Der letzte Bus nach Woodstock - Colin Dexter - E-Book
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Der letzte Bus nach Woodstock E-Book

Colin Dexter

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Beschreibung

Das kleine englische Städtchen Woodstock ist stolz auf seine historischen Gebäude und die edlen Pubs, in denen angeblich schon die frühen Royals zu Gast waren. Kaum einer erliegt nicht dem Charme von altehrwürdigen Mauern und schicken Hotels. Doch die heile Fassade bekommt deutliche Risse, als im dunklen Hinterhof des Black Prince die Leiche einer jungen Frau gefunden wird. Alles deutet auf einen Sexualmord hin. Inspector Morse wird auf den Fall angesetzt und entwickelt eine brillante Theorie nach der anderen – doch die Wahrheit scheint sich ihm immer wieder zu entziehen.

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Über dieses Buch

Die Fassade des altehrwürdigen englischen Städtchens Woodstock bekommt deutliche Risse, als im Hinterhof des edlen Pubs Black Prince die Leiche einer jungen Frau gefunden wird. Alles deutet auf einen Sexualmord hin. Inspector Morse entwickelt eine brillante Theorie nach der anderen – doch die Wahrheit scheint sich ihm immer wieder zu entziehen.

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Colin Dexter (1930-2017) studierte Klassische Altertumswissenschaft. Er ist der Schöpfer der vierzehnteiligen Krimireihe um Inspector Morse. Für sein Lebenswerk wurde er mit dem CWA Diamond Dagger und dem Order of the British Empire für Verdienste um die Literatur ausgezeichnet.

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Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Colin Dexter

Der letzte Bus nach Woodstock

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Marie S. Hammer

Ein Fall für Inspector Morse 1

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

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Impressum

Dieses E-Book enthält als Bonusmaterial im Anhang 1 Dokument

Die englische Originalausgabe erschien 1975 bei Macmillan, London.

Die deutsche Erstausgabe erschien 1985 im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek.

Für die vorliegende Ausgabe hat Eva Berié die deutsche Übersetzung nach dem Original überarbeitet.

Originaltitel: Last Bus to Woodstock

© by Macmillan, an imprint of Pan Macmillan, a division of Macmillan Publishers International Limited 1975

Übernahme der Übersetzung mit freundlicher Genehmigung des Rowohlt Verlags, Reinbek

© by Unionsverlag, Zürich 2022

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: 500px (Alamy Stock Photo)

Umschlaggestaltung: Sven Schrape und Peter Löffelholz

ISBN 978-3-293-31025-4

Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte

Produziert mit der Software transpect (le-tex, Leipzig)

Version vom 03.06.2022, 12:18h

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Über dieses Buch

Titelseite

Impressum

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Inhaltsverzeichnis

DER LETZTE BUS NACH WOODSTOCK

VorspielTeil eins — Ein Mädchen wird gesucht1 – Mittwoch, 29. September2 – Mittwoch, 29. September3 – Donnerstag, 30. September4 – Freitag, 1. Oktober5 – Freitag, 1. Oktober6 – Samstag, 2. Oktober7 – Samstag, 2. Oktober8 – Samstag, 2. Oktober9 – Sonntag, 3. Oktober10 – Mittwoch, 6. OktoberTeil zwei — Ein Mann wird gesucht11 – Mittwoch, 6. Oktober12 – Mittwoch, 6. Oktober, und Donnerstag, 7. Oktober13 – Samstag, 9. Oktober14 – Samstag, 9. Oktober15 – Montag, 11. Oktober16 – Dienstag, 12. Oktober17 – Mittwoch, 13. Oktober18 – Mittwoch, 13. Oktober19 – Donnerstag, 14. Oktober20 – Freitag, 15. Oktober21 – Freitag, 15. OktoberTeil drei — Der Mörder wird gesucht22 – Sonntag, 17. Oktober23 – Montag, 18. Oktober24 – Montag, 18. Oktober25 – Dienstag, 19. Oktober26 – Dienstag, 19. Oktober27 – Donnerstag, 21., und Freitag, 22. Oktober28 – Freitag, 22. Oktober29 – Freitag, 22. Oktober30 – Samstag, 23. Oktober31 – Montag, 25. OktoberEpilog

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Über Colin Dexter

Colin Dexter: »Ich liebe es, von einem Krimi an der Nase herumgeführt zu werden.«

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Vorspiel

Lass uns doch noch einen Moment warten«, sagte das Mädchen in der dunkelblauen Hose und dem hellen Sommermantel. »Es muss ja gleich einer kommen.«

Offenbar war sie sich jedoch nicht ganz sicher, denn sie begann erneut, den Busfahrplan zu studieren. Der Umgang mit Zahlenkolonnen und Chiffren war ihr schon immer schwergefallen. Zögernd fuhr sie mit dem Zeigefinger ihrer linken Hand eine Waagerechte nach, ihr anderer Zeigefinger bewegte sich unsicher in senkrechter Richtung. Es sah nicht danach aus, als würden ihre Bemühungen in absehbarer Zeit zu einem Erfolg führen. Das Mädchen neben ihr trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen und sagte: »Von mir aus mach, was du willst …«

»Nur eine Minute noch. Ich habs gleich.« Sie starrte angestrengt auf den Fahrplan. 4, 4A (nicht nach 18 Uhr), 4E, 4X (nur samstags). Heute war Mittwoch. Das hieß …

»Du kannst mir mit deinem Bus gestohlen bleiben. Ich trampe.« Höflichkeit gehörte nicht gerade zu Sylvias Tugenden. Sie könnte sich ruhig mal einen anderen Ton angewöhnen.

Wie spät war es jetzt? Viertel vor sieben, das entspräche 18.45 Uhr. Sie kam der Sache allmählich näher.

