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Der geheime Auftrag E-Book

Marco Malvaldi

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Beschreibung

Ein Mailand voller Geheimnisse. Ein toter Münzfälscher. Ein unerwarteter Auftrag für Leonardo da Vinci.

Leonardo da Vinci, der als genialer Künstler schon weit über die Alpen hinweg berühmt ist, sitzt in der Klemme: Ludovico Sforza, Herzog von Mailand und sein wichtigster Auftraggeber, fordert ihn auf, den Tod eines Münzfälschers schnellstmöglich aufzuklären. Sollte Leonardo dieser »Bitte« nicht nachkommen, könnte man seine nächtlichen Leichenstudien nicht länger geheim halten. In Sorge, an den Pranger gestellt zu werden, macht sich Leonardo an die Ermittlungen. Doch er ahnt schon bald, dass er mit der Lösung des Falls auch selbst in Verdacht geraten wird …

Der Bestsellerautor Marco Malvaldi erweckt das Mailand der Renaissance mit seinen Intrigen am Hof, den neuesten Errungenschaften des Kreditwesens sowie dem epochalen Streben nach Erkenntnis mit erzählerischer Kraft anschaulich zum Leben. Mit spannenden Details und erfrischendem Humor zeigt er das Universalgenie Leonardo in einem neuen Licht.

»Ein faszinierender, kenntnisreicher aber auch sehr humorvoller historischer Roman!« Rai Cultura

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Ein Mailand voller Geheimnisse. Ein toter Münzfälscher am Hof von Ludovico Sforza. Ein unerwarteter Auftrag für Leonardo da Vinci.

Leonardo da Vinci, der als genialer Künstler schon weit über die Alpen hinweg berühmt ist, sitzt in der Klemme: Ludovico Sforza, Herzog von Mailand und sein wichtigster Auftraggeber, fordert ihn auf, den Tod eines Münzfälschers schnellstmöglich aufzuklären. Sollte Leonardo dieser »Bitte« nicht nachkommen, könnte man seine nächtlichen Leichenstudien nicht länger geheim halten. In Sorge, an den Pranger gestellt zu werden, macht sich Leonardo an die Ermittlungen. Doch er ahnt schon bald, dass er mit der Lösung des Falls auch selbst in Verdacht geraten wird … 

Der Bestsellerautor Marco Malvaldi erweckt das Mailand der Renaissance mit seinen Intrigen am Hof, den neuesten Errungenschaften des Kreditwesens sowie dem epochalen Streben nach Erkenntnis mit erzählerischer Kraft anschaulich zum Leben. Mit spannenden Details und erfrischendem Humor zeigt er das Universalgenie Leonardo in einem neuen Licht.

Marco Malvaldi, geboren in der Toskana, hat Chemie studiert und arbeitete zunächst als Wissenschaftler. 2007 veröffentlichte er seinen ersten Toskana-Krimi mit dem Barbesitzer Massimo der »Bar Lume«, der sofort zu einem großen Bestseller wurde. Zahlreiche weitere erfolgreiche Bände folgten. Sein Roman über Leonardo da Vinci, für den der Autor jahrelang recherchierte, stand in Italien monatelang an der Spitze der Bestsellerlisten und fand auch international große Beachtung.

»Ein faszinierender, kenntnisreicher aber auch sehr humorvoller historischer Roman!« Rai Cultura

»So wurde Leonardo da Vinci noch nie beschrieben: geistreich, humorvoll und äußerst nahbar.« La Repubblica

»Charmant und klug bringt uns Malvaldi die einzigartige Denkweise des Universalgenies Leonardo Da Vinci näher!« La Nazione

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MARCO MALVALDI

DER

GEHEIME

AUFTRAG

Roman

Aus dem Italienischen von Verena von Koskull

C. Bertelsmann

Die Originalausgabe erschien 2018

unter dem Titel La misura dell’uomo

bei Giunti Editore, Mailand.

Die Übersetzung dieses Buches wurde vom italienischen Ministerium für auswärtige Angelegenheiten und internationale Zusammenarbeit gefördert.

Questo libro è stato tradotto grazie ad un contributo alla traduzione assegnato dal Ministero degli Affari Esteri e della Cooperazione Internazionale italiano.

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Copyright © der Originalausgabe 2018 by Giunti Editore S.p.A., Firenze-Milano

www.giunti.it

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2021

C. Bertelsmann in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Lektorat: Claudia Franz

Abbildung[>>]: Rekonstruktion des Castell der Sforza in Mailand © 2021 De Agostini Picture Library/Scala, Firenze

Umschlaggestaltung: bürosüd

Umschlagabbildungen: akg-images/viennaslide/Harald A. Jahn; Trevillion Images/Evelina Kremsdorf;www.buerosued.de

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-25147-5V001

www.cbertelsmann.de

Für Giovanna Baldini,

Luisa Sacerdote,

Marcella Binchi,

Lia Marianelli

Für alle Lehrer staatlicher Schulen

DRAMATIS PERSONAE

DIE WERKSTATT

Leonardo di ser Piero da Vinci: Maler, Bildhauer, Architekt, Konstrukteur bei Hofe und der Fantasterei durchaus zugetan. Kurz gesagt, ein Genie.

Gian Giacomo Caprotti genannt Salaì: Werkstattjunge bei Leonardo, Lieblingsschüler, Dieb, Lügner, Sturkopf, Gierschlund. Aber er hat auch Schwächen.

Marco d’Oggiono Zanino da Ferrara, Giulio il Tedesco: weitere Schüler des Genies da Vinci.

Rambaldo Chiti: Leonardos Ex-Schüler und für ihn leider auch in vielerlei anderer Hinsicht ex.

Caterina: liebevolle Mutter Leonardos. Eine Frau, die von vielen, allzu vielen Sorgen um unseren Protagonisten geplagt wird und sich gleichwohl ihre Offenherzigkeit bewahrt.

DER HOF

Ludovico il Moro: Herzog von Bari und Herr von Mailand, ein Meter neunzig und von machiavellistischer Statur, unehelicher Sohn des Francesco Sforza. Er ist sich nicht sicher, was besser ist: befehlen oder bescheißen, aber beides bereitet ihm reichlich Freude.

Francesco Sforza: Seit über siebenundzwanzig Jahren mausetoter, aber allgegenwärtiger Vater Ludovico il Moros. Ihm zu Ehren gilt es ein gargantueskes bronzenes Reiterstandbild anzufertigen.

Giacomo Trotti: Botschafter, Auge und Ohr Ercoles I. d’Este, des Herzogs von Ferrara. Nunmehr in die Jahre gekommener, versierter Deuter des Hoflebens. Vielleicht auch ein bisschen Spion, aber dafür wird er schließlich bezahlt.

