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"Der Sinn, den man ersinnen kann, ist nicht der ewige Sinn", soll Laotse gesagt haben. Glaube und Wissen sind nicht endgültig und es bleibt der Zweifel als Motor für immer wieder neue Umorientierungen. Drei grosse Revolutionen erschütterten die hergebrachten Denkstrukturen: Die Kopernikanische Wende, welche die Vernunft zum Massstab machte, die quantenmechanische Wende, die zum Abschied von Realismus und Determinismus führte, und die biologische Wende. Heute spricht man von der Zeitenwende. Grosse Themen dabei sind die Künstliche Intelligenz, die zu neuen Denkstrukturen führen wird, die geopolitischen Veränderungen und der Klimawandel.
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Seitenzahl: 126
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Menschen leben seit jeher in einer komplexen und schwierigen Umwelt und suchen nach Orientierung. Es sind andere Menschen, die ihnen Orientierung und Sinn vermitteln. Viele tun dies im Vertrauen auf eine höhere Macht, auf Gott oder eine Offenbarung. Was sie aber vermitteln ist Menschenwerk. Dies gilt bei der Vermittlung von Glauben und Wissen, auch wenn dazu naturwissenschaftliche Beweise herangezogen werden. ‘Der Sinn, den man ersinnen kann, ist nicht der ewige Sinn’, soll Laotse gesagt haben. Glaube und Wissen sind nicht endgültig und es bleibt der Zweifel als Motor für immer wieder neue Umorientierungen.
Das vorliegende Buch zeigt auf, wie sich Glaube und Wissen entwickelten und wie daraus abgeschlossene Systeme entstanden. Drei grosse Revolutionen erschütterten diese Denkstrukturen: Die Kopernikanische Wende, welche die Vernunft zum Massstab machte, die quantenmechanische Wende, die zum Abschied von Realismus und Determinismus führte, und die biologische Wende. Die biologische Revolution ist immer noch im Gange. Heute spricht man von der ‘Zeitenwende’. Wichtige Themen dabei sind Künstliche Intelligenz, die zu neuen Denkstrukturen führen wird, geopolitische Veränderungen und der Klimawandel.
Vorwort
Menschenwerk
Der ersonnene Sinn
Vernunft und Fortschritt
Grenzen des Wissens
Abschied von Realismus und Determinismus in der Physik
Technischer Realismus
Evolution und Hirnforschung
Modelle im biologischen Realismus
Kommt die nächste Wende?
Anhang
Modelle und ihre Bedeutung
Nachwort: Lob der Torheit
Literaturhinweise
«Die christliche Religion steht einer gewissen Torheit recht nahe; hingegen mit der Weisheit verträgt sie sich schlecht!»
(Erasmus von Rotterdam: Lob der Torheit)
Wie aus dem Lebenslauf hervorgeht, habe ich Physik studiert und mir diese Denkweise angeeignet. Ich bin ein Physiker und habe diesen Beruf mit Freude ausgeführt. Als Physiker muss man produktiv und kreativ sein und Resultate liefern. Mit Vierzig ist aber meistens die kreative Phase vorbei, und so musste ich auch andere Aufgaben in der Führung und Ausbildung übernehmen. Da kamen andere Wissensgebiete wie Betriebswirtschaft und Management hinzu, wobei vor allem mein analytisches Denkvermögen gefragt war. Im Ruhestand kehrte ich zur Physik zurück, war aber nicht mehr ein produktiver, sondern ein reflektierender Physiker.1 Und wenn ich zurückdenke, dann war das schon immer so. Ich konnte etwas nur richtig verstehen und einordnen, wenn ich soweit war, dass ich es in schriftlicher Form festhalten konnte. Ich habe dann einige Bücher verfasst, in denen ich mich mit dem Physikbetrieb und den dort vorherrschenden Ansichten kritisch auseinandersetzte. Dabei konnte ich nicht erwarten, dass ich eine grössere Leserschaft ansprechen würde; wichtiger für mich war der Prozess, bei dem ich mich mit dem Thema beschäftigte. Als ich 82jährig mein letztes Buch ‘Die Physiker und der Elfenbeinturm’ veröffentlicht hatte, wollte ich meine Feder hinlegen. Aber das Reflektieren über Gott und die Welt hörte nicht auf. Und mir wurde klar, dass ich über vieles, was mir wichtig war, noch nicht richtig nachgedacht hatte. Und so startete ich nochmals ein Buchprojekt.