»Nun mach schon! Wir kriegen bestimmt gleich ein Auto. Die meisten Typen halten doch sofort, wenn ’ne Frau dasteht.«

So wie Sylvia aussah, schien ihr Optimismus nicht unbegründet. Die langen Beine unter dem knappen Minirock würden auf empfängliche Autofahrer ihren Eindruck nicht verfehlen.

Einen Augenblick lang herrschte zwischen den beiden Mädchen ein fast feindseliges Schweigen.

Eine ältere Frau kam langsam die Straße herauf. Ein paar Mal hielt sie im Gehen inne, wandte sich halb um und sah die sich in der Dämmerung verlierende Straße hinunter, die ins Zentrum von Oxford führte. Einige Schritte von den Mädchen entfernt blieb sie stehen und setzte ihre Einkaufstasche ab.

»Entschuldigen Sie bitte«, sagte das Mädchen, das sich mit dem Fahrplan herumgeplagt hatte, »können Sie uns sagen, wann der nächste Bus kommt?«

»In ein paar Minuten müsste einer hier sein, Liebes.«

»Geht er bis Woodstock?«

»Nein, das glaube ich nicht, er fährt nur bis Yarnton und dann wieder zurück.«

»Oh.« Das Mädchen machte ein paar Schritte auf die Fahrbahn, reckte den Hals und kehrte wieder an den Straßenrand zurück, als ein Pulk Autos sich näherte. Die ersten Fahrer hatten schon ihr Standlicht eingeschaltet. Noch immer war kein Bus in Sicht, und das Mädchen wurde zunehmend unruhiger.

»Wird schon gut gehen«, sagte Sylvia mit einem leicht genervten Unterton in der Stimme. »Morgen früh werden wir darüber lachen.«

Ein Auto. Und noch eins. Dann wieder die abendliche Stille.

»Mir reichts. Ich hau jetzt ab.« Das zurückbleibende Mädchen sah Sylvia nach, wie sie entschlossen auf die große Kreuzung, ungefähr zweihundert Meter die Straße hinauf, zuschritt. Es war eine günstige Stelle zum Trampen, weil die Fahrer vor dem Kreisverkehr mit der Geschwindigkeit heruntergehen mussten.

Dann hatte sie sich entschieden. »Sylvia, warte!« Sie hielt mit einer Hand ihren Sommermantel oben zusammen und lief dem anderen Mädchen ungelenk hinterher. Die Frau harrte an der Haltestelle aus. Es hatte sich doch vieles geändert, seit sie jung gewesen war, dachte sie.

Mrs Mabel Jarman musste nicht lange warten. Sie freute sich, gleich zu Hause zu sein. Als sie später aufgefordert wurde, sich zu erinnern, konnte sie das Mädchen, das Sylvia hieß, ziemlich genau beschreiben: das lange blonde Haar, ihre unbekümmerte Sinnlichkeit. Das zweite Mädchen hatte sich ihrem Gedächtnis nicht so gut eingeprägt. Ein heller Mantel, eine dunkle Hose – aber welche Farbe nun genau? Das Haar – hellbraun? »Bitte überlegen Sie, Mrs Jarman. Für uns kann jedes Detail wichtig sein …« Sie sah den vorbeifahrenden Autos nach. Ein schwerer, polternder Sattelschlepper fiel ihr auf. Er transportierte eine schier unglaubliche Anzahl neuer Autokarosserien. Männer? Männer, die allein fuhren? Sie würde versuchen, sich alles wieder so genau wie möglich ins Gedächtnis zu rufen. Ja, in manchen Wagen hatte nur der Fahrer gesessen. Sie war sich dessen ganz sicher.

Um zehn vor sieben wurde in einiger Entfernung ein verschwommenes rosa Rechteck sichtbar, das allmählich feste Konturen annahm. Der rote Bus der Städtischen Verkehrsbetriebe schob sich langsam von Haltestelle zu Haltestelle näher, und sie nahm ihre Einkaufstasche auf. Nicht lange, und die großen Buchstaben über der Frontscheibe waren zu erkennen. Was stand dort? Sie kniff die Augen zusammen: WOODSTOCK. Ach Gott, da hatte sie eben dem Mädchen, das sich so höflich nach dem nächsten Bus erkundigt hatte, eine falsche Auskunft gegeben. Aber wohl nur halb so schlimm. Vermutlich saßen sie jetzt bereits in einem Auto. Falls nicht, so würden sie den Bus sehen und an der nächsten oder übernächsten Haltestelle zusteigen. »Wie lange waren die beiden weg, als der Bus kam, Mrs Jarman?«

Sie trat einen Schritt zurück, und der Bus nach Woodstock fuhr ohne zu halten durch. Er war kaum außer Sicht, als sie einen zweiten herankommen sah. Das musste ihrer sein. Sie gab ein Handzeichen, und der doppelstöckige Bus fuhr an die Haltestelle. Zwei Minuten nach sieben war sie zu Hause.

Sie war Witwe und lebte, seit ihre beiden Kinder geheiratet hatten, allein. Obwohl ihr Haus – die Hälfte eines Doppelhauses – eher bescheiden war, empfand sie doch tiefen Besitzerstolz. Die Einsamkeit bot auch Vorteile. Sie kochte sich eine reichliche Abendmahlzeit, wusch nach dem Essen ab und stellte den Fernseher an. Sie verstand nicht, warum so viele Leute am Programm etwas auszusetzen fanden. Ihr selbst gefiel alles mehr oder weniger, und manchmal bedauerte sie nur, dass sie nicht zwei Sendungen gleichzeitig sehen konnte. Nach den Nachrichten um zehn schaltete sie ab und ging zu Bett. Um halb elf lag sie in festem Schlaf.

Zur selben Zeit wurde auf einem Hof in Woodstock die Leiche eines jungen Mädchens gefunden. Es war brutal ermordet worden.

