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Neues Jahr, neues Leben! Das denkt sich die quirlige Jane, als sie einen Neustart in New York wagt. Schon lange wollte sie ihrer Heimatstadt Stowe den Rücken kehren und Großstadtluft schnuppern. Da kommt der neue Job bei der Hotelkette Woods Luxury gerade recht. Als sich zwischen ihr und ihrem Chef Ben Gefühle entwickeln, scheint das Glück perfekt! Doch plötzlich übermannt Jane das Heimweh, und sie spielt mit dem Gedanken, nach Stowe zurückzukehren. Ben zeigt sich absolut verständnislos. Schweren Herzens lässt sie ihn allein in New York zurück. Hat die Liebe der beiden dennoch eine Chance?
Der zweite Band der romantischen Reihe rund um den beschaulichen Ort Stowe in Neuengland.
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Seitenzahl: 318
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Grußwort des Verlags
Über dieses Buch
Titel
Kapitel 1 – Jane
Kapitel 2 – Ben
Kapitel 3 – Jane
Kapitel 4 – Ben
Kapitel 5 – Jane
Kapitel 6 – Ben
Kapitel 7 – Jane
Kapitel 8 – Ben
Kapitel 9 – Jane
Kapitel 10 – Ben
Kapitel 11 – Jane
Kapitel 12 – Ben
Kapitel 13 – Jane
Kapitel 14 – Ben
Kapitel 15 – Jane
Kapitel 16 – Ben
Kapitel 17 – Jane
Kapitel 18 – Ben
Kapitel 19 – Jane
Kapitel 20 – Ben
Kapitel 21 – Jane
Kapitel 22 – Ben
Kapitel 23 – Jane
Kapitel 24 – Ben
Kapitel 25 – Jane
Epilog – Ben
Über die Autorinnen
Weitere Titel der Autorinnen
Impressum
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Neues Jahr, neues Leben! Das denkt sich die quirlige Jane, als sie einen Neustart in New York wagt. Schon lange hegt sie den Wunsch, ihrer Heimatstadt Stowe den Rücken zu kehren und Großstadtluft zu schnuppern. Da kommt ihr das Praktikum bei der Luxus-Hotelkette Woods Luxury gerade recht, nicht zuletzt, weil sich ziemlich schnell Gefühle zwischen ihr und ihrem Chef Ben entwickeln. Doch als das Heimweh sie übermannt und sie mit dem Gedanken spielt, nach Stowe zurückzukehren, zeigt Ben kein Verständnis und das junge Glück zerbricht. Jane reist ab und lässt Ben allein in New York zurück. Hat die Liebe der beiden noch eine Chance?
Nadine FegerC.K. Zille
New York City. Mein großer Traum liegt genau unter mir. Die Skyline ist atemberaubend und einfach ganz anders als in meiner Heimat. Im Gegensatz zur Großstadt, die niemals schläft, liegt Stowe im Januar unter Schneemassen bedeckt ganz still da. Die bergige Landschaft gibt der Gegend einen ganz besonderen Charme – wären da nicht die vielen Touristen, die im Winter über die verschlafene Kleinstadt herfallen. Dieses Jahr entfliehe ich dem gewohnten Chaos, um mein eigenes Abenteuer zu erleben – in New York.
Fasziniert schaue ich aus dem kleinen Flugzeugfenster und bin total aufgekratzt, während die Landebahn näher kommt. Ich bin noch nie zuvor geflogen, und dieses Gefühl beim Start, der Blick aus dem Fenster, alles ist einfach so großartig. Voller Adrenalin und Vorfreude darauf, meinen großen Traum – endlich dem eintönigen Kleinstadtleben zu entfliehen – wahr werden zu lassen, fühle ich mich wie in einem Rausch. Selbst das Ruckeln bei der Landung kommt mir spektakulär vor.
Als das Flugzeug endlich über das Rollfeld auf seinen Platz fährt, höre ich um mich herum Geraschel, während die anderen Passagiere beginnen, ihr Handgepäck aus den Fächern holen. Der Business-Flieger ist nur halb besetzt, und die Mitreisenden sind fast nur Anzugträger. Obwohl ich vorhabe, direkt nach der Landung ins Hauptbüro von Woods Luxury zu fahren, bin ich leger gekleidet. Mein Job im Headquarter der Hotelkette, die im letzten Jahr zusammen mit meinem Bruder einen Baumhauspark in Stowe errichtet hat, beginnt jedoch erst in der nächsten Woche. Damit habe ich noch einige Tage, um richtig anzukommen und die Stadt zumindest ansatzweise kennenzulernen.
Etwas später stehe ich am Kofferband und warte auf mein Gepäck. Es dauert ewig, bis die ersten Teile herangerollt kommen. Mit mir stehen bloß drei weitere Personen hier, die anderen Passagiere haben wohl nur Handgepäck dabei. Vielleicht ist das normal auf einem Businessflug. Meine beiden Koffer tauchen nach einer gefühlten Ewigkeit endlich auf, und ich zerre die schweren Dinger vom Band.
Voller Tatendrang folge ich der Beschilderung zum Ausgang des JFK-Flughafens und laufe gemütlich durch die Halle. Hier herrscht ordentlich viel Trubel, aber der rauscht an mir vorbei. Mit Vorfreude auf die Stadt strebe ich der breiten Tür entgegen, direkt nach draußen.
Im Gegensatz zum verschneiten Vermont empfängt mich hier trüber Nieselregen. Dadurch lasse ich mir meine gute Laune aber nicht verderben. Mit den zwei dicken Koffern und dem Rucksack auf den Schultern verharre ich suchend unter dem Vordach und entdecke schon bald eine Reihe von Taxis, die auf Kundschaft warten.
Wie ein Wildschwein durchs Unterholz versuche ich mir den Weg zum Taxi zu bahnen und remple dabei ständig Leute an, die stur auf ihren Plätzen stehen bleiben, statt einen halben Meter Platz zu machen. Höflich entschuldige ich mich bei den griesgrämigen Menschen und stelle mich in der Schlange an.
