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Nadine Feger

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Beschreibung

Glaubst Du an Liebe auf den ersten Blick? Als Sophie auf einem Charity-Event dem Sänger Julian begegnet, knistert es heftig zwischen den beiden. Doch sie gehört nicht in diese schillernde Welt und hat sich obendrein geschworen, nie wieder einen Mann in ihr Herz zu lassen. Zu sehr verfolgt sie die Erinnerung an ihre dunkle Vergangenheit. Während Julian nicht aufhört um sie zu kämpfen, wehrt sie sich gegen den Gedanken, ein Leben an seiner Seite zu führen und sich ihm vollständig zu öffnen. Gleichzeitig kann sie die Gefühle für ihn nicht einfach ausradieren. Kann es eine Chance für ihre Liebe geben?

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Nadine Feger

Wunderkerzenfunkeln

Rockstar-Romance

WunderkerzenfunkelnRockstar-Romance  Triggerwarnung: Andeutung von physischer Gewalt, Panikattacken

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 - Sophie

Kapitel 2 - Julian

Kapitel 3 - Sophie

Kapitel 4 - Julian

Kapitel 5 - Sophie

Kapitel 6 - Julian

Kapitel 7 - Sophie

Kapitel 8 - Julian

Kapitel 9 - Sophie

Kapitel 10 - Julian

Kapitel 11 - Sophie

Kapitel 12 - Julian

Kapitel 13 - Sophie

Kapitel 14 - Julian

Kapitel 15 - Sophie

Kapitel 16 -Julian

Kapitel 17 - Sophie

Kapitel 18 - Julian

Kapitel 19 - Julian

Kapitel 20 - Sophie

Kapitel 21 - Julian

Kapitel 22 - Sophie

Kapitel 23 - Julian

Kapitel 24 - Sophie

Danke

Song zum Buch

Weitere Titel der Autorin:

Impressum

Kapitel 1 - Sophie

Ich sollte nicht hier sein. Ganz gleich, wie viel ich dazu beigetragen habe, dass dieser Abend zu einem Erfolg wird, fühle ich mich fehl am Platz. Nicht ich sollte auf diesem Stuhl sitzen, nicht ich sollte Applaus ernten, sondern jemand, der nicht hier sein kann. Der niemals hier sein könnte.

So befinde ich mich zwischen all diesen Menschen, inmitten des Trubels, und fühle mich dennoch allein.

»Ich glaube, wir kennen uns noch nicht. Lian Veith.« Diese Worte lassen mich überrascht aufblicken und bringen mein Herz zum Stolpern. Vor mir steht ein Mann Ende zwanzig, dessen dunkelbraunes Haar ihm in die Augen fällt, und streckt mir die Hand entgegen.

Ich weiß sehr wohl, wer er ist, was mich nur umso nervöser werden lässt. Dennoch erwidere ich seine Geste. »Sophie Widmann. Freut mich sehr.«

»Wie es aussieht, sind wir Sitznachbarn.« Sein verschmitztes Lächeln wirft mich aus der Bahn. Zudem sieht er in dem dunkelblauen Smoking umwerfend aus. Lässig gleitet er auf den freien Platz rechts von mir und mustert mich von der Seite. »Und was führt dich hierher?«, will er nun wissen.

»Das Gleiche wie dich, schätze ich. Das Wohl der Kinder?«

»Logisch. Allerdings wollte ich vielmehr herausfinden, wer du bist. Die meisten Gesichter hier sind mir bekannt. Aber wir sind uns noch nie begegnet.«

Zumindest nicht so richtig. »Liegt möglicherweise daran, dass ich nur ein kleines Licht bin«, entgegne ich mit einem Augenzwinkern. »Ich bin Schriftstellerin. Ich habe einen Teil meiner Erlöse an die Stiftung gespendet. Das war wohl Grund genug, mich einzuladen.«

»Autorin also. Was schreibst du so?«

»Liebesromane«, gebe ich kleinlaut zu.

Sein Grinsen wird breiter. »Das passt nun nicht gerade hierher.«

»Nicht wirklich. Aber darauf kommt es nicht an. Wichtig ist doch, dass genug Geld zusammenkommt. Und wenn ich es eben mit meinen Liebesromanen finanziere.«

»Oder mit Liebesliedern. So wie ich.« Erwartungsvoll schaut er mich an.

»Du hast immerhin einen Song extra für diesen Anlass geschrieben, wenn ich mich nicht irre«, entgegne ich lächelnd. »Da kann ich nicht mithalten.«

»Du weißt also, wer ich bin?« Er wirkt erstaunt, was mich irritiert.

»Wie könnte ich das nicht wissen? An dir kommt man derzeit wohl kaum vorbei.« Verlegen senke ich den Blick.

»Leider wahr«, murmelt Lian undeutlich und überrascht mich mit dieser Aussage. Doch dann kehrt das Funkeln in seine dunklen Augen zurück. »Hast du schon mal ein Konzert von mir besucht?«

»Dreimal schon.« Ich spüre, wie mir die Hitze in die Wangen schießt. Was denkt er jetzt von mir? »Aber keine Sorge, ich bin kein durchgeknalltes Fangirl. Nur ein bisschen vielleicht.« Ich kichere beschämt.

»So ist das also.« Er fixiert mich mit einem Blick, der eine Mischung aus Belustigung und Zufriedenheit widerspiegelt. »Dann haben wir uns also doch schon mal gesehen, und ich habe es nicht einmal bemerkt.«

Grinsend zucke ich mit den Schultern. Dann wird das Licht im Saal abgedunkelt und ein Scheinwerfer fällt auf Frauke Meibach, der Initiatorin der Stiftung. Verstohlen werfe ich Lian einen Blick zu und bedauere, dass unser Geplänkel unterbrochen wurde.

»Liebe Gäste, ich danken Ihnen allen von Herzen, dass Sie heute hier sind und Sheltered Childhood so tatkräftig unterstützen. Mein Name ist Frauke Meibach, ich bin Pädagogin und Diplom-Psychologin und habe diese Stiftung ins Leben gerufen, um mich noch mehr für das gewaltfreie Aufwachsen von Kindern engagieren zu können.« Die großgewachsene blonde Frau in dem schlichten blauen Abendkleid wirkt sehr souverän und zeigt nicht einmal den Anflug von Nervosität. »Unser Ziel ist es, Kinder zu stärken, sie zu ermutigen, sich zur Wehr zu setzen und sich Hilfe zu suchen, wenn jemand ihre Grenzen überschreitet. Wir bieten Präventionsprogramme an Schulen und Kindergärten an, coachen pädagogische Fachkräfte und Lehrpersonal und bieten Unterstützung durch traumatherapeutische Maßnahmen.«

Frau Meibach lässt ihren Blick durch den Saal schweifen. Sie sprüht förmlich vor Tatendrang. »Doch wir wollen noch einen Schritt weiter gehen, indem wir in enger Zusammenarbeit mit den Jugendämtern Schutzzentren errichten, in denen wir von Gewalt betroffene Kinder und Elternteile auffangen und ihnen gezielt helfen können. Das erste Zentrum wird bereits im Juni hier in Hamburg eröffnet. Weitere Zentren sind derzeit in Frankfurt, Berlin, München und Köln geplant. Doch das ist lediglich der Anfang. Dies alles ist nur durch Ihre großzügigen Spenden möglich. Deshalb möchte ich Ihnen vor allem im Namen der Kinder von Herzen danken. Nun freue ich mich auf einen gelungenen Abend und übergebe das Mikrofon an Matthias Aaken, der Sie durchs Programm führen wird. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen – und spenden Sie fleißig.«

Unter Applaus wird sie von Matthias Aaken abgelöst – einem Comedian, der sich auch vor ernsten Themen nicht scheut und sie gekonnt verpackt. Er kündigt schließlich eine Pianistin an, die einem weißen Konzertflügel Klänge entlockt, die mich unweigerlich gefangen nehmen.

