Der Feuerzyklus - Hal Clement - E-Book

Der Feuerzyklus E-Book

Hal Clement

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Beschreibung

Allein unter Aliens

Nils Kruger und seine Kameraden erkunden einen fremdartigen Planeten, als Nils plötzlich im Morast versinkt. Das Forscherteam gibt die Hoffnung, ihn lebend zu bergen, schnell auf und verlässt die skurrile Welt wieder. Doch Nils hat überlebt und kann sich aus dem Schlamm befreien. Er schlägt sich irgendwie durch und versucht, mit den harten, wechselhaften klimatischen Bedingungen fertig zu werden, die durch die komplizierte Umlaufbahn dieser Welt um ihre Sonne entstehen. Dann trifft er auf Dar Lang Ahn, einen Eingeborenen, der mit seinem Segelflugzeug abgestürzt ist. Aus der Not heraus entsteht eine Freundschaft, und Nils lernt nach und nach die ihm fremd erscheinende Lebensweise der Aliens kennen …

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HAL CLEMENT

DER FEUERZYKLUS

Roman

Das Buch

Nils Kruger und seine Kameraden erkunden einen fremdartigen Planeten, als Nils plötzlich im Morast versinkt. Das Forscherteam gibt die Hoffnung, ihn lebend zu bergen, schnell auf und verlässt die skurrile Welt wieder. Doch Nils hat überlebt und kann sich aus dem Schlamm befreien. Er schlägt sich irgendwie durch und versucht, mit den harten, wechselhaften klimatischen Bedingungen fertig zu werden, die durch die komplizierte Umlaufbahn dieser Welt um ihre Sonne entstehen. Dann trifft er auf Dar Lang Ahn, einen Eingeborenen, der mit seinem Segelflugzeug abgestürzt ist. Aus der Not heraus entsteht eine Freundschaft, und Nils lernt nach und nach die ihm fremd erscheinende Lebensweise der Aliens kennen …

Der Autor

Titel der Originalausgabe

CYCLE OF FIRE

Aus dem Amerikanischen von Heinz Nagel

Überarbeitete Neuausgabe

Copyright © 1957 by Hal Clement

Copyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

1

Wenn man sich das Lavafeld ansah, musste man sich wundern, dass das Segelflugzeug sich noch in so gutem Zustand befand. Sein Leitwerk war intakt, der Rumpf wies nur ein paar Risse unten in der Verspannung auf, und selbst die schmalen Flügel schienen unbeschädigt. Wenn es im Umkreis von dreitausend Meilen ein Katapult gegeben hätte, wäre man versucht gewesen, mit der Maschine den Start zu wagen. Selbst Dar Lang Ahn würde sich vielleicht haben täuschen lassen, wenn er sich nur auf seine Augen verlassen hätte.

Aber er hatte nicht nur Augen, sondern auch ein Gehirn, das imstande war, Schlüsse zu ziehen. Er war der Unglückliche, der die Maschine geflogen hatte, und er hatte selbst den Aufprall verspürt, als der elastische Rahmen sein Bestes getan hatte, um den Sturz zu mildern. Und er hatte auch gehört, wie die beiden Flügelsparren splitterten. So dachte er gar nicht erst darüber nach, ob ein neuer Start möglich war, sondern nur an die Bücher.

Natürlich waren es nicht viele, denn Ree Pell Uns Vorsicht ließ es nicht zu, mehr als nur einen geringen Teil des Wissens der Stadt einer einzigen Flugmaschine anzuvertrauen. Aber immerhin war es seine Pflicht, sie unversehrt zu den Eiswällen zu bringen, und achthundert Jahre ist Zeit genug, um einen Sinn für Pflichterfüllung zu entwickeln. Und achthundert Jahre hatte Dar Lang Ahn gelebt.

Zum Glück waren die Bücher nicht schwer. Er machte sich entschlossen daran, ein Bündel zu schnüren, das gerade noch leicht genug war, um ihn nicht beim Gehen oder beim Gebrauch seiner Waffen zu behindern. Als er sich aufrichtete, trug er etwa die Hälfte seines eigenen Gewichts an Büchern, etwa ein Zehntel an Nahrungsmitteln, sowie die Armbrust und die Bolzen, die seit seiner Jugend seine unzertrennlichen Gefährten waren.

