Der Große Nordische Krieg 1700–1721 - Stephan Lehnstaedt - E-Book

Der Große Nordische Krieg 1700–1721 E-Book

Stephan Lehnstaedt

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Beschreibung

Der Große Nordische Krieg war einer der folgenreichsten Konflikte in der neueren europäischen Geschichte. Zwischen 1700 und 1721 kämpfte Schweden gegen eine gegnerische Allianz aus Russland, Dänemark, Sachsen-Polen und weiteren Staaten um die Vorherrschaft in Osteuropa. Mit seiner ebenso schlagkräftigen wie gefürchteten Armee gelang es König Karl XII. nicht, den schwedischen Großmachtstatus zu halten. Stephan Lehnstaedt erklärt anschaulich, warum am Ende einzig das Zarenreich als eindeutiger Sieger aus dem Krieg hervorging. Peter der Große legte damit den Grundstein für die spätere Weltmacht Russland. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

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Stephan Lehnstaedt

Der Große Nordische Krieg 1700–1721

Reclam

Kriege der Moderne

 

Herausgegeben vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr

 

Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Fachbereich Publikationen (0881-01)

 

 

2021 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Umschlagabbildung: Pierre-Denis Martin, Die Schlacht von Poltawa. Niday Picture Library / Alamy Stock Photo

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2021

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961876-0

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-011345-5

www.reclam.de

Inhalt

1 Nachlese einer Schlacht: Karl XII. und Peter I. nach Poltawa2 Nordosteuropa im 17. Jahrhundert: das schwedische Imperium und der Niedergang Polens3 Die Armeen der kriegführenden MächteDie schwedische ArmeeDie Armeen von Sachsen und PolenDie russische Armee4 Von Sieg zu Sieg: Schwedens Weg vom Baltikum nach Sachsen5 Schweden gegen Russland: Von Altranstädt nach Poltawa6 Poltawa 1709: Der Höhepunkt des Großen Nordischen Krieges7 Russische Dominanz im Osten8 Kampf um den schwedischen Besitz im Reich9 Seekriegführung in der Ostsee10 Der Friede von Nystad11 Die Folgen des Großen Nordischen KriegesAnhangZeittafelLiteraturhinweiseAbbildungsnachweisSachregister

[7]1 Nachlese einer Schlacht: Karl XII.Karl XII., König von Schweden und Peter I.Peter I., Zar und Großfürst von Russland nach Poltawa

Der russische Zar Peter I. (1672–1725) Peter I., Zar und Großfürst von Russland während der Schlacht von Poltawa. Gemälde, um 1710

»Hier ist Alles gut gelungen. Nur am Schlusse des Jahres und nur durch einen besonderen Zufall hatte die Armee das Unglück, Verluste zu erleiden, die, wie ich hoffe, binnen Kurzem wieder gut gemacht sein werden.« So positiv gestimmt gab sich der schwedische König Karl XII.Karl XII., König von Schweden im August 1709 in einem Brief an seine Schwester Ulrika EleonoreUlrika Eleonore, Königin von Schweden. Die tatsächliche Lage sah weit weniger rosig aus.

Ziemlich genau einen Monat war es her, dass KarlKarl XII., König von Schweden und seine Armee im Südosten der heutigen Ukraine dem russischen Heer unterlegen [8]waren. Die Schlacht von Poltawa am 8. Juli 1709 war für Schweden alles andere als eine Petitesse, und vor allem Zweckoptimismus bestimmte das Schreiben nach Stockholm. Es wurde aus dem Feldlager im heute moldauischen Bender abgesandt – 600 Kilometer weit waren die wenigen überlebenden Schweden vor den nachrückenden Russen geflohen und hatten nur mit knapper Not die rettende Grenze zum Osmanischen Reich überschritten.

Friedrich August I., Kurfürst von Sachsen, genannt der Starke (1670–1733)August, Kurfürst von Sachsen, als August II. König von Polen, wurde als August II. zum König von Polen gewählt. Gemälde, um 1723

Die einst furchteinflößende schwedische Armee, die fast ein Jahrhundert lang als die kampfstärkste in ganz Europa gegolten hatte, existierte nicht mehr: In Poltawa »hat es sich denn hernach zugetragen, dass der größte Teil des Fußvolks verloren gegangen ist und dass auch die Reiterei viel Abbruch erlitten hat. Dieser Verlust ist allerdings groß.« So realistisch war KarlsKarl XII., König von Schweden Beurteilung drei Tage nach der Schlacht, aber das war nicht für die Augen seiner Schwester bestimmt, sondern für seine Generale.

