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Ein Neubeginn für die Liebe in der kleinen Buchhandlung in Schottland Als Hannah der lang ersehnte Anruf ihrer Großmutter erreicht, die sie bittet, nach Schottland zu ziehen und ihren Buchladen zu übernehmen, weiß sie nicht, was sie tun soll. Der Laden ist ihr Traum, aber Hannah hat sich gerade neu verliebt und die Beziehung ist noch zerbrechlich. Trotzdem wagt sie den Schritt und steigt in den Flieger, in der Hoffnung, dass ihr Freund ihr später folgen wird. Im Haus ihrer Großmutter findet Hannah einen vergilbten Brief, der offenbar von Grannys großer Liebe stammte. Um die alte Dame noch einmal glücklich zu sehen, macht Hannah sich auf die Suche nach dem verlorenen Liebsten. Dabei begegnet sie dessen Enkel Ethan, der ihr seine Unterstützung anbietet. Gemeinsam entschlüsseln sie nicht nur die Spuren aus der Vergangenheit, sondern entdecken auch ihre Gefühle füreinander. Aber Hannah kann das nicht zulassen, denn sie ist schließlich vergeben ...
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Seitenzahl: 345
Veröffentlichungsjahr: 2021
Der kleine Buchladen in den Highlands
Nadine Feger, geboren 1979 in Viersen, lebt mit ihrer Familie in einer beschaulichen Gemeinde am Niederrhein. Schon als Teenager liebte sie das Schreiben und träumte davon, eines Tages Romanautorin zu werden. Ihr Debüt erschien im Juli 2020. Sie liebt Musik, das Reisen und die Natur. Wenn sie nicht gerade schreibt, steckt sie irgendwo zwischen Alltagschaos und Kinderlachen oder sie ist unterwegs, um neue Orte zu erkunden und Inspiration zu sammeln.
Ein Neubeginn für die Liebe in der kleinen Buchhandlung in Schottland
Als Hannah der lang ersehnte Anruf ihrer Großmutter erreicht, die sie bittet, nach Schottland zu ziehen und ihren Buchladen zu übernehmen, weiß sie nicht, was sie tun soll. Der Laden ist ihr Traum, aber Hannah hat sich gerade neu verliebt und die Beziehung ist noch zerbrechlich. Trotzdem wagt sie den Schritt und steigt in den Flieger, in der Hoffnung, dass ihr Freund ihr später folgen wird. Im Haus ihrer Großmutter findet Hannah einen vergilbten Brief, der offenbar von Grannys großer Liebe stammte. Um die alte Dame noch einmal glücklich zu sehen, macht Hannah sich auf die Suche nach dem verlorenen Liebsten. Dabei begegnet sie dessen Enkel Ethan, der ihr seine Unterstützung anbietet. Gemeinsam entschlüsseln sie nicht nur die Spuren aus der Vergangenheit, sondern entdecken auch ihre Gefühle füreinander. Aber Hannah kann das nicht zulassen, denn sie ist schließlich vergeben ...
Nadine Feger
Roman
Forever by Ullsteinforever.ullstein.de
Originalausgabe bei ForeverForever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinJanuar 2021 (1)
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021Umschlaggestaltung:zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © privatE-Book powered by pepyrus.com
ISBN 978-3-95818-614-9
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Die Autorin / Das Buch
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Impressum
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DANKSAGUNG
Leseprobe: Ein Schotte im Gepäck
Social Media
Vorablesen.de
Cover
Titelseite
Inhalt
1
Für Simon
»Hannah, Liebes, ich weiß, eigentlich habe ich gesagt, ich halte noch ein wenig durch. Aber ich merke, wie meine Kraft schwindet. Es ist also so weit. Schottland wartet auf dich!« Grannys raue Stimme, in der zugleich eine solche Wärme mitschwingt, versetzt mich für einen Wimpernschlag in Schockstarre. Obwohl ich gerade auf dem Sofa in meiner kleinen Zweizimmerwohnung hocke, habe ich das Gefühl, alles würde sich drehen. Schon lange habe ich diesen Anruf erwartet, doch der Zeitpunkt könnte schlechter nicht sein.
»Granny, ich … das kommt jetzt aber überraschend.« Ich atme tief durch, um mich zu sammeln. »Weißt du, ich würde liebend gern alles stehen und liegen lassen. Aber ich habe gerade erst jemanden kennengelernt. Ich kann jetzt doch nicht hier weg.«
»Das verstehe ich, Liebes. Ich verstehe es nur allzu gut.« Einen Moment wird es still am anderen Ende der Leitung. »Auch wenn mich der Gedanke sehr schmerzt, den Buchladen schließen zu müssen. Doch wenn du dein Glück gefunden hast, dann darfst du es nicht loslassen. Bleib bei ihm.«
Mein Herz wird schwer. Dieser Laden war schon immer mein Traum – Schottland war mein Traum. Dass Michael plötzlich in mein Leben rauscht, hatte ich so gar nicht geplant. Ohne ihn zu sein, kann ich mir beim besten Willen nicht mehr vorstellen. Nun stecke ich in einer verflixten Zwickmühle und habe keine Ahnung, wie ich mich daraus befreien soll.
Ob er wohl mit mir gehen würde? Ich muss wenigstens versuchen, ihn davon zu überzeugen.
»Granny, bitte gib mir ein paar Tage Zeit. Ich muss darüber noch einmal in Ruhe nachdenken.«
»Natürlich. Ich habe dich ja jetzt auch regelrecht damit überfallen.«
»Ich melde mich ganz bald wieder bei dir. Versprochen!«
Schwermütig lasse ich den Hörer sinken und lausche in die Stille meiner Wohnung. Meine Brust zieht sich schmerzhaft zusammen, und ich fühle mich, als würde mir jemand die Kehle zuschnüren. Was soll ich denn jetzt nur tun? Meinen Traum aufgeben, den ich schon so viele Jahre hege, oder meinen Traummann, den ich gerade erst gefunden habe?
