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Vier Kurzgeschichten, die bereits in „Positive Storys“ und „Mein schwules Auge“ erschienen sind.
Der dünne Boden, auf dem wir stehen
Dass sein Partner HIV-positiv ist, stellt einen Mann vor mehr Probleme und innere Konflikte, als die naheliegenden. Auch körperliche Nähe und Lust bleibt von dem Virus, von den Medikamenten, die ihn in Schach halten sollen, nicht unberührt.
Winterlinde
Ein junger Mann kümmert sich um seinen an Krebs erkrankten Partner, hat aber das Gefühl, dass das nicht genug ist.
… und andere
Achtung – es handelt sich um literarische Kurzgeschichten, es sind kurze Texte, die Situationen anreißen. Enthält keinen Zucker.
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Veröffentlichungsjahr: 2019
J. Walther
Der dünne Boden,
auf dem wir stehen
~~~ Kurzgeschichten ~~~
Table of Contents
Titel
Der dünne Boden, auf dem wir stehen
Winterlinde
Die perfekte Kürbissuppe
Im Sucher
Anmerkungen/Impressum
Der dünne Boden, auf dem wir stehen
Martin blickte von seinem Buch auf, schaute ihn an. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. In seinen Mundwinkeln bildeten sich die Grübchen, die er so mochte. Er suchte wieder Martins Blick, sah die Zärtlichkeit darin.
Er spürte Begehren in sich aufsteigen, war froh darüber. Heute war es nicht verschüttet. Er griff hinüber, berührte seinen Freund. Fuhr über seine Brust, massierte sie. Dann wartete er, wartete auf ein Zeichen von Martin. Nein, keine Zurückweisung heute. Er rutschte an seine Seite, begann ihn zu küssen. Er drang in seinen Mund ein, spürte Martins Zunge. Der Kuss war heiß.
Er zog sich aus, legte sich auf ihn, drückte seinen Schenkel zwischen Martins Beine. Sie küssten sich wieder, er stöhnte in Martins Mund. Dann rutschte er tiefer, schob sein Hemd hoch, fuhr mit seiner Zunge über die harten Bauchmuskeln. Er zog ihm das Hemd über den Kopf, erregte mit der Zungenspitze seine Brustwarzen. Martin stöhnte auf.
Er liebte es, ihn zu verwöhnen, zu spüren, wie Martin darauf reagierte. Wie er antwortete auf seine Liebkosungen, sein Begehren. Er schob seine Hand in Martins Unterhose, begann ihn zu streicheln.
Dann forschte er in Martins Gesicht. Es war verschlossen, halb abgewandt. Er wusste, was das bedeutete. Aber er wollte es nicht wahrhaben. Seine Lust war jetzt intensiv, er wollte nicht mehr zurück. Er wollte, dass dieser Mann, der jetzt das Gesicht abwandte, sich seinem Mund entzog, ihn nahm. Gierig darauf war.
Er glitt von Martin, legte sich auf den Bauch. Martin reagierte, legte sich halb auf ihn, begann ihn in gewohnter Weise zu ertasten. Er stöhnte auf. Ihm war die kühle Routine der Berührungen bewusst. Er fühlte sich nicht wohl damit - Begehren, gemeinsame Lust, fühlten sich anders an. Er hasste sich, weil er nicht in der Lage war, diese Almosen abzuweisen. Er war zu geil, er brauchte es jetzt.
Martin nahm einen Gummi aus dem Nachttisch. Er hörte ihn hinter seinem Rücken damit fummeln. Seine Ungeduld wuchs. Dann spürte er Martin sich zurückziehen.
“Tut mir leid”, flüsterte der.
Er drehte sich um, sah, dass Martins Erektion nicht mehr der Rede wert war. Er drehte sich auf den Rücken. Sie lagen nebeneinander, das unbenutzte Kondom zwischen ihnen. Er tastete nach Martins Schenkel, schob seine Hand vor, aber sie wurde abgewiesen. Sie lagen nebeneinander wie Fremde, blickten an die Decke, redeten nicht.
Enttäuschung breitete sich in ihm aus. Seine Lust war noch da, schmerzte jetzt fast. Martin könnte ihm wenigstens einen blasen, wenn sonst schon nichts los war. Schnelle, bequeme Lust. Vorübergehende Befriedigung. Aber Martin traf keinerlei Anstalten. Es war auch nur eine kleine Vorstellung gewesen, um seine Enttäuschung nicht so zu spüren, um doch noch ein Stück vom Ersehnten zu bekommen.
