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Waldbrand in St. Christoph
Ein unachtsamer Urlauber löst eine Katastrophe aus
Von Andreas Kufsteiner
Mit Tränen in den Augen packt Katja Römer ihre Sachen und verlässt kurz darauf den Ederhof. Hier hat sie in den letzten Wochen ihrer todkranken Freundin und deren Kindern beigestanden, doch nun kann sie nicht länger bleiben. Niemand ahnt, dass ihr Herz schon immer Lukas, dem Witwer, gehört hat. Ihn weiterhin täglich zu sehen, ohne Hoffnung auf Erfüllung, geht über ihre Kraft ...
Am Ortausgang von St. Christoph hält Katja noch einmal an, um das herrliche Panorama der Berge in sich aufzunehmen. Plötzlich steigt ihr beißender Rauchgeruch in die Nase. Im Krähenwald - in unmittelbarer Nähe des Ederhofs - wütet ein Feuer!
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Seitenzahl: 136
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Waldbrand in St. Christoph
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Michael Wolf
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar
ISBN 9-783-7325-8269-3
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Waldbrand in St. Christoph
Ein unachtsamer Urlauber löst eine Katastrophe aus
Von Andreas Kufsteiner
Mit Tränen in den Augen packt Katja Römer ihre Sachen und verlässt kurz darauf den Ederhof. Hier hat sie in den letzten Wochen ihrer todkranken Freundin und deren Kindern beigestanden, doch nun kann sie nicht länger bleiben. Niemand ahnt, dass ihr Herz schon immer Lukas, dem Witwer, gehört hat. Ihn weiterhin täglich zu sehen, ohne Hoffnung auf Erfüllung, geht über ihre Kraft …
Am Ortausgang von St. Christoph hält Katja noch einmal an, um das herrliche Panorama der Berge in sich aufzunehmen. Plötzlich steigt ihr beißender Rauchgeruch in die Nase. Im Krähenwald – in unmittelbarer Nähe des Ederhofs – wütet ein Feuer!
Langsamen Schrittes stieg Katja Römer den schroffen Pfad hoch, der von Mayrhofen den Achenkegel hinaufführte, einem der sechs steinernen Wächter um das Zillertaler Bergdorf St. Christoph und seine Weiler.
Kurz bevor die Almwiesen an den grauen Granitwänden des Berges endeten, deren konischer Form er seinen Namen verdankte, gelangte man über einen schmalen Steig auf die gegenüberliegende Seite, wo es nicht weniger steil ins Dorf hinunterging.
Trotzdem hatte Katja den anstrengenden Marsch gewählt, statt gemütlich im Taxi vom Bahnhof Mayrhofen zum Haus ihrer Mutter zu fahren, die in St. Christoph lebte. Sie wollte sich ihren geliebten Bergen nahe fühlen, die sie in der Fremde schmerzlich vermisst hatte. Nur ihr Gepäck hatte sie im Taxi vorausgeschickt.
Sechs lange Jahre war sie fort gewesen, und trotz ihrer brennenden Sehnsucht wäre sie wohl auch nicht nach Hause zurückgekehrt, hätte sie nicht der Hilferuf ihrer Mutter Rosa ereilt. Diese hatte sich bei einem Sturz einen komplizierten Oberschenkelbruch zugezogen und brauchte nun ihre Unterstützung.
Das war für Katja selbstverständlich. Sie hatte der Mutter versprochen, sofort zurückzukommen, wenn sie Hilfe brauchte, als sie sich entschlossen hatte, in Kanada zu bleiben, wohin sie eine Freundin von Rosa eingeladen hatte. Diese war vor Jahren in das ferne Land ausgewandert.
Rosa hatte die weite Reise gescheut, doch Katja war schier aus der Heimat geflohen, um in der Fremde ihr verwundetes Herz heilen zu lassen, das sie ihrer eigenen Dummheit und Wankelmütigkeit zu verdanken hatte.
Die Heimkehrerin blieb stehen, schützte die Augen mit der Hand vor dem grellen Sonnenlicht des schönen Maitages und sah sich um. Wie sehr sie ihr Zuhause vermisst hatte, spürte sie erst jetzt, wo sie wieder heimatlichen Boden unter den Füßen hatte. So schön und abenteuerlich Kanada auch war, heimisch war sie dort nicht geworden. Auch ihr Herz war hiergeblieben bei ihren Zillertaler Bergen und dem Jugendfreund, der ihre beste Freundin geheiratet hatte.