Der größte Teil seiner Lebensmittel blieb zurück, jedoch keins der wertvollen Bücher.

Er hatte sich während des Packens überlegt, welche Richtung er einschlagen sollte. Wenn er sein Ziel auf einem Großkreis erreichen wollte, so lagen gute zweitausend Meilen vor ihm, wovon knapp die Hälfte Ozean war. Seine Flugroute war viel länger gewesen, und zwar wegen der Inseln, die es ihm ermöglichten, in Abständen, die nie mehr als fünfzig Meilen betrugen, den Ozean zu überqueren. Er beschloss, an dieser Route festzuhalten, weil er sie bereits einige Male abgeflogen hatte und daher den Weg kannte. Natürlich würden die einzelnen Landmarken vom Boden aus anders aussehen, aber das sollte seinem fotografischen Gedächtnis keine zu großen Schwierigkeiten bereiten.

Allerdings marschierte er nicht sofort in dieser Richtung los, denn der Weg hätte ihn direkt über den Berg geführt, an dessen Flanke sein Flugzeug gescheitert war. Dar war zwar ein besserer Alpinist, als ein Erdenmensch je werden konnte, aber über dem Gipfel dieses Bergs hing ständig ein dünner gelber Rauchfaden, und die Lava unter seinen Füßen war wärmer, als sie es durch die Strahlung der Sonne allein hätte sein können. Während also sein eigentliches Ziel an der Meeresküste im Nordosten lag, marschierte er gegen Nordwesten, so dass die rote Sonne, die er Theer nannte, links von ihm und die kleinere blaue Arren direkt hinter ihm lag.

Es ist nicht leicht, ein Lavafeld zu Fuß zu überqueren, selbst wenn man keine schwere Traglast zu befördern hat. Bepackt wie Dar Lang Ahn es war, ist es eine Tortur. Seine Füße waren zäh genug, um den scharfen Felsspitzen Widerstand zu leisten, denen er nicht ausweichen konnte, aber einen glatten, ebenen Weg gab es überhaupt nicht. Immer wieder musste er die Schätzung revidieren, die die Dauer seiner Reise betraf, aber auf den Gedanken, er könne sie vielleicht überhaupt nicht bewältigen, kam er nie.

Zweimal machte er eine kurze Pause, nahm ein paar Bissen zu sich und krönte sein bescheidenes Mahl mit einem Schluck aus der Flasche. Zwischen dem Ort seines Absturzes und dem Rand des Lavafelds lagen nicht ganz fünfzig Meilen, aber wenn er unterwegs einschlafen sollte, würde er zweifellos verdursten. Auf dem Lavafeld gab es kein Wasser, und da es Sommer wurde, brauchte er Wasser ebenso dringend wie ein Mensch in der gleichen Situation.

Sein erstes Mahl nahm er an einer Stelle ein, die weit genug vom Berg entfernt war, um nach Norden abzubiegen, so dass die Sonne Theer unmittelbar hinter ihm lag. Arren hatte begonnen, die rote Sonne einzuholen, aber die Schatten waren immer noch zu kurz. Seine Augen waren zwar an die Beleuchtung durch zwei verschiedenfarbige Lichtquellen gewöhnt, aber die dicht beieinander liegenden Positionen beider Sonnen machten es etwas schwieriger, das Terrain auf mehr als ein paar Dutzend Meter richtig einzuschätzen, und so verpasste er häufig Möglichkeiten, den Weg abzukürzen.

Dennoch machte er Fortschritte. Als er sein zweites Mahl beendete, war der Vulkan hinter ihm am Horizont verschwunden, und ein paar Stunden später war er davon überzeugt, am anderen Horizont einen grünen Streifen gesehen zu haben. Natürlich konnte es sich dabei um eine Fata Morgana gehandelt haben, wenn Dar Lang Ahn auch solche Phänomene nicht kannte. Ebensogut konnte es sich um einen dichteren Bestand der stacheligen fleischigen fassförmigen Pflanzen handeln, die auch hie und da auf der Lava wuchsen, aber Dar Lang Ahn war überzeugt, dass es sich um richtigen Wald handelte – und das war für ihn gleichbedeutend mit dem Vorhandensein von Wasser. Und Wasser brauchte er dringend. Sein Gesicht verzog sich zu so etwas wie einem Grinsen, und dann genehmigte er sich den letzten langen Schluck aus seiner Flasche, rückte sich den Packen mit den Büchern auf den Schultern zurecht und ging auf den grünen Streifen am Horizont zu. Als er das nächste Mal durstig zu werden begann, sah er ein, dass er einen Fehler gemacht hatte.