Dennoch schweifen meine Gedanken ab und wenden sich dem Mann zu, der so nah bei mir sitzt und zugleich Welten von mir entfernt ist. Es fällt mir unglaublich schwer, ihn nicht anzustarren, und ich bin froh, als der erste Gang des angekündigten Menüs serviert wird.

Sofort macht Lian sich über seinen Teller her. »Mmh, ist das lecker. Was ist das?«, murmelt er mit vollem Mund.

»Hast du etwa die Menükarte noch nicht studiert?« Das habe ich gleich als Erstes gemacht, jedoch viel mehr, um mich irgendwie zu beschäftigen. Es liegt mir nicht, mich einfach so unter Leute zu mischen und Small Talk zu halten. Schon gar nicht bei so viel Prominenz.

»Nö! Ich lasse mich gerne überraschen.«

»Maronensuppe mit Cranberrys«, sage ich nun und nehme schließlich auch den ersten Löffel zu mir. »Oh, die schmeckt wirklich unglaublich gut.«

»Also sind die Chancen, dass du nicht aufisst, verschwindend gering, was?« Lian wirft mir einen bedröppelten Blick zu.

Ein lautes Lachen entweicht mir und ich bin fast dazu geneigt, ihm meine Suppe zu überlassen. Doch mein Teller leert sich wie von selbst. Als ich mir den letzten Löffel in den Mund schiebe, schaut er mich mürrisch an.

»Also muss ich jetzt wohl mit der Kellnerin flirten, um noch einen Nachschlag zu bekommen, hm?«

»Sieht ganz danach aus.« Oder du vergisst die Suppe und flirtest einfach mit mir. Das allerdings würde mich nur noch nervöser machen. O Mann, worüber denke ich hier eigentlich nach? »Vielleicht solltest du die Suppe einfach abhaken. Der nächste Gang ist schon im Anflug.« Ich deute auf die große Flügeltür, aus der nun unzählige Kellner mit noch mehr Tellern herausströmen.

»Ich sollte mich besser nicht zu vollstopfen. Dann singt es sich nicht sonderlich gut.«

»Du trittst gleich noch auf?« Die Aussicht darauf lässt mein Herz höherschlagen.

»Natürlich. Was denkst du denn, wofür ich den Song geschrieben habe?« Wieder dieses Grinsen.

»Oje. Hast ja recht. Blöde Frage.« Wie dumm kann man sich eigentlich anstellen?

»Und da kommt auch schon mein Abrufkommando.«

Lians Manager, Steffen Roth, rauscht an unseren Tisch. Ich erkenne ihn sofort, weil ich erst kürzlich eine Reportage über Lian gesehen habe, in der auch Steffen interviewt wurde. Er nickt mir kurz grüßend zu und wendet sich dann an seinen Schützling. »Du bist in zwanzig Minuten dran. Nach dem Zwischengang.«

»Alles klar. Bin gleich da.« Lian wendet sich mir zu und zuckt bedauernd mit den Schultern. »Es sieht so aus, als müsstest du den zweiten Gang ohne mich genießen. Nicht weglaufen, okay?« Er schiebt seinen Stuhl zurück und folgt Steffen in Richtung Bühne.

»Wo soll ich denn auch hin?«, rufe ich ihm hinterher, doch meine Worte gehen im Stimmengewirr der anderen Gäste unter. Nicht weglaufen … Was hat das überhaupt zu bedeuten? Jemand wie er wird wohl kaum scharf darauf sein, den Abend unbedingt mit mir zu verbringen. Hier gibt es schließlich Hunderte schöne Frauen, und ich sehe, wie deren Blicke ihm zufliegen, als er den Saal durchquert.

Nachdenklich schaue ich an mir herab. Ich trage ein bodenlanges roséfarbenes Satinkleid. Es ist schlicht mit Spaghettiträgern und einem hohen Schlitz in dem ausgestellten Rockteil. Mein rotbraunes Haar habe ich zu einem üppigen französischen Zopf geflochten, der über meine rechte Schulter nach vorne fällt. Ich denke, ich kann mich sehen lassen, doch mit den anderen Frauen in ihren atemberaubenden Roben kann ich beim besten Willen nicht mithalten. Aber dass Lian mich überhaupt bewusst ansieht, wage ich stark zu bezweifeln.

Ohnehin wäre das nichts weiter als eine unnütze Träumerei. Denn im Grunde halte ich mich von Männern fern. Seit damals, vor drei Jahren, als ein Mann alles zerstörte, woran ich je geglaubt habe. Mir läuft ein eiskalter Schauer über den Rücken und ich spüre Übelkeit in mir aufsteigen. Mit aller Macht versuche ich, die aufkommende Schwärze in mir zu vertreiben, zwinge mich, ruhig zu atmen und an etwas anderes zu denken. So richtig gelingen will es mir jedoch nicht.

Lustlos stochere ich in der geräucherten Entenbrust herum und hoffe, dass Lian bald die Bühne betritt. Ich kann es nämlich kaum erwarten, sein neues Lied zu hören. Das wird mich mit Sicherheit auf andere Gedanken bringen. Außerdem wünsche ich mir, dass er schnell wieder zurückkommt. Irgendwie fühle ich mich ziemlich verloren zwischen all diesen Menschen.

Eigentlich sollte meine Freundin Josie mich begleiten, aber sie ist kurzfristig abgesprungen, weil ihr Kollege ausgefallen ist und sie deshalb nicht freinehmen konnte. Als ich daran denke, wie sehr sie sich darüber geärgert und geflucht hat, schleicht sich ein Schmunzeln auf mein Gesicht.

Nur wenige Minuten nachdem die Teller abgeräumt wurden, wird das Licht gedimmt und Matthias Aaken tritt ins Scheinwerferlicht. »Liebe Gäste, kommen wir zu einem der Highlights des heutigen Abends mit einer Weltpremiere. Lian Veith wird nun seinen neuen Song Splitterherz präsentieren, den er eigens für die Aktion Sheltered Childhood komponiert hat. Ich bitte um Applaus für Lian!«

Mein Herz donnert heftig gegen meine Brust, als Lian die Bühne betritt und am Piano Platz nimmt. Seine Finger lässt er sacht, beinahe zärtlich über die Tasten gleiten. Dann schließt er die Augen und singt die ersten Töne. Der Klang seiner rauen und doch zerbrechlichen Stimme bereitet mir einen wohligen Schauer. Doch jedes einzelne Wort trifft mich mitten ins Herz. Denn mir wird klar, dass er seine eigene Kindheit besingt, und es schnürt mir die Kehle zu. Sein ganzes Innerstes kehrt er in seiner Musik nach außen, erbarmungslos ehrlich wie nie zuvor.

Die letzten Töne gehen im tosenden Applaus unter, und der sichtlich gerührte Lian verbeugt sich knapp, bevor er die Bühne verlässt.

Auch zehn Minuten nach seinem Auftritt empfinde ich immer noch tiefe Betroffenheit. Dieses Gefühl verstärkt sich nur umso mehr, als ich Lian auf unseren Tisch zukommen sehe.

Schweigend sinkt er auf seinen Platz, hält den Blick gesenkt und wirkt erschöpft. Der Mann neben ihm, irgendein Moderator, gratuliert ihm zu diesem großartigen Song, doch Lian blockt ihn höflich ab.

