Der Held im Pardelfell - Tilman Spreckelsen - E-Book

Der Held im Pardelfell E-Book

Tilman Spreckelsen

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Beschreibung

Über Jahrhunderte mündlich überliefert, prägend für das Selbstverständnis eines ganzen Landes und dabei eine zauberhafte Liebes- und Heldengeschichte: Diesmal haben sich Tilman Spreckelsen und Kat Menschik das georgische Nationalepos vorgenommen und daraus ein modern erzähltes und fabelhaft illustriertes Buch gemacht! Märchenhaft und faszinierend fremdländisch klingen sie, die Namen der Helden in diesem Buch: Tinatin und Awtandil, Nestan-Daredschan und Tariel. Zwei Liebespaare, deren Schicksale sich auf unvorhergesehene Weise kreuzen und bedingen. Die beiden Frauen verlieben sich ebenso heftig in die Helden wie diese in sie, jedoch stellen beide Bedingungen, und so müssen Awtandil und Tariel erst harte Prüfungen bestehen und Siege erringen, bevor sie ihre Geliebten wirklich erobert haben. Der Dichter Schota Rustaweli verfasste die Verse um das Jahr 1200, als Georgien unter der Herrschaft von Königin Tamar zur Großmacht wurde – bis die Mongolen dieser Blütezeit ein jähes Ende bereiteten. Umso wichtiger wurde für die Georgier das Epos aus besseren Zeiten – bis heute. Kat Menschik schwelgt in der mittelalterlichen, aber auch orientalischen Atmosphäre und erweckt in ihren Bildern die alten Recken zu neuem Leben. Und Tilman Spreckelsen zieht uns mitten hinein in das Drama um Awtandil und seinen Freund Tariel, den unglücklich Liebenden im Pardelfell. "Regelrechte Wunderkammern der Imagination, so lassen sich die Bilder von Kat Menschik beschreiben, der genialen Buchillustratorin." Denis Scheck, Druckfrisch

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Seitenzahl: 193

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Tilman Spreckelsen

Eine georgische Sage vonSchota RustaweliNacherzählt vonTilman Spreckelsen

Der Held im Pardelfell

Illustriert von Kat Menschik

Kurzübersicht

Buch lesen

Titelseite

Inhaltsverzeichnis

Über Tilman Spreckelsen

Über dieses Buch

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

Vorsatzabbildung

Hinweis

I Awtandils Reise

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

II Tariels Geschichte

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechzehn

Siebzehn

Achtzehn

Neunzehn

III Die Suche nach Nestan Daredschan

Zwanzig

Einundzwanzig

Zweiundzwanzig

Dreiundzwanzig

Vierundzwanzig

Fünfundzwanzig

Sechsundzwanzig

Siebenundzwanzig

Achtundzwanzig

Neunundzwanzig

Dreißig

IV Nestan Daredschans Errettung

Einunddreißig

V Was dann geschah

Zweiunddreißig

Nachwort

Nachsatzabbildung

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Auf einigen Seiten der nachfolgenden Geschichte finden Sie als handschriftliche Marginalien sprichwörtlich gewordene Redewendungen aus Rustawelis Originaltext. Sie alle folgen der im Manesse Verlag erschienenen Übersetzung von Rustawelis Epos durch Ruth Neukomm.

Inhaltsverzeichnis

I Awtandils Reise

Eins

Als Awtandil der Residenz so nahe gekommen war, dass er die Zinnen der Lehmmauer unterscheiden konnte, spürte er, dass etwas anders war. Die Stadt sah aus wie immer, die Türme und Kuppeln ragten über die gewaltige Mauer hinweg, und ihre goldenen Dächer blitzten in der Abendsonne. Die Wächter waren gerade dabei, die Tore zu schließen, wie jeden Abend, dachte Awtandil. Und auch die Menschen, die müde von der Arbeit auf den Feldern, im Wald oder auf den Weiden langsam in die Stadt strömten, zeigten dabei dieselbe erschöpfte Ruhe wie an jedem Tag. Nur dass sie heute immer wieder zur Seite treten mussten, weil aus den Toren Reiter kamen. Sie waren leicht bewaffnet, mit ihrer Lanze konnten sie Strauchdiebe abwehren, wenn es nicht zu viele waren. Aber kaum ein Wegelagerer wagte es, diese Reiter anzugreifen. Jeder von ihnen trug die weiße Schärpe, die den Gesandten des Königs vorbehalten war.