Nicht zum ersten Mal flüchtete er sich in die Vorstellung, Abenteuer zu suchen. Sich ficken zu lassen von Männern, die ihn wirklich begehrten. Die auf seine Berührungen mit Lust antworteten. Es war eigentlich nie sein Ding gewesen, aber jetzt drehten sich seine Phantasien um Parks und Darkrooms, um Dreier und Saunen.
“Ich wünschte, du währst mal richtig heiß auf mich!”Er gab sich keine Mühe, die Schärfe aus seiner Stimme zu nehmen.
“Du weißt doch, dass es nur wegen der Infektion ist. Weißt du, wie geil ich früher war?”
“Davon hätte ich auch gern was gehabt. Bevor du dich von einem Flittchen, das sich für jeden bückt, hast anstecken lassen!” Ihm war klar, dass er absichtlich gemein war, aber er konnte sich nicht bremsen.
Martin antwortete nicht. Er versuchte, sich zu beruhigen. Seine Gedanken schweiften bis zu dem Punkt, an dem er sich vorstellte, sich von Martin zu trennen. Er dachte immer öfter daran, sich eine andere Beziehung zu suchen, ohne Probleme im Bett. Ohne Streitereien. Ohne die diffuse Angst, sich anzustecken.
Aber er wusste auch, dass er Martin wollte, keinen anderen Mann. Ihn von Anfang an gewollt hatte. Trotz ihrer starken Gefühle füreinander, hatten sie Probleme gehabt, zueinander zu finden. Dennoch war es intensiver gewesen als alles, was er bis dahin erlebt hatte.
Und ja, er hatte Angst gehabt am Anfang. Vor allem, was auf ihn zukommen könnte. Er kam sich feige vor wegen dieser Angst, und er hatte zu Martin nie ein Wort darüber gesagt. Als er Martin vorschlug zusammenzuziehen, wäre der fast weggelaufen. Er hatte sich über seinen eigenen Mut gewundert. Aber es fühlte sich richtig an.
Die Probleme im Bett waren nicht neu. Aber hartnäckiger denn je. Er war zu jung, um keinen Sex mehr zu haben. Es machte ihn ganz verrückt. Schließlich stand die Zeit nicht still. Vielleicht konnte Martin irgendwann gar nicht mehr mit ihm schlafen, weil es ihm zu schlecht ging. Er dachte den Gedanken nicht zu Ende.
Er richtete sich auf, blickte zu Martin hinunter: “Du sollst doch vorher sagen, ob du Lust hast oder nicht. Ich halte das nicht wieder und wieder aus!” Jedes Mal kam es ihm so vor, als bekämen seine Gefühle einen kleinen Riss, der nicht mehr zu kitten war. Immer mehr Risse, bis alles zerstört war. Bis er den Halt verlor. Den dünnen Boden, auf dem er stand.
“Ich dachte, es geht. Ich dachte, ich komme noch mehr in Stimmung.” Martin setzte sich auf.
“Du weißt genau, dass das nicht funktioniert!” Es wurde mit jedem Mal, mit jeder Enttäuschung schlimmer.
“Stell dich doch nicht so an. Es klappt schon mal wieder.”
Eine Wut stieg in ihm hoch, die so mächtig war, dass er Martin einfach nur schlagen wollte. Ihn, der ihn so verletzte. Die Wut löschte alle anderen Impulse in ihm aus. Er schlug zu, mit aller Kraft. Dann traf sein Handrücken die andere Seite von Martins Gesicht. Martins Kopf flog zu Seite. Er sah den entsetzten Ausdruck auf seinem Gesicht.
Die Haut war über dem Wangenknochen aufgeplatzt, Blut rann herunter. Er starrte auf seine Hand, erschrocken über ihre Kraft. Dann registrierte er den massiven Ring aus Titan an seinem Finger, den Gleichen, den auch Martin trug. Er streckte die Hand aus: “Oh Gott! Ist es schlimm?” Er wollte die Wunde vorsichtig untersuchen.
Martin schob seine Hand weg: “Spinnst du, sei vorsichtig!” Er betastete selbst sein Jochbein, sein Gesicht verzog sich vor Schmerz. Selbst in einer solchen Situation hatte er noch an die Gefahr gedacht. Als sei ihm die Vorsicht in jede Faser übergegangen. Er selbst hatte nicht daran gedacht, hatte instinktiv hingreifen wollen.
