Der Kessel von Gundestrup - Harry Eilenstein - E-Book

Der Kessel von Gundestrup E-Book

Harry Eilenstein

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Beschreibung

Das bekannteste Bild des Kessels von Gundestrup ist sicherlich der Gott Cernunnos, der auf seinem Kopf ein Hirschgeweih trägt, wie ein Yogi dasitzt und in seiner Hand eine Schlange hält. Aber warum sitzt ein Hirschgott zwischen den verschiedensten Tieren und meditiert? Wenn man sich die übrigen zwölf Bilder auf dem Kessel in Ruhe betrachtet, beginnt allmählich eine Geschichte deutlich zu werden – ein Ritual, bei dem ein Mann ins Jenseits und wieder zurück reist. Man kann um diese Bilder immer weitere Kreise zu ziehen: Gab es bei den Kelten eine solche Zeremonie? Kannten alle Indogermanen eine solche Symbolik? Hatten alle Völker, die wie die Indogermanen von den mesopotamischen Ackerbauern zu Beginn der Jungsteinzeit abstammen (z.B. die Ägypter und Sumerer), eine solche Mythe wie die, die Der Kessel von Gundestrup erzählt? Nach dieser Weitung der Kreise um die Bilder des Kessels kann man dann Schritt für Schritt wieder ins Hier und Jetzt zurückkehren, wobei sich neue Fragen ergeben: Sind solche Jenseitsreisen wie die, die die Bilder des Kessels erzählen, wirklich real? Wenn man sie ein wenig anders bezeichnet, kann man sie auch heute wiederfinden: das Nahtod-Erlebnis, bei dem man mit der eigenen Seele den Körper verläßt und über ihm schwebt und ihn dabei unter sich liegen sieht. Dies Erlebnis zeigt sehr eindrücklich, daß man mehr ist als nur der materielle Körper ... Und schließlich kommt man bei der Rückkehr zum Hier und Jetzt auch zu der Frage: Was kann Der Kessel von Gundestrup für mein eigenes Leben bedeuten? Ich würde mich freuen, wenn das Buch einige Leser zu einem Ausflug in die Mythen der frühen Kelten und in die eigene innere Bilderwelt einlädt und sie ein wenig bereichert und ihnen neue Möglichkeiten zeigt.

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Kontakt

www.HarryEilenstein.de

[email protected]

für Talisien

Inhaltsverzeichnis

I. Der Fund des Kessels

II. Die kulturelle Umgebung der Kesselniederlegung

III. Die Bilder des Kessels von Gundestrup

III. A Die Beschreibung der Bildplatten

III. B Die Häufigkeit der einzelnen Motive

III. C Die einzelnen Motive

III D Das Gesamtbild

III E Die inhaltliche Folge der Bildplatten

IV Die Gottheiten der Kelten

IV A Die keltischen Göttinnen

IV B Die keltischen Götter

V Die konkreten Gottheiten auf den Bildplatten

VI Weitere keltische Funde

VI A Andere Kessel der Kelten und ähnliche Funde

VI B Die Hörner von Gallehus (germanisch)

VI C sonstige Funde

VI D Vergleich des Kessels von Gundestrup mit den Goldhörnern von Gallehus und den anderen Funden

VII Die Entwicklung der Mythologie

VIII Mythologische Einordnung des Kessels von Gundestrup

IX Verwandtschaft mit den Mythen anderer Völker

X Die konkrete Verwendung des Kessels von Gundestrup

XI Die Realität der Jenseitsreise

XII Die heutige Bedeutung des Symboles des Kessels

Der Kelch der Göttin

I. Der Fund des Kessels

Der 9kg schwere Kessel wurde 1891 in Gundestrup 50km westlich von Kopenhagen in Dänemark gefunden. Er ist 42cm hoch und hat einen Durchmesser von 69cm. Er wurde zwischen 500 v.Chr. und 100 v.Chr. von den Kelten der La Tene-Epoche hergestellt. Da sein Rand deutliche Gebrauchsspuren aufweist, muß er zunächst längere Zeit in Benutzung gewesen sein, bevor er in seine Einzelteile zerlegt und in dem damals bereits ausgetrockneten Moor bei Gundestrup niedergelegt wurde. Bei dem Fund des Kessels lagen die dreizehn Bildplatten lose in der Bodenschale.

Er wurde aus 97% Silber angefertigt, das teilweise vergoldet wurde. Der Boden des Kessel ist eine flache Schale, in deren Mitte sich eine runde, geprägte Platte befindet. Der Rand des Kessels wurde aus dreizehn Platten zusammengeschweißt: fünf längere Platten innen und acht annähernd quadratische Platten außen, die ebenfalls alle mit Bildern geprägt sind.

Vermutlich hatte der Kessel ursprünglich auch zwei Griffe, die aber ebenso wie eine der acht äußeren Platten verloren gegangen sind. An der oberen Kante befand sich ein gewölbter Silberstreifen, durch den der Kesselrand abgerundet wurde. Von diesem Streifen ist nur ca. ein Viertel erhalten geblieben.

Die Bodenplatte, die fünf Innenplatten und die sieben erhalten gebliebenen Außenplatten sind alle mit Bildern von Gottheiten und verschiedenen Szenerien geprägt worden, die viele Details zeigen. Vor allem wegen dieser Bilder ist der Kessel von Gundestrup für die Kenntnis der Kelten zu dieser Zeit sehr wertvoll.

Die Gottheiten hatten ursprünglich eingesetzte Glasaugen, von denen aber nur noch wenige erhalten geblieben sind.

Da die Bilder auf dem Kessel sowohl eindeutig keltische Motive wie z.B. den Hirschgott Cernunnos, aber auch ebenso eindeutig nicht-europäische Motive wie Elefanten, Großkatzen und Antilopen aufweisen, kann man vermuten, daß der Kessel in keltischem Auftrag und vielleicht auch von keltischen Handwerkern in einer Gegend hergestellt wurde, in der diese afrikanisch-asiatischen Tiere gut bekannt waren. Dies wird vermutlich Südosteuropa gewesen sein.

