Der Hirt und Stockheim kommt - Erik Neutsch - E-Book

Der Hirt und Stockheim kommt E-Book

Erik Neutsch

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Beschreibung

Die Geschichte „Stockheim kommt“ rafft die Ereignisse jenes Augenblicks zusammen, da ein ehemaliger Gutsbesitzer in „sein“ Bördedorf „heimkehrt“. Der Großvater, ehemals Dorfschmied, wird vom Enkel alarmiert und eilt - die Szene, da man das Gutsland ausmaß und verteilte, noch in bester Erinnerung - zur Gutshaus-Allee, wo er Stockheim dann auch begegnet ... Die das Taschenbuch einleitende Erzählung „Der Hirt“ ist älteren Datums, packend geschrieben, und skizziert mit einer atemberaubenden Geschichte die Tage in den Monaten, die die Bodenreform zur Konsequenz hatten. „Nichts von dem, was ich bisher erzählte, ist von meinen persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen jemals so entfernt gewesen wie die Geschichte des Hirten... Als sie dann erschien, wollten sie manche Kritiker gar nicht haben. Nach dem Zimmermann Balla war der Hirt Godefred für sie etwas sehr Ungehöriges meinerseits. Ich allerdings habe meine weltanschaulichen und künstlerischen Positionen niemals verengen wollen und sie stets so weit zu spannen versucht, daß sie alle Menschen in meinem Lande erreichen, mit denen ich lebe und für die ich schreibe. Zu ihnen gehören die Gatts genauso wie die Godefreds. Für mich persönlich war die Geschichte vom Hirten überdies der Beweis, daß meine Phantasie noch intakt ist. In der innigen Umarmung mit dem jederzeit härteren Realismus geht es ihr wie jedem Brautpaar: Sie empfindet Freude am Schöpferischen. Später freilich, 1990, müssen wohl gewisse neudeutsche Buchgeschäftler meinen damaligen Kritikern nachgekrochen sein. Wie Tausende und aber Tausende Bände Literatur, die in der DDR gedruckt worden sind, warfen sie auch den HIRTEN auf die Müllkippe. Mit der Erzählung STOCKHEIM KOMMT verhält es sich anders. Sie entstand erst in diesen Tagen, und bei ihr bedurfte es kaum noch der „Phantasie“. Ich brauchte nur dem „härteren Realismus“, ja mehr, der brutalen junkerlich-kapitalistischen Realität, wie sie jetzt allerorten unser Land überfällt, nachzugehen, um sie skizzenhaft festzuhalten. Und da ich selbst einmal als Junge von einem Gutsherrn, weil ich von seinem Feld eine Mohrrübe stahl, mit Schüssen verscheucht wurde, ist mir diese Geschichte sehr nahe, könnte mein eigenes Erlebnis sein. Freunde rieten mir, beide Erzählungen gemeinsam in einem Band zu veröffentlichen, da sie sich durchaus vertrügen. Mir scheint es inzwischen ebenfalls so, doch überlasse ich es wie stets meinen Lesern, welche Parallelen zwischen beiden Texten sie ziehen möchten.“ Erik Neutsch 1998

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Impressum

Erik Neutsch

Der Hirt und Stockheim kommt

Zwei Erzählungen

ISBN 978-3-86394-781-1 (E-Book)

Die Druckausgabe erschien 1998 im SPOTLESS-Verlag.

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

Auf Wunsch des Autors wurde nicht auf neue Rechtschreibung umgestellt.

