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Man kann nicht alles im Leben planen, schon gar nicht die Liebe. Mit nichts weiter als einer verschmierten Handynummer auf dem Arm, macht sich Johanna auf die Suche nach ihrem Traummann und stößt dabei nicht nur auf den hilfsbereiten Ron, sondern auch auf so manch unangenehme Überraschung. Ruhe und Klarheit findet Johanna erst außerhalb von Kiel, in dem kleinen Ort Strande an der rauen Ostseeküste. Der erste Band der romantischen Reihe rund um die gemütliche Gemeinde Strande - mit ganz viel Ostseeromantik, einem sehnsuchtsvollen Knistern und einer Extra-Portion Streusel.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1 – Johanna
Kapitel 2 – Ron
Kapitel 3 - Johanna
Kapitel 4 - Ron
Kapitel 5 - Johanna
Kapitel 6 - Ron
Kapitel 7 - Johanna
Kapitel 8 - Ron
Kapitel 9 - Johanna
Kapitel 10 - Ron
Kapitel 11 - Johanna
Kapitel 12 - Ron
Kapitel 13 - Johanna
Kapitel 14 - Ron
Kapitel 15 - Johanna
Kapitel 16 - Ron
Kapitel 17 - Johanna
Kapitel 18 - Ron
Drei Monate später - Johanna
Weitere Titel von Nadine Feger
Impressum
Nadine Feger - Falsch verbunden mit der Liebe
(Ostseeverliebt Band 1)
Der heilenden Wirkung des Meeres kann sich niemand entziehen.
Es ist mal wieder so weit. Ich führe die immer gleiche Diskussion mit meinem Vater. Es will einfach nicht in seinen Kopf hinein.
»Paps, du weißt, dass ich gerne hier arbeite. Aber die Firma leiten? Das ist nicht mein Ding. Ich verbringe sowieso schon viel zu viel Zeit hier. Dafür bin ich nicht gemacht. Verstehst du das nicht?«
Fahrig gleiten seine Finger durch sein inzwischen vollständig ergrautes Haar. »Natürlich bist du das. Du bist meine Erstgeborene, und außerdem hast du das Zeug dazu. Niemand sonst kommt dafür infrage.«
»Das ist nicht wahr. Du weißt genau, wie sehr Fabian sich darum reißt. Im Gegensatz zu mir. Und er macht als Vertriebsleiter einen verdammt guten Job. Das kannst du nicht leugnen. Außerdem ist dieses Erstgeborenen-Ding absolut hirnrissig. Ich bin gerade einmal sieben Minuten älter als er.«
Mein Vater rümpft die Nase und verschränkt die Arme vor der Brust. »Dein Bruder hat viel zu viele Flausen im Kopf, anders als du.«
»Paps, du willst ja wohl nicht innerhalb der nächsten zehn Jahre abdanken, oder? Bis dahin hat Fabian sich längst die Hörner abgestoßen. Er hat vielleicht privat seinen Weg noch nicht gefunden, aber was die Firma anbelangt, setzt er alle Hebel in Bewegung, um dir zu zeigen, dass er der Richtige für die Geschäftsführung ist. Das musst du schon zugeben.«
Als Antwort ernte ich lediglich ein mürrisches Brummen.
Ich schenke meinem Vater ein halbherziges Lächeln. »Außerdem habe ich andere Pläne. Ich möchte mein Leben nicht ausschließlich hinter dem Schreibtisch verbringen und alles verpassen. Ich möchte heiraten, eine Familie gründen und für sie da sein.« Und wie ich das möchte. Dieser Wunsch ist so tief in mir verankert, dass ich ihn nicht länger ignorieren kann und will. Dabei zuzusehen, wie alle aus meinem Freundeskreis heiraten und Familien gründen, schmerzt mich inzwischen mehr, als ich mir selbst eingestehen möchte.
Paps zieht eine Augenbraue in die Höhe. »Du hast ja nicht mal einen Freund. Und du redest vom Heiraten?«
Das hat gesessen. Ich atme tief durch und versuche die Fassung zu bewahren. »Und genau das werde ich jetzt ändern.« Ohne meinen Vater noch einmal zu Wort kommen zu lassen, mache ich auf dem Absatz kehrt und fliehe aus seinem Büro. Ich lasse die Tür schwungvoll hinter mir zuknallen und flüchte in die Damentoilette. Mürrisch starre ich mein Spiegelbild an. Ich will nicht mehr die sein, die ich jetzt bin. Eine Frau, deren Lebensinhalt sich nur auf ihre Arbeit und aufs Schlafen beschränkt. Da draußen wartet so viel mehr auf mich.
»So, Johanna. Ab heute bestimmst nur noch du allein über dein Leben.« Entschlossen streife ich meinen grauen Blazer ab, öffne die beiden oberen Knöpfe meiner rosafarbenen Bluse und löse den strengen Dutt, der mein haselnussbraunes Haar zusammenhält. Zufrieden lächele ich mir selbst zu.
Als ich die Toilette verlasse, wartet allerdings mein Vater vor der Tür. Sofort ist meine Laune wieder im Keller.
»Lass uns doch noch mal in Ruhe darüber reden, Liebes«, sagt er sanft. Doch das Pochen seiner Halsschlagader verrät, dass er außer sich ist. Warum hält er so daran fest, dass ich die Firma übernehmen soll?