Vor zwei Monaten traf ich Michael in einem Café. Als er neben mir am Tresen stand, fiel mir sofort das Strahlen seiner eisblauen Augen auf. Ebenso seine kurzen dunkelblonden Locken, die wirr in alle Richtungen standen. Er wollte sein Brötchen mit einem Hunderteuroschein bezahlen, doch die Kassiererin konnte nicht wechseln. Da habe ich ihm mit ein wenig Kleingeld ausgeholfen. Als er das Geld entgegennahm und sich unsere Blicke trafen, fuhr ein Kribbeln durch meinen Körper. Revanchiert hat Michael sich mit einem Abendessen. Normalerweise hätte ich solch eine Einladung abgelehnt, doch es hatte mich sofort erwischt – und zwar schlimmer als je zuvor. Wenn ich jetzt gehe, verliere ich ihn wieder. Das ist das Letzte, was ich will.
Doch wenn ich nicht nach Schottland ziehe, werde ich es mit Sicherheit eines Tages bereuen. Mein Herz hängt so sehr an Grannys kleinem Laden. Als Kind habe ich unzählige Stunden dort verbracht und den Duft der Bücher inhaliert, darauf gehorcht, welche Geschichten sie mir erzählen wollen, und die Seiten so vorsichtig durchgeblättert, als wäre jede einzelne ein kostbarer Schatz. Immer sah ich auch das, was zwischen den Zeilen stand – all die ungesagten Dinge, die sich Gehör verschaffen wollten. Es war, als ob die Bücher mit mir sprechen würden. Wenn der Laden nun geschlossen werden müsste …
Nein – das darf nicht passieren. Es muss einen Weg geben. Vielleicht ist ja doch noch nicht alles verloren. Nur muss ich Michael zuvor klarmachen, wie wichtig der Laden für mich ist. Er liebt mich. Mit Sicherheit wird er es verstehen.
Es ist Freitagabend, und gerade parkt Michael vor meiner Haustür, um mich abzuholen. Beschwingt streife ich meine Jeansjacke über und schnappe mir meine Handtasche. Während ich aus der Tür hechte, ziehe ich meine Jacke enger um mich. Man spürt, dass der Sommer endgültig vorbei ist. Michael steigt aus, und ich falle ihm überschwänglich in die Arme. Mit einem stürmischen Kuss begrüßt er mich, und ich lasse mich ganz in diesen Moment fallen. Wie immer bringt mich seine Nähe völlig aus der Fassung.
Dass man nach so kurzer Zeit so viel für jemanden empfinden kann, hätte ich nie vermutet. Doch er hat mich eines Besseren belehrt. Atemlos lässt er von mir ab, und seine Augen ruhen sichtlich zufrieden auf mir, als er mir eine meiner langen roten Haarsträhnen hinters Ohr streift. Ich lege meinen Kopf in den Nacken, um ihn eingehend mustern zu können. Wie lange wohl darf ich diesen Anblick noch genießen? Plötzlich überrollt mich der Kummer wieder, und die Ungewissheit, ob und wie es mit uns weitergeht, bringt mich schier um den Verstand.
»Ist alles in Ordnung, mein Engel?« Mit besorgtem Blick mustert er mich.
»Michael … ich … Wir müssen reden.« Meine Stimme bricht.
»Was ist denn los?«
»Lass uns kurz reingehen.«
»Du machst mir gerade ein bisschen Angst. Bist du etwa schwanger?«
»Was? Nein. Um Himmels willen!«
Wir gehen in meine Wohnung und lassen uns gleichzeitig auf das große, helle Ecksofa plumpsen. Von draußen fällt nur noch wenig Licht ins Zimmer, sodass ich die Stehleuchte anknipse, die dem Raum eine warme, behagliche Atmosphäre verleiht. Ich greife nach einem der großen Kissen und schlinge meine Arme darum, als könnte es mich schützen, vor dem, was nun auf mich zukommt.
In Michaels Gesicht spiegelt sich eine Mischung aus Neugier und Besorgnis wider. »Also?«
»Meine Großmutter hat mich heute angerufen. Ich habe dir doch von ihrem Buchladen erzählt. Sie möchte …« Ich schlucke schwer. »Sie möchte, dass ich nach Schottland komme, um den Laden zu übernehmen. So schnell wie möglich.« Den Mut, ihm in die Augen zu schauen, habe ich nicht. Denn nicht mal ich selbst weiß damit umzugehen.
»Ja, und? Du wirst aber doch jetzt nicht gehen, oder?«
»Ich … ich weiß es selbst nicht. Dieser Laden war schon immer mein Traum. Und ich habe Granny versprochen, dass ich mich darum kümmere, wenn sie nicht mehr kann. Doch jetzt bist du in mein Leben getreten, und ich habe nicht die leiseste Ahnung, was ich tun soll.« Ich spüre eine brennende Träne auf meiner Wange und einen Kloß in meinem Hals. Ich sehe, dass auch Michael um Fassung ringt. Entschlossen greife ich nach seiner Hand. »Ich dachte … vielleicht können wir gemeinsam nach Schottland gehen.« Erwartungsvoll schaue ich ihm in die Augen. Doch es gelingt mir nicht, eine Reaktion auszumachen. Er schweigt eine Weile, starrt mich mit leerem Blick an.
»Hannah … ernsthaft, selbst wenn ich wollte, könnte ich hier nicht einfach so alles stehen und liegen lassen. Wie stellst du dir das denn vor? Ich habe einen guten Job, meine Familie und meine Freunde hier. So etwas lässt man nicht Hals über Kopf hinter sich.«
»Ich weiß. Ich dachte nur …« Meine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern. »Ich dachte, wir lieben uns.«
»Verdammt, Hannah, natürlich liebe ich dich. Und deswegen bitte ich dich hierzubleiben, bei mir. Außerdem bist du noch so jung …«
»Was soll das denn heißen? Dass man mit sechsundzwanzig noch kein eigenes Geschäft führen kann? Traust du mir das etwa nicht zu?«
»So habe ich das nicht gemeint. Ich will nur nicht, dass du dir deine ganze Zukunft verbaust. Du hast hier in München doch viel mehr Möglichkeiten. Und mich. Ist es die Sache überhaupt wert? Es ist doch nur ein Laden!«
»Ist es eben nicht«, protestiere ich. »Für mich bedeutet es so viel mehr. Dieser Laden ist meine Vergangenheit und meine Zukunft. Michael … ich will mit dir zusammen sein, doch ich muss gehen. Verstehst du das?« Ein lautes Schluchzen bricht aus mir heraus. Michael rückt näher zu mir und zieht mich in seine Arme.