Als ich drankomme, nimmt mir der Fahrer sogleich das Gepäck ab und hebt es in den Kofferraum. »Hatten Sie einen guten Flug?«, fragt er, wobei das Ende seines Satzes im Knall des zuschlagenden Kofferraums untergeht.
Lächelnd nicke ich. »Den hatte ich, vielen Dank.« Ich steige auf die Rückbank und nenne ihm mein Ziel: Woods Luxury. Mein neuer Chef weiß noch nicht, dass ich heute schon eintreffe, und auch seine Schwester – die in wenigen Monaten meinen Bruder Nathan heiraten wird – hat Ben nichts von meiner früheren Ankunft erzählt. Ich will ihn überraschen und hoffe sehr, dass er mir am nächsten Wochenende die Stadt zeigen wird.
Zügig kommen wir vorwärts, doch je weiter wir aufs Zentrum zusteuern, desto zäher wird der Verkehr. Immer öfter müssen wir anhalten, und das Taxameter läuft unaufhörlich weiter. Nervös blicke ich darauf. Natürlich habe ich genug Geld dabei, aber ich brauche noch einige neue Kleidungsstücke für meinen neuen Job als Assistentin bei Woods Luxury.
Ursprünglich wollte ich erst mal ein Praktikum machen, aber mein großer Traum ist es, in New York Fuß zu fassen. Wie in meinen Lieblingsserien, möchte ich die Stadt direkt richtig erleben. Ich will mit Freunden in einer Bar abhängen, Dates haben, eine eigene coole Wohnung mieten und das aufregende Stadtleben genießen. Weg von der Eintönigkeit des Landes, den immergleichen Gesichtern und Geschichten.
»Ist es noch weit?«, frage ich ungeduldig. Mittlerweile stehen wir schon seit zehn Minuten auf der Stelle und bewegen uns keinen Meter vorwärts.
»Etwa fünf Blocks«, antwortet der Taxifahrer und klopft auf seine Kopfstütze. »Auf dem Display können Sie es sehen.«
Hinter seiner Lehne ist ein Bildschirm eingebaut, der bisher hauptsächlich Werbung gezeigt hat. Nun ist darauf eine Karte abgebildet. Mein Ziel ist nicht weit entfernt, also beschließe ich kurzerhand, meinen Geldbeutel zu schonen. »Vielen Dank. Ich würde dann schon aussteigen und den Rest zu Fuß gehen.«
Fragend werde ich durch den Rückspiegel betrachtet. »Sind Sie sicher? Es regnet.«
»Das macht mir nichts aus. Das meiste fällt doch eh daneben«, sage ich fröhlich und bezahle.
Die paar Tropfen sind tatsächlich erträglich. Nachdem ich den Rucksack aufgezogen habe, zerre ich die beiden Koffer auf den Gehweg. Zum Abschied nicke ich dem Fahrer zu.
Hochmotiviert schlage ich die Richtung ein, in die wir fahren wollten. Mit jedem Schritt schreite ich weiter an den Autos vorbei und bin froh, dass ich ausgestiegen bin. Im Taxi hätte ich sicherlich noch Stunden gebraucht, um anzukommen.
Leider nimmt der Regen immer mehr zu. Ich ziehe mir meine Kapuze tiefer ins Gesicht und bleibe an der roten Fußgängerampel stehen. Die New Yorker achten allerdings nicht auf das Signal, sondern laufen einfach los. Hier scheint sich keiner an das Gesetz zu halten. Unentschlossen überlege ich, ob ich diesem Verhalten folgen soll. Hier kratzt es wohl niemanden.
Doch dann werde ich von einem vorbeieilenden Passanten angerempelt. »Hey, pass doch auf«, murre ich. Immer noch will ich meine gute Laune nicht loslassen und kralle mich in sie wie eine Katze in einen Vorhang.
Schnellen Schrittes eile ich nun auch über die Straße und immer weiter den Gehweg entlang. Verdammt, wann endet der Block endlich? Auf der Karte sah es gar nicht so weit aus.
Meine Winterjacke, die perfekt für kalte Temperaturen und Schnee geeignet ist, hält dem Regen nicht dauerhaft stand. So langsam kriecht die feuchte Kälte in meine Knochen, aber ich bin zumindest schneller als die hupenden Autos, die mehrere Rot-Phasen an jeder Ampel stehen.
In Gedanken zähle ich die Kreuzungen, aber irgendwann bin ich nicht mehr sicher, an welcher Stelle ich abbiegen muss. Unter einem Vordach bleibe ich stehen und krame mein Handy aus dem Rucksack. Meine Hände sind so nass, dass es einige Anläufe braucht, um das Display zu entsperren und Google-Maps zu öffnen. Mit vor Kälte steifen Fingern gebe ich die Adresse der Firma ein und drehe mich mehrfach im Kreis, um zu sehen, in welche Richtung ich gehen muss. Noch siebzehn Minuten bis zum Ziel. Das ist doch ein Kinderspiel! Konzentriert merke ich mir die nächsten Kreuzungen und stecke das Handy in die Jackentasche, um meine beiden Koffer gleichzeitig ziehen zu können.
Also überquere ich die Straße, biege rechts ab und hinter dem nächsten Block wieder rechts. Vorsichtshalber mache ich unter dem nächsten Vordach noch mal eine Pause und schaue auf das Handy.
»Hä?« Irritiert drehe ich mich abermals im Kreis. So ein Mist. Ich bin in die falsche Richtung gelaufen.
Während ich das Handy wegstecke, werde ich von hinten angerempelt, und die Frustration zieht meine Mundwinkel nach unten. Bevor sie mich gänzlich übermannt, atme ich tief ein. Bald hast du es geschafft, Jane, sage ich mir selbst. Im Trockenen kannst du dich umziehen und bekommst einen heißen Kaffee. Gemeinsam mit Ben lachst du dann heute Abend über diese chaotische Ankunft.