»Da gibt es nichts zu reden, Paps. Mein Entschluss steht fest. Und jetzt gehe ich aus.« Meine Wut ist verraucht, vor meinen Augen sehe ich nur noch das Ziel, heute Abend Spaß zu haben und mal nur an mich zu denken. Und wer weiß, was sich sonst noch so ergibt.
»Aber es ist doch mitten in der Woche«, ruft er mir noch hinterher. Schulterzuckend wende ich mich ab und mache mich aus dem Staub.
Als ich mich hinters Steuer meines cremeweißen Mini Coopers setze, beschließe ich, den Wagen zu Hause abzustellen und mit der Bahn zum Ben Briggs zu fahren. Dort findet allerdings ausgerechnet heute anstelle der üblichen After-Work-Partys eine Abi-Party statt, und ich frage mich, ob ich nicht längst viel zu alt dafür bin. Leider bleibt mir keine andere Wahl. Die anderen Clubs in Kiel haben donnerstags geschlossen. Werde ich unter all den jungen Leuten auffallen? Langsam, aber sicher steuere ich nämlich auf die Dreißig zu. Aber ich gehe durchaus noch als jünger durch. Die wichtigere Frage ist: Wie alt mag wohl das männliche Publikum dort sein? Schließlich will ich keinen Milchbubi, sondern einen Mann. Ob ich den heute dort finden werde? Egal, ich werde es gleich herausfinden.
***
Als ich eine halbe Stunde später den Club betrete, dröhnen mir augenblicklich laute Bässe entgegen. Die Luft ist zum Schneiden, die Party bereits in vollem Gange. Unzählige Menschen drängen sich dicht an dicht im bunten Scheinwerferlicht auf der Tanzfläche, ihre Körper bewegen sich rhythmisch im Takt der Musik. Mir ist danach, mich sofort mit ins Getümmel zu stürzen, auch wenn ich in den letzten vier Jahren nicht ein einziges Mal tanzen gewesen war. Oder vielleicht gerade deshalb. Wie in Trance lasse ich mich von der Masse mitreißen. Ich schließe die Augen und lasse mich einfach treiben. Erstaunt stelle ich fest, wie gut das tut, befinde mich in einer Art Rausch. Nach einer Weile perlt mir bereits der Schweiß von der Stirn und meine Kehle ist trocken.
Nur widerwillig entferne ich mich von der Tanzfläche und kämpfe mich zur Bar durch, um mir einen Cocktail zu gönnen. Es gelingt mir allerdings nicht, den Barkeeper auf mich aufmerksam zu machen. Doch wie es aussieht, habe ich dafür die Aufmerksamkeit eines ziemlich gutaussehenden Typen erweckt. Er steht ein bisschen abseits der Bar und fixiert mich mit seinem Blick. Zögerlich schaue ich umher, um sicherzugehen, ob sein Interesse wirklich mir gilt.
»Was möchtest du trinken?«, höre ich plötzlich den Barkeeper rufen. Irritiert wende ich mich ihm zu und bestelle mir einen Tequila Sunrise. Als ich mich wieder umdrehe, ist der Typ verschwunden. So ein Mist. Chance verpasst. Genervt trinke ich meinen Cocktail in einem Zug leer.
Plötzlich legt sich eine warme Hand auf meine Schulter und ich fahre erschrocken herum. Da steht er direkt vor mir und strahlt mich an.
»Willst du tanzen?«, schreit er mir ins Ohr. Einen anderen Unterhaltungston kann man bei dieser Lautstärke nicht an den Tag legen.
Mein Herz macht einen kleinen Sprung, und ich nicke nur. Er umfasst meine Hand und zieht mich durchs Gedränge zur Tanzfläche. Sofort ergreift die Musik wieder Besitz von mir. Beim Tanzen riskiere ich immer wieder einen Blick auf mein gutaussehendes Gegenüber. Er ist groß, blond und sportlich gebaut. Genau mein Typ.
Offenbar sieht er meinen eindringlichen Blick als Aufforderung, denn jetzt legt er seine Hände an meine Hüften und zieht mich ein wenig zu sich. Der schnelle Dance Beat lässt es kaum zu miteinander zu tanzen. Dennoch finden wir einen gemeinsamen Rhythmus. Und ich kann nicht behaupten, dass mich seine Nähe kaltlässt.
Seit der Trennung von meinem Langzeitfreund Alex vor drei Jahren ist mir kein Mann mehr so nahegekommen. Beflügelt von diesem Gefühl rücke ich noch näher an ihn heran.
»Wie heißt du eigentlich?« Meine Stimme kommt kaum gegen die Musik an.
Er beugt sich zu mir herunter und brüllt: »Patric. Und du?«
»Johanna!«
»Sollen wir woanders hingehen?«
»Gerne!«
Wieder greift er nach meiner Hand. Gemeinsam bahnen wir uns den Weg zum Ausgang. Als wir ins Freie treten, vernehme ich ein unangenehmes Pfeifen in meinen Ohren. Das gehört definitiv zu den Dingen, die ich nicht vermisst habe, im Gegensatz zum Tanzen.
Unsicher schaue ich zu Patric und weiß nicht, was ich sagen soll. »Hi.« Ganz toll, Johanna. Sehr geistreich.
»Hi.« Er lächelt. »Jetzt brauchen wir uns nicht mehr anbrüllen.«
»Nein, zum Glück.« Es ärgert mich, wie schüchtern er mich macht. Ich darf das jetzt nicht versauen.