Hätte er auf einem Weg, der auch nur entfernt einer Geraden ähnelte, gehen können, so wäre die Distanz bis zu dem Wald leicht zu Fuß zu bewältigen gewesen. Selbst bei den Umwegen, die er gezwungenermaßen auf dem Lavafeld machen musste, hätte er es schaffen können, ohne zu sehr unter Durst zu leiden. Aber er hatte nicht mit außergewöhnlichen Umwegen gerechnet, da er sich nicht daran erinnerte, aus der Luft irgendetwas gesehen zu haben, das von den üblichen Sprüngen und Kämmen auf dem Lavafeld abwich. Sein Gedächtnis trog ihn auch nicht, wie sich erweisen sollte, nur das Terrain.

Die Sonne Theer hatte ihren Weg gen Westen nahezu vollendet und stieg jetzt merklich, um sich auf ihre jährliche Annäherung an Arren vorzubereiten, als Dar Lang Ahn an die Bodenspalte kam. Es war eine Kluft, die sich gebildet haben musste, als die Lavamasse als Ganzes sich schon völlig verhärtet hatte, denn sie war viel zu tief und zu breit, als dass sie nur durch das Aufbrechen der dünnen Kruste hätte verursacht werden können.

Von oben hatte er die Kluft nie bemerkt, einfach weil sie nicht gerade verlief; sie schlängelte sich zwischen anderen auffälligeren Unregelmäßigkeiten der Gegend dahin, so dass er bereits mehr als eine Stunde an der Bodenspalte entlangmarschierte, ehe ihm klar wurde, worum es sich wirklich handelte.

Und das war, als die Kluft sich langsam wieder auf den Vulkan, der nun bereits weit hinter ihm lag, zuzubewegen begann.

Als er erkannte, was geschah, blieb Dar Lang Ahn sofort stehen und suchte den Schatten eines hochragenden Felsblocks auf, ehe er nachzudenken begann. Er verschwendete keine Zeit damit, sich Vorwürfe ob seiner Dummheit zu machen, obwohl er sich darüber im Klaren war, sondern konzentrierte sich auf das Problem, das vor ihm lag.

Die Wände der Schlucht waren nicht besteigbar. Normalerweise verhärtet sich Lava an einer Oberfläche, die rau genug ist, um es ihm und seinesgleichen zu ermöglichen, sich mit den Klauen an einer nahezu senkrecht aufragenden Felswand festzuhalten, aber hier handelte es sich um eine Spalte, die durch die ganze Schicht verlief. Zwar war der Felsen voll von Gasblasen, von denen viele beim Aufreißen geplatzt und groß genug waren, um ihm Halt zu bieten, aber solche aufgerissenen Blasen gab es nur in der Nähe der Oberfläche. Die gegenüberliegende Schluchtwand zeigte, dass in nur ein paar Meter Tiefe diese Blasen auf die Größe von Nadelspitzen zusammenschrumpften und dann praktisch verschwanden. Klettern kam also nicht in Frage.

Die Spalte war auch zu breit, als dass er sie hätte überspringen können – an einigen wenigen Stellen hätte er es möglicherweise ohne seine Traglast geschafft, doch daran, seine Bücher aufzugeben, dachte Dar Lang Ahn keinen Augenblick lang.

Er hatte kein Seil bei sich und trug auch nicht genug Schnüre an seinem Panzer, um daraus provisorisch eins zu knüpfen, das auch nur so lang gewesen wäre wie die Strecke, die er ohnehin springen konnte. Und auf dem Lavafeld wuchs nichts, aus dem man hätte ein Seil oder eine Brücke herstellen können. Die Pflanzen waren innen weich und zeigten keinerlei holziges Gewebe, und ihre Haut war nicht einmal zäh genug, um seinen Klauen Widerstand zu leisten.