Beatrice d’Este: Tochter des Herzogs von Ferrara und Frau Ludovico il Moros, von fetter Gestalt und ebensolcher Mitgift, naiv, aber nicht naiv genug, um das vielfache Röckerascheln auf den Fluren des Kastells nicht zu bemerken.

Ercole Massimiliano: frischer Spross des Moro und Beatrices. Erst zwei Jahre alt, aber bereits adelig.

Teodora: Amme des kleinen Ercole Massimiliano.

Maximilian von Habsburg: Wiener, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Er tritt zwar nicht persönlich auf, scheint aber trotzdem allgegenwärtig.

Bianca Maria Sforza: Ludovico il Moros Nichte, Maximilian zum bevorstehenden Weihnachtsfest als Braut versprochen.

Lucrezia Crivelli: Ludovico il Moros aktuelle Geliebte. Leonardo wird sie in dem Gemälde La Belle Ferronnière verewigen, aber sagt es nicht weiter.

Galeazzo Sanseverino: Herzog von Caiazzo und Voghera, Ludovicos hochvertrauter Schwiegersohn, Mann der Tat und der eisernen Hand. Von den drei Galeazzi im Roman ist er der wichtigste.

Bianca Giovanna Sforza: seine Frau, uneheliche Tochter Ludovico il Moros.

Ambrogio Varese da Rosate: Hofastrologe, in Purpur gewandet. Fachmann der Sternenbewegungen und emsiger Verfasser von Zukunftsprognosen. Bei Vorhersagen gehe es darum, ein Ereignis oder ein Datum vorherzusagen, heißt es, doch niemals beides gleichzeitig.

Pietrobono da Ferrara: direkter Widersacher von Varese da Rosate.

Bergonzio Botta: Steuereintreiber des Herzogs von Mailand.

Marchesino Stanga: Verwalter der höfischen Finanzen, Zahlmeister und Nervensäge.

Bernardino da Corte: Kastellan.

Remigio Trevanotti: Diener.

Ascanio Maria Sforza Visconti: Kardinal, Ludovico il Moros Bruder. Damals gab es für Interessenkonflikte noch kein Gesetz.

Gian Galeazzo Maria Sforza: als Sohn von Ludovicos älterem Bruder Galeazzo Maria, der einige Jahre zuvor ermordet worden war, rechtmäßiger Herzog von Mailand. Nachdem Onkel Ludovico im Guten versucht hat, an seiner statt zu regieren und ihm zur Hochzeit das »Paradiesfest« mit der von Leonardo höchstselbst inszenierten spektakulären Kosmologie spendierte, hat er ihn schließlich gnädig im Castello Vigevano weggesperrt.

Isabella von Aragòn: seine Braut. Man sieht sie nie, und das ist auch besser so.

Bona di Savoia: Galeazzo Marias Frau, Mutter von Gian Galeazzo Maria Sforza sowie Regentin des Herzogtums Mailand, bis Ludovico sie in den Turm des Kastells sperrt, der ihren Namen trägt.

Cicco Simonetta: ihr höchst vertrauter Berater und tüchtiger Staatsmann, den seine Treue (in nicht übertragenem Sinn) den Kopf kostet.

Catrozzo: Hofzwerg von gewissem Format, mehrsprachig. Zotig, wie es sich für einen waschechten Possenreißer gehört.

PALAZZO CARMAGNOLA

Cecilia Gallerani: hochgebildet und feinsinnig, von Ludovico, der sie zu seiner blutjungen Favoritin machte, vor dem klösterlichen Schicksal gerettet. Kaum erfuhr er, dass er sie geschwängert hatte, beeilte er sich, sie dem Grafen Carminati e Brambilla, genannt Bergamini, zur Frau zu geben. Sie ist die Dame mit dem Hermelin, die wir noch heute in Krakau bewundern dürfen.

Cesare Sforza Visconti: unrechtmäßiger Sohn Ludovicos und Cecilias. Obwohl er kaum zwei Jahre zählt, ist er bereits mit so manchen Gütern gesegnet: Zur Geburt hat der Vater ihm den Palazzo Carmagnola geschenkt – in dem heute das Mailänder Piccolo Teatro seinen Sitz hat.

Tersilla: Cecilia Galleranis fröhliche und redselige Gesellschafterin.

Corso: Cecilia Galleranis Kammerdiener.

DIE FRANZOSEN

Seine Allerchristlichste Majestät Karl VIII.: König von Frankreich von schwachem Körper und Verstand. Ohne je an einer Schlacht teilgenommen zu haben, schwafelt er gern davon, in den Krieg zu ziehen, Italien zu überrennen und Neapel zu erobern. Wie heißt es so schön: Hannemann, geh du voran!

Louis de Valois: Herzog von Orléans, sein Cousin, zukünftiger Feldherr im Eroberungsfeldzug gegen das Königreich Neapel mit heimlichen Ansprüchen auf das Herzogtum Mailand (mit der Begründung, dass Valentina Visconti seine Großmutter ist).

Philippe, Herzog von Commynes: französischer Gesandter in Italien, der mit dem Herzog von Orléans unter einer Decke steckt.

Robinot und Mattenet: der Hässliche und der Schöne. Linkische Handlanger des Herzogs von Commynes, auf geheimer Mission in Mailand.

Perron de Basche: ursprünglich aus Orvieto, später Botschafter im Dienst seiner Allerchristlichsten Majestät Karl VIII. und des Herzogs von Orléans.

Carlo Barbiano di Belgioioso: Ludovico il Moros Botschafter am französischen Hof.

Josquin Desprez: Herzoglicher Sänger im Dienste des Moro, ein Musikgenie vom Scheitel bis zum Kontrapunkt.

DIE KAUFLEUTE

Accerrito Portinari: fettleibiger Vertreter der Bank der Medici, gierig nach Filet und Zaster.

Bencio Serristori: Messer Accerritos Teilhaber, emsiger Arbeiter, außer an den gebotenen Feiertagen.

Antonio Missaglia: namhafter Waffenschmied, Eisendesigner und Freund Leonardos.

Giovanni Barraccio: Wollhändler.

Clemente Vulzio, Candido Bertone, Riccetto Nannipieri und Ademaro Costante: Händler von Wolle, Seide, Nadeln und Alaun mit Kreditforderungen an die Banco Medici.

DIE GEISTLICHEN

Francesco Sansone da Brescia: General des Franziskanerordens.

Giuliano da Muggia: Franziskanerprediger

Diodato da Siena: Prior der Jesuaten (der heute verschwundenen Kongregation der Armen Brüder Jesu von San Girolamo), eiserner Hirte seiner Herde.