[9]Tatsächlich war allein in Poltawa von über 25 000 Schweden etwa die Hälfte gefallen. Viele weitere starben auf dem missglückten Rückzug, und nicht wenige gerieten in Kriegsgefangenschaft. Innerhalb einer Woche war ein Prozent der schwedischen Bevölkerung in Russland gestorben. Kaum mehr als 2000 Soldaten hatte KarlKarl XII., König von Schweden in Bender noch bei sich. Aber was hatten sie überhaupt im Russischen Reich verloren, in der südlichen Ukraine, nur wenige Tagesmärsche von Charkiw entfernt?

Sie kämpften dort im Großen Nordischen Krieg, der von 1700 bis 1721 dauerte. Den Krieg ausgelöst hatten die großen Ambitionen von Monarchen, und er brachte großes Leid über ihre Untertanen und Soldaten. Zudem führte er zu einer Neuordnung Europas: Zu Beginn des Krieges war Schweden eine militärische Großmacht mit ausgedehnten Territorien an der ganzen Ostseeküste, am Ende hatte es diese Stellung verloren und war von einem Imperium zu einem Mittelstaat an der europäischen Peripherie geworden.

Die vorherrschende Kraft südlich der Ostsee war die Adelsrepublik (Rzeczpospolita) Polen-Litauen, deren Ständevertreter 1697 den sächsischen Kurfürsten Friedrich August I.August, Kurfürst von Sachsen, als August II. König von Polen als August II.August, Kurfürst von Sachsen, als August II. König von Polen zum König gewählt hatten. Das größte Flächenland Europas wollte dank der wirtschaftlichen Prosperität des viel kleineren Sachsen zu vergangener Stärke zurückfinden. AugustAugust, Kurfürst von Sachsen, als August II. König von Polen wiederum hoffte, mit Unterstützung der legendären polnischen Husaren für seine Dynastie im Baltikum weitere Erblande erwerben zu können.

Östlich von Polen lag das Moskauer Reich des russischen Zaren Peter I.Peter I., Zar und Großfürst von Russland, das bisher kaum auf der europäischen Bühne in Erscheinung getreten war. PetersPeter I., Zar und Großfürst von Russland Regierungsstil war bestimmt von direkter Kontrolle, von drakonischen Maßnahmen und von seiner persönlichen Führung in Schlachten. Die von ihm durchgesetzte dynamische Modernisierung des Landes und seiner Armee dienten vor allem dem Ziel einer Expansion an die Ostsee. In Poltawa sicherte PeterPeter I., Zar und Großfürst von Russland diese Gebietsgewinne ab und machte zudem einem Aufbegehren der ukrainischen Kosaken um Iwan MasepaMasepa, Iwan; Hetman der ukrainischen Saporoger Kosaken ein Ende, der als Verbündeter Karls XII.Karl XII., König von Schweden ein eigenes Reich gründen wollte.

PeterPeter I., Zar und Großfürst von Russland und AugustAugust, Kurfürst von Sachsen, als August II. König von Polen – sowie zeitweise Dänemark-Norwegen, Brandenburg-Preußen und Hannover – versuchten 21 Jahre lang, ihre Macht auf Kosten Schwedens auszubauen. Aus heutiger Sicht mutet das wie eine ausgemachte Sache an, zunächst aber eilte KarlKarl XII., König von Schweden an der Spitze seiner [10]Truppen von Sieg zu Sieg und schaltete einen Kriegsgegner nach dem anderen aus. Was ihn und seine Soldaten nach Poltawa geführt hatte, war der unbedingte Wille, Russland in einer Entscheidungsschlacht niederzuwerfen, um das eigene Ostseeimperium zu sichern.

Der schwedische König Karl XII. Karl XII., König von Schweden (1682–1718) und der Hetman der ukrainischen Kosaken Iwan Masepa (1639–1709) Masepa, Iwan; Hetman der ukrainischen Saporoger Kosaken nach der Schlacht von Poltawa 1709. Gemälde von Gustaf Cederström, 1879

Poltawa wurde zu einer Katastrophe für die Schweden. Eine Entscheidungsschlacht jedoch war es nur bedingt, denn bis zum Frieden von Nystad 1721 sollten die Kämpfe noch zwölf Jahre andauern. Weitere [11]Armeen wurden ins Feld geführt, doch der Kriegsschauplatz hatte sich von Russland nach Nordostdeutschland verlagert, wo Schweden ebenfalls über große Ländereien verfügte. Angesichts des schwindenden Erfolgs strebte KarlKarl XII., König von Schweden nach der Initiative, um weiterhin das Geschehen zu bestimmen. Seine Soldaten folgten ihm bedingungslos, denn er war 18 Jahre lang ununterbrochen gemeinsam mit ihnen im Felde, führte sie an und zog sich immer wieder selbst Verwundungen zu.

