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Dieses vorliegende Buch ist der Versuch, die männliche Existenz wieder mehr an seine ursprüngliche Seinsweise und seine Seinsbedingungen heranzuführen. Eine Welt, in der die Geistigkeit verleugnet wird und dadurch verloren gegangen ist, ist logischerweise eine geistlose Welt. So hat der Mensch auch seinen Ursprung verleugnet. Er ist dadurch von diesem abgeschnürt und abgekoppelt. Dies gilt ebenso für unseren geschlechtlichen Ursprung, wo die westliche Gesellschaft heutzutage einer einzigartigen Verwirrung ausgesetzt ist, die durch eine unsägliche «Gender Diskussion» immer mehr noch verstärkt wird, was in der Folge zu einer regelrechten Feindseligkeit unter den Geschlechtern geführt hat. Es ist dadurch kein Wunder, dass, wenn der Mann, der im Mittelpunkt dieses Textes steht, sich von seiner Männlichkeit immer mehr verabschiedet (aus welchen Gründen auch immer), eben diese Männlichkeit in seinem «Seinsgrund» nicht mehr wahrnimmt geschweige denn wahrgeben kann. Es ist die tiefe Überzeugung des Autors, dass die Wandlungsbereitschaft und Transformation des heutigen Mannes nur durch das «Urerlebnis subtiler-Mann» (rück?)erobert und vollzogen werden kann, in das der Mann fühlend, wollend und denkend, letztlich liebend eindringen muss. Nur so kann er wieder ganz in seiner ursprünglichen Einheit als Mann ankommen und zu seinem wahren, sinnlichen Ich zurückfinden und ihm entsprechenden Ausdruck verleihen.
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Veröffentlichungsjahr: 2019
Heinz Rataj
Der erlöste Mann
Versuch einer Metaphysik der Männlichkeit
Copyright: © 2019: Heinz Rataj
Umschlag & Satz: Erik Kinting – www.buchlektorat.net
Titelbild: Orpheus und Euridike, Gustinus Ambrosi (1893-1975)
© Wolfgang Bauer, Galerie: bel etage, Wien
Bô Yin Râ: Bilder: C Posthumus Projects
J. A. Schneiderfranken: C Posthumus Projects
Verlag und Druck:
tredition GmbH
Halenreie 40-44
22359 Hamburg
978-3-7482-9446-7 (Paperback)
978-3-7482-9447-4 (Hardcover)
978-3-7482-9448-1 (E-Book)
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Widmung
All jenen Männern wollen wir diesen Text ans Herz legen, die auf der Suche nach der «Spur ihres Weges» sind. Auf der Spur ihres inwendigen «Urbildes als Mann».
Der Hintergrund dieses Weges, der im vorliegenden Text vermittelt wird, orientiert sich an einem Männerbild, welches sich an der Unsichtbarkeit und Transobjektivität des männlichen Daseins orientiert.
Dieses männliche Bild als «Inbild» verstanden und als Lehre über «den Mann» beschrieben, hat nur wenige Berührungspunkte mit den allgemein vermittelnden anthropozentrischen Sichtweisen soziologischer oder psychologischer Provenienz – über den Mann.
Wir widmen dieses Buch daher all jenen Männern, die eine «vertikale Anthropologie», d.h., eine Sichtweise auf ihre Männlichkeit «von oben her» suchen und vielleicht schon lange zu finden erhofften.
Erst wenn der Mann bereit ist, seinen ausschließlich – rationalen Verstand und seine damit verbundene Weltklugheit, zugunsten der urphänomenalen d.h., vorgegebenen geistigen Begründung des männlichen Daseins zu lassen, wird er sich der vollen Tragweite seines Auftrages (Stufe für Stufe) anvertrauen können.
Dass der heutige Mann dieses Vertrauen wiedergewinnt und in den eigenen urphänomenalen Lebensgrund als Liebe, Glaube, Gelassenheit und letztlich Bestimmung, wieder einfließen lassen kann, ist uns Hoffnung und Freude.