Der Gedanke daran bringt mich zum Lächeln. Mit dem neuen Energieschub nehme ich es mit dem regnerischen Großstadtleben auf. Dieses Mal krame ich an jeder Kreuzung mein Handy hervor und suche den richtigen Weg. Ich bin zwar recht vorschnell darin, Entscheidungen zu treffen, aber dumm bin ich nicht.
Irgendwann stehe ich vor dem richtigen Gebäude. Das Schild mit der Aufschrift Woods Luxury – 5. Etage fällt mir sofort ins Auge. Leise murmle ich ein »Ich habe es geschafft!«, während ich wippend vor Freude mit den beiden Koffern die Drehtür betrete.
Rumms. Auf einmal bleibt die Tür stehen, noch bevor ein ausreichend großer Spalt entsteht, um ins Innere zu treten. Zuerst schaue ich nach vorn, was der Grund für die Verzögerung ist, dann drehe ich mich um. Mein Herz rutscht eine Etage tiefer, als ich sehe, dass einer meiner Koffer in der Tür klemmt. Sofort lasse ich den anderen Griff los und versuche durch Ziehen und Zerren das sperrige Gepäckstück zu befreien, doch mit jeder Bewegung verkeilt es sich nur noch fester.
»Verdammter Mist!« Fluchend ziehe ich weiter daran, weil ich einfach nicht weiß, was ich sonst machen soll.
Ein Klopfen lässt mich zusammenzucken. Bestimmt gibt das jetzt Ärger. Schuldbewusst drehe ich mich um und blicke in das Gesicht eines Sicherheitsmannes.
Der Kerl ist klein und schmächtig und geht in seiner dunkelblauen Uniform, die zwei Nummern zu groß für ihn ist, beinahe unter. Sein Blick fixiert mich finster. »Miss, Sie müssen die Drehtür freimachen.«
»Was denken Sie denn, was ich gerade versuche?«, frage ich verzweifelt. Zum Beweis reiße ich erneut am Griff meines Koffers, der unbewegt festsitzt.
»Sie müssen drücken«, ruft er mir durch die Tür zu.
Drücken? Der Koffer steckt zu zwei Drittel bei mir drin, den bekomme ich nie im Leben nach draußen gedrückt. »Das geht nicht!«, schreie ich, damit er mich auch versteht, während ich pro forma einmal gegen den Koffer drücke. Natürlich tut sich nichts.
Anstatt irgendwas zu tun, gibt dieser Typ nur weitere sinnlose Anweisungen: »Drücken Sie fester!«
Langsam verliere ich meine Geduld. Ich wende mich ihm zu und lege meine Hand an die Scheibe, die mehr und mehr beschlägt. »Das funktioniert nicht! Können Sie die Tür nicht manuell bedienen?«
»Ich bin nur Aushilfe.« Er zuckt mit den Schultern. »Dann müssen Sie auf die Ablösung warten.«
Tief durchatmen. Mein Puls rast, doch ich zwinge mich zur Ruhe. Schließlich kann ich gerade nichts an meiner Situation ändern. »Und wann kommt die?«
»Um vier.«
Es rattert in meinem Kopf. Ich schaue aufs Handy. »Das sind ja noch fünf Stunden!«
Er hebt die Arme, und ich sehe, wie sein Blick zurück zu seinem Platz am Empfang wandert.
»Hiergeblieben!«, fordere ich. »Ich möchte, dass Sie Ihren Kollegen oder irgendjemanden anrufen, der mich hier herausholt. Ich werde gewiss nicht fünf Stunden lang in einer Drehtür verharren und auf die Ablösung des Sicherheitspersonals warten.« Außerdem ist bald Mittagszeit, und dann käme keiner rein oder raus.
Ohne mir zu antworten, verzieht sich der Kerl. Ich hoffe sehr, dass er jemanden holt, der sich auskennt.
Ungeduldig lasse ich mich auf dem freien Koffer nieder. Ich bin durch und durch nass, und der Spalt nach draußen lässt eisige Luft in mein Gefängnis aus Glas. Aus meinem Rucksack ziehe ich einen Müsliriegel. Getränke habe ich nicht dabei, weil Flüssigkeiten bei dem Flug verboten waren. Wie lange ich wohl nur mit einem Riegel überleben kann?
Im Wald komme ich tagelang ohne Zivilisation aus. Mit meinen beiden großen Brüdern bin ich in unserer Jugend oft nur mit einem Rucksack unterwegs gewesen. So haben wir uns durch die Wildnis geschlagen und unter dem Sternenhimmel übernachtet. Aber hier in der Großstadt bin ich aufgeschmissen.
Irgendwann höre ich Stimmen von drinnen näher kommen. Hastig springe ich auf und wische mit meinem Ärmel die beschlagene Scheibe sauber. Der Sicherheitsmann war schneller als gedacht, geht es mir durch den Kopf, doch dann fällt mein Blick auf einen schlanken blonden Mann im Anzug. O nein! Das ist Ben. Diese Situation ist mir so unangenehm. Was macht denn ausgerechnet er hier?
Ich trete einen Schritt zurück, doch er hat mich bereits entdeckt und kommt auf die Drehtür zu. »Jane?« Ungläubig schaut er zu mir herein.
Peinlich berührt hebe ich beide Hände und sage wenig enthusiastisch: »Überraschung!«
»Das ist wirklich eine Überraschung!« Ein breites Grinsen erscheint auf dem Gesicht des attraktiven Geschäftsmannes. Verdammt, so gut aussehend hatte ich ihn gar nicht in Erinnerung. Der dunkle Anzug steht ihm perfekt, und sein Lächeln lässt auch seine Augen erstrahlen.