Gioacchino da Brenno: Jesuatenbruder und unnachgiebiger Prediger, Volksredner und Unruhestifter.

Eligio da Varramista: Jesuat und sachverständiger Grafologe, da Fachmann für Wechsel und Kreditbriefe, auf dem Weg nach Mailand zum Glauben übergetretener Ex-Bankier.

Giuliano della Rovere: Kardinal, der die Wahl seines Rivalen Borgia zum Papst Alexander VI. noch nicht verdaut hat.

Das Talent gleicht dem Schützen, der ein Ziel trifft, welches die übrigen nicht erreichen können;

das Genie dem, der eins trifft, bis zu welchem sie nicht einmal zu sehen vermögen.

Arthur Schopenhauer

Prolog

Der Mann hielt kurz inne, ehe er eintrat.

Überflüssig, sich umzublicken, ob ihm jemand gefolgt war. Der Eingang des Kastells lag an einer feuchten, dunklen Straße in einem uralten Teil Mailands, der nur durch weitere feuchte, dunkle Straßen zu erreichen war, und selbst wenn ihm jemand nachgeschlichen wäre, hätte dieser ihn trotz seines leuchtend rosa Gewandtuches schon längst aus den Augen verloren.

Ehrlich gesagt, fürchtete er selbst manchmal, sich zu verlaufen. Es war bereits vorgekommen, dass er im Gewirr der alten Gassen rings um das Kastell die Orientierung verloren hatte. Teils war das freilich ihm selbst zuzuschreiben, denn mit seinem Orientierungssinn war es nie weit her gewesen. Doch lag es auch an dieser Stadt, die völlig planlos und willkürlich ins Kraut geschossen war. Sie gehörte von Grund auf neu durchdacht. Völlig anders organisiert. Komplett anders. Gänzlich neu. Eine Stadt auf mehreren Ebenen beispielsweise. Von unten nach oben, vom Wasser zum Himmel. Eine Stadt, die das Gegenteil eines Hauses ist und in der die Armen in der Luft und die Herren am Boden leben wie auf den in Vitruvs Buch beschriebenen römischen Inseln. Francesco di Giorgio hatte recht daran getan, es aus dem Lateinischen zu übersetzen, das war der Mühe allemal wert gewesen. Eine famose Anschaffung, dieses Buch. Zwar hatte es ihn ein Vermögen gekostet, ihn aber auch auf eine Menge Ideen …

Der rosa gekleidete Mann zuckte hoch und wurde gewahr, dass er sich verirrt hatte – jedoch nur in seinen Gedanken. Das widerfuhr ihm häufig und bescherte ihm die weitaus beste Zeit des Tages. Jetzt war allerdings nicht der rechte Moment, sich in Tagträumen zu verlieren. Es gab zu tun.

Ruhig, doch keineswegs gelassen, klopfte der Mann an das Tor. Ein Quietschen verriet, dass ihm geöffnet wurde, und gleich darauf hob sich das trübe Eingangskabuff fast strahlend gegen die tintige Finsternis der Straße ab.

Zwei knappe Worte.

»Tretet ein.«

Der Mann trat ein und ließ das Dunkel hinter sich.

Anfang

Das Erste, was beim Betreten des Ratssaales auffiel, war das schummerige Licht.

Obwohl kaum Mitte Oktober, war es in Mailand bereits kalt, und ehe das Kastell sich mit den aus Vigevano heimkehrenden Herrschaften füllte, hatte die Dienerschaft die Fensteröffnungen mit Vorsetzrahmen abgedichtet: bespannt mit weißem Leintuch, das man mit Terpentin getränkt hatte, um das Tageslicht hindurchsickern zu lassen, spärlich zwar, aber so immerhin verbürgend, dass das, was im Inneren des Saales vor sich ging, unsichtbar blieb. Für die Bewohner des Kastells war dies die Sala degli Scarlioni, benannt nach der zickzackförmigen rotweißen Wandbemalung gleichen Namens, doch für alle anderen und somit für den Großteil der Mailänder Bürger war es der Ratssaal: der Saal, in dem der Geheime Rat zusammenzutreten pflegte. Sechs Personen, die mächtigsten Köpfe Mailands, und ihr Herr, der Mächtigste von allen.

»Lasst den Nächsten ein, Kastellan.«

Bernardino da Corte, Burgherr von Porta Giovia, deutete ein Nicken an, zog die schwere Holztür zu sich heran und verkündete:

»Seine Exzellenz der General des Franziskanerordens Francesco Sansone da Brescia.«

Die Dienstage und Freitage waren den Audienzen vorbehalten. An diesen Tagen schenkte Ludovico il Moro, Herzog von Bari und nichtsdestominder Herr von Mailand, jedem Gehör und Aufmerksamkeit, der ihm ein Anliegen vorzutragen bat. Jedwedes Anliegen jedweden Bürgers von Mailand – jeden Bürgers jedenfalls, der die vom Moro auferlegten Steuern zahlte, ausgenommen jene, die sie kraft des gnädigen Erlasses des Moro nicht zu zahlen hatten. Und der Mailänder Steuerzahler hatte jedes Recht, angehört zu werden, da er einen Haufen Steuern zahlte.

Doch der Vorstand des Franziskanerordens war kein Mailänder Bürger und auch kein Jedermann. Strenggenommen hätte ihm nicht einmal das Recht zugestanden, auch nur eine Minute der wertvollen Zeit in Anspruch zu nehmen, die der Moro seinen armen Untergebenen gewährte, statt widersässigen Botschaftern, feurigen Rössern oder gefügigen Mägden seinen Willen aufzuzwingen. Vernünftig betrachtet wäre es allerdings dumm gewesen, dem als einfacher Bürger vorstellig werdenden Ordensgeneral die Audienz zu verweigern.

Und Ludovico il Moro, Herzog von Bari und Herr von Mailand, war alles andere als dumm.

»Welch eine Ehre«, sagte der auf seinem Armstuhl thronende Moro. »Der General des Franziskanerordens bittet wie ein Bürger um Audienz. Welchem Umstand verdanken wir dieses bescheidene Auftreten?«

»Ich bin ein ergebener Franziskaner, Eure Herrlichkeit«, entgegnete Francesco Sansone. »Ehre und Prunk sind mir fremd. Überdies nimmt die Angelegenheit, die ich Eurem Weitblick zu unterbreiten gedenke, so wenig Zeit in Anspruch, dass es anmaßend wäre, Eure Herrlichkeit um eine Privataudienz zu ersuchen.«

Willkommen in der Renaissance, in der jeder Satz wie ein Juwel auf Maß geschliffen und eingepasst wird und man jedes Wort auf die Goldwaage legt, um dann sein Schmuckstück zu präsentieren, nicht, um seine Schönheit zu zeigen, sondern die Macht des Trägers. Und in der sich die Bedeutung einer Rede danach bemisst, wer sie hält, wer sie anhört, wer zugegen ist und wer nicht, welche Namen fallen und vor allem welche ungenannt bleiben.