Bote um Bote kam aus der Stadt geritten. Einen Moment lang befürchtete Awtandil das Schlimmste. Er hatte es nicht wahrhaben wollen, er so wenig wie die anderen, die König Rostewan nahestanden, aber vielleicht war er zu sorglos gewesen. Anzeichen hatte es schon seit einiger Zeit gegeben: Manchmal, wenn die Tage lang und die Feiern am Abend noch länger geworden waren, schien die Hand des Königs zu zittern, wenn er den Pokal hob und der Reihe nach jedem zutrank und für jeden einen eigenen Trinkspruch hatte. Aus seinem immer noch dichten Haar war die letzte braune Strähne verschwunden, und auch der Bart war weiß durchwirkt. Aber wenn etwas so Schlimmes geschehen wäre, dass man deshalb die Boten aussenden müsste, dann hätte man schon jetzt die Klagegesänge aus der Stadt bis weit ins Land hinaus gehört. Und auch die Bauern und die Hirten wären wohl nicht so ruhig vor sich hin getrottet.

Awtandil gab seinem Pferd die Sporen. Er hätte einen der Boten anhalten können, die ihm auf der Straße entgegenkamen, aber der hätte ihm auch nur einen Brief gezeigt, natürlich versiegelt und an einen Statthalter des Königs am Ende der Welt gerichtet, irgendwo so weit draußen, dass Awtandil sicher noch niemals dort gewesen war.

Auch er wich den Boten aus, dann passierte er die Wächter und ritt durch die Straßen der Residenz, vorbei an den Lehmbauten mit ihren dicken Wänden und den glatten, fast fensterlosen Fassaden, bis er vor dem Palast angekommen war. Er warf einem Diener die Zügel zu und wollte sich im Thronsaal anmelden, als er den Großwesir Sograt auf sich zukommen sah.

Es ist gut, dass du endlich hier bist, sagte Sograt, der König wartet auf dich.

Awtandil wollte weiter, aber Sograt schüttelte den Kopf und deutete nach links auf eine zweite Treppe. Im Rosengarten, sagte er.

Der Garten war auf einer Terrasse angelegt, hoch über der Stadt, geschützt von einer Brüstung, sodass nur die Vögel sehen konnten, wer sich dort traf. Als Awtandil das Ende der Treppe erreicht hatte und durch eine Pforte ins Freie trat, sah er den König zwischen den Rosenstöcken, ganz versunken, wie es schien. Awtandil kam langsam näher.

Rostewan sah auf und hielt ihm eine Blüte entgegen.

Siehst du, Awtandil, sagte er, wie sie langsam ihre Kraft verlieren? Noch ein paar Tage, dann genügt ein Windhauch, um die Blätter überallhin zu verstreuen.

Aber sie duften schöner als je zuvor, sagte Awtandil.

Rostewan lachte leise.

Das haben sie im Kronrat auch gesagt. Und das, obwohl mancher dort zehn oder noch mehr Jahre älter ist als ich und besser wissen müsste, was die Zeit mit uns macht.

Awtandil schwieg. Er dachte daran, dass der Druck von Rostewans Hand auf seinem Arm zuletzt oft mehr gewesen war als ein Zeichen von Huld. Rostewans Fuß war nicht mehr so sicher wie früher, und wenn Awtandil mit ihm gemeinsam in den Rosengarten gegangen war, hatte er seinen eigenen Schritt etwas zügeln müssen, um Rostewan nicht zu berühren.

Ich habe dem Rat meine Entscheidung mitgeteilt, den Thron künftig zu teilen. Einen Mitregenten einzusetzen, der mir einmal nachfolgen soll.

Awtandil wusste, wie schwer dem König das gefallen sein musste.

Tinatin, sagte Rostewan. Sie hat all die Jahre den besten Unterricht erhalten und ist jetzt bereit dafür.

Tinatin, dachte Awtandil. Was hatte ich denn erwartet?

Ich möchte, dass du meine Entscheidung verstehst, sagte der König. Sie ist die richtige, und das wäre sie auch, wenn ich außer ihr auch noch einen Sohn hätte. Er lachte leise. Weißt du, was der Großwesir gesagt hat? Es spiele keine Rolle, ob ein Löwenkind nun Sohn oder Tochter sei. Hauptsache Löwe.

Rostewan wurde wieder ernst.

