
www.bastei-entertainment.de
Gefährliche Erinnerung
Lenas Kampf um die Wahrheit
Von Andreas Kufsteiner
Kreidebleich liegt Lena in der guten Stube, bei ihrem Anblick wird es dem Bergdoktor himmelangst! Was ist nur los mit der jungen Frau? Obwohl ihr körperlich nicht wirklich etwas zu fehlen scheint, hat sie immer wieder diese Anfälle! Ob die seelische Ursachen haben?
Ein Wunder wär es ja nicht, nach allem, was das Madel in seinem noch recht kurzen Leben bereits hat mitmachen müssen. Der eigene Vater sitzt seit Jahren im Gefängnis, weil er angeblich den Großvater erschlagen haben soll! Und das Leben unter der Aufsicht von Tante und Onkel auf dem heimischen Hof ist wahrlich auch kein Zuckerschlecken.
Vielleicht wäre es für Lena an der Zeit, sich den Schatten der Vergangenheit zu stellen und das Geschehene aufzuarbeiten. Doch dummerweise kann sie sich an nichts erinnern …
»Wahrhaftig eine schöne Taufe, meinen Sie net auch, Frau Doktor?«, sagte die Niedermoserin an Sabine Burger gewandt, die neben ihr an der üppig gedeckten Festtafel saß.
Beinahe hätte die recht betagte Bäuerin wieder ihr Tüchl hervorgekramt, so gerührt war sie immer noch von der Taufzeremonie, die kurz zuvor in der Dorfkirche von St. Christoph stattgefunden hatte.
»Und richtiges Kaiserwetter haben wir auch noch. Besonders für die Kinder ist es immer schön, wenn man draußen im Freien sitzen kann«, erwiderte Sabine lächelnd.
Die Zirnthalers hatten bei strahlendem Frühsommerwetter lange Tischreihen auf dem Hofplatz aufgestellt, die rustikal eingedeckt und mit Blumen aus dem Garten geschmückt waren. Dort ließ es sich die Festgesellschaft schmecken, und die Stimmung wurde immer besser, woran auch der leichte Landwein, der gereicht wurde, nicht ganz unschuldig war.
»Und die jungen Eltern sind so glücklich. Nach zwei gesunden Buben jetzt noch ein Madel, so ein herziges Butzerl! Eine Freud, das anzuschauen«, fuhr die Niedermoserin fort. »Und wie fürsorglich der Herr Doktor es über das Taufbecken gehalten hat! Da sind mir die Tränen gekommen.«
Sabine nickte beifällig. Auch sie war sehr bewegt gewesen, als ihr Mann das Kind so liebevoll und sorgsam gehalten hatte. Für die Zirnthalers hatte es eine ganz besondere Bedeutung, dass sie Martin Burger zum Taufpaten bestimmt hatten …
Während Rosi Zirnthaler bisher jede Niederkunft ohne große Schwierigkeiten überstanden hatte, hätte sie die Geburt des kleinen Mädchens beinahe das Leben gekostet. Nur dem Bergdoktor war es zu verdanken gewesen, dass Mutter und Tochter dem drohenden Tod entrissen worden waren. Um Dr. Burger ihre tiefe Dankbarkeit zu zeigen, hatten die Zirnthalers ihre Tochter auch auf den Namen Martina taufen lassen.
»Schad nur, dass der Herr Doktor schon hat weggehen müssen, wo es doch jetzt erst so richtig gemütlich wird«, meinte die Bäuerin bedauernd.
»Ein Notfall, damit muss man immer rechnen«, erwiderte Sabine. »Aber vielleicht dauert es nicht lange und er kommt bald wieder zurück.«
»Ein Glück, dass wir hier jemanden wie den Bergdoktor haben. Seine Patienten liegen ihm am Herzen, und er weiß immer Rat. Selbst mitten in der Nacht steht er einem Sterbenden bei oder hilft bei einer schweren Geburt, wenn die Hebamme nimmer weiterweiß.«
Sabine freute es immer wieder, wenn ihr Mann die Wertschätzung erfuhr, die er verdiente.
»Das ist doch selbstverständlich«, erwiderte sie dennoch.