Teil eins

Ein Mädchen wird gesucht

1

Mittwoch, 29. September

Von der St. Giles Street im Herzen Oxfords verlaufen zwei Straßen parallel wie die Enden einer Stimmgabel nach Norden. Am Stadtrand kreuzen beide die viel befahrene Umgehungsstraße, auf der ein nicht abreißender Strom irrwitzig rasender Autofahrer an Oxford vorbeibraust. Der Verzicht auf die Reize der alten Universitätsstadt fällt ihnen wohl nicht allzu schwer. Die östliche der beiden Straßen fuhrt nach Banbury und dann weiter durch eine eher langweilige Gegend in das Industriegebiet der Midlands. Auf der Straße im Westen gelangt der Autofahrer nach ungefähr acht Meilen in das kleine Städtchen Woodstock und von dort aus, folgt er der Straße, schließlich nach Stratford-upon-Avon.

Die Fahrt von Oxford nach Woodstock ist nicht besonders abwechslungsreich, aber angenehm. Ausladende Rasenstreifen beiderseits der Straße vermitteln einen wohltuenden Eindruck von Weite, und nach nur wenigen Meilen, hinter dem Dorf Yarnton, ist sie zu einer Schnellstraße mit einem baumbestandenen Mittelstreifen ausgebaut, sodass der vorher sich nur träge hinschleppende Verkehr zügig am Flughafen vorbeigeführt wird. Etwa eine halbe Meile vor Woodstock erhebt sich auf der linken Seite eine graue Steinmauer, die östliche Begrenzung der ausgedehnten Parkanlagen von Blenheim Palace, dem imposanten Herrenhaus, das Queen Anne ihrem General John Churchill, dem Ersten Herzog von Marlborough, erbauen ließ. Hohe schmiedeeiserne Gitter markieren den Eingang zur Schlossauffahrt. Den ganzen Sommer über kommen die Touristen in Scharen hierher, um in der eindrucksvollen Pracht der großen Räume umherzuwandern. Sie stehen bewundernd vor den flämischen Wandteppichen, die an die siegreichen Schlachten von Malplaquet und Oudenaarde erinnern, und besichtigen den Raum, in dem ein späterer Abkömmling der Familie Churchill, der große Sir Winston, das Licht der Welt erblickt hat. Nicht weit von hier, auf dem Friedhof des Dorfes Bladon, der seither viel von seiner einstigen Ruhe eingebüßt hat, liegt er auch begraben.

Heute lebt Woodstock im Schatten von Blenheim Palace. Das war jedoch nicht immer so. Die soliden grauen Häuser, die die Hauptstraße säumen, haben ein ehrwürdigeres Alter als Schloss Blenheim, auch wenn die vielen, nach letztem Chic eingerichteten Geschenkboutiquen, Antiquitätengeschäfte und Souvenirläden, die jetzt dort untergebracht sind, dies vergessen lassen könnten. Schon immer bot Woodstock seinen Gästen ein breites Spektrum verschiedener Unterkunftsmöglichkeiten, und mehrere der Hotels und Gasthöfe, die sich entlang den Straßen behaglich aneinanderdrängen, blicken nicht nur stolz auf eine lange Tradition zurück, sondern können auch – schwarz auf gelbem Grund – vier oder sogar fünf der begehrten Sterne vorweisen, mit denen der britische Automobilclub Häuser der oberen Kategorie kennzeichnet.

Der Black Prince liegt, wenn man von Süden kommt, linker Hand auf halber Höhe in einer breiten Nebenstraße. Er kann sich keiner alten Herkunft rühmen, und der Name ist wohl kaum darauf zurückzuführen, dass der kampferprobte Sohn König Eduards III. jemals in einem seiner Räume gelacht, geweint, gezecht oder gehurt hätte. Die Wahl des Namens hatte denn auch tatsächlich einen prosaischen Hintergrund. Die Gesellschaft, die das Haus mit den dazugehörigen Nebengebäuden vor etwa zehn Jahren kaufte, folgte damit dem Vorschlag eines ihrer Direktoren, der in einem örtlichen Führer, dem es wohl nicht in erster Linie um historische Genauigkeit zu tun gewesen war, die Behauptung gefunden hatte, der Prinz sei in der Gegend geboren. Die anderen Direktoren hatten ihn zu seinem Erfolg versprechenden Einfall begeistert beglückwünscht, umso mehr, als man nach einem Blick ins Telefonbuch sicher sein konnte, dass der imageträchtige Name bisher noch nicht kommerziell genutzt wurde. So blieb es dabei. Die talentierte Tochter des ersten Geschäftsführers kopierte aus einem Kinderlexikon in gekonnt altertümlicher Schrift eine kurze, sehr romantische Darstellung des prinzlichen Lebens. Nach einer Viertelstunde bei 220 Grad im Backofen ihrer Mutter hatte das Papier jenen bräunlichen Farbton angenommen, den ein unbefangener Gast auf hohes Alter zurückführen mochte. Nun hing das Werk ordentlich gerahmt an gut sichtbarer Stelle in der Lounge Bar, und die Wappen der Oxforder Colleges, die säuberlich hintereinander an die niedrigen Balken genagelt worden waren, trugen ein Übriges dazu bei, dass der Raum so etwas wie Atmosphäre besaß.