Ich würde gern irgendetwas tun, will ihm jedoch nicht zu nahe treten. Also befülle ich ein Glas mit diesem edlen Weißwein und reiche es ihm.

»Danke«, murmelt er mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen.

Mir ist bewusst, wie verletzlich und angreifbar ein solcher Seelenstriptease macht, weshalb ich einfach nicht die passenden Worte finde, um ihn da rauszuholen. Falls er das überhaupt zulassen würde.

Lian setzt das Glas an die Lippen und trinkt es in einem Zug leer. Danach schaut er mich schief an. »Muntere mich auf. Erzähl mir was von dir!«

Er will tatsächlich, dass ich ihn aufmuntere. Wohl mehr aus der Not heraus, weil ich im Gegensatz zu diesem Moderator vermutlich die sicherere Wahl bin. Doch so sehr ich auch darauf eingehen will – mir fällt beim besten Willen nichts ein. »Ich … also … Was willst du denn hören?«

»Ganz egal. Vielleicht verrätst du mir, ob man vom Schreiben leben kann. Möglicherweise wechsle ich den Job.«

»Ich glaube, mit deiner Musik stehst du deutlich besser da. Inzwischen komme ich ganz gut über die Runden, aber in den ersten Jahren sah es ziemlich mau aus. Da habe ich tagsüber auf dem Hof meiner Eltern geschuftet und die Nächte durchgeschrieben. Der Durchbruch kam erst mit einem Vertrag beim Zentmayer Verlag. Bis dahin hatte ich aber schon elf Romane veröffentlicht. Mehr oder minder erfolgreich.«

»Zentmayer? Nicht schlecht. Immerhin einer der größten Verlage in Deutschland.«

»Ja. Da hatte ich einfach Glück, dass ich mich dort zur richtigen Zeit mit dem richtigen Manuskript vorgestellt habe.«

»Aber mal ehrlich, ist so ein Autorendasein nicht ziemlich … abgeschieden?« Er fixiert mich mit einem eindringlichen Blick, sodass mir heiß und kalt wird.

Cool bleiben, Sophie! »Kommt ganz darauf an, ob man eine Rampensau oder ein Mauerblümchen ist.«

»Letzteres trifft jedenfalls nicht auf dich zu.«

»Und woher willst du das wissen?«, frage ich herausfordernd.

»Es reicht vollkommen, dich anzusehen. Ich würde dich also eher in die Kategorie Rampensau einstufen.«

Der Gedanke lässt mich laut auflachen. »Was ich wahrlich nicht bin. Das kannst du mir glauben. Ich mag es, allein in meinem Kämmerlein zu hocken und meine Geschichten zu Papier zu bringen. Und einsam ist man dabei eigentlich nicht wirklich. Schließlich hat man immer seine Romanfiguren am Hals, die einen ordentlich auf Trab halten.«

Nun ist er derjenige, der lacht, und ich bin froh, dass sich die Stimmung wieder gelockert hat. Der Hauptgang – gegrilltes Rinderfilet in Burgunderjus mit Kartoffelpralinen – sorgt für noch mehr Heiterkeit. Offenbar ist Lian durch und durch Genussmensch.

Wir unterhalten uns schließlich angeregt über den Anbau von Kartoffeln und über meine Kindheit zwischen Kühen und Landluft. Ich bin erstaunt, wie leicht es mir plötzlich fällt, mit Lian zu reden. Die anfängliche Unsicherheit ist nahezu verflogen, und er kommt mir nicht mehr vor wie der Star, sondern vielmehr wie ein guter Freund.

Doch es schwebt bereits die nächste tiefschwarze Wolke über mir, als eine Lesung aus dem Roman Das Leben, das es niemals gab von Ella Funke angekündigt wird. Katharina Fried, eine junge aufstrebende Schauspielerin, liest die ersten drei Kapitel aus diesem Werk, das inzwischen auch weit über Deutschlands Grenzen hinaus erfolgreich geworden ist. Sie legt ihr ganzes Herz in den berührenden Text, in dem es um ein kleines Mädchen geht, deren Vater Schuld daran trägt, dass es niemals leben durfte.

Mit jedem Wort aus ihrem Mund wird der Kloß in meinem Hals größer, bis es mir schließlich nicht mehr gelingt, meine Tränen zurückzuhalten. Hektisch schiebe ich den Stuhl nach hinten und will auf die Toilette flüchten.

Doch bevor ich aufspringen kann, gleitet Lians Hand auf meine und hält sie fest. Wie erstarrt bleibe ich sitzen. Seine Berührung ist tröstend, doch gleichzeitig versetzt sie mir einen Stromschlag. Er schenkt mir ein mildes Lächeln und schaut dann wieder zur Bühne, lauscht der Lesung aufmerksam bis zum Ende, während ich versuche, Katharinas Stimme auszublenden.

Der Applaus holt mich schließlich ins Hier und Jetzt zurück, und ich versuche, mich zu fangen.

Nun habe ich wieder Lians Aufmerksamkeit. »Alles in Ordnung?«

Mein Blick fällt auf unsere immer noch ineinander liegenden Hände, und ich nicke stumm.

»Ganz schön emotionaler Abend, hm?«

»Allerdings. Ich weiß gar nicht, warum ich mir das antue«, murmle ich.

»Ich bin jedenfalls froh, dass du hier bist.«

Ob er das nur so dahersagt? »Du kennst hier doch jede Menge Leute, oder?«

Er nickt. »Stimmt zwar. Die meisten Bekanntschaften sind allerdings eher oberflächlich. Es macht mir mehr Spaß, echte Gespräche zu führen. Und mit dir klappt das ziemlich gut.« Wieder dieses Lächeln, das mich beinahe umhaut.

Verlegen senke ich den Blick. »Wenn du das sagst.«

»Ich sage das nicht nur, ich meine es auch so.«

Ich weiß nicht warum, aber seine Worte bedeuten mir unglaublich viel. Vielleicht täusche ich mich, aber ich habe den Eindruck, dass sein Interesse an mir aufrichtig ist – auch wenn ich mir das beim besten Willen nicht vorstellen kann. Er lernt sicher reihenweise Mädchen kennen, die ihm schöne Augen machen. Ob er ihnen allen das Gleiche erzählt? Ich weiß es einfach nicht.

In Anbetracht der Tatsache, dass ich ihn ohnehin nicht mehr wiedersehen werde – zumindest nicht aus nächster Nähe – beschließe ich, seine Aufmerksamkeit einfach zu genießen und sie am Ende dieses Abends in meine Erinnerungen zu schließen.

»Na endlich, das Dessert ist im Anmarsch«, freut Lian sich.

»Mit Essen kann man dich offensichtlich sehr leicht glücklich machen.«

»Unter anderem.« Ich erkenne ein Funkeln in Lians Augen, das ich nicht deuten kann. Dann verschlingt er sein Vanilleparfait in Windeseile und lehnt sich zufrieden zurück. »Jetzt kommen wir zum entspannten Teil des Abends. Tanzt du gleich mit mir? Also, nicht dass ich besonders gut darin wäre, aber für dich würde ich es durchaus probieren.«

Wieder laufe ich rot an. »Ehrlich gesagt bin ich völlig talentfrei, was das Tanzen angeht. Alles, was mit Bewegung zu tun hat, ist nicht so mein Ding. Außer wandern. Aber dafür muss man zum Glück nicht viel können.«

»Okay, dann gehen wir halt wandern.«

»Äh …«

»Nicht jetzt, aber irgendwann. Was meinst du?« Erwartungsvoll schaut er mich an.

Was wird das denn nun? Ich öffne und schließe meinen Mund wie ein Fisch, bringe jedoch kein Wort hervor.