Er hatte das Bedürfnis, Martin zu umarmen, er hob schon die Hände, aber dann fürchtete er, weggestoßen zu werden. Er stand auf und ging ins Bad, holte Pflaster aus dem Medizinschränkchen. Er schnitt einen breiten Streifen ab und klebte ihn vorsichtig über Martins Wunde, ignorierte seine abwehrenden Hände. Er achtete darauf, das Blut nicht zu berühren. Dann begann er zu weinen. Er drehte den Kopf weg.
“Tu das nie wieder”, sagte Martin leise. Dann spürte er Martins Arme, die ihn heranzogen. Er umarmte ihn, vergrub seinen Kopf an Martins Schulter. Es tat gut, ihn zu halten. Wie lange hatten sie das nicht mehr getan. Eine Umarmung, die nichts anderes wollte. Die kraftvoll und intensiv war.
“Es tut mir leid”, war alles, was er herausbrachte. Er suchte nach Entschuldigungen, nach Erklärungen, aber er war zu aufgelöst dafür. Er bekam plötzlich Angst, Martin könnte Schluss machen. Er hatte die Vorstellung gehabt, frei zu sein, ja. Aber jetzt spürte er keine Erleichterung bei dem Gedanken. Er wollte Martin nicht verlieren.
Er löste sich aus Martins Armen, ein Stück nur, blickte ihn an. Ein Lächeln erschien in seinem Mundwinkel, erreichte seine Augen. Sie würden weitergehen, herausfinden, wo der Boden trug.
Winterlinde
Ein bisschen, nur noch ein bisschen schlafen, die Augen fest geschlossen. Er ist so müde und im Bett ist es warm und er kuschelt sich in den Traum, den er vorm Aufwachen gehabt hat. Aber Sonnenlicht sickert durch die Vorhänge und hinter seine Lider. Es hilft nichts, es ist sieben durch und er weiß, dass Peter schon seit zwei oder drei Stunden wach liegt wie jeden Morgen. Peter würde nichts sagen, aber er weiß es doch. Nachlässig zieht er sich an und geht hinüber. Das sperrige Krankenbett nimmt allen freien Platz im Wohnzimmer ein, wirkt deplatziert in dem niedrigen Raum. Die Räder zerkratzen die frisch abgezogenen Dielen. Peter lächelt ihn an, sein Gesicht hatte sich nicht verändert, ist immer noch attraktiv. Nur seine Haare sind jetzt endgültig ergraut. Er sieht jünger aus als fünfzig. Hatte auch vor neun Jahren jünger ausgesehen,souverän, mit Lachfalten und unverschämt attraktiv. Genau der Mann, den er wollte, trotz der neunzehn Jahre zwischen ihnen.
Er geht zum Bett, küsst ihn, Peter läßt seine Hand über seinen Nacken gleiten. “Gut geschlafen?”
“Wie ein Stein.” Er fragt nicht zurück. Er weiß, dass Peter nicht gut schläft. Er zieht die Vorhänge auf. Blinzelt, schaut hinaus in die Blätter der alten Linde auf dem Hof. Peter liebt sie, letztes Jahr war er dagegen gewesen, sie zu fällen, obwohl ein Teil des Stammes morsch war, er hat sie behandelt und gepäppelt.
Er wechselt den vollen Beutel mit der gelben Flüssigkeit aus, der an der Seite vom Bett hängt. Danach zieht er die verrutschte Decke hastig wieder über Peters Füße, dann geht er hinüber hinter die offene Küchenzeile und beginnt, dass Frühstück zuzubereiten. Müsli und etwas Orangensaft für Peter, Käsetoast und Kaffee.
“Gut, dass die Linde noch steht und Schatten spendet. Ich würde nicht mögen, wenn die Vorhänge den ganzen Tag zu sind. Die wird bestimmt noch mal 400 Jahre alt”, sagt Peter.
“Ja, bestimmt.” Er bringt das Tablett hinüber, setzt sich zu Peter aufs Bett. Sie frühstücken still, schauten ab und zu aus dem Fenster. Er hebt den Löffel wieder auf, als er Peter hinunterfällt, immer öfter hat er Probleme, kleine Dinge zu halten.