Gaye arbeitete seit zweieinhalb Jahren hier. Die Anstrengungen der Geschäftsleitung, der Lounge Bar des Black Prince einen Hauch von Exklusivität zu geben, hatten Erfolg gehabt: Nur selten hatte sie es mit einer so gewöhnlichen Bestellung wie etwa »ein Pint von eurem besten Bitter« zu tun. Die junge Schickeria, die die Lounge Bar frequentierte, bevorzugte Wodka mit Limone, die amerikanischen Touristen verlangten Manhattan-Cocktails und die Universitätsleute aus Oxford tranken Gin-Martinis. Gaye kam den Bestellungen routiniert nach und griff mit traumwandlerischer Sicherheit nach den verschiedenen Flaschen, die verführerisch glitzernd und schimmernd hinter ihr aufgereiht standen. Der Boden der Lounge Bar war mit schweren Teppichen bedeckt, die Sessel und die Polsterbänke längs der Wände wirkten in ihrem warmen Orangeton anheimelnd. Der Raum lag in gedämpftes Licht getaucht, sodass ein Hell-dunkel-Effekt erzielt wurde, von dem man sich erhoffte, dass er dem Ganzen die Stimmung gewisser Rembrandt-Bilder verleihen würde. Gaye war eine attraktive junge Frau mit kastanienbraunen Haaren. An diesem Mittwochabend trug sie, wie immer untadelig gekleidet, einen schwarzen Hosenanzug und eine weiße Spitzenbluse. Die funkelnden Ringe an Mittel- und Ringfinger ihrer linken Hand bedeuteten eine sanfte, aber unmissverständliche Warnung an Möchtegern-Playboys, ihren Wünschen nicht die Zügel schießen zu lassen. Böse Zungen behaupteten indes, sie dienten ebenso sehr dazu, ehemüden Männern zu signalisieren, dass sie sich ein Abenteuer mit ihr etwas würden kosten lassen müssen. Sie war verheiratet gewesen, aber inzwischen geschieden und lebte mit ihrem kleinen Sohn und ihrer Mutter zusammen, die der diskreten Promiskuität ihrer Tochter mit Nachsicht begegnete. Das Kind hatte nach der missglückten Ehe mit diesem üblen Schwein etwas Abwechslung verdient. Gaye war sowohl mit ihrem Leben als geschiedene Frau wie auch mit der Arbeit sehr zufrieden und hatte vor, beides beizubehalten.

An diesem Abend war, wie immer mittwochs, viel los gewesen, und sie atmete ein bisschen auf, als es endlich kurz vor halb elf war und sie die Gäste darauf hinweisen konnte, dass sie jetzt ihre letzte Bestellung machen müssten. Ein junger Mann am Ende der Theke schob ihr sein Whiskyglas zu.

»Noch mal dasselbe.«

Gaye sah ihm etwas zweifelnd in die unruhigen Augen, sagte aber nichts. Sie drückte sein Glas unter den Portionierer der Whiskyflasche, setzte es dann vor ihn hin und hielt die rechte Hand auf, während sie mit der linken automatisch den Preis eintippte. Der junge Mann war offensichtlich betrunken. Er wühlte umständlich und nicht sehr methodisch in seinen Taschen nach dem passenden Kleingeld, zahlte, nahm einen Schluck von seinem Whisky und ließ sich vorsichtig vom Hocker gleiten. Einen Augenblick lang fixierte er angestrengt die Tür, bevor er erstaunlich geradlinig auf sie zusteuerte.

Auf dem Hof waren früher Pferdehufe über das Pflaster getrappelt. Um von dort auf die Straße zu gelangen, musste man einen schmalen Torbogen passieren. Über die Jahre hatte sich dieser Hof für den Black Prince als unschätzbarer Vorteil erwiesen. Die Pest der Bußgeldbescheide, der keiner entging, der die Park- und Halteverbote an den Straßen missachtete, hatte bewirkt, dass diese Verbote inzwischen, wenn auch widerwillig, respektiert wurden. Da es keine noch so abgelegene Straße zu geben schien, die von diesen Verboten ausgenommen war, konnte jedes Haus, das seinen Gästen einen privaten Parkplatz bieten konnte – Nur für Gäste. Benutzung auf eigene Gefahr –, mit regem Zuspruch rechnen. Auch an diesem Abend war der Hof wieder mit den unvermeidlichen Volvos und Rovers vollgepackt. Eine Lampe über dem Torbogen warf ein schwaches Licht auf die Einfahrt, der Rest lag im Dunkeln. Der junge Mann stolperte auf eine der hinteren Ecken zu. Er hatte sie noch nicht ganz erreicht, als er hinter dem letzten Wagen undeutlich etwas liegen sah. Er bückte sich und tastete danach. Das Grauen kroch ihm den Rücken hoch. Er erbrach sich unvermittelt und heftig gegen die Tür eines ausgedienten Stallgebäudes.

2

Mittwoch, 29. September

Der Geschäftsführer des Black Prince, Mr Stephen Westbrook, verständigte, nachdem er von der Entdeckung der Leiche erfahren hatte, umgehend die Polizei. Dort reagierte man mit lobenswerter Schnelligkeit. Sergeant Lewis von der Thames Valley Police gab ihm präzise Verhaltensmaßregeln. Ein Polizeiwagen werde innerhalb der nächsten zehn Minuten eintreffen, Westbrook solle darauf achten, dass keiner den Black Prince verlasse, niemand den Hof betrete. Falls ein Gast darauf bestehe zu gehen, solle er Namen und Adresse des Betreffenden notieren. Sollte jemand nachfragen, was das alles zu bedeuten habe, könne er wahrheitsgemäß antworten.

Es dauerte eine Zeit, bis es sich herumgesprochen hatte: Ein Mord war geschehen. Die aufgekratzte Stimmung verflog, das Stimmengewirr wurde gedämpfter. Niemand schien besonders eilig aufbrechen zu wollen, zwei oder drei Gäste baten darum, telefonieren zu dürfen. Alle fühlten sich auf einmal nüchtern, auch der blasse junge Mann im Büro des Geschäftsführers, dessen fast volles Whiskyglas noch immer auf der Theke der Lounge Bar stand.

Als Sergeant Lewis zusammen mit zwei Constables am Black Prince eintraf, sammelte sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite sogleich eine kleine Gruppe Neugieriger. Es wurde mit Interesse registriert, dass sich das Polizeifahrzeug direkt vor die Einfahrt gestellt hatte und sie auf diese Weise wirksam blockierte. Fünf Minuten später fuhr ein zweiter Polizeiwagen vor. Alle Augen folgten dem zierlichen, dunkelhaarigen Mann, der ausstieg, mit dem Constable an der Einfahrt ein paar Worte wechselte, mehrmals zustimmend mit dem Kopf nickte und dann im Black Prince verschwand.