Ein schmerzlicher Seufzer entrang sich der Brust der jungen Frau. Dann schüttelte sie energisch die Wehmut ab und ergötzte sich weiter an dem wunderschönen Panorama, das sich ihren Augen bot.
Rauschende Wälder, durchsetzt von saftigen Almwiesen, zogen sich bis weit in die Felsregion der steinernen Riesen hoch, auf dessen höchster Erhebung, dem Feldkopf, das Gletschereis im gleißenden Sonnenlicht schimmerte. Dort führte auch eine Kabinenbahn hinauf, während man die anderen Berge zu Fuß erklimmen musste. Heute schwebten die Gondeln in ruhiger Gleichmäßigkeit dem Gipfel zu, nur ein schwacher Windhauch verursachte ein leichtes Schaukeln.
Katja stöhnte, das hatte sie schon anders erlebt. Damals hatte sie mit ihrem drei Jahre älteren Jugendfreund Lukas in der wild pendelnden Gondel ausharren müssen, bis sich der Sturm wieder gelegt hatte, der sie auf halber Strecke zur Talstation überrascht hatte. Die Bergbahn hatte ihren Betrieb schon eingestellt gehabt, aber noch eine letzte Kabine zu Tal geschickt, die allerdings keine Personen mehr befördert hatte.
Trotzdem war Katja hineingehuscht, als zufällig kein Bahnwärter zugegen gewesen war, und Lukas hatte ihr notgedrungen folgen müssen. Er war kein Freund solcher Beförderungen, marschierte lieber zu Fuß durch die Berge, besonders bei einem drohenden Sturm. Doch ihre Füße hatten von der anstrengenden Wanderung gebrannt, die sie an dem schönen Sommertag unternommen hatten. Außerdem war sie müde und erschöpft gewesen, sodass sie sich einfach über das Verbot hinweggesetzt hatte.
Aber dann war auch schon der Tanz losgegangen und der Sturm mit voller Wucht durchs Tal gebraust. Die Kabine war wie von einer Riesenfaust durchgeschüttelt worden, und Katja hatte ihre Eigenmächtigkeit bitter bereut.
Die Situation, in die sie Lukas und sich aus reinem Egoismus hineinmanövriert hatte, war nicht ungefährlich gewesen. Die nun festsitzende Gondel hätte bei dem wütenden Orkan aus der Führung springen können, und die Bergwacht war trotz verzweifelter Bemühungen nicht an sie herangekommen.
Trotzdem hatte Lukas kein Wort des Tadels verloren, sondern sie schützend im Arm gehalten und ihr Mut zugesprochen, wenn die Angst sie überwältigen wollte. Er hatte nicht die Nerven verloren, obwohl auch ihm mulmig zumute gewesen war.
Seine Ruhe hatte sie vor der Panik bewahrt. Dennoch war sie sehr erleichtert gewesen, als sie endlich wohlbehalten in der Talstation angekommen waren, nachdem der Sturm etwas abgeflaut war.
Die Standpauke, die ihr der Bergwachtleiter von St. Christoph gehalten hatte, würde sie so schnell nicht vergessen. Immerhin hatte sie mit ihrem Leichtsinn nicht nur sich in Gefahr gebracht, sondern auch den treuen Lukas.
Die junge Frau lächelte traurig in sich hinein. Der Jugendfreund war mit seiner kräftigen Gestalt, der bedächtigen Art und seiner Unerschütterlichkeit stets ihr Fels in der Brandung gewesen. Auch war er ein Juwel von einem Mann, gutmütig, zuverlässig und warmherzig. Doch das hatte sie viel zu spät gewürdigt, ebenso wie die Tatsache, dass ihr Herz längst ihm gehört hatte.
Doch damals war sie trotz ihrer zweiundzwanzig Jahre einfach noch nicht reif für die Liebe gewesen, hatte den Kopf noch voller Flausen und unsinniger Träume gehabt. Statt ihr Glück festzuhalten und mit dem schneidigen Jungbauern vom Ederhof am Hexenstein eine Familie zu gründen, hatte sie erst die Welt erkunden wollen, bevor sie sich auf dem abgelegenen Gehöft vergraben würde.
Das hatte sie Lukas damals auch gesagt und ihn damit in die Arme ihrer gleichaltrigen Freundin Astrid getrieben. Sie sei ihm zu wankelmütig, hatte er sie wissen lassen. Er wolle jetzt Familie und nicht erst, wenn er alt und grau war. Dabei war er gerade mal fünfundzwanzig Jahre alt gewesen.