»Du bist also die verrückte Frau, die in der Drehtür stecken geblieben ist«, sagt er kopfschüttelnd. »Warte, ich hole dich da raus.«
»Das ist mir so peinlich.« Meine Wangen brennen vor Hitze. Ich sehe bestimmt furchtbar aus, knallrot und wie ein begossener Pudel. Doch Ben hört meine Worte sicherlich nicht, er ist aus meinem Sichtfeld verschwunden.
Wenig später klackt es. Kurz darauf erscheint Ben wieder. »Ich werde die Tür jetzt zurückschieben, damit du deinen Koffer befreien kannst.«
Ich nicke und greife nach dem eingeklemmten Gepäckstück. Als sich die Tür rückwärtsbewegt, kann ich es sofort zu mir ziehen. Erleichtert atme ich auf. »Ich habe es!«
Daraufhin klackt es erneut, und die Tür beginnt sich wieder zu drehen.
Schnell bringe ich meine Koffer ins Gebäude, lasse sie dann einfach auf den Boden kippen und stehe vollkommen überfordert vor Ben.
»Hi«, sagt er grinsend.
»Hey«, erwidere ich mit sicherlich hochrotem Kopf.
Während ich die Arme für eine Begrüßung hebe, hält er mir seine Hand entgegen. Unsicher lache ich, weiche zurück, ebenso wie er. Wie begrüßt man sich richtig, wenn man bald verschwägert ist, aber gleichzeitig in einem Boss-Angestellten-Verhältnis steht? Dieser Gedanke schießt mir durch den Kopf, während Ben seinerseits offenbar ebenso ratlos die Arme hebt. Wir begrüßen uns also auf die familiäre Art. Puh. Ein klassisch distanziertes Händeschütteln hätte ich auch nicht so schön gefunden.
»Eigentlich wollte ich dich überraschen.« Der Duft seines Aftershaves steigt mir in die Nase, als ich meine Arme um ihn lege, und ich schließe für einen Augenblick die Augen. Die ganze Anspannung fällt von mir ab, und ich spüre, dass ich endlich angekommen bin.
Ben erwidert die Umarmung zaghaft und lässt mich dann wieder los. »Glaub mir, die Überraschung ist dir wirklich gelungen. Ich dachte, du kommst erst am Sonntag an.«
»Ich wollte nicht sofort mit der Arbeit beginnen, sondern noch ein paar Tage die Stadt kennenlernen«, erkläre ich und fühle mich dabei wie ein junges Mädchen. Mein Herz klopft ganz aufgeregt. Bestimmt ist es der verrückten Situation geschuldet.
»Hätte ich gewusst, dass du kommst, hätte ich dich am Flughafen abgeholt.« Sein Blick fällt auf meine Koffer. »Willst du die erst nach Hause bringen, oder möchtest du dich bei einem Kaffee im Büro aufwärmen?«
Überfordert zucke ich mit den Schultern. »Keine Ahnung, ich bin gerade einfach nur froh, nicht mehr in dieser blöden Tür zu stecken. Hättest du mich nicht befreit, hätte ich spätestens zur Mittagspause den Hass aller Angestellten auf mich gezogen.«
»Es gibt noch eine normale Tür«, erwidert Ben schmunzelnd.
Stöhnend sehe ich mich um. »Das macht es ja nur noch peinlicher. Wo kann ich mich hier am besten verstecken?«
Amüsiert schmunzle ich und überlege, ob ich sie ein wenig damit aufziehen soll, entscheide mich dann aber dagegen. Schließlich will ich sie nicht direkt wieder vergraulen. »Ich mach dir einen Vorschlag. Ich lasse deine Koffer nach Hause bringen, und wir beide gehen erst einmal einen Happen Essen. Ich war nämlich gerade auf dem Weg in die Mittagspause.«
Ich kann förmlich sehen, wie es hinter Janes Stirn arbeitet, und warte ihre Antwort ab. Dass ihr die ganze Situation total unangenehm ist, ist mehr als offensichtlich.
»Ich … also … gern. Aber ich möchte mir vorher etwas Trockenes anziehen. Geht das?« Sie zieht die Schultern hoch.
»Na klar. Da vorne sind Toiletten.« Ich deute auf einen kleinen Gang neben dem Empfang. »Ich warte dann hier auf dich.«
»Super!« Jane beugt sich zu ihrem Koffer hinunter, öffnet ihn an Ort und Stelle und kramt ein paar Kleidungsstücke heraus. Dann springt sie auf und macht sich mit einem »Bin gleich wieder da« auf den Weg zur Toilette.
Ich schaue ihr nach und schiebe schließlich den geöffneten Koffer ein wenig zur Seite. Nicht, dass noch jemand darüber stolpert.
Kaum zu glauben, dass Jane nun plötzlich da ist. Ich war noch gar nicht auf sie vorbereitet. Aber das wäre ich vermutlich am Sonntag ebenfalls nicht gewesen. Ich komme nicht umhin, mir einzugestehen, dass sie mich ziemlich nervös macht. Eigentlich hat sie es mir schon bei unserer ersten Begegnung vor gut eineinhalb Jahren am Baumhaus angetan. Aber das muss ich ihr ja nicht auf die Nase binden.
Außerdem ist sie nun meine Angestellte, also werde ich professionell bleiben. Ob das so einfach wird, steht auf einem anderen Blatt. Schließlich werden wir nicht nur zusammen arbeiten, sondern auch unter einem Dach wohnen. Zumindest vorerst. Wenn Jane sich entscheidet, für immer in New York zu bleiben, wird sie sich womöglich eine eigene Wohnung suchen. Aber so weit möchte ich noch gar nicht denken.
Bevor das Hin und Her in meinem Kopf zu viel Platz einnehmen kann, rauscht Jane schon wieder auf mich zu. »Das ging ja schnell.«
»Hab mich extra beeilt. Ich wollte dich nicht so lange warten lassen, sonst verhungerst du mir womöglich noch.« Dicke Tropfen perlen aus ihrem kurzen braunen Haar, als sie die durchnässte Kleidung in ihrem Koffer verstaut.