[12]Doch es gelang nicht mehr, eine Wende herbeizuführen. Und so erwiesen sich die Worte Peters I.Peter I., Zar und Großfürst von Russland als zutreffend, der die Bedeutung von Poltawa sofort klar erfasst hatte: »Jetzt ist vollends mit Gottes Hilfe der Grundstein für Sankt Petersburg gelegt.« Der russische Zar hatte große Gebiete an der Ostsee erobert und machte die nach ihm selbst benannte, 1703 gegründete Siedlung an der Newa bereits 1712 zur Hauptstadt des Russischen Reiches. Und während PeterPeter I., Zar und Großfürst von Russland der große Gewinner des Nordischen Krieges war, musste AugustAugust, Kurfürst von Sachsen, als August II. König von Polen machtlos zuschauen, wie sich Preußen an der schwedischen Beute schadlos hielt.

Karl XII.Karl XII., König von Schweden wird in Schweden nach wie vor als letzter Kriegerkönig und Herrscher über ein untergegangenes Reich angesehen. August II.August, Kurfürst von Sachsen, als August II. König von Polen hingegen hat in Polen ein schlechtes Image, in Sachsen jedoch gab man ihm – wegen seiner vielen Mätressen – den Beinamen »der Starke«. Nur Peter I.Peter I., Zar und Großfürst von Russland ist allgemein als »der Große« bekannt.

[13]2 Nordosteuropa im 17. Jahrhundert: das schwedische Imperium und der Niedergang Polens

1614 war erstmals vom schwedischen Dominium maris baltici – der ›Ostseeherrschaft‹ die Rede. Der Hafen von Stockholm auf einem Gemälde von Bonaventura Peeters, 1636

Spätestens seit den Zeiten der Hanse war die Ostsee ein Meer der Möglichkeiten: Sie ermöglichte kulturellen Austausch, schnellen Transport und umsatzstarken Handel. Entsprechend attraktiv war es, die Kontrolle über sie auszuüben. Anspruch darauf erhoben zunächst die dänischen Herrscher, die den Sund und damit die Zufahrt von der Nordsee zur Ostsee kontrollierten. Das brachte ihnen üppige Zolleinnahmen ein, die die Expansion nach Norwegen finanzierten. Dieser Reichtum rief natürlich Neider auf den Plan, und insbesondere der Nachbar Schweden erwies sich als überaus geschickt darin, den Dänen den Rang abzulaufen: 1614 war erstmals die Rede vom schwedischen Dominium maris baltici – der Ostseeherrschaft.

Dieser Aufstieg war auch deshalb möglich, weil südlich des Meeres die polnischen Adligen viel mehr an ihren eigenen Landbesitz dachten als an den Seehandel. Ihr Expansionsdrang führte sie nach Osten, gegen das Moskauer Zarenreich: Unter ihrem aus Schweden stammenden König Sigismund III. WasaSigismund III. Wasa, König von Polen ritten polnische Husaren 1610 in den Kreml [14]und konnten wenige Jahre später einen überaus vorteilhaften Frieden erzwingen.

Moskau wiederum wurde von allen Seiten bedrängt: Im Osten und Süden musste es sich der tatarischen Reitervölker erwehren, im Westen der Polen, und im Norden besetzte Schweden, zu dessen Territorium in jener Zeit auch das heutige Finnland gehörte, immer größere Teile des Baltikums und verweigerte den Zaren einen Zugang zum Meer. Von Stockholm aus wurden das heutige Estland und Lettland regiert, Karelien, Ingermanland und sämtliche Ostseeinseln, dazu Vorpommern sowie das an die Nordsee reichende Herzogtum Bremen-Verden. Die Zahl der Untertanen Schwedens blieb bescheiden, sie verteilten sich aber auf eine riesige Fläche. Gemeinsam mit Finnland hatte das Mutterland 1,4 Millionen Einwohner, nochmals 1,1 Millionen lebten auf der anderen Seite der Ostsee. Und während Stockholm 57 000 Bewohner zählte, waren lediglich noch Riga, Reval, Stralsund und Stettin von nennenswerter Größe, wenn auch nur jeweils mit 10 000–12 000 Menschen. Das war zwar nichts im Vergleich zu Metropolen wie London und Paris mit ihren Bevölkerungen von jeweils über einer halben Million, aber Schweden war nach seinen Eroberungen im Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) größer als etwa Brandenburg-Preußen mit 2 Millionen, Dänemark-Norwegen mit 1,5 Millionen oder Sachsen mit 1,2 Millionen Einwohnern.