»Na, das ist es heutzutage net. Und es ist auch selten, dass eine Ehefrau dafür so viel Verständnis hat wie Sie, Frau Doktor.«
»Ich bin halt auch vom Fach«, erwiderte Sabine lächelnd.
»Das ist wahrhaft ein Segen, ja«, gab die Niedermoserin zurück und befasste sich dann mit ihrem Nachtisch.
Genüsslich begann die Bäuerin zu löffeln, obwohl Sabine ihr hätte sagen können, dass ihr das angesichts ihres Gesundheitszustands bestimmt nicht guttun würde. Aber heute war eben eine Ausnahme, und sie wollte der Bäuerin den Festtag nicht mit vorwurfsvollen ärztlichen Ermahnungen verderben.
Ein helles Juchzen lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die Kinderschar, die um die Scheune herum Fangen spielte. Auch die Niedermoserin hielt mit dem Essen inne.
»Wie das hier wuselt. Ja, auf dem Land hat man eben noch mehrere Kinder«, meinte die Bäuerin.
»Ich hätte meine beiden Großen auch gern mitgebracht, aber sie haben gerade eine schwere Erkältung überstanden. Bei ihrem Großvater und unserer Zenzi sind sie ja gut untergebracht«, beantwortete Sabine die unausgesprochene Frage der Niedermoserin.
»Schad. Ich hätt die Doktorkinder gern mal wiedergesehen. Hauptsache aber, sie sind wieder gesund.«
»Oh ja. Sie fangen schon wieder an, durch das Haus zu toben und miteinander zu streiten!« Sabine lachte auf.
Während sie die spielenden Kleinen beobachtete, verspürte sie plötzlich heftige Sehnsucht nach ihren Kindern. Sie dachte an Tessa, die fast neun war, ein reizender Wirbelwind mit schwarzbraunen Locken, denen sie den Kosenamen »Schneckerl« verdankte, und dunklen Brombeeraugen.
Eigentlich war Tessa ein Findelkind, das von den Burgers zuerst aufgenommen und später adoptiert worden war. Doch das war längst in Vergessenheit geraten, die Burgers liebten sie so innig wie ihr eigenes Fleisch und Blut.
Tessa war ein fröhliches Kind, immer zu Streichen aufgelegt und schlau obendrein, außerdem ein rechtes Naschkatzerl, das der strengen Zenzi immer Süßigkeiten abzuluchsen wusste. Bei dem Gedanken musste Sabine unwillkürlich lächeln.
Auch wenn es hin und wieder zu Auseinandersetzungen kam, so liebte Tessa doch Philipp, ihren Bruder, der Filli genannt werden wollte, von Herzen. Filli kam bald in die Schule und gehörte zu den Kindern, die immer alles genau wissen wollten, was gelegentlich zu Schwierigkeiten führte.
Und nicht zuletzt gab es noch die kleine zweijährige Laura, die ihnen einst große Sorgen gemacht hatte, nun aber ein überaus gesundes, zufriedenes Kind war.
Dafür musste Sabine von Herzen dankbar sein, und das war sie auch. Dennoch sehnte sie sich danach, ihren Mann an ihrer Seite zu haben, erst dann würde sie das Fest richtig genießen können.
Hoffentlich ist er nicht zu spät gekommen und alles ist gut ausgegangen, dachte sie besorgt, ehe sie sich wieder den Kindern zuwandte.
***
»Ganz ruhig, Lenerl, ganz ruhig«, sprach Dr. Burger auf das junge Mädchen ein, das – nach Atem ringend – auf einem Sofa in der Stube der Buchwegers lag. Als er angelangt war, hatte das Mädchen heftig hyperventiliert und keuchend nach Luft geschnappt.
Zum Glück hatte er rasch Abhilfe schaffen können, die Atmung hatte sich normalisiert. Doch Lenas Herz raste immer noch und war völlig aus dem Rhythmus geraten.
Inzwischen hatte er ihr ein starkes Beruhigungsmittel verabreicht.