»Ich hatte fest damit gerechnet, du würdest dir noch unterm Handtrockner die Haare föhnen«, merke ich grinsend an.
»Oh, dass ich da nicht selbst draufgekommen bin!« Schnell streift sie sich das nasse Haar aus der Stirn und linst zu den Waschräumen hinüber. Doch dann zieht sie sich einfach eine knallrote Mütze auf den Kopf und strahlt mich an. »Können wir dann? Ich hab einen Bärenhunger.«
»Worauf hast du Lust? Italienisch? Sushi? Burger? Mexi–« Weiter komme ich nicht.
»Auf jeden Fall Burger.« Jane lächelt mich gewinnend an, da ist es mir gerade völlig egal, dass ich eigentlich vorhatte, Tacos zu essen.
»Lass mich kurz telefonieren, damit deine Koffer geholt werden. Vielleicht schiebst du sie eben rüber zum Empfang.“ Als Jane zurückkommt, lege ich gerade wieder auf. „So, alles geregelt. Dann wollen wir mal.« Ich gehe voraus und halte Jane die Seitentür auf, weil sie die Drehtüre skeptisch beäugt.
»Oje, das hätte ich vorhin echt einfacher haben können.« Sie läuft schon wieder rot an, und ich finde es hinreißend.
Warum bringt sie mich so aus der Fassung? Das kann ich gerade gar nicht gebrauchen.
»Wo müssen wir lang?«, möchte Jane wissen.
»Links herum, dann einmal über die Straße und dieses Hochhaus umrunden. Dann sind wir auch schon fast da.« Ich deute auf ein vierzigstöckiges Gebäude, und Jane schaut staunend daran empor.
»Wahnsinn. Hier ist alles einfach … groß. Ganz anders als in Stowe, wo alles so gemütlich ist.«
Ich bemerke ihren verträumten Blick, als sie von ihrer Heimat redet. In der idyllischen Kleinstadt kennt jeder jeden. Das ist in New York völlig anders. Hier ist das Leben anonym und hektisch. Ich kenne es nicht anders, aber für Jane muss das ein totaler Kulturschock sein.
»Warum um Himmels willen laufen hier alle bei Rot über die Straße?«
Gelassen zucke ich mit den Schultern. »Nur Touristen bleiben an einer roten Ampel stehen. Es ist gerade weit und breit kein Auto zu sehen. Also, worauf wartest du?« Schnellen Schrittes gehe ich los, doch als ich merke, dass Jane zögert, drehe ich mich mitten auf der Fahrbahn zu ihr um. »Nun komm schon!«
»Daran werde ich mich vermutlich nie gewöhnen.« Mit verschränkten Armen setzt sie sich auch endlich in Bewegung.
»Glaub mir, das wirst du.«
Sie schweigt, doch ihre hochgezogene Augenbraue will mir anscheinend so etwas wie »Als ob!« sagen.
Seite an Seite schlendern wir den Gehweg entlang. Der Regen hat inzwischen nachgelassen, doch die Kälte kriecht unter den feinen Stoff meines Anzugs. Hätte ich doch bloß nicht meinen Mantel oben im Büro vergessen!
Während Jane sich unentwegt mit großen Augen umsieht, beobachte ich sie verstohlen aus dem Augenwinkel, und urplötzlich beschleunigt sich mein Puls. Irritiert richte ich meinen Blick wieder nach vorn und bin froh, dass wir endlich am Burgerladen sind.
»Da wären wir!«
Draußen vor dem Eingang stehen ein paar kleine Tische mit bunten Stühlen, die bei dieser Witterung jedoch allesamt verwaist sind. Im Inneren werden wir von einer wohligen Wärme empfangen, und leise Rock-Musik dringt aus den Boxen. Die Einrichtung des schmalen, aber langen Raums ist schlicht und rustikal. An der Wand entlang befindet sich eine Reihe Tische mit gegenüberliegenden Bänken.
Zielstrebig steuert Jane auf eine der Bänke zu und lässt sich darauf plumpsen. Ich nehme ihr gegenüber Platz.
Sie mustert mich unverhohlen. »Irgendwie wirkst du in diesem Laden fehl am Platz mit deinem schicken Anzug.«
Irritiert sehe ich mich um. »Es gibt noch genug andere, die hier so herumsitzen.«
Daraufhin schmunzelt sie bloß und wirft einen Blick in die Karte. »Kannst du irgendwas empfehlen?«
»Klar. Entweder den Spicy Ranch oder den Supreme Burger. Und auf jeden Fall den Bananen-Shake.« Auch ich schaue in die Karte, weiß aber eigentlich schon, was ich nehme. Ich will mich nur ein wenig von Jane ablenken.
Die Stimme der Kellnerin reißt mich aus meinen Gedanken. »Was darf ich euch bringen?«
Jane redet sofort drauflos. »Ich nehme den Spicy Ranch mit French Fries und Onion Rings und einen Bananenshake.«
»Und ich das Chicky Club mit Simple Greens und eine Coke light«, füge ich hinzu.
Die blonde Frau lächelt, während sie unsere Bestellung eintippt. »Kommt dann gleich.«
»Du hast dir gerade nicht wirklich einen Salat bestellt?« Jane starrt mich nahezu entsetzt an.
»Was ist daran so schlimm? Ich muss nicht jeden Tag Unmengen von Fleisch verdrücken, so wie deine Brüder.« Amüsiert funkle ich sie an. »Oder ist Salat etwa unmännlich?«
»Was?« Schon wieder bekommt Jane rote Wangen. »So ein Quatsch.«
»Ich muss gleich noch in ein Meeting. Da will ich mir nicht den Bauch mit fettigen Sachen vollschlagen. Außerdem kann ich Burger nicht unfallfrei essen.« Ich zwinkere ihr zu.