Inhaltsverzeichnis
Leitmotive
Vorwort
1. Einleitung
2. Die ewige Ehe – als Ur-Phänomenaler Ausgangspunkt des Mannes
3. «Der Wandlungs-Weg des Mannes»
4. Der innere Rang als seelisches Vermögen
5. Die bedeutendsten archetypischen Grunddynamiken der maskulinen Essenz:
6. Die Erlösung von den Mutterkräften
7. Die Führung durch den Mann
8. Die Wandlung in den subtilen Rang
9. Männliche Askese und affirmative Stärkung der maskulinen Essenz
10. Mann und Weib im polarisierten Aether-Raum
11. Die archetypischen «Seinsweisen des Weibes» – als Antwort auf den Mann
12. «Das Herz-Werk-Gebet des Mannes»
13. Das Erwachen aus der Horizontalspannung
14. Das innere Königtum
15. Exerzitien: Die männlich-spirituelle Praxis
15.1. Das Schweigen als Grundierung der spirituellen Praxis
15.2. Die Apollinische Sonne
15.3. Das wahre Ich
15.4. Gelassenheit
15.5. Präsenz und Nicht- Präsenz
15.6. «Leere- Fülle»
16. Männlicher Wille und intrinsische Stärke
17. Über die Offenheit des Geistes als Gabe
18. Die Führung auf dem «Gralsweg» des Mannes
19. «Der ewige Mann» und der doppelte Ursprung seiner Wirklichkeit
20. Liebe als Treue
21. Subtiler Eros und erlöster Sexus
22. Im Leben und Sterben beheimatet sein
23. Vom Suchen und Finden des «Ursprungs»
24. Verlust der Vertikalität als Ursache des heutigen «Ungeistes»
25. «Das Echo der erlösten Mitte»
26. Lob der Geschlechter
27. Anhang
27.0. Fragenkatalog zu: Kongruenz – Wert – Maß!
27.1. Der alchemistische Prozess des subtilen Ranges
27.2. Das Ur-Phänomen im Vollzug (Frei nach J. W. v. Goethe)
27.3. Das Herz-Werk Gebet des Weibes
27.4. «Das «Ineinanderwirken» der Struktur ewigen, geistigsubstantiellen Lebens»
27.5. «Daimonion – heller Freund»
27.6. Schritte der Wesenswandlung des Mannes
27.7. Lebenskunst und Wesentlichkeit
28. Was bleibt? Worum geht es wirklich? Was ist zu tun?
29. Nachwort
30. Namensregister
31. Bibliographie
Leitmotive
«Ich trieb mich beim Beginn der Dinge herum!»
(Laotse)
«Denn nur bis zum Wege, bis zum Aufbruch reicht die Belehrung, die Schau muss dann selbst vollbringen wer etwas zu sehen gewillt ist.»
(Plotin)
«… Wie ’s dir beliebt, soll’s mir gefallen.
Du bist der Herr und weißt: Ich trenn mich nicht
Von deinem Weg, und weißt auch das Verschwiegene.»
(Dante an Vergil)
«Der Punkt, in dem plötzlich der Funke des Hervorleuchtendsten überspringt, ist der Augenblick, in dem etwas auf einmal in die Augen springt, das wohlvertraut und offen vor Augen liegt, dessen wir aber gewöhnlich nicht innewerden…der Anschauung seiner Transformation.»
(G. Wohlfart)
«Im Gegensatz zu Platons Welt der Wahrheit fehlt der heutigen Transparenzgesellschaft jenes göttliche Licht, dem eine metaphysische Spannung innewohnt. Transparenz ist ohne Transzendenz!»
«Das Medium der Transparenz ist kein Licht, sondern eine lichtlose Strahlung, die, statt zu erhellen, alles durchdringt und durchsichtig macht. Im Gegensatz zum Licht ist sie penetrant und penetrierend. Sie wirkt ferner homogenisierend und einebnend, während das metaphysische Licht Hierarchien und Unterscheidungen generiert und dadurch Ordnungen und Orientierungen schafft.»
(Byung-Chul Han)
«Dieses Buch ist für solche geschrieben, die seinem Geist freundlich gegenüberstehen. Dieser Geist ist ein anderer als der des großen Stromes der europäischen und amerikanischen Zivilisation, in dem wir alle stehen.»
(L. Wittgenstein)
«Die Männer sind wie Licht, wenn es auf keine Gestirne fällt und durch das Leere irrt; und die Frauen wie Gestirne, auf die kein Licht fällt und die im Dunkeln bleiben; aber der geistige Mensch ist wie das Gestirn, das von seinem eigenen Lichte leuchtet.»