Du wirst sie stützen, nicht wahr?, fragte er Awtandil dann.

Ich werde sie sehen, dachte Awtandil, jeden Tag, als Königin. Sie wird sich mit mir beraten, manchmal werden wir sogar allein miteinander sein. Und sie wird mir ferner sein als je zuvor.

Wirst du?, fragte Rostewan.

Ja, sagte Awtandil.

Zwei

Der ägyptische Gesandte hatte schon zweimal zum Trinkspruch angesetzt, den man von ihm erwartete, und zweimal den Faden verloren. Jetzt versuchte er es ein drittes Mal, und als der arabische Offizier, der ihm gegenüber saß, ihn mit lauten Bravorufen unterbrach, setzte sich der Gesandte erleichtert mit fahrigen Bewegungen wieder hin. Alle tranken, dann stand der Nächste auf. Während die Sklaven blitzschnell mit den Silberkrügen von Gast zu Gast gingen und die Pokale wieder füllten, pries der Redner die Weisheit des Königs und die Freigebigkeit der Prinzessin, die von diesem Tag an die Mitregentin ihres Vaters war. Er hatte Grund dazu, so wie jeder hier im großen Saal des Lehmpalasts. Tinatin hatte sie aus ihrem privaten Vermögen derart großzügig beschenkt, dass sich viele fragten, ob die Prinzessin nun überhaupt noch etwas besaß.

Rostewan hatte ruhig dabeigesessen, als Tinatin jedem Mitglied des hohen Rats einen goldenen Harnisch überreicht hatte und zustimmend genickt, als sie Seidenballen an die Vorsteher der Kaufmannsbruderschaft verteilte. Er war ans Fenster getreten und hatte zufrieden die großen Kessel gesehen, in denen Tinatins Köche Pilaw für die Armen der Residenz zubereitet hatten. Und er hatte gesehen, wie sich die Offiziere auf die edlen Streitrösser gestürzt hatten, die Tinatins Stallmeister ihnen im Hof zugeführt hatte.

Nun war es an ihm, einen Trinkspruch anzubringen. Von heute an, sagte Rostewan, herrscht eine Königin in diesem Land, dem es nie besser ging und dem es von nun an jeden Tag besser gehen wird. Ihr alle werdet es erleben, unser goldenes Zeitalter, das einmal den Namen dieser Königin tragen wird. Burgen und Brücken wird sie bauen und dem Feind die Stirn bieten, ihr Name wird einen süßen Klang haben unter uns und einen schrecklichen jenseits unserer Grenzen. Sollte übrigens irgendjemand daran zweifeln, dass ich noch da bin, um meiner Tochter beizustehen, dann kann er mich gern herausfordern: Reiten, Schwertkampf, Bogenschießen, den möchte ich sehen, der mir gleichkommt!

Hört, hört, rief der ägyptische Gesandte.

Rostewan schaute sich herausfordernd um. Sein Blick fiel auf Awtandil. Der junge Krieger lächelte und nahm einen kräftigen Schluck aus dem Pokal, der vor ihm stand.

Was ist, Awtandil? Habe ich recht?

Awtandil stand auf.

Darf ich aussprechen, was ich denke, Majestät, ohne Euren Zorn fürchten zu müssen?

Es wurde vollends still. Auch diejenigen, die ihre Augen kaum noch offen halten konnten, wollten kein Wort verpassen.

Musstest du das denn je?, fragte Rostewan zurück.

Majestät?

Sprich, Awtandil, sagte Rostewan, was immer du willst, es geschieht dir nichts.

Dann lasst mich sagen, dass ich Eure Kriegskunst bewundere, Eure weise Regierung, Euren Sinn für die schönen Dinge. Nur was das Bogenschießen angeht, fürchte ich, dass es einen gibt, der Euch mehr als ebenbürtig ist.

Er ist mir über?

In diesem einen Punkt, Majestät.

Du sprichst von dir.

Das war eine Feststellung, keine Frage, und Awtandil nickte nur.

Schön, sagte Rostewan, und blickte in die Runde. Ich weiß, dass ihr alle Awtandil liebt, so wie ich ihn liebe. Fürchtet euch nicht, sprecht so frei, wie er gesprochen hat. Glaubt ihr das auch?

Niemand rührte sich.

Ich glaube ja, er hat den Mund etwas zu voll genommen, oder nicht?

Der ägyptische Botschafter schaute vom Einen zum Anderen und entschied sich, so stumm zu bleiben wie alle im Raum.

