In der Stickstoff-Klemme - Hal Clement - E-Book

In der Stickstoff-Klemme E-Book

Hal Clement

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Beschreibung

Leben ohne Sauerstoff

In zweitausend Jahren sieht das Leben auf unserem Planeten ganz anders aus: der Sauerstoff in der Atmosphäre hat sich mit dem Stickstoff verbunden, sodass sie hauptsächlich aus Stickstoffoxid besteht, das Spuren von Wasser und Kohlendioxid enthält. Die Meere bestehen nur noch aus Säure. Manche Lebewesen haben sich an die neuen Verhältnisse angepasst. Andere, wie die Menschen, können in dieser Umgebung nicht mehr ungeschützt überleben. Doch für einige Besucher aus dem All sind diese Verhältnisse geradezu paradiesisch …

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Seitenzahl: 325

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HAL CLEMENT

IN DER

STICKSTOFF-KLEMME

Roman

Das Buch

In zweitausend Jahren sieht das Leben auf unserem Planeten ganz anders aus: Der Sauerstoff in der Atmosphäre hat sich mit dem Stickstoff verbunden, sodass sie hauptsächlich aus Stickstoffoxid besteht, das Spuren von Wasser und Kohlendioxid enthält. Die Meere bestehen nur noch aus Säure. Manche Lebewesen haben sich an die neuen Verhältnisse angepasst. Andere, wie die Menschen, können in dieser Umgebung nicht mehr ungeschützt überleben. Doch für einige Besucher aus dem All sind diese Verhältnisse geradezu paradiesisch …

Der Autor

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Titel der Originalausgabe

THE NITROGEN FIX

Aus dem Amerikanischen von Stefan Sturm

Überarbeitete Neuausgabe

© Copyright 1980 by Hal Clement

Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Covergestaltung: Das Illustrat, München

I

Lieferung: Verzögert

Der goldbraune Himmel verlor seine Gleichförmigkeit, im Westen zogen dunkle Wolkenfetzen auf. Noch regte sich kein Wind, nur das Wasser war etwas unruhig, doch Kahvi und Earrin fühlten sich unbehaglich, denn es trennte sie noch ein Kilometer von der Küste. Milton Island lag zwar näher, doch die südliche Bucht würde ihnen nur wenig Schutz bieten können, wenn wirklich Wind aufkam. Die Flöße waren aus Newellgewebe und würden trotz der schweren Ladung nicht untergehen, aber die in wochenlanger Arbeit gesammelte Fracht konnten sie dennoch verlieren. Erst zwischen der Küste und den Sayre-Inseln würden sie in Sicherheit sein.

»Du hast recht behalten, Kahvi. Wenn wir bei unserer Suche dem Verlauf der Küste konsequenter gefolgt wären, hätten wir ein, zwei Tage früher zurückkehren können.« Einige Worte sprach Earrin laut aus, doch da die Atemmaske die Laute dämpfte, ersetzten Gesten einen Teil der Worte.

Seine Frau antwortete mit einem kurzen, stummen Nicken, ohne die Augen länger von der Küste abzuwenden, als notwendig war, um seine Gesten mitzubekommen. Es erfüllte sie nicht mit besonderer Befriedigung, recht gehabt zu haben; schließlich hatte sie ihm zugestimmt und die kürzere Route akzeptiert. Die Fahrt war in jedem Fall gefährlich, aber sie hatten es vermeiden wollen, außerhalb der Reichweite ihrer Sauerstoffdepots zu arbeiten.

Diesmal hatten sie mehr Flöße als gewöhnlich zusammen und deshalb einige Probleme mit dem Manövrieren. Die Hillers verlangten den größtmöglichen Vorrat an Metall und Glas, soviel, wie man in zwei Monaten herbeischaffen konnte. Sie hatten nicht mehr Kupfer als sonst aus dem Meer gewinnen können, aber Bones hatte im Hafengebiet so viel Glas gefunden, dass sie damit nicht nur die normalerweise für Fracht bestimmten Plattformen, sondern noch ein Dutzend Quadratmeter zusätzliche Fläche beladen hatten. Die neuen, nur provisorisch befestigten Flöße waren ihre größte Sorge.

Selbst in seichtem Wasser war der Verband von Flößen schwer zu handhaben. Earrin und Kahvi hatten mehrmals versucht, zu segeln, aber sie verstanden beide nicht genug davon. Außerdem waren sie dabei zu sehr vom Wind abhängig. Sie benutzten Ruder, und im tieferen Wasser half ihnen Bones.

Im Augenblick ruhten sich die beiden Männer aus, die Ruder trieben seitwärts im Wasser. Nur der Beobachter arbeitete weiter; die Schlepptaue waren gespannt, das Floß bewegte sich langsam nach Westen. Wenn sich das Wetter noch eine Stunde hielt, war die Fracht in Sicherheit, wenn nicht – nun Bones konnte sie zwar wieder bergen, aber hier, direkt unter den Augen der Hillers, wäre das unklug gewesen. Die Gruppe, die die Fracht bestellt hatte, schien keine Sympathien für die Eingeborenen zu hegen. Während der Verhandlungen war ein paar Mal die Rede von »Invasoren« gewesen, aber weder Kahvi noch Earrin waren auf derartige Bemerkungen eingegangen.

Es war sinnlos, sich jetzt darüber Gedanken zu machen; wichtiger war es, so schnell wie möglich die Küste und das Gefängnis zu erreichen. Earrin nahm sein Ruder wieder auf, und Kahvi folgte seinem Beispiel. Das Kind war noch zu klein, um hierbei zu helfen.

Wenigstens hatten sie keinen Gegenwind. Das schaumstoffartige Gewebe schwamm hoch auf dem Wasser, deshalb wurde die Konstruktion mehr vom Wind als von der Strömung beeinflusst. Sie kamen problemlos voran.