Es klingelt und er lässt Schwester Annegret herein. Sie hatte vertrauenerweckende Fältchen um ihre warmen braunen Augen und sieht nie müde aus. Sie ist klein und zierlich. Er wundert sich immer wieder, woher sie die Kraft nimmt, seinen Mann beim Waschen zu drehen. Leichter ist er geworden, aber immer noch groß. Während die Schwester ihn wäscht und eine frische Windel anlegt, drückt er sich in die am weitesten entfernte Ecke. Er schämt sich deswegen, aber er kann es nicht ertragen. Den Geruch, die bleichen, geschwollenen Beine, der Körper der nicht mehr der ist, den er kannte. Am meisten Angst hat er, die wundgelegene Stelle rohen Fleisches am Steiß zu sehen, die ihm schon vom Hinsehen Schmerzen bereitet. Schließlich winkt Schwester Annegret ihn näher, damit er beim Wechseln des Lakens hilft. Er dreht Peter auf die Seite, zu sich heran so weit es geht. Hält ihn, während die Schwester das Laken tauscht. Dann geht sie in die Küche, um sich die Hände zu waschen.
“Das hast du nun davon, dass du so einen alten Mann genommen hast”, flüstert Peter müde. Er antwortet nicht, lächelt nur mit traurigen Augen, schaut hinüber zu Schwester Annegret, die sich die Hände trocknet. Er hat immer Angst davor gehabt, schon als es begann, ernst mit ihnen zu werden. Angst vor diesem hier, wenn er erst fünfzig oder sechzig sein würde. Und nun ist er einunddreißig und manchmal fühlt er sich achtzig Jahre alt. Manchmal ist er verspannt bis in den letzten Muskel, manchmal scheint sein Körper nur noch schlafen zu wollen, zeigt ihm seine Grenzen.
Als Schwester Annegret sich verabschiedet hat, geht er hinauf in den verwinkelten Dachboden, nimmt die Wäsche zwischen den rissigen Balken ab. Das Haus ist mindestens vierhundert Jahre alt, Teil eines Dreiseithofes. Dieses alte Fachwerkhaus auszubauen ist Peters Traum gewesen, und er hat ihm dabei geholfen. Es ist ihr Haus geworden, obwohl es Peter gehört. Er legt die Laken gleich zusammen, trägt den Wäschekorb nach unten.
Mark kommt vor seiner Schicht beim Rettungsdienst noch schnell vorbei. Er bringt eine Tüte Pfirsiche mit, lacht und küsst ihn. Dann begrüßt er Peter liebevoll, der sich einen Moment an seinen Hals klammert. Mark erzählt etwas über den Verkäufer der Pfirsiche und über Stiefs, seinen jungen Hund. Es ist schön, wenn Mark da ist, einfach da. Früher ist er auch mal an Peter interessiert gewesen, vor seiner Zeit, aber das ist lange her.
“Ich habe ein Lammfell mitgebracht, ist gut für die Fersen.” Mark schlägt die Decke zurück, schiebt Peter das Lammfell unter die Füße. Dann setzt Mark sich auf die Bettkante und beginnt Peters Füße mit geübten Händen zu massieren.
Er tut, als hätte er in der Küche zu tun. Mark hat nur einmal gefragt, ob er ihm die Griffe zeigen soll, ist zu sensibel um ihn zu drängen. Er tut es einfach und erzählt dabei eine Geschichte, die Peter zum Lachen bringt. Manchmal wünscht er sich, er wäre mehr wie Mark. Mark sieht täglich solche Dinge, dazu Überstunden und Bereitschaft. Doch er wirkt nie abgespannt oder gereizt, zaubert ein Lächeln in jedes Gesicht. Mark zieht die Decke wieder zurecht, küsst Peter, dann ihn und rauscht davon.
“Du schläfst doch manchmal mit Mark?”, fragt Peter unvermittelt.