Inspector Morse kannte Sergeant Lewis nur flüchtig und war angenehm überrascht von seiner Kompetenz und ruhigen Umsicht. Die beiden Männer hatten eine kurze, lebhafte Unterredung miteinander und waren sich dann über das weitere Vorgehen einig: Lewis würde mithilfe eines der beiden Constables Namen, Adressen und Autokennzeichen der Anwesenden notieren. Alle würden angeben müssen, wo sie sich den Abend über aufgehalten hatten und unter welcher Adresse sie in den nächsten Stunden zu erreichen sein würden. Es waren über fünfzig Personen zu befragen, und Morse war klar, dass dies längere Zeit in Anspruch nehmen würde.

»Soll ich versuchen, noch einige Leute zu Ihrer Unterstützung zu bekommen, Sergeant?«

»Ich glaube, der Constable und ich kommen schon klar.«

»Gut, dann lassen Sie uns anfangen.«

Der Hof ließ sich durch eine Seitentür von der Lounge Bar her betreten. Morse machte bedachtsam einige Schritte und sah sich um. Er zählte die dicht an dicht geparkten Autos und kam auf dreizehn. Es war allerdings gut möglich, dass er sich um eins oder zwei verzählt hatte, denn die etwas weiter hinten abgestellten Wagen verschwammen fast mit dem schwarzen Schatten der Hofmauer. Einen Augenblick sann er erstaunt darüber nach, mittels welcher außergewöhnlichen Fahrkünste es den Gästen des Black Prince gelingen mochte, ihre Fahrzeuge selbst noch in alkoholisiertem Zustand ohne Schrammen durch die enge Ausfahrt zu steuern. Langsam schritt er die Länge des Hofs ab und ließ dabei den Strahl seiner Taschenlampe systematisch über das Pflaster wandern. Der Fahrer des letzten Wagens in der linken Reihe hatte sich beim Rückwärtseinparken, wohl in der Annahme, es mit einer der üblichen schmalen Parklücken zu tun zu haben, dicht an das neben ihm stehende Auto gequetscht und dabei zwischen seiner Beifahrerseite und der Hofmauer fast einen Meter Platz gelassen. Ausgestreckt in diesem Zwischenraum lag die Leiche eines jungen Mädchens. Sie lag auf der rechten Seite, den Kopf fast im Winkel der Hofmauern, das lange blonde Haar blutverklebt. Ein Blick genügte, um zu erkennen, dass das Mädchen durch einen wuchtigen Schlag auf den Hinterkopf getötet worden war. Neben ihr auf dem Pflaster sah Morse ein schweres, flaches Montiereisen, wie es sich früher in jedem Autowerkzeug befunden hatte. Es war ungefähr vier Zentimeter breit und knapp einen halben Meter lang, mit einer wellenförmigen Krümmung an beiden Enden zum Abheben der Reifendecke. Seit die meisten Autos mit schlauchlosen Reifen fuhren, waren Montiereisen eine Seltenheit geworden. Morse stand ein paar Minuten in die Betrachtung der Ermordeten versunken. Es war ein hässlicher Anblick. Die Tote war nur mit dem Notwendigsten bekleidet. Eine weiße Bluse, ein knapper dunkelblauer Minirock, Schuhe mit Keilabsatz. Morse lenkte das Licht seiner Taschenlampe auf ihren Oberkörper. Die linke Hälfte der Bluse war zerrissen, die beiden oberen Knöpfe standen offen, der dritte Knopf fehlte, sodass ihre vollen Brüste fast ganz entblößt waren. Morse leuchtete suchend über das Pflaster. Er hatte den fehlenden Knopf schnell entdeckt – eine kleine weiße Perlmuttscheibe, die im Schein der Taschenlampe aufblinkte. Wie er Sexualmorde verabscheute! Er rief nach dem Constable an der Einfahrt.

»Ja, Sir?«

»Wir brauchen ein paar Bogenlampen!«

»Wär sicher nicht schlecht, Sir.«

»Besorgen Sie welche!«

»Ich, Sir?«

»Wer denn sonst?«

»Und woher …?«

»Wie, zum Teufel, soll ich das wissen!«, blaffte Morse.

Eine Viertelstunde vor Mitternacht war Lewis mit der Befragung fertig. Morse saß derweil schon im Büro des Geschäftsführers und hatte sich in die Times vertieft. Das Getränk vor ihm auf dem Tisch sah sehr nach Whisky aus.

»Da sind Sie ja, Lewis!« Morse hielt ihm die Zeitung entgegen.

»Hier, sehen Sie mal. 14 senkrecht. Passt doch genau, was?« Lewis las: ›Essenz der Potenz, drei Buchstaben.‹ Die entsprechenden Kästchen waren schon ausgefüllt. SEX. Erwartete Morse, dass er sich dazu äußerte? Lewis arbeitete das erste Mal mit ihm zusammen.

»Hübsche Definition, finden Sie nicht auch?«

Lewis, der sich höchstens mal an das Kreuzworträtsel im Daily Mirror mit der Überschrift Rätsel zur Kaffeestunde herantraute, wusste nicht recht, was er von alldem halten sollte.

»Ich mache mir eigentlich nicht so besonders viel aus Kreuzworträtseln, Sir.«

»Haben Sie den Eindruck, ich stehle Ihnen die Zeit?«

Lewis besaß eine ganze Portion Standfestigkeit und ließ sich nicht so leicht etwas vormachen. »Ja, Sir.«

Morse’ Mund entspannte sich zu einem gewinnenden Lächeln. Er hatte das Gefühl, der Sergeant und er würden gut miteinander auskommen.

»Lewis, ich möchte, dass Sie mit mir zusammen diesen Fall bearbeiten.« Der Sergeant sah Morse mit geradem Blick in die wachen grauen Augen und hörte sich antworten, dass es ihm eine Freude wäre.