Wir werden es herausfinden, sagte Rostewan, in drei Tagen. Du und ich, Awtandil, werden jeder mit zwölf Sklaven zur Jagd gehen. Wer bis zum Abend mehr erlegt hat, wird beim Verlierer zu Gast sein. Wir benutzen nur unsere Bogen, ihr Ritter hier im Saal seid Zeugen. Und weil ihr euch gerade so gar nicht zwischen uns beiden entscheiden wolltet, werdet ihr das Wild zählen, das wir erlegen. Eurem Urteilsspruch wollen wir uns unterwerfen.

Rostewan hob den Pokal und trank Awtandil zu.

Awtandil sah, dass Tinatins Auge auf ihm ruhte. Und fragte sich, wem die neue Königin wohl den Erfolg beim Jagen gönnte.

Drei

Hirsche und Rehe, Wildesel, die sich ängstlich aneinanderdrängten, Hyänen, Steinböcke und Gemsen: Rostewans Leute hatten die Tiere in eine lang gestreckte Steppe zwischen zwei hohen Bergrücken getrieben und bewachten nun die Herden, um sie am Ausbrechen aus dem Tal zu hindern. Alles war bereit, als Rostewan in seinem roten, Awtandil in seinem weißen Jagdrock herbeigeritten kam. Ihre Diener waren bei ihnen, schwer beladen mit gefüllten Köchern und Bogen. Sie würden den beiden Jägern helfen, die Tiere zu ihnen treiben und Ersatz bereithalten, wenn die Pfeile verschossen oder die Sehnen zerrissen wären. Vom Morgen bis zum Nachmittag hatten Rostewan und Awtandil Zeit. Dann würden sie miteinander rasten und die Helfer die erlegten Tiere zählen lassen.

Der König kam zu seinem Ziehsohn geritten. Die Pferde tänzelten aufgeregt. Bist du bereit?, fragte Rostewan. Du kannst es dir immer noch überlegen.

Ich hatte einen guten Lehrer, sagte Awtandil.

Rostewan lächelte. Mach mir keine Schande, sagte er und berührte Awtandil leicht an der Schulter.

Der Ausgang des Tals, an dem sie mit der Jagd begannen, war breit. Jeder schlug mit seinem Gefolge einen Weg ein, der ihn von seinem Gegner entfernte. Die Herden stoben davon. Einige Tiere versuchten, seitwärts zu den Hängen zu flüchten und wurden von dort wieder zurückgetrieben; andere stürmten zum hinteren Ende der Talebene, weit entfernt am Horizont, wo die Berge nur einen Spalt ließen, durch den ein kleiner Bach abfloss.

Die Jäger erreichten zuerst die alten und kranken Tiere, die nicht mit der wegstürmenden Herde mithalten konnten, und erlegten sie. Nicht jeder im Vorbeireiten abgeschossene Pfeil war tödlich, dann zügelten Rostewan oder Awtandil das Pferd und schossen einen zweiten, oder sie sprangen ab und zückten das Messer. Die leblosen Körper ließen sie zurück; die Sklaven trugen sie zusammen und steckten eine Flagge mit einem weißen oder roten Wimpel in die Haufen, um anzuzeigen, wem die Beute gehörte.

In dem trockenen Tal wirbelten die Herden Staub auf, ebenso die Hufe der Araberpferde. Die Luft war voll vom Brüllen der sterbenden Tiere und vom Blutgeruch, Wind kam auf, und als die Jäger schließlich beinahe das Ende des Tals erreicht hatten, den Durchgang im Bergmassiv, durch den die fliehenden Tiere ins Dickicht entkommen waren, hatte sich der Himmel zugezogen. Es war schwül geworden. Rostewan und Awtandil schossen jeder noch einen Pfeil auf die Herde der davonstürmenden Wildesel, dann beschlossen sie, es gut sein zu lassen, und der König befahl den Rittern, die Beute zu zählen.

Die Diener schlugen ein Lager im Schatten einer Zeder auf, des einzigen Baums weit und breit. In seiner Nähe floss der Bach. Rostewan und Awtandil tranken Wein, matt von dem Ritt, den Bogenschüssen und der Hitze. Dann kam der Großwesir Sograt heran, gefolgt von zwei Schreibern, einigen Rittern und Gästen des Hofs. Die Übrigen blieben zurück und beobachteten die Szene neugierig.