“Hm …”, murmelt er und legt die Handtücher zusammen. Peter hat das schon vor einiger Zeit vorgeschlagen. Doch er ist zu müde, hat keine Energie mehr, die über den Alltag hinausgeht. Als wäre alle Lust aus ihm herausgesaugt. Als sei sein Körper nicht mehr seiner, nicht mehr jung und schön. Nur noch eine Hülle, die er zum Funktionieren zwingt. Da ist nur noch die ferne Erinnerung an wohliges Rekeln im warmen Mittelmeer, als er sich so zu Hause und wohl in seinem Körper gefühlt hatte. Nur für ein bisschen Selbstbefriedigung manchmal vor dem Einschlafen reicht seine Energie noch. Das lässt ihn entspannen und mit angenehmen Träumen in den Schlaf gleiten. Zwei junge Männer, die ihn verwöhnen, deren starke Hände über seine Haut gleiten, jede Stelle finden, die sich nach Berührung sehnt. Zwei Münder, die sich festsaugen, warme feuchte Berührung. Dann schläft er ein, einen warmen Männerkörper vor sich, einen hinter sich, ein starker Arm um ihn gelegt.
Peter ist eingedöst, bewegt unruhig den Kopf hin und her. Er beginnt Kartoffeln zu schälen für einen Auflauf und Äpfel für einen Kuchen. Es ist stiller geworden im Haus, seit Peter krank ist. Nur noch selten läuft der Fernseher, manchmal leise Musik. Die Zeit rast nicht mehr, ist angekommen. Ein paar Spatzen zanken sich in der Linde.
Nach dem Mittagessen füllt er die Spülmaschine, macht sie aber noch nicht an. Er setzt sich zu Peter aufs Bett. “Komm her”, raunt Peter, streckt ihm die Arme entgegen. Er lässt sich in seine Arme fallen, lehnt sich vorsichtig an ihn. Spürt Peters Hände auf seinem Rücken, unter seinem Hemd, auf seiner Haut. Spürt Peters Lippen an seinem Hals, an seinem Ohr, schläft ein.
Er hat Mühe, wieder munter zu werden, so tief hat er geschlafen. Er löst sich ein Stück von Peter, der die Augen geschlossen hält, aber nicht schläft, jetzt über seinen Hals streicht. Etwas ungelenk, aber sanft.
“Ich koche Kaffee.”
“Bleib”, sagt Peter heiser. Er schüttelt den Kopf, steht auf. Kocht Kaffee und schlägt Sahne zum Apfelkuchen. Schwester Annegret kommt schon am frühen Abend, isst auch ein Stück Apfelkuchen, lobt ihn. “Ich wünschte, mein Mann würde so was mal machen.” Dann beginnt sie Peter zu waschen.
Er setzt sich aufs Sofa und blickt angestrengt hinaus in die Linde, die ersten Blätter werden gelb. Er erinnerte sich an Peters Körper, kann ihn nicht vergessen, nackt im Sand der winzigen Bucht. In ihrem ersten Urlaub an der Côte d’Azur. Als sie im flachen Wasser herumtollten wie junge Hunde. Als Peter ihm zeigte, wie viel Lust man an seinem eigenem Körper haben konnte und an dem eines Anderen. Als er sich vor Peter auf das große Metallbett legte, das Gesicht in die Kissen gedrückt, ihn gewähren ließ, seinen Mund, seine Zunge, die über zurückgebliebene Sandkörner strich, sie in jeder Spalte seines Körpers fand. Als erdie Schenkel öffnete, sich hingab, vertraute.
Schwester Annegret verabschiedet sich. Er macht Abendbrot, räumt nach dem Essen noch ein bisschen im Wohnzimmer auf. Peter bittet ihn, eine CD aufzulegen, er kennt seine ganze Sammlung auswendig. Die brüchige Jazzstimme füllt den Raum, die Dämmerung dringt herein, er macht kein Licht an, zieht die Vorhänge nicht zu.
“Schwester Annegret ist ein Schatz”, sagt Peter.
“Ja. Sie macht so etwas den ganzen Tag und hat immer noch Energie. Ich wünschte ich hätte mehr von ihr.”
Peter blickt ihn erstaunt an. “Es ist nicht ihr Leben.” Peter streckt seine Hand aus, sie sitzen Hand in Hand bis die CD mit einem surrenden Geräusch stoppt.
“Schläfst du heute mal hier?”
Er nickt. In die plötzliche Stille hinein beginnt er sich langsam auszuziehen, steht auf, das Mondlicht fällt auf seinen Körper. Die Linde formt fleckige Schatten, die sich durch den Wind in den Zweigen sanft bewegen, über seine Haut streifen. Peter schaut ihn ganz ruhig an, ein Lächeln um die Mundwinkel.