Im vorliegenden Buch wollte ich aufzeigen, wie sich Glaube und Wissen entwickelten und wie daraus abgeschlossene System entstanden. Drei grosse Revolutionen erschütterten diese Denkstrukturen: Die Kopernikanische Wende, welche die Vernunft zum Massstab machte, die quantenmechanische Wende, die zum Abschied von Realismus und Determinismus führte, und die biologische Wende. Die biologische Revolution ist immer noch im Gange. Heute spricht man von der ‘Zeitenwende’. Grosse Themen dabei sind Künstliche Intelligenz, die zu neuen Denkstrukturen führen wird, geopolitischen Veränderungen und der Klimawandel. Denkstrukturen zeigen sich in Modellen, deren Bedeutung ich im Anhang2 näher erläutere. Das Buch schliesst mit einem Lob der Torheit ab, da dieses Buch – ein Alterswerk – verschiedene Alterstorheiten enthält.
Im Folgenden verwende ich für gewöhnlich die männliche Form: Die Könige, die Priester, die Physiker. Das Buch befasst sich grösstenteils mit männlichen Personen. Aber natürlich sind dabei auch Frauen eingeschlossen, auch wenn sie in der patriarchalischen Geschichte im Hintergrund standen. Ich verzichte im Folgenden auf Gendersternchen. Leserinnen mögen das als Fehler interpretieren. Das vorliegende Buch ist voller Fehler: Schreibfehler, orthografische und stilistische Fehler, Falschannahmen, inhaltliche Fehler und Denkfehler. Es wurde weder von einem Lektor oder einem Korrektor überarbeitet. Es ist unvollkommen und unvollständig - ein Torso wie jedes Menschenleben.
Zollikon, im März 2023 Otto Sager
1 Der grosse Mathematiker, Physiker und Lehrer Arnold Sommerfeld hat den Konflikt zwischen Max Planck und Ernst Mach über die Aufgaben der Physik wie folgt kommentiert: „Die Diskussion zwischen Planck und Mach zeigte den Gegensatz zwischen einem produktiven Physiker wie Planck und einem reflektierenden Physiker wie Mach.“
2 Die eilige Leserin, der eilige Leser kann im Anhang all das finden, was ich im Buch sagen wollte.
Religion und Wissenschaften sind Teil der menschlichen Kultur. Kultur ist alles, was der Mensch selbst gestaltend hervorbringt. Dazu gehören nebst der bildenden Kunst, Musik und Sprache. Aber auch Landwirtschaft, Technik, sowie Recht, Wirtschaft und Religion sind kulturelle Leistungen. Als Verwalter der menschlichen Kultur gelten die Geisteswissenschaften. Man darf aber die Naturwissenschaften nicht ausschliessen; sie sind ein wichtiger Teil der Kultur. – Meist versteht man die Geschichte der Naturwissenschaften als einen Prozess, wobei immer mehr Wissen akkumuliert wird. Und am Ende wird man alles wissen. Im Gegensatz dazu steht der Glaube, der für immer und ewig gleich bleibt, und der von Gott offenbart wurde. Doch dieses statische Bild täuscht. Auch der Glaube hat sich über die Jahrhunderte entwickelt, und es war der Zweifel, der als Ursache für die Entwicklung der religiösen Rituale, der ethischen Überzeugungen und der Glaubensinhalte sorgte. Der Absolutheits- und Ewigkeitsanspruch ergab sich erst durch die Verbindung der Kirche mit der Macht und den Mächtigen. Machthaber wollen ihre Macht erhalten und dulden keine Veränderung! Am Augenfälligsten ist dies in der katholischen Kirche. Niklaus Kopernikus und Martin Luther wehrten sich dagegen und es kam zu grossen Umbrüchen. Aber auch nach der Reformation galt der Grundsatz: «Cuius Regio, eius religio» oder der Herrscher sagt, was seine Untertanen zu glauben haben!