Riga war weit hinter Stockholm und neben Reval, Stralsund und Stettin eine der größeren schwedischen Städte im Ostseeraum. Ansicht der Stadt Riga, Kupferstich, um 1700

Wie aggressiv und zudem erfolgreich Schweden militärisch agierte, bekam vor allem Polen-Litauen immer wieder zu spüren. Seine [15]Truppen verwüsteten das Land so stark, dass im Polnischen bis heute »Schwedenflut« ein geflügeltes Wort für eine Heimsuchung biblischen Ausmaßes ist. Weil in jenen Jahren in der Mitte des 17. Jahrhunderts außerdem die in der heutigen Ukraine beheimateten Kosaken mit Moskauer Hilfe gegen die polnische Dominanz rebellierten, erlebte Polen nach seinem Triumph 1610 ein Zeitalter voller Not und Elend.

Die Adelsrepublik verlor Ende des 17. Jahrhunderts ihren Status als Großmacht und entwickelte sich immer mehr zu einem kaum noch regierbaren, von inneren Auseinandersetzungen gebeutelten und von äußeren Feinden bedrängten Land. Dennoch deutete zunächst nichts darauf hin, dass einmal Russland und Preußen die dominierenden Akteure in Ostmitteleuropa sein würden. Erst die Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts hat diese Vorherrschaft als erwartbar und gewissermaßen natürlich dargestellt. Aber diese Annahme geht von falschen Voraussetzungen aus: Keinesfalls handelte es sich dabei um einen zwangsläufigen Prozess, ganz im Gegenteil ist er höchst erklärungsbedürftig.

Der Niedergang von Polen-Litauen war nicht unabwendbar. Der Sejm, das Parlament der Adelsrepublik, hatte 1697 mit Friedrich AugustAugust, Kurfürst von Sachsen, als August II. König von Polen von Sachsen den Herrscher des wohlhabendsten deutschen Kurfürstentums als August II.August, Kurfürst von Sachsen, als August II. König von Polen zu seinem König gewählt. Der Dynastie der Wettiner war damit als erstem Haus innerhalb des Heiligen Römischen Reiches der Aufstieg zur Königskrone gelungen. Die Krönung schien ein konsequenter Schritt auf dem Weg zu einer glänzenden Zukunft, [16]denn selbst die vergleichsweise bescheidenen Machtmittel der Adelsrepublik stellten AugustAugust, Kurfürst von Sachsen, als August II. König von Polen weit höher als seine Berliner Rivalen. Dass Brandenburg-Preußen zum alles dominierenden Faktor der deutschen Geschichte werden würde, konnten sich die Zeitgenossen um 1700 nicht vorstellen.

Und tatsächlich war die Adelsrepublik Polen-Litauen, bei aller Schwäche, nicht rückständiger als ihre Nachbarn: Feudalismus und Leibeigenschaft gab es schließlich auch in Russland oder Preußen. Ähnliches galt für das polnische Militär, das vielleicht nicht den mitteleuropäischen Erwartungen an eine starke Infanterie entsprach, aber mit seinem Fokus auf die schwere Reiterei perfekt auf Auseinandersetzungen in den Weiten Osteuropas vorbereitet war. Zuletzt hatten sich diese Einheiten beim Sieg gegen die Türken vor Wien 1683 bewährt.

Vor der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert deutete außerdem nichts auf einen schwedischen Einflussverlust hin. Das Land war seit den drei Friedensverträgen 1660/61 mit Polen, Dänemark und Russland in eine Phase der Konsolidierung eingetreten und hatte lediglich 1675 in Fehrbellin eine militärisch unbedeutende, aber für Preußens Gloria hochsymbolische Schlacht verloren. Karl XI.Karl XI., König von Schweden setzte danach auf einen Modernisierungskurs und sicherte sich selbst absolutistische Vorrechte. Das ging einher mit einer massiven Steigerung der Einkünfte der Krone: Der Königshof zog insbesondere in den baltischen Provinzen Lehen ein, um so unmittelbaren Zugriff auf deren Einkünfte zu erhalten. Der Grundbesitz des Monarchen stieg in Livland von 1,25 Prozent auf über 80 Prozent. Das stieß auf massiven Protest der lokalen Adligen. Doch statt deren Anführer Johann von PatkulPatkul, Johann Reinhold von Zugeständnisse zu machen, klagte man ihn in Stockholm der Majestätsbeleidigung an.

