Der Eibengott Ullr - Harry Eilenstein - E-Book

Der Eibengott Ullr E-Book

Harry Eilenstein

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Beschreibung

Die Reihe Die achtzigbändige Reihe „Die Götter der Germanen“ stellt die Gottheiten und jeden Aspekt der Religion der Germanen anhand der schriftlichen Überlieferung und der archäologischen Funde detailliert dar. Dabei werden zu jeder Gottheit und zu jedem Thema außer den germanischen Quellen auch die Zusammenhänge zu den anderen indogermanischen Religionen dargestellt und, wenn möglich, deren Wurzeln in der Jungsteinzeit und Altsteinzeit. Daneben werden auch jeweils Möglichkeiten gezeigt, was eine solche alte Religion für die heutige Zeit bedeuten kann – schließlich ist eine Religion zu einem großen Teil stets der Versuch, die Welt und die Möglichkeit der Menschen in ihr zu beschreiben, Das Buch Ullr ist heute vor allem als Ski-Gott bekannt, aber er ist durchaus mehr als das: Er ist auch der Bogen-Ase, der Eiben-Gott, der Wintergott, der Schild-Ase ... Und er ist der ehemalige Sonnengott-Göttervater Tyr in der nächtlichen und winterlichen Unterwelt. In Skandinavien ist „Ullr“ in der Zeit, bevor Odin um 500 n.Chr. auch im Norden zum Göttervater geworden ist, der übliche Name für den ehemaligen Sonnengott-Göttervater Tyr gewesen. Und sein Schild war damals die Sonnenscheibe selber ...

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Bücher von Harry Eilenstein:

Astrologie (496 S.)Photo-Astrologie (64 S.)Tarot (104 S.)Handbuch für Zauberlehrlinge (408 S.)Physik und Magie (184 S.)Der Lebenskraftkörper (230 S.)Die Chakren (100 S.)Meditation (140 S.)Drachenfeuer (124 S.)Krafttiere – Tiergöttinnen – Tiertänze (112 S.)Schwitzhütten (524 S.)Totempfähle (440 S.)Muttergöttin und Schamanen (168 S.)Göbekli Tepe (472 S.)Hathor und Re:

Band 1: Götter und Mythen im Alten Ägypten (432 S.)

Band 2: Die altägyptische Religion – Ursprünge, Kult und Magie (396 S.)

Isis (508 S.)Die Entwicklung der indogermanischen Religionen (700 S.)Wurzeln und Zweige der indogermanischen Religion (224 S.)Der Kessel von Gundestrup (220 S.)Cernunnos (690 S.)Christus (60 S.)Odin (300 S.)Die Götter der Germanen (Band 1 – 80)Dakini (80 S.)Kursus der praktischen Kabbala (150 S.)Eltern der Erde (450 S.)Blüten des Lebensbaumes:

Band 1: Die Struktur des kabbalistischen Lebensbaumes (370 S.)

Band 2: Der kabbalistische Lebensbaum als Forschungshilfsmittel (580 S.)

Band 3: Der kabbalistische Lebensbaum als spirituelle Landkarte (520 S.)

Über die Freude (100 S.)Das Geheimnis des inneren Friedens (252 S.)Von innerer Fülle zu äußerem Gedeihen (52 S.)Das Beziehungsmandala (52 S.)Die Symbolik der Krankheiten (76 S.)

