Eiswelt - Hal Clement - E-Book

Eiswelt E-Book

Hal Clement

0,0
3,49 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Kälte ist relativ

Auf dem Planeten Sarr taucht eine neue, gefährliche Droge auf. Rauschgiftermittler Sallman Ken erhält den Auftrag, die Herkunft der Droge zu erforschen und die Einfuhr zu unterbinden. Er findet heraus, dass sie pflanzlichen Ursprungs ist und vom dritten Planeten einer Sonne der Spektralklasse G stammt. Doch im Orbit stockt ihm der Atem: Auf einem so kalten Planeten soll es intelligentes Leben geben? Einzig der innerste Planet dieser winzigen Sonne bekommt in Sallmans Augen genug Sonnenlicht und Wärme ab, dass man dort halbwegs angenehm leben könnte. Aber auf Planet Nummer drei sieht die Sache anders aus: Dort ist es so kalt, dass das Wasser überwiegend nur in flüssiger Form vorhanden ist, und Schwefel, Kalium, Blei und Zinn gefrieren sofort und sind nur in festem Zustand vorhanden. Sallman ist alles andere als erpicht darauf, in dieser Eiseskälte Ermittlungen anzustellen …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 334

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



HAL CLEMENT

EISWELT

Roman

Das Buch

Auf dem Planeten Sarr taucht eine neue, gefährliche Droge auf. Rauschgiftermittler Sallman Ken erhält den Auftrag, die Herkunft der Droge zu erforschen und die Einfuhr zu unterbinden. Er findet heraus, dass sie pflanzlichen Ursprungs ist und vom dritten Planeten einer Sonne der Spektralklasse G stammt. Doch im Orbit stockt ihm der Atem: Auf einem so kalten Planeten soll es intelligentes Leben geben? Einzig der innerste Planet dieser winzigen Sonne bekommt in Sallmans Augen genug Sonnenlicht und Wärme ab, dass man dort halbwegs angenehm leben könnte. Aber auf Planet Nummer drei sieht die Sache anders aus: Dort ist es so kalt, dass das Wasser überwiegend nur in flüssiger Form vorhanden ist, und Schwefel, Kalium, Blei und Zinn gefrieren sofort und sind nur in festem Zustand vorhanden. Sallman ist alles andere als erpicht darauf, in dieser Eiseskälte Ermittlungen anzustellen …

Der Autor

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Titel der Originalausgabe

ICEWORLD

Aus dem Amerikanischen von Dr. Ingrid Rothmann

Überarbeitete Neuausgabe

© Copyright 1953 by Hal Clement

Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Covergestaltung: Das Illustrat, München

I

Sallman Ken war sich nie ganz sicher gewesen, ob es klug gewesen war, auf Rades Ersuchen einzugehen. Er war kein Polizist, und er wusste das. Körperliche Gefahren waren nicht sein Fall. Er war zwar immer der Meinung gewesen, ein gewisses Ausmaß an Unbehagen ertragen zu können, doch der Anblick, der sich ihm durch das Bullauge der Karella bot, ließ ihn zweifeln.

Dabei musste er zugeben, dass Rade fair gewesen war. Der Chef der Rauschgiftabteilung hatte ihm offensichtlich alles gesagt, was er selbst wusste. So viel jedenfalls, dass Ken mit ausreichendem Einsatz seiner Phantasie sogar so etwas hätte voraussehen können.

»Viel ist davon ja niemals aufgetaucht«, hatte Rade erklärt. »Wir wissen nicht mal, wie die Händler das Zeug nennen – für sie ist es einfach eine ›Prise‹. Es ist jetzt ein paar Jahre im Umlauf. Als es auftauchte, begannen wir uns dafür zu interessieren, doch als sich herausstellte, dass es sich bloß um kleine Mengen handelte, ließen wir es links liegen.«

»Was ist denn dann so gefährlich daran?«, hatte Ken gefragt.

»Jedes Suchtgift ist gefährlich, das sollten Sie als Lehrer naturwissenschaftlicher Fächer eigentlich am besten wissen. Die besondere Gefährlichkeit des Zeugs scheint darin zu liegen, dass es gasförmig ist und daher einem unfreiwilligen Opfer leicht eingeflößt werden kann; und es ist so stark, dass eine einzige Dosis unvermeidlich zur Sucht führt. Sie begreifen, was für eine Gefahr für die Allgemeinheit das werden könnte.« Ken hatte es deutlich begriffen.

»Wir verstehen uns also. Mich wundert nur, dass wir nicht alle schon längst süchtig geworden sind. Ein Generator im Ventilationssystem eines Gebäudes, an Bord eines Schiffes – damit könnten Hunderte sicherer Kunden für denjenigen gewonnen werden, der die Droge vertreibt. Warum also ist eine weitere Verbreitung ausgeblieben?« Rade hatte zum ersten Mal ein Lächeln sehen lassen.

»Dafür scheint es zwei Gründe zu geben. Es gibt Schwierigkeiten mit der Herstellung, falls die vagen Gerüchte, die uns zugetragen werden, in etwa zutreffen. Und zweitens hält sich das Zeug nicht bei normaler Temperatur. Es muss bei extrem niedrigen Temperaturen gelagert werden. Unter normalen Bedingungen zersetzt es sich in Sekundenschnelle. Ich glaube, es ist der gleiche Prozess wie bei Verfallsprodukten, aber bis jetzt haben wir leider keine Probe bekommen, um das zu belegen.«

»Und was habe ich dabei zu tun? Wenn Sie keine Probe haben, dann kann ich sie auch nicht analysieren. Ich brächte es vielleicht ohnehin nicht fertig, schließlich bin ich Lehrer und nicht Chemiker von Beruf. Was könnte ich sonst noch tun?«

»Gerade weil Sie Lehrer sind – so eine Art naturwissenschaftliches Universalgenie, ohne auf irgendeinem Gebiet Experte zu sein –, könnten Sie uns von Nutzen sein. Ich sagte schon, dass es mit dieser Droge Schwierigkeiten gibt.

Wir können davon ausgehen, dass die Hersteller die Menge erhöhen möchten. Zu diesem Zweck brauchen sie natürlich einen erstklassigen Produktionstechniker. Sie wissen so gut wie ich, dass sie es allein niemals schaffen könnten. Kein Mensch könnte heimlich in so ein Projekt eingeschleust werden. Jeder halbwegs fähige Ingenieur hat seit der Entdeckung von Velio alle Hände voll zu tun. Wenn jemand entsprechende Kontakte knüpft, dann kämen wir ihm mit Leichtigkeit auf die Spur.