Im schwedischen Kernland hingegen traf die neue Politik auf Zustimmung: Der Militärstaat hatte die Gesellschaft verändert. Es herrschte nicht mehr nur eine kleine Clique alteingesessener Adliger, die von den Einkünften ihrer Ländereien lebten, sondern es gab auch viele Männer, die für ihre Verdienste geadelt worden waren. Diese Offiziere und Beamten waren die großen Nutznießer der Neuordnung. Zugleich verminderte sich die Staatsschuld von über 40 auf 10 Millionen Taler, außerdem konnten Heer und Flotte ausgebaut werden.

Rzeczpospolita – die polnisch-litauische Adelsrepublik

Einer der ungewöhnlichsten Staaten der Frühen Neuzeit war die seit einem Unionsvertrag von 1569 bestehende polnisch-litauische Rzeczpospolita. Dieser Zusammenschluss war ganz wörtlich die »gemeinsame Sache« eines Adels, der beinahe zehn Prozent der Bevölkerung ausmachte. Er trat im Sejm, dem Parlament, zusammen, beschloss dort Gesetze und wählte den König. Latein als gemeinsame Amtssprache ermöglichte die Verständigung, aber die Vorrechte der Adligen erschwerten eine effiziente Verwaltung. Dazu gehörte insbesondere das liberum veto, das jedem Anwesenden ein Blockaderecht im Sejm ermöglichte, weshalb die erforderliche Einstimmigkeit oftmals mit vielen Zugeständnissen erkauft werden musste.

Dennoch erwies sich Polen-Litauen als erstaunlich handlungsfähig. Zeitweise erstreckte sich das beherrschte Gebiet von der Ostsee bis ans Schwarze Meer – es war der größte Flächenstaat Europas. Manche der hochadligen Magnaten herrschten über größere Territorien als die deutschen Fürsten. Weil ihre Besitzungen selten zusammenhingen, sondern sich über beide Reichsteile erstreckten – die jeweils ihre eigenen Verwaltungsstrukturen hatten, so dass sämtliche Ämter doppelt vorhanden waren – galt ihr Interesse aber einem Fortbestand der Republik. Außerdem boten Königswahlen, wie etwa die von Friedrich AugustAugust, Kurfürst von Sachsen, als August II. König von Polen von Sachsen, die Möglichkeit, durch Bestechungen an Posten zu gelangen.

Der Sohn Karls XI.Karl XII., König von Schweden, der als Karl XII.Karl XII., König von Schweden der bedeutendste Feldherr des Großen Nordischen Krieges werden sollte, übernahm bei seiner [17]Thronbesteigung 1697 ein finanziell gut aufgestelltes Reich mit einem wohlorganisierten und extrem schlagkräftigen Militär. Der zu diesem Zeitpunkt erst 15-jährige König hatte sich umfassend mit Strategie und Geschichte beschäftigt, aber seine Studien noch nicht abgeschlossen. Doch dafür war nun keine Zeit mehr. KarlKarl XII., König von Schweden nahm den Eid und die Huldigung der Stände entgegen und ließ sich am nächsten Tag in der Stockholmer Kathedrale krönen.

Angesichts der Jugend und vermeintlichen Unerfahrenheit Karls XII.Karl XII., König von Schweden nutzten rivalisierende Herrscher die Gelegenheit, um auf Kosten Schwedens zu expandieren. An anderen Fronten war Ruhe, denn die Osmanen hatten mit den Habsburgern Frieden geschlossen, sodass keine Truppenkontingente für den Schutz des Heiligen Römischen Reiches mehr benötigt wurden. Und der Spanische Erbfolgekrieg sollte in [18]Westeuropa erst ab 1701 wüten. Diese und andere Konflikte waren regionalisiert und voneinander getrennt – und alle Parteien stimmten darin überein, dies auch grundsätzlich weiter so halten zu wollen.