Der Bereich, in dem Kelten in den fünf Jahrhunderten vor Christi Geburt siedelten und der nahe genug an Afrika oder Kleinasien lag, ist der Bereich um das Schwarze Meer. Möglicherweise haben auch die dortigen Thraker, die für ihre Schmiedearbeiten berühmt waren, den Kessel im Auftrag der Kelten hergestellt.

Die archäologischen Funde der Kelten aus der La Tene-Zeit, aus der auch der Kessel von Gundestrup stammt, weisen allgemein viele orientalische Motive auf, wie sie sich z.B. auch bei den Thrakern und Skyten an der Küste des Schwarzen Meeres sowie bei den Griechen finden.

Es stellt sich die Frage, wie ein Kessel, der in dem Stil der südosteuropäischen Kelten hergestellt wurde, nach Gundestrup kam. Es gibt zunächst zwei denkbare Varianten. Im ersten Fall wurde er in Südosteuropa benutzt und dann in Dänemark lediglich in dem Moor niedergelegt; im zweiten Fall wurde er neu nach Dänemark gebracht, dort längere Zeit benutzt und dann versenkt.

Da es recht unklar ist, was Menschen dazu bewogen haben sollte, einen solchen Kessel, der ihre eigene Mythologie zeigt, sofort zu versenken, wenn sie ihn durch einen Zufall, einen Kauf o.ä. erhalten hatten, ist der zweite Fall wohl wahrscheinlicher: Die dänischen Kelten haben den Kessel bei den geschickteren Handwerkern im Südosten bestellt und dann in ihrem Kult verwendet.

II. Die kulturelle Umgebung der Kesselniederlegung

Das ursprüngliche, etwa kreisförmige Siedlungsgebiet der Kelten lag um 750 v.Chr. zwischen dem Bodensee und Frankfurt und reichte nach Osten und Westen in den Schwarzwald und die Vogesen hinein (“Hallstatt-Kultur”). Ab 500 v.Chr. dehnte sich dieses Gebiet vor allem nach Osten hin auf ca. die dreifache Größe aus (“La Tene-Kultur”). Um 300 v.Chr. findet sich die keltische Kultur und Sprache dann von Frankreich bis ans Schwarze Meer sowie in Großbritannien, in Westspanien, Portugal und in der Zentraltürkei.

Der Name „Kelten“ bedeutet “die Tapferen” und der Name „Galater“, mit dem sie sich auch bezeichneten, bedeutete “die Edlen”. Die Kelten waren in einzelnen, selbständigen Stämmen organisiert. Es bestand aber dennoch ein Bewußtsein über die Zusammengehörigkeit dieser Stämme – so galt z.B. jeder keltische Druide unabhängig von seiner Herkunft bei allen keltischen Stämmen als Autorität.

Zu der Zeit der Herstellung des Kessels lebten die Kelten in befestigten Siedlungen, die auf Anhöhen lagen, die von mehreren kleinen, unbefestigten Siedlungen umgeben waren. Die Grabfunde zeigen, daß die einzelnen Stämme von Fürsten beherrscht wurden, die über einen beträchtlichen Reichtum und daher wohl auch über große Macht verfügten. In den reicheren Gräbern wurden die Fürsten in voller Rüstung, mit reichen Beigaben, zu denen auch ganze Wagen zählten, bestattet.

Die Kelten lebten als Bauern und Viehzüchter vor allem von Emmer, Dinkel, Gerste, Hirse, Bohnen, Erbsen, Linsen, Rüben, Zwiebeln, Kohl und gelegentlich auch von Rinder-, Schweine- und Schafsfleisch. Das Standartgericht war den Funden von Essensresten zufolge ein Bohnen-Gerste-Eintopf. Dazu trank man bei besonderen Gelegenheiten Bier und seltener auch Met.

Die Rinder gaben Milch, aus der vor allem Käse hergestellt wurde. Die Schafzucht war sehr verbreitet – aus ihrer Wolle stellte man Kleidung her. Die Pferde wurden vorwiegend für die kriegerischen Auseinandersetzungen gebraucht. Hunde bewachten die Schafherden und die Siedlungen und wurden auch bei der Jagd gebraucht.

Die Kelten bauten auch unter Tage Salz und Eisenerz ab und waren in Europa führend in der Herstellung von Damaszenerstahl, der vor allem für Schwerter benutzt wurde. Auch im Wagenbau waren die Kelten führend – sie betrieben damals in Europa die wichtigste Rüstungsindustrie, die vor allem die Römer belieferte.

Die Kelten trieben einen regen Handel nach Süden hin zu den Römern, den Griechen und zu den Völkern in Mesopotamien und im Iran. Neben Waffen und Wagen exportierten sie auch Salz, Eisen, Zinn, Wolle, Textilien und Schuhe. Importiert wurden vor allem Glas, Wein und Luxusgüter.

Ab 300 v.Chr. prägten die Kelten auch eigene Münzen. Vorher waren bei ihnen nur vereinzelt griechische und römische Münzen in Gebrauch gewesen.

Die Kultur war patriarchal organisiert, aber es standen den Frauen trotzdem alle Stellungen prinzipiell offen. So führte z.B. die britische Keltin Boudicca den Stamm der Icener bei dem Aufstand gegen die Römer um 60 n.Chr. an. Auch unter den Druiden gab es Frauen.

Die Druiden waren die “intellektuelle Kaste” der Kelten und hatten große Ähnlichkeit mit den indischen Brahmanen. Sie waren Priester, Sänger, Geschichtsschreiber, Richter, Forscher, Dichter, Bewahrer der Tradition und noch vieles mehr. Da sie ihr Wissen prinzipiell nur mündlich überlieferten, ist nur wenig von den Mythen und der Weltanschauung der früheren Kelten bekannt.