(F. Schuon)
«Wer in sich ernstlich hinabsteigt, wird sich immer nur als Hälfte finden.» «Mund ruht auf Mund, und Seele sinkt in Seele. Was ist noch dein? Was ist noch mein? Erstickt rührt sich und schluchzend in der Kehle die dunkle Lust, nicht mehr zu sein. Die dunkle Lust, im anderen untergehen zu wollen, signalisiert, dass das Aufgehen beider in der höheren Einheit noch nicht gegeben ist.»
«Zum Ergreifen der Wahrheit braucht es ein viel höheres Organ als zur Verteidigung des Irrtums, und beim Zerstören gelten alle falschen Argumente, beim Aufbauen keineswegs. Was nicht wahr ist, baut nicht.»
(J. W. v. Goethe)
«Es gibt eine unbedingte Wirklichkeit – ohne Anfang und ohne Ende – die wir nicht begreifen können und die uns daher als Nichts erscheint.»
(H. Borel)
«Ein Wissen, das seinen Namen uneingeschränkt verdient, ist erst jenes, welches das ganze Bewusstsein durchdrungen hat.»
«Aber das sich heute so gut wie jeder mit solchen Splittern und Scherben des Ganzen zufriedengibt – ermutigt durch die bekannten, ausschliesslich rational argumentierenden, rein analytischen Erklärungsversuche (zu denen natürlich auch die psychoanalytischen zählen), spricht jedes Ergebnis, das man beibringen kann, etlichen anderen Hohn.»
«Wie soll ein Mensch, der von der Unsicherheit seines eigenen Wesens nie berührt worden ist, von der unsichtbaren Existenz eines höheren Wesens überzeugt werden können?»
(F. Vonessen)
«Unsere frühen Vorfahren glaubten zu wissen, die Erde sei flach, hatten aber unrecht. Obwohl ihre Meinung über die Erde berechtigt war, war sie falsch. Wenn eine Meinung als Wissen zählen soll, muss sie nicht nur berechtigt, sondern auch wahr sein.»
(P. Boghossian)
«Der Mensch mit innerer Diskontinuität ist fragmentarisch, sprung- und augenblickshaft, ohne Gedächtnis, bar einer persönlichen Geschichte und deshalb schicksalslos, dazu tief unnatürlich, weil der Mensch nicht dadurch schon Natur wird, wenn er den Geist zerstört. Es fehlt ihm die ruhende Dauer einer Lebensentwicklung, die von Stufe zu Stufe steigt und jede bewältigte in sich trägt.»
(J. Bodamer)
«Wahrlich, es ist viel gewonnen, wenn sich ein Gebiet finden lässt, wofür man mehr Interesse hat als für sich selber! Er mühe sich, das Vordergründige zu durchdringen, und er wird das Dahinterliegende erahnen; vielleicht wird ihm gar die Gnade, das Wehen des Geistes zu spüren.»
(R. A. Schwaller de Lubicz)
«Krieger ziehen in die Schlacht, große, marktschreierische Bilder auf den Schilden. Nur bei einem ist nichts als eine Fliege aufgemalt. «Feigling!» schelten ihn die anderen. «Du willst unbemerkt bleiben, willst nicht, dass das Bild den Feind auf dich ziehe.» «Im Gegenteil», antwortet gelassen der also Verdächtigte, «ich werde mich so nah an ihn heranmachen, dass er wohl oder übel die Fliege sehen muss.»
(Plutarch)
«Von oben her sieht alles ganz anders aus. War die Liebe von unten das letzte, verstiegene, ja paradoxe Endglied einer biologischen Aszendenz, so ist sie in der Blickrichtung von oben der Anfang schlechthin; denn «Gott ist die Liebe» (1. Joh. 4;16)
(J. Ilies)
«Die emanzipatorischen Bewegungen als Bildungsziele – muss ich ablehnen. Denn sie wollen nicht sehen lehren, sondern durchschauen; nicht fragen, sondern «hinterfragen»; nicht wissen, sondern besser wissen.»
(R. Spaemann)
«Meines Erachtens ist es die höchste Aufgabe der Frau auf Erden, anspruchsvoll zu sein, vom Manne immer mehr Vollkommenheit zu verlangen. Der Mann nähert sich ihr, um von ihr erwählt zu werden; und in dieser Absicht stellt er das Beste, was seine Person zu bieten hat, zu einem Angebinde zusammen, das er der schönen Richterin überreichen will.»
