Der gestohlene Klimt - Elisabeth Sandmann - E-Book + Hörbuch

Der gestohlene Klimt Hörbuch

Elisabeth Sandmann

4,8

Beschreibung

Ein großes Kunst-Drama – die präzise recherchierte und emotional fesselnde Geschichte hinter Klimts »Goldenen Adele«

Mitten im Ersten Weltkrieg wird Maria Altmann in Wien in eine wohlhabende jüdische Familie hineingeboren. Ihre früh verstorbene Tante, Adele Bloch-Bauer, geht bei dem Maler Gustav Klimt ein und aus, der 1907 ihr Porträt, das berühmte Bildnis der Goldenen Adele fertigstellt. Mit dem Einmarsch der Nazis wird der gesamte Besitz geraubt und den Bloch-Bauers bleibt von der einstmals großen Kunstsammlung buchstäblich nichts. Als sich die Erben nach 1945 um eine Rückgabe bemühen, sehen sie sich konfrontiert mit Lügen und Intrigen, die sie in ihrem vollen Ausmaß erst 50 Jahre später erkennen. Jetzt beschließt Maria Altmann mit fast 84 Jahren, den Staat Österreich von den USA aus zu verklagen und es beginnt ein transatlantischer Rechtsstreit, der einem Krimi gleicht. Gemeinsam mit dem jungen Anwalt Randol Schoenberg wird sie bis an das Höchstgericht der USA gehen und am Ende siegen.

Erweiterte und aktualisierte Ausgabe: Mit einem zusätzlichen Interview mit dem Anwalt von Maria Altmann, Randol Schoenberg, geführt im März 2024, sowie einem Vorwort von Julia Albrecht, Leiterin der Geschäftsstelle der Beratende Kommission NS-Raubgut.

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Zeit:2 Std. 33 min

Sprecher:Lilly Forgách
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Elisabeth Sandmann erzählt in diesem Buch die Geschichte eines der größten Kunstskandale des 20. Jahrhunderts: Im Jahr 1907 schuf Gustav Klimt in Wien die »Goldene Adele«. Das Porträt von Adele Bloch-Bauer befand sich in Familienbesitz, bis es im Zuge der Enteignung jüdischen Besitzes von den Nazis geraubt wurde. Alle Bemühungen der Erben, es nach Kriegsende zurückzubekommen, scheiterten, ihre Forderungen wurden über Jahrzehnte hinweg von offizieller Seite abgewiesen. Bis sich Maria Altmann, Adeles Nichte, im hohen Alter dazu entschloss, in höchster Instanz den Staat Österreich zu verklagen – und schließlich das fast Undenkbare erreichte: die rechtmäßige Rückgabe der Kunstwerke.

Die Geschichte um die »Goldene Adele« ist die eines beispiellosen Unrechts, das noch lange nach dem Nationalsozialismus fortbestand – aber auch die einer sensationellen Restitution.

 

»Ich habe immer gehofft, dass die Gerechtigkeit ihren Lauf nimmt. Und genau das ist geschehen.«

Maria Altmann

 

 

Elisabeth Sandmann, Verlegerin des gleichnamigen Verlags. Studium u.a. der Kunstgeschichte und Vergleichenden Literaturwissenschaft in Bonn und Oxford. Promotion über George Bernard Shaw. Beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Restitution. 2023 Romandebüt mit dem SPIEGEL-Bestseller »Porträt auf grüner Wandfarbe« im Piper Verlag.

 

Julia Albrecht, 1964 in Hamburg geboren, ist Juristin, Journalistin und Autorin. Seit 2022 leitet sie die Geschäftsstelle der Beratenden Kommission NS-Raubgut. Sie hat zahllose Artikel über Rechts- und Innenpolitik in der tageszeitung, der Wochenpost und bei SpiegelOnline veröffentlicht. 2011 erschien ihr gemeinsam mit Corinna Ponto geschriebenes Buch »Patentöchter«.

 

Randol Schoenberg, Enkel der Wiener Komponisten Arnold Schönberg und Erich Zeisl. Mathematikstudium in Princeton und Besuch der Law School in Los Angeles. Ab 1998 Anwalt von Maria Altmann im Rechtsstreit um die ihrer Familie von den Nazis gestohlenen Klimt-Gemälde. Er führte den Rechtsstreit erfolgreich durch alle Instanzen. Zuletzt erschien 2023 der Dokumentarfilm »Fioretta«.