Sie hingegen sind ganz unverdächtig. Sie haben Urlaub, ein ganzes Jahr. Niemandem wird Ihre Abwesenheit auffallen – und wir gehen davon aus, dass diese Leute einigermaßen Grips haben. Deshalb haben wir dieses Gespräch unter größter Geheimhaltung arrangiert.«

»Aber irgendwie müssen Sie auf mich aufmerksam machen, sonst erfahren die anderen ja niemals von meiner Existenz«, wandte Ken ein.

»Das lässt sich machen – eigentlich ist es schon geschehen. Wir haben Ihr Einverständnis vorausgesetzt. Die Sache ist einfach zu wichtig. In den Kreisen der Unterwelt gehen bereits Gerüchte um, Sie wären der Hersteller der Bombe, die das Storrn-Werk außer Betrieb setzte. Wir könnten Ihren Ruf noch ein bisschen ausbauen …«

»Damit ich nie wieder ehrliche Arbeit finde?«

»Kein Mensch wird davon erfahren, auch Ihre jetzigen Arbeitgeber nicht.«

Ken wusste noch immer nicht richtig, warum er angenommen hatte. Vielleicht weil die Arbeit bei der Polizei ihm irgendwie von Glanz und Gloria umwittert zu sein schien, obwohl er natürlich wusste, dass es sich heutzutage größtenteils um Laborarbeit handelte. Dieser Fall hier war wohl eine Ausnahme – oder nicht? Er war, wie Rade erwartet hatte, von einem höchst wortkargen Individuum angeworben worden, das behauptete, bestimmte Handelsinteressen zu vertreten. Man war übereingekommen, dass er sein Wissen seinen Auftraggebern zur Verfügung stellte. Vermutlich würde man ihn ganz einfach in ein Labor stecken und ihm die Lösung irgendeines Produktionsproblems übertragen. In diesem Fall würde er seinen Job sehr schnell wieder los sein und würde sich bei Rade entschuldigen müssen.

Denn bis jetzt hatte er nichts in Erfahrung bringen können. Sogar der Mann von der Drogenabteilung hatte zugeben müssen, dass seine Leute keinen kannten, der mit Sicherheit mit dem Ring in Verbindung stand. Es war sehr gut möglich, dass er von vergleichsweise anständigen Leuten angeheuert worden war – anständig im Vergleich zu Drogenhändlern, versteht sich. Genau das war womöglich passiert. Man hatte ihn auf dem Raumflughafen der Nordinsel an Bord der Karella gebracht, und die darauffolgenden zweiundzwanzig Tage hatte er überhaupt nichts gesehen.

Natürlich wusste er, dass die Droge nicht vom Planeten stammte. Rade hatte immerhin durchblicken lassen, dass man auf die ersten Lieferungen aufmerksam geworden war, als man eintreffende Kühlaggregate untersucht hatte. Er hatte allerdings nicht gewusst, dass es von außerhalb des sarrianischen Planetensystems stammte. Zweiundzwanzig Tage, das war eine lange Fahrt, falls man eine direkte Route geflogen war.

Die Welt, die nun draußen am Himmel hing, sah nicht so aus, als könne sie überhaupt etwas hervorbringen. Nur eine ganz schmale Sichel war sichtbar, da sie fast genau zwischen dem Schiff und einer bemerkenswert schwachen Sonne lag: An der Art, wie das dunkle Reststück der Scheibe die Milchstraße verdunkelte, sah man deutlich, dass der Planet keine Atmosphäre hatte. Er war gebirgig, unwirtlich und kalt. Letzteres erkannte Ken an der Beschaffenheit der Sonne. Diese war so schwach, dass man sie ohne Augenschutz ansehen konnte. Für Kens Farbempfinden war sie rötlich und dazu ziemlich klein. Eine Welt, die sich in so großer Entfernung von einer Sonne dieser Art befand, konnte nur kalt sein.

Natürlich brauchte Rades Droge niedrige Temperaturen. Für den Fall, dass sie hier hergestellt wurde, wollte Ken sich aus der Sache zurückziehen, komme, was da wolle. Allein der Anblick dieses Planeten jagte ihm Schauer über den Rücken.

Er wünschte, jemand würde ihn informieren, was eigentlich vorging. Über der Tür seiner Kabine war ein Lautsprecher angebracht, der bis jetzt aber nur dazu benutzt worden war, ihm mitzuteilen, dass sein Essen vor der Tür stünde und diese im Moment unversperrt sei.

Man hatte ihm nämlich nicht erlaubt, den Raum zu verlassen. Dies deutete auf ungesetzliche Machenschaften irgendwelcher Art hin. Leider waren es Machenschaften, die sich nicht unbedingt auf jene Art beschränkten, hinter der er her war. Den Handelsbestimmungen war es zuzuschreiben, dass ein auf Erkundungsfahrt befindlicher Händler, der auf ein bewohntes System stieß, seine Entdeckung geheim hielt, um sich allein daran zu bereichern. Es war nur natürlich, dass man die Position eines solchen neuen Systems vor einem neuen Mitarbeiter ebenfalls geheim hielt.

Er riskierte eine laute Äußerung. Schließlich musste die Tatsache, dass sie sich so lange in der Nähe dieser Welt aufhielten, irgendeine Bedeutung haben.

»Soll ich etwa auf diesem Planeten arbeiten? Sehr unwirtlich, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten.« Er war nicht wenig erstaunt, als er darauf eine Antwort bekam. Die Stimme war eine andere als die, die seine Mahlzeiten ankündigte.

»Das stimmt. Ich bin dort selbst nie gelandet, aber so wie der Planet aussieht, muss es dort schrecklich sein. Soweit uns im Augenblick bekannt ist, macht Ihre Arbeit einen Aufenthalt dort nicht nötig.«

»Was ist eigentlich meine Arbeit? Oder wollen Sie damit noch immer nicht herausrücken?«

»Es kann nicht schaden, wenn Sie mehr erfahren, da wir jetzt das richtige Planetensystem erreicht haben.«

Ken sah voller Unbehagen zu der matten Sonne hin, verkniff sich aber jegliche Bemerkung.