Das Grundprinzip der Weltanschauung der Kelten und der Druiden war die “Fhirinne”, die “Wahrheit”. Dies ist die allen magisch-mythologischen Weltanschauungen gemeinsame Vorstellung, daß es für alle Dinge eine “richtige Daseinsweise” gibt. Wenn man die Richtigkeit erkennt und sich entsprechend verhält, wird man ein gutes und glückliches Leben führen und in Harmonie mit der Welt sein. Die Mythen selber sind die Beschreibung dieser Lebensweise und der evtl. Folgen einer Abweichung von ihr.

Diese Qualität wird von den Indern “Rita” oder “Dharma” genannt, von den Ägyptern “Ma'at”, von den Sumerern “Me”, von den Persern “Asa”, von den Navaho-Indianer “Ho-zhong” usw. Die wörtliche Bedeutung dieser Begriffe zeigt verschiedene Seiten dieser grundlegenden Qualität:

VolkBegriffBedeutung des WortesBezugKeltenFhirinneWahrheitWeltordnungInderRitaRadrhythmischer JahreslaufDharmaVersmaßharmonische OrdnungPerserAsaGottGottÄgypterMa'atMutterGeborgenheit, Urvertrauen, MuttergöttinSumererMeMutterGeborgenheit, Urvertrauen, MuttergöttinNavahosHo-ZhongSchönheitharmonische Ordnung

... wenn man im Einklang mit der rhythmischen Weltordnung lebt, wird man in Geborgenheit ruhen und sich in Schönheit entfalten.

Die Druiden sahen wie ihre Kollegen aus anderen magisch-mythologischen Weltanschauung das gesprochene Wort als magisch wirksam an – insbesondere wenn es im Einklang mit der Fhirinne, also der Wahrheit stand. Diese Ansicht war allgemein eine der Grundlagen für die Magie.

Sowohl die Kelten und die Thraker als auch die Inder sowie ansatzweise die Germanen und einige griechische Philosophen wie z.B. Pythagoras vertraten die Ansicht, daß die Seele sich immer wieder aufs neue inkarniert. Diese Vorstellung scheint weitgehend auf die Indogermanen beschränkt zu sein, zu denen die genannten Völker alle gehören.

Die Druiden kannten den Feuerlauf und benutzten ihn in religiösen Zusammenhängen. Bei einem Feuerlauf geht man barfuß über glühende Kohlen. Aus der Verwendung des Feuerlaufs als Gottesurteil hat sich unsere Redewendung „dafür lege ich meine Hand ins Feuer“ entwickelt.

Die Druiden übten sich auch in verschiedenen Formen der Meditation, der magischen Beherrschung vor allem des Wetters, und der Trance, die der Kontaktaufnahme mit den Ahnen diente. Die Herstellung dieser Verbindung mit den Ahnen war in allen alten Kulturen die Aufgabe der Schamanen und wurde in den späteren Kulturen dann zu einer der vielen Aufgaben der sich aus den Schamanen heraus entwickelnden priesterlich-intellektuellen Kaste. Bei den Kelten waren dies die Druiden, bei den Indern die Brahmanen, bei den Persern die Magier, bei den Ägyptern die Sem-Priester, bei den Juden die Propheten usw.

Die Zahl “8” wurde als Symbol für “Vollständigkeit, Zyklus” angesehen. Dies liegt daran, daß die Menschen von der Steinzeit an bis in die frühe Zeit der Königreiche in einem Binärsystem rechneten. Es gab also die Stellenwerte 0, 1, 2, 4, 8, 16, 32 usw., aber keine „Zähl-Zahlen“ – man setzte jede gewünschte Zahl einfach aus diesen “Mengenbezeichnungen” zusammen. So war z.B. die “13” in diesem System “8+4+1” und die „27“ bestand aus „16+8+2+1“. Die Acht galt in diesen Vorstellungen als die “runde Menge”. Diese Bedeutung findet sich aufgrund des hohen Alters dieser Vorstellung bzw. Rechenweise auf der ganzen Welt wieder: die acht keltischen Jahresfeste, Buddhas achtspeichiges Rad der Lehre, die Götterachtheiten der Ägypter, die acht Trigramme des chinesischen I Gings, die 8x8 Hexagramme des I Gings (von dem sich u.a. das Schachbrett ableitet), die 8x8 Felder des westafrikanischen Ifa-Orakels, die achtblättrige Seelenblüte der Sumerer, der achtteilige Kalender der Mayas usw.

Das Rechtsverständnis der Kelten und auch der meisten der anderen damaligen Völker bestand darin, zunächst einmal in jedem Einzelfall nach einer einvernehmlichen Lösung zu suchen und erst dann, wenn keine solche Lösung gefunden werden konnte, sich an einem Präzedenzfall in der früheren Geschichte zu orientieren und nach ihm zu entscheiden. Allgemeingültige, abstrakte Gesetze sind eine deutlich neuere Erfindung – die englische Rechtsprechung beruht z.B. noch immer auf einer Sammlung von Präzedenzfällen.

Von der Musik der Kelten ist nur wenig bekannt. Sie benutzten in Zeremonien die Carnyx-Trompete, deren vordere Öffnung als Kopf einer Schlange, eines Drachen oder eines anderen Tieres gestaltet wurde. Es wurde auch die Lyra (Leier) und die Kithara (Leier mit größerem Klangkörper) gespielt.

In der keltischen Kunst sind häufig Ranken und geometrische, mit dem Zirkel konstruierte Motive zu finden, die sich dann später zu komplexen Flechtmustern weiterentwickelten, die man auch bei den Germanen und bei den ebenfalls indogermanischen Skythen in Südosteuropa finden kann. Es handelt sich bei diesem Kunststil also nicht um einen rein keltischen, sondern um einen „europäischen“ bzw. westindogermanischen Stil.