»Ich habe dich noch nie im Club gesehen. Zum ersten Mal hier?«
Energisch schüttle ich den Kopf. »Ist nur schon eine Weile her. Eigentlich bin ich aus dem Alter raus, feiern zu gehen.«
Skeptisch mustert er mich. »Ich glaub dir kein Wort. Du siehst gerade mal wie zwanzig aus.«
Ich schlucke hart. Er hält mich tatsächlich für so jung? In diesem Moment frage ich mich, ob ich sein Alter überhaupt erfahren will. Wahrscheinlich sieht er erwachsener aus als er ist. »Dann leg noch mal sieben Jahre drauf«, antworte ich. Mit einem Lachen überspiele ich meine Unsicherheit.
»Krass. Dann bin ich bloß ein Jahr älter als du. Habe dich wirklich jünger geschätzt.«
Innerlich atme ich auf, doch die Unsicherheit bleibt. »Und passe ich trotzdem noch in dein Beuteschema?«
Ein offenes Lächeln erhellt sein Gesicht. »Aber so was von! Diese jungen Dinger gehen mir eh irgendwie auf die Nerven. Und die Gelegenheit, eine so tolle Frau wie dich kennenzulernen, lasse ich mir bestimmt nicht entgehen.«
»Ist das so?« Trotz der warmen Sommerluft erfasst mich eine Gänsehaut.
»O ja.« Sein intensiver Blick bringt mich für einen kurzen Moment aus der Fassung. »Also, hast du Hunger? Wohin darf ich dich ausführen?«
»Die Manufactur auf der Zastrowstraße müsste noch geöffnet haben.« Ein prüfender Blick auf meine Uhr verrät, dass es erst kurz nach halb neun ist.
»Klingt gut. Gehen wir zu Fuß, oder soll ich uns ein Taxi organisieren?«
»Lass uns laufen. Ist ja nicht so weit.«
»Dann wollen wir mal.« Patric bietet mir seinen Arm an, und ich hake mich bei ihm unter.
Es ist ein eigenartiges Gefühl Seite an Seite mit einem Wildfremden durch die Straßen zu schlendern. Eigenartig gut. Ich begreife noch gar nicht, was da gerade passiert, spüre nur dieses wohlige Kribbeln, dort wo unsere Haut sich berührt. Doch tief in meinem Inneren keimen Zweifel auf. Irgendwie ist es zu schön, um wahr zu sein. Nervös mustere ich Patric von der Seite.
»Machst du so was öfter?«
Patric runzelt die Stirn. »Was genau meinst du?«
»Frauen aufreißen und sie abschleppen?« Hastig beiße ich mir auf die Zunge.
»Wow. Das denkst du von mir?«
»Ich denke gar nichts«, antworte ich schnell. »Ich will nur wissen, worauf ich mich einlasse.«
»Offen und direkt. Das gefällt mir. Und nein – ich mache so was sonst nicht. Ich führe eine Dame nur aus, wenn ich ernste Absichten hege. Schließlich bin ich ein ehrenwerter Bürger.« Er prustet laut los.
»Das klingt jetzt nicht gerade vertrauenswürdig.«
»Du vertraust einem Polizisten nicht?«
Überrascht mustere ich ihn. »Du bist Polizist?«
»Schutzpolizei.«
»Wenn das so ist …« Unwillkürlich stelle ich mir ihn in Uniform vor. Ich bin überzeugt, sie steht ihm unfassbar gut und bringt seine stahlblauen Augen mit Sicherheit noch mehr zur Geltung.
»Also glaubst du mir, dass ich kein Aufreißer bin?« Patric bleibt stehen und schenkt mir einen aufrichtigen Blick. »Als ich dich gesehen habe, war mir sofort klar, dass ich dich kennenlernen muss. Und zum Glück hast du mich nicht gleich zum Teufel gejagt.«
Ein wohliger Schauer durchfährt mich. Das hier ist nahezu perfekt. Ich bin mit dem Ziel ausgegangen, endlich jemanden kennenzulernen, und treffe auf solch einen Traum von Mann. Irgendwo muss ein Haken sein, doch ich kann keinen entdecken. »Das wäre ziemlich dumm von mir gewesen.«
»Allerdings.« Patric grinst frech, dann löst er seinen Blick von mir und wir gehen weiter.
Im Restaurant angekommen, setzen wir uns an einen kleinen Tisch in der Ecke. Patric lässt sich neben mir auf der weich gepolsterten Bank nieder und mustert mich von der Seite. »Erzähl mir etwas von dir.«
»Was möchtest du denn wissen?«
Er zuckt mit den Schultern. »Alles eigentlich. Wo du arbeitest, wo du wohnst, ob du schnarchst oder gern Pizza zum Frühstück isst.«
Ich lache laut auf. »Okay. Fangen wir mit dem langweiligen Teil an. Ich bin seit drei Jahren Personalleiterin bei der Hofmann MediTech GmbH und verbringe mehr Zeit im Büro als sonst wo.«
»Personalleiterin? Nicht schlecht.«
»Diesen steilen Aufstieg habe ich meinem Vater zu verdanken. Ihm gehört die Firma.« Der ironische Unterton in meiner Stimme ist unüberhörbar.