Und so hatte Ludovico il Moro den Mönch nicht mit dessen Namen, sondern mit seinem Titel begrüßt und dann gewürdigt, dass er ihn als bescheidener Bürger aufsucht; womit er hatte durchblicken lassen, dass der Mönch als Oberhaupt der Franziskaner weder ihn noch den Rest des Rates einen Scheißdreck interessierte. Woraufhin der Mönch erwidert hatte, er hätte durchaus andere, offiziellere, förmlichere und entschiedenere Mittel wählen können, um die Aufmerksamkeit des Moro zu erzwingen, und ihn Eure Herrlichkeit und nicht Herzog genannt hatte, um daran zu erinnern, dass Ludovico in weiten Teilen Italiens als schnöder Usurpator galt.

»Das freut mich, Pater«, entgegnete der Moro. »Dann lasst hören. Der Rat und ich sind ganz Ohr.«

»Eure Herrlichkeit … verzeiht, ich kann Seine Eminenz den Bischof von Como nicht entdecken. Ich hoffe, er ist nicht indisponiert.«

»Keinerlei Indisposition, Pater. Jüngsthin haben wir die Zahl der Räte verkleinert. Zweiundvierzig Personen waren für dieses Amt wirklich zu viel, was auch dem Umstand geschuldet ist, dass die Gründe und Anlässe für eine Audienz im Laufe des vergangenen Jahres erheblich zurückgegangen sind.«

Nun denn, hätte der Ordensmann anmerken können, wenn zweiundvierzig zu viel waren, sind sechs vielleicht zu wenig – ganz abgesehen davon, dass sich unter diesen sechs kein einziger Geistlicher befand, was nur schwerlich Zufall sein konnte. Pater Sansone räusperte sich abermals.

»Eure Herrlichkeit, ich bin auf Ersuchen meines Ordens hier, auf dass Ihr den Fall des Bruders Giuliano da Muggia abermals überdenken mögt, welcher noch immer predigt und die Regeln seines Ordens sowie den Inhalt der Heiligen Schriften mit Verachtung straft.«

»Ich wüsste nicht, wie, Pater«, antwortete der Moro, nachdem er jedes Ratsmitglied mit einem Blick bedacht hatte.

»Der Herr von Mailand wüsste also nicht, wie er einen armen Franziskaner zum Schweigen bringen kann?«

Es braucht gewiss keinen scharfsinnigen Exegeten, um die überdeutliche Anspielung aus der Frage des Franziskaners herauszuhören, zumal aus dem Konditional. Und wenn sie dem Leser aufgefallen ist, ist sie den Ratsmitgliedern erst recht nicht entgangen. Oder Ludovico il Moro.

»Bruder Giuliano ist auf Euer Betreiben bereits vor sechzehn Monaten verhaftet und verurteilt worden. Da ich nicht Prior eines religiösen Ordens bin, habe ich angeordnet, dass der Prozess noch einmal aufgerollt wird, und den Vorsitz an Seine Exzellenz den Erzbischof Arcimboldi übertragen. Der Ausgang des Prozesses ist Euch bestens bekannt.«

Pater Sansone holte tief Luft.

Die Prozess-Posse um Giuliano da Muggia ist ein echtes Meisterstück des Moro gewesen. Sämtliche Zeugen, die zufällig allesamt weltlich waren und zufällig allesamt Ludovicos Hof angehörten, hatten die Predigten des Mönchs begeistert gepriesen und seine Angriffe gegen die römische Kirche entweder kleingeredet oder so getan, als würden sie sich nicht daran erinnern. Was gar nicht mal das Schlimmste gewesen wäre.

Bruder Giuliano beließ es nicht dabei zu behaupten, die römische Kurie sei korrupt, säkular, dekadent und verderbt; das taten schon andere, einschließlich dieses zänkischen Dominikaners Girolamo Savonarola, der sich bereits einen ordentlichen Namen als Unglücksbringer gemacht hatte, weil er treffsicher Lorenzo de’ Medicis Tod und weitere Debakel vorausgesagt hatte.

Nein, Bruder Giuliano behauptete, die Kirche der lombardischen Hauptstadt könne unabhängig von der römischen existieren. Wie Savonarola, der auf die Unabhängigkeit der Klöster pochte, nur dass dieser Giuliano Mailand dazu überreden wollte, sich ganz von Rom zu lösen. Mailand, die Stadt, die zur fraglos reichsten Provinz der italienischen Halbinsel aufstieg, die bedeutendsten Künstler anzog, der nahegelegenen Universität Pavia die besten Mediziner und herausragendsten Mathematiker zuschanzte und diese saftig entlohnte.

Laut Pater Sansone und seinem einflussreichen Kollegen auf dem Heiligen Stuhl durfte das nicht passieren. Deshalb hatte er versucht, Giuliano einen Maulkorb zu verpassen. Je weniger gewisse Dinge zur Sprache kamen, desto besser, und ein Franziskaner, der mit polternder Stimme die Trennung der ambrosianischen Kirche von der römischen forderte, und das mit allen Mitteln – Bagger ausgeschlossen, die gab es damals noch nicht –, war nicht gerade hochwillkommen.

Doch der von Sansone angestrengte Prozess war vom Moro mit durch und durch renaissancehaftem Geschick abgebogen worden. Die Hofdichter hatten Verse verfasst, die in der ganzen Stadt deklamiert wurden; überall, in den Straßen rund um den Broletto und entlang der Navigli, konnte man das Sonett des Bellincioni O Milan cristianissimo oder die Sestine eines gewissen Giacomo Alfieri hören, damals hochberühmt und heute zu Recht vergessen, die dem Himmel dafür dankten, Bruder Giuliano nach Mailand geschickt zu haben. Beide waren gleichermaßen grauenhaft, aber effizient. Mit wohlweislicher Absicht und dem schafsköpfigen Volkswillen hatte der Moro die Kurie in die Zange genommen und sich eher noch als der Gunst seiner Höflinge der seiner Bürger versichert.