Regelmäßig sahen sich die Ruderer um und beobachteten die stickstoffgefärbten Wolken, die langsam näher kamen. Allmählich wurde die Sicht der Küste klarer, der Dunst lichtete sich. Im Süden waren die Blue Hills noch erkennbar, ein gutes Zeichen. Stürme kündigten sich meistens durch Wolken an, die in Bodennähe aufzogen. Deshalb blieb Kahvi zuversichtlich; Earrin dagegen erinnerte sich an zu viele Ausnahmen von dieser Regel, um beruhigt zu sein.

Bones, der fünfzig Meter voraus unter der Wasseroberfläche schwamm, verschwendete keinen Gedanken an das Wetter. Dasselbe galt für die dritte Person auf dem Floß. Leise mit ihren Puppen spielend, saß sie im Zelt und sah hin und wieder auf, um nichts Interessantes zu verpassen. Das transparente Sauerstoffzelt bot ihr klare Sicht, versperrte aber den Erwachsenen den Blick aufeinander, weil es genau zwischen ihnen stand.

Danna konnte sich nicht erinnern, jemals so weit von der Küste entfernt gewesen zu sein, aber da sie schon viel stärkeren Seegang erlebt hatte, war sie nicht im geringsten ängstlich. Solange sie keine Atemmaske aufsetzen musste, nahm sie an, dass auf dem Floß alles in Ordnung war – und selbst, wenn, hätte sie es wahrscheinlich für eine Übung gehalten. Die für die Nomaden lebenswichtigen Verhaltensweisen waren ihr längst in Fleisch und Blut übergegangen. Sie hatte gelernt, die Blasen im Zeltstoff zu kontrollieren, in denen Sparreis synthetisches Leben Sauerstoff produzierte. Sie war inzwischen auch aufmerksam genug, um von sich aus ihre Eltern zu warnen, wenn ein Anstieg des Innendruckes im Zelt darauf hinwies, dass die Sauerstoffpatronen übersättigt waren. Die gefährliche Aufgabe, den überschüssigen Sauerstoff abzulassen, durfte sie allerdings noch nicht übernehmen. Und sie war natürlich nicht kräftig genug, die Stickstoffbehälter, mit denen der Luftkreislauf im Zelt wiederhergestellt wurde, unter das Floß zu bringen.

Jedenfalls erkannte sie Rauch, wenn sie ihn sah, und sie war als erste darauf aufmerksam geworden. Das Floß war noch dreihundert Meter von der Küste entfernt, als sie nach ihren Eltern rief.

»Mutter, Vater! Hinter dem Hügel steigt Rauch auf! Das muss ein Feuer sein!«

Ihre Eltern sprangen auf und zogen automatisch die Ruder an Deck. Obwohl sie die ganze Zeit über ihr Ziel beobachtet hatten, waren ihnen die dunklen Wolken nicht aufgefallen. Auf diese Entfernung konnten sie kaum etwas erkennen; die Sichtscheiben ihrer Masken bestanden aus Fensterglasresten, und sie hatten sowieso nicht mehr allzu gute Augen. Obwohl das Kind ihnen die Stelle zeigte, waren sie unsicher; es konnten ebenso gut Regenwolken sein, die allgegenwärtigen Stickstoffoxide gaben ihnen die gleiche Färbung wie dem Rauch.

»Sie hat recht«, sagte Kahvi schließlich. »Hinter dem Hang ist ein Feuer. Was mögen die Hillers da nur anstellen?«

»Weiß nicht.« Earrin war sich noch nicht sicher. »Mal sehen, was Bones dazu sagt. Er hat schärfere Augen.«

Der Mann ging zu den vorderen Plattformen und zog zweimal an den Schlepptauen. Beide erschlafften sofort, und einen Moment später tauchte der Beobachter an der Oberfläche auf. Kahvi machte das Zeichen für »komm her«, und das Kind machte es ihr nach, obwohl Bones die Kleine kaum innerhalb des Zeltes sehen konnte. Die Kreatur sprang wie ein Delfin auf das Floß zu, und der letzte Sprung beförderte die groteske Gestalt an Deck. Einen Moment lag das Wesen da wie ein gestrandeter Fisch; dann ringelte sich der schlanke Körper aufwärts, bis er aufrecht stand und die Menschen weit überragte.

Seine hundertzwanzig Kilogramm ließen das Floß bedenklich schwanken, doch die vier unteren Gliedmaßen hielten trotz ihrer scheinbaren Zerbrechlichkeit und Schwäche das Gleichgewicht. Zwei von ihnen waren als Seitenflossen ausgebildet, die seinen eigenartigen, an Delfine erinnernden Schwimmstil prägten; die anderen beiden wuchsen einen halben Meter höher aus dem Rumpf, auf sie stürzte er sich, um die Balance halten zu können. Von weitem sah Bones absurderweise wie ein auf dem Schwanz stehender Fisch aus, wenn man die Tentakel nicht beachtete, zumindest für jemanden, der wusste, wie ein Fisch aussah. Kahvi und Earrin hatten natürlich niemals einen gesehen; ihre Art war die einzige größere Rasse, die auf der Erde überlebt hatte.

Die oberen Tentakel signalisierten eine Frage, und Kahvi gab Antwort.

»Wir halten das für ein Feuer«, erklärte Earrin in der üblichen Mischung aus Sprache und Gesten. »Du hast schärfere Augen als wir. Kannst du den Rauch erkennen?«

»Ja«, bestätigte ein Tentakel.