(J. Ortega y Gasset)
«Hier fragt sich nicht, welche Ansicht muss von der Erscheinung gewonnen werden, damit sie irgendeiner Philosophie gemäss sich bequem erklären lasse, sondern umgekehrt, welche Philosophie wird gefordert, um dem Gegenstand gewachsen, auf gleicher Höhe mit ihm zu sein. Nicht, wie muss das Phänomen gewendet, gedreht, vereinseitigt oder verkümmert werden, um Grundsätze, die wir uns einmal vorgesetzt, nicht zu überschreiten, sondern: wohin müssen unsere Gedanken sich erweitern, um mit dem Phänomen in Verhältnis zu stehen.»
(Schelling)
Vorwort1
Wenn der Mann einmal erkannt und erfahren hat, dass er nicht von dieser Welt ist, so kann er sich auch nicht mehr wirklich in ihr beheimatet fühlen. Seine Heimat kann er nur mehr in sich und bei sich – auf seinem Weg in der Welt und durch diese Welt verwirklichen. Dieser Weg wird für den «gewöhnlichen Mann»2 ein statischer – also vorgeprägter Weg der Angespanntheit, fixiert auf die quantitativen Merkmale des Seins wie: Mehr; Größer; Weiter; Höher; Bedeutsamer; Erfolgreicher; Sorgenvoller; usw. sein!
Wogegen der «subtile Mann», die qualitativen Merkmale des dynamischen Werdens ins Dasein einfließen lässt. Dadurch wird er auf seinem Weg in eine metaphysische Ausrichtung geführt, die vermehrt die Gesamtheit und Ursprünglichkeit seines Wesens zum Vorschein bringt.
So wird er immer mehr alles weltliche Dasein – in eine vollkommene Bezogenheit auf die ewige Wirklichkeit leben – und als Grunderfahrung eine «tätige Erfüllung» erfahren und erleben.
Dieses konkrete Erleben der Wirklichkeit auf seinem Weg, wird als authentischer Vollzug jenseits der dualen Spannung von statischem Sein und dynamischen Werden – als «weltliches Lassen» erfahren. Wir wollen diesen «lassenden» Zustand des Mannseins (siehe im entsprechenden Kapitel), im Vollzug des Weges, als den «subtilen Mann» im Übergang zum «erlösten Mann» bezeichnen.
Der Übergang des «subtilen Mannes» zum «erlösten Mann», lässt sich als der gelungene Selbstgewinn des eigenen Wesens als Mann beschreiben.
Die Bedeutsamkeit des Mannes liegt so gesehen in einer geglückten «Suche» auf seinem «Weg», welcher immer ein vollkommen auf sein Ziel ausgerichteter Weg ist3. Der Ausgangspunkt, der Standort, das Bewährungsfeld des Weges, wird immer das Leben selbst sein. Gelingt dem «subtilen» Mann dieser (sein) Weg – in dem er um sein «wahres» Ziel weiß, so wird er immer mehr die Sicherheit in sich wahrnehmen und sich durch sein Ziel getragen fühlen, welches ihn stetig über sich selbst hinausführt. Der Weg wird als Wahrheit vernommen und so in letzter Konsequenz – sein geistiges Ziel – als Wirklichkeitserfahrung in seinem Herzen gebären, wie eine Blüte, die von selbst zur Entfaltung kommt.
1Hinweis des Autors: Es ist dem Autor bewusst, dass der folgende Text einer intensiven Auseinandersetzung bedarf. Da es dadurch besonders wichtig ist den Lesefluss nicht zu sehr zu unterbrechen, hat sich der Autor entschlossen, sehr ausführliche Fußnoten einzufügen. Diese sind für die Erklärung, Ergänzung und Vertiefung des Haupttextes unumgänglich, um die wichtigsten Zusammenhänge und Ausdeutungen zu erfassen. Wir bitten daher den geschätzten Leser, diese unbedingt mit zu berücksichtigen und sich eingehend damit auseinanderzusetzen.