Die Themen der einzelnen Bände der Reihe „Die Götter der Germanen“

Die Entwicklung der germanischen ReligionLexikon der germanischen ReligionDer ursprüngliche Göttervater TyrTyr in der Unterwelt: der Schmied WielandTyr in der Unterwelt: der Riesenkönig Teil 1Tyr in der Unterwelt: der Riesenkönig Teil 2Tyr in der Unterwelt: der ZwergenkönigDer Himmelswächter HeimdallDer Sommergott BaldurDer Meeresgott: Ägir, Hler und NjördDer Eibengott UllrDie Zwillingsgötter AlcisDer neue Göttervater Odin Teil 1Der neue Göttervater Odin Teil 2Der Fruchtbarkeitsgott FreyrDer Chaos-Gott LokiDer Donnergott ThorDer Priestergott HönirDie GöttersöhneDie unbekannteren GötterDie Göttermutter FriggDie Liebesgöttin: Freya und MenglödDie ErdgöttinnenDie Korngöttin SifDie Apfel-Göttin IdunDie Hügelgrab-Jenseitsgöttin HelDie Meeres-Jenseitsgöttin RanDie unbekannteren JenseitsgöttinnenDie unbekannteren GöttinnenDie NornenDie WalkürenDie ZwergeDer Urriese YmirDie RiesenDie RiesinnenMythologische WesenMythologische Priester und PriesterinnenSigurd/SiegfriedHelden und GöttersöhneDie Symbolik der Vögel und InsektenDie Symbolik der Schlangen, Drachen und UngeheuerDie Symbolik der HerdentiereDie Symbolik der RaubtiereDie Symbolik der Wassertiere und sonstigen TiereDie Symbolik der PflanzenDie Symbolik der FarbenDie Symbolik der ZahlenDie Symbolik von Sonne, Mond und SternenDas JenseitsSeelenvogel, Utiseta und EinweihungWiederzeugung und WiedergeburtElemente der KosmologieDer WeltenbaumDie Symbolik der Himmelsrichtungen und der JahreszeitenMythologische MotiveDer TempelDie Einrichtung des TempelsPriesterin – Seherin – Zauberin – HexePriester – Seher – ZaubererRituelle Kleidung und SchmuckSkalden und SkaldinnenKriegerinnen und Ekstase-KriegerDie Symbolik der KörperteileMagie und RitualGestaltwandlungenMagische WaffenMagische Werkzeuge und GegenständeZaubersprücheGöttermetZaubertränkeTräume, Omen und OrakelRunenSozial-religiöse RitualeWeisheiten und SprichworteKenningarRätselDie vollständige Edda des Snorri SturlusonFrühe SkaldenliederMythologische SagasHymnen an die germanischen Götter

Inhaltsverzeichnis

Die germanische Ullr-Überlieferung

Runenstein von Böksta

Gylfis Vision (1)

Haustlöng

Skaldskaparmal (1)

Grimnir-Lied (1)

Wegtam-Lied (1)

Skaldskaparmal (2)

Wegtam-Lied (2)

Lokasenna

Harbard-Lied

Skaldskaparmal (3)

Skaldskaparmal (4)

Fjölswin-Lied

Grimnir-Lied (2)

Skaldskaparmal (5)

Gesta danorum

Gylfis Vision (2)

Wegtam-Lied (3)

Die Vision der Seherin

Gylfis Vision (3)

Atli-Lied

Sonnenlied

Wieland-Lied

Der Tempel des Ullr

Die Ringe des Ullr

Eine Ullr-Widmung auf einer Schwertscheide

Die Eiben-Rune „Yr“

Ullr-Kenningar

Brakteaten

Die Goldhörner von Gallehus

Der Runenstein von Böksta

Ullr in dem Fürstengrab von Kivik

Ullr und der Sonnenwagen von Trundholm

Ullr in den germanischen Steinritzungen

Der Name „Ullr“

Ortsnamen mit „Ullr“

Personennamen

Zusammenfassung

Ullr bei den Indogermanen

Die Biographie des Gottes Ullr

Das Aussehen des Ullr

Der Weg zu Ullr

Hymnen an Ullr

Verse an den Schneeschuhgott

Bitte um Hilfe an den Schildgott

Die rituelle Hirschjagd

Baldur und Ullr

Julnacht in Ydalir

Traumreise zu Ullr

Ullr heute

Themenverzeichnis

I Die germanische Ullr-Überlieferung

Um ca. 1.200 n.Chr. wurden die germanischen Mythen in Island u.a. durch Snorri Sturluson in der „Edda“ („Sammlung“) und in Dänemark durch Saxo grammaticus in der „Gesta Danorum“ („Geschichte der Dänen“) niedergeschrieben. Eine weitere wichtige Quelle für die heutigen Kenntnisse über den germanischen Gott Ullr sind die Runensteine, die von den Germanen zwischen 350 n.Chr. und 1050 n.Chr. errichtet worden sind, sowie einige andere archäologische Funde.