»Es ist dir wirklich wichtig, oder?«
Ich nicke stumm.
»Dann solltest du gehen, auch wenn ich das nicht gerne sage. Wir kriegen das schon irgendwie hin, besuchen uns sooft es geht. Und vielleicht kann ich irgendwann nachkommen. Aber nicht jetzt sofort. Das verstehst du doch, oder?«
»Ja … natürlich verstehe ich das.«
Die Entscheidung ist gefallen. Ob ich damit glücklich werde, steht in einem noch ungeschriebenen Buch.
»Dein Flieger geht gleich. Wir müssen uns verabschieden.« Eng umschlungen stehen wir vor dem Gate. Ich will ihn nicht loslassen. Noch nicht. Um uns herum vernehme ich lautes Stimmengewirr. Der Münchener Flughafen gleicht einem kunterbunten Wimmelbuch. Doch ich habe kein Auge dafür, sondern nur für ihn. Durch tränenverschleierte Augen sieht Michael mich nun an. Sein Blick ist kaum zu ertragen. Doch wenn ich in die Gesichter der anderen schaue, sehe ich bei jedem Einzelnen von ihnen das Gleiche. Meine Eltern, meine Schwester Judith, meine beste Freundin Anni – allesamt haben sie eine Trauermiene aufgesetzt. Es zerreißt mir das Herz, sie hier zurückzulassen. Es fühlt sich so widersinnig an. Einerseits betrübt es mich, dass ich diesen Menschen, die ich so sehr liebe, Lebewohl sagen muss. Andererseits freue ich mich unfassbar auf das, was vor mir liegt – auf die Zukunft, von der ich schon so viele Jahre geträumt habe. Ich gehe zurück nach Schottland, in meine alte Heimat, zu Granny.
Entschlossen versuche ich, die Trübnis abzuschütteln, und schließe mit feuchten Augen und einem Lächeln zugleich einen nach dem anderen in meine Arme. Erst als ich wieder vor Michael stehe, kann ich mich nicht mehr zusammenreißen. Ein lautes Schluchzen entweicht meiner Kehle, und es gelingt mir nicht mehr, den Tränenstrom zurückzuhalten. Wie soll ich bloß ohne ihn auskommen?
Er zieht mich fest an sich und vergräbt sein Gesicht in meinen Haaren. »Wir telefonieren jeden Tag. Versprochen. Und spätestens zum Jahresende komme ich zu dir nach Schottland, und wir verbringen ein paar tolle Tage miteinander.« Seine Stimme klingt brüchig. Wir schauen uns an, beide innerlich zerrissen, und dann küssen wir uns ein allerletztes Mal. Ich will nicht, dass dieser Kuss je endet. Doch dann löst Michael sich von mir.
»Du musst gehen«, flüstert er.
»Ich liebe dich.« Mein Herz bricht gerade in tausend Stücke. »Ich liebe euch alle!«, rufe ich, so laut es mir eben gelingt.
Ein letztes Mal schaue ich meine Lieben an und wende mich schließlich zum Gehen ab. Als ich mich noch einmal umdrehe, kann ich sie kaum noch erkennen, denn die Tränen nehmen mir die Sicht. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.
Um die Mittagszeit ist mein Flugzeug im Landeanflug auf Inverness. Vor dem Zwischenstopp in Amsterdam hingen meine Gedanken unentwegt bei Michael und meiner Familie. Doch als ich in den Anschlussflieger stieg, wuchs auch die Vorfreude in mir. Jetzt bin ich jeden Moment da – in meinem neuen Leben. Der Blick auf die schottischen Highlands lässt mein Herz höherschlagen. Erinnerungen, die schon längst vergessen waren, strömen plötzlich auf mich ein und versetzen mich in Euphorie. Polternd setzt der Flieger auf der Landebahn auf, einige Fluggäste applaudieren. Ich bin da!
Glücklicherweise ist mein Koffer gleich einer der ersten, und als ich die Gepäckausgabe verlasse, kann ich meinen Onkel schon erkennen. Colin Scott – unverkennbar mit seinem leuchtend roten Bart und dem grünen Basecap. Lachend laufe ich auf ihn zu, und wir schließen uns in die Arme. Mehrere Jahre sind vergangen, seit wir uns zum letzten Mal gesehen haben, doch er hat sich kein bisschen verändert.
»Mensch, Hannah! Wo ist das kleine Mädchen, das ich mal kannte?« Aufmerksam mustert er mich und lächelt breit. »Deine Granny freut sich schon sehr auf dich. Sollen wir?«
Wir verlassen das Flughafengebäude, und Colin bringt mich in seinem alten Transit nach Nairn zu meiner Großmutter Olivia. Entlang der A96 sehe ich die endlos weiten Felder und Wiesen an mir vorüberziehen. Saftiges Grün unter strahlend blauem Himmel, unterbrochen von kleinen Waldabschnitten. Ich kurble das Fenster ein Stück herunter, um mir die erstaunlich milde Septemberluft um die Nase wehen zu lassen, und atme tief durch. Als die ersten Häuser Nairns in mein Sichtfeld rücken, durchfährt mich ein wohliger Schauer. Es fühlt sich an, wie nach Hause zu kommen. Und in wenigen Minuten werde ich Granny wiedersehen. Viel zu lange habe ich sie nicht besucht. Nun würde ich bei ihr bleiben – für immer vielleicht.
Als wir auf Grannys altes Landhaus in der Crescent Road zusteuern, werde ich erneut von Erinnerungen übermannt. Alles sieht noch aus wie damals. Die fünf Stufen, die zum Haus führen, sind immer noch von demselben blauen Geländer umrahmt. Auch die Haustüre leuchtet in Blau, wenn auch der Lack bereits an einigen Stellen abgeplatzt ist. Colin parkt den Wagen gerade in der Einfahrt, als sich die Tür öffnet.
»Hannah! Da bist du ja!«
Hastig springe ich aus dem Auto und laufe freudig auf Granny zu. Sie zieht mich in eine lange, herzliche Umarmung, und alles ist wie früher. Ihr Duft, ihre Wärme – sie ist immer noch die Alte. Lediglich ihr rotes Haar ist an den Ansätzen weiß geworden. Dennoch ist unschwer zu erkennen, wem ich meine Haarpracht zu verdanken habe.