»Ich weiß sehr wohl, dass Bruder Giuliano christlich freigesprochen wurde«, sagte Pater Sansone nach einem weiteren tiefen Atemzug. »Bruder Giuliano ist ein ehrenwerter Mann, und seine Predigten sind voller Inbrunst. Voller Inbrunst und Liebe für seine Herde. Bruder Giuliano ist ein Mann, der zu den Menschen zu sprechen versteht, weil er weiß, was sie hören wollen.«

Womit der Ordensbruder katzenfreundlich daran erinnerte, wie wankelmütig die Gunst des Volkes war. Denn im fraglichen Moment stand das Volk nicht mehr vollends auf des Moros Seite.

Die Salzsteuer und weitere jüngst eingeführte Abgaben waren von den Menschen nicht gut aufgenommen worden, und Ludovicos Beliebtheit war nicht mehr so himmelhoch wie einst. Hätte es damals Umfragen gegeben, hätten die dienstagmorgendlichen Ratsversammlungen womöglich mit einem präventiven Beratungstreffen begonnen, um das Stimmungsbarometer auszuwerten und die Fürsprachen des Moro in die richtigen Bahnen zu lenken. Doch damals war man von Statistiken noch weit entfernt, Otto Normalverbraucher war noch nicht entdeckt, und das Volk konnte seinen Willen einzig durch Jubel bekunden. Oder durch Krawall.

»Und Bruder Giuliano, der ein Mann von wachem Verstand ist«, fuhr Pater Sansone fort, »lässt sich nur schwer zum Schweigen bringen. Wenn er in San Francesco Grande predigt, ist die Kirche voll. Die Menschen kommen von weither, um ihn zu hören, und sind nachher ganz beseelt. Vielleicht wäre es angebracht …«

Doch Pater Sansone kam nicht mehr zu dem, was er für angebracht hielt, da sich Ludovico in diesem Augenblick von seinem Stuhl erhob.

Wären wir in der Gegend von Lodi gewesen, wäre Ludovico il Moro rund vier Holzellen und eine Handbreit groß gewesen; hätten wir ihn nach städtischem Brauch gemessen, hätte er es auf knapp drei Mailänder Tuchellen gebracht. Nach dem metrischen Dezimalsystem maß der Herr von Mailand einen Meter neunzig, weshalb einem, nicht zuletzt auch wegen des eisigen Blicks und des langen, streng geschnittenen Gewands aus schwarzem Brokat, durchaus bang werden konnte, wenn er sich erhob.

Langsam trat Ludovico neben den Franziskaner und nahm ihn sacht am Ellenbogen.

»Kommt, Hochwürden«, sagte er mit der sanften Stimme eines Menschen, der um seine Ehrfurcht gebietende Wirkung weiß. »Ich möchte Euch etwas zeigen.«

Er führte den äußerlich gefassten, jedoch zutiefst verschreckten Geistlichen am Ellenbogen quer durch den Saal zu einer herrlichen Karte der Stadt, die an die Wand gemalt war.

»Seht, Hochwürden, Mailand ist ein Rad.« Mit der Hand beschrieb der Moro einen weiten Kreis entlang der schützenden Stadtmauern und stieß den Zeigefinger in die Mitte der Karte, wo der Dom eingemalt war.

»Mailand ist ein Rad, und seine Kirche ist die Nabe. Eine kräftige Nabe, verlässlich und kreisrund. Doch wisst Ihr, was passiert, wenn diese Kirche sich nicht mehr vom Fleck bewegt?«

Der Finger des Moro fing an, in immer kleineren Spiralen um den Dom zu kreisen, um schließlich darauf haltzumachen.

»Das Rad kann sich so viel drehen, wie es will, doch wer in ihm lebt …«, der Moro breitete die Arme aus, »… kommt nicht von der Stelle.« Die Rechte des Moro legte sich gütlich, aber gewichtig auf die Schulter des Franziskaners. »Versteht Ihr, Hochwürden?«

»Ich verstehe, ich verstehe, Botschafter. Ich bitte Euch, macht Euch deshalb keine Sorgen. Wir haben Schlimmeres gesehen, das versichere ich Euch.«

»Ich kann mich für den beklagenswerten Zustand, in dem ich hier in Erscheinung trete, nur entschuldigen, aber …«

Für gewöhnlich war Giacomo Trotti, Botschafter von Ercole I. d’Este, Herzog von Ferrara am Hof der Sforza, einer der vornehmsten und seriösesten Menschen von ganz Mailand. Meist wird der Eindruck von Seriosität und Vornehmheit jedoch von einem entsprechenden äußeren Erscheinungsbild begünstigt, weshalb selbige Qualitäten arg in Mitleidenschaft gezogen sind, wurde man von dem Inhalt eines Nachttopfes getroffen. Auf seinem Weg zum alldienstäglichen Musizieren im Salon der Cecilia Gallerani im Palazzo Carmagnola war der betagte Botschafter von einem Rüpel erwischt worden, der seinen Nachttopf ohne viel Federlesens und ohne das übliche »Aaachtung!«, das selbst die flegelhaftesten Bewohner aus dem Fenster brüllten, um niemanden mit einer Ladung Scheiße zu übergießen, aus dem Fenster geleert hatte.

»Nicht doch, ich bitte Euch, Botschafter, macht Euch keine Gedanken.« Auf ein Zeichen Cecilia Galleranis hin näherte sich eine der im hinteren Saal wartenden Zofen mit bemüht anmutigen Schritten. »Geleitet den Herrn Botschafter Trotti in das Westzimmer und geht ihm zur Hand. Ohne Euch fangen wir gewiss nicht an, Botschafter.«

»Ich weiß nicht, wie ich Euch danken soll, Contessa …«

»Indem Ihr Euch rasch umkleidet und zu uns stoßt, um uns den Genuss Eurer Gesellschaft zu gewähren«, antwortete die Gallerani lächelnd. »Tersilla, ich verlasse mich auf dich.«

Noch immer lächelnd verschwand die junge Frau hinter einer Tür, um die Musiker abermals um ein wenig Geduld zu bitten. Der Botschafter von Ferrara starrte einen Moment lang auf die Tür, hinter der Cecilia Gallerani verschwunden war. Wie immer ertappte er sich dabei, sie mit der anderen zu vergleichen, die theoretisch sein Schützling und obendrein seine Landsmännin war. Und wie immer fiel dieser Vergleich gnadenlos aus.

