Hänschens Badereise - Margarete Lenk - E-Book

Hänschens Badereise E-Book

Margarete Lenk

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Beschreibung

In einer großen deutschen Stadt wohnte vor gar nicht langer Zeit ein junger Doktor, der für seinen Beruf so begeistert war, dass er am liebsten die ganze Welt gesund gemacht hätte. Er hatte auch wirklich sehr viel gelernt; doch konnten das die Leute nicht wissen ...

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Margarete Lenk

Hänschens Badereise

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Hänschens Badereise

In einer großen deutschen Stadt wohnte vor gar nicht langer Zeit ein junger Doktor, der für seinen Beruf so begeistert war, dass er am liebsten die ganze Welt gesund gemacht hätte. Er hatte auch wirklich sehr viel gelernt; doch konnten das die Leute nicht wissen.

Weil er arm und sein Empfangszimmer drei Treppen hoch gelegen und sehr einfach eingerichtet war, kamen nur wenig reiche und vornehme Leute zu ihm.

Desto schneller fanden die Armen den Weg zu dem freundlichen, leutseligen Manne, sodass seine Kundschaft besonders in Dachstuben und Kellerwohnungen zu finden war.

Schätze konnte er dabei freilich nicht sammeln; wenn ihm aber ein Kind, das wochenlang in düsterer Kammer krank gelegen hatte, wieder munter entgegensprang, oder ein Hausvater, den er von einem schmerzvollen Übel geheilt hatte, ihm dankbar die Hand drückte, dünkte er sich gar reich und glücklich.

An einem der ersten milden Frühlingstage im Monat März ging der Doktor eilig durch eine Straße, die er bisher nur selten betreten hatte.

Der warme Sonnenschein hatte das Kindervolk aus den Häusern gelockt. Mit viel Geschrei und großem Eifer ließen die kleinen Jungen ihre Kreisel tanzen, denn das ist das erste Spiel, das in Deutschland zur Frühlingszeit getrieben wird.

Die Mägdlein fuhren in kleinen Wagen ihre Püppchen spazieren oder warfen einander bunte Bälle zu.

Der Doktor ergötzte sich an der harmlosen Fröhlichkeit der Kinder, bis sein Blick auf das halbgeöffnete Küchenfenster eines großen Hauses fiel.

Ein Sonnenstrahl vergoldete eben das blonde Köpfchen eines Knaben, der dort unten an dem kleinen, auf einem Tritt erhöhten Tischchen saß und eifrig auf der Schiefertafel malte.

‚Das Kind sollte nicht da unten stecken bei so schönem Wetter‘, dachte der Arzt, eilte aber weiter, da er zu einem schwer verunglückten Arbeiter gerufen worden war.

Täglich lief er nun denselben Weg, und immer saß das blonde Kind in der Kellerstube, mit Steinchen, Holzklötzchen und zerbrochenen Bleisoldaten spielend oder an der Tafel zeichnend.

Warm und sonnig war nun der Frühling eingezogen; warum steckte das Kind immer da unten? Der Doktor musste es wissen!

„Kleiner“, rief er endlich, sich zu der Fensteröffnung bückend, „komm doch heraus!“

Da wandte sich das Köpfchen, und der Blick der herrlichen, ernsten, blauen Augen traf das Herz des guten Mannes. Wie Sterne leuchteten sie unter den langen, dunklen Wimpern hervor, das schmale, blasse, träumerische Gesichtchen verklärend. „Ich kann nicht“, sprach ein helles Stimmchen.

„Bist du krank?“

„Ich nicht, bloß meine Beine.“

„Ich will hereinkommen und mit deiner Mutter sprechen.“

„Die ist aus zum Waschen.“

„Und der Vater?“

„Der ist aus zum Schornsteinfegen.“

„Bist du denn immer allein?“

„O nein; Karl und Anna und Fritz kommen bald aus der Schule.“

„Wie heißt du denn?“

„Hänschen.“

„Hast du denn was zu essen?“

„O genug“, rief der Kleine errötend, „ganz genug! Mutterle bringt mir auch oft was Gutes mit, was sie bei den Leuten bekommt.“

„Bist du noch nie gelaufen?“

„O sehr oft, ehe ich’s Scharlachfieber hatte.“

„Wie alt bist du denn?“

„Sieben.“

Sieben Jahre! Der Doktor hätte ihn kaum für fünf gehalten. Nachdenklich ging er fort. Dem lieben Kinde musste geholfen werden!