»Die Tür ist nicht verschlossen. Draußen im Korridor gehen Sie nach rechts bis ans Ende. Sie kommen dann in den Kontrollraum. Dort bin ich. Es ist angenehmer, wenn man sich beim Reden gegenübersteht.« Der Lautsprecher verstummte, und Ken tat, was verlangt worden war. Die Karella sah aus wie jedes Standardraumschiff und war zwischen 45 und 60 Meter lang, der Durchmesser betrug ein Drittel davon. Zylinderförmig mit leicht gerundeten Enden. Reichlich Raum, für Passagiere, Fracht oder was immer der Eigner befördern wollte.

Im Kontrollraum war außer den Anwesenden nichts Außergewöhnliches zu sehen. Einer der beiden musste der Pilot sein. Er war vor der Hauptsteuerkonsole an seinen Sitz geschnallt. Der andere schwebte frei mitten im Raum, offenbar in Erwartung Kens, da seine beiden Augen auf die Tür gerichtet waren. Er sprach ihn sofort an. Es war die Stimme, die den Wissenschaftler aufgefordert hatte zu kommen.

»Ich wollte eine persönliche Begegnung eigentlich hinauszögern, bis Sie unser Angebot endgültig angenommen hätten. Andererseits kann es auch nicht schaden, wenn wir einander kennenlernen. Meine Besuche auf Sarr werden immer spärlicher. Die Chance, dass wir einander begegnen, falls wir uns nicht einig werden können, ist sehr gering.«

»Dann haben Sie also Ihre Finger in irgendeiner illegalen Sache?« Ken konnte sich diese Frage erlauben, da der andere diesen Umstand deutlich hatte anklingen lassen. Die Gegenseite würde sicher davon ausgehen, dass er nicht auf den Kopf gefallen war.

»Illegal, ja, wenn man das Gesetz engherzig auslegt. Meine Ansicht, die im Übrigen von vielen geteilt wird, ist folgende: Wenn jemand einen bewohnten Planeten entdeckt, ihn auf eigene Kosten erforscht und mit den Bewohnern Beziehungen anknüpft, dann hat er das moralische Recht, davon zu profitieren. Und das ist in groben Zügen unsere Situation.«

Kens Stimmung sackte ab. Es sah so aus, als wäre er genau mit jener Sorte kleiner Gaunerei in Berührung gekommen, die er insgeheim befürchtet hatte. Er würde Rade auf diese Weise nicht viel weiterhelfen können.

»Dieser Standpunkt hat sicherlich einiges für sich«, äußerte er vorsichtig. »Aber was kann ich für Sie tun? Ich bin kein Sprachwissenschaftler und habe so gut wie keine Ahnung von Wirtschaft, falls Sie Schwierigkeiten in dieser Hinsicht haben sollten.«

»Schwierigkeiten haben wir, aber auf einem anderen Gebiet. Sie ergeben sich aus der Tatsache, dass der fragliche Planet starke Unterschiede zu Sarr aufweist. Landungen auf diesem Planeten sind unmöglich. Nur unter allergrößten Schwierigkeiten gelang es uns, persönlichen Kontakt mit einer Gruppe Eingeborener herzustellen. Ob mit einer Gruppe oder einem einzelnen Individuum, das können wir nicht unterscheiden.«

»Nicht unterscheiden? Können Sie denn keine Torpedosonde mit einer Fernsehanlage hinunterschicken?«

»Na, Sie werden ja selbst sehen.« Das noch immer namenlose Individuum reagierte mit einem unangenehmen Lächeln. »Jedenfalls haben wir es geschafft, mit diesem oder diesen Eingeborenen einen kleinen Handel aufzuziehen. Die haben etwas, was wir gebrauchen können. Wie Sie sich denken können, bekommen wir das Zeug bloß tröpfchenweise. Das Heranschaffen größerer Mengen – das ist im Grunde genommen das Problem, mit dem Sie sich beschäftigen werden. Sie könnten irgendeine Möglichkeit ausknobeln, persönlich dort zu landen, aber Sie sind kein Ingenieur. Mir schwebt eher vor, dass Sie die Bedingungen auf dem Planeten genau analysieren – Atmosphäre, Temperatur, Lichtverhältnisse und so weiter, damit wir diese Bedingungen an einem für uns geeigneteren Ort reproduzieren und das Produkt selbst erzeugen können. Damit würden wir uns auch den Preis ersparen, den die Eingeborenen fordern.«

»Klingt ganz einfach. Mir fällt dabei auf, dass Sie sich über die Natur dieses Produkts ausschweigen, bis auf den Umstand, dass es pflanzlicher Natur ist. Aber das stört mich nicht. Ich hatte mal einen Freund in der Parfumbranche. Er war der reinste Geheimniskrämer, auch wenn es sich um primitivste Chemie handelte. Ja, ich will es versuchen, aber ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass ich bei weitem nicht der beste Chemiker der Galaxis bin. Außerdem habe ich keine Apparate dabei, da ich nicht wusste, was Sie von mir wollen. Ist an Bord vielleicht etwas vorhanden?«

»An Bord nicht. Wir haben den Planeten vor etwa zwanzig Jahren entdeckt und eine einigermaßen solide und funktionsfähige Basis auf dem innersten Planeten des Systems errichtet. Er hat eine Hälfte ständig der Sonne zugewandt. In einem kleinen Tal nahe des Pols konnten wir so viel Sonnenlicht konzentrieren, dass die Temperatur erträglich ist. Dort haben wir ein anständiges Labor und eine Werkstatt mit einem ausgezeichneten Techniker, einem gewissen Feth Allmer. Falls Sie etwas brauchen sollten, was wir dort nicht haben, können wir es Ihnen holen. Na, wie hört sich das an?«

»Richtig gut. Ich nehme den Auftrag an und werde tun, was ich kann.« Kens Stimmung hatte sich gebessert, teils weil der Job an sich interessant zu sein schien, teils wegen einiger Bemerkungen des anderen. Falls das Produkt eine Pflanze war, und es sah ganz danach aus, so bestand immerhin eine kleine Möglichkeit, dass er sich auf der richtigen Spur befand. Zwar war von der Notwendigkeit der Kühlung nicht ausdrücklich die Rede gewesen. Nach allem, was er bis jetzt zu hören bekommen hatte, konnte der Planet ebenso gut zu heiß wie zu kalt sein. Was er allerdings von der Sonne dieses Systems gesehen hatte, ließ das erstere zweifelhaft erscheinen. Und dann diese Bemerkung, dass man auf dem innersten Planeten zusätzlich Wärme konzentrierte – nein, der Planet war kalt. Ganz entschieden. Die Chancen standen wieder besser. Er riss sich von diesen Gedanken los, als er bemerkte, dass sein Chef, falls es sich um das Haupt des Unternehmens handelte, wieder etwas sagte.