Und?, fragte Rostewan.

Majestät, sagte Sograt, Ihr habt heute so viele Tiere erlegt, dass es für zwanzig Opferfeuer im Tempel unserer Stadt reicht. Die meisten Pfeile, die Ihr verschossen habt, trafen ins Schwarze.

Die meisten, sagte Rostewan. Und Awtandil?

Kein Fehlschuss, sagte Sograt. Und zwanzig Hirsche mehr als Ihr.

Rostewan versuchte noch, finster zu blicken, dann gab er es auf, lachte und umarmte Awtandil. Die Ritter, die aus dem Abstand zugesehen hatten, kamen jetzt heran und klatschten Beifall für Awtandil.

Aber der König hat die Wette doch verloren, sagte der ägyptische Botschafter leise zum Großwesir, warum freut er sich so?

Weil er jetzt weiß, dass er dem Tod mit einer Sorge weniger entgegensehen kann, sagte Sograt.

Vier

Noch immer stand die Sonne hoch. Sograt ging an den aufgeschichteten erlegten Tieren vorbei. Er wählte die zum Brandopfer bestimmten aus und einige, die für die Jagdgesellschaft zubereitet werden sollten. Er schickte Helfer zum Dickicht am Ende des Tals, um die Tiere dort auszuweiden und das Fleisch ausbluten zu lassen, wie es Brauch war. Denn der Blutgeruch durfte nicht zum Fürsten dringen, schon gar nicht an einem so heißen Tag.

Der Großwesir sah, wie sich die Jäger um Rostewan und Awtandil lagerten und den kachetischen Rotwein tranken, den der Fürst eigens für diesen Tag bestellt hatte. Die Diener mit den schweren Schläuchen hatten viel zu tun; mancher Jäger mochte nicht darauf warten, dass sein lederner Becher gefüllt würde, und hielt den Kopf gleich unter den Schlauch, wenn er sicher war, dass niemand auf ihn achtete. Ein Feuer brannte unter einem großen Rost.

Vom Talende her kam ein Staubwirbel näher. Wenig später sprang einer der Helfer aus dem Sattel.

Das ging ja schnell, sagte Sograt.

Herr, ich bringe kein Fleisch. Hinten, wo das Dickicht beginnt und der Bach in den Abgrund strömt, haben wir einen Krieger gesehen, der regungslos auf seinem Rappen sitzt und auf die Steppe starrt. Wir haben gerufen, aber es ist, als ob er uns nicht hört.

Seid ihr zu ihm geritten?

Wir haben es nicht gewagt, Herr. Das ist kein Krieger, wie wir ihn kennen.

Kein Ritter gleicht dem anderen, sagte Sograt. Was war an ihm so besonders?

Ich weiß nicht, ob das überhaupt ein Ritter ist. Er trägt auch keine Rüstung.

Sondern?

Das Fell einer Wildkatze. Es bedeckt seinen Rücken, seine Schultern und seinen Kopf.

Warte hier, sagte Sograt. Er ging zum Fürsten, beugte seinen Mund zu Rostewans Ohr und kam nach einer Weile mit einem Jäger im lindgrünen Umhang zurück, der sich den Mund abwischte, sein Pferd losband und in den Sattel stieg.

Bring mich zu dem Fremden, sagte er zu dem Boten.

Sograt sah den beiden Reitern hinterher.

Was geschieht hier?, fragte der ägyptische Botschafter.

Etwas, das über Glück und Unglück dieses Tages entscheiden kann, sagte Sograt, und vielleicht sogar über die nächsten Wochen und Monate.

Nach einer Weile kam der Jäger zurück. Quer über das Gesicht trug er eine blutende Schramme.

Was ist passiert?, fragte Sograt. Er zeigte auf die Wunde. War das der Fremde?

Ich weiß nicht, ob der Fremde Mensch oder Dämon ist, sagte der Jäger. Er stieg vom Ross. Sograt winkte einen Sklaven herbei, der eine Schale mit Wasser und ein Tuch brachte, um die Wunde zu reinigen.

Ich war schon ganz nahe zu ihm geritten, sagte der Jäger, aber der Fremde schien mich nicht zu bemerken. Er starrte ganz versunken in die Ferne. Es schien mir sogar, als ob er …

Als ob er was?, fragte Sograt.

Seine Wangen waren feucht, seine Augen glänzten. Ich glaube, er weinte still vor sich hin.