»Okay, diese Ausrede lasse ich gelten.«
»Das ist keine Ausrede.«
Jane macht eine wegwerfende Geste. »Also, was machen wir heute noch? Zeigst du mir die Stadt?«
»Das würde ich liebend gern. Aber wie ich gerade schon sagte, muss ich gleich noch in eine Besprechung. Die kann ich so kurzfristig nicht verschieben. Es geht um die Planung eines weiteren Baumhausparks in Harpers Ferry.«
Seit wir im letzten Herbst den ersten Baumhauspark in Stowe errichtet haben, wird die Nachfrage danach stetig größer. Immer mehr Menschen sehnen sich nach einer Auszeit inmitten der Natur. Die bekommen sie zwar auch in unseren Luxus-Hotels, doch die Baumhäuser sind eben etwas völlig anderes und ganz Besonderes. Wir haben inzwischen fünf weitere Parks dieser Art in Planung, und das Konzept wird sehr gut angenommen.
»Kann ich da mitkommen?« Mit ihren großen braunen Augen schaut Jane mich erwartungsvoll an.
»Ich hatte eigentlich gedacht, dass meine Assistentin dir in der Zeit schon mal alles zeigt. Was hältst du davon?« Ihre Anwesenheit bei diesem wichtigen Meeting würde mich mit Sicherheit nur aus dem Konzept bringen.
»Hört sich prima an! Bekomme ich einen eigenen Schreibtisch?«
»Na klar, was denkst du denn? Du kannst deinen Platz heute schon ein bisschen einrichten, wenn du magst. Und nach dem Termin kann ich mir freinehmen. Aber jetzt erzähl doch mal, wie war überhaupt dein Flug?«
Ich lehne mich zurück und lausche Janes Erzählungen von ihrem Abschied zu Hause und ihrer chaotischen Anreise bis hin zu dem Moment, als sie in der Tür stecken geblieben ist. Sie redet ohne Punkt und Komma, und ich kann ihre Aufregung förmlich spüren.
Wenig später sehe ich die Kellnerin mit unserem Essen kommen. »Dein Burger ist im Anflug«, sage ich zu Jane.
»Na endlich. Ich sterbe fast vor Hunger.« Sie strahlt, als sie ihren Teller entgegennimmt und beißt sofort beherzt in ihren Spicy Ranch. Im selben Moment flutscht auf der anderen Seite der halbe Belag heraus.
Ein lautes Lachen entweicht mir. »Jetzt weißt du, warum ich lieber nur ein Sandwich und Salat nehme.«
»Immerhin ist es bloß auf meinen Teller gefallen«, erwidert sie mit vollem Mund. Keine Sekunde später landet ein Stück Tomate auf ihrer Hose.
Ich kann nichts dafür, aber mein Lachen wird nur noch lauter. Immerhin stimmt sie mit ein und nimmt es mir nicht krumm.
Jane ist mit ihrer lockeren und ungezwungenen Art genau das Gegenteil von mir. Aber ich würde lügen, wenn ich behaupte, dass mir das nicht gefällt. Mich überkommt das Gefühl, dass mir mit Jane aufregende und vor allem lustige Zeiten bevorstehen.
***
Gegen fünfzehn Uhr verlassen wir gemeinsam das Büro. Jane wirkt fröhlich und entspannt, nachdem sie einen ersten Einblick in ihre neue Arbeit bekommen hat. Auch von Müdigkeit nach der Reise und den vielen Eindrücken entdecke ich bei ihr keine Spur.
»Also, was machen wir heute noch? Eine Stadtrundfahrt? Oder vielleicht aufs Empire State Building?«
»Erst einmal gehen wir nach Hause.« Mit dem Kopf deute ich in die Richtung, in die wir müssen.
»Moment mal, wir gehen zu Fuß?« Überrascht verharrt sie in der Bewegung.
»Dachtest du, ein Chauffeur fährt mich hin und her?«
»Das würde auf jeden Fall zu dir passen. Aber ich hätte wenigstens erwartet, in einem schicken Flitzer von dir durch die Stadt gefahren zu werden«, gibt sie kleinlaut zu.
»Es sind nur rund dreihundert Meter bis nach Hause. Da brauchst du zur Rushhour mit dem Wagen länger als zu Fuß. Los geht’s, bevor wir hier noch festfrieren.« Galant halte ich ihr meinen Arm hin.
Als sie sich bei mir unterhakt, merke ich allerdings, dass das ein Fehler war. Janes plötzliche Nähe bringt mich völlig aus dem Konzept. Glücklicherweise gelingt es mir, eine gelassene Miene aufzusetzen und mir nichts anmerken zu lassen.
»Willkommen in deinem neuen Zuhause«, sage ich mit einer ausladenden Geste auf unsere Wohnanlage.
Jane schaut mit großen Augen an dem mit weißem Sandstein verkleideten Gebäude empor. »Hier wohnst du? Direkt am Central Park? Wie viele Stockwerke hat das Ding bitte schön?«
»Fünfunddreißig. Aber wir wohnen nicht im Tower, sondern im vorderen Teil. Der hat nur neunzehn Stockwerke.«
»Nur ist gut.« Sie starrt weiterhin fasziniert auf das Bauwerk.
»Lass uns raufgehen. Die Aussicht wird dir gefallen.« Innerlich hoffe ich darauf, dass sie sich von all dem Luxus nicht erschlagen fühlt. Das Penthouse steht mit Sicherheit in absolutem Kontrast zu ihrer Wohnung in Stowe.
Schon als wir an Aaron Grubber, unserem Portier, grüßend vorbeilaufen, wirkt Jane leicht eingeschüchtert. »So was kenne ich nur aus Filmen«, raunt sie mir auf dem Weg zum Fahrstuhl zu.
»Wenn ich dir jetzt sage, dass wir hier im Haus nicht nur einen Pool, sondern auch noch ein Fitnessstudio, ein Kino und einen Hauskoch haben, macht es die Sache wahrscheinlich nicht besser, oder?« Gespannt und etwas nervös warte ich ihre Antwort ab.