»Weißt du noch, was auf der anderen Seite wächst, und ob es explosiv ist? Sollen wir weiterfahren oder besser umkehren?«

»Nichts Explosives, soweit ich mich erinnere«, signalisierte der Beobachter, »aber es ist Wochen her, dass wir uns dort umgesehen haben. Inzwischen können neue Dinge entstanden sein.«

»Hältst du das denn für möglich? Die Hillers würden doch jede Pflanze zerstören, die nicht seit mindestens hundert Jahren in dieser Gegend wächst.«

»Wenn sie sie rechtzeitig entdecken«, erklärte Earrin. »Aber wir haben noch keine Antwort auf unsere Frage: Können wir es riskieren, näher heranzufahren, oder sollen wir warten, bis es ausgebrannt ist?«

»Ich glaube nicht, dass es gefährlich werden kann«, antworteten Bones' Tentakel; er besaß weder eine Stimme noch Atemorgane. »Floß und Zelt brennen nicht so leicht. Und auf dieser Seite des Hügels gibt es keine gefährlichen Pflanzen, von ein paar Sprengern mal abgesehen.«

»Bist du dir sicher?«, fragte Kahvi. »Der Boden scheint mir eine Schattierung heller zu sein als das letzte Mal. Kann das nicht Überwuchs sein? Oder hast du das letztes Mal auch schon bemerkt?«

»Nein. Du hast recht. Der gesamte Boden scheint überwachsen zu sein. Unter diesen Umständen kann ich nicht für die Sicherheit des Floßes garantieren.«

»Und noch viel weniger für das Depot«, ergänzte Earrin. »Wenn es Feuer fängt, werden wir verdammt weit laufen müssen, um ein anderes Depot zu erreichen. Wir müssen versuchen, vor dem Feuer dort zu sein, und die Pflanzen in der Umgebung, die gefährlich werden könnten, entfernen.«

»Am Depot lässt sich kein Mensch blicken«, kommentierte Bones. »Entweder ist es verlassen, oder alle sind auf der anderen Seite, um das Feuer zu bekämpfen. Vielleicht haben sie den Rauch auch noch nicht entdeckt und sind im Gebäude. Ich muss dir zustimmen; wir sollten uns um das Depot kümmern, auch wenn das Floß dabei gefährdet wird. Wenn das Dach beschädigt wird, ist das Depot unbrauchbar.«

Ohne eine weitere Geste sprang die schlanke Gestalt wieder ins Wasser, und kurz darauf strafften sich die Taue wieder.

Danna blickte ihre Eltern erwartungsvoll an. Sie hatte die Diskussion mitverfolgt, aber die letzten Sätze offenbar nicht verstanden. Sie hob ihre Atemmaske und machte eine fragende Geste. Die Eltern sahen sich kurz an und nickten; Dannas glückliches Grinsen verschwand unter der Maske.

Kahvi und ihr Mann nahmen die Ruder wieder auf, aber beide achteten mehr auf das Kind als auf ihr Ziel. Danna war sorgfältig aufgezogen worden, doch sie hätten ihr ebenso wenig wie sich selbst erlaubt, ohne Kontrolle die Außenausrüstung anzulegen.

Die Kleine zog erst säurefeste Shorts, Halfter und die Maske an. Die Sauerstoff- und Filterpatronen hängte sie sich um die mageren Schultern, stand auf und drehte sich langsam, um sich inspizieren zu lassen. Erst als beide Erwachsenen ihr Einverständnis gaben, ging sie zu dem Loch, das den Eingang des Zeltes darstellte, und glitt ins Wasser.

Beide Eltern zählten unhörbar, aber lange bevor die zwölf Sekunden vorbei waren, die ein Eingreifen gerechtfertigt hätten, zeigte sich der Kopf der Fünfjährigen in der anderen Öffnung im Deck. Sie glitt nicht weniger elegant als Bones aus dem Wasser; sie hatte das Schwimmen früher als das Laufen gelernt.

»Was hat Bones gesagt?« Sie war kaum aus dem Wasser, als sie auch schon zu plappern begann. Ihre Stimme durchdrang die Maske deutlicher als die ihrer Eltern, sie benutzte mehr Worte und weniger Gesten. »Das muss ja ein riesiges Feuer sein. Warum fahren wir denn weiter? Darf ich auch rudern?«

»Bones kann zwar nicht erkennen, was brennt, aber es ist wirklich ein großes Feuer«, gab ihre Mutter zurück. »Es kann gefährlich werden, aber wir müssen näher heran, um das Depot zu beschützen – das Haus mit dem Sauerstoff – für den Fall, dass es Feuer fängt. Du wirst uns beim Rudern eine große Hilfe sein, aber wenn wir an Land gehen, musst du zurückbleiben. Einer muss auf das Floß und das Zelt aufpassen. Wenn Funken – das sind kleine Feuerstücke – darauf fallen, schüttest du Wasser darüber. Wenn keine kommen, machst du das Zelt trotzdem nass, dann kann das Feuer es nicht verletzen. Alles klar?«

»Klar.« Danna nahm ihr kleines Ruder auf und begann eifrig zu arbeiten. Es war zweifelhaft, ob Bones überhaupt etwas davon spürte, aber sie wollte sich unbedingt nützlich machen.

Es war noch immer windstill, erst als sie die Küste fast erreicht hatten, begann Rauch auf sie zuzutreiben. Danna sah sich ängstlich um, aber da die Erwachsenen keine Unruhe zeigten, versuchte sie die aufsteigende Panik zu unterdrücken. Die eindringlichen Warnungen vor den Gefahren des Feuers waren ihr im Gedächtnis haften geblieben.

Fünfzig Meter vor der Küste erschien Bones' Gestalt. Er stand offenbar auf Grund. Die Schlepptaue waren noch gespannt, aber die Menschen verstanden den Wink und legten die Ruder beiseite. Das Floß konnte nicht an Land gebracht werden, weil sie Platz darunter brauchten, um das Zelt betreten zu können. Bones brauchte selbst keine Luft, aber er war lange genug mit ihnen zusammen, um ihre Bedürfnisse zu kennen. Eines seiner riesigen Augen richtete sich auf das Floß, das andere beobachtete den Rauch, der, jetzt viel dicker, weiter unaufhörlich oberhalb des kleinen Kammes hervorquoll, der etwas zweihundert Meter von der Küste entfernt lag.

Es hatte bisher keine Explosion gegeben, was aber wenig zu sagen hatte. Viele Pflanzen enthielten sowohl Nitrate als auch reduzierendes Material in unbestimmbaren Mengen. Es war nicht vorhersehbar, ob und wie stark sie brennen würden; das Stickstoffleben mutierte so schnell und wuchs so rapide, dass selbst scheinbar vertraute Formen immer wieder Überraschungen bereithielten, Pseudoleben war weniger gefährlich, schien aber hier in der Gegend kaum zu gedeihen.