»Das ist doch super. Oder etwa nicht?«
»Klar. Ich wäre auch vollauf zufrieden damit, würde mein Vater mich nicht ständig überreden wollen, die Firmenleitung zu übernehmen.«
»Was passt dir daran nicht?«
Offen schaue ich ihn an. »Ich stelle mir mein Leben einfach anders vor. Erfolg ist nicht alles.«
»Sondern?«
Nervös spiele ich mit dem Besteck, das auf dem bereits eingedeckten Tisch liegt. »Familie? Kinder?« Rede ich ernsthaft über Kinder? Mit einem Mann, den ich gerade erst kennengelernt habe? Aber dieser Wunsch ist so tief in meinem Inneren verankert – und dann ist da noch der Druck von außen. Warum also sollte ich nun um den heißen Brei herumreden?
Ein Lächeln huscht über Patrics Gesicht. »Hört sich nach einem guten Plan an.«
Seine Antwort verblüfft und erfreut mich gleichermaßen. Er entwickelt sich immer mehr zum Traummann. Gerade will ich etwas erwidern, als eine Kellnerin uns die Speisekarten bringt und fragt, was wir trinken möchten.
Patric bestellt eine Flasche Prosecco. »Zur Feier des Tages.« Wieder strahlt er mich durch seine auffallend blauen Augen an.
Dieser Blick macht mich wahnsinnig. Konzentriert fange ich an die Karte zu studieren, doch das Kribbeln in meiner Magengegend lenkt mich immer wieder ab. Letztendlich schaffe ich es aber doch noch, mich zu entscheiden, und wähle genau wie Patric den Spezial Burger.
Wir unterhalten uns über Gott und die Welt, während sich unsere Teller und die Proseccoflasche leeren. Inzwischen spüre ich bereits deutlich die Wirkung des Alkohols. Patrics Nähe verstärkt meinen Rauschzustand umso mehr, erst recht, als er scheinbar zufällig meine Hand streift. Seine Berührung durchfährt mich wie ein Stromschlag.
Die Worte der Kellnerin holen mich jedoch schnell wieder ins Hier und Jetzt zurück. »Tut mir leid, wir schließen gleich. Ich müsste abkassieren.«
Patric lächelt und nickt. »Klar, kein Problem. Aber könnten wir noch eine Flasche Prosecco bekommen? Die würden wir dann mitnehmen.«
»Sicher. Bringe ich euch sofort.« Sie geht weg und kehrt wenig später mit der Flasche zurück.
Als ich mein Portemonnaie zücke, erhebt Patric Einspruch.
»Ich übernehme das. Keine Widerrede.« Dass er mich einlädt, hatte ich nicht erwartet, doch ich fühle mich geschmeichelt. Ein Gentleman durch und durch.
Nachdem wir bezahlt und das Restaurant verlassen haben, steht er dicht vor mir und sieht mich wieder so an. »Leistest du uns noch ein wenig Gesellschaft?« Er deutet auf die Flasche in seinem Arm und entlockt mir ein Lachen.
»Was hast du denn noch vor?«
»Wir könnten uns in den Park setzen und die hier gemeinsam killen. Ich möchte dich nämlich noch nicht gehen lassen.« Das Flehen in seinem Blick lässt mich sofort weich werden.
»Einverstanden.« Dieses Mal bin ich diejenige, die wie von selbst nach seiner Hand greift. Schon jetzt fühlt es sich so eigentümlich vertraut an.
Wir laufen ein paar Minuten bis zum Schützenparkweiher und machen es uns auf einer Bank gemütlich. Wie von selbst schmiegt sich mein Kopf an seine Schulter. Johanna Hofmann, bist du etwa schon verknallt? Ich habe Angst mich zu verrennen. Sich Hals über Kopf in irgendetwas hineinzustürzen ist sonst nämlich gar nicht mein Ding. Doch mein Bauchgefühl sagt mir etwas anderes. Die zweite Flasche Prosecco macht es auch nicht gerade besser. Schmetterlinge flattern in meiner Magengegend wie wild umher. Mein Herz steht in Flammen – und seines offenbar auch.
Denn plötzlich gleitet seine warme Hand an meine Wange, seine Finger streifen über meine Lippen. Ich wende mich ihm zu, um ihn ansehen zu können. Sein Blick spricht Bände, und dann senken sich seine Lippen zu einem stürmischen Kuss auf meine herab. Im ersten Moment bin ich etwas perplex, doch dann küsse ich ihn mit der gleichen Intensität zurück. Verdammt, fühlt sich das gut an. Ich könnte die ganze Nacht so weitermachen. Doch in mir meldet sich eine leise Stimme zu Wort. Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist. Und genau das werde ich jetzt tun, denn ich will nichts übers Knie brechen.
Atemlos löse ich mich von ihm und schenke ihm mein schönstes Lächeln. »Danke für den wundervollen Abend, Patric.«
»Du willst schon gehen?«
»Ich muss leider. Schließlich muss ich morgen wieder früh raus. Und du vermutlich auch.« Ich hoffe, er bemerkt das Bedauern in meiner Stimme. Tatsächlich fällt es mir nämlich nicht leicht, jetzt zu gehen. Aber letztendlich siegt bei mir meistens die Vernunft.