Was ihn bei der Suche nach einer Lösung seines Dilemmas am meisten Zeit kostete, war natürlich sein fester Entschluss, sich nicht von seinen Büchern zu trennen. Er brauchte unglaublich lange dazu, auf die Idee zu kommen, dass er sich ja nicht auf ewige Zeiten von ihnen zu trennen brauchte; schließlich konnte er die Bücher über die Schlucht werfen und dann hinterherspringen.

Und damit waren beinahe alle Schwierigkeiten gelöst. Er erinnerte sich an einige Stellen, an denen die Schlucht bestimmt schmal genug war, um sie zu überspringen. Er brauchte nur eine Stelle zu finden, wo auf der anderen Seite einigermaßen flaches Terrain vorhanden war.

Schließlich fand er eine solche Stelle. Für den Augenblick dachte er gar nicht an die Stunden, die verstrichen waren; er ließ seine Last einfach zu Boden gleiten, überzeugte sich noch einmal, dass sie sorgfältig genug verschnürt war – er wollte nicht riskieren, dass die Bücher sich während des Fluges selbständig machten –, prüfte mit einem seiner kräftigen Arme das Gewicht und schleuderte sein Bündel nach Art eines Hammerwerfers über den Abgrund, indem er sich um seine eigene Achse drehte. Er hatte nicht den leisesten Zweifel daran, sein Ziel zu treffen; tatsächlich flog das Bündel sogar etwas weiter als Dar Lang Ahn gehofft hatte, und so fragte er sich einen bangen Augenblick lang, ob es nicht außerhalb seines Ziels den unebenen Boden erreichen und beschädigt würde. Schließlich landete es jedoch so, dass er es sehen konnte, es war offenbar unversehrt, worauf er beruhigt Anlauf nahm und hinübersprang.

Hätte er einen Bericht dieser Episode geben müssen, so hätte er bestimmt auch keine weiteren Einzelheiten berichtet. Die meisten Menschen würden sich schwergetan haben, nicht auf ihre Gefühle hinzuweisen, die sie dabei empfunden hätten, als sie auf die Felsspalte zurannten, wie sie alle ihnen zur Verfügung stehende Energie in diesen einen Sprung legten, wie sie in die atemberaubende Tiefe unter sich blickten und dann schmerzhaft auf die harte scharfe Lava auf der anderen Seite aufprallten. Ein Mensch hatte sogar eine ganze Menge darüber zu sagen, aber das war später. Dar Lang Ahn empfand all dies nur in dem Moment, als er seinen Sprung absolvierte, aber als er ihn hinter sich gebracht hatte, dachte er nur noch an die Bücher. Er ging weiter.

Die Sonne Theer stand merklich höher am Himmel, als er auf einen zweiten Abgrund zwischen sich und dem Wald stieß. Diesmal brauchte er nicht so lang, um das Hindernis zu überwinden, aber immerhin half es mit, seinen Weg zu verlängern. Als schließlich die rote Sonne hoch über dem Horizont stand und etwa doppelt so groß erschien als am Ort seines Absturzes, wurde er sich klar darüber, dass er während des Sommers auf dem Lavafeld würde bleiben müssen – und jetzt war nicht die Jahreszeit, einen Sommer ohne Wasser zu verbringen.

Sein Tod würde also früher als erwartet eintreten, und er würde wegen der Bücher etwas unternehmen müssen. Wahrscheinlich würden Suchflugzeuge ausgeschickt werden, wenn er nicht rechtzeitig heimkehrte, und er befand sich immer noch in Nähe der üblichen Flugroute zwischen Kwarr und den Eiswällen, dass man ihn auffinden konnte. Er musste nur etwas unternehmen, damit man ihn von der Luft aus sehen konnte. Er überlegte, zu seinem Segelflugzeug zurückzukehren, erkannte aber sofort, dass er die Reise nicht mehr bewältigen konnte – er würde bestimmt schon zu schwach sein, um noch einmal den Abgrund zu überspringen, wenn er ihn überhaupt erreichte. Freilich, wäre ihm klar gewesen, wie gering seine Chance war, das Lavafeld zu überqueren, hätte er die Bücher gleich im Flugzeug gelassen. Er war einfach gar nicht auf die Idee gekommen, er könne den Fußmarsch nicht schaffen. Jetzt musste er seinen Fehler korrigieren oder zumindest dafür sorgen, dass jemand anderer das konnte.