Die perfekte Kürbissuppe
Andreas zerteilte den Kürbis gleich im Hof, um drinnen keinen Krach zu machen. Die Schale des Hokkaido war hart, die Frucht groß. Vielleicht würde die Suppe für zwei Tage reichen - Peter hatte sowieso oft keinen Appetit. Mit Kraft teilte er weitere Spalten ab, dann hielt er inne. Er wischte sich Schweiß von der Stirn und wandte sein Gesicht in die Sonne. Wie sehr sie noch wärmte. Das Thermometer war gewiss noch einmal über zwanzig Grad geklettert. In einer Ecke des Hofes hatte sich trockenes Laub gesammelt, das leise raschelte, als der Wind es vor sich hertrieb. In der Hofecke saß Mertens schwarze Katze, ein Bein in die Höhe gereckt und putzte sich.
Er sah sich weiter um. Die gelb gewordenen Blätter der Linde leuchteten in der Sonne. Er ließ sich ein Moment auf die Bank sinken. Wie schön es war - draußen zu essen, hier an der kleinen Sitzgruppe, wäre eine gute Idee. Er verdrängte den Gedanken, stand auf und ging mit der großen Schüssel voller Kürbisspalten hinein. Im Wohnzimmer warf an nur einen kurzen Blick auf Peter, der schlief, ging in die offene Küche durch.
Mit einem Löffel entfernte er die Kerne aus dem Kürbis, dann setzte er sich hin und begann, die Schale zu entfernen. Eigentlich war das bei einem Hokkaido nicht nötig, das wusste er, aber er machte sich die Mühe trotzdem. Die Kürbissuppe wurde so cremiger. Die Schale war hart wie Leder, mehrmals schlug das Küchenmesser laut aufs Brett, wenn er abrutschte. Wäre er nicht so rücksichtslos, hätte er das Schälen auch draußen erledigt. Er lauschte Richtung Wohnzimmer, aber Peter schien weiter zu schlafen.
So leise wie möglich schnitt er die Kürbisspalten in Stücke. Es war viel Arbeit, bis alles zerlegt war. Peter hatte nie mitgekocht, aber beim Zerteilen eines Kürbis hatte er manchmal geholfen. Andreas schälte eine Zwiebel, schnitt sie klein und ließ sie anbraten, bevor er die Kürbisstücke hinzufügte. Dann goss er Brühe auf.
Als er ins Wohnzimmer kam, war Peter munter und sah ihn an. Er lächelte sogar, sah erholt aus. Sein Gesicht war so unverändert attraktiv, als könne ihm die Krankheit nichts anhaben. Nur blasser war er, hatte doch seine Haut diesen Sommer keine Sonne gesehen.
Andreas trat ans Bett. “Willst du Tee?”
Peter nickte. Als er ihm die Schnabeltasse reichte, berührte Peter seine Hand, statt die Tasse zu nehmen. “Setzt sich doch kurz.” Peter schlug auf die Bettdecke.
“Ich koche Kürbissuppe.”
“Schön.”
“Muss danach sehen.” Er ging wieder in die Küche. Die Suppe hatte noch nicht einmal zu kochen begonnen. Er schnitt dunkles Brot in Würfel, um es zu rösten und rieb etwas Käse, den er vor dem Servieren auf die Suppe streuen wollte. Dann setzte er sich an die Theke. Die Sonne schien zum Küchenfenster herein, draußen leuchtete die Welt in herbstlichen Farben - gelb, rot und violett - vor einem strahlend blauen Himmel.
Peter hustete hart, beruhigte sich, fing wieder an. Andreas eilte hinüber, stützte Peter und gab ihm Tee, bis der Husten sich legte.
Unterdessen war der Kürbis weich geworden und er pürierte die Suppe. Sie nahm eine geschmeidige Konsistenz an, glänzte samten. Er fügte etwas Frischkäse zu, würzte nur mit Muskat und Pfeffer. “Perfekt”, murmelte er, nachdem er gekostet hatte. Er brachte zwei Schalen mit Suppe hinüber.
“Riecht köstlich, Schatz”, sagte Peter.
“Ich hoffe, du hast Appetit.”
“Ich bekomme welchen.” Peter lächelte. “Komm her.” Peter streckte die Hand nach ihm aus. Er stellte das Tablett ab, dann beugte er sich vor und küsste Peter. “Danke”, sagte der leise. Dann begannen sie zu essen.