»Leider wahr. Soll ich dich nach Hause bringen?«
»Wie denn? Zu Fuß etwa? Dann laufen wir bestimmt eine Stunde. Ich nehme die Bahn.«
»Wir könnten auch ein Taxi bestellen. Bis zur nächsten Bahnstation ist es ein ganzes Stück zu laufen.«
»Das macht mir nicht aus«, entgegne ich bestimmt. »Aber ich will trotzdem noch was von dir.«
»Was denn?«
»Deine Nummer?«, erwidere ich mit einem Lächeln. »Warte kurz.« Hektisch krame ich in meiner Handtasche nach meinem Smartphone. Aber es ist nicht da. »So ein Mist. Ich muss mein Handy im Büro vergessen haben.«
»Ist doch nicht schlimm. Gib mir einfach deine Nummer.«
Ich lache gequält. »Würde ich ja, wenn ich die auswendig könnte. Ich habe erst seit zwei Wochen eine neue Nummer und kann sie mir einfach nicht merken.«
Jetzt lacht auch Patric. »Hast du wenigstens einen Stift?«
Erneut wühle ich in meiner Tasche herum und halte ihm wenige Sekunden später triumphierend einen Kugelschreiber unter die Nase.
Er nimmt ihn mir ab und schreibt seine Nummer auf meinen Arm. »Und wehe, du gehst duschen, bevor du sie dir abgeschrieben hast!«
»Auf gar keinen Fall.« Mit einem weiteren Kuss verabschieden wir uns voneinander, und ich schwebe wie auf einer Wolke nach Hause.
Was war das heute bloß? Ich muss völlig verrückt sein, mich so schnell auf jemanden einzulassen. Aber es fühlt sich an, als müsse alles genau so sein, wie es jetzt ist. Schließlich habe ich mich so sehr danach gesehnt, endlich jemanden kennenzulernen – und Patric scheint die Antwort auf mein Flehen zu sein.
***
Der Heimweg kostet mich auch mit der Bahn nahezu eine Stunde, denn als ich das Gleis erreiche, fährt sie mir vor der Nase weg und ich muss auf die nächste warten. Aber das ist mir egal. Nach diesem Abend mit Patric fühle ich mich so beflügelt, dass ich gar nicht dazu in der Lage bin, mich zu ärgern.
Dennoch bin ich erleichtert, als ich endlich die Wohnungstür hinter mir ins Schloss fallen lassen und mich unter den kühlen Wasserstrahl der Dusche stellen kann. Doch zuvor hole ich einen Notizblock aus meiner Küchenschublade, um Patrics Nummer abzuschreiben. Selig lächelnd betrachte ich meinen Arm und lasse meine Augen über die einzelnen Ziffern gleiten. »0171-3920013«, lese ich laut vor und schreibe währenddessen mit. Die Zahlen sind auf meiner verschwitzten Haut leicht verwischt, doch ich bin froh, sie noch problemlos entziffern zu können. Am liebsten würde ich Patric sofort eine Nachricht schreiben und mich noch einmal für den schönen Abend bedanken, doch mein Handy liegt nach wie vor im Büro. Wahrscheinlich bin ich bis morgen früh vor lauter Ungeduld geplatzt.
Auch die kühle Dusche bringt mich nicht runter, und ich wälze mich lange im Bett umher, weil ich zum Schlafen viel zu aufgeregt bin. Morgen auf der Arbeit werde ich mit Sicherheit keinen klaren Gedanken fassen können. Aber gut … es gibt Schlimmeres.
Das Redaktionsmeeting lief besser als erwartet. Wir haben lediglich zehn Minuten überzogen, weil wir uns schnell einig waren, welche Themen in der Samstagsausgabe des Kiel Kurier abgedruckt werden. Sogar Karl, der sonst immer versucht, das Meeting zu dominieren, war heute erstaunlich handzahm. Seit jeher konkurriert er mit Stephan, unserem Chefredakteur, den ich momentan vertrete. Mit mir als Vorgesetzten hat er zu meinem Glück offenbar kein Problem.
Ich kann mich nicht erinnern, dass Stephan in den letzten fünf Jahren auch nur einen Tag krank gewesen ist. Es muss also schlimm um ihn stehen, wenn er nicht mit dem Kopf unterm Arm in der Redaktion erscheint.
Gerade als ich in meinen Bürostuhl sinke, spüre ich das Vibrieren meines Handys in der Hosentasche. Überrascht ziehe ich es hervor. Um diese Uhrzeit bekomme ich so gut wie nie Nachrichten. Meine Leute wissen, dass ich bis über beide Ohren in Arbeit stecke, und melden sich daher für gewöhnlich erst am Abend. Es muss also etwas Wichtiges sein, oder … jemand, der mich nicht kennt. Die Chat-Nachricht stammt von einer unbekannten Nummer.
Danke noch einmal für den
schönen Abend gestern.
Ich hoffe, wir sehen uns
bald wieder.
Johanna
Unwillkürlich muss ich schmunzeln. Da hat sich wohl jemand vertan. Obwohl es sicher schön gewesen wäre, mal wieder einen netten Abend mit einer Frau zu verbringen. Ab und an keimt der Wunsch danach in mir auf. Meine letzte Beziehung ist schon eine Weile her und lief obendrein alles andere als ideal.
Und jetzt muss ich diese Johanna wohl enttäuschen.
Guten Morgen. Es tut mir sehr
leid, aber ich fürchte, Du hast
Dich in der Nummer geirrt.
Ich könnte mich mit Sicherheit
daran erinnern, wenn ich gestern
ein Date gehabt hätte.
Unwillkürlich muss ich mir vorstellen, wie sie sich fühlen mag, wenn sie meine Worte liest. Sicher wird sie nicht erfreut sein. Ihre Antwort lässt nicht lange auf sich warten.
Ist da nicht Patric?
Nein, tut mir leid.