Und dann?

Ich rief ihn an. Ich fragte, ob er sich verirrt habe und ob ich ihm helfen könne. Wieder war es so, als ob ich gar nicht da wäre. Ich fasste ihm an die Schulter. Er fuhr hoch, schien mich das erste Mal überhaupt zu bemerken, dann hob er blitzschnell den Arm. Im nächsten Moment spürte ich den Schmerz im Gesicht. Er fiel über mich her wie ein Wahnsinniger. Ich bin geflohen, er hat mich nicht verfolgt. Wahrscheinlich sitzt er immer noch auf seinem Rappen und starrt in die Luft.

Komm, sagte Sograt, und erzähl das dem Fürsten.

Wenig später ritten zwölf Gefolgsleute Rostewans zum Ende des Tals. Sie hatten Befehl, den Fremden zum Lagerplatz zu bringen, wie auch immer, mit guten Worten oder mit Gewalt. Sie kamen grässlich zerhauen zurück, mit Verletzungen der Brust und im Gesicht, mit zertrümmerten Gliedern und blutigen Schädeln. Der Fremde hätte eine dreischwänzige Peitsche, in die Stahlspitzen eingewirkt seien, berichteten die Männer, und hätte sie damit von dem Moment an geschlagen, in dem einer der Männer den Rappen am Zaumzeug gefasst habe. Übrigens sei das Fell, in das sich der Fremde hülle, weiß mit dunklen Flecken. Es stamme wohl von einer Pardelkatze, wie sie in dieser Gegend gar nicht vorkomme. Der Fremde müsse von weit her geritten sein.

Rostewan und Awtandil hörten auch diesen Bericht im Kreis der Ritter und Jäger an, während die zerbrochenen Glieder der Boten notdürftig gerichtet und die Wunden gereinigt und verbunden wurden.

Gilt mein Name, gilt mein Befehl schon so wenig, dass man ihn in den Wind schlägt und meine Boten verprügelt?, sagte Rostewan.

Er muss von jenseits der Berge kommen oder übers Meer, dass er Euch nicht kennt, sagte Awtandil.

Ich frage mich, was einen so starken Krieger dazu bringt, so ausdauernd vor sich hin zu weinen, sagte Sograt.

Sattelt mein Pferd, sagte Rostewan. Du wirst mich begleiten, Awtandil. Der Fremde wird uns bald hier bei diesem Feuer erklären, warum er meine Einladung ausgeschlagen hat. Und er wird dafür büßen, wenn mich seine Rede nicht überzeugt.

Rostewan und Awtandil ritten los. Allmählich konnten sie die Konturen des fremden Ritters sehen, den Rappen, das Pardelfell, die dreischwänzige Peitsche mit dem Silbergriff und schließlich sogar die blitzenden Raubtierzähne an der Kappe, die das Gesicht des Fremden überschattete.

Plötzlich drehte sich der Rappe und trabte gemächlich auf das Dickicht und den Wasserfall zu. Rostewan gab seinem Pferd die Sporen und preschte los, Awtandil folgte ihm. Aber auch der Fremde beschleunigte seinen Ritt, der Rappe galoppierte, schneller als je ein Pferd in Rostewans Königreich. Der Fürst und sein Ziehsohn sahen es noch für einen Moment, dann war es im Dickicht verschwunden. Und so sehr die beiden Jäger suchten, sie konnten keine Spur des Fremden entdecken.

Schweigend ritten sie ins Lager zurück. Der Großwesir, der ihnen entgegengekommen war, brauchte keinen Befehl. Er ließ das Lager abbrechen, die Jagdbeute blieb zurück. Helfer und Jäger ritten so still zum Palast, als hätte es kein Fest und keinen kachetischen Wein gegeben. Rostewan gab Awtandil ein Zeichen, dass er ihn in sein Gemach begleiten solle, und Awtandil schloss die Tür hinter ihnen.

Durch die kleinen Fenster der gewaltigen Lehmmauern schien die Abendsonne in den Raum. Awtandil wollte eine der Öllampen am Kaminfeuer entzünden, aber der Fürst winkte ab.

Was war das?, fragte Rostewan schließlich. Kein sterbliches Pferd kann so schnell und so spurlos verschwinden. Und kein sterblicher Krieger kann ein solches Ross reiten.

Wofür haltet Ihr ihn dann?, fragte Awtandil.