Gern hätte er gleich heute die Eltern des Kleinen besucht, fürchtete aber, die Mutter in Seifenschaum und den Vater in Russ gehüllt zu finden. Darum gab er am nächsten Sonntag den Spaziergang mit einem Freund auf und lenkte seine Schritte gegen Abend nach Hänschens Kellerfenster.

Da bot sich ihm auf dem Fußweg ein freundlicher Anblick. Sein kleiner Freund kam ihm entgegen, auf den Schultern eines großen, starken Mannes reitend, dem man heute sein schwarzes Handwerk kaum ansah.

Lustig umhüpften ihn die Geschwister, während die Mutter im sauberen, steifgestärkten Kattunkleid auf den Stufen vor der Haustür saß, wehmütig den Fröhlichen zuschauend.

Hänschen lachte, zeigte mit dem Fingerchen auf den Doktor und rief:

„Das ist der Mann, der dachte, ich hätte nichts zu essen.“

So freundlich, leutselig und kinderlieb war der Doktor, dass man ihn nötigte, mit hinunter ins heute sehr saubere Stübchen zu kommen und das Bild zu bewundern, das Hänschen auf der Tafel gemalt hatte.

Es war ein Bild seiner drei Geschwister, die dazu eine volle halbe Stunde mäuschenstill vor ihm gesessen hatten. Es war wirklich eine Ähnlichkeit zu finden in Karls lachendem Munde, in Annas Stupsnäschen und Fritzchens Kraushaar. Jedenfalls sollte es auf Papier abgezeichnet und der fernwohnenden Großmutter geschickt werden.

Der Doktor war viel zu klug gewesen, gleich seinen Stand zu verraten, tat es aber endlich doch und bat um Erlaubnis, die Beinchen des kleinen Freundes zu untersuchen.

Da ward aber der Schornsteinfeger, der sonst ein gar milder Mann war, ganz aufgebracht, umschlang sein Söhnchen mit starkem Arm und rief:

„Da wird nichts draus! Vor drei Jahren hat der Armenarzt das Jungel gequält, dass man’s kaum mit ansehen konnte. Gestreckt, gezogen und gebogen an den armen Beinchen, und noch dazu geschimpft, wenn das Würmchen schrie! Nein, quälen soll es niemand mehr; es bleibt ja doch lahm sein Leben lang.

Schwach und elend ist’s und wird kaum alt werden“, flüsterte er dem Doktor noch leise zu.

Dennoch hatte es die Mutter gehört und barg eine Weile das Gesicht in der Schürze.

„Aber ich habe Kinder so lieb“, fuhr der Doktor fort; „dürfte ich wohl im Vorbeigehen Hänschen manchmal besuchen, ihm ein Bilderbuch leihen oder eine Geschichte erzählen?“

Bei dem Wort „Bilderbuch“ strahlten des Kindes Augen, und er flüsterte dem Vater zu:

„O sage ja!“ Bitte, bitte, sage ja!“

Was blieb dem Schornsteinfeger übrig, als ja zu sagen? Man verriet dem Doktor den Platz, wo der Stubenschlüssel versteckt war, wenn Hänschen allein war; und o, wie leuchteten die schönen Augen, wenn der Doktor eintrat!

Er brachte Bilderbücher und erzählte herrliche Geschichten. Er sprach von Vögeln und Blumen, von Bergen und Wäldern, von Seen und Flüssen, auf denen Schifflein mit weißen Segeln schwammen.

So weckte er allmählich in des Kindes Herzen die Sehnsucht, einmal herauszukommen aus der Kellerstube und der engen Straße, um etwas von Gottes schöner Welt zu sehen.

Zuweilen besah und befühlte er auch Hänschens Beinchen und horchte an seiner kleinen Brust. Da er ihm aber nie weh tat, vergaß es der Kleine bald wieder und sprach nie davon zu seinen Eltern. Er sagte ihnen auch nicht, dass er oft sehnsüchtig lauschte, wenn die Kinder draußen so munter spielten, ja dass ihm oft heiße Tränen übers bleiche Gesichtchen liefen, wenn er bedachte, dass er nie, nie etwas von der herrlichen Gotteswelt sehen sollte.