Auf der einen Seite die zierliche, ätherische Cecilia Gallerani, die noch immer so schön war wie auf dem Porträt, das Messer Leonardo Jahre zuvor von ihr angefertigt hatte, heiter und streng zugleich, im Dreiviertelprofil, als harrte sie der ersehnten Ankunft ihres Geliebten, jenes Ludovico il Moro, von dem zuvor die Rede war, und vertriebe sich die Wartezeit damit, den Hermelin in ihrem Schoß zu streicheln. Auf der anderen Seite dieser nervtötende Moppel, der bedauerlicherweise auf den Namen Beatrice d’Este hörte und die vergötterte Zweitgeborene seines Herrn Ercole war. Eine rechte Göre, von anmutigem Gebaren vielleicht, aber ungeschliffenen Herzens, die der Botschafter in seinen stummen Monologen Beaflitsche getauft hatte – ein Spitzname, den er kaum zu denken, geschweige denn auszusprechen wagte. Doch der Rest der Welt vergötterte sie: der Vater, die Schwester, die Mutter und noch etliche andere, zu denen der Botschafter Trotti ganz gewiss nicht zählte.

»Kommt, Exzellenz«, sagte die junge Tersilla und wies Trotti mit der Hand den Weg, verständlicherweise Abstand wahrend. »Gewiss werden wir Eurer Statur angemessene Gewänder finden, seid ohne Sorge.«

Beatrice wurde von vielen und bis vor Kurzem auch vom Moro vergöttert, der in wahrhaft leidenschaftlicher Liebe entbrannt war, weil sie ihn mit der todsicheren Methode geködert hatte, derer sich Frauen jeden Staates und Standes seit jeher bedienen, nämlich ihn nicht ranzulassen, obwohl sie seit Monaten verheiratet waren.

»Da sind wir«, sagte das Mädchen, trat in ein Zimmer und steuerte entschlossen auf eine Truhe zu, aus deren Seite ein seltsames, deichselähnliches Ding hervorstak. »Hier drin sind die Kleider des Herzogs. Madonna Cecilias Gemahl ist nicht so groß wie Ihr, doch bestimmt werden wir bald etwas Passendes finden.«

Dennoch wusste der Moro seine Triebe zu stillen. Trotti hatte bemerkt, dass dieser während der Mittagsmahle des Öfteren – also beinahe täglich – das Festessen verließ und ein Stündchen später mit einem zufriedenen Lächeln wieder auftauchte. Es hatte nur weniger Tage bedurft um herauszufinden, dass sich Minuten, ehe sich Ludovico vom Tisch erhob, die Gallerani – sieh einer an! – am Turm der Rocchetta einfand, stets zur selben Stunde. Und während sich das widerborstige Weibchen am gebratenen Fleisch gütlich tat, stillte Ludovico il Moro seine Lust auf Frischfleisch.

»Nehmt doch den hier«, sagte das Mädchen und zog einen brokatenen Rock aus der Truhe, der selbst einem nur halb so großen Manne wie dem alles andere als stattlichen Trotti zu eng gewesen wäre. »Ich glaube, der wird Euch wunderbar kleiden.«

Dann war die Gallerani schwanger geworden. Und Ludovico, dem, wie er Trotti einst gestanden hatte, »schwangere Frauen zuwider waren«, hatte das Techtelmechtel abrupt beendet. Stattdessen suchte er immer häufiger seine junge Frau in ihren Gemächern auf und schlich des Nachts die steile Treppe hinab, die ihre beiden Stockwerke voneinander trennte, nur mit einem leichten Seidenhemd bekleidet, dessen er sich sogleich entledigte. Auch dies hatte Trotti direkt aus dem Munde des Moro erfahren, der ihm seine Umarmungen bis in die kleinste Einzelheit beschrieb.

Das mangelnde Schamgefühl bei Privatangelegenheiten darf nicht überraschen; in der Renaissance war Sex zwischen Mann und Frau alles andere als Privatsache, sofern einer der beiden ein regierender Fürst oder Thronanwärter war. Könntet ihr Trotti danach fragen, würde er euch von Alfonso d’Estes Hochzeitsnacht mit Anna Sforza in Ferrara erzählen. Sie vollzog sich im Beisein Francesco Gonzagas, des aragonischen Botschafters Simonotto da Belpietro und vier, fünf weiterer Höflinge, die Alfonso zuerst auskleideten und dann zu seiner jungen Braut ins Bett schoben; doch Alfonso dachte gar nicht daran, die Ehe zu vollziehen, und ergriff immer wieder die Flucht, womöglich eingeschüchtert von den vielen Menschen in seinem Gemach, oder auch, weil er sich mit den Geheimnissen der Welt nicht auskannte und Angst hatte, die Maus könnte beißen. So war es an Gonzaga, die Sache in die Hand zu nehmen und den adeligen Spross wortwörtlich unter die Laken zu prügeln, auf dass er es ja nicht wagte, wieder darunter hervorzukommen, ehe er etwas zustande gebracht hatte.

»Und hier noch etwas für die Beine«, sagte Tersilla und zog eine lange, neunfarbige Strumpfhose nach französischer Art aus der Truhe.

Grausliches Zeug. Selbst Trotti, der sich um Mode nicht sonderlich scherte, wäre im Traum nicht auf die Idee gekommen, sich in Gesellschaft eines derart gekleideten Menschen zu zeigen. Und nun war er gezwungen, selbst so herumzulaufen.

Was den Ekel nicht minderte.

Als auch Beatrice infolge der nächtlichen Besuche des Moro schwanger wurde, hatte das bei Trotti sogleich Bedenken ausgelöst. Während seine Frau sich rundete, würde der Herr von Mailand sie nicht mit dem behandschuhten kleinen Finger anfassen, sondern seine Triebe anderswo stillen. Wieso nicht wieder bei der Gallerani, die noch immer die schönste Frau von Mailand war und der sich der Moro, wie viele behaupteten, stets in aufrichtiger und beständiger Zuneigung verbunden fühlte? Der Gallerani, die sich im Vergleich mit Beatrice wie ein Diamant neben einer Scheibe Salami ausnahm?

Betrübt betrachtete Trotti die Garderobe, mit der er gestraft war. In Ferrara hätte er sich eher zu Hause eingeschlossen, als sich einen solchen Aufzug zuzumuten, doch Mailand war nicht Ferrara.

In Mailand bewegten sich die Männer auf Maultierrücken fort, derweil die Frauen, sofern vermögend, in Karren unterwegs waren, die, geschmacklos vergoldet und von zwei bis vier Stuten gezogen, wie eine Mischung aus Altarbild und sizilianischem Carretto daherkamen und der Schrecken aller Fußgänger waren. Es mag seltsam klingen, doch in Mailand war der Verkehr bereits im ausgehenden fünfzehnten Jahrhundert ein Problem.