Nachdem das geschlossene Weltbild des Mittelalters – welches Dante in der ‘Göttlicher Komödie’ dichterisch beschrieben hat – überwunden war, suchten die gebildeten Menschen nach einer Alternative. Mit dem ‘Wissen’ der Aufklärung und Newtons Gesetze der Mechanik konstruierte man ein voll deterministisches Weltbild, das in sich geschlossen war. Nachdem die Thermodynamik und die Elektrodynamik in dieses Bild integriert wurde, glaubte man, dass die Physik als Wissenschaft abgeschlossen sei. Als Max Planck gegen Ende des 19. Jahrhundert Physik studieren wollte, da riet ihm sein Professor davon ab, da alles bekannt sei und nur noch wenige unbedeutende Probleme geklärt werden müssten. Auch die Mathematik strebte einem Ende zu, und der grosse David Hilbert verkündete, dass es in der Mathematik kein ‘Ignorabimus’ geben könne. Aber auch dieses geschlossene Weltbild hatte keinen Bestand. Erschüttert wurde dieses Weltbild durch die Quantenmechanik. Dabei wurden nicht nur die Begriffe, die man aus der Physik kennt, in Frage gestellt, sondern auch die Vorstellungen der philosophischen Erkenntnistheorie. – Was Menschen ersinnen ist Menschenwerk. Und Menschen sind ein Produkt der Evolution. Der Mensch ist nicht mehr das Ebenbild Gottes, sondern ein Wesen, das sich in seiner Umwelt behaupten muss. Sein Verstand ist nicht etwas Absolutes; er dient zum Überleben und zur Anpassung an eine sich stets verändernde Umwelt. Seine Wahrnehmungen sind selektiv und er kann nicht zur letzten Wahrheit vorstossen.
Auch mein Denken ist Menschenwerk und was ich erläutere widerspiegelt meine Lebenserfahrung. Ich wuchs in einer Familie auf, die stark in der katholischen Tradition verwurzelt war. Mit dreizehn Jahren kam ich ins Internat der Stiftsschule Einsiedeln. Unsere Lehrer waren Benediktinermönche, die den Stoff aus ihrer Sicht vermittelten. Dies galt für die alten Griechen, bei denen Homer, Platon und Aristoteles wichtig waren. Zum Studium gehörte auch das Fach ‘Philosophie’. Und Philosophie beschränkte sich auf die Scholastik, die zu allen Fragen eine Antwort wusste. Diese Sicht war mir zu einfach und so entschloss ich mich, Physik zu studieren. Schnell wurde mir klar, dass die naturwissenschaftliche Sicht keine Ergänzung zur Sicht der Religion und des Glaubens sein konnte. Für mich waren die beiden Sichtweisen ‘komplementär’. Das Komplementaritäts-Prinzip hatte Niels Bohr zur Basis der Kopenhagener Interpretation der Quantenmechanik postuliert. Danach sind zwei elementare Aussagen über einen Sachverhalt dann komplementär, wenn sie nicht gleichzeitig entschieden werden können.3 Oder wie Bohr öfters gesagt hat: «Das Gegenteil einer richtigen Behauptung ist eine falsche Behauptung. Aber das Gegenteil einer tiefen Wahrheit kann wieder eine tiefe Wahrheit sein».4 – Je mehr mir bewusst wurde, dass sowohl die Lehren der Religion als auch die Paradigmen der Physik Menschenwerk sind, desto grösser wurde mein Abstand zur ‘reinen’ Lehre. Weder die ‘Theorie von allem’, welche die Physiker suchen, noch die dogmatischen Behauptungen der Religionslehrer genügen dem Anspruch einer ‘tiefen Wahrheit’. Was bleibt sind relative Wahrheiten. Sie zeigen sich in Gleichnissen, Bildern und in den Modellen der Physik. Und sie sind wie ein Kompass in einer komplexen und schwierigen Umwelt. Was sie vermitteln ist Menschenwerk. ‘Der Sinn, den man ersinnen kann, ist nicht der ewige Sinn, der Name den man nennen kann, ist nicht der ewige Name’, soll Laotse gesagt haben. Glaube und Wissen sind nicht endgültig und es bleibt der Zweifel als Motor für immer wieder neue Umorientierungen.