»Auf dieser Seite brennt noch nichts«, sagte Danna nach eingehender Betrachtung des Geländes. »Ob sich das Feuer wohl wirklich über den Hügel ausbreitet?«

»Das wissen wir nicht, aber wir müssen Vorsorge dafür treffen«, antwortete ihr Vater. »Deine Mutter, Bones und ich werden an Land gehen, sobald das Floß verankert ist. Du weißt, was du zu tun hast.« Das Kind nickte und versuchte, eine entschlossene Miene aufzusetzen.

Bones hatte das Floß über die richtige Tiefe geschleppt, jetzt gestikulierte er, dass die Anker gesetzt werden sollten. Die Erwachsenen gingen nach hinten und versenkten die mit Steinen gefüllten Stoffsäcke im Wasser. Danna versuchte den Buganker über Bord zu schaffen, aber die hundert Kilogramm Gewicht waren zuviel für sie. Bones watete zum Floß zurück und hievte den Anker hinunter; das Kind sprang hinterher und schwamm an seiner Seite, während er den Anker auf die Küste zutrug und ein paar Meter weiter in den schlammigen Boden setzte. Dann sprang er auf das Floß und setzte der Reihe nach die anderen Anker, wobei ihm die Erwachsenen halfen. Danna blieb die ganze Zeit über im Wasser und versuchte, auch zu helfen; als sie fertig waren, ringelte sich ein grünblauer Tentakel um ihre Hüfte und hob sie, wobei sie vergnügt lachte, zu ihren Eltern an Deck. Sie stimmten kurz in ihr Lachen ein, dann ergriffen sie die Werkzeuge, die neben dem Zelt aufgestellt waren.

»Sorge, dafür, dass das Zelt nicht zu trocken wird«, wiederholte ihre Mutter. »Wir können dich von drüben sehen, hab' keine Angst.« Kahvi sprang vom Floß; sie trug ein Gerät aus Holz und Glas, das wie eine Hacke aussah. Ihr Mann folgte ihr mit einer langen Stange, an deren Ende ein Schwamm befestigt war. Bones war vorausgeschwommen und hatte die halbe Strecke schon hinter sich. Normalerweise hätten ihn die anderen weder an Land noch im Wasser einholen können, aber in dem kaum brusthohen Wasser konnte er nicht schwimmen, und seine Tentakel hatten zuwenig Bewegungsfreiheit. Sie schlossen schnell auf, und kurz vor der Küste hatten sie ihn erreicht.

Der Strand war mit glitschigen Stickstoffpflanzen bedeckt, die zu nass waren, um Feuer fangen zu können (hofften sie), aber beim Laufen ziemlich hinderlich waren. Alle größeren Pflanzen in Sichtweite waren zwar brennbar, aber zumindest nicht explosiv, bis auf ein paar vereinzelte Sprenger.

Sie hatten gerade den Fuß der kleinen Halbinsel erreicht und waren noch etwa vierzig Meter vom Depot entfernt, als die Erde bebte. Eine Fontäne rotglühender Pflanzenteile erhob sich auf der anderen Seite des Kammes, zerstäubte langsam und sank wieder zusammen. Einige glühende Bruchstücke landeten in der Nähe der kleinen Gruppe und vor dem Gebäude, und jeglicher Zweifel über die Natur der Büsche wurde zunichte gemacht, als ein Dutzend von ihnen, auf die Glut niedergegangen war, zu qualmen begann. Es gab keine Flammen, da kein freier Sauerstoff vorhanden war; die Pflanzen brannten nur aufgrund ihres Nitratgehaltes.

Die beiden Menschen blieben stehen und sahen sich an, nur Bones lief weiter auf das Gebäude zu. Sie folgten ihm, wobei sie versuchten, Feuer, Gefängnis und Floß gleichzeitig im Auge zu behalten. Dabei hielten sie sich so weit wie möglich von den Büschen am Wegesrand fern.

II

Kühlung: Sorgfältig

Die Mauern des Gebäudes waren aus unbehauenem Stein, scheinbar ohne Mörtel gefügt. Der Zement, den die Hillers benutzten, war nur von innen aufgetragen, weil er ebenso schnell Feuer fing wie herkömmlicher Zeltstoff. Von außen waren die Mauern aber sicher. Das Dach dagegen war ein Problem. Damit an die Pflanzen im Inneren Sonnenlicht gelangte, war es durchsichtig, aus demselben Gewebe, wie es die Fyns für ihr Zelt auf dem Floß verwendet hatten; zwar nicht explosiv, doch wenn es trocken war, brannte es wie Zunder.

Der Schrei schien eine Bestätigung dafür zu sein, dass sich daran nichts geändert hatte, was für den Bereich Boston und Umgebung keine Überraschung war.

Earrin stürmte zum Gebäude; Bones' Gesten waren überflüssig, die Situation war eindeutig, obwohl nur der Beobachter groß genug war, um das Dach überblicken zu können. Der Mann kletterte auf das Dach, nachdem er seinen Schwamm in das Wasserbecken getaucht hatte.

Drei Löcher waren auf dem Dach zu sehen, die langsam größer wurden. Von ihren Rändern stieg Rauch auf. Earrin schob sich so nah wie möglich an das erste heran, nahm dann die Stange und presste den Schwamm gegen den Rand. Es war verführerisch, zu schnell zu arbeiten, aber nitratgespeiste Feuer konnten nicht erstickt werden, sie mussten gekühlt werden. Earrin hatte zuviel Erfahrung, um sich zu überhastetem Handeln hinreißen zu lassen.

Die Person im Depot besaß diese Erfahrung offenbar nicht. Inzwischen schien er sich gefasst zu haben und rieb mit einem Schwamm an einem zweiten Loch – doch er ging viel zu schnell vor; wenn er an einer Stelle fertig war und woanders weitermachte, flammte das erste Stück wieder auf.