»Granny! Wie schön, dich endlich wiederzusehen! Oh, ich habe dich wahnsinnig vermisst.«
»Ich bin auch sehr glücklich, mein Liebes! Was für eine wunderschöne junge Frau du doch geworden bist! Du wirst unser Städtchen ganz schön aufmischen.« Ihre Stimme klingt warm, und sofort fühle ich mich wie zu Hause.
»Komm herein, Hannah! Wir haben uns viel zu erzählen.«
Wenig später sitzen wir mit einer Tasse Tee im Wohnzimmer auf der alten Couch und erzählen uns all die Dinge, die wir in den letzten Jahren voneinander verpasst haben. Natürlich reden wir auch über Michael.
»Mit Sicherheit wird er einen Weg finden, um bei dir zu sein«, erklärt Granny überzeugt. »Es hört sich nämlich schwer danach an, als würde der Junge es ernst mit dir meinen.«
Was das angeht, bin auch ich mir hundertprozentig sicher. Wir werden einen Weg finden. Ganz bestimmt.
»Du wirst in dem alten Gästezimmer wohnen. Geh ruhig rauf und ruhe dich ein wenig aus. Und morgen wird dein Onkel mit dir losfahren, damit du dir ein paar neue Möbel aussuchen kannst.«
»Ach, Granny, ich brauche doch nichts Neues.«
»Wenn ich sehe, wie viele Koffer du vorab zu uns geschickt hast, bin ich fest davon überzeugt, du wirst einen neuen Schrank brauchen. Außerdem wird dem Zimmer ein bisschen frischer Wind nicht schaden. Richte dich ein, wie es dir beliebt. Du sollst dich hier wie zu Hause fühlen.«
»Das werde ich ganz bestimmt. Alles ist noch so wie früher. Und ich habe es immer geliebt, hier zu sein.«
Ich mache mich auf den Weg nach oben und betrete kurze Zeit später das Zimmer. Unwillkürlich muss ich an früher denken. Wie oft haben meine zwei Jahre ältere Schwester Judith und ich hier übernachtet und die Nächte durchwacht!
Als ich die Tür zu dem kleinen Balkon öffne, strömt die frische Meeresluft herein, und ich atme tief durch. Auf einmal überkommt mich die Müdigkeit, und ich lasse mich erschöpft auf das Bett fallen. Während mein Blick durch den Raum schweift und ich darüber nachdenke, was ich hier ändern könnte, fallen meine Augen zu, und ich gleite in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Erst am nächsten Morgen wache ich wieder auf und fühle mich ausgeruht und fit. Als ich nach unten in die Küche komme, steigt mir der Geruch von Rührei und gebratenen Pilzen in die Nase. Auf dem Tisch erspähe ich außerdem gebackene Bohnen, Grillwürstchen und Toast. Schon beim Anblick der Bohnen dreht sich mir der Magen um.
»Guten Morgen, Granny!«
»Guten Morgen, Liebes! Du kommst genau zur richtigen Zeit. Das Frühstück ist so gut wie fertig. Setz dich und greif zu.«
»Es duftet zwar köstlich, aber dem schottischen Frühstück konnte ich noch nie etwas abgewinnen, wie du weißt.«
Sie macht eine wegwerfende Handbewegung. »Ja, ja, ich habe es nicht vergessen. Aber daran wirst du dich über kurz oder lang gewöhnen.«
»Niemals.« Schmunzelnd setze ich mich an den kleinen Tisch. Ich greife nach einer Scheibe Toast und bestreiche sie mit Marmelade. Nur Granny zuliebe esse ich danach noch ein wenig von dem Rührei.
Nach dem Frühstück mache ich mich mit Colin auf den Weg nach Aberdeen. Gut ausgestattete Möbelhäuser sind hier rar gesät, deshalb sind wir zwei Stunden unterwegs, um in die nächstgrößere Stadt zu gelangen. Wir unterhalten uns eine Weile angeregt, bis sich mein Blick irgendwo in der Ferne verliert und Michael durch meinen Kopf spukt. Erst jetzt wird mir wirklich bewusst, wie viele Kilometer uns von nun an trennen. Nicht zu wissen, wann wir uns wiedersehen werden, schmerzt mich innerlich.
»So, da wären wir.« Colins Worte reißen mich aus meinen Gedanken, und ich atme erleichtert auf. Die Ablenkung kommt mir sehr gelegen. Gemeinsam schlendern wir durchs IKEA Einrichtungshaus, wo ich mir einen übergroßen Kleiderschrank und einen grauen Ohrensessel mit passendem Hocker aussuche. Außerdem kaufe ich noch zwei Kommoden, Lampen und ein bisschen Dekoration. In einem Geschäft gleich nebenan besorge ich mehrere Eimer Farbe. Nachdem wir alles in Colins Transporter geladen haben, verbringen wir weitere zwei Stunden auf den Straßen Schottlands. Doch dieses Mal bin ich in Gedanken damit beschäftigt, einen Platz für die neuen Möbel auszusuchen.
Als wir schließlich wieder in Nairn ankommen, mache ich mich gleich ans Werk. Mein Onkel hilft mir dabei, den alten Schrank abzubauen und alle anderen Möbel aus meinem Zimmer zu tragen. Das Einzige was bleibt, ist das alte weiße Metallbett. Um die Wand dahinter in einem zarten Blassrosa anzustreichen, schiebe ich das Bett beiseite.
Gerade als ich den Teppichboden mit Folie abzudecken beginne, spüre ich, dass der Holzboden stark unter meinen Füßen nachgibt. Irritiert löse ich den gut verklebten Teppich und klappe ihn zurück. Zwei der Holzplanken sind lose. Als ich sie herausnehme entdecke ich darunter eine kleine, flache Holzschachtel. Mein Herz schlägt wild in meiner Brust, als hätte ich gerade den heiligen Gral entdeckt.