Elisabeth Sandmann

DER GESTOHLENEKLIMT

Wie sich Maria Altmann die Goldene Adele zurückholte

Porträtfotografie Adele Bloch-Bauers, um 1910

EDITORISCHE NOTIZ

»Wir verdanken Maria Altmann sehr viel.«

Helen Mirren

Als Adele Bloch-Bauer 1925 im Alter von nur 46 Jahren starb, konnte sie nicht ahnen, dass ihre Familie, darunter Schwester, Schwager, Neffen, Nichten sowie ihr Freundeskreis einmal bedroht, ausgeraubt, verfolgt, ermordet oder in den Suizid getrieben würde, und zwar von einem rechtsextremen Terrorregime, dessen Vorstellungen sich denen heutiger rechtsnationaler Parteien annähern.

Ein derartiger politischer Umsturz war zu Adeles Lebzeiten schlicht unvorstellbar. Ihre hochgeachteten, wohlhabenden, kultivierten, assimilierten Verwandten und Ihre Freunde – darunter Berta Zuckerkandl, Alma Mahler, Stefan Zweig, Sigmund Freud – waren ein respektierter Teil der österreichischen Gesellschaft, nicht wegzudenken aus Musik, Literatur, Kunst, Wirtschaft und Wissenschaft. Diese Gesellschaft hatte scharfsinnige, spitzzüngige Literaten wie Karl Kraus, Alfred Polgar oder Peter Altenberg hervorgebracht, ihre Arbeiten wurden geschätzt, man liebte ihren klugen Schmäh, ihre Leserschaft besaß ein untrügliches Gespür für Qualität. So, dachte man, würde es auf ewig bleiben.

Maria, die Nichte von Adele Bloch-Bauer, war acht, als ihre Tante starb – alt genug, sie bewusst wahrzunehmen. Sie war auch alt genug, um sich später an das Schloss Jungfern Breschan im heutigen Tschechien zu erinnern und den großzügigen Lebensstil dort, an die eleganten Wohnräume in Wien und die erlesene Kunstsammlung. Dass zwei Gemälde, auf denen Tante Adele zu sehen war, die Wände zierten, wird ihr wie selbstverständlich vorgekommen sein. Es waren von Gustav Klimt in Öl gemalte Porträts, die Onkel Ferdinand in Auftrag gegeben und dem Künstler zu einem stolzen Preis abgekauft hatte.

Erinnerungen wie diese, von denen Maria Altmann später in Interviews berichtete, sind Bestandteil von Restitutionsbiographien, und zwar unabhängig vom Wert der Gegenstände. Ein Bild, ein Möbelstück, eine Silberschale, eine Fayence, ein Buch waren und sind die letzten Zeugen einer vernichteten Welt und die letzte Verbindung zu geliebten, verlorenen Menschen. Gegenstände zurückzufordern, und ebenso, sie zurückzugeben, ist darum immer auch ein höchst emotionales Unterfangen.

Von der einstmals großen Kunstsammlung der Bloch-Bauers war nach dem Einmarsch der Nazis buchstäblich nichts geblieben. Als in Österreich 1998 ein Kunstrückgabegesetz verabschiedet wurde, das Restitutionen erleichtern sollte, begann Maria Altmann im Alter von 82 Jahren, aktiv zu werden, weil sie sich mit dem, was ihrer Familie geraubt worden war, emotional verbunden fühlte. Die Familie hatte zwar bereits nach dem Krieg Anstrengungen unternommen, ihren mobilen und immobilen Besitz zurückzuerhalten, war aber stets auf taube Ohren gestoßen. 1998 kam zu dem österreichischen Kunstrückgabegesetz und der Verabschiedung der sogenannten Washingtoner Prinzipien noch ein Glücksfall hinzu, nämlich die Ermittlungen des Investigativjournalisten Hubertus Czernin (1956–2006), der jene Dokumente fand, die seine Vermutungen und die der Familie auf eine juristische Basis stellten und sie zu einer »Causa« machten.

Das, was Maria Altmann bis zu dem entscheidenden Schieds- spruch in Österreich im Jahr 2006 erlebt hat, wird in diesem Buch erzählt, das 2015 zum ersten Mal und seither in zahlreichen Auflagen erschienen ist. Es ist eine Geschichte von Mut, Durchsetzungskraft und Beharrlichkeit. Maria Altmann ist ein bleibendes Vorbild dafür, dass es schwierig, aber alternativlos ist, eine rechtmäßige Rückgabe mit aller Vehemenz und Beharrlichkeit einzufordern. Und auch da-rin ist sie ein Vorbild: Alter ist kein Hinderungsgrund, sich zur Wehr zu setzen. Manchmal muss man sogar einen anderen Staat verklagen wollen.