© 2014 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

VORWORT

DER HIRT, entnommen meinem Erzählband DIE ANDEREN UND ICH, wurde 1978 gesondert als Büchlein gedruckt. Dazu schrieb ich in einer Einleitung, deren Text ich hier durchaus wiederholen kann:

„Nichts von dem, was ich bisher erzählte, ist von meinen persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen jemals so entfernt gewesen wie die Geschichte des Hirten... Als sie dann erschien, wollten sie manche Kritiker gar nicht haben. Nach dem Zimmermann Balla war der Hirt Godefred für sie etwas sehr Ungehöriges meinerseits. Ich allerdings habe meine weltanschaulichen und künstlerischen Positionen niemals verengen wollen und sie stets so weit zu spannen versucht, daß sie alle Menschen in meinem Lande erreichen, mit denen ich lebe und für die ich schreibe. Zu ihnen gehören die Gatts genauso wie die Godefreds. Für mich persönlich war die Geschichte vom Hirten überdies der Beweis, daß meine Phantasie noch intakt ist. In der innigen Umarmung mit dem jederzeit härteren Realismus geht es ihr wie jedem Brautpaar: Sie empfindet Freude am Schöpferischen.“ Später freilich, 1990, müssen wohl gewisse neudeutsche Buchgeschäftler meinen damaligen Kritikern nachgekrochen sein. Wie Tausende und aber Tausende Bände Literatur, die in der DDR gedruckt worden sind, warfen sie auch den HIRTEN auf die Müllkippe, und es ist nicht zuletzt dem Pastor Martin Weskott aus Katlenberg im Hessischen zu danken, daß er auch dieses Büchlein gerettet hat.

Mit der Erzählung STOCKHEIM KOMMT verhält es sich anders. Sie entstand erst in diesen Tagen, und bei ihr bedurfte es kaum noch der „Phantasie“. Ich brauchte nur dem „härteren Realismus“, ja mehr, der brutalen junkerlich-kapitalistischen Realität, wie sie jetzt allerorten unser Land überfällt, nachzugehen, um sie skizzenhaft festzuhalten. Und da ich selbst einmal als Junge von einem Gutsherrn, weil ich von seinem Feld eine Mohrrübe stahl, mit Schüssen verscheucht wurde, ist mir diese Geschichte sehr nahe, könnte mein eigenes Erlebnis sein.

Freunde rieten mir, beide Erzählungen gemeinsam in einem Band zu veröffentlichen, da sie sich durchaus vertrügen. Mir scheint es inzwischen ebenfalls so, doch überlasse ich es wie stets meinen Lesern, welche Parallelen zwischen beiden Texten sie ziehen möchten.

Erik Neutsch

Sommer 1998

DER HIRT

Es war ein Hirt, der im Dienste der Herren von Tütz nur selten aus dem einsamen Flecken in den Wäldern der Drage gekommen war, wenn aber doch, dann nicht weiter als bis Deutsch-Krone, zu den großen Viehmärkten nach der Ernte, stets im Gefolge der Generale, zunächst des Vaters und dann des Sohnes, die sich beide bei ihren Einkäufen gern auf den Rat eines Knechtes verließen, so auch auf das sichere Urteil des Hirten vom Dragenberg über den Sitz eines Euters oder die Stellung der Hinterbeine bei Kühen. Aber auch das war eine Ewigkeit her, sechs Jahre oder mehr, solange der Krieg nun währte. Der Lärm auf den Märkten, Rindergebrüll und Pferdegewieher, die Schlachtfeste mit den Fässern voll Bier und den Kübeln voll Korn, das Gereite auf den Rücken der Stiere, alle fröhlichen Dinge waren fast schon vergessen. Polen und Deutsche schlugen sich gegenseitig die Köpfe ein, der General Sohn kommandierte irgendwo ein paar Divisionen, und seit Tagen, hieß es, standen die Russen bereits bei Schneidemühl. An der Drage hörte man die Kanonen donnern.

Der Hirt war alt. Und es schien, als habe er sein Leben schon zu Ende gebracht. Sein Gesicht war mit Runzeln bedeckt, stellenweise sogar, um die klobige Nase, in Verlängerung der Mundwinkel und auf der Stirn, wie ein Acker von tiefen Furchen zerpflügt. Erdig braun war die Haut, verbrannt von der Sonne, gepeitscht vom Wind? denn es kam vor, daß er monatelang auf den Weiden lebte, unter freiem Himmel schlief, nur ein Laubdach oder ein Zelt über sich, drei Worte genug sein ließ, wenn die Männer kamen, die Milch zu holen, allein war mit den Pflanzen, den Tieren, den Sternen, und sich erst wie der Hamster zum Überwintern in seine Hütte zurückzog, wenn wie jetzt Schnee über Wiesen und Felder trieb. Dann tat er seinen Dienst im Stall, mistete täglich die Boxen aus, traf Vorsorge gegen Fäulnis und stritt sich mit den Schweizern um die Zufuhr von Frischluft. Aber die Bräune seines Gesichts nahm auch im Stall nicht ab. Der Winter schnitt Runzeln hinzu. Die Gerbung der Haut dauerte, bis sie wieder gegerbt wurde.