Ohne nachzudenken öffne ich die Schachtel. Darin liegen ein schlichtes goldenes Medaillon an einer feingliedrigen Kette, ein getrocknetes Sträußchen Vergissmeinnicht und ein vergilbter Brief. Vorsichtig nehme ich das ovale Schmuckstück heraus, um es näher anzuschauen. Es fühlt sich kalt in meiner Hand an. Auf der Rückseite befindet sich eine Gravur: »Für Olivia«. Als ich das Medaillon öffne, bin ich verblüfft. Das Foto auf der linken Seite zeigt eindeutig meine Oma in jungen Jahren, und es ist erstaunlich, wie ähnlich ich ihr sehe. Doch das Foto auf der rechten Seite zeigt einen jungen Mann, der ganz offensichtlich nicht mein Großvater ist. Hier im Haus hängen noch Fotos von Granddad in jungen Jahren, deshalb bin ich mir ganz sicher. Das hier ist ein anderer Mann. Doch wer kann das sein? Was hat es damit auf sich? Meine Neugier ist nun umso mehr entfacht, und ohne zu zögern, öffne ich den Brief.
Meine liebste Olivia,es fällt mir sehr schwer, Dir mitteilen zu müssen, dass ich nicht wieder zurückkehren kann. Es geht um meinen Vater. Ich muss hier ein paar Dingen auf den Grund gehen. Doch ich verspreche Dir, dass ich wieder bei Dir sein werde, sobald ich kann. Und dann treten wir vor den Altar.In Liebe, Cesar
Mich überkommt ein Anflug von schlechtem Gewissen, weil ich in Grannys Sachen geschnüffelt habe. Doch mich lässt das Gefühl nicht los, dass es mit diesem Geheimnis etwas Besonderes auf sich hat. Niemals hat sie diesen Cesar erwähnt, obwohl er ihr ganz offensichtlich viel bedeutet haben muss. Warum sonst hätte sie diese Dinge all die Jahre versteckt unter einer Holzdiele aufbewahrt?
Granddad wusste mit Sicherheit nichts davon. Ich muss Granny darauf ansprechen, denke ich. Die kleine Schachtel lege ich wieder zurück. Nur den Brief behalte ich bei mir.
Am späten Abend habe ich nicht nur die rosafarbene Wand fertig, auch die anderen Wände haben ein neues Gewand erhalten. In einem hellen Cremeton wirkt mein Zimmer nun warm und gemütlich, und die neuen Farben passen wunderbar zu dem etwas dunkleren Teppichboden. Für heute muss das genügen. Mein Onkel und mein Cousin haben angeboten, morgen die Schränke und Kommoden aufzubauen, wofür ich sehr dankbar bin. So kann ich in der Zeit in aller Ruhe mit Granny den Laden begutachten. Ich kann es kaum erwarten. Und vielleicht findet sich ja dann auch die passende Gelegenheit, nach Cesar zu fragen.
Müde lasse ich mich in mein Bett fallen, doch ich finde lange Zeit keine Ruhe.
Am nächsten Morgen machen wir uns gleich nach dem Frühstück bereit, um zum Buchladen zu gehen. Die halbe Nacht habe ich mir den Kopf zerbrochen, wie ich Granny darauf ansprechen soll, was es mit diesem Brief auf sich hat. Gerade als wir aus der Tür treten wollen, platzt es aus mir heraus. »Granny, gestern habe ich das hier in meinem Zimmer gefunden.« Ich halte ihr den vergilbten Brief unter die Nase. »Kannst du mir das erklären?«
Ihre Miene wird schlagartig unbeweglich, und sie zögert einen Augenblick. Doch dann findet sie anscheinend ihre Fassung wieder.
»Ach das! Das ist nur ein Stück Papier. Es hat nichts zu bedeuten. Und jetzt lass uns zum Laden gehen.« Ihre Worte klingen gepresst, und ich beschließe, nicht weiter nachzufragen. Zumindest vorerst.
Der Buchladen liegt in der Gordon Street, nur drei Gehminuten von Grannys Wohnhaus entfernt. Wir brauchen ein bisschen länger, weil sie nicht mehr so fit auf den Beinen ist. Immer wieder grüßen uns Leute, denen wir auf der Straße begegnen. Ein paar Gesichter kommen mir bekannt vor, doch nur den wenigsten kann ich noch Namen zuordnen. Als ich zehn Jahre alt war, haben wir Schottland verlassen, weil mein Vater einen guten Job in München angeboten bekommen hat. Mir fiel es damals unfassbar schwer, hier alles hinter mir zu lassen. Meine Freunde fehlten mir ebenso wie meine Großeltern. Damit wusste ich kaum umzugehen. Anfangs sind wir noch regelmäßig zurückgekehrt, doch mit den Jahren wurde es immer seltener. Wir gewöhnten uns an das Leben in Deutschland, bauten uns dort etwas auf. Doch ein Teil meines Herzens blieb immer hier in Schottland.
Als mein Granddad starb, war ich untröstlich, weil ich nicht die Gelegenheit hatte, mich von ihm zu verabschieden. Sein Tod kam zu plötzlich. Mit Granny würde mir das nicht passieren. Seit Granddad gestorben war, telefonierte ich jede Woche mit ihr. Sie sollte wissen, dass ich trotz der Entfernung bei ihr bin. Schließlich weckte sie in mir den Wunsch, den Buchladen eines Tages zu übernehmen, wenn sie nicht mehr in der Lage sein würde, ihn selbst zu führen. Und nun ist es so weit.
Wir stehen vor dem alten Eckhaus, und das Adrenalin wird durch meinen Körper gepumpt. Seit Jahren habe ich den Laden nicht mehr betreten, und nun soll er mir gehören. »Ich kann dir gar nicht sagen, wie aufgeregt ich gerade bin!« Fest umklammere ich Grannys Hand.
»Glaub mir, es geht mir ganz ähnlich. Es ist ein seltsames Gefühl, diesen Laden aufzugeben. Ich habe quasi mein ganzes Leben hier verbracht. Doch ich weiß, dass er bei dir in den besten Händen ist. Niemand anders wäre dafür infrage gekommen. Schon als kleines Mädchen hast du meine Liebe zu den Büchern mit mir geteilt. Deshalb vertraue ich ihn nun dir an. Jetzt ist es dein Laden!« Ihre Mundwinkel zucken verräterisch, und ihr Blick spiegelt eine Mischung aus Erleichterung, Freude und einem Hauch Melancholie wider.
Aufmerksam begutachte ich das Gebäude. Vor sehr vielen Jahren eröffnete mein Urgroßvater den Buchladen und übergab ihn dann später an seine Tochter. In der Wohnung darüber lebt Grannys Bruder Harris.