»Das ist ein Grund zum Feiern«, sagte Morse. »Chef!« Westbrook hatte sich die ganze Zeit unauffällig in der Nähe zu schaffen gemacht und war sofort zur Stelle. »Einen doppelten Whisky.« Morse schob ihm sein Glas über den Tisch.

»Für Sie auch einen, Sir?«, wandte sich Westbrook nach einem Moment des Zögerns an Lewis.

»Sergeant Lewis ist im Dienst, Mr Westbrook.«

Als der Geschäftsführer mit dem Whisky zurückkehrte, bat ihn Morse, Gäste und Personal im größten verfügbaren Raum zusammenzurufen, trank schweigend seinen Whisky und überflog die restlichen Seiten der Times.

»Lesen Sie auch die Times, Lewis?«

»Nein, Sir. Wir lesen den Mirror.« Es klang wie eine Entschuldigung.

»Da sehe ich auch manchmal rein«, sagte Morse.

Eine Viertelstunde nach Mitternacht erschien er in dem Raum mit der Aufschrift Restaurant. Alle hatten sich inzwischen vollzählig eingefunden. Gaye sah ihm bei seinem Eintreten kurz in die Augen. Sie fühlte in seiner Gegenwart eine sonderbare Lähmung. Nicht weil er sie, wie die meisten Männer, die sie kannte, in Gedanken auszuziehen schien, sondern weil er den Eindruck machte, dies schon getan zu haben. Sie hörte ihm mit gespannter Aufmerksamkeit zu.

Morse dankte allen für ihre Geduld und ihr Entgegenkommen. Es sei sehr spät geworden, und er werde sie nicht mehr lange aufhalten. Sie alle wüssten inzwischen, warum die Polizei gerufen worden sei. Draußen auf dem Hof sei ein Mord verübt worden. Das Opfer sei ein junges Mädchen mit blonden Haaren. Sie würden sicher verstehen, dass sie ihre Wagen bis zum Vormittag auf dem Hof würden stehen lassen müssen. Er wisse, dass es für einige von ihnen schwierig sei, ohne Fahrzeug nach Hause zu kommen, es seien deshalb Taxis bestellt worden. Falls einer der Anwesenden etwas bemerkt habe, das für die polizeilichen Ermittlungen von Wichtigkeit sein könnte, so möge er bitte dableiben und sich an ihn oder Sergeant Lewis wenden. Ansonsten könnten sie jetzt gehen.

Gaye war von Morse’ Auftritt enttäuscht. Da hatte sie sich nun, während ein Mord geschah, in unmittelbarer Nähe des Tatorts aufgehalten, und dann war das Ganze so wenig aufregend, fast banal. Sie würde jetzt nach Hause gehen wie immer. Ihre Mutter und ihr Sohn würden sicher schon schlafen, aber selbst wenn sie noch wach wären, was hätte sie ihnen schon zu erzählen? Die Polizei war bereits anderthalb Stunden vor Ort. Holmes oder Poirot hätten jetzt schon die Hauptverdächtigen befragt und aus den banalsten Dingen die unglaublichsten Schlüsse gezogen.

Das allgemeine Gemurmel im Anschluss an Morse’ Mitteilung erstarb allmählich, als seine Zuhörer einer nach dem anderen ihre Mäntel holten und den Saal verließen. Auch Gaye hatte sich erhoben. War ihr etwas Wichtiges aufgefallen? Sie rief sich den Abend noch einmal ins Gedächtnis zurück. Der junge Mann, der das Mädchen gefunden hatte … Sie hatte ihn schon früher hier gesehen. Wenn sie nur wüsste, wann. Er war nicht allein gewesen … Dann auf einmal fiel es ihr wieder ein – blondes Haar! Er war erst letzte Woche da gewesen, zusammen mit einem blonden Mädchen. Obwohl – es gab natürlich nicht nur ein blondes Mädchen. Viele Mädchen ließen sich heutzutage ihre Haare blond färben. Sollte sie es dem Inspector trotzdem mitteilen? Sie ging auf Morse zu.

»Sie sagten, das ermordete Mädchen hatte blonde Haare.« Morse sah sie an und nickte. »Ich glaube, ich habe sie in der vergangenen Woche hier gesehen. Sie hat zusammen mit dem jungen Mann, der sie heute Abend gefunden hat, in der Lounge Bar gesessen. Ich habe sie bedient. Ich arbeite dort.«

»Eine interessante Beobachtung, Miss –?«

»Mrs, Mrs McFee.«

»Ich bitte vielmals um Entschuldigung, Mrs McFee. Ich dachte, die beiden Ringe an Ihrer Hand seien nur dazu da, Ihre Verehrer abzuschrecken, damit sie Sie nicht den ganzen Abend mit Blicken verschlingen.«

Gaye fühlte Wut in sich aufsteigen. Sie hasste diesen Mann! »Sehen Sie, Inspector, ich bin gekommen, um Ihnen etwas mitzuteilen, von dem ich annahm, dass es Ihnen vielleicht weiterhelfen würde. Wenn Sie sich einbilden …«

»Mrs McFee«, unterbrach Morse sie sanft und musterte sie mit einem eindeutigen Blick, »wenn ich in der Nähe wohnte, würde es mich auch zu Ihnen an die Bar treiben. Jeden Abend.«

Kurz nach eins war eine Anzahl primitiver Scheinwerfer aufgestellt, die jedoch stark genug waren, den Hof ausreichend zu erhellen. Morse hatte Lewis angewiesen, den jungen Mann, der das Mädchen gefunden hatte, so lange festzuhalten, bis sie sich genau umgesehen hätten. Die beiden Männer standen jetzt vor der Leiche des Mädchens. Überall war Blut. Der Sergeant fühlte, während er auf die Tote hinuntersah, wie angesichts der Gewalttätigkeit und Sinnlosigkeit dieses Mordes ein Gefühl des Abscheus von ihm Besitz ergriff. Morse schien auf einmal sein Interesse für den Nachthimmel entdeckt zu haben. »Haben Sie sich schon mal mit den Sternen beschäftigt, Lewis?«

»Ich lese manchmal Horoskope, Sir.«

Morse schien die Antwort nicht gehört zu haben. »Mir hat vor einiger Zeit jemand eine Geschichte erzählt von einer Gruppe Schulkinder, die wollten eine Million Streichhölzer sammeln. Nachdem sie die ganze Schule bis zum Dach vollgepackt hatten, sahen sie ein, dass es sinnlos war.« Lewis fühlte, dass er etwas erwidern sollte, aber es fiel ihm nichts ein.