2 Wir wollen in diesem Text von einem «Entfaltungsdreischritt» des Mannes ausgehen. Leider ist die Potentialität dieses Entfaltungsprozesses bei den meisten Männern nur in der Latenz gegeben und kommt daher selten – bis nie – zur Vollendung. Warum die meisten Männer nie aus dieser Latenz «hervortreten», wird hoffentlich durch die Ausführungen in diesem vorliegenden Text klar. Gelingt aber der Vollzug dieses Entfaltungsprozesses, so spiegelt er die fortschreitende Bewegung von der Unwissenheit, über den Zweifel, bis zu wachsender Gewissheit als erlöster Mann wider, welches sich als Einheit (Kongruenz) von Denken, Fühlen, Wollen und Handeln, im Alltag zeigt. Folgende Stufen lassen sich in diesem Prozess beschreiben:
a) Der gewöhnliche – weltliche Mann: als «Hyliker» bezeichnet, der an den stofflichen Weltbezügen orientiert ist.
b) Der subtile – seelische Mann: der sogenannte «Psychiker», den wir hier als metaphysischen d.h., selbsttranszendierenden Mann bezeichnen wollen. – und schließlich –
c) Der geistige Mann: für uns der erlöste Mann – oder «Pneumatiker», «der aus dem «Ur-Grund» – schöpfende und lebende Mann.
3 In dem Moment, wo sich ein Mann wirklich auf die Suche begibt, ist er schon ein Findender und Gefundener.
2. Die ewige Ehe – als ur-phänomenaler Ausgangspunkt des Mannes
Nach eingehender Beschäftigung mit dem Thema Ehe, wurde klar, dass es nur sehr wenige zeitüberdauernde Lehren gibt und gab, welche die Dyade Mann/Weib als höchsten Ausgangspunkt für eine spirituelle Vervollkommnung angesehen haben. Die Ausnahmen hierbei bilden die fernöstlichen Traditionen Chinas (Yin/Yang) -Tai-ki «die große Einheit; der indische Tantrismus (Shiva/Shakti); oder in Griechenland bei Plotin «die Einheit». Auch in der Sufi-Tradition z.B. bei Rumi finden wir wertvolle Hinweise.
Da hier aber meist in Form von Prinzipien innerhalb eines meist naturphilosophischen Weltprozesses argumentiert bzw. beschrieben und mitgeteilt wurde, sind aus unserer Sicht, die Begründungen und die Ausführungen bei Bô Yin Râ einzigartig und unerreicht bzgl. der hohen Wertigkeit der Ehe, gerade in Bezug auf eine spirituelle Lebensausrichtung. Daher dient uns das Gesamtwerk von Bô Yin Râ immer als Ausgangs- und Referenzpunkt. Unter anderem auch gesichert folgende Aussagen:
«…Dereinst erlöst aus irdischer Gebundenheit werden «Mann» und «Weib» in der vollkommensten Erhaltung individueller Eigenart, – in ausgeprägter polarer Verschiedenheit als zwei in sich geschlossene Geistwesen, – dennoch in einem einzigen «Ich» vereinigt sein, da sich im neugeborenen Geistesmenschen dann beider Sonder – «Ich» restlos «deckt», und jedes Einzel «Ich» zugleich das «Ich» des Gegenpols in sich empfindet wie sich selbst.»
«Der «Weg des Mannes» erheischt vom Manne der ihn betritt, sogleich vom allerersten Anfang an, einen ernsten aber auch wohlgeübten Willen zum Verstehen weiblicher Art. Ein Mann, der diesen Willen vermissen lässt, wird niemals das Ziel erreichen, das ihm erreichbar wäre…!»
«… jener weiblich polare Strahl des ewigen Urlichts, der den männlichen Menschengeist erst befähigt in den geistigen Erscheinungswelten wieder wachbewusst zu werden: – das «Ewig – Weibliche» …!»
«Ursein
Ist Weib-Sein13
Und Mann-Sein
Ist alles
Aus Ursein Seiende
In myriadenfach
Verschiedener Vermischung.
In Gott
Nur Mann-Sein glauben
Ist wahrheitsferner Glaube!
Gott ist Weib-Sein
Wie Mann-Sein!
Der «Vater»
Ist Vater
Als weibliche
Wie männliche
Urewigliche Selbstgestaltung:
Beider Pole ewige Einung.