Dr. Elisabeth Sandmann, September 2024

VORWORT

DER RAUB AN DEN JUDEN WAR TEIL DES GENOZIDS

Der Fall der »Goldenen Adele« erzählt ein Jahrhundertunrecht. Gleichzeitig ist er nur eines der vielen traurigen Beispiele von Raubkunst, die sich bis heute in öffentlichen Museen oder in Privatbesitz befinden und, anders als Klimts Adele, nicht zurückgegeben werden. Die genaue Anzahl der von den Nationalsozialisten geraubten Kunstobjekte ist nicht bekannt. Es waren Hunderttausende; zählt man Bücher und Kunsthandwerk hinzu, sind es unüberschaubar viel mehr. Sie wurden von den Nazi-Schergen beschlagnahmt, den Opfern abgepresst, gestohlen oder unredlich erworben.

Mit der Konferenz von Washington, im Jahr 1998 ist das Thema der Restitution von NS-Raubkunst wieder auf die Agenda der internationalen Gemeinschaft gelangt. Damals wurden elf Grundsätze formuliert, die mit der Zeit in einigen europäischen Staaten eine neue Haltung und vor allem ein Tätigwerden bewirkt haben, denn nun war es moralisch gewollt, auch dann zu restituieren, wenn, wie in so gut wie allen Fällen, ein juristischer Anspruch bereits verjährt war. Das war neu und wichtig.

In der Bundesrepublik Deutschland sind in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten nur einige tausend Kunstwerke an die Opfer oder deren Nachfahren restituiert worden, darunter Archivalien und Büchern. Die Zahlen werden leider bis heute nicht vollständig dokumentiert. Eine Vielzahl von Raubkunstwerken im öffentlichen Eigentum des Bundes und der Länder ist bis heute nicht identifiziert. Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht nur Rechtsnachfolgerin des NS-Staats, sie ist mitunter auch Nutznießerin dieses Raubs, der in seinen Dimensionen bis heute nicht auf allen Ebenen verstanden ist. Das Wesensmerkmal dieses Raubs war die Auslöschung der Juden. Er war kein Neben- oder Beiprodukt, er war Teil des Genozids.

Die Haltung des Staates und der Bundesländer zeigt sich auch am Umgang mit den immensen Sammlungen Adolf Hitlers und Hermann Görings. Für ihre jeweiligen Museumspläne hatten sie in ganz Europa tausende von Kunstobjekten – vielfach den verfolgten Juden entzogen – zusammengetragen. Die Alliierten haben einen Großteil davon nach dem Krieg aufgespürt und, wo es möglich war, restituiert. Im Jahr 1949 haben sie die Restbestände der kontaminierten Sammlungen an die junge Bundesrepublik mit dem Auftrag übergeben, geraubte Kunst zu restituieren.

Statt »Wiedergutmachung«, die es so allerdings ohnehin nicht geben konnte, wurden die besten Stücke 1966 deutschen Museumsdirektoren vorgeführt. Diese durften Wünsche äußern. Seither hängen die Werke an deutschen Museumswänden, ohne dass die Besucher etwas über deren Herkunft aus der Sammlung Hitler oder Göring und deren möglicher Weise jüdischen Vorbesitz erfahren. Die Beschriftungen zu diesen Bildern weisen stets die Formulierung auf: »Leihgabe der Bundesrepublik Deutschland« oder »Leihgabe des Freistaates Bayern«.

Dieser intransparente Umgang entspricht der Wahrnehmung, dass das Thema Rückgabe von NS-Raubkunst wenig Fürsprache in unserer Gesellschaft und in der Politik findet. Das mag damit zusammenhängen, dass es beim Thema NS-Raubkunst nicht nur um ein historisches Verständnis und die Erinnerung an die Shoa geht, sondern um die Rückgabe von gestohlenen Werken, die in Museen manchmal Schlüsselwerke der Bestände sind. Anders gesagt, die Erinnerung und die Auseinandersetzung kosten uns etwas; sie sind, wenn es um Raubkunst geht, nicht umsonst zu haben. Nur so ist der erbitterte Kampf Österreichs gegen Maria Altmanns Forderung, die Klimt-Bilder aus dem ehemaligen Eigentum ihrer Tante Adele Bloch-Bauer und ihres Onkels zurückzugeben, zu verstehen. Wäre es nur um Erinnerung, um eine historische, gleichzeitig aber in der Konsequenz freie Recherche gegangen, hätte sich die Republik mit der korrekten Aufarbeitung wohl nicht so schwergetan.