Politisch ist die Zeit zwischen 600 v.Chr. und 100 v.Chr., aus der der Kessel von Gundestrup stammt, international zunächst von Religionsgründern und anschließend von neuen Reichsgründungen und der Erbauung von sechs der sieben antiken Weltwunder geprägt.

Das sechste vorchristliche Jahrhundert war die Zeit der „Entdeckung des Ichs“, der Entfaltung der Individualität, der Eigenverantwortlichkeit und der Selbstbestimmung des Menschen: In China hatten um 600 v.Chr. Lao-tse, Dschuangs-tse und Konfu-tse gelehrt, in Indien Buddha und Jaina, in Persien hatte Zarathustra die Religion erneuert, in Thrakien hatte Zalmoxis die Selbstverantwortung des Menschen gepredigt und Mysterien gegründet, und in Griechenland haben um 450 bis 350 v.Chr. Sokrates, Plato und Aristoteles das Wesen des Menschen und der Welt erforscht. Alle diese Religionsgründer und Philosophen betonten die Eigenverantwortung und Eigenständigkeit des Menschen. Um 600 v.Chr. wurden auch die Mysterien von Eleusis, die Mithras-Mysterien und die Orpheus-Mysterien gegründet, die dasselbe Ziel hatten.

Die Auswirkungen dieser neuen Eigenständigkeit und Selbstverantwortung sowie des sich daraus ergebenden Selbstbewußtseins der Menschen zeigt sich unter anderem auch in der Errichtung der sechs jüngeren Weltwunder der Antike. Es wäre somit denkbar, daß sich von diesem neuen Bewußtsein und Streben der Menschen auch etwas in den Bildern des Kessels von Gundestrup wiederfindet.

Die Errichtung von sechs der sieben Weltwunder in den 230 Jahren zwischen 580 und 350 v.Chr. zeigt unter anderem auch die organisatorischen und finanziellen Mittel der Völker in dieser Zeit sowie ihr größeres Selbstbewußtsein, das sie offenbar auch nach kollektiver Selbstdarstellung streben ließ. Diese Bauten sind sozusagen der architektonische und künstlerische Widerhall des von den Religionsgründern und Philosophen ab 600 v.Chr. erfaßten und verkündeten Menschenbildes.

Lediglich das erste der antiken Weltwunder, die Pyramiden von Gizeh, wurden schon um 2.600 v.Chr. erbaut und stammen somit aus einer Epoche.

Die folgende Aufstellung ist nur eine kurze Übersicht über die wichtigsten geschichtlichen Daten dieser Zeit.

600 – 500 v.Chr.:

- Religionsgründer: Buddha, Jaina, Lao-tse, Dschuangs-tse, Konfutse, Zarathustra, Zalmoxis

- in Mittel- West- und Osteuropa lebten Kelten, im Norden Germanen, in Italien Etrusker und Römer, im Südosten Griechen und Thraker; reiche Gräber der Keltenfürsten, Blüte der etruskischen Kultur

- Errichtung des größten Tempels der Antike, des Artemistempel in Ephesos (Weltwunder); Hängende Gärten von Babylon (Weltwunder)

- Babylonier herrschten in Kleinasien; Perser erobern Babylonien und Ägypten; Bau des zweiten Tempels in Jerusalem

500 – 400 v.Chr.:

- die Griechen wurden von den Persern besiegt; die Römer gründen die römische Republik; 12m hohe Zeusstatue in Olympia (Weltwunder)

- Perserherrschaft in Kleinasien und Ägypten

400 – 300 v.Chr.:

- Römer besiegen die Etrusker; Kelten erobern Rom; Alexander der Große errichtet das Makedonierreich, das von Griechenland bis Ägypten und Indien reicht; Mausoleum von Halikarnassos in der heutigen Türkei (Weltwunder)

- In Mexiko wird das Königreich Teotihuacán gegründet

300 – 200 v.Chr.:

- Rom wird zur Weltmacht, Kriege zwischen Römern und Kelten und zwischen Rom und Karthago (Nordafrika); Kelten plündern Teile Griechenlands; 30m hohe Bronzestatue des Gottes Helios in Rhodos (Weltwunder), 160m hoher Leuchtturm am Hafen von Alexandria in Ägypten (Weltwunder)

- König Ashoka gründet das erste indische Großreich

- die chinesischen Fürstentümer werden zu einem einheitlichen Reich unter einem Kaiser vereint

200 – 100 v.Chr.:

- Rom besiegt die Makedonier und Karthago; Kelten besiegen Römer

- Kleinasien: Gründung des Partherreiches, das über Mesopotamien und den heutigen Iran herrschte

Die 30m hohe Bronzestatue des Helios, der „Koloss von Rhodos“, zeigt, welches Niveau die Bronzebearbeitung inzwischen erreicht hatte – der Kessel von Gundestrup war in der damaligen Zeit also nur ein kleineres Kunstwerk.

III. Die Bilder des Kessels von Gundestrup

Der Kessel ist mit großem Aufwand hergestellt und den Gebrauchsspuren zufolge auch lange Zeit benutzt worden. Es stellt sich daher die Frage, welchem Zweck er gedient hat.

Man kann davon ausgehen, daß die Bilder auf dem Kessel sowohl ein Ausdruck der allgemeinen Weltanschauung ihrer Benutzter waren als auch in engem Zusammenhang mit dem Verwendungszweck des Kessels standen. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, aus den Bildern des Kessels auf seine Bedeutung für ihre Benutzer zu schließen, wobei man dabei die Kenntnisse über die Druiden und die allgemeine Weltanschauung der Kelten zu Hilfe nehmen kann.

Man wird auch davon ausgehen können, daß die Anordnung der Bilder auf dem Kessel nicht willkürlich ist, sondern das sie entsprechend der Weltanschauung der Hersteller und Benutzter angeordnet sind. Leider ist diese Anordnung sehr unsicher – für die Reihenfolge der inneren fünf Tafeln gibt es bisher sieben Anordnungsvorschläge und auch die Folge der äußeren Bildtafeln ist schon in der verschiedensten Weise rekonstruiert worden.