»Hat’s dir plötzlich die Sprache verschlagen?«, fragt er flapsig.

»Irgendwie schon«, gebe ich zu. Will er etwa ein Date mit mir?

»Wir machen das wirklich. Also, natürlich nur, wenn du auch möchtest. Sag mir einfach wann und wo und ich werde da sein.«

»Als ob«, platzt es ungläubig aus mir heraus.

»Du glaubst mir nicht.« Lian wirkt beinahe beleidigt.

Ich lache verlegen. »Nee, irgendwie nicht.«

»Lass es doch drauf ankommen«, fordert er mich heraus.

Mein Herz springt sofort darauf an, während mein Kopf mich für bescheuert erklärt. »Also gut. Nächste Woche Samstag, zehn Uhr am Waldhotel in Ilsenburg.«

Lian haut mit der Faust auf den Tisch. »Verdammt, Samstag habe ich ein Radiointerview.«

»Wusste ich’s doch.« Enttäuschung macht sich in mir breit, und ich weiß nicht einmal, warum. Was habe ich denn erwartet?

»Moment. So schnell wird das nicht abgehakt. Ich bin gleich wieder da.« Abrupt springt er auf und verschwindet im Getümmel.

Was hat er denn nun vor? Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was ich von all dem halten soll.

Zwischenzeitlich hat sich das Tanzparkett gefüllt und ich schaue dem bunten Treiben eine Weile zu. Von Lian ist weit und breit nichts mehr zu sehen. So viel dazu.

Inzwischen ist es weit nach dreiundzwanzig Uhr und ich beschließe, mich auf den Weg zum Hotel zu machen. Ich hätte mich gern von Lian verabschiedet, aber er scheint weiterhin wie vom Erdboden verschluckt. Mir war von vornherein klar, dass ich mir nur einbilde, er könnte mich wirklich mögen. Missmutig stehe ich auf und greife nach meiner Tasche. Als ich den Saal durchquere, sehe ich ihn mit Katharina Fried tanzen.

»War ja klar«, murmle ich frustriert. Doch in diesem Moment treffen sich unsere Blicke. Ich bleibe wie erstarrt stehen. Schließlich reagiert mein Kopf schneller als mein Bauch. Ich hebe die Hand, winke ihm zum Abschied flüchtig zu und bahne mir den Weg zum Ausgang.

Gerade als ich ins Freie treten will, hält mich jemand am Arm zurück. Plötzlich finde ich mich im Blitzlichtgewitter der unzähligen Fotografen wieder, die draußen vor dem Gebäude nur auf einen Moment wie diesen gewartet haben. Erschrocken taumle ich zurück.

Lian zieht mich wieder nach drinnen und mustert mich zerknirscht. »Wo willst du denn hin?«

»Ich … also … Ich fahre zurück ins Hotel. Das ist mir alles zu viel Trubel.« Und ich fühlte mich ziemlich verloren, nachdem du dich aus dem Staub gemacht hast.

»Du kannst nicht einfach abhauen. Es sei denn, du nimmst mich mit. Ich besorge uns ein Taxi.« Gerade als er zum Sprint ansetzen will, bremse ich ihn aus.

»Du solltest zurück zu deiner Tanzpartnerin gehen. Ich gehöre nicht hierher, im Gegensatz zu dir.« Ich ärgere mich über den bitteren Tonfall, den ich nicht unterdrücken konnte.

Auf einmal fröstelt es mich. Eine Windböe drückt sich ins Foyer und zerrt an meinem Kleid. Offenbar habe ich mich von dem frühlingshaft milden Wetter am Nachmittag täuschen lassen. Diese Aprilnacht fühlt sich jedenfalls plötzlich erstaunlich kalt an. Vielleicht liegt es aber auch an ihm und mir.

Er kommt auf mich zu, zieht sein Jackett aus und legt es mir um die Schultern, als könnte er meine Gedanken lesen. Auf einmal komme ich mir vor wie in einem übertrieben romantischen Liebesroman. Da passieren schließlich ständig solche Dinge. Und normalerweise würde ich jetzt laut auflachen, doch ich bin zu aufgewühlt. Seine plötzliche Nähe lässt mein Herz viel zu wild gegen meine Brust schlagen.

Sacht zupft er den Kragen zurecht und sieht mir fest in die Augen. »Glaub mir, ich gehöre genauso wenig hierher wie du. Außerdem bin ich froh, dass ich Katharina entkommen konnte. Sie ist so ein durchgeknalltes Fangirl, musst du wissen.« Grinsend rollt er mit den Augen und entlockt mir damit ein Kichern. »Also, feiern wir allein weiter, was meinst du? Wir könnten noch etwas trinken gehen.«

Wieder bringt er mich völlig aus der Fassung. »Ich … ich übernachte im Empire Riverside. Da soll es eine tolle Cocktailbar geben«, stottere ich. Habe ich das gerade wirklich gesagt?

»Das muss dann wohl Schicksal sein. Ich wohne im gleichen Hotel. Wollen wir dann? Aber lass uns den Hinterausgang nehmen.« Galant bedeutet er mir, mich bei ihm unterzuhaken.

Mit einem Kribbeln im Bauch komme ich seiner Aufforderung nach. Wir wohnen im gleichen Hotel. Und er verlässt das Event gemeinsam mit mir. Diese Tatsache versetzt mich in Hochstimmung und Panik zugleich.

Kapitel 2 - Julian

Unsere Blicke treffen sich, als ich Sophie aus dem Taxi helfe, und ich drohe im Blau ihrer Augen zu ertrinken. Ich weiß nicht, was das ist, doch sie hat mich vom ersten Moment an in ihren Bann gezogen. Umso glücklicher bin ich, den Abend gemeinsam mit ihr ausklingen lassen zu können – wenn sie nicht plötzlich einen Rückzieher macht. Sie wirkt unheimlich nervös und ich frage mich, ob es daran liegt, dass ich bin, wer ich bin: Ein Mann, den das ganze Land kennt und der fast nirgendwo unerkannt hingehen kann. Umso schwerer ist es für mich, eine normale Frau kennenzulernen, der mein Status gleichgültig ist.

Sophie jedoch gibt mir dieses Gefühl und ich hoffe, ich täusche mich nicht in ihr.

»Und jetzt?« Sie lächelt unsicher.

»Gehen wir in die Hotelbar, oder?«

Sophie wirkt plötzlich unentschlossen. »Ich glaube, mir ist das irgendwie doch zu viel Trubel.«

»Hm. Wir könnten auch aufs Zimmer gehen und uns etwas bringen lassen. Aber nur wenn du –«

»Zimmer hört sich gut an«, platzt es aus ihr heraus. Sie sieht aus, als würde sie sich auf die Zunge beißen. »Erst einmal würde ich mir aber gern etwas Bequemeres anziehen.« Sie deutet auf ihr Kleid, in dem sie wirklich bezaubernd aussieht.

»Okay. Dresscode: Wohlfühlklamotten. Dann kommst du zu mir und wir bestellen uns ein paar Cocktails. Was meinst du?«

»Abgemacht.« Eine zarte Röte färbt ihre Wangen ein und ich finde es hinreißend.

***

Unruhig laufe ich in meinem Zimmer im 19. Stock hin und her. Anstatt den sagenhaften Ausblick auf den Hamburger Hafen zu genießen, gleitet mein Blick immer wieder zur Tür. Fast eine halbe Stunde vergeht, bis ich endlich ein zaghaftes Klopfen vernehme. Energisch reiße ich die Tür auf und starre Sophie einen Moment zu lange an, bevor ich sie hineinbitte. Sie trägt eine bunt gemusterte Haremshose und ein enges schwarzes Shirt und gefällt mir darin mindestens genauso gut wie in ihrem eleganten Kleid. Vielleicht sogar noch ein wenig besser, so herrlich normal. Jedenfalls brauche ich mich in meinen ausgeleierten Jogging-

shorts neben ihr nicht zu schämen.