Die Sichtweise von ‘Glaube und Wissen’ zeigt nur einen Aspekt aus der vielfältigen Geschichte. Ein anderer Aspekt ist die Geschichte der Könige und Machthaber und ihrer Kriege. Dieser Stoff wird in den traditionellen Schulbüchern vermittelt. Ein weiterer Aspekt ist die Kunstgeschichte. Alle diese Geschichten tragen zum Verständnis unserer Kultur bei, bleiben aber Menschenwerk. Ein Aspekt, der in den Geschichtsbüchern von der Antike über die Aufklärung bis zu unserer Zeit nur marginal vorkommt, ist die Geschichte der Frauen und ihrer Beiträge zur Kultur. In einer patriarchalischen Struktur wird Geschichte von Männern gemacht. Dazu passt auch der allmächtige Vatergott in den monotheistischen Religionen. Die Volksfrömmigkeit aber schuf ein anderes Gottesverständnis. Zum ‘pater omnipotens’ steht gleichwertig die ‘mater misericordiae’, die Mutter der Barmherzigkeit. Sie wurde in der Gestalt von Maria verehrt. Und in jedem christlichen Land gab und gibt es Marienheiligtümer. In der Not gingen die Menschen zur Mutter Maria, die ihnen zu Hilfe kam. Der allmächtige Vater konnte als Weltenrichter über Erlösung und Verdamnis entscheiden. Die barmherzige Mutter aber sorgte dafür, dass die Menschenkinder in der irdischen Welt leben konnten. Zwar versuchten die Theologen mit spitzfindigen Argumenten einen Unterschied zwischen Vater und Mutter in der Göttlichkeit aufrecht zu erhalten. Das Volk aber hatte anders entschieden. Während in der katholischen Tradition die Marienverehrung weiter existiert, wird sie in den protestantischen Kirchen nicht mehr gepflegt. Für die Reformatoren ist einzig die Bibel – auch ein durch Männer geschaffenes Menschenwerk – die letzte Quelle der Wahrheit. Und darin lässt sich der Marienkult nicht begründen. Die weiblichen Aufgaben wurden dafür von den Pfarrfrauen übernommen, die zu den wichtigsten Beraterinnen und Helferinnen in der Kirche wurden. Heute sind es die reformierten Pfarrerinnen, welche die Bibel aus weiblicher Sicht predigen. – Als grosse Errungenschaft oder Fortschritt der heutigen Zeit ist die Öffnung aller Berufe, Handwerk und Studium, für Frauen. Dabei geht es nicht darum, dass Frauen Männerarbeit übernehmen. Wichtiger ist, dass neben der rationalen Intelligenz auch die emotionale Intelligenz zum Tragen kommt. Anhängerinnen des Daoismus sehen dies in Yin und Yang. Yin und Yang stehen für polar einander entgegengesetzte und dennoch aufeinander bezogene duale Kräfte oder Prinzipien, die sich nicht bekämpfen, sondern ergänzen. Sie sind nach Niels Bohr komplementär. Dabei geht es weniger um männlich (Yang) und weiblich (Yin), sondern um das ausgewogene Gleichgewicht der beiden Prinzipien. Dieses sollte in allen Gesellschaftsschichten zum Tragen kommen. Dabei spielen die Geschlechterrolle und die sexuelle Orientierung keine Rolle. Alle können dazu beitragen
3 Wenn man mit einer Messanordnung den Ort eines Teilchens bestimmen kann, dann kann mit dieser Messapparatur keine Messung (Aussage) über den Impuls machen. Um den Impuls zu bestimmen, braucht es eine andere Messanordnung, wobei man dann keine Aussage über den Ort des Teilchens machen kann.