Um sich der in dem Kessel dargestellten Bilderwelt schrittweise anzunähern, sind folgende fünf Schritte möglich, die sich zunächst einmal vor allem aus den Bildern selber ergeben:

Die Beschreibung der Bildplatten

Die Häufigkeit der einzelner Motive

Die Betrachtung der einzelnen Motive

Das Gesamtbild

Die inhaltliche Folge der Bildplatten

In den nächsten fünf Kapiteln werden die Bilder auf dem Kessel von Gundestrup mithilfe dieser fünf Ansätze betrachtet.

Der Kessel besteht aus acht äußeren Bildplatten (von denen eine fehlt), fünf inneren Bildplatten und der zentralen Bildplatte, die zusammen ein „keltisches Mandala“ ergeben. Die Folge der acht äußeren sowie der fünf inneren Bildplatten ist leider unbekannt.

III. A Die Beschreibung der Bildplatten

III. A 1. Die Mittelplatte

Das Thema der zentralen Platte des Kessels ist der Stier. Da er in einer unnatürlichen Haltung liegt, kann man davon ausgehen, daß er tot ist.

Auch die Person über ihm liegt in dieser Weise. Sie hält ein Schwert in ihrer linken Hand. Sie scheint Brüste zu haben, aber ihre Frisur und ihre Kleidung ist die eines Mannes – die Brüste sind daher vermutlich die etwas überbetont dargestellte Brustmuskulatur eines Mannes.

Links von dem Mann läuft ein Hund und unter dem Stier befindet sich eine Raubkatze. Rechts unten neben dem Stier liegt ein toter Hund, der nur eingraviert, aber nicht im Silber getrieben ist. Zwischen diesen fünf Gestalten befinden sich Ranken mit Blättern.

Das Opfern eines Stieres ist aus dem Totenkult vieler europäischer und kleinasiatischer Völker und auch von den Ägyptern bekannt. Ein spezieller Zusammenhang zwischen Stier und Kult wird von den Druiden berichtet: Um den Kontakt mit den Ahnen aufzunehmen bzw. um die Geister Verstorbener zu Ruhe zu bringen, hüllten sich die Druiden in das Fell eines frisch geopferten Stieres.

Derselbe Brauch ist auch von den Germanen bekannt. Sie setzten sich bei dem “Utiseta” (“Draußensitzen”) genannten Ritual auf einem Kreuzweg auf das Fell eines Rindes, um mit den Ahnen Kontakt aufzunehmen. Dieser Brauch ist von der Kirche nach der Missionierung immer wieder verboten worden. Da sich dasselbe Ritual auch weit entfernt im Zusammenhang mit dem Bestattungsritual bei den altägyptischen Schamanen-Priestern, die “Sem” (“Helfer”) genannt wurden, findet, muß es sich hier um eine sehr alte Tradition handeln, die mit den zentralen religiösen Fragen zu tun hat.

Dieser Brauch der Druiden, der Germanen und Ägypter erklärt sich z.T. durch eine alte Bestattungssitte. In Ägypten und in Kleinasien wurden Tote in der Jungsteinzeit und in der ersten Zeit der Königtümer in ein Kuhfell gehüllt und dann bestattet. Die Kuh ist seit der Altsteinzeit das Tier der Großen Mutter, da die großen Rinderherden ein Symbol der Fruchtbarkeit waren. Wenn man nun einen Toten in ein Kuhfell hüllte, befand er sich symbolisch in der Kuh-Mutter und wurde dann im Jenseits von ihr wiedergeboren. Diese Symbolik hat sich am deutlichsten und detailliertesten in der altägyptischen Religion erhalten.

Sowohl die Indogermanen als auch die Ägypter und die kleinasiatischen Völker stammen von den jungsteinzeitlichen Ackerbauern in Mesopotamien ab, die daher auch die kulturellen Ahnen der Kelten sind.

Diese Symbolik hat noch eine tiefere Schicht. Die Ankunft der Toten im Jenseits wurde von den frühen mesopotamischen Ackerbauern und den von ihnen abstammenden Völkern als eine Wiedergeburt im Jenseits durch die Große Mutter bzw. die Muttergöttin angesehen. Dieser Wiedergeburt ging in den meisten Mythen von Ägypten bis nach Indien und Nordeuropa eine Wiederzeugung, d.h. eine Vereinigung des Toten mit der Muttergöttin voraus. Da die Herdentiere die Symbole für die Fruchtbarkeit und die Zeugungskraft waren, wurde der Tote auf seiner Reise ins Jenseits mit einem Stier identifiziert, damit er sich selber aufgrund der Zeugungskraft des Stieres erfolgreich wiederzeugen konnte.

Der Kessel wurde nicht als Ganzes in dem Moor versenkt bzw. vergraben, sondern vorher in seine einzelnen Teile zerlegt. Das weist darauf hin, daß der Kessel ins Jenseits gesandt wurde, denn damals hat man alle Opfergaben, die man den Ahnen zukommen lassen wollte, vorher zerbrochen, verbrannt oder getötete, um sie symbolisch in denselben Zustand zu versetzen wie die Toten, für die sie bestimmt waren. Die Moore und z.T. auch Seen, Quellen und Brunnen, in denen man solche Totenopfer versenkte, wurden als Eingänge in die Unterwelt angesehen. Es ist also zu vermuten, daß die Niederlegung des Kessels mit den Ahnen in Verbindung stand.

Diese Zusammenhänge geben einen ersten Hinweis auf das mythologische Thema, daß dem Kessel von Gundestrup zugrundeliegen könnte: die Jenseitsreise.

Der Tote auf dem Bild wäre dann derjenige, auf den sich dieser Kessel bezieht. Der Hund wäre folglich der Jenseitsbegleiter, als der er in vielen Mythen und Jenseitsvorstellungen auftritt.