»Ist das dein Ernst?«
»Wenn ich es dir doch sage.« Ich zucke mit den Schultern, auch wenn ich alles andere als gelassen bin. Aber die Sache mit dem Pokerface habe ich gut drauf. Als Geschäftsmann ist das unerlässlich. Und das kommt mir nun zugute.
Wenig später erklingt ein Bling, und die Fahrstuhltür öffnet sich. Nachdem ich aufgeschlossen habe, lasse ich Jane voraus in die Wohnung gehen.
Ich vernehme ein leises »Wow« und kann ihre Aufregung an ihrer Körperspannung erkennen. Jane steht völlig unter Strom.
Ohne etwas zu sagen, läuft sie drauflos, geradewegs in den Wohnraum und auf die große Glasfront zu.
Ich folge ihr mit etwas Abstand. »Hat es dir die Sprache verschlagen? Ich hätte nicht gedacht, dass dieser Zustand jemals eintreten würde«, scherze ich.
Sie wirbelt zu mir herum und strahlt mich an. »Ben, das … das ist einfach gigantisch. Also, ich wusste ja, dass ihr Geld habt, aber dass ihr so stinkreich seid …« Sie lacht zwar, aber ich merke ihr an, dass sie verunsichert ist.
»Na ja, die Hotelkette läuft nun mal ziemlich gut.« Verlegen ziehe ich die Schultern hoch. Einen Moment lang herrscht ein unangenehmes Schweigen. »Äh … also, wenn du magst, zeige ich dir, wo du schlafen kannst.«
Sie nickt eifrig und folgt mir dann durch die Wohnung. Ich deute auf den Raum, der direkt neben dem Wohnzimmer liegt. »Hier schlafe ich. Ich bin in diesen Raum umgezogen, nachdem mein Vater …« Ich räuspere mich. »Seit ich alleine hier lebe.«
Bei dem Gedanken an meinen Dad zieht sich mein Magen krampfartig zusammen. Inzwischen sind fast eineinhalb Jahre vergangen, seit er seiner Krankheit erlag, und es geht mir nach wie vor sehr nahe.
Als ich Janes zarte Hand auf meinem Arm spüre, gewinne ich meine Fassung wieder. »Auf jeden Fall kannst du zwischen dem Gästezimmer und meinem alten Zimmer wählen. Nur das von Hazel steht nicht zur Auswahl. Sie besteht darauf, dass ihr Zimmer so bleibt, wie es ist. Obwohl sie immer seltener nach New York kommt, seit sie mit Nathan zusammen ist. Aber das weißt du ja selbst.«
Jane erkundet die beiden Räume und läuft mehrmals von einem zum anderen, bis sie schließlich ihre Entscheidung gefällt hat. »Ich nehme das hier!«
In einem solch krassen Penthouse wohnen zu dürfen, war die Reise nach New York mehr als wert. Ich kann immer noch nicht fassen, dass Ben hier lebt. Und vor allem verstehe ich nicht, wie Hazel diesen Luxus verlassen konnte, um in unser kleines verschlafenes Nest zu ziehen. Auch wenn sie dort noch nicht offiziell wohnt, spätestens nach der Hochzeit mit meinem Bruder wird sie das. Davon bin ich überzeugt.
Der Raum, den ich ausgewählt habe, hat zuvor Ben gehört. Ein Bad schließt direkt daran an, und es ist geräumiger als jedes Hotelzimmer. Der Kleiderschrank ist riesig, aber meine Koffer mag ich jetzt noch nicht auspacken. Ich bin viel zu aufgedreht und will einfach raus in die Stadt.
Daher betrete ich schon wenige Minuten später den Wohnraum. Ben sitzt auf einem Sessel mit einem Tablet in der Hand, auf dem er sich irgendetwas anschaut. Seinen Anzug hat er gegen eine Jeans und einen dunkelroten Hoodie eingetauscht, dadurch wirkt er wie ein anderer Mensch. Das hier ist der Freizeit-Ben, deutlich nahbarer und nicht so verboten sexy. Bei dem Gedanken erschrecke ich mich über mich selbst. Er ist mein neuer Boss und in einigen Monaten Teil meiner Familie, wenn sich seine Schwester und mein Bruder das Ja-Wort gegeben haben.
Als er mich bemerkt, sieht er auf. »Brauchst du noch irgendwas?«
»Ja, und zwar Action. Ich will raus. Den ganzen Flug über habe ich mich darauf gefreut, New York kennenzulernen.«
Schmunzelnd betrachtet er mich. »Du hast deine Koffer schon ausgepackt?«
»Nein, das kann warten. Zeig mir die Stadt.«
Sein Blick ruht auf mir, eine Augenbraue zieht er dabei nach oben.
»Muss ich betteln? Wenn du das willst, dann falle ich auch auf die Knie. Oder ich gehe allein. Aber dann verlaufe ich mich bestimmt.« Ich zucke mit den Schultern. »Könnte passieren. Im Wald komme ich zurecht, aber hier? Na ja, zur Not kann ich einfach irgendwelche Leute nach dem Weg fragen, oder?«
»Bloß nicht!« Mit einem Ruck erhebt sich Ben. »Ich komme mit. Und sprich nicht willkürlich Leute an. Versprich mir das!« Er wirkt geradezu besorgt.
Entschuldigend hebe ich die Arme. »War nur so ein Gedanke. In Stowe sind die Menschen sehr hilfsbereit. Du klingst so, als würde man hier an jeder Ecke einen Serienkiller treffen.«
Darauf antwortet er nicht. Ein leichtes Zucken am Mundwinkel und dieser ernste Blick reichen aus, um lesen zu können, was er denkt.
»Gibt es hier etwa an jeder Ecke Mörder?« Mit aufgerissenen Augen starre ich ihn an.