»Langsamer!« Earrin schrie, so laut er konnte. »So geht es nicht aus!«

Eine männliche Stimme antwortete ihm. »Und was ist mit den anderen Löchern? Wenn ich mich nicht beeile, werden sie zu groß!«

Von dieser Logik war Earrin etwas verblüfft, aber er antwortete sofort. »Wir kümmern uns um die anderen. Bleib an diesem, und arbeite langsamer.« Der Gebrauch der Mehrzahl war etwas gewagt, erkannte Earrin plötzlich, denn weder Kahvi noch Bones hatten Schwämme mit. Der andere ging jetzt sorgfältiger zu Werke. Earrin war mit dem ersten Loch fertig, er kroch zum letzten. In diesem Augenblick erklang eine zweite Explosion, aber er achtete nicht darauf. Kahvi würde ihn schon rechtzeitig warnen. Er wünschte, sie hätten mehr Schwämme mitgenommen; aber sie hatten nicht ahnen können, was sie erwartete. Wenn sie früher dagewesen wären, hätten sie Feuergräben um das Haus herum ziehen müssen. Etwas fiel ihm noch ein, und er rief: »Kahvi! Im Haus müssen noch Schwämme sein. Seht dort nach, bevor ihr etwas vom Floß holen geht!«

»Gut«, erwiderte seine Frau. »Der letzte Ausbruch war schwächer, es ist nichts mehr herübergekommen. Wenn ich ins Haus gehe, achte auf das Floß. Danna wird noch nicht mit allem allein fertig.«

»Verstanden.«

Earrin hatte das Loch erreicht. Es hatte Zeit gehabt, sich auszubreiten, und wies inzwischen mehr als zwanzig Zentimeter Durchmesser auf. Wahrscheinlich war der Schwamm zu klein dafür, aber er musste es versuchen.

Der blasenwerfende Rand zischte laut auf, als der Schwamm seine Hitze aufsog. Earrin wagte nicht, schneller vorzugehen. Der Schwamm war nur halb so groß wie das Loch – flüchtig dachte er daran, dass man einfach keine größeren Schwämme finden konnte.

Auch die Schwämme waren aus Pseudoleben entstanden, doch der Zweck, für den sie einst geschaffen worden waren, war längst in Vergessenheit geraten. Wenigstens konnten sie Wasser in reichlichen Mengen binden.

Es hatte keinen Zweck, das Loch war zu groß.

Er machte trotzdem weiter, rief aber:

»Bones! Mit dem Messer!«

Das Loch war etwa einen Meter von der Mauer entfernt, und Bones war groß genug, um es vom Boden aus zu erreichen. Seine Tentakel fischten das Messer aus Earrins Beutel. Die Glasklinge sah weniger wie ein Messer als die Hälfte einer Schere aus, doch der Stoff gab unter ihr leicht nach. Bones begann an der Seite, die nicht mehr glühte, schlitzte ein Stück heraus und schnitt dann im Uhrzeigersinn. Ein Streifen des abgetrennten Gewebes hing in den Raum hinein und flammte in der sauerstoffreichen Luft sofort auf. Bones arbeitete schneller und trennte das Stück ganz heraus, bevor es weiteres Material in Brand setzen konnte. Es fiel in den Raum und geriet außer Sicht.

Earrin wartete ein paar Sekunden, um ganz sicher zu sein, aber diesmal schien das Glück auf ihrer Seite zu sein.

Er blickte sich nach Kahvi um.

»Alles in Ordnung«, rief er. »Was ist mit Danna? Kannst du sie sehen?«

»Ja. Es geht ihr gut, das Floß hat nichts abbekommen. Ich schwimme hinüber und kümmere mich um sie; ihr bleibt besser noch hier; dem Rauch nach zu urteilen, brennt es hinter dem Hügel immer noch.«

»Lass Bones gehen, er ist schneller als du. Es ist besser, wenn du erst einmal ein paar Worte mit dem Burschen da drin redest.«

Sie nickte und wandte sich Bones zu.

Er hatte verstanden und lief zum Strand, seine seltsamen starren Hinterbeine bewegten sich so schnell, dass sich ihre Umrisse verwischten.

Eine weitere Explosion zog ihre Aufmerksamkeit einen Augenblick lang auf sich, aber es ging nichts in ihrer Nähe nieder.

»Es wird wohl bald vorbei sein«, bemerkte Earrin. »Seltsam, das Feuer scheint sich nicht auszubreiten. Was für ein Stoff kann denn so lange brennen?«

»Bleib da oben und pass weiter auf. Ich werde hineingehen und sehen, ob der Sträfling hier mehr darüber weiß«, schlug Kahvi vor.

Earrin blickte hinunter.

Das Dach reflektierte das Sonnenlicht, so dass er nur Umrisse ausmachen konnte.

»Warte einen Moment«, sagte er. »Jemand scheint herauszukommen. Er hat eine Maske angelegt.«

»Er kommt heraus? Hat er das Dach schon repariert?«

»Nein. Vielleicht …« Earrin verstummte; er konnte sich nicht vorstellen, was jetzt wichtiger sein konnte, als die Reparatur des Daches. »Du gehst jetzt besser hinein«, sagte er schließlich. »Ich werde hier oben Wache halten.« Keiner von ihnen war von Natur aus misstrauisch, aber irgendetwas stimmte hier nicht.

Kahvi ging zur Luftschleuse, einem Wasserbecken, das unter der Ostwand hervorschaute.

Ihr Mann beobachtete, wie sie im Gebäude auftauchte, dann erinnerte er sich unwillig daran, dass er das Feuer im Auge behalten musste; trotzdem warf er gelegentlich einen Blick nach unten.

Kahvi richtete sich auf – das Becken lag etwa anderthalb Meter unter der Wand – und ging die Stufen zum Boden empor.

Sie waren unzählige Male hier gewesen, und ein schneller Blick in die Runde zeigte ihr keine wesentlichen Veränderungen. Ihr Hauptinteresse galt dem einzigen Insassen des Depots.