III. A 2. Erste Außenplatte: “Gott mit drei Männern”

Auf ihr wird ein bärtiger Mann dargestellt, der seine Arme erhoben hat und um seinen Hals einen Torque trägt.

Diese Torques waren offene Ringe, deren beiden Enden als Kugeln geformt waren. Man findet sie bei den Gottheiten, aber bei auch bei Fürsten. Sie wurden sowohl in Männer- als auch in Frauengräbern entdeckt. Der Ring selber war oft wie ein Strick gedreht, wodurch auch ihre lateinische Bezeichnung Torque (“gedreht”) entstanden ist. Die beiden Enden der Ringe waren meist kunstvoll verziert und hatten manchmal die Gestalt von Tierköpfen.

fein gearbeiteter Torque Norfolk, ca. 50 v. Chr.

Torque mit Blütenornamenten Irland, ca. 50 v. Chr.

Auf der rechten Schulter des großen Mannes auf der Bildplatte steht ein kleinerer aufrechter Mann. Über seiner linken Schulter liegt ein zweiter Mann in derselben liegenden Haltung wie der Mann auf der Mittelplatte. Er ist daher vermutlich tot.

Möglicherweise handelt es sich bei dem großen Mann daher um einen Gott, der mit Leben und Tod zu tun hat.

Der kleine Reiter auf der linken Schulter des großen Mannes sollte dann ebenfalls mit Leben und Tod in Verbindung stehen. Bei den Indogermanen findet sich das Pferd oft als das Reittier des Schamanen, mit dem er in das Jenseits gelangt. Das bekannteste Beispiel hierfür ist sicher Odin auf seinem achtbeinigen Pferd Sleipnir. Die Verdoppelung der Beine des Odin-Pferdes ist wie seine zwei Raben und seine zwei Wölfe ein Hinweis auf die zwei Welten: Diesseits und Jenseits. Odins gesundes Auge blickt in das Diesseits und sein totes, blindes Auge blickt in das Jenseits.

III. A 3. Zweite Außenplatte: “ Gott mit zwei Drachen”

Auch dieser Mann hat seine Arme erhoben, trägt einen Torque um seinen Hals und hat einen Bart, der allerdings deutlich anders als bei dem vorigen Mann geschnitten ist.

Die Drachen in seinen Händen haben den Vorderleib eines Pferdes, den Hinterleib einer Schlange und dazu je zwei Flügel. Dieses spezielle Fabeltier wurde von den Griechen Hippokamp genannt und war dem Poseidon heilig. Der schlangenartige Schwanz war oft auch ein Fischschwanz.

Unter dem Mann, dessen Größe im Vergleich zu den anderen Gestalten auf der Bildplatte und dessen Torque ihn wohl als Gott kennzeichnen sollen, befindet sich ein “Doppelwolf”. Dieses Tier wirft links und rechts je einen Mann nieder.

Dieser Gott ist folglich mit dem Pferd, dem Vogel (Flügel), der Schlange, dem Wolf und dem Niederwerfen von Menschen, also vermutlich mit deren Tod verbunden.

Das Pferd als Reittier des Schamanen auf der vorigen Bildplatte und der Hund als Jenseitsbegleiter des Schamanen würden zu dieser Auffassung passen. Die beiden Wölfe wären dann mythologische Verwandte von Geri und Freki, den beiden Wölfen Odins.

Der Vogel hat eine bei allen Völkern gleiche mythologische Bedeutung: Er stellt die Seele dar. Dies liegt daran, daß man bei einem Nahtod erlebt, wie man seinen materiellen Körper verläßt und über ihm schwebt, also “wie ein Vogel ist”. Dies ist die direkteste Weise, die eigene Seele zu erleben und hat vermutlich die Vorstellung über eine Seele des Menschen auch begründet. Die Flügel des Drachen sprechen also ebenfalls für einen Zusammenhang des Kessels von Gundestrup mit dem Tod und dem Schicksal der Seele im Jenseits.

Die Schlange ist schließlich als auf der Erde lebendes Tier in fast jeder Mythologie mit dem Jenseits und dem Weg dorthin verbunden. Die Schlange lebt in Höhlen, die oft als Eingang zur Unterwelt angesehen wurden. Auch unser Wort Hölle leitet sich von „Höhle“ ab.

III. A 4. Dritte Außenplatte: “Gott mit zwei Hirschen”

Dieser Gott trägt wieder einen deutlich anderen Bart als die beiden vorigen Götter. Sein Torque ist vermutlich unter diesem vollen Bart verborgen. In seinen Händen hält er zwei Hirsche, die tot zu sein scheinen. Es liegt nahe, einen Zusammenhang mit dem keltischen Hirschgott Cernunnos zu vermuten, der allerdings selber nie als Jäger, sondern immer als Mann mit Hirschgeweih dargestellt wird – der Gott kann also nicht Cernunnos selber sein.

Da bei den Indogermanen allgemein der Stier, der Ziegenbock, der Widder, das Wildschwein und der Hirsch die Zeugungskraft und die Fruchtbarkeit repräsentieren und von diesen Tieren in den späteren schriftlich überlieferten Vorstellungen der Kelten der Stier und der Hirsch am beliebtesten waren, könnte es sein, daß die beiden Hirsche hier als Ergänzung zu dem geopferten Stier auf der Mittelplatte auftreten. Wenn dies zutrifft, sollten auch die beiden Hirsche die Zeugungskraft des toten Mannes auf der Mittelplatte für seine Wiederzeugung im Jenseits stärken.

Die Zweizahl der Hirsche könnte dann evtl. auf das Diesseits und das Jenseits hinweisen – eine Zweizahl von geopferten Tieren ist zumindest nicht bekannt. Vielleicht erscheinen hier auch nur aus symmetrischen Gründen zwei Hirsche, obwohl eine Verdoppelung des Hirsches als Jenseitshinweis wie auch bei Odins achtbeinigem Pferd wahrscheinlicher scheint.