“Im Herbst wolltest du immer so lange wie möglich draußen essen, egal, ob ich mir den Arsch abgefroren habe.” Peter lachte leise.
“Es ist schön in der Sonne.” Andreas schaute zum Fenster hinaus und blinzelte. Ihm war nicht entgangen, dass Peter die Vergangenheitsform benutzt hatte.
Im Sucher
Das Gras steht so hoch, dass es den Rand der Hängematte streift. Es raschelt und der rotbraune Kater bahnt sich einen Weg durch das Dickicht. Er springt auf mich, und legt sich äußerst zufrieden auf meinen Bauch. So als hätte er einen Berg bestiegen, ein hartes Tagwerk geleistet, ein Königreich erobert. Er faltet die Pfoten unter der Brust und schließt die Augen zu Schlitzen.
Nach einer Weile schiebe ich ihn beiseite. “He, du wirst schwer, Dicker.” Er ist nicht beleidigt und rollt sich an meiner Seite zusammen. Wir dösen. Ein Meisenpaar hüpft über die Zweige des Birnbaum, aber der Kater schläft. Ich schließe die Augen.
Irgendwann raschelt es am Bach und ich luge über den Rand der Hängematte. Er steht am Bach, trägt verwaschene Jeans und ein Achselshirt, Sonnenflecken schimmern auf seiner Haut. Er blickt über die Schulter, vergewissert sich meiner, lächelt. Dann zieht er sein Hemd über den Kopf, kommt langsam näher. Als er neben der Hängematte steht, frage ich rau: “Darf ich dich fotografieren?”
“Nur fotografieren?”, er küsst mich, fährt mit der Hand unter mein Shirt.
“Nackt”, sage ich.
Er lacht, dann sagt er: “Okay.”
Ich ziehe seinen Kopf heran und küsse ihn noch einmal, dann strecke ich mich. Die Katze sieht mich vorwurfsvoll an und rollt sich in eine andere Position. Vorsichtig steige ich aus der Hängematte.
“Warte.” Ich fummle einen schwarz-weißen Film in die Kamera. So will ich ihn festhalten. Ich wähle einen Orangefilter, der die leichte Tönung seiner Haut zur Geltung bringen wird. Ich stelle an der Kamera herum. In Wahrheit habe ich noch nicht viel Erfahrung mit Porträts, geschweige denn mit Aktfotografie.
“Erst mit Hosen, ja?”, sagt er, und an seiner Stimme merke ich, dass auch er befangen ist. Was mir gefällt.
“Gut. Geh zum Bach.” Er stellt sich ans Ufer und schaut aufs Wasser. Ich trete hinter ihn und messe die Belichtung auf seiner Haut, dann knie ich mich neben die Hängematte und fotografiere ihn so, wie ich ihn das erste Mal gesehen habe. Nur das Morgenlicht fehlt, aber vielleicht ist es besser so, unmöglich diesen Moment nachzustellen. Er reckt sich, verknotet seine blonden Dreads, blickt zu mir. Ich löse aus und transportiere den Film weiter. Löse aus, während er die Arme über den Kopf hebt, lächelt.
Dann dreht er sich herum, kommt langsam auf mich zu, seine nackten Füße streifen durchs Gras. Er legt sich in die Hängematte und ich stelle mich ans Kopfende, fotografiere ihn. Mein Blick, durch den Sucher begrenzt, streift über seine Brust, die Spur blonder Härchen, die sich unterhalb des Nabels im Hosenbund verliert, das Tattoo daneben. Dann über seine vollen Lippen mit der kleinen Kugel darunter. Das Klicken der Kamera erfüllt die Luft. Ich halte den Atem an, hingerissen von dem Moment und dem Rausch der Bilder.
Du öffnest deine Hose, während du das Becken hebst, streifst du sie zusammen mit der Unterhose ab. Trotzdem fokussiere ich auf dein Gesicht, wähle eine große Blende, so dass nur deine Augen scharf sind, dein Oberkörper und der Ansatz deiner Lenden verschwimmt. Die Blätter des Birnbaums zeichnen weiche Schatten auf deine Schultern. Du beginnst dich träge zu streicheln, ich sehe es im Augenwinkel. Meine Finger gleiten an der Kamera ab, rutschig vor Schweiß. Ich wechsle das Objektiv, messe erneut die Belichtung, öffne die Blende, um die Schärfe nur auf einen kleinen Bereich zu legen.