Er hatte natürlich auf der erstarrten Lava keine sichtbare Spur hinterlassen, die man verfolgen konnte. Also würde es den Suchern nicht viel nützen, wenn sie das Wrack seines Flugzeugs fanden. Sie würden natürlich die allgemeine Richtung wissen, die er eingeschlagen hatte, aber da sie den genauen Zeitpunkt des Absturzes nicht wussten, konnten sie unmöglich feststellen, wie weit er gekommen sein mochte. Sie würden ebensowenig wie er ahnen können, dass er möglicherweise nicht einmal den Rand des Lavafelds erreicht hatte; niemand kannte die Bodenverhältnisse in so großer Nähe des Vulkans genau.

Ihn selbst würde ein Beobachter aus der Luft nicht von den Felsen und Büschen unterscheiden können, und auch diese waren zu gleichmäßig gefärbt, als dass er daraus ein Zeichen hätte auslegen können. Und er trug nichts bei sich, woraus man hätte eine Signalflagge von vernünftiger Größe herstellen oder was man dazu benutzen konnte, um etwas auf die Felsen zu malen. Es blieben ihm also nur die Schnallen an seinem Harnisch.

Die waren glatt und aus poliertem Eisen; sie mochten als Spiegel dienen, obgleich sie recht klein waren. Aber eine andere Möglichkeit blieb ihm nicht. Es musste gehen. Er traf seinen Entschluss, während er immer weiter nach Norden trottete.

Die einzige Frage war jetzt, ob er seinen Weg nach Norden fortsetzen sollte, bis er nicht mehr weiter konnte, oder ob es zweckmäßiger war, jetzt haltzumachen und die Schnallen in eine Lage zu bringen, bei der Aussicht bestand, dass ein vorüberziehender Flieger sie sah. Er entschloss sich für die erste Alternative, da er dabei Aussicht hatte, einen Lavabrocken zu finden, an dem er die Spiegel vorteilhaft anbringen konnte. Dass dabei außerdem noch die Chance bestand, rechtzeitig Wasser zu finden, um sein eigenes Leben zu retten, überlegte er gar nicht; was ihn betraf, so war er so gut wie tot und hatte sich mit diesem Gedanken bereits abgefunden. Der einzige Vorteil, wenn er sofort Rast machte, war, dass er dann den Rest seines Lebens im Schatten verbringen konnte, was bequemer war, als in der Höllenglut der beiden Sonnen weiterzumarschieren. Wie nicht anders zu erwarten, beschloss er seinen Fußmarsch fortzusetzen. So quälte er seinen verdurstenden Körper weiter, während die rote Sonne am Himmel stieg und wuchs. Sie hatte sich jetzt nach Osten gewandt, aber Arrens ständiger Westkurs wies ihm weiterhin den Weg. Vielleicht waren Dars Kurskorrekturen etwas unsicher, vielleicht konnte man seinen Weg gegen Ende zu überhaupt nicht mehr als Kurs bezeichnen, denn je mehr Zeit verstrich und je heißer es wurde, desto intensiver beschäftigte ihn der quälende Durst. Ein menschliches Wesen wäre schon längst tot gewesen – tot und ausgedörrt. Aber Dar Lang Ahn hatte keine Schweißdrüsen, da sein Nervengewebe Temperaturen ertragen konnte, die beinahe so hoch wie der Siedepunkt von Wasser waren, und demzufolge verlor er auch die wertvolle Körperflüssigkeit wesentlich langsamer, als ein Mensch sie verloren hätte. Aber mit jedem Atemzug verlor er eine Kleinigkeit, und das Atmen wurde immer schmerzhafter. Er war nicht mehr sicher, ob das Flimmern der Landschaft vor ihm der Hitze oder seinen Augen zuzuschreiben war; hin und wieder musste er beide Augen auf den gleichen Gegenstand richten, um auch sicher zu sein, dass er ihn genau ausmachte. Kleine Felszacken schienen für kurze Augenblicke die Umrisse von Lebewesen anzunehmen, und einmal ertappte er sich dabei, wie er seinen Pfad verließ, um sich einen Lavabrocken näher anzusehen. Er brauchte einige Sekunden dazu, um sich selbst zu überzeugen, dass sich unmöglich etwas dahinter versteckt haben konnte. Hier lebte nichts; hier konnte sich nichts bewegen. Die Geräusche, die an seine Ohren drangen, waren nur das Knacken von Lavaschichten, die vom Licht der Sonne erwärmt wurden und sich ausdehnten. Schließlich hörte er das nicht zum ersten Mal.