Um die Hirsche herum finden sich wieder einige Ranken mit Blättern.

III. A 5. Vierte Außenplatte: “Gott mit zwei Männern”

Alle vier Götter unterscheiden sich deutlich durch ihre Frisur und ihre Barttracht. Der Torque fehlt bei diesem Mann, aber vielleicht hat der Schmied, der diese Platte hergestellt hat, den Torque als selbstverständlich vorausgesetzt und wollte ihn nicht mit dem beiden „Bartzöpfen“ kombinieren, was technisch recht schwierig geworden wäre.

Der Mann hält zwei sehr lebendig wirkende Männer an ihren Armen, die wiederum mit ihrer freien Hand je einen Eber emporhalten. Über der rechten Schulter des Gottes befindet sich ein Wolf und über seiner linken Schulter ein Flügelpferd. Alle vier auf den Außenplatten dargestellten Götter haben ihre Arme erhoben.

Dieser Gott scheint vor allem mit dem Leben verbunden zu sein, da sich bei ihm als einzigem keine toten Menschen oder Tiere finden.

Das Flügelpferd weist wie die Wölfe auf die Jenseitsreise hin. Das Thema, bei dem der Gott den beiden Männer „Halt gibt“, wird vermutlich durch das Flügelpferd ausgedrückt. Es ist z.B. denkbar, daß die beiden Männer Schamanen sind und der Gott der Schutzgott der Schamanen. In ähnlicher Weise ist bei den Germanen Odin der Schutzgott der Schamanen. Später, nachdem die germanischen Schamanen ihre Kenntnisse auf die Kriegskunst übertragen hatten, wurde Odin dann auch der Gott der Berserker-Ekstasekrieger, die ihrerseits die Nachfolger der Schamanen waren.

Es stellt sich die Frage, warum hier zwei Schamanen dargestellt werden. Rein künstlerische Gründe können es nicht sein, da auf den Bildplatten auch sonst kein streng symmetrischer Aufbau angestrebt worden ist. Es läßt sich vermuten, daß die Zweizahl die Schamanen wie bei Odin als “Wanderer in zwei Welten” kennzeichnet.

Eine andere Interpretation wäre die Auffassung des Gottes als der Stammesgott, der allgemein aus dem Jenseits heraus, in dem alle Ahnen und Götter sind, den Stamm, der durch die beiden Männer dargestellt wird, beschützt. Das Flügelpferd und der Wolf wären dann die Verbindung zwischen dem Stamm und dem Gott.

Die beiden Eber oder Keiler müßten dann eigentlich den Stamm, zu dem die beiden Männer gehören, bezeichnen. Diese Beschreibung würde auf Teutates passen, der unter anderem einen Eber als Symboltier hat.

Die beiden Eber könnten aber auch wie der Stier und die beiden Hirsche die Zeugungskraft darstellen. In diesem Falle könnten die beiden Männer auch einfach Tote sein, wobei ihre Zweizahl dann nur durch ein Bedürfnis nach Symmetrie begründet wäre.

Dieser Gott könnte als Stammesgott auf den Göttervater-Sonnengott Dyaus der Indogermanen zurückgehen. Falls dies so ist, wäre es immerhin denkbar, daß die Frisur an der Stirn des Gottes den Sonnenaufgang darstellen soll, der als Gleichnis zur Wiedergeburt das wichtigste mythologische Motiv der Indogermanen war: Die indogermanische Himmelswasser-Göttin Heusos gebar jeden Morgen aufs Neue den Sonnengott Dyaus.

Auf dieser Platte befinden sich keine Ranken.

III. A 6. Fünfte Außenplatte: “Göttin mit zwei Männern”

Die Göttin trägt ein spezielles Haarband, über das zwei lange Haarsträhnen bis auf ihre Schultern herabfallen. Das Haar auf ihrem Kopf ist entweder vollkommen glatt oder sie ist kahlköpfig. Sie hält ihre Arme und Hände im Gegensatz zu den vier bereits beschriebenen Göttern in einer möglicherweise bewahrenden oder einladenden Geste vor ihrer Brust. Um den Hals trägt sie wie die Götter einen Torque.

Über ihren Schultern sind ein bärtiger und ein bartloser Mann abgebildet. Beide haben ihre Arme erhoben wie die vier Götter. Vermutlich tragen beide einen Torque, wobei er dann bei dem linken Mann unter seinem Bart verborgen wäre.

Falls auf den Bildern des Kessels der Torque als Kennzeichen der Götter verwen´- det worden ist, wird die Göttin hier möglicherweise als die Mutter der beiden kleineren Gottheiten dargestellt – dann wäre sie die allgemeine Muttergöttin.

Falls der Torque in einem erweiterten Sinne bei allen Menschen auftritt, die eine „gottähnliche Qualität“ erlangt haben wie Könige oder Schamanen, d.h. die einen direkten Kontakt zu den Göttern haben, dann wäre die Göttin diejenige, die es diesen Menschen ermöglicht hat, diese Qualität zu erlangen. Auch in dieser Varianten wäre die Göttin wohl die allgemeine Muttergöttin, da sie in den verschiedensten Mythologie diejenige ist, die den Toten, den Schamanen und den Fürsten diese Verbindung gibt.

Wenn diese zweite Interpretationsmöglichkeit zutrifft, sollten die beiden kleineren Männern mit erhobenen Armen Menschen sein, die eine solche Qualität erlangt haben – womit dann auch die Funktion des Kessels zusammenhängen sollte.

Der obere Rand der Bildplatte hat einen “gezackten” Rand. Eine Betonung der Oberkante ist zunächst einmal am wahrscheinlichsten ein Hinweis auf den Himmel und somit vermutlich auch auf das Himmelsjenseits. Dies würde gut zu den erhobenen Armen der Götter passen, die auch ein Hinweis auf den Himmel sein könnten. Wenn dies zutrifft, müßte die Göttin besonders eng mit dem Himmel verbunden sein – was auch der Fall ist, da die Muttergöttin oft als der Himmel selber aufgefaßt wird.