I 1. Runenstein von Böksta

Ullr auf dem Runenstein von Böksta, Schweden, 1150 n.Chr.

Auf diesem schwedischen Runenstein findet sich eine der wenigen Abbildungen einer germanischen Gottheit, die von den Germanen selber stammt.

Ullr steht auf Skiern, hält in seinen Händen schußbereit Pfeil und Bogen und hat offenbar einen längeren Bart. Aus der Höhe des Kopfes kann man schließen, daß er zudem einen Helm oder eine Mütze trägt.

I 2. Gylfis Vision (1)

In der Edda findet sich in „Gylfis Vision“ die vollständigste Beschreibung des Ullr:

„Uller heißt ein Ase, Sohn der Sif und Thors Stiefsohn. Er ist ein so guter Bogenschütze und Schneeschuhläufer, daß niemand sich mit ihm messen kann. Er ist schön von Angesicht und kriegerisch von Gestalt. Bei Zweikämpfen soll man ihn anrufen.“

Ullr ist dieser Beschreibung zufolge der Sohn der Göttin Sif aus einer früheren Verbindung, als sie noch nicht die Frau des Donnergottes Thor gewesen ist. Thor hat diesen Sohn dann offenbar adoptiert.

Thor wird auch in drei isländischen Gedichten, die um ca. 1000 n.Chr. verfaßt worden sind, als „Stiefvater des Ullr“ erwähnt: in der „Thorsdrapa“, im „Haustlöng“ und in den drei erhalten Strophen eines Liedes von Eysteinn Valdason.

Interessanterweise wird Ullr in „Gylfis Vision“ „schön von Angesicht“ genannt, was sonst eher eine Beschreibung des Baldur ist.

Als Schneeschuhläufer bzw. Skifahrer wird er vermutlich ein Wintergott sein. Möglicherweise kennzeichnet ihn sein Bogen als einen Jäger in der Wildnis. Wenn dies zutreffen sollte, wären mit Ullr bereits zwei der wichtigsten Analogien zu dem Jenseits verbunden: der Winter und die Wildnis. Beides wurde wie die Unterwelt als das Fremde aufgefaßt.

Ullrs „kriegerische Gestalt“ und sein Anrufen vor Zweikämpfen lassen vermuten, daß es in der Mythe von Ullr einen wichtigen Zweikampf gegeben hat, der das mythische Urbild für diesen Brauch gewesen ist.

I 3. Haustlöng

Das „Haustlöng-Lied“ wurde um 950 n.Chr. von dem Barden Tjodolfr von Hvinir verfaßt. Sein Titel bedeutet „Herbst-lang“. In ihm werden der Raub der Idun und das Töten des Hrungnir beschrieben.

In den Versen dieses Liedes wird Thor als „Ullrs Stiefvater“ umschrieben. Dieses Verwandtschaftsverhältnis zwischen den beiden Gottheiten muß zu der Zeit der Niederschrift der Edda um 1220 n.Chr. schon deutlich älter als 300 Jahre gewesen sein, da Tjodolfr es sonst nicht schon um 950 n.Chr. als Kenning, also als Umschreibung für den Gott Thor hätte benutzen können. Als Kenning eignen sich nur Bilder, die allen Zuhören der Skalden (Dichter) gut bekannt waren – was daher für das Stiefvater-Verhältnis des Thor zu dem Gott Ullr um 950 n.Chr. zugetroffen haben muß.