»Über kurz oder lang wird Harris nicht mehr dort bleiben können. Er schafft es kaum noch die Treppen rauf. Wenn es so weit ist, wirst du seine Wohnung bekommen, Liebes. Wir haben das alles schon besprochen.«
»Ich hoffe, du drängst ihn nicht dazu auszuziehen. Das hat alles Zeit. Ich bin zufrieden mit meinem schönen Zimmer bei dir.« Nachdenklich mustere ich die Fassade. »Allerdings braucht das Haus dringend einen neuen Anstrich.«
»Da gebe ich dir recht. Ich habe absichtlich in den letzten Jahren nicht mehr viel daran getan. Ich wollte es dir überlassen. Sicher wirst du auch innen einiges ändern wollen. Lass uns reingehen.«
Sie schließt mit ihrem dicken, klimpernden Schlüsselbund die Ladentür auf, und sofort lockt der vertraute Duft der Bücher meine Erinnerungen hervor. Einen Moment halte ich inne, blicke umher, nur um festzustellen, dass sich hier nichts verändert hat. Die schweren, dunklen Regale versprühen einen gewissen Charme, und sofort ist mir klar, dass sie erhalten bleiben müssen. Still schreite ich durch die Regalreihen, lasse meine Finger dabei sanft über die Buchrücken gleiten. Meine Großmutter ist am Eingang stehen geblieben, vermutlich um mir diesen Moment zu gönnen. Ein paar Änderungen werde ich offenbar vornehmen müssen, wird mir klar, als mein Blick an der Ecke mit den Kinderbüchern hängen bleibt. Tatsächlich wirkt sie viel zu düster auf mich. Hier muss unbedingt frischer Wind rein.
Dann betrete ich das Hinterzimmer. Diesen Raum habe ich immer am meisten geliebt, obwohl er mit seinem schwachen Licht und dem alten Teppich ein wenig unheimlich wirkt. Hier stehen die besonderen Bücher – die alten, unverkäuflichen. Grannys Sammlerstücke. Teilweise sind sie noch in Leder eingebunden, bei manchen ist der Einband kaputt oder gar nicht mehr vorhanden. In einigen stehen persönliche Widmungen oder Notizen in krakeliger Handschrift, viele haben Eselsohren und herausgerissene Seiten. Wann immer Granny ein solches Buch fand, musste sie es mitnehmen. Genau wie sie hat es mich schon immer fasziniert, welche Geschichte hinter jedem dieser Bücher steckt. Unabhängig von den darin geschriebenen Wörtern. Wem gehörten diese Bücher? Was haben die Menschen erlebt, und was bedeuteten diese Bücher für sie?
Wie oft habe ich mich damals in diesem Raum verkrochen und mich in den alten Schätzen verloren. Ich atme tief ein und kehre mit einem leichten Film vor den Augen und einem glücklichen Lächeln zu meiner Großmutter zurück. »Es fühlt sich an, als wäre ich gerade nach Hause gekommen!«
Sie nickt verstehend. »Das hier ist dein Zuhause.« Auch sie wirkt zufrieden. Vermutlich atmet sie gerade innerlich auf, weil auch sie spürt, was ich spüre. Ich gehöre hierher.
Anschließend gehen wir in das kleine Büro, und sie zeigt mir alles, was ich wissen muss. Es beginnt bei den Buchbestellungen und dem Sichten der gelieferten Ware, geht über Kundenberatung und Organisation von Lesungen, bis hin zur Buchhaltung. Mehrere Stunden hocken wir dort und besprechen, was es heißt, einen Buchladen zu führen.
»Mir raucht schon ein wenig der Kopf, Granny. Lass uns ans Meer gehen.«
»Du hast recht, Liebes! Für heute ist es genug. Gehen wir zum Tea-Room.«
Der Tea-Room ist eine kleine Teestube direkt am Strand von Nairn. Wir brauchen etwa eine Viertelstunde zu Fuß vom Buchladen aus. Schon von Weitem können wir sehen, dass es ziemlich voll ist. Doch wir haben Glück und können den letzten freien Tisch ergattern. Es ist ein windiger, aber sonniger Sonntag, und ich liebe es, wenn mir die Meeresbrise entgegenweht und meine Haare zerzaust.
Zufrieden nehme ich auf der Holzbank Platz und lasse meinen Blick zum Meer schweifen. »Alles ist noch genauso schön, wie ich es in Erinnerung hatte.«
»Manchmal spielen unsere Erinnerungen uns aber auch einen Streich«, meint Granny. Sie wirkt, als wäre sie gerade nur körperlich anwesend. Ihre Gedanken scheinen ganz woanders zu sein. Aufmerksam mustere ich sie. Mit einem Mal wird ihr Blick wieder klar.
»Weißt du, Liebes … ich habe deinen Großvater sehr geliebt. James war mir ein guter Ehemann und unseren Kindern ein toller Vater. Er hat alles für die Familie getan.«
»Aber?« Innerlich wappne ich mich für das, was jetzt kommen mag.
»Aber mein Herz gehörte ihm niemals ganz allein. Ein Teil von mir war immer woanders …«
»Cesar«, erwidere ich.
»Ja, richtig.« Ihr Blick verliert sich wieder im Nirgendwo.
»Was ist mit Cesar passiert?«
»Wenn ich ehrlich bin – ich weiß es nicht. Cesars Eltern lebten in Amerika. In dem Jahr, in dem wir heiraten wollten, wurde sein Vater Charles plötzlich schwer krank. Also reiste Cesar nach Amerika, um nach ihm zu sehen.«
»Und dann?«
»Dann erhielt ich diesen Brief von Cesar, den du nun gefunden hast. Das war das Letzte, was ich je von ihm gehört habe.«
»Hast du denn nie versucht herauszufinden, was da los war?«
»Na ja, das, was ich tun konnte, habe ich getan. Ich erkundigte mich in dem Hotel, in dem er untergebracht war. Dort hatte er offenbar ordnungsgemäß ausgecheckt, nur wenige Tage nachdem er den Brief verfasst hatte. Ins Flugzeug nach Hause ist er aber anscheinend nicht gestiegen. Auch seine Eltern konnte ich nicht erreichen. Ich schrieb mehrere Briefe an sie, doch eine Antwort bekam ich nie. Irgendwann kam mir der Gedanke, dass er vielleicht gar nicht mehr zurück zu mir wollte. Vielleicht hatte er das alles absichtlich so eingefädelt. Und so gab ich ihn auf. Vergessen konnte ich ihn jedoch nie.« Tränen schimmern in ihren Augen, und ich kann nur sprachlos dasitzen. Als ich nach Grannys Hand greife, sieht sie mir ins Gesicht.