Seine Haut glich seit langem der Erde, und seine Augen hatten die Farbe des Himmels, der grau war und blau. Mit diesen Augen überschaute er schon sein Dasein. Und in Gott und in Tütz würde er sie für immer, wenn die Reihe an ihn käme, schließen.

Doch der Inspektor trat in die Hütte. »Godefred«, sagte er, »nun wird es Zeit auch für dich, den Dragenberg zu verlassen.« Er nahm dazu einen tiefen Schluck aus der Flasche, rieb mit Handballen und Daumen über ihren Rand und reichte sie dem Hirten. »Vielleicht sehen wir uns wieder, prost, wenn nicht hier, dann da oben...« Er wies mit einer Kopfbewegung zur niedrigen Decke, in die Richtung, wo vermutlich das Himmelreich lag.

Der Hirt folgte der Bewegung des Kopfes, trank und dachte, daß es nun wahrhaftig ein Ende nahm mit der Herrschaft auf Tütz. Denn noch nie hatte der Inspektor mit dem Gesinde aus einer Flasche getrunken, abwechselnd Schluck um Schluck, nur ein flüchtiges Säubern mit dem Daumen dazwischen, doch mit dem Atem von einem zum andern, von Mensch zu Mensch sozusagen. Er hatte nach Gläsern gefragt, als er gekommen war. Der Hirt saß auf der Bank am Ofen und las in der Bibel. Er stand auf und zuckte mit den Schultern. Er brauchte keine Gläser, auf der Weide nicht und also auch nicht in der Hütte. Ihm genügte die Feldflasche, die hohle Hand zur Not für alles, was es zu trinken gab. Wasser und Tee und Milch und manchmal auch Branntwein. Und er sagte: »Hier bin ich geboren, hier will ich sterben. Einen alten Baum verpflanzt man nicht.«