(Bô Yin Râ)
«Die Vorzüglichkeit des Mannes wurzelt im Tun, jene des Weibes im Sein; oder anders gesagt: der Wert des Mannes gründet sich auf das, was er tut, der des Weibes auf das, was es ist; der Einfluss des Weibes ist unauffällig, weil es nicht abgrenzt, weil es allgegenwärtig ist; dieser Einfluss ist nicht geräuschvoll wie das Wirken des Mannes, sondern still und stetig wie das der Atmosphäre; das Weib ist in dem Maße Weib, wie es Bezauberung oder Ideal ist; das weibliche Ideal wurzelt in der magischen Gabe der Bezauberung, welches erst die anderen Formen des Frauseins als Grundlage ermöglicht…usw.!
(nach J. O. y Gasset)
Diese Gabe der Verlockung, der Bezauberung, der Anregung durch das Weib ist es, welches den Mann erst in seine ganze Kraft bringt, und dadurch erst seine maskulinen Fähigkeiten – entscheidende Förderung erfahren.
Zu diesen Ausführungen soll noch dargestellt werden, wie Bô Yin Râ uns das Geheimnis des «Androgyns» entschlüsselt; sehr schön durch R. Winspeare zusammengefasst:
«Der Mensch wäre im Tierleib, in dem er sich nach seinem «Fall» barg, verloren, wenn ihm nicht die Möglichkeit gegeben worden wäre, aufs Neue vom reinen Geiste befruchtet zu werden, um in sich seinen «lebendigen Gott» zu empfangen. Doch damit diese verborgene Möglichkeit Wirklichkeit werde, muss der Mensch aufhören, seinen Gott nur als Männliches allein anzusehen.»
«Der lebendige Gott», der sich in jedem von uns gebären soll, ist «Mann UND Weib» zugleich. In unserem Allerinnersten muss «Ewig-Männliches» mit «Ewig-Weiblichen» sich einen, damit die beiden Pole unserer geistigen Wesenheit in uns wiederhergestellt sind. Dies ist nur mit der Hilfe der hohen Hierarchien des Geistesmenschen möglich. Eine der höchsten «Individualisierungen» – die unmittelbare Offenbarung des uranfänglichen Androgyns – lebt stets unsichtbar und wesentlich auf unserer Erde, so wie sie ist in Ewigkeit, ewig im reinen Geiste, sich als «Mann und Weib», sich selber «zum Bild und Gleichnis zeugend.»
Diese «ewige Einung» soll auch all jenen als Hinweis dienen, die in ihrem irdischen Dasein möglicherweise nicht das Glück oder die Befähigung haben, die ewige Liebe schon hier in diesem Dasein durch die Ehe (im «Als-Ob» Modus) zu verwirklichen.
Jeder Mensch (ohne Ausnahme), ist aus metaphysischer Sicht zur Ehe prädisponiert, unabhängig davon, ob sich dieses maßgebende Ereignis schon in diesem Leben zur gelebten Erfahrung wird, oder ob diese potentielle Wirklichkeit für den Einzelnen noch in der Latenz verbleiben muss.
Die wirkliche Ehe, ist ein sehr seltenes Ereignis und viel mehr als ein gesellschaftliches oder kulturelles Phänomen. Wir können dieses Ereignis als «Ur-Phänomen» betrachten, das sich niemals durch die rein phänomenalen Gegebenheiten dieser Welt erschöpfend erklären lässt, da es bei ihr nicht um ein soziales Geschehen und ein Gebot der weltlichen Umsetzung geht, sondern es sich hierbei um eine metaphysische «Urform» als Einheit handelt.
«Doch ist weder der Mann ohne das Weib, noch das Weib ohne den Mann im Herrn.»
(Paulus)
Durch obiges Paulus Zitat erkennen wir die geistige Grundordnung, wie auch die aus ebendiesem Geist ausgesagte, notwendige und getragene Durchdrungenheit als Einheit und dessen Begründung in der wahren Ehe.
Einen sehr zu begrüßenden und klärenden Blick aus der philosophischen «Ecke» bzgl. Zweisamkeit aber auch dessen problematischen (theologischen) Hintergrund, erhalten wir neuerdings vom Philosophen Rainer Marten:
«Die erste christliche Theologie ist exemplarisch für die A-solo-Anthropologie. Am Binnenverhältnis des Einzelnen interessiert, verweigert sie sich der Deutung der Genesis, dass der Mensch als Zweiheit geschaffen ist, um leiblich-geschlechtlich aufeinander bezogen zu sein.»