»Ich war sicher, dass Sie annehmen würden. Sie können anfordern, was Sie wollen, jetzt gleich. Sie können dieses Schiff nach Belieben verwenden und müssen sich bloß nach Ordon Lees Veto richten, falls er meint, das Schiff befinde sich in Gefahr.« Ein biegsamer Tentakel deutete auf den Piloten, als der Name fiel. »Übrigens, ich bin Laj Drai. Sie arbeiten für mich, eine Tatsache, die Sie sich stets vor Augen halten sollten, zu unserer beider Wohl. Nun, was sollte Ihrer Meinung nach als erstes in Angriff genommen werden?«

Ken hielt es für besser, Drais Bemerkung bezüglich seines höheren Ranges zu überhören und dessen Frage mit einer anderen Frage zu beantworten.

»Haben Sie irgendwelche Proben von Atmosphäre oder Boden dieses Planeten?«

»Nicht von der Atmosphäre. Es ist uns nicht geglückt, eine Probe davon zu behalten. Vielleicht sind wir dabei nicht richtig vorgegangen. Einer der Zylinder, die wir einholten, hatte ein Leck und fing an, in unserer Atmosphäre zu brennen. Vielleicht können Sie mit dieser Tatsache etwas anfangen. Wir besitzen Proben vom Erdreich, die aber samt und sonders unserer Luft ausgesetzt wurden und sich vielleicht verändert haben. Das müssen Sie selbst entscheiden. Ich weiß nur, dass die Atmosphäre einen Druck von zwei Drittel Sarr-normal besitzt, und dass die Temperatur auf dem Planeten so niedrig ist, dass sie die Gase unserer eigenen Atmosphäre gefrieren lässt – ich glaube, dort würde sogar Kalium gefrieren. Unser Techniker behauptete, genau das sei einem unserer Apparate passiert, der seinen Geist aufgab.«

»Wie steht es mit der Größe?«

»Größer als Sarr – die genauen Werte haben wir auf unserer Basis auf Planet Eins vorliegen.

Es ist einfacher, wenn Sie dort nachsehen. Ich kann mir die genauen Werte einfach nicht merken, und ehrlich gesagt, allzu genau sind die Werte ohnehin nicht. Sie sind hier der Wissenschaftler. Meine Leute sind bloß Augen und Tentakel in Ihren Diensten.

Natürlich verfügen wir auch über ferngesteuerte Torpedosonden. Bevor Sie eine solche einsetzen, lassen Sie es mich lieber wissen. Von den ersten zwanzig, die wir zur Planetenoberfläche schickten, gingen neunzehn verloren. An der Stelle, wo die zwanzigste endlich niederging, haben wir einen Sender hinterlassen, und den peilen wir bei jeder Landung an. Was mit den anderen Sonden los war, wissen wir nicht, obwohl wir es uns denken können. Aber das erzähle ich Ihnen alles ganz genau, wenn Sie sich das Material ansehen. Möchten Sie noch etwas erledigen, ehe wir die Nachbarschaft des Planeten verlassen und Nummer Eins ansteuern?«

»Was heißt hier Nachbarschaft? Ich dachte, Sie sagten, es wäre gar nicht der fragliche Planet.« Ken deutete mit einem Tentakel auf den kraterdurchsetzten Halbmond.

»Der ist es auch nicht, das ist nur der Satellit von Nummer Drei, dem Planeten, der uns interessiert.«

Ken bekam eine Gänsehaut. Der Satellit war furchteinflößend. Der Planet konnte, wenn überhaupt, dann nur geringfügig wärmer sein, da die Entfernung von der Sonne in etwa dieselbe war. Sicher, eine Atmosphäre stellte eine kleine Verbesserung dar, aber trotzdem – diese Kälte! Eine Kälte, die Kalium, Blei und Zinn gefrieren ließ! Daran hatte er eigentlich noch keinen Gedanken verschwendet. Sein Vorstellungsvermögen war gut, vielleicht sogar zu gut. Und er begann sich praktisch aus dem Nichts das Bild einer bis ins Innerste gefrorenen Welt auszumalen. Rau, von eisigen Stürmen blankgefegt, ein Planet des Todes, in dessen mattem, rötlichem Licht sich nichts regte.

Halt, das konnte nicht stimmen. Der Planet war bewohnt. Ken versuchte sich vorzustellen, welche Art von Leben unter diesen grässlichen Bedingungen es wohl geben mochte. Er schaffte es nicht. Möglich, dass Laj Drai sich in der Temperatur geirrt hatte. Er hatte gesagt, dass die Werte nicht gesichert wären. Sie beruhten einzig und allein auf Vermutungen des Technikers.

»Wenn wir schon in der Nähe sind, dann wollen wir uns den Planeten mal ansehen. Ich bin auf das Schlimmste gefasst«, sagte er an diesem Punkt seiner Überlegungen. Laj Drai gab dem Piloten ein Zeichen, und das Heck der Karella drehte sich langsam. Der luftlose Satellit glitt aus dem Blickfeld, Sterne huschten über den Sichtschirm. Das Schiff musste eine Drehung von hundertachtzig Grad gemacht haben, ehe Planet Drei selbst auftauchte. Jetzt mussten sie sich direkt zwischen Planet und Satellit befinden, dachte Ken. Nicht sehr klug, falls die Bewohner über Teleskope verfügten.

Da sie die Sonne im Rücken hatten, war die Scheibe der großen Welt hell erleuchtet. Anders als der kahle Mond zeigte der verschwommene Umriss, dass eine Atmosphäre vorhanden war, obwohl Ken sich nicht vorstellen konnte, welche Gase sie enthalten mochte. Trotz des eindeutig rötlichen Sonnenlichtes wies die Planetenoberfläche zum größten Teil eine Blaufärbung auf. Einzelheiten waren nicht zu erkennen. Die Atmosphäre war sehr dunsthaltig. Es gab deutliche Flecken in Weiß, Grün und Braun. Was sie darstellten, war nicht auszumachen.