Hier ist Ron. Offenbar
hast Du Dich vertippt.
Das darf nicht wahr sein!
Er hat mir gestern Abend
seine Nummer auf den Arm
geschrieben. Die ist jetzt
natürlich nicht mehr da.
Was mache ich denn nun?
Von meiner angeborenen Neugier getrieben, drücke ich auf Johannas Profilfoto, um herauszufinden, mit wem ich mich überhaupt unterhalte. Zu meiner großen Überraschung entdecke ich nicht nur eine auffallend hübsche Frau, sondern auch den Kieler Rathausturm im Hintergrund. Sie kommt von hier? Ich glaube absolut nicht ans Schicksal, aber das kann kein Zufall sein.
Eine Idee schießt mir in den Sinn, und bevor ich nachdenke, tippe ich eine Antwort ein.
Ich bin zwar nicht der Mann,
den Du suchst, aber vielleicht
der, der Dir helfen kann.
Wie meinst Du das?
Ich bin Redakteur beim Kiel
Kurier. Wir könnten eine
Suchaktion für Dich starten.
Einige Minuten passiert nichts. Dann sehe ich, dass Johanna eine Nachricht eintippt und wieder abbricht. Einige Sekunden später schreibt sie weiter.
Du willst mir also erzählen,
dass ich eine falsche Nummer
eingetippt habe und dabei zufällig
jemanden erwische, der ebenfalls
in Kiel wohnt?
Ganz schön gruselig, oder?
Absolut.
Aber für Dich womöglich
ein glücklicher Zufall.
Du möchtest mir also wirklich helfen?
Warum nicht? Könnte
eine gute Story werden.
Ich weiß ja nicht.
Aber vielleicht ist es die
einzige Möglichkeit Deinen
Patric zu finden. Wir könnten
uns jetzt gleich treffen.
Voller Ungeduld warte ich ihre Antwort ab, doch dieses Mal lässt sie sich Zeit. Es vergeht beinahe eine Viertelstunde, bis sie sich erneut meldet. Vermutlich musste sie erst mal über mein Angebot nachdenken.
Geht es auch um eins? Dann habe
ich Mittagspause.
Passt. Kennst Du den Asiaten im Hafen?
Die Buddha Lounge?
Genau. Um dreizehn Uhr dort.
Bis dann.
Grinsend lege ich mein Handy beiseite. Das könnte einen netten Artikel geben und dem Kiel Kurier ein wenig frischen Wind verleihen. Ich für meinen Teil würde einige Themen ohnehin anders aufziehen als Stephan und unserem angestaubten Image eine Grundreinigung verpassen. Aber das liegt nicht in meiner Hand.
Nun warte ich erst einmal das Gespräch mit Johanna ab, um herauszufinden, ob es sich lohnt, diese Sache zu verfolgen. Womöglich lässt sich eine neue Rubrik mit ähnlichen Themen einführen.
***
Bereits fünf Minuten früher als verabredet stehe ich vor dem Restaurant in der brennenden Augustsonne und hoffe, dass Johanna bald auftaucht. Um Punkt dreizehn Uhr sehe ich sie in einem eleganten Hosenanzug auf mich zukommen. Ihre Haare sind, anders als auf ihrem Profilbild, streng zusammengebunden, ihre Augen durch eine übergroße Sonnenbrille verdeckt. Sie ist durchaus attraktiv, aber auch ein wenig einschüchternd. In meinem schlichten weißen Shirt und den Jeansshorts komme ich mir beinahe ein wenig schäbig vor.
Trotzdem trete ich ihr selbstbewusst entgegen. »Johanna?«
Sie zieht die Brille von der Nase und lächelt mich offen an. »Wir haben miteinander geschrieben, richtig?«
»Genau. Ron Winkler vom Kiel Kurier.« Ich strecke ihr die Hand entgegen und sie erwidert diese Geste.
»Johanna Hofmann. Freut mich.«
»Möchtest du draußen sitzen?«
»Lass uns lieber reingehen. Drinnen ist es mit Sicherheit kühler.«
Erleichtert stimme ich ihr zu, und wir suchen uns einen gemütlichen Tisch in einer ruhigen Nische.
Nachdem wir etwas zu trinken bestellt haben, beuge ich mich erwartungsvoll vor. »Dann lass mal hören«, fordere ich sie auf und hole mein Notizbuch hervor. »Wie hast du Patric kennengelernt und wie kam es dazu, dass er dir seine Nummer auf den Arm geschrieben hat?«
»Du gehst ja direkt in die Vollen.«
»Berufskrankheit«, erwidere ich mit einem Grinsen.
»Also schön. Ich bin gestern spontan ausgegangen, mit dem Ziel, jemanden kennenzulernen. Wider Erwarten hat das auch funktioniert, wenn man mal davon absieht, dass ich es schließlich verkackt habe.« Ein glockenklares Lachen entweicht ihrer Kehle, und plötzlich kommt sie mir nicht mehr wie die taffe Geschäftsfrau vor, sondern sehr nahbar und offen. Sie erzählt ausführlich von ihrer ersten Begegnung mit Patric und wie es dazu kam, dass sie letztendlich bei mir anstatt bei ihm ausgekommen ist.