»Entschuldige, ich war noch kurz duschen.« Ihre Unsicherheit kann ich förmlich spüren, als sie an mir vorbei in den Raum tritt. »Wow, das ist … gigantisch. Dagegen ist mein Zimmer im fünften Stock fast schon unscheinbar. Dabei ist es eigentlich auch ganz hübsch. Aber dieser Ausblick!« Sie tritt an eines der bodentiefen Fenster und blickt in das bunte Lichtermeer des betriebsamen Hafens, wo rund um die Uhr gearbeitet wird.

Ich bewege mich nicht vom Fleck und schaue sie einfach nur an, völlig fasziniert von ihr. Als sie sich zu mir umdreht, lasse ich mich rasch aufs Sofa fallen und krame die Karte vom Zimmerservice hervor. »Und? Sollen wir uns jetzt was bestellen? Oder plündern wir die Minibar?«

»Entscheide du. Mir reicht auch eine Coke.«

»Lass uns wenigstens den Sekt nehmen.«

»Okay, meinetwegen.« Sie verharrt am Fenster, als wüsste sie gerade nicht wohin mit sich.

Ich klopfe auf den freien Platz neben mir, und schließlich gibt sie sich einen Ruck und setzt sich ebenfalls. »Kann ich … vielleicht doch mal einen Blick in die Karte werfen?«

»Sicher. Wir können aber auch ein Stockwerk höher gehen und uns in die Cocktailbar setzen. Falls du dich damit wohler fühlst.«

»Nein, das ist schon okay. Ist nur schon eine Weile her, dass ich das letzte Mal mit einem Mann allein war.« Und dann auch noch mit einem wie dir, scheint sie in Gedanken hinzufügen zu wollen. Jedenfalls ist es das, was ihr Blick mir offenbart. Zumindest wäre damit meine Frage beantwortet, ob sie einen Freund oder gar Mann hat.

»Verstehe. Und jetzt hast du Angst, dass ich dich auffresse, hm?« Es fällt mir schwer, ein Grinsen zu unterdrücken.

»Ja, so ungefähr.« Sie kichert verunsichert.

»Keine Sorge, mein Ruf ist schlechter, als ich es in Wirklichkeit bin. Falls es das ist, was dir Sorgen bereitet.«

»Ich mache mir keine Sorgen.« Sie macht eine wegwerfende Geste, die allerdings nicht besonders überzeugend wirkt. »Wie sieht’s aus, bekomme ich jetzt was zu trinken?« Die Cocktailkarte hat sie unbeachtet beiseitegelegt.

»Na klar.« Ich springe auf und hole den Sekt aus der Minibar hervor. Nachdem ich uns beiden eingeschenkt habe, reiche ich ihr das beinahe bis zum Rand gefüllte Glas mit zittrigen Händen.

»Noch voller ging’s wohl nicht.« Sie lacht und hebt das Glas. »Auf dich, Lian!«

Klirrend stoßen unsere Gläser aneinander. Dabei schwappt mir ein wenig Sekt über die Hand. »Darauf, dass wir uns begegnet sind.«

»Du hast mir echt den Abend gerettet. Das war überhaupt nicht meine Welt.«

»Ach, komm. Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Du hältst doch sicher auch Lesungen, oder? Eigentlich müsstest du ein Profi sein.«

»Glaub mir, ich bin alles andere als das. Bei jeder Lesung wünsche ich mir, dass sich ein Erdloch unter mir auftut. Deswegen drücke ich mich davor, wenn ich kann. Klappt allerdings leider nicht immer.«

»Ich würde dir jedenfalls gerne mal zuhören.«

»Wenn ich aus einem meiner Liebesromane lese?« Sie klingt erheitert.

»Woher willst du wissen, dass ich so was nicht gerne lese?«

Sophie prustet laut los und verschüttet dabei ein bisschen von ihrem Sekt. »Du verarschst mich doch gerade!«

»Stimmt. Aber vielleicht probiere ich es einfach mal aus.« Ich reiche ihr ein Taschentuch, um die kleine Überschwemmung zu beseitigen. Unsere Finger berühren sich dabei flüchtig und mich überkommt das Gefühl, ihr noch näher sein zu wollen. »Übrigens ist mein richtiger Name Julian.«

Perplex sieht sie mich an. »Echt? Das wusste ich gar nicht.«

»Ist auch nicht bekannt. Es gibt nur sehr wenige, die mich so nennen.«

»Und ich darf nun eine von ihnen sein?«

Ich nicke bloß, weil ich mir selbst nicht erklären kann, woher dieses Gefühl kommt, ihr blind vertrauen zu können. Ehrlich gesagt macht mir diese Tatsache sogar Angst. Schließlich kenne ich sie nicht und mein Herz könnte mir einen üblen Streich spielen.

Die Aufrichtigkeit in ihrem Blick bestätigt mich jedoch in meinem Empfinden. Aber plötzlich mischt sich Kummer darunter und die Stimmung schlägt um.

»Dein Lied heute … es hat mich tief berührt. Ist es so, wie ich denke?«

Diese Frage trifft mich unvorbereitet. Wer mich kennt, der weiß, dass ich in meinen Liedern häufig aus meinem Leben erzähle. Auch bei diesem ist es so. Und trotzdem kann ich schlecht damit umgehen, wenn ich darauf angesprochen werde. Vor allem in diesem Fall.

Seelensplitter. Sie sitzen auch heute noch viel zu tief, verursachen mir Schmerzen, lassen mich innerlich aufschreien. Unwillkürlich flammen Bilder aus meiner Kindheit vor meinem geistigen Auge auf, und ich kann nichts dagegen tun, kann sie nicht verdrängen und einfach weiterlächeln.

»Entschuldige, ich wollte nicht …« Sie verstummt und ergreift zärtlich meine Hand.

In diesem Moment schaffe ich es nicht mehr, die aufkommenden Tränen zurückzuhalten. Beschämt wende ich mich von ihr ab, verberge mein Gesicht in meiner Linken. Die Rechte jedoch hält die Verbindung zu Sophie aufrecht, und ich spüre den Trost, der von ihr ausgeht.

Entschlossen wische ich mir über die Augen und sehe sie an. »Sorry. Ich wollte mich nicht so gehen lassen. Eigentlich bin ich nicht so weich.«

»Das hat überhaupt nichts mit weich sein zu tun«, entgegnet sie bestimmt. »Ganz im Gegenteil«, fügt sie nun sanfter hinzu.

Unentschlossen zucke ich mit den Schultern. Will ich vor ihr überhaupt stark wirken? Oder soll ich dem Drang nachkommen, mich ihr zu öffnen?

»Dein Vater?«, fragt sie nun vorsichtig.

»Nein. Der ist leider viel zu früh gegangen. Ich war gerade mal sechs.«

»Das tut mir sehr leid«, flüstert sie.

»Danach fing das Martyrium erst an.« Ich gerate ins Stocken, zweifle, ob ich weiterreden soll. Sie bohrt nicht nach, wartet ab und lässt mich unterdessen nicht los. Schließlich drängen sich die Worte an die Oberfläche, wollen hinaus, endlich ausgesprochen werden. »Meine Mutter hatte schon nach kurzer Zeit einen neuen Partner. Und der war … Gift für uns, um es milde auszudrücken. Nach ein paar Monaten, in denen er auf heile Familie mit uns machte, entpuppte er sich als Monster.« Ich schlucke hart und versuche, die aufkeimende Wut niederzuringen. Unweigerlich ballt sich meine Hand zu einer Faust, sodass meine Knöchel weiß hervortreten. »Er war aggressiv, kontrollsüchtig und unberechenbar.«

»Deine Mutter hat sich hoffentlich von ihm getrennt.« Ich erkenne Entsetzen in Sophies Augen.