Es war ein Mann, eher ein Jugendlicher, Jahre jünger als Earrin und Kahvi, viel schlanker als sie und einige Zentimeter größer. Er war noch magerer als der typische Hiller. Seine Haut zeigte keine Spur eines gelblichen Schimmers wie bei Leuten, die viel Zeit im Freien verbrachten. In den Ozeanen war die Konzentration der Nitratsäure zwar nicht so hoch, dass sie die Farbproteine beeinflusste, aber im Regen war die Säure viel stärker konzentriert. Sein Haar war ein wenig zu lang, um bequem unter eine Maske zu passen. Kahvi nahm das alles mit einem Blick auf, während sie schnell zur gegenüberliegenden Wand ging.

»Warum reparierst du das Dach nicht?«, fragte sie und bahnte sich einen Weg zwischen den mit Sauerstoffpflanzen überladenen Tischen.

Der Junge nahm die Maske wieder ab, die er gerade erst aufgesetzt hatte.

»Ich war dabei. Was soll denn die Eile?«

»Du lässt den Sauerstoff verpuffen, außerdem können Sporen eindringen. Hier sind deine Flicken und der Zement. Du nimmst das kleine Loch an der Nordseite, da komme ich nicht heran. Ich nehme das große über dem Tisch … pass auf! Einer von den Pflanzenkästen auf dem Tisch brennt! Tauch ihn in das Wasserbecken und mach ihn sauber, dann kümmere dich erst um die Löcher, bevor du den Kasten wieder aufstellst. Der Stoff auf dem Dach muss daraufgefallen sein. Beweg dich! Wenn du hier was lernen willst, dann musst die Augen auch offenhalten!«

Der Junge verzog das Gesicht, gab aber keine Antwort, sondern lief zu dem Tisch, hob den Kasten auf, von dem Flammen aufloderten, und brachte ihn zur Luftschleuse. Das Feuer war in der Mitte des halbmetergroßen Kastens ausgebrochen und hatte den Rand noch nicht erreicht, so dass er den Kasten noch tragen konnte; aber er zuckte zurück, als Flammen und Rauch von seiner Last hochschlugen, und hielt sie weit von sich. Kahvi bemerkte, dass er den Kasten auch von den anderen Pflanzen fernhielt, er schien also nicht vollkommen schwachsinnig zu sein. Wenn sie ärgerlich war, unterschied sie sich mehr zwischen Stupidität und Ignoranz, die unter solchen Umständen nicht weniger gefährlich war.

Sie sprang auf den Tisch, auf dem der brennende Kasten gestanden hatten, und hob den Flicken hoch, den sie schon zementiert hatte, als sie den Raum durchquert hatte. Das Dach war noch immer außerhalb ihrer Reichweite, sie musste hochspringen, um das Gewebe gegen das Loch zu pressen. Der Zement würde es dort oben halten können, bis es angewachsen war, was nur einige Stunden dauerte. Das Loch war das größte gewesen, an dieser Stelle hatten Bones und ihr Mann ein Stück aus dem Dach herausgetrennt. Die übrigen Löcher lagen nicht über den Tischen, sie mussten erst welche darunterschieben. Innerhalb von zwei Minuten war das Dach luftdicht, und sie sprang vom letzten Tisch. Der junge Hiller stand direkt neben ihr.

»Nun gut, es tut mir leid, dass ich so heftig reagiert habe«, sagte sie, nachdem sie ihn einen Augenblick schweigend angesehen hatte. »Du wirst wohl einen Grund gehabt haben, an der Maske herumzufummeln, als du hinauswolltest, anstatt das Dach abzudichten.«

»Ich wollte draußen helfen, das Feuer zu löschen«, gab er zurück. »Es kamen doch so viele Funken auf einmal.«

»Natürlich. Aber du hattest einen Schwamm und Wasser hier drinnen und konntest genauso gut von hier aus arbeiten wie Earrin von draußen – sogar besser; du konntest den Schwamm sofort wieder nass machen. Draußen hatten wir keine Flicken, und die Löcher mussten doch so schnell wie möglich wieder abgedichtet werden. Hat man dir das denn nicht beigebracht, bevor man dich hierhergeschickt hat?«

»Natürlich haben sie das.« Die Stimme klang jetzt verdrossen. »Ich hätte dichtgemacht, wenn keine Funken mehr gekommen wären. Es erschien mir wichtiger, erst einmal zu löschen.«

»Das stimmt, aber darum kümmerte sich doch schon jemand anderes, und wie gesagt, von hier aus ging es noch besser. Warum hast du es nicht mal mit Nachdenken versucht?«

»Habe ich doch. Wenn man nicht genau überlegt, bevor man handelt, kann man jemanden umbringen. Das weiß doch jeder, oder hat dir das keiner beigebracht?«

»Doch. Oft genug. Es mag nützlich sein, sorgfältig zu überlegen, wenn man in einer Stadt lebt, aber hier draußen darf das deine Reaktion nicht behindern. Denken geht zu langsam, um dich auf die Dauer am Leben zu halten. Wenn du nicht automatisch reagierst, hast du keine Chance – den Schwamm! Es kommt noch mehr!« Zwei weitere Explosionen waren fast gleichzeitig erfolgt.

Einige Stangen mit Schwämmen lehnten an der Wand; während sie sprach, hatte Kahvi sie ergriffen. Im selben Moment erklang über ihnen Earrins Stimme.