Das ganze Heiligtum der Falken (Himmel)

stand wegen Ullrs Stiefvater (Thor) in Flammen (Blitze)

und die Erde unten war von Hagel zerschlagen,

als die Ziegen die Tempel-Macht des schnellen Streitwagens (Thor)

vorwärts zu der Begegnung (Kampf) mit Hrungnir (Tyr) zogen.

Hier wird einer der vielen Kämpfe des Donnergottes Thor gegen den Tyr-Riesen geschildert: Diese Mythe illustriert die Absetzung des ehemaligen Sonnengott-Göttervaters Tyr durch Thor und Odin um 500 n.Chr.

I 4. Skaldskaparmal (1)

In der Skaldskaparmal („Lehrbuch der Skaldenkunst“) der Edda werden einige Kenningar (Umschreibungen) für den Gott Ullr aufgeführt:

„Wie soll man Ullr umschreiben? Indem man ihn Sohn der Sif, Stiefsohn des Thor, Gott der Schneeschuhe, Gott des Bogens, Jagdgott und Gott des Schildes nennt.“

Die Kenningar „Jagdgott“ bestätigt, daß er als (winterlicher) Jäger aufgefaßt worden ist.

Als neues Kennzeichen tritt lediglich sein Schild auf. Eigentlich ist diese Kenningar merkwürdig, da alle germanischen Krieger Schilde zu ihrer Verteidigung trugen und es daher wenig Sinn macht, einen Gott als „Schildgott“ zu bezeichnen – schließlich unterscheidet ihn dies nicht von den anderen Göttern. Mit Ullrs Schild muß demnach ein besonderer Schild gemeint gewesen sein, der mit ihm eng verbunden gewesen ist. Der einzige besondere Schild ist die Sonnenscheibe, die z.B. auf dem Sonnenwagen von Trundholm dargestellt worden ist.

Sonnenwagen von Trundholm Dänemark, 1400 v.Chr.

In der Edda wird lediglich zweimal ein besonderer Schild bzw. ein Schild an einer besonderen Stelle erwähnt:

Der eine dieser Schilde steht vor der Sonne und verhindert, daß die Hitze der Sonne die Erde verbrennt. Dieser Sonnenschild wird der Sonnenscheibe auf dem Sonnenwagen von Trundholm entsprechen.

Der andere Schild liegt auf dem Kelch mit dem Met, der für Baldur in der Unterwelt bereitsteht.

I 5. Grimnir-Lied (1)

Im Grimnir-Lied wird der Schild beschrieben, der vor der Sonne steht. Falls Ullr wegen diesem Schild „Schildgott“ genannt wurde, müßte er ursprünglich einmal ein Sonnengott gewesen sein. Der mit ihm assoziierte Zweikampf könnte dann mit dem abendlichen bzw. Eintritt der Sonne in die Unterwelt zu tun gehabt haben, der in den Mythen vor 500 n. Chr. ein Kampf zwischen Tyr und Loki gewesen ist.

Arwak und Alswid sollen immerdar

Schmachtend die Sonne führen.

Unter ihre Bugen bargen milde Mächte,

Die Asen, Eisenkühle.

Swalin heißt der Schild, der vor der Sonne steht,

vor der glänzenden Gottheit.

Brandung und Berge würden verbrennen,

wenn er von seiner Stelle sinken würde.

„Swalin“ bedeutet „der Kühle“; er ist identisch mit dem Schild „Eisenkühle“. Arwak und Alswid sind die beiden Pferde vor dem Sonnenwagen – die „Alcis“ genannten Zwillings-Söhne des Tyr.

I 6. Wegtam-Lied (1)

Der zweite „besondere Schild“ wird im Wegtam-Lied beiläufig erwähnt:

Wala:

Hier steht dem Baldur der Becher eingeschenkt,

Der schimmernde Trank, vom Schild bedeckt.

Die Asen alle sind ohne Hoffnung.

Genötigt sprach ich, nun will ich schweigen.

Es fragt sich, warum dieser Kelch von einem Schild bedeckt ist. Die Größe eines Schildes läßt zudem vermuten, daß der „Kelch“ eigentlich ein Kessel voll Met ist, wie er in der Edda mehrfach zum Metbrauen beschrieben wird.