Unwillig schüttelte Katja den Kopf. Die Erinnerung ließ sie einfach nicht los. Kaum hatte sie heimischen Boden betreten, überfiel sie die Vergangenheit mit schmerzlicher Wucht.
Lukas und Astrid waren sich eben erst nähergekommen, als die Freundin auch schon schwanger geworden war und der Jungbauer sie zum Traualtar geführt hatte. Manchmal quälte Katja die Vorstellung, wie anders alles gekommen wäre, hätte sie sich nicht so geziert. Dann wäre sie wohl heute mit dem geliebten Mann verheiratet. Doch tief in ihrem Innern wusste sie, dass sie sich etwas vormachte.
Lukas hatte schon immer nur Astrid gewollt, sie war nur die Zweitbesetzung gewesen, weil ihm die Freundin anfangs die kalte Schulter gezeigt hatte. Inzwischen waren die beiden ein glückliches Ehepaar und hatten zwei niedliche Kinder, wie Katja aus Briefen ihrer Mutter wusste.
Abermals umspielte ein wehes Lächeln die Lippen der jungen Frau. Sie lebte gern in Kanada, aber eine neue Liebe hatte sie dort nicht gefunden. Man sagte ihr nach, mit den blonden Locken, dem zarten Gesicht und den klaren blauen Augen eine Schönheit zu sein, und es mangelte ihr auch nicht an Verehrern.
Außerdem zollten ihr die Kollegen bei der Berufsfeuerwehr ihres Wohnortes, bei der sie als Feuerwehrfrau arbeitete, großen Respekt. Sie war zierlich, hatte aber mehr Mumm in den Knochen als so mancher kernige Bursche, von der es in ihrer Einheit nicht wenige gab.
Trotzdem konnte sie Lukas nicht vergessen, und kaum einer von ihnen hatte eine Chance, ihr Herz zu erobern. Auch ihr derzeitiger Freund nicht, ein charmanter, gut aussehender Kanadier, der sich wahrhaft Mühe gab, ihre Liebe zu erringen, obwohl er wusste, dass es zwischen ihnen keine ernste Beziehung geben würde, solange ihre Sehnsucht dem falschen Mann galt.
***
„Ja, ist es denn wahr! Katja, was tust du denn hier?“, riss eine sonore Stimme die junge Frau aus ihrer Versunkenheit.
Katja fuhr herum und sah sich Dr. Martin Burger gegenüber, dem Landarzt von St. Christoph, der auch respektvoll „Bergdoktor“ genannt wurde.
Sie war überrascht, wie jung und fit der Arzt, der inzwischen die Lebensmitte schon überschritten hatte, noch immer wirkte. Er hatte sich überhaupt nicht verändert.
Das sonnengebräunte Gesicht hatte kaum eine Falte mehr, und seine große Gestalt war nach wie vor sportlich gestählt. Auch blickten die braunen Augen genauso freundlich und mitfühlend wie damals, als er ihr nach der Hochzeit der Freunde Trost zugesprochen hatte.
Er war außer der Mutter der einzige Mensch, der von ihrem Liebeskummer wusste und den Grund kannte, warum sie in Kanada geblieben war. Nicht einmal Lukas ahnte, wie sehr sie Astrids Schwangerschaft und die überstürzte Hochzeit getroffen hatte.
Selbst die Freundin kannte die Wahrheit nicht, sonst hätte sie ihr kaum die Funktion der Brautjungfer angetragen.
Noch heute war es Katja ein Rätsel, wie sie die kirchliche Zeremonie durchgestanden hatte, ohne in Tränen zu zerfließen. Später hatte sie sich dann in den Armen von Dr. Burger ausgeweint.
Der einfühlsame Arzt, der mit seiner Frau Gast auf der Hochzeit gewesen war, hatte schnell durchschaut, woher ihre Unpässlichkeit wirklich kam, mit der sie sich vorzeitig vom Fest stehlen wollte.
„Hat Mama Ihnen nicht gesagt, dass sie mich gebeten hat heimzukommen, weil sie wegen ihres Beinbruchs allein nicht zurechtkommt, Herr Doktor?“, fragte sie verwundert.
Dr. Burger lupfte leicht eine Augenbraue. Katjas Stimme klang fremd, sie hatte nicht nur ihren Dialekt verloren, sie sprach jetzt sogar mit leichtem Akzent. Er schob den braunen Filzhut ins Genick, den er zum Schutz gegen die gleißende Sonne trug.