»Das wäre schlau von ihr gewesen. Aber sie war so blind und hat diesem Scheißkerl immer und immer wieder verziehen.« Mir entweicht ein freudloses Lachen. »Zuerst richtete er seine Attacken nur gegen sie. Aber nicht einmal, als er anfing, auch gegen mich die Hand zu erheben, hat sie ihn rausgeworfen. Ich … verstehe es bis heute nicht.«

»Verdammt. So etwas ist mir vollkommen unbegreiflich. Wie lange musstest du das aushalten?« Tiefes Mitgefühl schwingt in ihrer Stimme mit und der Druck ihrer zarten Hand wird fester.

»Als ich neun war, habe ich mich meinem besten Freund anvertraut. Seine Mutter war schließlich diejenige, die den Stein ins Rollen und die Sache zur Anzeige gebracht hat.« Ich sitze reglos da, doch in meinem Inneren tobt ein Sturm.

»Gott sei Dank. Und was ist dann passiert?«

»Ich wollte nicht mehr nach Hause. Und das musste ich zum Glück auch nicht. Ich kam in eine Pflegefamilie. Da konnte ich dann endlich ein normales Leben führen.«

Sie schweigt betroffen, sieht mich nur stumm an und streichelt sanft über meinen Handrücken.

»Alles gut, Sophie?«

»Das fragst du mich? Es tut mir so unglaublich leid, was du durchgemacht hast. Das macht mich total sprachlos.«

»Mich auch. Aber mir wurde schließlich klar, dass man über so etwas nicht schweigen darf. Man muss die Welt dafür sensibilisieren, damit solche Kinder gesehen und ihnen geholfen werden kann. Deshalb das Lied – ganz gleich, wie schwer es mir fiel.«

Wieder spüre ich einen Kloß im Hals und dieses beklemmende Gefühl in der Brust. Ich löse mich von ihr und springe zu übereilt auf. »Äh … entschuldige mich kurz. Bin gleich wieder da.« Ich eile ins Bad, atme mehrmals tief durch und spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht, bis ich innerlich etwas zur Ruhe komme.

Als ich ins Zimmer zurückkehre, steht Sophie wieder am Fenster. Ich stelle mich dicht hinter sie, um zu sehen, was sie sieht. »Es regnet«, stelle ich ernüchtert fest. »Jetzt ist nicht nur die Stimmung, sondern auch noch die Aussicht versaut.«

»Gar nicht. Ich finde, es sieht so aus, als würden da draußen Tausende von Wunderkerzen funkeln. Schau doch mal genau hin.«

Ihre Aussage bringt mich zum Lächeln. »Du hast recht.«

»Und außerdem ist die Stimmung überhaupt nicht versaut. Du hast dich mir geöffnet, und das ist für mich etwas ganz Besonderes. Dass du mir dein Vertrauen schenkst, einfach so, hat mir bewusst gemacht, dass ich schon viel zu lange niemandem mehr traue.« Ihr Blick richtet sich immer noch auf die bunt funkelnden Wunderkerzen, als würde sie sich plötzlich nicht mehr trauen, mich anzusehen.

Mir wird klar, dass auch sie eine Last mit sich herumtragen muss. Aber womöglich ist noch nicht der richtige Zeitpunkt für sie gekommen, diese Bürde mit mir zu teilen. Schließlich kennen wir uns kaum. Und auch wenn ich mich ihr anvertraut habe – wie auch immer es dazu kam –, muss sie nicht mit mir gleichziehen.

Dennoch überkommt mich das Gefühl, ihr das geben zu wollen, was sie mir vorhin gegeben hat: Trost. Also umfasse ich sacht ihre Hüften, und als ich spüre, dass sie es zulässt, umschlinge ich sie mit meinen Armen und halte sie ganz fest. Ihre Hände gleiten auf meine und sie lehnt ihren Kopf gegen meinen. So verharren wir eine Weile stillschweigend, und es liegt so viel Frieden in diesem Augenblick.

Doch dann regt sich etwas in mir, und wie von selbst gleiten meine Lippen an ihrem Nacken entlang. Ich kann kaum verbergen, wie sehr sie mir gefällt. Abrupt löse ich mich von ihr und bringe etwas Distanz zwischen uns.

Verwundert dreht sie sich zu mir um.

»Tut mir leid, ich wollte nicht –«

Sie bremst mich aus, indem sie mir einen Finger auf die Lippen legt. Diese Berührung bringt die Flamme erneut zum Lodern, und ich ziehe sie dicht zu mir. Diese Frau wirft mich völlig aus der Bahn, und das Gefühl, sie küssen zu wollen, wird übermächtig. Erst als uns nur noch wenige Zentimeter voneinander trennen, komme ich zur Vernunft. Nur dieses eine Mal will ich von Anfang an alles richtig machen.

Kapitel 3 - Sophie

Julians Nähe bringt mich aus dem Gleichgewicht. Ich habe mir geschworen, mich von Männern fernzuhalten. Warum will mir das bei ihm nicht gelingen? Warum nehme ich nicht meine Beine in die Hand und suche schleunigst das Weite?

So schwer es mir fällt, löse ich mich aus seiner Umarmung. Er ist gefährlich für meinen Seelenfrieden, dessen bin ich mir sicher. Denn ganz gleich, was zwischen uns passieren würde – es würde mir nicht guttun. Was wäre ich für ihn, sollte sich zwischen uns etwas entwickeln? Sein Lückenbüßer nach seiner erst kürzlich gescheiterten Beziehung? Bloß ein kurzweiliger Zeitvertreib? Oder sehnt er sich tatsächlich nach einer ernsthaften Beziehung?

Selbst wenn es so wäre, bin ich überzeugt, dass ich solch ein Leben nicht führen kann. Ein Leben im Rampenlicht, an der Seite eines Mannes, der von der halben Nation angehimmelt wird.

Verunsichert mustere ich ihn, während all diese Fragen durch meinen Kopf schießen und mir Schwindel bereiten. »Also, ich denke, ich sollte jetzt besser gehen. Es ist spät.« Ich sehe die Enttäuschung in seinem Blick und es versetzt mir einen Stich.

»Du kannst von mir aus einfach bleiben. Es ist genug Platz für uns beide.«

»Damit du über mich herfallen kannst?« Die Worte purzeln schneller aus mir heraus, als ich denken kann. Erschrocken beiße ich mir auf die Zunge.

Ergeben hebt er die Hände. »Schätzt du mich wirklich so ein? Wie schon gesagt, die Medien zeichnen ein völlig falsches Bild von mir. Ich … will dich nur nicht gehen lassen, weil du mir guttust. Das ist alles. Aber ich kann verstehen, wenn du …«

»Ist schon gut. Tut mir leid. Ich bleibe.« Ich bleibe? Was rede ich denn da bloß?

Seine Miene hellt sich schlagartig auf. »Ehrlich?«

Weil es zum Zurückrudern nun zu spät ist, nicke ich bloß. Mein Herz poltert wild in meiner Brust. Tue ich wirklich das Richtige?

»Wir könnten uns einen Film ansehen, wenn du magst. Oder einfach noch eine Weile die Aussicht genießen.«

»Film klingt super.« Ich greife nach meinem Sektglas und trinke den Rest in einem Zug leer. »Bin gleich wieder da«, murmle ich und verschwinde im Bad.