»Gleich geht es dir besser«, versprach er, während er ihre kleine zuckende Hand in seiner Rechten hielt. »Es dauert halt ein bisserl, bis die Spritze wirkt.«
»Die stellt sich fei immer so an«, meinte ihre Tante, die hinter dem Arzt in der Stube stand, geringschätzig.
Josefa Buchweger war eine dürre, ausgezehrt wirkende Frau, deren früh gealterte Züge von Unzufriedenheit und Bosheit gezeichnet waren. Ihr Blick, der auf das junge Mädchen gerichtet war, drückte Neid und Gehässigkeit aus, denn ihre Nichte Lena war selbst in diesem Zustand noch von auffallender Schönheit.
Das Mädchen hatte schwarze Haare, die, in der Mitte gescheitelt, glatt auf ihre Schultern herabflossen. Die hellgrünen Augen, die das fein geschnittene Gesicht beherrschten, bildeten dazu einen reizvollen Gegensatz.
Nicht minder reizvoll war der volle Mund, der an eine Knospe erinnerte. Obwohl Lena nur einen abgetragenen, formlosen Kittel trug, ließ sich nicht verbergen, dass sie eine ebenmäßige Gestalt hatte, der es an weiblichen Formen nicht fehlte.
Dr. Burger kannte Frauen der Art von Josefa Buchweger und wusste, was er von ihnen zu halten hatte.
»Das glaube ich nicht, Josefa. Diese Beschwerden kann man nicht vortäuschen«, gab er daher sachlich zur Antwort. »Und warum sollte Lena das auch tun?«
Josefa kniff ihre farblosen Lippen zusammen.
»Wenn man sich halt immer von der Arbeit drücken will …«, erwiderte sie mit einem bösen Funkeln in den wasserblauen, kalten Augen.
Der Bergdoktor griff wieder nach Lenas Hand und betrachtete die schrundige, rote Haut, die sie entstellte.
»Das schaut mir nicht danach aus, als ob die Lena sich vor der Arbeit drückt. Ihre Hände sehen eher aus, als ob sie hier alles allein machen müsste«, entgegnete Dr. Burger nun mit einiger Schärfe in seiner Stimme.
Fleckige Röte erschien auf Josefas Wangen. Abrupt drehte sie sich um und verließ die Stube.
Der Bergdoktor dachte bei sich, dass er Lena wohl keinen Dienst erwiesen hatte, als er sie gegen ihre Tante verteidigt hatte, denn Lenas Puls hatte sich wieder beschleunigt.
»Weißt du was, Lenerl? Ich überweise dich jetzt an einen Facharzt in Mayrhofen, denn das mit deinem Herz muss abgeklärt werden.«
Lena nickte, wirkte aber sehr unglücklich dabei.
»Das wird die Tante net wollen …« Sie seufzte.
»Die Tante hat da überhaupt nichts zu bestimmen. Wenn es dir schlecht geht, hat sie auch nichts davon. Und hör nun einmal gut zu, Lena. Wenn es ganz schlimm wird, dann kommst du zu mir in die Mini-Klinik«, sagte er eindringlich.
Diese Aussicht schien sie endlich zu beruhigen.
»Ja. Vielen Dank, Herr Doktor.«
Mit einem unguten Gefühl schloss der Bergdoktor wieder seine umfangreiche schwarze Arzttasche. Dann verabschiedete er sich von dem jungen Mädchen und hielt sie an, sich zu schonen.
Im Flur wartete Josefa Buchweger, inzwischen hatte sich noch ihr Mann Hias dazugesellt. Xaver, der halbwüchsige Sohn, stand auf der Küchenschwelle und starrte neugierig zu ihnen hinüber.
Hias Buchweger, um einiges jünger als seine Frau, konnte als sehr gut aussehend bezeichnet werden, auch wenn seine Züge etwas grob waren und in seinen Augen manchmal etwas aufflammte, das zur Vorsicht riet. Es ging das Gerücht, dass er es mit der ehelichen Treue nicht so genau nahm. Vielleicht hatte das dazu beigetragen, dass Josefa so verbittert geworden war und der Nichte Jugend und Schönheit neidete.
»Und?«, fragte er den Bergdoktor grob.
»Die Lena braucht Ruhe in der nächsten Zeit, also keine körperliche Anstrengung. Sie hat eine Überweisung für einen Facharzt«, erklärte Martin sachlich.