Es war ein Anblick, der dem Wissenschaftler in ihm wieder einen Schauer über den Rücken jagte. Daran mochten die Dinge schuld sein, die er erfahren hatte, und auch die Tatsachen, die er aus dem Aussehen der Sonne gefolgert hatte. Vielleicht war es überhaupt nichts Objektives. Wie auch immer, allein der Anblick dieser Welt jagte ihm Schauer über den Rücken, so dass er sich unvermittelt umdrehte.

»Nehmen wir Kurs auf Nummer Eins und überprüfen wir die Werte.« Er hatte Mühe, seine Stimmwerkzeuge zu betätigen. Der Pilot gehorchte ohne Kommentar.

In Wirklichkeit ist die Erde so übel auch wieder nicht. Es gibt sogar Wesen, denen sie lieb und teuer ist. Ken war natürlich voreingenommen gegen eine Welt, auf der Wasser als Flüssigkeit vorkommt. Schließlich hatte er von Kind an gasförmigen Schwefel eingeatmet und hin und wieder geschmolzenes Kupferchlorid getrunken.

II

Roger Wing beispielsweise hätten Kens Ansichten einen gelinden Schock eingejagt. Seine Sympathien gehörten eindeutig der Erde, zumindest jenem kleinen Teil, den er kannte. Zu Recht, denn die Gegend um den Lake Pend Oreille ist besonders im Frühling und Sommer von großem Reiz. Der See im Juni, das war ein Anblick, auf den man sich immer wieder freuen konnte. Den ganzen Weg von Lake Hayden herauf stritten sich die Kinder lautstark, wer wohl als erster das Ear Drop genannte Ende erspähen würde. Obwohl sie diesmal bloß zu viert waren, ging es so lärmend zu wie immer, denn Donald, der heute nicht dabei war, hatte zu dem Getöse ohnehin nie beigetragen. Roger, dank der Abwesenheit des Bruders der Älteste in der Runde, war entschlossen, die Gelegenheit nach besten Kräften zu nützen. Um so mehr, als sie nur noch fünfzig Kilometer zu fahren hatten. Don wollte mit einem Freund nach Sandpoint fliegen und dort mit der Familie zusammentreffen.

Alles in allem eine sehr fröhliche Gesellschaft. Die Eltern auf den Vordersitzen versuchten mit mäßigem Erfolg, für Ruhe zu sorgen. Zum Glück ist die von Cœur d'Alene aus nach Norden führende Straße in gutem Zustand, so dass das Getümmel hinten im Wagen nicht weiter gefährlich war. Als bei Cocolalla der rechte Hinterreifen seinen Geist aufgab, kam es zu der einzigen Unterbrechung von Bedeutung. John Wing brachte den überladenen Kombi mühsam zum Stehen, und Roger stieg der Schwefelgestank von versengtem Gummi in die Nase. Es sollte für ihn im Laufe des Sommers ein vertrauter Geruch werden.

Nach diesem Zwischenfall verhielten sich die Kinder eine Spur gesitteter. Sie sahen es ihrem Vater an, dass er mit seiner Geduld fast am Ende war. Aber ganz ruhig war es während der Fahrt nie. Die Dammstraße über die Spitze von Pend Oreille wurde mit Jubel begrüßt. Das Geschrei verebbte nur vorübergehend, während Mr. Wing in Sandpoint einen neuen Reifen erstand. Dann ging es weiter zu dem kleinen Flugplatz am Stadtrand, und das Geschrei schwoll erneut an, als die Kinder ihren ältesten Bruder auf dem Rasen neben einer Sportmaschine stehen sahen.

Er war groß und schlank. Die dunklen Haare und Augen und das schmale Gesicht hatte er von seinem Vater. Roger, der seit September um ein gutes Stück gewachsen war, stellte zu seinem Kummer fest, dass Donald ihn noch immer um einen halben Kopf überragte. Der Überschwang der Begrüßung wurde dadurch nicht beeinträchtigt. Don begrüßte seinen Vater und Roger mit einem Händedruck, küsste seine Mutter und seine Schwestern und hob den sechsjährigen Billy auf die Schulter. Nein, der Flug von Missoula her war ohne Zwischenfall verlaufen. Ja, die Abschlussnoten waren gut, wenn auch nicht absolute Spitze. Nein, er hatte außer seiner Reisetasche kein Gepäck dabei, die Gewichtsbeschränkungen bei Sportmaschinen waren sehr streng. Weitere Fragen wollte er unterwegs beantworten. Er warf Roger seine Tasche zu und ging mit Billy auf der Schulter zum Wagen. Nachdem die Kinderschar sich mehr oder weniger bequem hineingezwängt hatte, ging die Fahrt weiter.

Von Sandpoint aus nach Norden. Die Abzweigung ostwärts nach Kootenai. Um das Nordende des fragezeichenförmigen Sees nach Hope und weiter nach Clark Fork. Dort wurde der Wagen in einem Mittelding aus Lagerhaus und Garage abgestellt.

Don und Roger verschwanden, um mit einer eindrucksvollen Herde von Pack- und Reitpferden wiederzukommen. Die Behändigkeit, mit der die Familie in den Sattel stieg, zeugte von großer Übung. Nach einem Abschiedswinken, das ihren Bekannten galt, die sich eingefunden hatten, ging es nordwärts in die Wälder.

Donald lächelte seinem Vater zu, als das Städtchen hinter ihnen zurückblieb.

»Na, was glaubst du, wie viel Campingurlauber es in diesem Jahr geben wird?«

»Schwer zu sagen. Wer uns kennt, der lässt uns ohnehin in Ruhe, und Fremde habe ich in der Stadt nicht gesehen. Leider tauchen Prospektoren meist dann auf, wenn man sie am wenigsten erwartet. Gegen ehrliche Goldsucher habe ich ja gar nichts. Die sind für uns die beste Tarnung. Sorgen machen mir vielmehr diejenigen, die von unserem ›Fund‹ mitnaschen wollen. Ihr Jungs werdet wie immer Pfadfinder spielen – obwohl ich Don diesmal bei mir haben möchte. Falls du deine Chemielektionen gut gelernt hast, mein Sohn, könntest du mir helfen, ein oder zwei Probleme zu lösen. Falls Don wirklich mit mir zusammen geht, Roger, dann trägst du eine größere Verantwortung als sonst.« Der Junge nickte. Seine Augen glänzten.