Mit rasendem Puls lehne ich mich gegen die Wand und versuche, meine Gedanken zu sortieren. Was denke ich mir eigentlich dabei, die Nacht mit Lian Veith zu verbringen? Damit tue ich mir ganz sicher keinen Gefallen, denn ich spüre schon jetzt, dass ich eine innere Verbindung zu ihm aufbaue. Und auch, wenn er so offen zu mir war, sich mir anvertraut hat, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ernste Absichten dahinterstehen. Überhaupt kennen wir uns erst wenige Stunden. Warum steigere ich mich in diese Sache so hinein?

Ich atme mehrmals tief durch und gehe wieder zurück zu ihm ins Zimmer.

Er sitzt auf dem riesigen Bett, den Rücken ans Kopfteil gelehnt und fuchtelt mit der Fernbedienung herum. »Ich fürchte, allzu viel Auswahl habe ich nicht. Es sei denn, du stehst auf Science-Fiction. Mit romantischem Kram kann ich leider nicht aufwarten.«

Mit einem verräterischen Kribbeln im Bauch hocke ich mich neben ihn und schaue auf den Fernseher. »Was ist mit dem da? Knives Out?«

»Perfekt. Den wollte ich mir schon länger ansehen. Komme aber irgendwie nie dazu.«

»Na dann.«

»Für Verpflegung ist auch gesorgt.« Julian – es ist ungewöhnlich, ihn so zu nennen – legt eine Tüte Chips zwischen uns aufs Bett und reicht mir eine Cola. Dann startet er den Film.

Nach einer Weile werfe ich ihm einen verstohlenen Blick von der Seite zu. Wie verrückt ist das bitte, hier mit ihm auf dem Bett zu sitzen und einen Film anzusehen? Irgendwie habe ich mir mein Wochenende in Hamburg vollkommen anders vorgestellt. Deutlich weniger aufregend auf jeden Fall.

Dennoch muss ich plötzlich gegen die aufkommende Müdigkeit ankämpfen. Unter keinen Umständen darf ich jetzt einschlafen. Andererseits kann ich wohl kaum die ganze Nacht wach bleiben. Vielleicht sollte ich besser gehen, wenn der Film zu Ende ist.

Doch so weit komme ich nicht.

Irgendwann schrecke ich schweißgebadet auf. Ich spüre starke Hände an meinen Schultern und schaue in Julians schreckgeweitete Augen.

»Was ist los, Sophie? Hattest du einen Albtraum?«

Entschlossen schiebe ich seine Hände von mir und setze mich im Bett auf. »Keine Ahnung, ich kann mich nicht erinnern«, lüge ich.

»Ich glaub dir kein Wort.«

Mist! Ertappt. »Ist schon gut«, nuschle ich erschöpft.

Nun setzt auch er sich auf und streicht mir behutsam über den Rücken. »Hast du so etwas öfter?«

Widerwillig zucke ich mit den Schultern.

»Du kannst es mir ruhig sagen. Vielleicht geht es dir dann besser.« Seine Hand legt sich behutsam um meine.

»Wenn es so einfach wäre, seine Geister abzuschütteln …«

»Ich weiß, was du meinst. Glaub mir.«

Natürlich weiß er das.

»Komm her.« Er zieht mich mit sich zurück ins Kissen, und ich kuschle mich in seine Armbeuge. »Versuch, wieder zu schlafen, hm?«

In seinem Arm zu liegen, fühlt sich unheimlich tröstlich an. Mein Körper wird von einer Welle an Emotionen erfasst, die mein Herz zum Überlaufen bringen.

»Danke Julian«, wispere ich und hauche ihm einen unschuldigen Kuss auf die Wange. Ich merke, wie sich seine Mundwinkel heben.

Er schmiegt sich noch enger an mich, und ich bette meinen Kopf an seine Brust. Schweigend liegen wir da, doch nun hält er mich noch fester als zuvor.

Die Fragen in meinem Kopf werden lauter und lauter. »Was wird das hier zwischen uns, Julian? Morgen früh werden unsere Wege sich trennen. Und dann?«

»Werde ich dich erst einmal überreden, den Tag mit mir zu verbringen.«

»Das geht leider nicht. Ich … muss nach Hause.« Muss ich das wirklich? Oder will ich nur vor ihm und damit vor den aufkeimenden Gefühlen wegrennen?

»So schnell gebe ich mich nicht geschlagen. Außerdem haben wir nächsten Samstag eine Verabredung, schon vergessen?«

»Du willst also wirklich mit mir wandern gehen?« Das passt für mich nicht in die Vorstellung seines schillernden Lebens.

»Und wie ich das will.«

»Ich dachte, du hättest ein Interview.«

»Keine Sorge, habe mich darum gekümmert. Aber lass uns das morgen besprechen, okay? Wir sollten jetzt wirklich schlafen.«

***

Es dämmert, als ich die Augen aufschlage, und ich versuche, mich in dem schwachen Licht zu orientieren. Lian liegt dicht neben mir und schläft tief und fest. Eine Weile lausche ich seinen langen, ruhigen Atemzügen und wundere mich über die Tatsache, dass ich hier bei ihm bin.

Ein wohliges Kribbeln erfasst mich und ich fange an, mir vorzustellen, wie ein Leben an seiner Seite wäre. Bis vor ein paar Monaten war Lian mit Hannah Valcano liiert, einer Influencerin, die jedes Detail ihrer Beziehung mit ihren Followern geteilt hat. Er selbst war in der Hinsicht immerhin etwas zurückhaltender, womöglich, um seine weiblichen Fans nicht zu verärgern.

Für mich wäre es absolut nichts, die halbe Welt wissen zu lassen, ob ich mich gerade mit meinem Partner streite oder mich wieder versöhnt habe. Das hat niemanden zu interessieren.

Natürlich geht es auch für mich als Autorin nicht ohne Social Media, aber ich rede dort hauptsächlich über meine Bücher und teile nur selten Persönliches.

Mit einem Mann wie Lian an meiner Seite wäre es allerdings kaum möglich, eine Beziehung privat zu halten. Kann ich mir ein Leben in der Öffentlichkeit überhaupt vorstellen? Beim besten Willen nicht. Also sollte ich mich davor hüten, mich in ihn zu verlieben – wenn es dafür nicht schon längst zu spät ist.

Was ist eigentlich mit mir los? Ich verliere doch sonst nicht so schnell mein Herz. Aber irgendwas ist dieses Mal anders. Oder ich täusche mich bloß und es ist lediglich eine Schwärmerei? O Mann, ich bin doch kein Teenager mehr! Plötzlich komme ich mir vor wie eine meiner oft impulsiven Romanfiguren und nicht wie eine Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht.

Ich schüttle über mich selbst den Kopf und kichere leise.

»Was ist denn so lustig?«, brummt Lian verschlafen.

»Oh, ich wollte dich nicht wecken.«

»Schon gut. Wie spät ist es denn?«

»Kurz nach sechs.«

Er reibt sich durchs Gesicht. »Wachst du etwa immer so früh auf?«

»Das passt wohl nicht zu deinem Rockstar-Leben, hm?«

»Zumindest nicht nach einer so kurzen Nacht.« Er zieht sich die Decke über den Kopf.

»Dann schlaf doch noch ein wenig. Ich gehe auf mein Zimmer und mache mich frisch. Ich habe nämlich einen Bärenhunger. Auf das Frühstücksbüfett habe ich mich am meisten gefreut.« Ich krabble aus dem Bett und gehe Richtung Tür.

»Hey, du willst doch nicht ohne mich essen gehen!«

Ich drehe mich zu ihm um und in diesem Moment landet ein Kissen in meinem Gesicht.