Immerhin war das eben eine Bewegung gewesen, die sehr überzeugend gewirkt hatte. Vielleicht sollte er doch umkehren und nachsehen …

Umkehren. Das war das Einzige, was er nicht tun durfte. Von all den Möglichkeiten, die er hatte, war diese wahrscheinlich völlig nutzlos. Wenn die Illusionen ihn schon so beherrschten, dass solche Versuchungen ihn narren konnten, dann musste er dem Ende näher sein, als er angenommen hatte. Es war Zeit, sich niederzulassen und seine Spiegel aufzubauen, solange er noch Kontrolle über seine Muskeln hatte.

Er verschwendete keine Zeit mit Bedauern, sondern blieb stehen und sah sich aufmerksam um. Ein paar Meter vor ihm war ein Brocken erkalteter Lava herausgebrochen und vom Druck des flüssigen Gesteins darunter senkrecht aufgerichtet worden. Seine obere Kante ragte gut drei Meter über die ihn umgebenden Bodenunebenheiten auf. Das war mehr als das Doppelte von Dar Lang Ahns Körpergröße, aber er würde es schon schaffen, seine Schnallen oben auf dem Brocken zu befestigen.

Er legte sein Bücherbündel ab und befestigte es so, dass der Regen es nicht treffen konnte, denn es würde wahrscheinlich auch hier regnen, wenn der Sommer vorüber war. Die Bücher durften unter keinen Umständen feucht oder gar weggeschwemmt werden. Dann zog er die Riemen seines Lederpanzers fester und begann den Lavabrocken zu erklimmen.

Er ordnete die beiden Schnallen so an, dass ein Beobachter aus der Luft sie sehen konnte, wenn er zufällig gerade in die Richtung blickte. Letztlich hing alles vom Licht Arrens ab, da die rote Sonne vor und nach dem Sommer nur kurze Zeit über dem Horizont sein würde, aber es war das Beste, was Dar Lang Ahn unter den vorliegenden Umständen tun konnte.

Unten angekommen, setzte er sich auf den Boden, benutzte das Bücherbündel als Kopfstütze und faltete die Arme über der Brust. Sein im Laufe von Jahrhunderten anerzogenes Pflichtgefühl war zwar nicht völlig befriedigt, aber er wusste, dass er jetzt am Ende seiner Möglichkeiten angelangt war.

Die Gedanken, die ihm nun durch den Kopf gingen, lassen sich nicht in menschliche Worte fassen. Zweifellos bedauerte er, dass er früher sterben musste als seine Freunde, und wahrscheinlich machte er sich auch Gedanken darüber, wie weit er noch zu gehen gehabt hätte, um Wasser zu finden. Aber Dar Lang Ahn war kein Mensch, und die Bilder in seinem Gehirn ließen sich einem Menschen der Erde nicht verständlich machen.

Selbst Nils Kruger, ein anpassungsfähiger junger Mann, der Dar Lang Ahn später so gut kennenlernte wie kaum ein anderer, konnte nur ahnen, was in Dar Lang Ahn zwischen dem Augenblick, da er sich niederließ, um zu sterben, und dem Augenblick, in dem Kruger ihn einholte, vorging.

Dar hörte nicht, wie Nils sich näherte, so scharf sein Gehör sonst auch sein mochte. Er war aber auch nicht bewusstlos, denn der Geruch von Wasser ließ ihn nicht nur sofort die Augen aufreißen, sondern sogar mit einem Satz auf die Beine kommen. Einen Augenblick lang suchten seine Augen erregt die nächste Umgebung ab, dann hefteten sie sich auf die Gestalt, die in zehn Meter Entfernung gerade über einen niedrigen Felsen kletterte.