Ganz allmählich war ihm aufgegangen, wie unterschiedlich seine eigene Familie und die seiner Schulkameraden den Sommer verbrachten. Zunächst hatten die Erzählungen von Ferien auf Ranches, an Meeresstränden und im Gebirge seinen Neid geweckt. Dann hatte er angefangen, mit seinen eigenen Bergferien zu prahlen. Als ihm schließlich klar wurde, dass bestimmte Aspekte dieser Ferien in den Bergen von einer Aura der Geheimhaltung umgeben waren, war sein Stolz stärker gewesen als seine Zurückhaltung – bis ihm allerdings auch klargeworden war, dass seine Schulkollegen ihm einfach nicht glaubten, dass sein Vater ›eine geheime Mine in den Bergen‹ hatte. Gekränkt hatte er hinfort den Mund gehalten, und bis ihm ein überzeugendes Argument eingefallen war, war ihm auch bewusst geworden, dass Schweigen für alle Beteiligten vielleicht das Beste war.

Es war jener Frühling gewesen, in dem er zehn Jahre alt geworden war. Sein Vater hatte von der Geschichte irgendwie gehört und hatte sich aus irgendeinem Grund gefreut. In jenem Sommer hatte er Roger in die Verantwortung miteinbezogen, die bislang Don ganz allein getragen hatte, der das Gelände rund um ihr Sommerhaus vor und während Mr. Wings Ausflügen in die Berge genau durchforschen musste. Der Fund war Vaters ureigenes Geheimnis, das hatte er ihnen selbst gesagt, und aus Gründen, die er ihnen später einmal erklären wollte, sollte es auch so bleiben.

In jenem und den zwei darauffolgenden Sommern hatte er seine Ausflüge allein unternommen. Jetzt sah es ganz so aus, als würde es bald eine Änderung geben. Roger wusste, dass Don im vorigen Herbst, kurz bevor er ans College gegangen war, einiges erfahren hatte. Er hatte seine Studienfächer zum Teil auf Grund dieser Informationen gewählt – Chemie, Astronomie und Mathematik. Chemie, das leuchtete Roger noch ein, aber was die anderen Fächer sollten, das begriff er nicht. Im Zusammenhang mit Goldsuche erschien ihm Astronomie von höchst zweifelhaftem Wert.

Nun, dies alles würde er mit der Zeit herausfinden. Vielleicht sogar früher, als Don es erfahren hatte, denn es sah so aus, als würde ihr Vater endlich die Schranken abbauen. Im Moment bestand sein größtes Problem darin, sich einen Weg auszudenken, wie ein einziger Junge sich Überblick darüber verschaffen konnte, wer sich dem Sommerhaus bis auf eine Meile aus jeder Richtung näherte – und aus bestimmten Richtungen noch näher herankam. Roger kannte die Topographie der Umgebung recht gut. Trotzdem legte er sich jetzt schon eine Reihe von Erkundungsstreifzügen zurecht, da er sich über manche Punkte mehr Gewissheit verschaffen wollte. Er war ein junger Mann, der die Dinge ernst nahm, wenn sie ihm in diesem Licht präsentiert wurden.

Wie alle seine Altersgenossen neigte er aber auch dazu, seinen momentanen Interessen nachzugeben. Und er wurde aus seinen Überlegungen herausgerissen, als Edith ihn mit einem über die Schulter nach hinten geworfenen Tannenzapfen im Gesicht traf. Sie platzte vor Lachen heraus, als er sich vergeblich nach einem Mittel zur Vergeltung umsah – es gab offenbar in Reichweite keine Zapfen mehr, und der Pfad war an dieser Stelle so schmal, dass die Pferde hintereinander gehen mussten. Das Packpferd, das seine Schwester am Zügel führte, bildete ein unüberwindliches Hindernis.

»Wach auf und reiß dich aus deinen Träumen los«, stieß Edith zwischen Lachkrämpfen hervor. »Du siehst aus, als sei dir eingefallen, dass du deine Lieblingsangelrute in Spokane vergessen hast!«

Roger nahm sofort eine überlegene Haltung ein. »Ihr Mädchen habt bis September praktisch nichts zu tun«, erklärte er. »Es ist aber jede Menge Männerarbeit zu erledigen, und ich habe eben überlegt, wie man die Sache am besten angeht.«

»Männerarbeit?« Edith zog in gespieltem Erstaunen die Brauen hoch. »Dad hat zu tun, das weiß ich, aber du?« Sie wusste genau, worin Rogers Ferienpflichten bestanden, hatte aber ganz bestimmte Gründe für ihre Äußerung. »Für die paar Patrouillengänge ums Haus braucht man einen Mann?«

Roger gab sich einen Ruck. »Na, ein Mädchen brächte das jedenfalls nicht fertig«, erwiderte er. Die Worte waren kaum ausgesprochen, als er sie schon bereute. Ihm blieb keine Zeit, sich einen Ausweg aus der Ecke zurechtzulegen, in die er sich mit seiner Feststellung manövriert hatte.

»Beweis!«, erwiderte Edith leise. Roger versetzte sich im Geiste selbst einen Tritt. Sie hatte es darauf angelegt. Die Familienregel forderte, dass jede von einem Familienmitglied geäußerte Feststellung mit einem Beweis untermauert werden musste, falls ein anderes Familienmitglied es verlangte – eine Regel, die Wing senior dank weiser Voraussicht eingeführt hatte. Da er von bedächtiger Wesensart war, war er dieser Regel selbst nur selten zum Opfer gefallen.