„Du kennst ja deine Mutter und weißt, wie eigensinnig sie ist. Ich wollte sie zur Reha schicken, und danach wäre sie von einer Gemeindeschwester betreut worden, bis der Bruch verheilt ist. Aber sie hat sich geweigert und holt stattdessen dich her. Dabei ist die Reha wichtig.“
„Wie ist es denn passiert?“, wollte Katja wissen.
Der Bergdoktor zuckte die Schultern.
„Deine Mutter war mal wieder zu ungeduldig und konnte net schnell genug den Bus verlassen, als dieser mit einiger Verspätung von Mayrhofen heraufkam. Dabei ist sie gestürzt und so unglücklich auf die Wegbegrenzung gefallen, dass sie sich den rechten Oberschenkel brach. Dummerweise hat sie sich wegen der schweren Einkaufstaschen in ihren Händen auch net abfangen können.“
„Oje“, entfuhr es der jungen Frau.
„Ja, das war wahrlich ein böser Sturz. Ich habe deine Mutter dann sofort ins Bezirkskrankenhaus Schwaz eingewiesen, wo sie operiert wurde. Dagegen hat sie protestiert, denn sie wollte, dass ich den Eingriff in meiner ‚Mini-Klinik‘ vornehme. Doch mit dieser komplizierten Fraktur war sie in Schwaz besser aufgehoben. Dafür bin ich nicht richtig ausgerüstet.“
Im Praxisanbau seines Hauses befand sich eine medizinische Einrichtung, die von den Dorfbewohnern liebevoll „Mini-Klinik“ genannt wurde. Der modern ausgestattete OP und die dazugehörigen Räumlichkeiten, wie Labor und Röntgenraum, erlaubten ihm als ausgebildeten Chirurgen im Notfall ein schnelles Handeln. Doch in manchen Fällen waren ihm Grenzen gesetzt.
„Warum haben Sie mich nicht gleich verständigt, Herr Doktor?“, wunderte sich Katja. Sie konnte nicht verhindern, dass nun in ihrer Stimme ein leichter Tadel mitschwang.
„Rosa wollte dich noch net behelligen. Sie dachte wohl, sie käme schnell wieder auf die Beine“, erwiderte der Arzt ruhig. Den versteckten Vorwurf nahm er nicht übel. „Aber bei einem so komplizierten Trümmerbruch geht’s nun mal langsamer. Deshalb habe ich Rosa auch dringend zur Reha geraten. Aber du kennst ja ihre Aversion gegen Kliniken.“
„Ja, die kenne ich gut“, sagte Katja.
„Ihre Freundin Greta Gattringer hat ihr einen Physiotherapeuten empfohlen, der auch ins Haus kommt“, fuhr Dr. Burger fort. „Ebenso hat sie sich bereit erklärt, Rosas Betreuung zu übernehmen, was aber offenbar net funktioniert, sonst hätte deine Mutter dich net doch noch hergeholt.“
„Ausgerechnet Greta, diese Chaotin, will sich um Mama kümmern. Das kann ja nur schiefgehen.“ Katja schüttelte missbilligend den Kopf.
Sie hatte die Bäuerin, die mit ihrer Familie auf einem Hof am Frauenhorn lebte, noch nie gemocht und nicht verstanden, wie ihre feinfühlige und penible Mutter mit dieser derben Frau Freundschaft schließen konnte.
Rosa verdiente ihren Lebensunterhalt als Tagesmagd auf den umliegenden Bauernhöfen und hatte auch auf dem Gattringerhof ausgeholfen, als Greta mit ihrem zweiten Sohn schwanger gewesen war. Dabei waren sich die beiden so unterschiedlichen Frauen nähergekommen.
„Du sagst es“, stimmte Dr. Burger bei. „Also erschrick net, wenn du euer Haus betrittst. Greta nimmt es mit der Ordnung wahrlich net so genau.“
Katja nickte grimmig. Sie kannte den Gattringerhof von früher her und das Bauernhaus, in dem man über achtlos hingeworfene Kleidungsstücke und allen möglichen Krimskrams stolperte, von der Küche ganz zu schweigen. Sie hatte sich stets herausgewunden, wenn Greta sie zum Essen eingeladen hatte. Die Bäuerin war nicht nur schlampig, sie war auch eine miserable Köchin. Ihr grauste bei der Vorstellung, dass ihre Mutter nun von Greta verköstigt wurde.
„Wann bist du denn angekommen?“, holte Dr. Burger die Heimkehrerin aus ihren finsteren Gedanken.