»Ist dir noch nicht der Gedanke in den Sinn gekommen, dass er dir mit Absicht eine falsche Nummer aufgeschrieben haben könnte?«
Entsetzt reißt sie die Augen auf. »Wie bitte?«
»Na ja, es könnte doch sein, dass Patric ein Freund von mir ist und absichtlich nicht seine, sondern meine Nummer auf deinen Arm geschrieben hat.«
»Ist das etwa so?« Plötzlich wird Johanna ganz blass um die Nase, und sofort tut mir meine Aussage leid.
»Nein, war nur ein Scherz. Tut mir leid. Aber es war eine Steilvorlage. Das musst du schon zugeben.«
»Ich lache später drüber«, erwidert sie mit grimmigem Blick. Doch ich sehe auch das Schmunzeln, das an ihren Mundwinkeln zupft.
»Okay, hör zu. Ich werde einen kleinen Artikel unter der Rubrik Lokales veröffentlichen. Auch in der Online-Ausgabe wird der Artikel erscheinen. Wenn ich mich beeile, schaffe ich es noch vor Redaktionsschluss und morgen ist es schon in der Zeitung.«
»Und du meinst wirklich, ich kann ihn so wiederfinden? Ich meine, wer liest denn heutzutage noch die Tageszeitung?« Die Zweifel stehen ihr ins Gesicht geschrieben.
»Mehr Menschen, als du denkst. Wahrscheinlich liest er es nicht selbst, aber vielleicht jemand, der ihn kennt. Einen Versuch ist es wert. Du willst ihn doch wiederfinden, oder?«
»Unbedingt«, platzt es aus ihr heraus.
»Na, siehst du. Wenn es dir recht ist, mache ich nachher draußen noch ein Foto von dir. Das wird dann mit abgedruckt.«
Sie zögert kurz, stimmt dann jedoch zu. »Okay, kann ja nicht schaden.«
»Perfekt. Sollen wir vorher noch etwas essen?«
»Bin dabei. Ich habe einen Bärenhunger!«
Zum Glück müssen wir nicht allzu lange auf unser Essen warten, und die Zeit mit Johanna vergeht wie im Flug. Sie erzählt viel über ihren Job, den sie offensichtlich sehr ernst nimmt, doch immer wieder höre ich heraus, dass sie sich nach mehr sehnt. Nach einem Leben außerhalb der Firma. Nach Liebe und Geborgenheit. Das ist schließlich auch der Grund, warum wir hier sitzen. Sie glaubt bei diesem Patric zu finden, wonach sie sucht – und ich finde es fast ein bisschen bedauerlich, dass nicht ich an seiner Stelle bin, denn ich kann nicht leugnen, wie sehr Johanna mir gefällt. Aber irgendwann werde auch ich mit Sicherheit die Eine finden.
»Sollen wir dann? Langsam muss ich mal zurück in die Redaktion.«
Johanna schaut auf ihre edle Armbanduhr. »Verdammt. Ich habe völlig die Zeit vergessen. Ich muss auch wieder los.«
»Dann machen wir nur noch schnell das Foto.« Ich winke die Kellnerin zum Bezahlen heran und ignoriere Johannas Protest, als ich die Rechnung übernehme.
Als wir aus dem angenehm kühlen Restaurant treten, schlägt uns die Augusthitze entgegen, und ich blinzle gegen das grelle Sonnenlicht an.
Schnell überprüfe ich, wo wir das beste Licht für ein gutes Bild haben. »Lass uns rüber ans Wasser gehen.« Mit einer Kopfbewegung bedeute ich Johanna mir zu folgen. Als ich mich zu ihr umdrehe, hat sie ihren Zopf gelöst und ihr braunes Haar fällt ihr in sanften Wellen über die Schultern.
Sie entledigt sich ihres Blazers, für den es ohnehin viel zu heiß ist, und wirft ihn lachend zu mir hinüber. »Den musst du eben halten.«
Schmunzelnd hänge ich mir den Blazer über den Arm und gebe ihr kurze Anweisungen. Nur wenige Augenblicke später habe ich ein paar tolle Fotos im Kasten. »Gut. Das war’s schon. Möchtest du den Artikel lesen, bevor er in den Druck geht?«
»Nein, lieber nicht. Sonst halte ich das Ganze nachher noch für eine absolute Schnapsidee. Mach einfach!«
»Ganz wie du willst. Ich sag dir dann Bescheid, wann der Artikel erscheint.«
»Super. Ich danke dir.« Ihr Lächeln wirkt aufrichtig. »Aber sag mal, was versprichst du dir eigentlich davon?«
Ich zucke mit den Schultern. »Weiß nicht genau. Aber je nach Resonanz der Leser und vorausgesetzt, dass du Patric über diesen Artikel findest, könnte ich mir vorstellen, die Story fortzusetzen. Die Leute freuen sich garantiert über ein Happy End.«
»So ist das also.«
»Natürlich nur, wenn du bereit dazu bist.«
Johanna zieht die Stirn kraus und fixiert mich mit ihrem Blick. »Gut. Wenn wir ihn finden, bekommst du einen zweiten Artikel.«
»Dann haben wir einen Deal.« Diesen besiegeln wir mit einem Handschlag.
»Ist ja fast wie die Foto-Love-Story aus der BRAVO.« Sie kichert vergnügt. »Also, wir hören voneinander?«
»Ich melde mich. Bis dann.«
»Bis dann.« Johanna wendet sich zum Gehen und schlendert Richtung Parkplatz. Nach einigen Metern dreht sie sich noch einmal zu mir um und winkt, und ich möchte im Erdboden versinken, weil sie mich dabei erwischt hat, wie ich ihr hinterherstarre.