»Jetzt musst du mich einen Versuch machen lassen«, bemerkte Edith, »und du wirst mir einiges beibringen müssen. Aus Gründen der Fairness wirst du auch Margie versuchen lassen müssen …« Diese letzte Bemerkung äußerte sie hauptsächlich der Explosivwirkung wegen. Roger fiel fast aus dem Sattel, aber noch ehe er etwas sagen konnte, hatte er eine Idee. Warum sollten die Mädchen nicht mithelfen? Er konnte ihnen zeigen, was er und Don immer gemacht hatten, und vielleicht entwickelten sie eigene Ideen dabei. Rogers männlicher Stolz machte ihn keineswegs blind gegenüber der Tatsache, dass Mädchen im allgemeinen und seine Schwestern im besonderen über Köpfchen verfügten. Edie und Marge konnten reiten und hatten keine Angst vor Wäldern. Alles in allem konnten sie sehr nützliche Hilfskräfte abgeben. Edith stand ihm altersmäßig so nahe, dass er sie unmöglich als zu jung einstufen konnte, und sogar die Achtjährige hatte so viel Verstand, dass sie sich ruhig verhielt, wenn absolute Stille angebracht war, und dass sie sich Anordnungen fügte, wenn Widerspruch unklug gewesen wäre.

»Na schön. Ihr könnt es mal versuchen.« Roger brachte seine Überlegungen zu einem Ende. »Dad ist es sicher recht, und Mutter ist es einerlei, solange die Hausarbeit erledigt wird. Heute Abend können wir die Sache besprechen.«

Das Gespräch glitt auf andere Themen über, während die Karawane flussaufwärts zog. Zwei bis drei Stunden nachdem sie Clark Fork hinter sich gelassen hatten, querten sie den Fluss und hielten Richtung Osten auf die Grenze von Montana zu. Als sie endlich das ›Sommerhaus‹ erreichten, lagen immer noch einige Stunden Tageslicht vor ihnen.

Man konnte es kaum ein Landhaus nennen. Auf einem steilen Abhang unterhalb der Waldgrenze erbaut, bot es genügend Raum für die Familie, ohne dass man sich zusammendrängen musste. Es verfügte über ein von einem Benzinmotor betriebenes eigenes Stromaggregat, eine mehr oder weniger begrenzte Wasserversorgung aus einer weiter oben gelegenen, befestigten Quelle und gab Zeugnis von Mr. Wings Glück oder Geschick bei der Goldsuche, die als seine Einkommensquelle galt.

Ein Stück unterhalb des Hauses stand ein zweiter Bau, ein Mittelding zwischen Vorratskammer und Stall. Beide Häuser waren solide gebaut und hatten in den harten Wintern des Nordwestens keinen Schaden genommen. Das Wohnhaus stand auf felsigem Untergrund, die Wände waren gut isoliert. Die Familie hätte ohne weiteres das ganze Jahr über hier leben können. Den Eltern schwebte ohnedies etwas in dieser Richtung vor, sobald die Kinder alle die Schule absolviert hätten.

Das Erdgeschoss wurde von einem großen Raum eingenommen, der als Speisezimmer und Aufenthaltsraum diente. An dem einen Ende lag die Küche, am anderen ein Schlafraum. Die Treppe neben der Küchentür führte hinunter in einen Keller, in dem Werkbänke standen. Darauf lag ein Durcheinander von Holzarbeiten und Radioelementen. Hier wurden auch die verschiedenen Spiele aufbewahrt. Die Treppe ins Obergeschoss lag am anderen Ende. Oben gab es sechs kleinere Räume, je eine Schlafkammer für jedes Kind und dazu eine Art Abstellraum für alte Möbel und Gerümpel, Dinge, die im Laufe der Jahre irgendwo untergebracht werden mussten.

Die Wings saßen vor der Veranda ab, die sich über die ganze Länge des Hauses erstreckte, und machten sich sofort an ihre verschiedenen Arbeiten. Mrs. Wing und die Mädchen sperrten die Haustür auf und verschwanden im Haus. Billy schraubte die Läden an den leicht zugänglichen Fenstern auf und entfernte sie – es waren die Fenster, die auf die Veranda hinaussahen, und die im Obergeschoss auf der Hangseite. Mr. Wing und Donald hoben die Lasten von den Packtieren, während Roger die Reitpferde hinunter zum Stall führte, wo er ihnen die Sättel abnahm und sie fütterte.

Bei Sonnenuntergang machte das Haus bereits einen bewohnten Eindruck. Alle hatten gegessen, das Geschirr war gespült, Billy und Marjorie waren zu Bett gebracht worden, und die übrigen Familienmitglieder hatten sich für ein paar Minuten zum Entspannen im großen Raum zusammengesetzt. Es hatte eine Debatte darüber gegeben, ob im Kamin Feuer gemacht werden solle, und die Entscheidung war zugunsten des Feuers gefallen, nicht so sehr der Temperatur wegen, obwohl im Gebirge auch ein Juniabend kühl sein kann, sondern weil es gemütlicher war, vor einem Feuer zu sitzen.

Die Eltern hatten ihre angestammten Plätze beiderseits des gemauerten Kamins eingenommen. Donald, Roger und Edith lagen dazwischen auf dem Teppich. Roger hatte eben den Vorschlag geäußert, dass die Mädchen bei der Pfadfinderarbeit mitmachen sollten. Sein Vater überlegte kurz.

»Kennt ihr euch in allen Richtungen aus, nicht nur dort, wo es zur Ortschaft geht?«, fragte er Edith.

»Sicher nicht so gut wie die Jungs, aber die mussten es ja auch erst mal lernen«, entgegnete sie.

»Das ist richtig. Ich möchte nicht, dass ihr verlorengeht, und hinzu kommt, dass man Mutter nicht zumuten kann, alles im Haus allein zu machen. Aber Roger scheint ja unbedingt etwas beweisen zu wollen. Deswegen wollen wir die Sache wie folgt regeln: Es wird eine Woche oder zehn Tage dauern, bis ich zum ersten Mal hinausgehe. Während dieser Zeit werdet ihr beide gemeinsam eine brauchbare Karte des Geländes ums Haus anfertigen, und zwar bis zu einer Entfernung von vier Kilometer. Darüber hinaus werdet ihr einen Stundenplan für die Kontrollgänge erstellen. Edie muss dabei für die Hausarbeit Zeit bleiben, so dass Mutter auf ihre Rechnung kommt. Margie darf sich euch anschließen, darf aber allein nicht über die Sechshundert-Meter-Markierungen hinaus. Für die Jüngsten gelten noch immer die alten Regeln. Das alles unterliegt natürlich Ergänzungen und Änderungen, die eure Mutter vielleicht für notwendig hält.« Er sah lächelnd zu seiner Frau hinüber, die ihm zunickte.