Die Zacken könnten Wasserwellen darstellen und somit den Himmel als ein Meer bezeichnen, was in den Mythen aller Völker, die von den mesopotamischen Ackerbauern abstammen, ein geläufiges Bild ist. Auch in den ägyptischen Hieroglyphen wird das Wasser durch eine Zickzack-Linie dargestellt.

Um die Gestalten herum finden sich Ranken mit Blättern.

III. A 7. Sechste Außenplatte: “Göttin des Lebens und des Todes”

Die Göttin hat dieselbe Frisur und dasselbe Haarband wie auf der vorigen Bildplatte und trägt auch hier wieder einen Torque. Der obere Bildrand ist ebenfalls “gezackt” und sie ist wieder von Ranken mit Blättern umgeben. Dies läßt vermuten, daß es sich um dieselbe Göttin wie auf der vorigen Bildplatte handelt. Sie hat ihre Arme wie der ägyptische Totengott Osiris vor ihrer Brust gekreuzt. Bei Osiris ist diese Armhaltung dadurch entstanden, daß man auch den Toten bei der Bestattung die Arme über der Brust kreuzte. Möglicherweise liegt auch der Armhaltung der Göttin auf dieser Bildplatte derselbe weitverbreitete Brauch zugrunde.

Über der rechten Schulter der Göttin wird ein Mann von einer Raubkatze getötet und über ihrer linken Schulter liegt ein Mann tot am Boden.

Allgemein kann man Bilder „von links nach rechts lesen“, da links die Vergangenheit und die Ursache liegen und rechts die Zukunft und die Wirkung. Die Ursache für diese „Zeitrichtung“ ist, daß die Menschen auf der Nordhalbkugel seit einigen Hunderttausend Jahren jeden Tag Sonne und Mond von links nach rechts über den Himmel wandern sehen. Dieser Zusammenhang zwischen links/Vergangenheit und rechts/Zukunft ist auch aus der Psychologie bekannt.

Daher sollte man die linke Szene als die Ursache für die rechte Szene ansehen können, also den Angriff der Raubkatze als Ursache für den Tod des Mannes. Auch auf der Bildplatte „Gott mit drei Männern“ findet sich links ein lebender und rechts ein toter Mann. Bei diesen beiden Bildplatten und möglicherweise auch bei dem gesamten Kessel sollte es also im weitesten Sinne um das Sterben gehen.

Die Vermutung liegt nahe, die beiden bisher betrachteten Göttinnen-Bildplatten als die Darstellung der Göttin in Diesseits und Jenseits aufzufassen: Auf der vorigen Darstellung erscheint sie als “Göttin der Geburt” und auf dieser Darstellung als “Göttin des Todes”.

III. A 8. Siebte Außenplatte: “Göttin mit Vögeln”

Die Göttin trägt wieder einen Torque und ein Haarband sowie die beiden langen Haarsträhnen – die gezackte Linie fehlt jedoch oder ist unter dem silbernen Kesselrand verborgen. Das Haarband weist auf dieser Darstellung allerdings ein anderes Muster auf.

Der linke Arm liegt vor ihrer Brust und ihr rechter Arm ist erhoben. Man könnte diese Haltung so deuten, daß hier die Göttin des Todes, die auf der vorigen Bildplatte dargestellt war, ihren rechten Arm erhoben hat, auf dessen Hand sie nun einen Seelenvogel hält. Dies wäre dann eine Geste, die die Wiedergeburt symbolisieren würde. Der Seelenvogel würde dann zu dem toten Mann in ihrem linken Arm gehören, den sie möglicherweise schützend in ihrem Arm an sich hält.

Für die Wichtigkeit des Seelenvogels in Bezug auf diese Göttin spricht auch, daß in den beiden oberen Ecken je ein großer, leicht stilisierter Vogel abgebildet ist, der wohl das Thema dieser Bildplatte ausdrücken soll. Die Zweizahl der beiden Vögel wird vermutlich wie die Zweizahl der beiden Hirsche und die Zweizahl des „Doppelwolfes“ wie bei Odins zwei Wölfen, seinen beiden Raben und seinem „Doppelpferd“ ein Hinweis auf Diesseits und Jenseits sein.

Somit würden sich aus den drei Bildplatten, auf denen die Göttin abgebildet ist, drei Aspekte der Göttin ergeben, die wohl zugleich auch mit der Dynamik der Funktion dieses Kessels für ihre früheren Benutzer zu tun haben: Leben, Tod und Wiedergeburt.

Neben dem toten Mann befindet sich zusätzlich wie auf der Mittelplatte ein toter Wolf.

Die sitzende Frau auf der rechten Schulter der Göttin trägt einen Torque um ihren Hals, weshalb sie entweder ebenfalls eine Göttin oder eine Frau „mit göttlicher Qualität“ sein sollte. Über ihr befindet sich eine Raubkatze – vermutlich dieselbe, die auf der vorigen Bildplatte den Mann getötet hat. Auch diese Frau bzw. Göttin trägt ein Haarband und die beiden langen Haarsträhnen. Sie hält die linke Hand vor ihren Bauch, während ihr rechter Arm herabhängt. Sie hat ihre Augen geschlossen und scheint nach innen gekehrt zu sein.

Über der linken Schulter der Göttin befindet sich eine Frau mit denselben langen Haarsträhnen, die der Göttin möglicherweise mit ihren Fingern das Haar kämmt. Sie scheint keinen Torque zu tragen, aber dies ist nicht sicher, da es sich hier um eine Profildarstellung handelt und die Künstler den Torque dabei möglicherweise fortgelassen haben, weil er aus dieser Perspektive deutlich schwieriger darzustellen gewesen wäre.