Ich weiß nicht, sagte Rostewan. Vielleicht ist seine Ankunft ein Zeichen? Ein Bote, der mich auf etwas vorbereiten soll?

Ein Bote, der nicht zum Empfänger der Botschaft kommen mag, stattdessen um sich schlägt und davonreitet?

In diesem Moment klopfte es an die Tür. Awtandil sah zum Fürsten. Der nickte, und Awtandil öffnete.

In der Tür stand Tinatin. Rostewan erhob sich und ging ihr entgegen. Er deutete auf ein Polster, und die Prinzessin setzte sich.

Ich habe gehört, was sich auf der Jagd ereignet hat, sagte sie. Und dass sich davon ein Schatten über den Hof gesenkt hat. Ihr wollt niemanden sehen, heißt es.

Du bist willkommen, immer, sagte Rostewan. Und du, Awtandil, bleib.

Sein Ziehsohn, der schon auf dem Weg zur Tür gewesen war, setzte sich wieder. Tinatin lächelte ihm flüchtig zu.

Wenn der Fremde also kein Bote war, wie du glaubst, sagte Rostewan wieder, warum hat er dann geweint?

Ich weiß es nicht, sagte Awtandil. Aber ich glaube nicht, dass seine Tränen für uns bestimmt waren. Vielleicht hat er einen Verlust erlitten und war ins Tal gekommen, um allein zu trauern.

Was meinst du, Tinatin?, fragte Rostewan. Du hast die Geschichte ja gehört.

Vielleicht wurde er aus seiner Heimat verbannt, sagte sie.

Awtandil fiel auf, dass sich in ihren Mundwinkeln winzige Fältchen bildeten, wenn sie sprach. Das Kaminfeuer flackerte, und ihr halblanges schwarzes Haar warf Schatten auf ihre rechte Wange.

Mag sein, sagte Rostewan nachdenklich. Aber glaubst du nicht, ein Mann, der es mit zwölf meiner Krieger aufnimmt und sie in die Flucht schlägt, würde sich den Weg in die Heimat erkämpfen, statt hier sein Schicksal zu beweinen?

Die Diener hatten dem Feuer Späne von Sandelholz untergemischt, und der Duft breitete sich im ganzen Raum aus.

Und du, Awtandil, sagte Rostewan, was glaubst du: Warum weint der Fremde, wenn nicht um mich und mein Land und wenn nicht um sein Schicksal als Verbannter?

Es ist nicht dasselbe, wenn Tinatin im Raum ist, dachte Awtandil. Dann sagte er: Vielleicht lebt er getrennt von denen, die er liebt, und der Weg zu ihnen lässt sich nicht erkämpfen?

Er trauert?, fragte Rostewan. Aber wäre sein Platz dann nicht an den Urnen seiner Toten statt hier in der Wildnis?

Mancher weint auch um Lebende, sagte Tinatin.

Es führt zu nichts, sagte Rostewan. Ich werde tun, was ich kann, um das Rätsel zu lösen, aber wenn es mir nicht gelingt, dann soll das diesen Hof nicht zu einem Ort der Klage machen.

Er entließ Awtandil und Tinatin. Dann beriet er sich mit dem Großwesir, und wenig später verließen hundert Reiter die Residenz. Sie zogen in alle Himmelsrichtungen und fragten überall nach dem Fremden in der Pardelhaut. Ein Jahr lang suchten sie nach ihm, wie es der Fürst befohlen hatte. Als die Zeit abgelaufen war, kehrten sie an den Hof zurück. Niemand hatte auch nur das Geringste erfahren.

Es ist gut, sagte Rostewan. Wir wollen die Sache vergessen und ein Fest feiern, wie es dieser Hof noch nicht gesehen hat. Doch Tinatin wusste, dass ihr Vater von der Begegnung und der erfolglosen Suche nach dem Fremden tiefer getroffen war, als er zeigen wollte.

Fünf

Awtandil saß am Feuer und stimmte seine Laute. Er strich mit den Fingern über den Korpus aus Zypressenholz, spielte unschlüssig einen Lauf auf den beiden tiefsten Saiten, dann legte er das Instrument wieder hin. Drei Wochen war er nun schon wieder in der Residenz, nachdem er an den Grenzen des Reichs einen Aufstand niedergeschlagen hatte. Er sehnte sich danach, wieder loszureiten. Und er wusste, dass Rostewan ihn vorerst nicht gehen lassen würde.