Giacomo Trotti wusste, dass auf ausdrücklichen Befehl des Moro nur wenige Karren die Erlaubnis hatten, zu jeder Tages- und Nachtzeit in das Castello Giovio einzufahren. Und zu diesen zählte auch das Gefährt der Cecilia Gallerani, die sich allerdings seit geraumer Zeit nicht mehr im Kastell hatte blicken lassen. Das musste nichts heißen: Der Moro hätte das Kastell unter dem Vorwand geschäftlicher Gründe verlassen und sich seelenruhig zu seiner Geliebten begeben können, residierte doch deren Gatte zu jener Zeit in San Giovanni in Croce unweit von Cremona.

Aus diesem Grund war Giacomo Trotti, Botschafter des Herzogs von Ferrara, heute hier. Um ein Auge auf die Gallerani zu haben und festzustellen, ob ein neues Schmuckstück ihre Stirn zierte oder ein neues Brokatkleid ihren Leib, mit Goldfaden gewirkt, wie es ihr nur der Moro als Liebespfand hätte zukommen lassen. Bei derartigen Geschenken konnte man sicher sein, dass sie nicht vom Gemahl stammten. Herzog Ludovico Carminati Bergamini, mit dem der Moro Cecilia verheiratet hatte, nachdem er sie aus dem Castello Sforzesco entfernt hatte, war einer der geizigsten Männer nicht nur ganz Mailands, sondern des gesamten Heiligen Römischen Reiches.

»Danke, gnädiges Fräulein Tersilla«, sagte Trotti in gedämpft höflichem Ton. »Braucht Ihr Hilfe beim Schließen der Truhe?«

»Ich danke Euch, Eure Exzellenz, doch das schaffe ich allein. So, wie ich sie auch geöffnet habe. Hiermit, seht Ihr?«

Tersilla blinzelte ihm zu und deutete auf den seltsamen Mechanismus aus Holz und Eisen, der zwischen Truhe und Deckel klemmte und in einer Art Deichsel mündete.

»Das hat Messer Leonardo erfunden und meiner Signora geschenkt«, sagte Tersilla voller Stolz, als wäre es ihr Werk. »Ein Hebelmechanismus. Man dreht an der Deichsel, so, und der Deckel hebt und senkt sich, ohne dass es dazu Bärenkräfte bräuchte. Eine wunderbare Vorrichtung, Ihr macht Euch keine Vorstellung, wie viel Zeit sie einem spart. Messer Leonardo ist ein Genie, findet Ihr nicht auch?«

»Zweifellos«, entgegnete Giacomo Trotti, der an diesem Tag in diplomatischen Diensten ausnahmsweise einmal sagen konnte, was er wirklich dachte. »Ich glaube, Messer Leonardo da Vinci ist nichts unmöglich.«

»Aber das ist unmöglich!«

Mit einer unwirschen Geste schloss der rosa gekleidete Mann die Truhe. Hinter ihm stand, die Hände in die Hüften gestützt, eine rund fünfzigjährige Frau mit olivfarbener Haut, und musterte ihn nachdenklich.

»Vielleicht hast du es im Atelier gelassen, im oberen Zimmer.«

»Unmöglich! Ich weiß ganz genau, dass ich es vor nicht einmal einem Monat wieder hier hineingelegt habe.«

»Nun, wenn es erst einen Monat her ist …«

Der Mann in Rosa starrte kopfschüttelnd auf die Truhe, als wäre es ihre Schuld. Dann blickte er auf und sah die Frau an. Er hatte ein merkwürdiges Gesicht, eher herb, denn schön, mit langem blondem Haar, das, anders als sein Bart, von zahlreichen grauen Strähnen durchzogen war. Seine sonst so sanften Augen sprachen von einem Unmut, wie nur Eltern ihn hervorrufen können.

»Euren Sarkasmus könnt Ihr Euch sparen, Caterina. Das sind wichtige Projekte, die schleppe ich nicht einfach so mit mir herum.«

»Vielleicht hat Salaì sie genommen? Du hast selbst gesagt, er würde alles stibitzen, was nicht niet- und nagelfest ist …«

Wie von einer plötzlichen Eingebung erfasst, was ihm übrigens häufig widerfuhr, drehte sich der Mann um und schritt, ohne seine Rede zu unterbrechen, ins Nebenzimmer.

»Giacomo weiß ganz genau, dass er meine Projekte nicht anfassen darf. Sonst peitsche ich ihn aus und schicke ihn ohne Abendbrot zu Bett.« Er wühlte in einem Papierwust auf dem großen Holztisch herum. »Da wir schon von Abendessen reden, Caterina, vielleicht ist ein ganzer Kapaun für drei Esser ein bisschen üppig. Heute Abend möchte ich Euch bitten, Euch ein wenig zu bescheiden. Wir haben Bohnen und Rüben, das sollte reichen.«

»Für dich vielleicht. Allerdings würde ein wenig Fleisch dir ganz guttun. Seit meiner Ankunft bist du recht schmal geworden. In den drei Monaten hast du gewiss zehn Pfund verloren.«

»Drei Monate, die mir wie zehn Jahre erscheinen«, sagte der Mann, ohne seine Suche zu unterbrechen. »Abgesehen davon, dass ich Fleisch von toten Tieren nicht esse, weder heute noch morgen noch sonst irgendwann, lässt mich dieses vermaledeite Reiterstandbild vom Fleische fallen. Und dass ich diese elenden Blätter nicht finde. Weiß der Teufel, wo die sich verkrochen haben …«

»Blätter haben keine Beine, mein lieber Junge.«

»Mütter aber schon, und sie sollten viel öfter davon Gebrauch machen, meine liebe Mutter. Wieso macht Ihr Euch nicht dünne, statt mir auf den Sack zu gehen, und lasst mich in Ruhe suchen?«

»Als Junge warst du nicht so vulgär. Und auch nicht so geizig.«

»Was wisst Ihr denn schon? Ihr wart doch gar nicht da. Und was den Geiz betrifft, so zwingt man mich dazu. Seit zwei Monaten habe ich keinen Lohn mehr gesehen. Mit Verlaub.« Der Mann schob seine Mutter zur Seite, ging zum Hühnerstall und kramte in den Käfigen herum.

»Ich habe sie nicht benutzt, um den Hühnerstall auszumisten«, sagte Caterina geduldig.

»Würde mich nicht wundern«, erwiderte der Mann, richtete sich auf und rückte den Gürtel um seinen Rock zurecht. »Als wäre das nie … Moment, mir kommt eine Idee …«

Die Rechte noch am Gürtel, fuhr er mit der Linken unter den Kragen seines rosafarbenen Rockes und zog ein von zusammengefalteten Blättern und Zetteln berstendes Notizbuch hervor. Er legte es auf den Tisch, schlug es mit größter Behutsamkeit auf und zog zwei gelbliche Pergamentblätter heraus, die mit Pferdezeichnungen, Notizen und anderen Skizzen bedeckt waren. Er schlug die Hand vors Gesicht und verdrehte die Augen.