»Mir soll es recht sein. Roger hat ja ein paar zusätzliche Pflichten übernommen, glaube ich. Sollten die nicht unter dem letzten Punkt untergebracht werden?«

»Sehr vernünftig. Nun, passt es dir, Roger? Edie? Na schön. Zeit fürs Bett. In den nächsten Tagen werdet ihr hübsch auf Trab sein.«

Die zwei Jüngeren schnitten Gesichter, gehorchten aber. Don und die Eltern blieben noch sitzen. Sie unterhielten sich leise bis spät in die Nacht. Die vier anderen Kinder schliefen bereits seit Stunden, als Donald schließlich die Treppe zu seinem Zimmer hinaufstieg, doch verhielt er sich deswegen nicht weniger vorsichtig. Er hatte keine Lust, den Rest der Nacht Rogers Fragen auszuweichen, der sicher wissen wollte, was unten besprochen worden war.

Trotz der Anstrengungen, die der vergangene Tag mit sich gebracht hatte, war die Familie am nächsten Morgen früh auf den Beinen. Als ›besonderen Gefallen‹, den er seinem jüngeren Bruder erwies, erbot Donald sich, die überflüssigen Pferde zurück in den Ort zu bringen – die Wings hielten sich nur ein paar Pferde beim Sommerhaus, da es Schwierigkeiten mit dem Futter gab. Damit war der Jüngere frei und konnte sich dem Anfertigen der Landkarte widmen, sobald er die Läden von den Fenstern im Oberstock entfernt hatte. Edith musste Geschirr und Kochutensilien säubern, da am Abend zuvor nur das Allernötigste fürs Abendessen gespült worden war. Roger überwand eine etwaige Abneigung gegen Frauenarbeit und half mit. Die Sonne stand noch ganz niedrig, als sie auf die Veranda heraustraten, sich kurz umblickten und sodann den Hang hinterm Haus erklommen.

Der Junge hatte einen kleinen Pfadfinderkompass und ein Stahlmaßband bei sich, das er im Bastelraum im Untergeschoss gefunden hatte. Seine Schwester war mit einem Schulheft bewaffnet, das noch ein paar leere Seiten hatte. Dank der Anleitungen seines Vaters und eines Jahres bei den Pfadfindern war Roger überzeugt, er könne mit dieser Ausrüstung eine brauchbare Karte des angegebenen Gebietes anfertigen. Dem Problem der Höhenlinien hatte er dabei keinen ernsthaften Gedanken gewidmet.

So hoch das Haus der Wings auch lag, es ging dahinter noch ein hübsches Stück bergauf. Die beiden jungen Leute legten gern eine Rast ein, als sie ganz oben angekommen waren. Und sie sahen sich ebenso gern die Aussicht an, die sich ihnen bot, obwohl es für sie ein vertrauter Anblick war.

Die Gipfel der Cabinets erstreckten sich in alle Richtungen außer nach Westen. Die Erhebung, die die Kinder erklommen hatten, war nicht so hoch, dass man allzu weit hätte sehen können, doch der Pend Oreille war im Südwesten teilweise sichtbar, und im Südosten war die Spitze des Snowshoe Peak leicht zu erkennen. Streng genommen gab es keine deutliche Waldgrenze. Die meisten Gipfel schafften es aber, wenigstens ein paar hundert Meter nackten Fels emporzurecken. Die unteren Hänge waren mit Wald bedeckt, größtenteils mit Douglas-Fichten, die im pazifischen Nordwesten vorherrschen. Ein, zwei relativ kahle Stellen, Reste der Waldbrände vom Vorjahr, waren vom Standpunkt der Kinder aus sichtbar.

Innerhalb der von Mr. Wing festgelegten Entfernung gab es etliche Punkte, die aussahen, als wären sie als Bezugspunkte zu verwenden. Roger holte den Kompass hervor und fing an, diese Punkte anzupeilen. Edith fertigte bereits eine Freihandskizze der Umgebung an, auf der die Peilungen eingetragen wurden. Die Entfernungen mussten später ergänzt werden. Roger kannte weder die Höhe des eigenen Standpunkts noch jene der Punkte, die er vermaß, und hätte er sie gekannt, dann hätte er damit nichts anfangen können. Trigonometrie war ihm unbekannt, und er hatte nicht die Möglichkeit, negative Geländewinkel zu bestimmen.

III

Die Station auf Planet Eins war entschieden eine höchst primitive Einrichtung, obgleich man merkte, wie viel technischer Aufwand erforderlich gewesen war, um sie überhaupt bewohnbar zu machen. Sie lag am Grund eines tiefen Tales nahe dem Mittelpunkt der sonnenseitigen Hemisphäre des Planeten, wo die Temperatur um vierhundert Grad Celsius lag. Das hätte ausgereicht, um den Schwefel zu verflüssigen, der den Hauptbestandteil der Atmosphäre bildete, die Kens Artgenossen brauchten. Die zusätzlichen hundert Grad hatte man gewonnen, indem man die Talhänge terrassierte und die einzelnen Stufen entsprechend schräg anlegte und sie mit Eisen auslegte. Die dunkle Metallkuppel der Station befand sich im Brennpunkt eines gigantischen Konkavspiegels. Zwischen der Winkelgröße der Sonne und der tatsächlichen Größe der Kuppel verschob die Sonnenlibration den Brennpunkt nie so stark, dass es eine Rolle gespielt hätte.

Das interstellare Fluggerät landete auf einer glatten Felsplatte neben der Kuppel. Besondere Landeanlagen gab es nicht. Ken musste beim Verlassen des Schiffes seinen Vakuumanzug anziehen. Einige andere in Raumanzüge gehüllte Gestalten standen mit ihm in der Luftschleuse. Vermutlich gingen die meisten, wenn nicht gar alle, Besatzungsmitglieder ›an Land‹, obwohl es sich vielleicht gar nicht um Besatzung handelte. Denn ein Schiff der Klasse der Karella konnte von einem einzigen betrieben werden. Er fragte sich schon, ob dies zu den Sicherheitsbestimmungen auf fremden Planeten gehörte; auf dem kurzen Weg vom Schiff zur Kuppel sah er sich sorgfältig um, konnte aber keine Abwehrwaffen entdecken. Die Stationsbesatzung hatte offenbar keinen Angriff zu befürchten. Und wenn es diesen Außenposten wirklich schon seit zwanzig Jahren gab, wie behauptet worden war, dann mussten die ja Bescheid wissen.