»Na warte!« Das Kissen fliegt postwendend zurück, und ich erwarte sogleich den Gegenschlag. Doch dafür scheint Lian noch zu müde zu sein. »In einer halben Stunde im Restaurant. Ansonsten frühstücke ich ohne dich.«

Ich vernehme ein unwilliges Knurren, dann schließe ich lächelnd die Tür hinter mir.

***

Ungläubig sehe ich, wie Lian mir zuwinkt, als ich das Restaurant betrete. Er hat sich also wirklich aufgerafft. Etwa nur meinetwegen? Ein Glücksgefühl durchschwemmt meinen Körper und ich rolle imaginär mit den Augen, weil meine Sinne so vernebelt sind.

»Ich habe ehrlich gesagt nicht mit dir gerechnet, Lian.«

»Julian.«

»Daran muss ich mich erst mal gewöhnen«, gestehe ich. Aber es gefällt mir, ihn bei seinem richtigen Namen zu nennen. Ich setze mich auf den Platz ihm gegenüber und mustere ihn. Er wirkt immer noch total gerädert, und mich überkommt ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn so früh geweckt habe.

Dennoch lächelt er tapfer. »Jedenfalls wollte ich dich nicht ganz allein hier sitzen lassen. Denn wie du siehst, geht um sieben Uhr noch kein Mensch zum Frühstück.«

»Also, ich sehe hier mindestens zwei. Und ganz nebenbei: Ich kaufe es dir nicht ab, dass du nur wegen mir hier bist. Du wolltest dir mit Sicherheit nicht dieses üppige Büfett entgehen lassen.« Ich deute zum Büfetttisch, auf dem lauter leckere Dinge auf uns warten.

»Da könntest du vielleicht recht haben. Aber nur ein bisschen. Denn ohne dich wäre ich jetzt garantiert nicht hier. Wahrscheinlich hätte ich mir eher etwas aufs Zimmer bringen lassen. Ständig beim Essen angequatscht zu werden, macht nämlich nicht so viel Spaß.«

»Dann solltest du zusehen, dass du immer einer der Ersten im Restaurant bist.« Ich zwinkere ihm frech zu.

»Aber nur, wenn ich in so netter Begleitung bin wie heute.«

Unwillkürlich muss ich mich fragen, wie oft es schon vorgekommen sein mag, dass er mit einer Unbekannten frühstückt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich die Ausnahme bin. Aber ehrlich gesagt will ich das gar nicht so genau wissen. Ich glaube ohnehin nicht, dass sich eine Situation wie diese noch einmal wiederholen wird.

Abrupt stehe ich auf. »Ich weiß ja nicht, was du vorhast, aber ich packe mir jetzt erst einmal meinen Teller voll.« Fluchtreflex. Der nützt mir nur leider nichts, denn Lian ist plötzlich direkt hinter mir.

Er legt von hinten seinen Kopf auf meine Schulter und lugt auf die üppig belegten Teller und Platten. »Was gibt es denn hier Gutes?«

»Alles, was das Herz begehrt«, erwähne ich mit einer ausladenden Geste.

Seine Lippen streifen flüchtig meine Wange. »Das stimmt allerdings.«

Mein Herz setzt einen Schlag aus, nur um danach doppelt so schnell weiterzupoltern. Beinahe gleitet mir mein Teller aus der Hand. Warum bringt er mich so aus dem Takt? Womöglich liegt das bloß daran, dass ich solche Zärtlichkeiten lange nicht mehr gespürt habe. Oder aber, weil er mich tief im Innersten berührt, ohne dass ich mich dagegen wehren kann.

»Und was stellen wir heute noch an?«, will er nun wissen.

»Ich hab dir doch gesagt, dass ich nach Hause muss«, erwähne ich beiläufig und hoffe, dass er es auf sich beruhen lässt. Gleichzeitig wünsche ich mir, dass er versucht, mich zu überreden. Während ich so tue, als würde ich darüber nachgrübeln, was ich essen soll, spüre ich seinen Blick auf mir.

»Wartet jemand auf dich?«

»Nur mein Kater«, gebe ich ehrlich zu.

»Der kommt bestimmt auch noch ein paar Stündchen länger ohne dich aus.«

»Weiß nicht. Vielleicht.«

»Nicht vielleicht. Sag einfach Ja!«

Erst jetzt wende ich mich ihm zu und schaue ihm in die Augen. »Und was, wenn ich Ja sage? Wir können nicht einfach fröhlich durch die Stadt laufen. Du wirst sicher an jeder Ecke erkannt.«

»Da fällt uns bestimmt etwas ein. Entweder suchen wir uns ein ruhiges Plätzchen oder ich verkleide mich. Also, was sagst du?«

Ich kann seinem flehenden Blick nicht lange standhalten, daher gebe ich nach, obwohl eine innere Stimme mich für verrückt erklärt. »Also schön.«

»Yes!« Julian umarmt mich überschwänglich und belädt dann eifrig seinen Teller. Als wir an unseren Tisch zurückkehren, zückt er sein Handy und scrollt darauf herum. »Einen Moment, ich möchte nicht unhöflich sein. Ich will nur kurz …« Er hebt die Hand, als wolle er mir damit bedeuten, einen Augenblick abzuwarten. »Ja, das ist es! Wir gehen Tretboot fahren auf der Alster.« Triumphierend strahlt er mich an.

»Tretboot?«

»Ist immerhin einfacher als rudern. Also, was meinst du?«

»Gut. Bin dabei.«

»Dann hau jetzt ordentlich rein, damit du nachher auch genug Energie hast.« Er grinst bubenhaft.

»Wofür? Ich lasse dich einfach strampeln.«

»Das werden wir ja sehen.«

***

Zwei Stunden später sitze ich tatsächlich neben Julian im Tretboot auf der Außenalster. Mit Cap und Sonnenbrille versehen hat er es geschafft, zum Bootsanleger zu gelangen, ohne Aufsehen zu erregen. Viel auffälliger war hingegen mein Verhalten, denn ich habe mich alle paar Sekunden gehetzt umgeschaut und fühlte mich total beobachtet. Ihn hat das sichtlich amüsiert.

Nun aber kann ich mich endlich entspannen. Ich konzentriere mich nicht im Geringsten auf die Umgebung, sondern bin völlig von Julians Aura gefangen. Ich hänge an seinen Lippen, während er mir davon erzählt, wie er zur Musik kam, wie er seinen ersten Song schrieb und erste kleine Erfolge feierte. Schließlich ging eines seiner Videos auf YouTube viral, und er wurde über Nacht zum Star.

Kurz darauf wurde auch ich auf ihn und seine Musik aufmerksam. Seitdem laufen seine Songs bei mir rauf und runter. Und jetzt fahren wir zusammen Tretboot.

»Hey, lass mich hier nicht alleine ackern!«, beschwert er sich.

»Ich hab dir doch gesagt, dass ich dich alleine strampeln lasse.« Ich grinse ihn frech an, trete dann jedoch ebenfalls wieder in die Pedale.

»Wir können uns auch einfach treiben lassen.«

»Und dann?«

»Mir fällt da schon was ein.« Er steht auf und klettert auf die Liegefläche hinüber. Dann streckt er seine Hand nach mir aus. »Komm! Wir machen es uns gemütlich.«

Bei meinem Versuch, zu ihm zu gelangen, gerät das Tretboot mächtig ins Wanken. Ich muss aufpassen, nicht im Wasser zu landen. Stattdessen falle ich direkt in seine Arme und unsere Gesichter sind sich plötzlich ganz nah.

---ENDE DER LESEPROBE---