Nach einiger Zeit wandte Morse seine Aufmerksamkeit wieder irdischeren Dingen zu, und die beiden sahen erneut auf das tote Mädchen zu ihren Füßen. Das Montiereisen und der einzelne Knopf lagen noch an der Stelle, an der Morse sie zuvor gesehen hatte. Eine Spur von getrocknetem Blut führte von der Stelle, wo sie lag, entlang der Mauer bis fast zur nächsten Hofecke.

Der junge Mann wartete im Büro des Geschäftsführers. Seine Mutter wusste, dass er spät nach Hause kommen wollte, doch allmählich würde sie unruhig werden. Genau wie er. Es war halb zwei, als Morse schließlich ins Zimmer trat. Der Polizeiarzt, die Fotografen und die Leute von der Spurensicherung waren draußen noch an der Arbeit.

»Name?«

»Sanders. John Sanders.«

»Sie haben die Leiche gefunden?«

»Ja, Sir.«

»Erzählen Sie mir, wie es dazu kam.«

»Da ist nicht viel zu erzählen.«

Morse lächelte. »Dann müssen wir Sie ja nicht lange aufhalten, Mr Sanders.«

Der junge Mann zappelte herum. Morse saß ihm gegenüber, fixierte ihn mit unnachsichtigem Blick und wartete.

»Also, ich bin auf den Hof gegangen, und da lag sie eben. Ich habe sie nicht angerührt. Sah man gleich, dass sie tot war. Ich bin sofort zurückgegangen und habe drinnen Bescheid gesagt.«

Morse nickte. »Sonst noch was?«

»Nein, das wars eigentlich.«

»Sie haben sich erbrochen, Mr Sanders?«

»Ja. Mir war schlecht.«

»War Ihnen schon vorher schlecht oder erst, nachdem Sie das Mädchen gesehen hatten?«

»Nachher. Hat mich ganz schön mitgenommen, wie sie da so lag … War wohl so was wie ’n Schock.«

»Warum sagen Sie mir nicht die Wahrheit?«

»Was wollen Sie damit sagen?«

Morse seufzte. »Sie sind doch nicht mit dem Auto hier, oder?«

»Ich habe kein Auto.«

»Machen Sie das dann immer? So einen kleinen Spaziergang über den Hof, bevor Sie den Heimweg antreten?« Sanders schwieg. »Was haben Sie heute Abend getrunken?«

»Nur ein paar Whisky. Ich war nicht betrunken.«

»Mr Sanders, möchten Sie, dass ich es von jemand anderem erfahre?« Es war deutlich, dass der Gedanke, Morse könne seinetwegen herumfragen, Sanders unbehaglich war. »Wann sind Sie gekommen?«

»So gegen halb acht.«

»Sie haben sich betrunken und sind rausgegangen, weil Ihnen übel wurde.« Sanders stimmte dem widerstrebend zu. »Trinken Sie immer allein?«

»Eigentlich nicht.«

»Auf wen haben Sie gewartet?« Sanders schwieg. »Sie hat sich nicht blicken lassen?«

»Nein«, sagte er tonlos.

»Aber sie war da?«

»Nein. Ich war die ganze Zeit allein.«

»Sie war da«, wiederholte Morse ruhig. »Stimmt doch, Sanders?« Der junge Mann saß in sich zusammengesunken. »Sie war da«, fuhr Morse im selben ruhigen Ton fort, »sie war da, und Sie haben sie auch gesehen. Auf dem Hof – tot.«

Der junge Mann nickte.

»Jetzt müssen wir beide uns doch wohl etwas länger miteinander unterhalten«, sagte Morse.

3

Donnerstag, 30. September

Morse stand allein in Sylvia Kayes Zimmer und fühlte so etwas wie Erleichterung. Die schlimmen Pflichten der vergangenen Nacht lagen hinter ihm, und die quälenden Bilder verblassten allmählich. Er wollte nicht mehr daran denken: nicht an Mrs Dorothy Kaye, wie sie, aus dem Schlaf geschreckt, vor ihm stand, nicht an Mr Kaye, den man in der Autofabrik in Cowley, wo er als Schweißer arbeitete, von der Nachtschicht geholt hatte, nicht an ihren furchtbaren Schmerz, der hilflos in sinnlosen Anschuldigungen und verletzenden Gemeinheiten aus ihnen herausgebrochen war. Sylvias Mutter hatte ein Beruhigungsmittel bekommen, einen Aufschub für Stunden nur, dann würde die Erinnerung und damit das Leid zurückkehren. Sergeant Lewis saß inzwischen mit Sylvias Vater im Präsidium und ließ ihn über seine Tochter erzählen. Er schrieb sorgfältig mit, doch obwohl seine Notizen schließlich mehrere Seiten füllten, hatte er nicht das Gefühl, etwas Wesentliches erfahren zu haben. In einer halben Stunde sollte er sich mit Morse treffen.