Des Weiteren finden wir in der hebräischen Mystik «den Chassidim» schöne Hinweise zur Einzigartigkeit in der Begegnung und Einheit von Mann und Frau, z.B. im Sohar I,55b:
«An einem Ort, wo sich die Männlichkeit und ein Weibliches nicht vereint findet, schlägt der Heilige, gesegnet sei er, seinen Wohnsitz nicht auf.» Oder im Sohar III, 81a:
«Der König wirbt um den, der ihm angemessen ist. Darum wohnt der Heilige, gesegnet sei er, nur in dem, der gleich ihm EINS ist. Und wann wird der Mensch «EINS» genannt? -Wenn sich Mann und Weib in Liebesumarmung befinden.»
(Hg. M. Buber)
Es geht also darum, die Dyade durch die «Vermählung» der Gegensätze (Ehe) zu vereinen, da der Mensch durch die Trennung der Geschlechter in der Erscheinungsform des dyadischen Prinzips, wie gelähmt ist.
Seine Natur ist vom Geist getrennt.
Sein Sexus14 vom Eros.
Sein Werden vom Sein.
Sein Ich vom Selbst.
Sein irdisches Erleben von der Transzendenz.
Sein Wille vom Glauben.
Sein Verstand von seinen Gefühlen.
Sein Innen vom Außen.
letztlich- das Weibliche vom Männlichen.
Schon C. G. Jung wies darauf hin:
«Dass der Mann meint, seine Frau zu besitzen, wenn er sie sexuell «hat». «Doch nie hat er sie weniger, als dann, denn für die Frau ist nur die erotische Beziehung maßgebend.»
Wir wollen gerne noch erweiternd und ergänzend anmerken, dass jedes Weib sich zurückzieht (innere Emigration), wenn sie sich nicht wertgeschätzt und geliebt fühlt, und sich der Treue des Mannes nicht sicher sein kann. Sie kann sich erst dann gänzlich hingeben und «ergeben», wenn sie den Raum zur Verfügung hat, wo sie sich auf den Mann (auch sexuell) zubewegen kann. Jeglicher Druck des Mannes, jede sexuelle Bedürftigkeit seinerseits, jede Lieblosigkeit, wird ihre Seele – und letztlich auch ihren Körper in mehr oder weniger subtile Alarmreaktionen versetzen. In der Folge setzt der sukzessive (oft jahrelang dauernde) Rückzug ihrerseits ein.
Der Mann ist hier in der Verantwortung, seine meist vollkommen falsche Auffassung bezüglich männlicher und weiblicher Sexualität zu revidieren. Erst wenn er die weiblichen Bedürfnisse, Vorlieben und Rhythmen wahrnehmen, verstehen und berücksichtigen lernt, wird er erkennen, dass er (auch bzgl. der Sexualität) in den «Dienst am Weibe» und ihrer Erfüllung genommen ist. Gelingt ihm dies, kann er immer mehr seine selbstbezogene Bedürftigkeit ablegen und so erst auch wirklich auch zu seinen Bedürfnissen vordringen.
Ohne hier noch näher darauf einzugehen, wird sicher schon durch diese Andeutungen ersichtlich, dass sich die Wahrscheinlichkeit einer erfüllten, körperlichen Beziehung dadurch für beide Seiten erhöht, und die dadurch ermöglichte Gabe des Weibes als «Hingabe»15, auch für den Mann, höchstes Glück und Befriedigung bedeuten wird, da sie ja auch in der Hingabe (als Gabe gemeint) niemals passiv, sondern rezeptiv ist. Das heißt, dass sich der lustvolle Anteil in der weiblichen Grundhaltung – als Hingabe – ganz auf die Einheit des gemeinsamen Seins ausrichtet. (siehe weiter unten auch das Kp. «Vom subtilen Eros und erlösten Sexus»)
«Dort, in diesem Augenblick, hat sich mir der andere ganzheitlich geschenkt, sich selbst, sein Innerstes. Vorher waren wir nur nebeneinander oder bloß zusammen gewesen. Nun sind wir «miteinander». Wie geschah all das?»
(G. Marcel)
Beide Geschlechter – werden aber nur in ihre Hingabefähigkeit gelangen können, wenn sie sich treu ihrer individuellen Wesenhaftigkeit anvertrauen.