Falls dies der Schild ist, auf den die Kenning „Schildgott“ für Ullr anspielt, müßte Ullr ein Gott des Jenseits sein, der in irgendeiner Weise über den Göttermet wacht, ihn besitzt, zubereitet o.ä. Ullrs Schild scheint das zu sein, was den Met in dem Kelch schützt, verbirgt, bewacht oder vielleicht auch segnet.

Diese Szenerie paßt zunächst einmal zu der Vermutung, daß Ullr ein Gott des Jenseits ist. Falls sein Schild die Sonne darstellen sollte, wäre der Schild auf dem Kelch ein Hinweis darauf, daß der Göttermet mit der Sonne assoziiert worden ist. Ullr wäre dann möglicherweise der Sonnengott in der Unterwelt.

Der eigentliche Sonnengott-Göttervater der Germanen ist der Gott Tyr gewesen. Ullr könnte daher mit dem Gott Tyr in der nächtlichen bzw. winterlichen Unterwelt identisch sein.

Falls diese Deutung zutrifft, wäre der „Sonnenschild“ auf dem Met-Kelch vermutlich ein Segnen des Mets, der dadurch kein normaler Met mehr ist, sondern der Göttermet, der die Wiedergeburt bzw. die Unsterblichkeit im Jenseits verleiht.

Das Motiv des Schildes auf dem Met-Kelch in der Halle der Unterweltsgöttin klingt nach einer Szene aus dem Bestattungsritual, in dem dann der Met in dem Kelch bzw. Kessel, bevor er getrunken wurde, mit einem Schild bedeckt gewesen sein müßte. Falls es sich bei diesem Schild um den Sonnenschild gehandelt haben sollte, hätte dieser Schild dem Met wohl einen Segen gegeben, wodurch dieser Met dann zum „Met des Ullr/Tyr“, also sozusagen zu „Sonnen-Met“ geworden wäre.

Die Qualität dieses Segens ließe sich dann in etwa mit den folgenden Worten beschreiben: „Möge der, der diesen Met trinkt, (im Jenseits) wie die Sonne wiedergeboren werden.“

Dieses Segnen des Mets durch den Sonnenschild wäre dann eine genaue Entsprechung zu den Verwandlungsworten aus der christlichen Eucharistie, durch die der Wein in Christi Blut verwandelt wird: „Hunc est corpus ...“.

I 7. Skaldskaparmal (2)

Im Skaldenkunst-Lied der Edda wird an einer Stelle eine Kenning für den Bogen als Waffe und Jagdgerät zitiert:

(Der Bogen wird wie folgt genannt:)

„Esche des Ullr“, z.B. in diesen Versen:

Die Schnee-Böen von Ullrs Eschen-Schiff

flogen grimmig über unseren Fürsten

in Fülle dorthin, wo die Furchtsamen flohen

und Dornstäbe sie bedeckten.

In dieser Strophe erscheint Ullr noch einmal deutlich als Bogen- und Wintergott, da die Pfeile seines Bogens („Eschen-Schiff“) als „Schnee-Böen“ und als „Dornstäbe“ bezeichnet werden.

I 8. Wegtam-Lied (2)

In diesem Lied aus der Edda wird Baldur „Ullrs Freund“ genannt. Diese Umschreibung ist auffällig, da ansonsten in der Edda nur sehr selten die Rede von Freundschaften zwischen Göttern ist. Es muß demnach eine tiefere mythologische Verbindung zwischen Baldur und Ullr geben, die vielleicht auch erklärt, warum Ullr wie Baldur „schön von Angesicht“ war – was keineswegs eine typische Beschreibung der germanischen Götter gewesen ist.

Da der blinde Gott Hödur Baldurs Zwillingsbruder ist, liegt der Verdacht nahe, daß es eine Entsprechung zwischen Ullr und Hödur geben könnte. Dazu paßt auch gut, daß Hödurs Blindheit ein Symbol für seine Zugehörigkeit zum Jenseits ist.

