Der kleine Lumpensammler - Margarete Lenk - E-Book

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Margarete Lenk

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Beschreibung

Es war einmal ein kleiner Knabe, der hieß Willi. Er wohnte in der großen Stadt New York, wo es so viele prachtvolle Häuser, reiche Kaufläden und herrliche Lustgärten gibt ...

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Margarete Lenk

Der kleine Lumpensammler

Erzählung

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Der kleine Lumpensammler

Es war einmal ein kleiner Knabe, der hieß Willi. Er wohnte in der großen Stadt New York, wo es so viele prachtvolle Häuser, reiche Kaufläden und herrliche Lustgärten gibt.

Willi hatte aber von dem allen noch nichts gesehen, denn er wohnte in einem alten hässlichen Haus, das in einer engen Gasse stand. Ganz unten im Keller war eine große, große Stube mit schwarzen zerkratzten Wänden und schmutzigem Flur. Möbel waren fast gar nicht darin, nur ein wackliger Tisch und ein paar Bänke, und rings an den Wänden eine Menge ärmliche Strohlager und Matratzen mit zerrissenen Decken darüber.

Da wohnten viele arme Leute zusammen; sie gingen frühzeitig fort, um irgendwo ihr Brot zu verdienen, und kamen abends zurück, um sich todmüde zur Ruhe zu legen.

Eins der Strohlager gehörte Willis Tante, daneben stand eine alte Kiste mit einigen Kleidern darin; dieser Winkel war seine Heimat.

Vater und Mutter hatte er nie gekannt, er war immer bei der Tante gewesen. Früh am Morgen gab sie ihm ein Stück Brot und hing ihm einen Sack über die Schulter, dann ging sie fort, er wusste nicht wohin.

Er aber lief den ganzen Tag durch die Straßen und las alles auf, was er fand: Lumpen, Papierschnitzel, Holzstückchen, Knochen und Kohlen, auch Abfälle von Gemüse und Obst. Das steckte er alles in seinen Sack, und abends schüttete es die Tante aus und sortierte es.

Wenn er viel gefunden hatte, gab sie ihm wieder zu essen; war es aber zu wenig, so musste er hungrig, oft unter Scheltworten und Schlägen, in sein Strohlager kriechen.

Hungerte ihn des Tages, so bettelte er manchmal in einem Bäckerladen oder in einer Marktbude; aber er tat es nicht gern, denn er war scheu und furchtsam.

Nur im kältesten Winter durfte er manchmal zu Hause bleiben; dann ward ihm aber die Zeit sehr lang, denn er hatte noch nie ein Spielzeug oder ein Buch gehabt.

Das Letztere hätte ihm freilich auch nichts genützt, denn obgleich er schon acht Jahre alt war, kannte er noch keinen Buchstaben; niemand hatte ihn jemals das Geringste gelehrt.

Er war sehr klein und schwächlich, hatte aber große, klare, blaue Augen und ein hübsches Gesichtchen — nur war es fast mit Schmutz überzogen und die schönen blonden Haare hingen wirr und ungekämmt über seine Stirn.

Solange er sehr klein war, freute er sich, wenn sein Sack bis abends voll wurde und die Tante ihm ein recht großes Stück Brot gab, manchmal sogar Sirup darauf und einen Trunk Bier dazu. Dann legte er sich zum Schlafen und dachte an weiter nichts.

Seit einiger Zeit aber war es anders geworden. Er sah auf seinen Wanderungen so vieles, was er nicht verstand; das weckte allerlei Gedanken in seinem armen kleinen Kopf.

Er sah sauber gekleidete Kinder an der Hand der Eltern einhergehen und wunderte sich, dass er immer so allein sein musste, immer zerlumpt und schmutzig.

Er sah die Schrift auf den Türschildern, er sammelte viele, viele bedruckte Papiere und hätte so gerne gewusst, was die kleinen seltsamen Zeichen darauf zu bedeuten hatten.

Oft, wenn er ermüdet im Schatten eines Torwegs oder unter einem Baum an der Straße ausruhte, sah er zum Himmel empor. Wie hell schien die Sonne, wie heiß brannte sie! Wer mochte dies große Licht nur so hoch oben angezündet haben? Und der Mond und die Sterne, wo kamen die wohl her? Er liebte sie so sehr, denn wenn sie kamen, war ja der mühevolle Tag vorbei und er durfte bald schlafen gehen.

Dann kam immer wieder ein Tag, den sie Sonntag nannten, und doch sah er da die Sonne am wenigsten, denn er durfte nicht mit seinem Sack auf die Straße. Es war sein schlimmster Tag, denn die Tante ließ ihn dann oft ganz allein und vergaß sogar manchmal, ihm Brot dazulassen.

Dann lag er den ganzen Tag auf seinem elenden Bett und schlief, soviel er konnte.

Manchmal stand das Fenster der Kellerstube offen, dann hörte er von ferne die Glocken läuten, und hätte gar so gerne gewusst, was das bedeuten solle.

Einmal hatte er die Tante gefragt, was doch der Sonntag sei, sie hatte ihm aber geantwortet, das gehe ihn nichts an; er solle nur seinen Sack voll sammeln und sich sonst um nichts kümmern.

Auch die rohen Männer und Frauen, die mit in der Stube wohnten, konnte er nicht fragen; sie lachten ihn ja nur aus und stießen ihn herum, denn er war überall im Wege.

An einem schönen Sommermorgen lenkte Willi seine Schritte einem großen Markte zu, wo er immer am meisten fand, was in seinen Sack passte.

Es war nicht ein Marktplatz wie bei uns, sondern eine weite Halle, worin die Fleischer und Fischhändler ihre Waren aufboten.

Ringsherum waren die offenen Verkaufsstände der Obst- und Gemüsehändler. Da fiel für Willis hungrigen Magen oft etwas ab, denn manche Birne, manche Rübe oder Gurke wurde weggeworfen, die er noch mit Begierde verzehrte. Einmal hatte ihm sogar ein Fleischer ein warmes Würstchen geschenkt; das war das Beste, was er jemals gegessen hatte.

Heute ging es besonders lebhaft zu, denn es war die Zeit der Pfirsichernte, und viele hundert Körbe voll der köstlichen Früchte wurden abgeladen und zum Verkauf geordnet.

Ein ärmlich, aber sauber gekleidetes Mädchen von etwa zwölf Jahren bahnte sich den Weg durch das Gedränge. Sie trug vor sich einen flachen Korb, der an einem Bande um ihren Hals hing. Darin waren allerlei Sachen, die sie auf den Straßen zum Verkauf aufbot: Stecknadeln, Zwirn und Band, kleine Kämme, bunte Seife und viele kleine Schachteln mit Pomade und Stiefelwichse.

Da kam ein Mann über den Weg, schwer beladen mit Pfirsichkörben; er stieß so heftig gegen die Kleine, dass sie samt ihrem Korbe zu Boden stürzte.