»Du hattest sie bei dir?« Caterina lachte.

»Ich muss sie vor zwei Tagen dort hineingelegt haben, ehe ich mich zum Kastell aufmachte«, entgegnete er und warf der Mutter einen kleinlauten Blick zu. »Verzeiht, Caterina.«

»Hin und wieder könntest du mich ruhig Mama nennen.«

»Verzeiht, Mama. Mir kommt ständig etwas abhanden, und manchmal …«

Das trockene Klopfen schwerer Knöchel an der Holztür unterbrach ihn. Caterina drehte sich um, doch der Mann schlüpfte gewandt an ihr vorbei und kam ihr zuvor. Nicht, dass er sich für seine Mutter schämte. Nun ja, ein klein wenig vielleicht. Es kam darauf an, wer der Besucher war. Doch zu dieser morgendlichen Stunde konnte es nur einer sein.

Der Mann in Rosa öffnete die Tür und stand einer unwesentlich kleineren, aber sehr viel älteren Gestalt in schwarzem Brokat gegenüber, die als Zeichen der Ehrerbietung bereits den Hut gelupft hatte. Ein Kammerdiener, ein wichtiger zwar, aber dennoch ein Kammerdiener.

»Messer Leonardo da Vinci?«, fragte der Alte.

»Zu Euren Diensten.«

Zwei

»Oh, Messer Leonardo, welch eine Freude, Euch zu sehen.«

Ludovico il Moro stand inmitten des weiten Hofes, der als Waffenplatz bekannt war, und winkte Leonardo zu sich. Neben ihm stand, hager und gnatzig, der herzogliche Steuereinnehmer, Cavalier Bergonzio Botta, dem stets ein dickes Hauptbuch unter dem Arm klemmte.

»Eurer Herrlichkeit zu Diensten«, antwortete Leonardo zögerlich. Man wusste nie genau, weshalb Ludovico einen einberief. Es konnte Begeisterung sein, wie an dem Tag nach dem Paradiesfest, als der Herr von Mailand Leonardo vor versammeltem Hofstaat mit Lobeshymnen überschüttet hatte, oder aber das genaue Gegenteil.

»Kommt nur, kommt«, sagte Ludovico mit heiterem Lächeln. »Herr Schatzmeister, ich glaube, der Kämmerer ruft nach Euch.«

Das wiederum war eine nicht allzu renaissancehafte Art, den Herrn Kammerschatzmeister aufzufordern, die Fliege zu machen, da der Herr von Mailand mit Leonardo unter vier Augen plaudern wollte. Nach einer Verbeugung, bei der er sich bereits rückwärts zu entfernen begonnen hatte, wandte sich Bergonzio Botta um und ging in Richtung Santo Spirito davon. Schweigend ließ Ludovico den Blick umherwandern, ohne Leonardo anzusehen, dann schritt er gemächlich auf das mächtige Südportal zu und bedeutete Leonardo, ihm zu folgen.

»Eure Herrlichkeit scheinen heute Morgen besonders frohgemut zu sein«, versuchte Leonardo die Stimmung seines Brotgebers zu ergründen.

»Das bin ich, Messer Leonardo, das bin ich«, entgegnete Ludovico noch immer lächelnd und ohne innezuhalten. »Und wisst Ihr, weshalb?«

»Ich hoffe, Eure Herrlichkeit haben die Güte, mir den Grund Eures Frohmuts mitzuteilen.«

»Der ist kein Geheimnis«, erwiderte der Moro. »Nicht mehr. Kaiser Maximilian I. erweist uns die Ehre, unsere innig geliebte Nichte Bianca Maria zur Heiligen Weihnacht heimzuführen. Das Geschlecht der Sforza vereint sich mit dem Kaiser, Messer Leonardo.«

Na bitte. Seit Monaten versuchte Ludovico, dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Bianca Maria Sforza unterzujubeln, und umschmeichelte ihn mit fortwährenden Freundschaftsbezeigungen und vor allem mit einer schwindelerregenden Mitgift. Das höfische Bettgeflüster sprach von vierhunderttausend Dukaten, was mehr als die Hälfte der Jahreseinkünfte des Herzogtums ausmachte. Das wäre ungefähr so, als würde der heutige Wirtschaftsminister seine Tochter dem Präsidenten der Vereinigten Staaten versprechen und ihr die Hälfte des italienischen Steueraufkommens als Heiratsgut mitgeben – was in die Milliarden ginge.

»In den ersten Novembertagen werden wir mit dem Hochzeitszug aufbrechen, Messer Leonardo. Und es wird gewiss nicht schwer sein, den Aufbruch der Braut vorzubereiten und unsere Herzensbindungen, unsere Schätze und unser Gefolge hier im Kastell zu versammeln, ein wahres Kinderspiel. Und wisst Ihr, warum?«

Oh, oh!

Selbst für einen Herrn seiner Zeit hatte Ludovico il Moro eine überaus hohe Bildung erfahren, obschon die griechische Philosophie ein wenig zu kurz gekommen war. Dennoch schien er die sokratische Dialektik recht mühelos verinnerlicht zu haben, anhand derer man seinem Gegenüber die gewollte Antwort schlicht dadurch entlockt, dass man ihn in die Enge treibt. Wenn der Moro deinen Nacken mit zärtlichen Küssen bedeckt, dann sieh dich vor, pflegte man bei Hofe zu sagen: Gleich reißt er dir von hinten das Kleid hoch.

»Nein, Eure Herrlichkeit.«

»Weil wir diesen großartigen Hof haben«, sagte Ludovico und deutete mit einer ausholenden Handbewegung auf den vom Kastell umsäumten Waffenplatz.« Diesen wunderbar weiten, geräumigen Platz. Und gegenüber …« Mit der offenen Hand deutete Ludovico, der inzwischen das Tor erreicht hatte, auf die weite Fläche vor der Zugbrücke. »Und gegenüber, seht Ihr, einen noch größeren, vortrefflich ebenen, freien und schmucklosen Platz. Mit anderen Worten, Messer Leonardo, einen vollkommen leeren.«

Der Moro löste seinen Blick von dem Platz und heftete ihn auf Leonardo. Seine Lippen lächelten noch immer. Die Augen nicht.

Seit Ludovico ihn offiziell mit jener Aufgabe betraut hatte, die besser als irgendwer sonst zu erfüllen Leonardo sich gerühmt hatte, waren vier Jahre vergangen. Und zehn Jahre, seit er geschworen hatte, dazu in der Lage zu sein.