Somit zeigt sich eine erste Möglichkeit, Ullr in die germanische Götterwelt einzuordnen:

Ullr der Winter- und Jenseitsgott

Sommer

Winter

Diesseits

Jenseits

Heim

Fremde

sehend

blind

Baldur

Baldurs Zwillingsbruder Hödur

Baldur

Baldurs Freund Ullr

I 9. Lokasenna

In der Lokasenna berichtet Loki, daß Sif dem Thor untreu gewesen ist und mit Loki das Bett geteilt hat. Da Ullr als Stiefsohn der Sif dargestellt wird, liegt es nahe, Ullr als den Sohn der Sif und des Loki aufzufassen. Dies ist interessant, da auch Loki ein Gott der Unterwelt ist.

Da trat Sif vor und schenkte dem Loki Met in den Eiskelch und sprach:

„Heil Dir, Loki, den Eiskelch reiche ich Dir

Firnen Metes voll,

Daß Du mich eine doch von den Asenkindern

Ungelästert lassest.“

Jener nahm den Kelch, trank und sprach:

„Du einzig bliebest verschont, wärest Du immer keusch

Und dem Gatten ergeben gewesen.

Einen weiß ich und weiß ihn gewiß,

Der auch den Hlorridi zum Hahnrei machte.“

(Und das war der listige Loki.)

„Firn“ ist zu Eis gefrorener Schnee aus dem letzten Jahr – hier ist „firn“ eine Bezeichung für „kalt, gekühlt“.

„Hlorridi“ ist ein Name des Gottes Thor.

Ein „Hahnrei“ ist eine altertümliche Bezeichnung für einen Mann, dessen Frau fremdgegangen ist.

Odin und Loki werden in der Edda als Blutsbrüder beschrieben und ihre Söhne Baldur und Ullr als Freunde. Das läßt vermuten, daß Baldur und Ullr zwei Aspekte von Odin und Loki darstellen: Sie könnten entweder je eine wichtige Eigenschaft ihrer Väter oder ihre wiedergeborenen Väter verkörpern. Da Odin während der Völkerwanderungszeit die Stellung des Göttervaters von Tyr übernommen hat, könnten die Freunde Baldur und Ullr auch auf das Götterpaar Tyr und Loki zurückgehen.

In den germanischen Mythen vor der Völkerwanderungszeit ist der listige Ränkeschmied und Unterweltsgott Loki der Verursacher des Todes des Sonnengottes-Göttervaters Tyr am Abend und im Winter gewesen sein. Tyr ist damals der Sommer gewesen und Loki der Winter.

Dazu paßt, daß Tyr wie Thor von Loki vorgehalten bekommt, daß seine Frau von Loki ein Kind bekam. Dies Motiv ist dadurch entstanden, daß der Sommergott Tyr im Frühjahr von der Göttin wiedergeboren wurde und der Wintergott Loki im Herbst von der Göttin wiedergeboren wurde. Tyr und Loki streiten sich daher um die Göttin (Freya-Sif).

Tyr:

„Freyr ist der beste von allen, die Bifröst

Trägt zu der hohen Halle:

Keine Maid betrübt er, keines Mannes Weib,

Einen jeden nimmt er aus Nöten.“

Loki:

„Schweig Du, Tyr! Du taugst zum Kampfe nicht

Zu gleicher Zeit mit zweien.

Deine rechte Hand ist Dir geraubt,

Fenris fraß sie, der Wolf.“

Tyr:

„Der Hand muß ich darben; so darbst Du Fenris.

Eins ist schlimm wie das andre;

Auch der Wolf ist freudenlos: gefesselt erwartet er

Der Asen Untergang.“

Loki:

„Schweig Du, Tyr! Deinem Weibe geschah's,

Daß sie von mir ein Kind bekam.