Auch der Freistaat Bayern kämpft um eine Dame auf Leinwand. Picassos »Madame Soler« haben die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen 1964 erworben. Schon seit Jahren kann sich allerdings niemand mehr daran erfreuen. Die Bayern haben sie im Zuge der Auseinandersetzung mit der Erbengemeinschaft von Paul von Mendelssohn-Bartholdy, die seit 2009 geführt wird, abgehängt. Nach Auffassung der Nachfahren des jüdischen Bankiers ist das Werk NS-verfolgungsbedingt den rechtmäßigen Eigentümern entzogen worden. Dem jedoch wird in München widersprochen und die Zustimmung für ein Verfahren vor der Beratenden Kommission NS-Raubgut verweigert.

Die Beratende Kommission NS-Raubgut wurde allerdings genau für solche streitigen Fälle 2003 in Folge der Washingtoner Konferenz gegründet. Die Verweigerung verweist auf einen Geburtsfehler der Beratenden Kommission NS-Raubgut. Sie darf nur dann tätig werden, wenn beide Seiten, also auch die heutigen Eigentümer, in der Mehrzahl Museen, dies befürworten. Genau das tun sie aber oft genug nicht.

Die Beauftragte für Kultur und Medien, Claudia Roth, hat im März 2024, gemeinsam mit den Bundesländern verkündet, dass es in Zukunft eine einseitige Anrufbarkeit geben solle; damit wäre eine Zustimmung seitens der Museen nicht mehr erforderlich. Gleichzeitig aber solle die Kommission aufgelöst und stattdessen ein Schiedsgerichtsverfahren eingeführt werden. Ein solches Verfahren wiederum benötigt aber immer die Zustimmung beider Seiten. Das ist ein Widerspruch in sich.

Dennoch, in den letzten zwei Jahrzehnten ist viel geschehen. Viele Museen untersuchen Teile Ihre Sammlungen gezielt nach NS-Raubkunst, die großen Auktionsabteilungen haben Provenienzforschungs- und Restitutionsabteilungen eingerichtet. Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste verteilt jährlich Gelder für Forschungsprojekte öffentlicher und privater Einrichtungen oder Personen. Die Niederlande, Frankreich, Großbritannien, Österreich und Deutschland, demnächst auch die Schweiz, haben Kommissionen eingesetzt, mit leicht unterschiedlichen Funktionen zwar, immer aber geht es um die Frage der Rückgabe von NS-Raubkunst. Deutschland hat die Lost Art-Datenbank eingerichtet, in der aktuell über achtzigtausend Datensätze zu NS-Raubkunst gelistet sind. Hinter jedem einzelnen verbirgt sich die Geschichte von Vernichtung und Entzug, von Flucht und Vertreibung. Die Vereinbarung der Ampelregierung, die Beratende Kommission NS-Raubgut nachhaltig zu stärken, soll wohl nicht umgesetzt werden. Für die ehemaligen Eigentümer und deren Nachkommen wäre das wichtig gewesen.

Julia Albrecht, September 2024

Marie Viktoria Bloch-Bauer, um 1920

MARIA

»Ich bin im Jahr 1916 geboren und war neun Jahre alt, als Tante Adele starb.«

Maria Altmann, 1999

Therese Bloch-Bauer hat bereits drei Söhne und eine Tochter, als sie 1915, im Alter von 41 Jahren, noch einmal schwanger wird. Ausgerechnet jetzt, wo die Söhne junge Männer sind und Luise, die Jüngste, immerhin schon acht Jahre alt ist, soll sie noch einmal von vorne anfangen und all die Zuwendung aufbringen, die kleine Kinder brauchen – eine Herausforderung, obwohl ausreichend Personal im Hause ist. Sie hatte ja vorgehabt, ihren Mann Gustav häufiger auf Reisen zu begleiten und das gesellschaftliche Treiben, das Wien trotz der Kriegsjahre immer noch zu bieten hat, in vollen Zügen zu genießen – und nun das!

Ganz anders ihre Schwester Adele: Kinderlos geblieben, führt sie das Leben einer in jeder Hinsicht emanzipierten Frau. Finanziell und geistig unabhängig, liebt sie es, sich mit Malern, Schriftstellern, Intellektuellen und Salonièren zu treffen, raucht Zigaretten, die in langen, eleganten Haltern stecken, und macht sich nichts aus dem, was die konventionelle großbürgerliche oder aristokratische Wiener Gesellschaft von ihr denkt. Doch bei allen Unterschieden im Lebensstil und in der Auffassung von individueller Freiheit und gesellschaftlicher Pflicht verbindet die beiden Schwestern, dass sie Brüder geheiratet haben. Die Bauer-Schwestern haben die Bloch-Brüder geehelicht, und die Paare führen den Doppelnamen Bloch-Bauer.