Dar Lang Ahn hatte bisher nie seinen Augen misstraut, aber so etwas hatte er noch nie gesehen. Dieses Wesen hatte zwar mehr oder weniger die richtige Form, aber mit der Größe stimmte etwas nicht.

Das Wesen überragte ihn um gute dreißig Zentimeter. Das konnte einfach nicht stimmen. Die sonstigen Unstimmigkeiten waren geringfügig – Augen, die vorn im Gesicht saßen, ein schnabelartiger Vorsprung über dem Mund und rosa Hautfarbe anstelle von purpurnem Schwarz –, aber diese Größe passte zu nichts, was Dar in seinem Gedächtnis finden konnte. Angehörige seiner Rasse waren – abgesehen von Unfallopfern, die von vorn hatten anfangen müssen – jetzt einen Meter fünfunddreißig groß; Lehrer etwas unter zwei Meter vierzig. Und zwischen diesen beiden Grenzen gab es nichts, das auf zwei Beinen gehen konnte.

Aber dann verdrängte etwas anderes jeden Gedanken an Größe. Der Geruch von Wasser, der ihn aus seiner Starre gerissen hatte, ging von diesem Wesen aus; es musste geradezu mit Wasser getränkt sein. Dar Lang Ahn versuchte, auf den Fremden zuzugehen, als ihn diese Erkenntnis erfasste, aber nach dem ersten Schritt blieb er stehen. Er war zu schwach. Er tastete nach hinten, versuchte sich an dem Felsbrocken zu stützen, in dessen Schatten er gelegen hatte. Mit dieser Stütze blieb er aufrecht stehen, während das unglaubliche Ding sich näherte, und dann – der Geruch von Wasser brannte ihm in der Nase – sank ein schwarzer Vorhang über seine Augen. Er fühlte noch, wie seine Knie nachgaben, aber den Sturz auf den harten Lavaboden spürte er nicht mehr.

2

Der Geschmack von Wasser weckte ihn aus seiner Ohnmacht, so wie ihn vorher der Geruch davon hatte aufspringen lassen. Lange Augenblicke ließ er die Flüssigkeit in seinen Mund träufeln, ohne die Augen zu öffnen und ohne dass ihm irgendetwas Besonderes an dem Geschmack aufgefallen wäre. Er spürte, wie die Flüssigkeit ihm seine Kräfte zurückbrachte, und genoss diese Empfindung, ohne auch nur den Versuch zu machen, darüber nachzudenken.

Das würde natürlich nicht anhalten, wenn er die Augen öffnete, aber er tat es schließlich doch. Und was er sah, ließ ihn im Bruchteil einer Sekunde völlig wach werden.

Es war nicht so sehr das menschliche Gesicht, das er so nahe vor sich sah und dessen Aussehen ihn schreckte; dieses Gesicht war seinem Gedächtnis bereits eingegraben worden, ehe er zusammenbrach, und überraschte ihn jetzt auch nicht. Er brauchte nur ein paar Sekunden, um zu sehen, dass dieses Wesen kein Mensch in dem Sinne war, was er unter dem Wort verstand, aber offenbar war der Fremde nicht unfreundlich, denn er flößte ihm Wasser ein und verlieh ihm dadurch neue Stärke.

Dar Lang Ahn staunte im Augenblick nicht über Krugers Anwesenheit oder Aussehen, sondern vielmehr über die Herkunft des Wassers. Das fremde Wesen drückte über Dars Mund eine der Wüstenkakteen aus, die Dar in Massen auf seinem Weg gesehen hatte. Und so kam jenes erste Missverständnis zustande, das später die Freundschaft zwischen den beiden erschweren sollte.

Dar Lang Ahn hatte sofort daraus geschlossen, dass der Fremde ein Bewohner der vulkanischen Region sein musste, da er so erstaunliche Kenntnisse über ihre Pflanzenwelt besaß. Und so betrachtete er den Jungen natürlich mit einer gewissen Vorsicht. Kruger hatte seinerseits den Eingeborenen seit dem Absturz des Segelflugzeugs verfolgt und sich darüber gewundert, dass der Kleine offenbar unter Durst zu leiden schien, obwohl er die wasserspendenden Kakteen in Reichweite hatte.