»Kahvi, es fängt wieder an! Ich muss zur Ostwand, um den Schwamm wieder nasszumachen. Ich bleibe am Wasserbecken, kümmert ihr euch um den Rest!«

Kahvi riss sich die Maske vom Gesicht, um freier sprechen zu können, und antwortete mit einem lauten Ruf. Um den Insassen des Gebäudes hatte sie sich nicht mehr gekümmert, aber er hatte ebenfalls mit beachtlicher Schnelligkeit eine Stange ergriffen. Dann hatten sie keine Zeit für mehr als ein paar kurze Gesten, denn ein Dutzend zischender Kohlen landeten auf dem Dach. Keines der entstandenen Löcher konnte sich auf mehr als Schwammgröße ausdehnen, bevor es erstickt wurde, aber ehe sie die Flicken alle angeklebt hatten, ertönte die nächste Explosion. Eine Viertelstunde lang waren sie zu beschäftigt, um nachdenken zu können, obwohl Kahvi in einem ruhigeren Augenblick zu ihrem Mann heraufrief: »Was ist mit dem Floß? Ist Danna wohlauf?« Sie versuchte, ihre Sorgen zu unterdrücken und arbeitete konzentriert weiter.

»Ich kann auf die Entfernung nicht viel erkennen«, erinnerte sie Earrin. »Es scheint kein Rauch von drüben zu kommen, und Bones ist nicht zurückgekommen.«

Er versuchte erst gar nicht, letzteres zu erklären; doch Kahvi konnte sich das selbst ausmalen. Wenn die beiden sich noch Sorgen machten, so zeigten sie es nicht, die Arbeit ging weiter.

Inzwischen wurde der Rauch hinter dem Hügel dünner und erstarb ganz. Auch der erschreckende Donner explodierenden Holzes blieb aus. Das Dach war mit Flicken übersät, aber es war dicht.

»Ich glaube, das haben wir hinter uns!«, rief Earrin von oben herunter. »Trotzdem werde ich noch eine Weile hierbleiben. Ihr könnt euch jetzt ausruhen.«

»Was ist mit den anderen?«, fragte Kahvi.

»Mach dir keine Sorgen, die sind in Ordnung. Das Floß ist anscheinend unversehrt – verdammt, ich brauche eine bessere Maske. Vielleicht brauchen die Hillers ja nicht die ganze Schiffsladung – he, die beiden kommen hierher. Danna geht voraus, und wenn dem Floß oder dem Zelt etwas passiert wäre, hätte sie es weniger eilig, wo wir ihr doch die ganze Verantwortung übertragen haben.«

»Floß? Ladung? Ihr müsst die Händler sein«, warf der Insasse des Gefängnisses ein. »Das hätte ich mir denken können, so wie ihr euch hier draußen auskennt. Ich muss jeglichen Zeitsinn verloren haben. Wolltet ihr nicht erst in einer Woche oder so wiederkommen?«

»Man hat uns gesagt, wir hätten zwei Monate Zeit, bis Mitte Mai. An das genaue Datum kann ich mich nicht mehr erinnern – wir verrechnen uns sowieso immer um ein, zwei Tage –, aber wir müssten ungefähr richtig sein«, meinte die Frau. »Wie lange bist du schon hier? Hat man dich vollkommen isoliert? Das ist ja ganz schön hart.«

III

Kampfgeist: Ausgeprägt

Kahvi war erleichtert. Der Junge war zumindest höflich, aber seine letzte Bemerkung beunruhigte sie.

»Danke«, sagte sie. »Warum hast du eigentlich hier auf uns gewartet? Wir hätten doch zur Stadt gehen können, um uns anzumelden.«

»Wir haben es ziemlich eilig. Wir haben hier in Kanton ein paar Projekte laufen, da benutzen wir das Haus sowieso öfters. Dafür brauchen wir auch jede Menge Glas, soviel wir nur kriegen können, hoffentlich habt ihr genug bei euch. Und hoffentlich können wir es auch immer noch brauchen.«

»Was soll das denn heißen, ›noch brauchen‹? Und was für Projekte sind das, für die man so viel Glas braucht?«

»Vielleicht gibt es Probleme. Das Feuer, das wir gerade gesehen haben, ist anscheinend auf dem Gelände ausgebrochen, auf dem die Sache abläuft. Unter Umständen ist das jetzt ein Trümmerhaufen. Wenn das so ist, weiß ich nicht, wie wir eure Fracht überhaupt noch nehmen können.«

»Hauptsache, ihr könnt sie noch bezahlen«, ergänzte Kahvi. »Natürlich können wir euch einen Kredit geben, wenn ihr Schwierigkeiten habt, damit wären wir einverstanden.«

»Stimmt ja, ihr seid zu zweit – dein Partner ist noch auf dem Dach. Ihr werdet beim Ausladen Hilfe brauchen. Soll ich mitkommen? Aber warte mal – ihr habt doch noch andere Namen erwähnt. Hat sich eure Gruppe vergrößert?«

»Nein.« Kahvi begann sich unbehaglich zu fühlen, sie fragte sich, ob er auf ihre Figur anspielte. »Unsere Gruppe ist seit Jahren dieselbe, aber Earrin und ich haben den Handel übernommen. Wir hatten diesmal einige Schwierigkeiten, weil wir das Floß überladen hatten. Aber wir schaffen das schon allein, außerdem musst du die Pflanzen wieder aufstellen. Wir haben Glück gehabt, dass hier drin kein richtiges Feuer ausgebrochen ist.« Sie hatten tatsächlich unglaubliches Glück gehabt. Sie konnten froh sein, dass das Dach überhaupt gehalten hatte.

Der Junge zeigte nicht den geringsten Ausdruck. Kahvi spürte, dass sich ihr Puls beschleunigte, und atmete sofort langsamer. Sie versuchte, so beherrscht wie möglich zu sprechen. »Wir fangen schon mal mit dem Ausladen an. Wo habe ich meine Maske – danke. Wenn du die Pflanzen in Ordnung gebracht hast, besorgst du dir am besten neue Dichtungsmasse, die meiste haben wir aufgebraucht.«

»Das hat keine Eile«, war die Antwort. »Das Feuer ist ja gelöscht … oh, Entschuldigung; ich bin wohl schon wieder leichtsinnig. Ein Nomade denkt immer an alles, nicht wahr? Du hast recht. Ich werde mich darum kümmern. Ihr könntet mir etwas Glas vorbeibringen; ich habe nichts hier, das glatt genug ist, um brauchbaren Stoff darauf herzustellen.«

»In Ordnung.« Sie hatte ihre Maske wieder aufgesetzt, redete aber trotzdem weiter. Der Hiller verstand mit Sicherheit keine Zeichensprache und schon gar nicht die Zeichen, die die Familie und Bones benutzten. »Einer von uns kommt gleich noch mal vorbei. Brauchst du auch neuen Stickstoff?«

Sie bereute sofort, dass ihr das herausgerutscht war, und sah sich willkürlich nach ihrem Mann um. Sie konnte ihn zwar erkennen, wusste aber, dass er durch das spiegelnde Dach wenig sehen konnte. Der junge Bostoner schien jedoch nicht zu begreifen, was die Frage bedeutete, und kurz darauf ging sie durch die Schleuse.