Unter diesen Vorzeichen verbündeten sich Sachsen, Russland und Dänemark Ende 1699 gegen Schweden. In Kopenhagen fürchtete man um die Kontrolle über den Öresund, denn Schweden hatte schon eine Befreiung von den ansonsten fälligen Zöllen erwirkt; außerdem stellte das im Süden des Landes gelegene Herzogtum Schleswig-Holstein-Gottorf einen permanenten Streitpunkt mit Schweden dar. Formal ein Teil Dänemarks, strebte das Herzogtum nach mehr Autonomie und näherte sich Stockholm an, wozu auch die Heirat des Herzogs Friedrich IV.Friedrich IV., Herzog von Schleswig-Holstein-Gottorf mit KarlsKarl XII., König von Schweden älterer Schwester Hedvig SofiaHedvig Sofia, Herzogin von Schleswig-Holstein-Gottorf beitrug. In Kopenhagen sah man die Stunde gekommen, diese Entwicklungen nicht nur aufzuhalten, sondern sogar umzukehren.

Wie Russland mit seinem Zugang zur Ostsee argumentierte der dänische König Friedrich IV.Friedrich IV., König von Dänemark und Norwegen (der nicht mit seinem Gegner, dem gleichnamigen Herzog aus Holstein-Gottorf, zu verwechseln ist) mit der Rückgewinnung verlorener Territorien, denn die ehemalige dänische Provinz Schonen im Süden des schwedischen Festlands gehörte in jener Zeit bereits zu Schweden. Der schwelende Nachbarschaftskonflikt war der wesentliche Grund, weshalb Kopenhagen fast die Hälfte seines Staatshaushalts für das Militär ausgab. Zar PeterPeter I., Zar und Großfürst von Russland handhabte das nicht grundsätzlich anders, aber die entscheidende Voraussetzung für seinen Kriegseintritt war ein Friedensschluss mit dem Osmanischen Reich, der 1699 glückte. Nun musste Moskau im Süden nicht mehr mit einem Angriff in der ukrainischen Steppe rechnen und hatte den Rücken frei für einen Konflikt im Norden.

Konkurrent um die Vorherrschaft im Ostseeraum: Friedrich IV., König von Dänemark (1671–1730)Friedrich IV., König von Dänemark und Norwegen. Kupferstich, um 1766

PeterPeter I., Zar und Großfürst von Russland hatte außerdem ein persönliches Anliegen: Immer wieder beschwor er als Ursache für sein Engagement eine Beleidigung bei einem Besuch im schwedischen Riga 1697: Der Zar war inkognito durch Europa gereist und wollte auf dem Rückweg die dortige Festung besichtigen und auch zeichnen. Diese durchaus ungewöhnliche Bitte lehnte der Rigaer Gouverneur ab – ihm war wohl bewusst, um wen es sich bei »Herrn Michailow« handelte, aber da der sich nicht offiziell als russischer Monarch vorgestellt hatte, musste er auch nicht mit Unterwürfigkeit behandelt werden. PeterPeter I., Zar und Großfürst von Russland beschwerte sich in Stockholm bei Karl XII.Karl XII., König von Schweden, doch der wollte in der verweigerten Inspektion nichts Verwerfliches erkennen [19]und lehnte eine Bestrafung des Gouverneurs ab. Noch 1709 benannte PeterPeter I., Zar und Großfürst von Russland dieses Verhalten als seinen Kriegsgrund.

Anfangs waren die territorialen Ziele Russlands bescheiden: Es ging zunächst darum, die einstigen Besitzungen rund um die Stadt Nowgorod zurückzugewinnen und einen Zugang zur Ostsee zu erhalten. Weitere Ambitionen, etwa in Polen oder Kurland, kamen erst im Verlauf des Krieges hinzu. Anders als bei den schwedischen Eroberungen im 17. Jahrhundert ging es Peter I.Peter I., Zar und Großfürst von Russland und Friedrich IV.Friedrich IV., König von Dänemark und Norwegen um Revanche und die Kompensation früherer territorialer Verluste – so wie Herrscher und Staaten zu allen Zeiten mit historischen Ansprüchen argumentierten. Letzten Endes kämpften die schwedischen Soldaten dafür, dass ihr Land seine Eroberungen behalten durfte. Sie riskierten ihr Leben für diejenigen, die vom Imperium bisher profitiert hatten, also insbesondere für Adlige, die in den neu erworbenen Gegenden reiche Latifundien zugeteilt bekommen hatten. Das war bei den Gegnern nur insofern anders, als dort für den zukünftigen Reichtum von Wenigen gefochten wurde.