»Du siehst wohl überall Bösewichte. Mach dir keine Sorgen.« Er bleibt vollkommen ruhig. »Die findet man für gewöhnlich nur an jeder zweiten Ecke. Und jetzt komm. Ich zeige dir den Times Square.«
Ben kann also auch witzig sein. Anerkennend nicke ich, das gefällt mir. Obwohl ich mir bei ihm nicht zu hundert Prozent sicher bin, ob es wirklich ein Scherz war.
***
Das Wetter spielt leider nicht so mit. Es ist immer noch bewölkt, und überall sind Pfützen von dem Regenschauer am Vormittag. »Gehen wir wieder zu Fuß?«, frage ich mit Blick in den Himmel.
»Es ist zwar nicht so weit, aber ich traue dem Wetter heute nicht. Und weil du ja ohnehin das authentische New Yorker Stadtleben kennenlernen willst, nehmen wir die U-Bahn.« Ben deutet an mir vorbei. »Bis zur Station sind es nur ein paar Schritte.« Dieses Mal bietet er mir nicht seinen Arm an, sondern wirkt etwas distanzierter. Er ist immer korrekt, strukturiert und umsichtig, was nicht unbedingt falsch ist. Das hilft ihm gewiss in seinem Job.
Selbst bin ich da eher die chaotische Bauchentscheiderin und unsicher, wohin es uns bringen wird, dass wir so vollkommen verschieden sind. Ich mag Ben, aber vielleicht geht mir seine Art auch irgendwann total auf die Nerven? Oder ich treibe ihn mit meinen impulsiven Entscheidungen in den Wahnsinn.
Ich beschließe, mich heute mal ein wenig zusammenzureißen und bleibe am Columbus Circle nur ganz kurz an der riesigen Weltkugel stehen, die vor einem der imposanten Hochhäuser steht. Ben hat einen zügigen Schritt drauf, den eines typischen Städters, und ist bereits an der Treppe, die nach unten führt. Schnell folge ich ihm hinunter zur U-Bahn. Später kann ich mich schließlich noch genauer umschauen. Jetzt geht es erst einmal zum Times Square.
Ein muffiger Geruch kommt uns entgegen. Aus der Tiefe des unterirdischen Gebäudes höre ich quietschende Bremsen. Ben zieht uns ein Ticket an einem der Automaten, und wir passieren das Drehkreuz. Auf dem Weg zum Bahngleis kommen uns viele Leute entgegen, sodass ich ihnen im Slalom ausweichen muss und dabei Ben beinahe aus den Augen verliere. Unten an der Treppe wartet er zum Glück auf mich.
»So viele fremde Menschen habe ich noch nie auf einmal gesehen«, sage ich fast überzeugend scherzhaft, spüre dabei aber mein Herz hämmern, dem diese Flut fast schon zu viel war. Am liebsten würde ich Bens Hand nehmen, um ihn nicht zu verlieren, doch hier unten am Bahngleis ist es deutlich ruhiger. Außerdem habe ich das Gefühl, dass es ihm etwas ausmachen würde, wenn ich ihm so nahe käme. Möglicherweise ist es auch nur meine Angst vor Ablehnung.
Noch bevor ich diesen Gedanken auseinandernehmen kann, kommt ein Schwall warmer Luft aus dem Tunnel, gefolgt von der nächsten U-Bahn. Wie die übrigen Leute, die hier warten, bleiben wir seitlich an der Bahntür stehen, bis die Aussteigenden an uns vorbeigekommen sind. Dann steigen wir ein. Die Bahn ist um diese Zeit ziemlich voll, weshalb wir keinen Sitzplatz bekommen, sondern im Gang stehen bleiben müssen. Ich weiß gar nicht, wohin ich zuerst schauen soll. Alles ist so anders als in Stowe. Jeder scheint in seiner eigenen Welt zu sein. Die meisten starren auf ihre Handys, keiner beachtet seinen Platznachbarn.
Als es losgeht, stolpere ich zur Seite und wedle unkontrolliert mit den Armen.
Lachend erwischt Ben einen davon. »Du solltest dich schon festhalten.« Mit einem Nicken deutet er auf die Halteschlaufen, die über unseren Köpfen angebracht sind. Seine linke Hand steckt in einer davon.
Ich angle ebenfalls nach einer Schlaufe und sehe ihn lieber nicht an. Die Hitze in meinen Wangen verrät, wie peinlich mir das schon wieder ist. Jeder sieht sofort, dass ich ein Tourist bin. Das muss doch nicht sein. Hoffentlich gewöhne ich mich schnell an das Großstadtleben.
Den Times Square habe ich mir irgendwie anders vorgestellt. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe, vielleicht einen riesigen Platz, ohne Autos? Stattdessen sind wir hier wirklich mitten in der Stadt. Die Werbetafeln sind riesig, und überall um uns herum flimmern Bilder. Mit offenem Mund schaue ich mich um und fühle mich beinahe erschlagen von den vielen Reizen, die hier auf mich einprasseln. Ich spüre geradezu den Stress der Menschen, die über die Straße eilen. Ein Glück, dass es nicht regnet, dann würde es bestimmt noch hektischer zugehen.
Bens Worte dringen durch den Straßenlärm an mein Ohr: »Was willst du heute noch machen?«
Langsam drehe ich mich um meine eigene Achse und schaue mich um. Es gibt so viele Möglichkeiten, und ich kann mich für keine davon entscheiden. »Was schlägst du vor?«
»Wir können gerne in eines der Musicals gehen. Oder ins Kino, einfach nur in eine Bar, Sightseeing wie Empire State Building?« Seine Aufzählung hilft mir nicht weiter.
Schulterzuckend drehe ich mich zu ihm um und mustere ihn verstohlen. Er sieht gut mit seinem schicken Wintermantel aus, ich wirke neben ihm wie ein Mädchen vom Lande. »Ich habe keine Ahnung. Entscheide du!«
»Da du ja für längere Zeit hier bist, müssen wir nicht alles auf einmal machen. Wie wäre es mit etwas Ruhigem? Musical?«