Sie tranken und schwiegen. Der alte Hirt nahm seinen Blick von der verräucherten Decke, ließ ihn über die Gegenstände im Zimmer gleiten, und plötzlich, bei dem Gedanken, daß er aus Dragenberg vertrieben werden könnte, war ihm, als sähe er die beiden Räume der Hütte mit anderen Augen. Das Bett an der Wand, der steinerne Ofen, ein Schrank mit Wäsche, ein Gehrock darin und ein Dutzend ungetragener Hemden, noch von Juliane gesammelt, ein Tisch und zwei Stühle und am Fenster darüber die bestickten Gardinen, nebenan eine Küche, die schon lange nicht mehr benutzt worden war. Im Herd war die Glut erloschen. Seine Mahlzeiten erhielt er im Gutshof. Hier schlief er nur. Er hatte sich einen Bettsack aus Katzenfellen genäht, gegen Rheuma und Gicht, die Krankheiten aller Hirten im Alter, auch wenn sie bei ihm noch auf sich warten ließen. Vielleicht war er noch immer nicht alt genug? Aber vielleicht kamen sie auch nur deswegen nicht zu ihm, weil er als junger Mann schon auf den Katzenfellen gelegen und geschlafen hatte, zu jener Zeit schon, als er das breite Bett noch mit Juliane, seiner Frau, geteilt hatte. Sie war ihm gestorben. Nach dem ersten Kind, das sie auf dem Acker entbunden hatte. Während der Arbeit. Da waren die Wehen gekommen. Sie hatte sich in das Gras eines Feldrains gelegt und das Kind aus ihrem Schoß gepreßt. Eine Kätnerin half ihr, band die Nabelschnur ab, verscharrte die Nachgeburt und wickelte das Kind in Decken, und Juliane war aufgestanden und hatte weitergearbeitet. Aber danach hatte das Fieber sie befallen. Der Hirt war von der Weide geholt worden, er hatte ihr Heidekraut und schwarzen Holunder gegeben, aber die Frau war gestorben, auch das Kind, das nicht einmal mehr getauft werden konnte. Er sah in ihr Gesicht auf dem Hochzeitsbild an der Wand über dem Bett, Juliane im Brautschleier. Der General hatte es ihnen geschenkt, denn er bestellte stets, wenn auf den Gütern geheiratet wurde, aus der Stadt einen Fotografen. Er hatte das Bild geschenkt, dazu den schweren silbernen Rahmen, und den Wein für die Feier. Doch nun war das Silber schon schwarz, das Papier vergilbt, so gelb war es wie die Kerze daneben, die nur ein einziges Mal gebrannt hatte, damals, als Juliane aufgebahrt auf dem Bett gelegen hatte, ihr totes Kind in den Armen. Es war lange her, und der Hirt wußte nicht mehr, wie lange es her war. Er lebte seitdem allein in der Hütte, ließ sie sommers verstauben, räumte sie wieder auf im Herbst und wärmte sich an ihrem Ofen im Winter. Dann saß er abends am Tisch und las in der Bibel, dem Buch, das ihn forttrug, sobald er sich gar zu einsam fühlte. Auch jetzt verlangte es ihn, in der Bibel zu lesen, ein Gleichnis zu finden, eine Antwort darauf, was geschehen sollte, wenn der Inspektor ihn fortschickte und die Herrschaft auf Tütz zu Ende ging. Nein, er würde den Flecken niemals verlassen.

Der Inspektor stierte ihn aus geröteten Augen an. »Du hast keine Ahnung«, sagte er, »was noch kommen wird. Die Front ist nahe. Die Feldgendarmen werden die Kühe holen. Die Truppe muß die Stellungen halten, und dazu braucht sie die Kühe.«

»Haben sie denn keine Tanks und keine Kanonen?«

»Doch … doch … Aber die Truppe hat nichts zu essen.«

Der Hirt erschrak. »Die ganze Herde?« flüsterte er.

Der Inspektor nickte. »Die ganze Herde.«

»Was aber wird der General dazu sagen, wenn er's erfährt? An die hundert Muttertiere, Färsen und Kälber, eingetragen ins Herdbuch. Eine Zucht, wie es sie nicht noch einmal gibt in der Grenzmark und in ganz Pommern.«

»Es ist zwecklos. Wir hätten nicht einmal mehr Leute, die Kühe zu melken und zu füttern. Morgen schon wär ein Geschrei in den Ställen. Und der General, sagen die Feldgendarmen, hat seinen Segen bereits erteilt.«