Nicht Pfenningsbuße empfingst Du für die Schmach:

Habe Dir das, Du Hahnrei!“

„Bifröst“ ist die Regenbogenbrücke, die nach Asgard führt. „Pfennigsbuße“ ist eine Entschädigungszahlung für das Fremdgehen.

Es scheint diesen Motiven zufolge einmal eine Mythe gegeben zu haben, in der Loki dem Tyr/Thor die Frau ausgespannt hat und mit ihr ein Kind zeugte. Wenn Thor nach der Absetzung des Tyr als Göttervater von diesem das Hahnrei-Motiv übernommen haben sollte, wären der Stiefsohn des Thor und der Stiefsohn des Tyr miteinander identisch: Sie wären beide der Gott Ullr.

Diese Szenerie wird vermutlich ein Teil der Vorstellungen über das Schicksal des Sonnengottes gewesen sein, da Tyr bis 500 n. Chr. der zyklisch sterbende und wiedergeborene Sonnengott-Göttervater gewesen ist.

I 10. Harbard-Lied

Das „Fremdgehen“ der Göttin Sif wird auch im Harbard-Lied berichtet. „Harbard“ („Graubart“) ist einer der vielen Decknamen des Odin. Der uneheliche Sohn der Göttin Sif ist damals bei den Germanen offensichtlich ein allgemein geläufiges Motiv gewesen.

Thor:

„Deine Wortklugheit kommt Dir noch übel,

Wenn ich durchs Wasser wate.

Lauter als ein Wolf wirst Du aufschrein,

Wenn ich Dich mit dem Hammer haue.“

Harbard:

„Sif hat einen Buhlen, Du wirst ihn bei ihr finden:

Der erfahre Deine Kraft, das frommt Dir mehr.“

Thor:

„Du redest nach Deines Mundes Rat, nur recht mich zu kränken.

Verworf'ner Wicht! Ich weiß, daß Du lügst.“

Harbard:

„Und ich sage, so ist's! Säumig betreibst Du die Fahrt.

Schon wärst Du weit, Thor, wenn Du verwandelt fuhrst.“

Thor kommt in diesem Lied von einer Fahrt zu den Riesen zurück. Diese Gelegenheit scheint Loki, der ständige Widersacher des Thor, genutzt zu haben, um Thors Frau Sif zu verführen.

I 11. Skaldskaparmal (3)

Da das Fremdgehen von Thors Frau Sif mit Loki anscheinend eine wichtige Szene in den damaligen Mythen gewesen ist, lohnt es sich, das Verhältnis zwischen Loki und Thor sowie das zwischen Sif und Loki näher zu betrachten.

Aus vielen Liedern der Edda ist bekannt, daß Thor einerseits des öfteren zusammen mit Loki in die Fremde zog und daß andererseits Thor oft mit Loki im Streit lag. Thor war zudem der einzige, der durch seine Kraft Loki zum Schweigen bringen konnte. In diesen Szenen ist Loki das listige Chaos und Thor derjenige, der in cholerischer Weise die Ordnung wiederherstellt. Zwischen ihnen könnte ein ähnliches Verhältnis bestehen wie zwischen Odin und Loki, Baldur und Hödur sowie evtl. auch zwischen Baldur und Ullr.

In dem Skaldenkunst-Lied wird eine wichtige Begebenheit aus dem Verhältnis zwischen Loki und Sif beschrieben:

Loki, Laufeyjas Sohn, hatte der Sif in hinterlistiger Weise alles Haar abgeschoren. Als Thor das gewahrte, ergriff er Loki und würde ihm alle Knochen zerschlagen haben, wenn er nicht geschworen hätte, von den Schwarzelfen zu erlangen, daß er der Sif Haare von Gold machte, die wie anderes Haar wachsen sollten. Darauf fuhr Loki zu den Zwergen, die Iwaldis Söhne heißen. Diese machten das Haar und zugleich Skidbladnir und den Spieß Odins, der Gungnir heißt.