»Als ich zwei Jahre später deinen Großvater traf, war ich mir sicher, dass er mein Herz heilen würde. Und das hat er auch in gewisser Weise. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Er hat es nicht verdient, dass ich all die Jahre noch an einen anderen gedacht habe.« Es klingt wie eine nachträgliche Entschuldigung.
»Soll ich nach ihm suchen?«
Verwirrt sieht sie mich an. »Nach wem?«
»Na, nach Cesar. Es muss doch möglich sein, etwas über seinen Verbleib herauszufinden.«
»Und was soll das bringen?«
»Gewissheit zum Beispiel. Vielleicht ist ihm ja damals etwas zugestoßen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er dich auf solch eine Art abservieren wollte. Sonst hätte er dir diesen Brief nicht geschrieben.« Tausend Gedanken schießen mir durch den Kopf. Ich will ihn finden. Für sie.
»Du siehst aus, als hättest du dir diese Sache schon fest in den Kopf gesetzt«, entgegnet sie, und vielleicht täusche ich mich, aber in Grannys Augen schimmert so etwas wie Hoffnung.
»Denkst du, du wirst den Laden noch eine Weile ohne mich am Laufen halten können?«
»Was um Himmels willen hast du denn nun vor?«
»Nach Amerika fliegen und mich auf die Suche nach Cesar machen? Vorher musst du mir aber alles, was du über ihn und seine Familie weißt, haarklein erzählen.«
»Du verrücktes Ding!« Grannys Augen beginnen zu funkeln, und ihre nahezu kindliche Aufregung ist förmlich zu spüren.
»Meine Verrücktheit muss ich wohl von dir haben.« Beide verfallen wir in Gelächter, völlig aufgekratzt von den Plänen, die wir soeben beschlossen haben.
Sofort als wir nach Hause kommen, klappe ich meinen Laptop auf und fange an zu recherchieren. Granny setzt sich neben mich an den Esstisch und schaut mir schweigend zu. Wie geht man solch eine Suche an? Mein erster Gedanke ist Facebook. Mit meinem Handy fotografiere ich das kleine Bild aus dem Medaillon ab, doch Cesars Gesicht ist darauf kaum zu erkennen.
Plötzlich steht Colin in der Tür und mustert mich mit fragendem Blick. »Hey, Hannah, wir schuften die ganze Zeit in deinem Zimmer, und du sitzt hier unten und surfst im Internet? Bist du denn gar nicht neugierig?«
»Oh, sorry! Das habe ich völlig vergessen. Tut mir total leid. Ich bin hier gerade an einer wichtigen Sache dran. Sag mal, hast du zufällig einen Scanner?«
»Was hast du denn da?« Neugierig kommt er näher und nimmt mir die Kette ab. »Wer ist das?«
»Das ist eine lange Geschichte«, wirft Granny ein. »Ich erzähle dir alles in Ruhe. Aber jetzt hilf Hannah bitte erst einmal!« Es klingt viel mehr nach einer Anweisung als nach einer Bitte.
»Ja, natürlich habe ich einen Scanner. Kannst zu uns nach Hause gehen. Deine Tante zeigt dir, wo er steht.« Er klingt ein wenig grummelig.
»Danke!«, sage ich knapp und drücke ihn kurz an mich, um wenige Sekunden später aus der Tür zu stürzen und zu Colins Haus zu laufen. Ich sollte mir unbedingt ein Fahrrad anschaffen. Dennoch bin ich innerhalb weniger Minuten an meinem Ziel.
Bevor ich klingeln kann, öffnet sich die Tür bereits, und meine Tante Angie tritt mir strahlend entgegen. »Hannah, wie schön, dich endlich zu sehen. Colin hat mir gerade am Telefon gesagt, dass du kommen wirst.« Angie umarmt mich herzlich und bittet mich herein.
»Es ist so schön, wieder hier zu sein. Und ich würde mich so gern mit dir unterhalten, Angie, aber ich muss etwas Dringendes erledigen.«
»Ich weiß, ich weiß. Komm mit. Wir müssen nach oben in Colins Büro.« Angie hilft mir mit dem Scanner, aber sie kennt sich genauso wenig damit aus wie ich. Gemeinsam kriegen wir es dann aber doch hin. Das Endergebnis ist allerdings nicht gerade befriedigend, der Scan ist ebenfalls sehr verschwommen. Aber das muss wohl so reichen. Nach einem kurzen Plausch verabschiede ich mich von meiner Tante und eile zurück nach Hause.
Dort angekommen, setze ich mich sogleich wieder an meinen Laptop und erstelle auf Facebook die Seite »Gesucht: Cesar Anderson«, teile dort alle nötigen Eckdaten mit und bitte nahezu alle meine Freunde und Verwandten, die Suche zu verbreiten. Außerdem poste ich meinen Beitrag auf sämtlichen Vermissten-Seiten, die ich finden kann.
Bereits nach knapp zwei Stunden ist mein Post schon über tausendmal geteilt worden. Aufgeregt checke ich alle paar Minuten den Stand der Dinge.
Anschließend suche ich den nächstbesten Flug nach Washington, D.C. und habe großes Glück, denn schon in drei Tagen kann ich fliegen.
»Granny, am Mittwoch fliege ich los.«
Sie kommt aus der Küche und schaut mich verblüfft an. »Was, so schnell schon? Du bist gerade mal ein paar Tage hier.«
»Wir sollten nicht noch mehr Zeit verlieren. Du warst lang genug im Ungewissen. Ich hoffe nur, dass ich überhaupt etwas herausfinde.« Ein flaues Gefühl macht sich in meiner Magengegend breit. Noch nie bin ich über den großen Teich geflogen – und dann auch noch völlig allein. Worauf ich mich da wohl eingelassen habe? Was erwartet mich in Amerika? Und was ist, wenn ich Granny völlig falsche Hoffnungen mache?