Sie gab Earrin zu verstehen, dass er mit ihr zum Floß zurückkommen sollte. Danna und Bones begegneten ihnen auf dem Weg, und sie bedeutete ihnen dasselbe. Mit einem Achselzucken kommentierte Earrin, dass jetzt kein Rauch mehr zu sehen war. Die Gruppe war am Strand angelangt, als Kahvi zu reden begann.

»Hast du alles mitbekommen?«, fragte sie ihren Mann.

»Kaum etwas. Anfangs klang es, als würdest du ihn zusammenstauchen.«

»Stimmt. Ich schätze, wir werden noch Schwierigkeiten mit ihm bekommen.«

»Warum denn? Was ist passiert? Und warum ist er hier?«

»Er sagt, dass er keine Strafe absitzt, sondern freiwillig da ist, aber das glaube ich nicht. Er ist süchtig, ein Verschwender. Im ganzen Gebäude ist nicht eine Stickstoffpflanze, keine Gasflasche. Mir ist unverständlich, dass das Dach nicht ausgebrannt ist. Er atmet reinen Sauerstoff, mir ist noch ganz schwindlig davon. Wir sollen ihm Glas bringen, damit er Kulturen für Dichtungsstoff setzen kann. Das müssen wir machen, aber wir bleiben auf keinen Fall dort, sondern übernachten auf dem Floß.«

»Wie heißt er?«

»Ich habe ihn nicht gefragt.«

»Dann weiß er, dass du misstrauisch geworden bist.« Kahvi nickte langsam. Die Nomaden tauschten immer ihre Namen aus, das war eine ihrer Regeln. Ohne diese Information konnte man nicht mit einem Dritten über jemanden reden, präzise Kommunikation war lebensnotwendig. Dasselbe galt für die Abneigung der Nomaden gegen Lügen. Dass Kahvi ihn nicht nach seinem Namen gefragt hatte, musste ihm klarmachen, dass sie irgendetwas gestört hatte.

»Er muss es sowieso gemerkt haben«, sagte sie schließlich. »Ich habe seinen Stickstoffmangel erwähnt. Was sollen wir jetzt tun? Natürlich müssen wir ihm bringen, was er braucht, aber ich habe Angst vor ihm. Er ist unberechenbar.«

»Ich werde hingehen«, gab ihr Mann zurück. »Mach dir deswegen keine Sorgen. Vielleicht ist es gar nicht so schlecht. Wenn er Bones sieht, oder Danna, wird ihm niemand glauben.«

»Das ist zu gefährlich. Womöglich bringen sie sie zur Außenseiterschule und glauben, ihr und uns noch einen Gefallen zu tun. Das weißt du genauso gut wie ich. Der Junkie hat von einem Projekt gesprochen, das hinter dem Hügel abläuft, und wenn er nicht phantasiert hat, können jeden Augenblick Leute herüberkommen, um nachzusehen, was dem Gefängnis passiert ist. Wenn sie Danna oder Bones sehen – sie können ja nicht alle sauerstoffsüchtig sein.«

Earrin nickte. »Also müssen sie sofort außer Sichtweite.« Er gab Bones ein Zeichen, und der Eingeborene verschwand geräuschlos im Wasser. Widerstrebend folgte ihm Danna. Sie wollte nicht wieder ins Zelt, war aber zu unbedingtem Gehorsam erzogen worden. Sie warf ihrem Vater einen vorwurfsvollen Blick zu und glitt ins Wasser. Etwa eine Minute später tauchte sie im Zelt auf und verschwand zwischen den Gestellen mit Sauerstoffpflanzen. Ihre Eltern sahen hinüber, widmeten den größten Teil ihrer Aufmerksamkeit aber dem Hügel. Sie warteten ein paar Minuten, um sicher zu sein, dass niemand die beiden beobachtet hatte, dann holten sie die Fracht.

Das Kupfer hatten sie in ähnlichen Säcken verstaut wie die Anker, in jedem waren zwanzig der zwei Kilogramm schweren Blöcke. Das Kupfer wurde von Robotern gesammelt, Pseudoleben, das auf dem Meeresgrund gedieh. Die Verwandlung der Atmosphäre hatte das ursprüngliche Leben fast vollständig vernichtet, die synthetischen Formen dagegen kaum betroffen. Fünfzehn Säcke hatten sie auf dem Floß verstaut. Kahvi warf sie ins Wasser, und ihr Mann zog sie an Land, allerdings mit Bones' heimlicher Unterstützung, der unter Wasser schwamm, um von der Küste aus nicht gesehen zu werden.

Das Glas war ähnlich verpackt. Es waren Fensterscheiben, die der Eingeborene auf dem Hafengelände geborgen hatte. Unzählige dieser Scheiben lagen noch inmitten des Schlammes, in dem sie versunken waren, als sich die Häuser buchstäblich um sie herum aufgelöst hatten. In den Ozeanen hatte sich der Anteil der Nitratsäure verhundertfacht, aber in Flüssen, Küstengebieten und Seen war die Konzentration während der Katastrophe noch viel stärker gewesen. Dasselbe galt für den Regen. Praktisch alle Metalle waren zersetzt worden, mit Ausnahme des Kupfers, das die stumpfsinnigen Sammler weiterhin aus dem Meer holten. Glas und Keramik konnten natürlich noch immer gefunden werden.