Da verwettete Loki sein Haupt mit dem Zwerge, der Brock heißt, daß dessen Bruder Sindri nicht drei ebenso gute Kleinode machen könnte, wie diese wären. Und als sie zu der Schmiede kamen, legte Sindri eine Schweinshaut in die Esse und gebot dem Brock zu blasen und nicht eher aufzuhören, bis er aus der Esse nähme, was er hineingelegt hatte. Aber sobald Sindri aus der Schmiede gegangen war und Brock blies, setzte sich eine Fliege auf seine Hand und stach ihn. Dennoch hörte er nicht auf mit Blasen bis der Schmied das Werk aus der Esse nahm. Da war es ein Eber mit goldenen Borsten.

Darauf legte er Gold ins Feuer und gebot ihm, zu blasen und nicht eher mit Blasen abzulassen, bis er zurückkäme. Er ging hinaus; aber die Fliege kam wieder, setzte sich jenem auf den Hals und stach nun noch einmal so stark; doch fuhr er fort zu blasen bis der Schmied aus der Esse einen Goldring zog, der Draupnir heißt.

Darauf legte er Eisen in die Esse und hieß ihn blasen und sagte, alles sei vergebens, wenn er mit Blasen innehielte. Da setzte sich ihm eine Fliege zwischen die Augen und stach ihm in die Augenlider, und als das Blut ihm in die Augen troff, daß er nichts mehr sah, griff er schnell mit der Hand zu, während der Blasbalg ruhte, und jagte die Fliege fort. Da kam der Schmied zurück und sagte, beinahe wäre das nun völlig verdorben, was in der Esse läge. Darauf zog er einen Hammer aus der Esse.

Alle diese Kleinode legte er darauf seinem Bruder Brock in die Hände und hieß ihn damit gen Asgard fahren, die Wette zu lösen. Als nun er und Loki ihre Kleinode brachten, setzten sich die Götter auf ihre Richterstühle, und es sollte das Urteil gelten, das Odin, Thor und Freyr sprächen.

Da gab Loki dem Odin den Spieß Gungnir, dem Thor das Haar für die Sif und dem Freyr den Skidbladnir und nannte die Eigenschaften dieser Kleinode, daß der Spieß nie sein Ziel verfehle, das Haar wachse, sobald es auf Sifs Haupt komme, und Skidbladnir immer Fahrwind habe, sobald die Segel aufgezogen würden, wohin man auch fahren wollte; und zugleich könne man das Schiff nach Belieben zusammenfalten wie ein Tuch und in der Tasche tragen.

Darauf brachte Brock seine Kleinode hervor und gab dem Odin den Ring und sagte, in jeder neunten Nacht würden acht ebenso kostbare Ringe von ihm niederträufeln.

Dem Freyr gab er den Eber und sagte, er renne durch Luft und Wasser Tag und Nacht, schneller als irgendein Pferd, und nie wäre es so finster in der Nacht oder im Dunkelwald, daß es nicht hell genug würde, wohin er auch führe, so leuchteten seine Borsten.

Dem Thor gab er den Hammer und sagte, er möge so stark damit schlagen, als er wolle, was ihm auch vorkäme, ohne daß der Hammer Schaden nähme; und wohin er ihn auch werfe, so solle er ihn doch nicht verlieren, und nie solle er so weit fliegen, daß er nicht in seine Hand zurückkehre, und wenn es ihm beliebe, solle er so klein werden, daß er ihn im Busen verbergen könne. Er habe nur den Fehler, daß sein Stiel zu kurz geraten sei.

Da urteilten die Götter, der Hammer sei das Beste von allen Kleinoden und die beste Wehr wider die Hrimthursen, und sie entschieden die Wette dahin, daß der Zwerg gewonnen habe.

Da erbot sich Loki, sein Haupt zu lösen; aber der Zwerg antwortete, darauf dürfe er nicht hoffen. So nimm mich denn, sagte Loki; aber als jener ihn fassen wollte, war er schon weit fort, denn Loki hatte Schuhe, die ihn durch Luft und Wasser trugen.