Die Antwort wollte ihm nicht in den Kopf, und er schwieg. Er wollte trinken, aber die Flasche war leer, und er dachte, daß es mit dem Krieg wahrhaftig schlecht stehen mußte, wenn der General seine Herde aufgab. Schon dessen Vater hatte damit begonnen, sie aufzubauen. Er entsann sich, wie ihn die beiden Herren fast mit denselben Worten ermahnt hatten. Nach den Mobilmachungen, schon in Uniform, waren sie deswegen extra von Tütz auf den Dragenberg geritten. Unser Feldzug wird nicht sehr lange dauern, Godefred, Weihnachten sind wir wieder zu Hause. Bis dahin aber behüte das Vieh wie deinen eigenen Augapfel. Wir wollen mit unserer Herde die ersten sein auf den Märkten in Wilna und Posen. Der deutsche Osten, jedenfalls was seine Kühe betrifft, soll von uns abstammen, von Tütz. Der Hirt hatte sich stets nach diesen Worten gerichtet. Er kannte jedes Tier, sah, wie es sich von einem Geschlecht auf das andere fortpflanzte, und hatte sogar um den einen und anderen seiner schwarzweißen Lieblinge getrauert, wenn sie auf Mast gestellt worden waren und ihn nicht mehr begleiten konnten. Auch die Tiere haben eine Seele, dachte er manchmal, besonders die Rinder, die mit ihrer Kraft die Familien ernähren, und nicht umsonst steht in der Bibel, wo von der Liebe zu Gottes Geschöpfen die Rede ist: Siehst du aber deines Bruders Ochsen fallen auf dem Weg, so entziehe dich nicht, sondern hilf ihm auf. Er mißtraute dem Inspektor, der, wie er sagte, den Branntwein von der Patrouille erhalten hatte, die am Morgen auf Motorrädern in den Hof gefahren war und die Ställe inspiziert hatte. Die Leute vom Dragenberg rüsteten sich gerade zur Flucht, luden Möbel und Wäschebündel auf die Wagen, und die Soldaten trieben sie zur Eile. Der Inspektor aber stand auf der Freitreppe, winkte und lachte. Hatte er schon seinen Lohn empfangen wie Judas? Nun sollte sogar die Herde geopfert werden. Er wäre kein Hirt ohne die Herde, und er wäre kein Mensch, wenn er die Tiere nicht hütete. Die Frömmsten unter den Christen, dachte er, sind die Hirten. In einer Krippe wurde der Heiland geboren, und den Hirten erschien der Engel des Herrn auf dem Felde zu Bethlehem und sprach: Fürchtet euch nicht... Nein, auch er würde sich niemals fürchten, wenn er nun allein auf Tütz zurückbliebe und die Herde in ihrer Not bewachte.

»Also«, sagte der Inspektor mit schwergewordener, lallender Zunge, »bring auch du dich in Sicherheit, Godefred, und geh mit den anderen.«

»Wohin soll ich denn gehen?« fragte der Hirt. »Mein Zuhause ist Tütz, die Hütte, die Herde.«

»Du kennst dich aus in den Sternen. Immer nach Westen. Versuche, Anschluß zu kriegen. Der Bruder des Generals, wie du weißt, hat in Oranienburg eine Fabrik. Dort melde dich und warte, bis der Krieg zu Ende ist.«

Der Hirt schüttelte den Kopf. Und der Inspektor verzog nur die Lippen und hob und senkte die Schultern. Er trat vor die Tür. Und der alte Hirt hörte ihn draußen an der Wand urinieren und dann schlurfenden Schritts über den Hof davongehen.

Nun war er wieder allein. Er griff zu dem Buch, las darin und sann. Er konnte nach diesem Gespräch keine Ruhe mehr finden. Es war die Herde. Er sah die Herde seines Herrn in Gefahr, und schon trug er sich mit dem Gedanken, sie vor dem Zugriff der Soldaten zu retten. Aber wie? Wenn ich sie wenigstens auf die Weiden führen könnte, dachte er, in die Tiefe der Wälder, wo uns niemand findet. Doch die Zeit des Austriebs war noch nicht gekommen, und so waren auch die Kühe nicht darauf vorbereitet, einigen noch nicht einmal die Klauen verschnitten. Er spähte in den Himmel, der sich grau über den verlassenen Hütten türmte. Das Schneegestöber der letzten Tage hatte zwar aufgehört, der Bach gurgelte und schwoll schon im Tauwasser an, aber die Erde lag noch immer kahl, und das Gras war gelb und dürr und moderte. Nirgends würden sie Futter finden.

Am Abend ging der Hirt in den Stall und begann die Kühe zu melken. Er glaubte, daß er die ganze Nacht dazu brauchen würde, und wenn er am Ende wäre, müßte er wieder von vorn anfangen. Denn er war allein. Die Melker geflohen. Er wußte nicht einmal, ob der Inspektor noch auf dem Gut war. Er hatte ihn seit dem Besuch in der Hütte nicht mehr gesehen, und er wollte auch nicht, daß er ihn sah. In seinen Augen hatte der Mann mit den Soldaten Schacher getrieben, die Herde verschachert für ein paar Silberlinge.