Ich muss zugeben, sie hat einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Zu dumm, dass ausgerechnet ich ihr meine Hilfe angeboten habe, den Mann ihrer Träume zu finden.
Wie jeden Samstagmorgen treffen wir uns zum Frühstück unten bei Mama und Paps. Fabian und ich bewohnen jeweils eine eigene Etage in der Stadtvilla meiner Eltern. Ich habe das Glück, oben unterm Dach zu wohnen. Von dort aus habe ich einen wunderschönen Blick auf das Düsternbrooker Gehölz. Gleich dahinter erstreckt sich das Westufer der Kieler Förde. Wenn das Wetter es erlaubt, trinke ich den ersten Kaffee des Tages auf meinem Balkon und genieße die herrliche Ruhe – so wie heute. Doch langsam sollte ich mich nach unten begeben, wenn ich nicht wieder die Letzte sein will.
Im Esszimmer angekommen, muss ich feststellen, dass ich es nicht geschafft habe. Fabian sitzt bereits mit einem übertrieben breiten Grinsen am Tisch. Auf der Stirn meines Vaters hingegen bilden sich tiefe Zornesfalten, die ein ungutes Gefühl in meiner Magengegend hervorrufen.
Paps springt von seinem Stammplatz am Kopf des Tisches auf und hält mir die Tageszeitung unter die Nase. »Was hat das zu bedeuten?«
Entsetzt reiße ich die Augen auf. In Übergröße lache ich mir vom Titelblatt des Kiel Kurier entgegen. Gleich darunter prangt in großen Lettern der Titel: HAPPY END GESUCHT! Nach einem unvergesslichen Abend im Club bleibt bloß eine verwischte Handynummer.
»Verdammt. Von Seite eins war nie die Rede«, murmle ich schockiert. »Ich … ich muss sofort telefonieren.« Bevor ich aus dem Raum flüchten kann, spüre ich jedoch die Arme meiner Mutter um meine Hüften.
»Ich weiß gar nicht, warum ihr euch alle so aufregt«, sagt sie mit einem warmherzigen Lächeln. »Ich finde das total romantisch. Also, kommt jetzt mal wieder runter, und dann, Hanni, erzählst du uns von dem Mann, den du da kennengelernt hast. Ich möchte alles wissen.« Sie streift eine Strähne ihres blondierten, perfekt frisierten Bobs hinters Ohr und mustert mich erwartungsvoll.
»Aber Mama, ich –«
»Keine Widerrede. Was auch immer mit diesem Artikel schiefgelaufen ist, kannst du nun ohnehin nicht mehr ändern. Komm, setz dich.« Sanft schiebt sie mich zu meinem Platz hinüber. »Und du, Norbert, guck nicht so grimmig. Unsere Tochter ist eine schöne Frau, und ich finde, sie macht sich ziemlich gut auf dem Titelblatt.«
»Was sollen denn unsere Geschäftspartner denken?«, zetert mein Vater und streift sich fahrig durch sein ergrautes Haar, wie jedes Mal, wenn er sich aufregt.
»Das ist mir herzlich egal. Hauptsache unsere Hanni wird glücklich.« Mama zwinkert mir verschwörerisch zu und Paps schweigt. Dafür liebe ich sie. Sie weiß bei ihm stets die richtigen Knöpfe zu drücken, um seinen Ärger verrauchen zu lassen.
Ich setze mich meinem Bruder gegenüber, der sein Grinsen immer noch nicht aus dem Gesicht bekommt. »Ist das jetzt also die neue Art, sich einen Typen zu angeln? Wie viel musstest du hinblättern, um auf die Titelseite zu kommen?« Ein belustigtes Funkeln tanzt in seinen braunen Augen.
»Das war alles eine Verkettung unglücklicher Umstände«, erkläre ich.
Mit verschränkten Armen lehnt Fabian sich zurück und lässt mich dabei nicht aus den Augen. »So unglücklich können die Umstände nicht gewesen sein, abgesehen davon, dass du dir die falsche Nummer notiert hast. Aber das muss man erst mal hinkriegen.«
Ich werfe ihm einen giftigen Blick zu. »Das hätte dir genauso passieren können.«
»Ich hätte nie im Leben mein Handy im Büro vergessen.«
»Das war … so was passiert mir normalerweise auch nicht«, brumme ich.
»Und jetzt bin ich wohl schuld daran, hm?« Herausfordernd fixiert mein Vater mich mit seinem Blick.
Ich könnte jetzt antworten, dass ich am besagten Abend seinetwegen so aufgebracht und kopflos die Firma verlassen habe. Aber mir ist gerade nicht nach weiteren Wortgefechten. »Was passiert ist, ist passiert. Jetzt kann ich nur noch hoffen, dass Patric die Zeitung liest und sich bei mir meldet.«
Mama mustert mich einfühlsam. »Dich hat es schwer erwischt, nicht wahr, Hanni?«
»Kann man so sagen.« Ich greife nach einem Croissant und ziehe das Glas mit der Himbeermarmelade zu mir herüber. Doch meine Hoffnung, in Ruhe essen zu können, zerschlägt sich sogleich.
»Nun lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen«, fordert Mama.
»Genau«, fügt Fabian hinzu. »Schlimm genug, dass wir erst aus der Zeitung erfahren müssen, dass du jemanden kennengelernt hast.«
Mein Bruder ist gekränkt, das ist unschwer zu erkennen.