4 vgl. Heisenberg W., Der Teil und das Ganze. p.143
Glaubenssätze
Die Zeitspanne von der Antike bis zur Aufklärung hat ihren Höhepunkt in der Kopernikanischen Wende. Vielfach spricht man anstelle der Wende von der Kopernikanischen Revolution, bei der das geozentrische Weltbild durch das heliozentrische abgelöst wurde. Nikolaus Kopernikus selbst sprach in seinem epochalen Buch ‘De revolutionibus orbium coelestium’ von Revolutionen, meinte damit aber die Bewegungen (den Umschwung) der Himmelskörper. Trotzdem spricht man aus heutiger Sicht von der grossen wissenschaftlichen Revolution. Unterstützt wird diese Sicht durch das Buch von Thomas S. Kuhn Die Struktur wissenschaftlichen Revolutionen5. Kuhn beschreibt darin, wie es in der Geschichte der Naturwissenschaften zu Revolutionen kam. Er nennt solche Revolutionen einen Paradigma-Wechsel. Das Paradigma ist eine grundsätzliche Denkweise oder Weltsicht, die sich auf bestimmte Grundannahmen stützt. In der Physik sind dies Axiome oder Gesetze, die als unumstösslich gelten. Dazu gehören zum Beispiel die von Newton formulierten drei Gesetze für die Mechanik. Die Brisanz in Kuhns Aussage besteht darin, dass selbst diese Gesetze nicht für die Ewigkeit gelten. Ein Paradigma – das von einer Gruppe geteilte Wissen – ist eine Höchstleistung des menschlichen Geistes. Obwohl es oft einer Person zugeschrieben wird, ist es das Resultat einer Entwicklung, zu der viele einen Beitrag geleistet haben. Peter Janich nennt dieses Wissen Mundwerk6 und sagt damit, dass Wissen nur Menschenwerk sei. Solange nichts gegen ein Paradigma spricht, nimmt man an, dass es ‘wahr’ sei; es besteht aber immer ein berechtigter Zweifel. Viele Paradigmen entfalten ihre Wirkung in geschlossenen Gesellschaften: Die physikalische Gesellschaft, die chemische Gesellschaft oder die Gesellschaft der Mediziner. Es gibt aber auch Paradigmen, die auf die gesamte Gesellschaft einen Einfluss haben. Da stellen sich Fragen wie ‘Ist der Tod das endgültig Letzte oder gibt es ein Leben nach dem Tod?’ – ‘Gibt es im Universum einen Platz für Gott und den Himmel?’ – ‘Wie steht es um das Verhältnis von Seele und Körper?’ Darauf versuchten Theologen und Philosophen eine Antwort zu geben, wobei sie oft den Anspruch auf die endgültige Antwort erhoben. Daraus entstanden Glaubenssätze, welche diese Art von Paradigmen prägen. Meist ging es über Jahrhunderte, bis diese Glaubenssätze ihre verbindliche Form erhielten. Es ging aber auch lange, bis nach dem Höhepunkt der revolutionären Entwicklung sich ein neues Paradigma festsetzen konnte. Hier kann eine Aussage von Max Planck, einem der Väter der Quantenphysik, angeführt werden: «Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, dass ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, dass ihre Gegner allmählich aussterben.» Meist wird zwischen den Anhängern der verschiedenen Paradigmen nicht friedlich diskutiert; es wird gestritten und gekämpft. Galileo Galilei verfasste zwar den ‘Dialogo’, wobei ein Anhänger des geozentrischen mit einem Anhänger des heliozentrischen Weltsystem diskutiert. Da die Sympathien von Galilei offensichtlich waren, endete dies mit dem Prozess, und Galilei musste widerrufen. Die Gegner sterben nicht einfach aus und meistens bleiben zwei Lager übrig. Im besten Fall resultiert nach einigen Jahren eine Koexistenz oder eine Multikulti-Gesellschaft.
Vom Mythos zum Logos
Wissenschaftlichen Revolutionen sind auch gesellschaftliche Revolutionen. Man könnte den Übergang vom ‘Mythos zum Logos’, den wir aus dem alten Griechenland kennen, als Ursprung der Revolutionen bezeichnen. Er war die Voraussetzung für die Demokratie im alten Athen und zur griechischen Hochblüte der Kultur. Der Ausdruck ‘Logos’ ist vieldeutig. Er wird für ‘Wort’, ‘Rede’ oder ‘Sinn’ gebraucht. Er bezeichnet auch die Leistungen des menschlichen Geistes, sei es, ‘Vernunft’ oder ‘Logik’. Und das Johannes-Evangelium beginnt mit der Aussage: «Im Anfang war das Wort (Verbum, Logos).»