Du schaust in meine Kamera und atmest schwer. Du gibst dich mir ganz hin. Meine Kamera bannt es auf Film. Du schließt die Augen, die Lust zeichnet sich in deinem Gesicht ab. Es erregt mich, dich so zu sehen. Dich so festzuhalten, ohne Zurückhaltung, ohne Scham. Da blockiert der Film, ist zu Ende, der Augenblick dahin. Ich spule den Film mühsam zurück.
Du stehst auf, stellst dich an einen Baum. Jetzt bin ich wirklich froh, dass dieser Garten zugewachsen und nicht einsehbar ist, denn diesen Anblick gönne ich niemandem. Ich schaffe es, einen neuen Film einzulegen. Hastig ziehe ich mein Shirt über den Kopf. Dann hebe ich die Kamera, lasse sie wieder sinken. Betrachte dich ohne sie, streife über deinen Körper.
Du lehnst am Baum, die Hände hinter dem Rücken. Du siehst schön aus. Ich kann sehen, wie es dich langsam erregt, so beobachtet zu werden. Ich schaue durch den Sucher und denke an den unnachahmlichen Glanz, den die körnige Struktur des Films deiner Haut verleihen wird. An die traumhafte, nostalgische Ausstrahlung, die diese Bilder haben werden.
Ich gehe zu dir. Lege die Kamera auf den Gartenstuhl, nachdem ich den Selbstauslöser befestigt habe. Gehe in die Hocke. Knie mich nicht hin, denn der Boden ist steinig. Ich lecke ganz langsam deinen Schaft, schaue hoch zu dir, pausiere. Spiele mit meiner Zunge. Drücke den Auslöser. Dann sauge ich, tief und rhythmisch. Du drängst dich mir entgegen. Mir tun die Beine weh, aber ich höre nicht auf und bediene dich und die Kamera.
Dann richte ich mich auf, streife meine Hose ab, ziehe dich mit mir auf den Boden. Wir versinken im hohen Gras. Du kommst über mich. Ich stöhne. Du schwitzt.
“Du fühlst dich gut an in mir”, sage ich.
“Leg die Füße auf meine Schultern”, sagst du. Wir versinken.
Anmerkungen
Der dünne Boden, auf dem wir stehen
Der Text entstand für den Literaturwettbewerb einer Aids-Hilfe im Jahr 2008, bei dem er nicht in die Auswahl kam. Die Geschichte ist auf dem medizinischen Stand (Nebenwirkungen der Kombinationstherapie) von 2008.
Er wurde zuerst veröffentlicht in Positive Storys, HomoSchmuddel Nudeln 2014 - der Erlös dieses Bandes wird gespendet.
Winterlinde
Diese Geschichte entstand für den letzten Literaturpreis der schwulen Buchläden (2004) mit dem Thema Körper. Mein Roman Im Zimmer wird es still basiert darauf. Die ursprüngliche Kurzgeschichte wurde erst im Jahr 2013 veröffentlicht in Mein schwules Auge 10, Hrsg. Axel Shock.
Die perfekte Kürbissuppe
Der kurze Text entstand inspiriert von der Ausschreibung der HSN, die nach Texten zu den Themen Herbst, Kastanien oder Kürbissen suchte. Er basiert auf Im Zimmer wird es still, wo die Suppe kurz erwähnt wird. Das Rezept findet sich auf meiner Homepage (https://www.janas-seiten.de/romane/hintergrund-im-zimmer/)
Der Text wurde zuerst veröffentlicht in: Von Kürbissen, Kerlen und Kastanien (Spendenband).
Im Sucher
Diese leicht veränderte Szene aus dem Roman Phillips Bilder (Dead soft Verlag 2013) erschien vorab in Mein schwules Auge 9, Konkursbuchverlag.
Impressum
© J. Walther 2018
www.janas-seiten.de
Coverfoto: Z2sam/photocase
Covergestaltung und Satz: J. Walther
Ausführliche Leseproben meiner Romane sind in dem kostenlosen eBook Leseproben-Sammlung zu finden:
Benjamins Gärten, Debütverlag 2010
Phillips Bilder, dead soft Verlag 2013
Nur eine Frage der Liebe, 2014
Im Zimmer wird es still, B. Gmünder Verlag 2011
sowie Daniel und Ismael, Erzählband 2012