„Ich bin vor etwa drei Stunden in Innsbruck gelandet und dann gleich weitergefahren nach Mayrhofen“, entgegnete Katja. Mit fahriger Geste wischte sie eine Haarlocke aus der Stirn, die der Wind verweht hatte. „War eine blöde Idee, gleich den anstrengenden Marsch über den Achenkegel nach St. Christoph zu wagen, statt mit dem Taxi zu fahren. Bei dem herrlichen Wetter und dem Anblick der majestätischen Berge konnte ich aber nicht widerstehen.“
„Ja, das Wetter ist heute ganz wunderbar“, pflichtete Dr. Burger ihr bei.
„Allerdings habe ich dabei den Jetlag aufgrund der Zeitverschiebung von fünf Stunden völlig unterschätzt“, gab Katja zu. „Ich bin gestern Abend um zwanzig Uhr in Toronto abgeflogen und heute Morgen gegen fünf Uhr kanadischer Zeit in Innsbruck gelandet. Da war es hier aber schon fast Mittag. Jetzt kämpfe ich mit der bleiernen Müdigkeit und bin froh, dass es nun nur noch bergab geht. Bei Mama werde ich mich wohl erst mal aufs Ohr legen.“ Sie blies erschöpft die Luft aus.
Dr. Burger nickte mitfühlend.
„Du musst dringend mit deiner Mutter reden, Katja“, beschwor er die junge Frau dann. „Überzeuge sie, dass der Aufenthalt in der Rehaklinik unumgänglich ist. Ich sehe zwar täglich nach ihr, aber das reicht net. Sie muss rund um die Uhr unter ärztlicher Aufsicht sein. Bei einer derartigen Fraktur des Röhrenknochens im Oberschenkel ist die Gefahr einer Embolie sehr hoch. Zwingen kann ich sie aber nicht.“
Entsetzt starrte Katja den Arzt an.
„Embolie?“, wiederholte sie tonlos. „Wie lang ist Mama denn schon wieder zu Hause?“
„Sie war knapp zwei Wochen in der Klinik und ist nun auf eigenen Wunsch seit fünf Tagen daheim“, antwortete Dr. Burger resigniert. „Ich hoffe, du kannst mehr erreichen als ich. Der Dickkopf deiner Mutter ist wirklich schwer zu knacken.“
Katja verdrehte die Augen.
„Wem sagen Sie das, Herr Doktor. Mir ist nicht wohl dabei, dass Mama nun allein hier in St. Christoph lebt. Wir haben keine nahe Verwandten mehr, und ihre wenigen Freunde sind nicht wirklich für sie da. Deshalb würde ich Mama gern zu mir holen. Marie, ihre Freundin in Kanada, hat ihr schon die Einliegerwohnung in ihrem Haus angeboten. Aber sie will ihre geliebte Bergwelt nicht verlassen.“
Sie drehte den Kopf und blickte zu den Bergriesen hoch, die mit ihren mitunter bizarren Gipfeln stolz in den Himmel ragten. Nur die Beerenhalde, die dem Achenkegel schräg gegenüberlag, tanzte mit ihrer kargen Hochebene aus der Reihe.
„Ich kann Mama verstehen, jetzt, wo ich wieder zu Hause bin“, sagte Katja seufzend. „Mir haben meine Berge auch sehr gefehlt. Es war mir nur nicht bewusst, weil mein Leben in Kanada ziemlich hektisch ist. Ich arbeite als Feuerwehrfrau in einem Vorort von Ontario, da ist immer etwas los.“
„Du bist Feuerwehrfrau?“, staunte Dr. Burger und musterte respektvoll die zierliche Person. „Das hätte ich dir gar net zugetraut.“
„Man wächst mit der Aufgabe. Ich fühle mich gut dabei, wenn ich durch meinen Einsatz Menschen retten kann, und interessant ist die Arbeit auch. Besonders Waldbrände erfordern ein besonnenes Handeln und genaue Kenntnis über die Feuerbekämpfung. Diese Brände sind oft unberechenbar.“
„Kann ich mir bei den riesigen Wäldern Kanadas gut vorstellen“, kommentierte der Bergdoktor beeindruckt. Er rieb sich übers Kinn. „Zum Glück sind wir in unserem Tal bisher vor solchen Katastrophen verschont geblieben, obwohl wir ebenfalls waldreiche Gebiete haben und die Leute oft sehr leichtsinnig mit ihren Zigaretten umgehen.“