Die vergangenen Tage verbrachte ich damit, meinem Zimmer den letzten Schliff zu verpassen und die Koffer für Amerika zu packen. Dennoch fand ich genug Zeit für meine Familie, zum Skypen mit Michael und dafür, durch Nairns Straßen zu schlendern. Selten tobte solch ein Gefühlschaos in mir. Einerseits bin ich überglücklich, wieder in meiner Heimat zu sein, andererseits ist mein Herz nur zum Teil hier. Ich spüre, dass mir etwas fehlt. Oder eher jemand.
Immerhin wird mir in den nächsten Tagen nicht allzu viel Zeit zum Nachdenken bleiben. In diesem Moment sitze ich aufgeregt in der Abflughalle des Flughafens. Wieder einmal. Gerade erst bin ich nach Schottland gekommen, und nun mache ich mich schon auf die nächste große Reise. Nur dass ich dieses Mal überhaupt keine Ahnung habe, was mich erwarten wird. Meine Facebook-Suche hat große Wellen geschlagen. Über neuntausenddreihundertmal wurde die Suche geteilt – so viele Menschen berührt Grannys und Cesars Schicksal. Auch Nachrichten bekam ich jede Menge, wenn auch nur von Leuten, die uns bei der Suche Glück wünschen wollten. Hinweise gingen leider bisher keine ein.
Während ich darauf warte, dass das Boarding beginnt, gehe ich noch einmal sämtliche Unterlagen durch, die mir bei der Suche hilfreich sein könnten. Viel ist es nicht. Lediglich Cesars mehr als schlechtes Foto, die alte Anschrift seiner Eltern, ebenso wie die des Hotels, in dem er während seiner Reise untergekommen war. Und der Brief. Ob ich mit diesen wenigen Anhaltspunkten weiterkomme? Meine Suche beginnen werde ich am besten an seinem Elternhaus. Oder bei der britischen Botschaft? An die sollte ich mich auf jeden Fall wenden. Dort weiß man mit Sicherheit etwas über seine Ein- und Ausreise. Sollte er überhaupt ausgereist sein.
Das Klingeln meines Handys reißt mich plötzlich aus meinen Gedanken. Eine unbekannte schottische Nummer. Aufregung macht sich in mir breit. Es könnte ein Hinweis sein!
»Hallo? Hannah Campbell hier.«
»Hi, Hannah! Entschuldige, dass ich um diese Uhrzeit schon störe. Ich habe deine Suchaktion auf Facebook gesehen. Da musste ich sofort anrufen.«
»Hast du etwa einen Hinweis?«, frage ich hoffnungsvoll. Mein Blut schießt in rasendem Tempo durch meine Venen.
»Äh, nicht direkt. Doch ich bin auch auf der Suche nach Cesar … Ich bin übrigens Ethan. Ethan Anderson.«
»Anderson?« Habe ich richtig gehört? »Du bist Cesars …?«
»Enkel. Ich bin sein Enkel.«
»Moment, da komme ich nicht ganz mit. Du bist sein Enkel und weißt nicht, wo er steckt?«
»Das ist eine längere Geschichte. Wenn ich es deiner Seite richtig entnommen habe, wohnst du in Nairn? Ich komme aus Inverness. Das ist ein Katzensprung. Wir könnten uns treffen, dann erzähle ich dir alles. Vielleicht finden wir gemeinsam heraus, wo er abgeblieben ist.«
»Sehr gerne. Eigentlich. Doch ich bin quasi schon auf dem Weg nach Washington, D.C., um mich dort auf die Suche nach ihm zu machen. Das Boarding beginnt jeden Moment.« Ein Signal ertönt, und eine Durchsage ruft zum Boarding meines Flugs auf. »Quasi jetzt.«
»So ein Mist!«, höre ich Ethan fluchen.
»Da kann ich dir nur recht geben. Du wärst mir sicher eine große Hilfe. Am besten rufe ich dich an, sobald ich heute Abend in meinem Hotel angekommen bin.«
»Bleibt uns wohl leider nichts anderes übrig. Es sei denn …«
»Was?«
»… ich suche mir einen Flug und komme hinterher. Muss das nur meinem Chef irgendwie beibringen. Aber das klappt schon.«
»Äh … Okay. Wenn du meinst.«
»Schick mir doch den Namen deines Hotels, und ich melde mich wieder, sobald ich weiß, wann ich da sein kann. Wir sehen uns dann in Amerika.«
»Ja … gut. Mache ich.« Ich fühle mich ein wenig überfordert. Ich kenne diesen Ethan doch überhaupt nicht. Was, wenn er nicht Cesars Enkel, sondern stattdessen ein kranker Psychopath ist?
Nein … Er meint es sicher ernst. Entschlossen schüttle ich meine Zweifel ab. Wahrscheinlich ist es sogar ganz gut, wenn ich nicht mutterseelenallein durch die Staaten irre. Schnell tippe ich eine Nachricht ein, in der ich Ethan Name und Anschrift meines Hotels mitteile.
»Letzter Aufruf für den Flug BA 1453 nach London.« Die Lautsprecheransage reißt mich aus meinen Gedanken. Es geht los. Amerika wartet auf mich. Und Cesar hoffentlich auch.
Nach etwa eineinhalb Stunden landet der Flieger in London. Die Wartezeit bis zu meinem Anschlussflug verbringe ich per Face Time mit Michael. Er ist nicht gerade begeistert von der Tatsache, dass ich allein nach Washington fliegen werde, um mich dieser – seiner Ansicht nach – aussichtslosen Suche zu widmen. Womöglich hat er damit sogar recht. Vor allem wenn man bedenkt, dass Cesar einen Enkel in Schottland haben soll. Das ergibt alles keinen Sinn.
»Wovon bezahlst du das alles eigentlich, Hannah?«, fragt Michael. Der bittere Unterton in seiner Stimme entgeht mir nicht.
»Granny hat mir das Geld gegeben. Sie hat noch einiges auf der hohen Kante liegen, vom Verkauf von Granddads Tankstelle. Sie finanziert mir sogar die Renovierung des Ladens. Ein Grund mehr, mich für sie auf die Suche nach Cesar zu machen.«
»Verstehe. Dann kann ich nur hoffen, dass sie noch ein bisschen mehr springen lässt, damit du mich auch mal besuchen kommst.«