»Dann können wir ja hier gleich ein Sanatorium aufmachen«, knurrte Josefa unzufrieden.
»Ach, gibt es hier noch mehr Kranke?«, konnte sich der Bergdoktor nicht verkneifen zu fragen, denn die Herzlosigkeit der Buchwegers brachte ihn nun doch auf.
Das ungleiche Paar gab keine Antwort darauf, und Josefa machte auch keine Anstalten, ihn zur Tür zu begleiten. Stattdessen hörte er hinter sich das schrille Gekeife, mit dem sie Lena bedachte.
Wieder überkam den Arzt tiefes Mitleid mit dem bedauernswerten jungen Mädchen, das diesen Verwandten ausgesetzt war. Als ob Lena in ihrem kurzen Leben nicht schon genug Unglück erlitten hätte!
Als er auf den Hofplatz trat, ließ er seinen Blick über das Anwesen schweifen. Seit Hias den Hof übernommen hatte, war der einst so stattliche Hof unaufhaltsam dem Niedergang anheimgefallen. Die Schindeln waren schadhaft und hätten längst erneuert werden müssen, die Farbe blätterte von den Fensterläden, und überall lagen rostige Gerätschaften herum.
Der Bergdoktor konnte sich noch daran erinnern, wie früher die Geranien auf Fenstersimsen und Balustraden üppig geblüht hatten, jetzt standen nur noch vereinzelt verrottete Blumenkästen dort. Wahrscheinlich hielten die Buchwegers den Blumenschmuck für eine überflüssige Geldausgabe.
Er stieg in seinen Wagen, den er vor der Scheune abgestellt hatte, und ließ den Motor an. Er hatte es eilig, von hier wegzukommen – nicht nur, weil er sich auf dem Hof unbehaglich fühlte, sondern auch, weil er wusste, dass Sabine bei den Zirnthalers auf ihn wartete.
Bei dem Gedanken an sie umspielte ein Lächeln seine Lippen. Er konnte sich glücklich schätzen, eine Frau wie Sabine gefunden zu haben. Sie hatte Verständnis dafür, wenn er wegen eines Notfalls weggerufen wurde, und sie nahm an allem Anteil.
Als Anästhesistin half sie auch gelegentlich aus, sodass sie eine stützende Säule in seinem anstrengenden Alltag war. Sie ging liebevoll mit den Kindern um, und er war immer noch so verliebt in sie wie zu Anfang ihrer Beziehung.
Nach einem furchtbaren Schicksalsschlag hatte er nicht mehr gehofft, jemals wieder persönliches Glück erfahren zu dürfen. Seine erste Frau Christl war bei der Geburt ihres sehnlichst erwarteten Kindes gestorben und hatte es mit sich genommen. Daraufhin hatte es Martin in seiner geliebten Bergheimat nicht mehr ausgehalten und war nach München gegangen, wo er sein Examen als chirurgischer Facharzt abgelegt hatte.
Erst als sein Vater, Dr. Pankraz Burger, die Praxis nicht mehr allein hatte weiterführen können, war Martin zurückgekehrt. Er hatte das Doktorhaus um einen Anbau erweitert, in dem Labor- und Röntgenräume untergebracht waren, außerdem gab es nun einen Operationssaal und auch zwei Krankenzimmer für Notfälle. Es war daher nicht verwunderlich, dass die Dörfler die Praxis die »Mini-Klinik« nannten.
Bald schon hatte Martin Burger den Ehrennamen »Bergdoktor« erhalten. Überhaupt war sein Leben nach seiner Rückkehr ganz auf seine Arbeit ausgerichtet gewesen, so schien es vorherbestimmt zu sein.
Doch dann hatte sein Schicksal eine überraschende Wendung genommen, als er auf die junge Anästhesistin Sabine getroffen war, die in St. Christoph ihre Tante Rika besucht hatte. Schon bei ihrer ersten Begegnung hatte er sich in sie verliebt. Mit ihrem blonden Haarhelm und der schlanken Figur war sie nicht nur bildhübsch, sondern sie hatte auch ein liebenswertes Wesen.