Beide Familien, die Blochs und die Bauers, sind vermögend und angesehen. Der Vater der Bauer-Töchter war erfolgreicher Bankier, der als Generaldirektor des Wiener Bankvereins einer der größten Banken der österreichisch-ungarischen Monarchie vorstand und Präsident der Orientbahnen war. Bei seinem Tod im Jahr 1905 hinterließ Moritz Bauer seinen beiden Söhnen und den Töchtern Therese und Adele ein beachtliches Vermögen. Der Vater der Brüder wiederum, David Bloch, war in Prag mit der Fabrikation von Zucker zu Wohlstand gekommen, dem »weißen Gold«, dessen Nachfrage stetig stieg. Die Österreichische Zuckerindustrie AG, die Ferdinand Bloch-Bauer von seinem Vater übernehmen wird, expandierte und produzierte um die Jahrhundertwende etwa 20 Prozent des Zuckerbedarfs im Habsburgerreich. Sein Bruder Gustav ist als Rechtsanwalt in Wien tätig. Beide Familien interessieren sich für Kunst, wenn auch für unterschiedliche Richtungen; man sammelt schöne Gegenstände, liest und reist ausgiebig, musiziert, ist gesellig und führt das Leben der privilegierten und kultivierten Schicht. Für die assimilierte jüdische Familie spielt der Glaube keine übergeordnete Rolle; Weihnachten und Ostern werden ebenso gefeiert wie das jüdische Lichterfest Hanukkah.

Gustav und Therese Bloch-Bauer, 1918

In diese wohlhabende, geistig offene und fürsorgliche Familie wird am 18. Februar 1916 Marie Viktoria Bloch-Bauer in Wien hineingeboren, und ihr Vater Gustav ist außer sich vor Freude. Auch die anderen Familienmitglieder verlieben sich schnell in den entzückenden Nachzügler. Die Familie wohnt in einem schönen Haus im vornehmen 1. Bezirk in der Stubenbastei, unweit vom Stephansdom. Tante Adele und Onkel Ferdinand residieren noch im 4. Bezirk, ziehen aber bald in ein herrschaftliches Palais in der Elisabethstraße 18, etwa 15 Gehminuten entfernt, das im Stil des Historismus erbaut worden war.

Adele und Ferdinand Bloch-Bauer, um 1920

Im Geburtsjahr der kleinen Marie hat sich die Kriegseuphorie, die beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 herrschte, bereits gelegt, und Ernüchterung ist eingetreten. Natürlich hofft man immer noch auf den Sieg, aber die vielen Verwundeten, die heimkehren, und die unzähligen Toten, die einfach auf den Schlachtfeldern liegen bleiben, lassen die Menschen zunehmend an dem von den Kriegsherren in Deutschland und Österreich verordneten Optimismus zweifeln. Zudem ist die Lebensmittelversorgung der Stadt Wien, wie die des ganzen Landes, bedroht, und im Mai 1916 kommt es zu ersten Hungerkrawallen. Milch, Kaffee, Brot, Butter und andere Lebensmittel werden rationiert, gefüllte Brotkörbe in Restaurants gibt es nicht mehr – man muss nun sein Gebäck selbst mitbringen –, und die Not wird unübersehbar. Da die meisten Männer an der Front sind, werden Frauen als Schaffnerinnen und in anderen Berufen eingesetzt – es ist der Beginn einer Zeit, in der dem »schwachen Geschlecht« mit dem angeblich niedrigeren Intelligenzquotienten plötzlich mehr zugetraut wird, als sich nur um Heim und Herd zu kümmern.

All diese großen Veränderungen, die nicht nur Wien, sondern ganz Europa betreffen, verfolgten die Brüder Ferdinand und Gustav Bloch-Bauer mit Besorgnis, zumal auch der Zucker rationiert und die Not täglich größer wurde. Aber noch gibt es das große Habsburgerreich unter Kaiser Franz Joseph I., den deutschen Kaiser und den Zaren von Russland. Niemand ahnt, dass nur ein Jahr später die Revolution in Russland Nikolaus II. und das Zarenreich hinwegfegen werden, dass sich nach einem verlorenen Krieg Kaiser Wilhelm II. ins holländische Exil begeben sollte und der Habsburger Thronfolger Kaiser Karl I. und seine Frau Zita eine 700 Jahre alte Dynastie hinter sich lassen und ebenfalls ins Exil gehen würden. 1919 werden drei große Monarchien von der Bildfläche verschwunden sein, und die gesamte europäische Landkarte hat sich für immer verändert.