Anfangs hatte es ihn verunsichert, dass er sechzehn Jahre älter war als sie – mittlerweile war er einundfünfzig. Doch sie hatte ihm immer wieder beteuert, wie attraktiv und jugendlich sie ihn fand.
Inzwischen war er bei den Zirnthalers angelangt und betrat den Hofplatz. Sabines Augen leuchteten auf, als sie ihn erblickte, und wieder erkannte er, wie sehr er sie liebte und von ihr wiedergeliebt wurde.
»Schön, dass du doch noch mitfeiern kannst«, sagte Sabine erfreut, und die Niedermoserin rückte bereitwillig beiseite, damit er noch Platz fand.
»Ja, es ist glücklicherweise alles gut verlaufen«, gab er zurück, was seine Frau mit großer Erleichterung erfüllte.
Mehr sagte er nicht, und sie gab sich auch damit zufrieden. Aus Erfahrung wussten beide, dass seine Äußerungen immer auf neugierig gespitzte Ohren stießen. Doch zu Hause würde sich ihnen noch genug Gelegenheit bieten, darüber zu sprechen.
»Es ist noch genug Essen da«, rief die junge Zirnthaler-Bäuerin herüber, der die Ankunft des Bergdoktors nicht entgangen war.
Doch Martin Burger nahm nur einen kleinen Imbiss zu sich. Auch auf die Süßspeise, die von der Niedermoserin so gepriesen wurde, verzichtete er.
Die Burgers verbrachten noch einen angenehmen Nachmittag auf dem Zirnthaler-Hof, ehe sie sich zur Rückfahrt entschlossen. Sie wollten die Betreuung der Kinder doch nicht völlig ihrem Großvater und Zenzi Bachhuber überlassen.
Auf der Heimfahrt schwieg Martin immer noch, auch beim Abendessen mit der Familie. Erst als die Kinder zu Bett gebracht worden waren und man wie üblich noch eine Weile im Wohnzimmer zusammensaß, sprach er über seinen Besuch auf dem Buchweger-Hof.
»Das Leben hat es nicht gut gemeint mit der Lena. Dass sie nun solchen Menschen, die zudem noch ihre Verwandten sind, ausgeliefert ist, kann einem nur in der Seele wehtun. Und ihr Vater – der einzige Mensch, der sie liebt – sitzt im Gefängnis.«
»Wie ist es denn dazu gekommen?«, fragte Sabine.
»Das alles ist vor deiner Zeit geschehen, Sabine, das kannst du nicht wissen«, meldete sich nun Pankraz Burger zu Wort.
Martins Vater war ein rüstiger, hochgewachsener Mann, dessen Leibesmitte sich allerdings sichtbar wölbte, was auf seine Vorliebe für irdische Genüsse zurückzuführen war. Seine Schwiegertochter versuchte diese Neigung zu zügeln, was ihr allerdings nicht immer gelang.
Er wohnte in seinem Kabinettl, das sich an das Wohnzimmer anschloss, und arbeitete an einer Chronik des Zillertals. Gerne las er seinen Enkeln Sagen oder Märchen, die er gesammelt hatte, als Gutenachtgeschichten vor – auch wenn Tessa und Filli sie manchmal so gruselig fanden, dass sie nicht einschlafen konnten.
Bei Fuß saß wie meistens Poldi, der in seinem Körbchen unter dem Treppenaufgang im Flur hauste. Der Rauhaardackel teilte die Vorliebe seines Herrchens für Leckerbissen. Bei den Mahlzeiten lauerte er immer erwartungsvoll unter dem Tisch darauf, dass Pankraz ihm ein Würstl hinunterreichte – sehr zu Sabines Verdruss, die fürchtete, dass der Hund übergewichtig werden könnte.
Einmal hatte sie sogar einen wenig schmeichelhaften Vergleich zwischen Pankraz und Poldi gemacht. Das hatte den Senior zwar gekränkt, aber es schmälerte keineswegs die Wertschätzung, die er für seine Schwiegertochter empfand. Schließlich hatte sie aus seinem vereinsamten Sohn wieder einen lebensfrohen Menschen gemacht.