Das Zimmer, in dem Sylvia geschlafen hatte, war klein. Eins von drei Zimmern im oberen Stockwerk einer schmucken Doppelhaushälfte in Jackdaw Court. Die Straße verlief in einem halbkreisförmigen Bogen. Die Gegend war ruhig, mit altersschiefen Zäunen um die kleinen Vorgärten. Jackdaw Court lag nur wenige Minuten Fußweg entfernt von der Woodstock Road. Morse setzte sich auf das schmale Bett und sah sich um. Das Zimmer verriet, dass seine Bewohnerin eher schlampig gewesen war, dass das Bett so ordentlich gemacht war, war sicher der mütterlichen Fürsorge zuzuschreiben. Über dem im Kamin eingebauten Gasbrenner hing, nachlässig angepinnt, so als würde es jeden Moment herunterfallen, das überdimensionale Farbposter eines Popsängers, und Morse musste, wie so oft, daran denken, dass ihm die Welt der Jugendlichen nicht so fremd wäre, wenn er selber Kinder in diesem Alter hätte. Doch wie die Dinge lagen, würde ihm die Identität des hübschen Jungen für immer unbekannt bleiben. Auf dem Tisch und dem Stuhl – neben dem Bett und einem Schrank aus hellem Holz den einzigen Möbeln – lag, achtlos hingeworfen, Unterwäsche. Morse nahm den leichten schwarzen BH vom Stuhl und hielt ihn in die Höhe. Vor seinen Augen erschien plötzlich das Bild Sylvias, so wie sie im Licht der Taschenlampe zu seinen Füßen gelegen hatte. Auf der Fensterbank türmten sich in einem kippligen Stoß Frauenzeitschriften. Morse blätterte die Hefte flüchtig durch. Ratschläge für persönliche Probleme und Make-up. Horoskope. Alles sehr züchtig. Er öffnete die Schranktür und betrachtete mit neu erwachendem Interesse die Ansammlung von Röcken, Blusen, Kleidern und Hosen. Sauber und unordentlich. Bergeweise Schuhe mit Keilabsatz, wie sie jetzt offenbar Mode waren. Hässlich. An Geld schien es ihr jedenfalls nicht gefehlt zu haben. Auf dem Tisch sah Morse den Prospekt eines Reiseveranstalters mit Angeboten für Pauschalreisen nach Griechenland, Jugoslawien und Zypern. Strahlend weiße Hotels, blaues Meer und Kleingedrucktes über Haftung und Pockenschutzimpfung. Ein Brief von Sylvias Firma mit Erläuterungen zur Mehrwertsteuer und ein Taschenkalender. Unter dem Datum des 2. Januar hatte Sylvia geschrieben: Kalt. War in Ryans Tochter.

Lewis klopfte an die Tür und trat ein. »Haben Sie was gefunden, Sir?« Morse schaute widerwillig auf seinen aufgeräumten Sergeant und schwieg.

»Darf ich?«, fragte Lewis und streckte seine Hand nach dem Taschenkalender aus.

»Nur zu«, sagte Morse.

Lewis schlug den September auf, blätterte Seite für Seite langsam um und ging, nachdem er festgestellt hatte, dass Sylvia in den vergangenen vier Wochen nichts notiert hatte, die übrigen Monate durch. »Nur eine einzige Eintragung.«

»So weit war ich noch nicht«, sagte Morse.

»Wir könnten bei den Kinos nachfragen, wo in der ersten Januarwoche Ryans Tochter gespielt wurde«, schlug Lewis vor.

»Klar könnten wir. Und der Preis des Taschenkalenders ließe sich bestimmt auch feststellen, und wo sie ihre Kulis kaufte. Wir untersuchen einen Mordfall und betreiben keinen Schreibwarenladen, Sergeant!«

»Entschuldigung.«

»Schon gut. Ihr Vorschlag ist ja vielleicht gar nicht so schlecht.«

»Ich glaube, was ich eben von Mr Kaye erfahren habe, wird uns nicht viel weiterhelfen. Wollen Sie noch mal mit ihm sprechen?«

»Nein. Wir sollten den armen Kerl nach Möglichkeit in Ruhe lassen.«

»Also bis jetzt keine Fortschritte.« Lewis breitete resigniert die Arme aus.

»Na, ganz so würde ich es nicht sagen. Miss Kaye trug doch, wenn ich mich recht erinnere, eine weiße Bluse?«

»Ja, das stimmt.«

»Wenn Ihre Frau eine weiße Bluse anzieht, was für einen BH trägt sie dann? Ich meine, welche Farbe?«

»Also – auf jeden Fall einen hellen.«

»Ein schwarzer BH käme nicht infrage?«

»Den würde man ja durchsehen.«

»Hm. Übrigens, Lewis, wissen Sie zufällig, um welche Zeit gestern Abend Sonnenuntergang war?«

»So aus dem Handgelenk kann ich das jetzt nicht sagen. Es lässt sich aber, wenn Sie wollen, leicht feststellen.«

»Nicht nötig«, sagte Morse. »Laut dem Taschenkalender da war gestern, am 29. September, der Tag des Heiligen Michael, und Sonnenuntergang um 18.40 Uhr.«

Lewis stieg hinter dem Inspector die enge Treppe hinunter und fragte sich, was wohl als Nächstes käme. Kurz vor der Haustür wandte Morse den Kopf und fragte über die Schulter: »Was halten Sie eigentlich von Women’s Lib, Lewis?«

Gegen elf saß der Sergeant im Büro von Mr Palmer, dem Chef von Town & Gown, einer Versicherungsgesellschaft. Die Firma hatte ihre Räume über einem florierenden Tabakgeschäft im zweiten und dritten Stock eines Hauses in der High Street. Sylvia hatte seit etwas über einem Jahr hier gearbeitet. Es war ihre erste Stelle gewesen. Nach Beendigung ihrer Schulzeit hatte sie zunächst eine zweijährige Sekretärinnenausbildung gemacht, den Abschluss jedoch nicht geschafft, weil sie mit Stenografie Schwierigkeiten hatte. Sie hatte häufig ihre eigenen Kürzel nicht mehr entziffern können, sodass die von ihr getippten Briefe oft nicht ganz dem entsprachen, was ihr diktiert worden war. Davon abgesehen, schrieb sie einigermaßen richtig und sauber, und Palmer versicherte Lewis, dass Sylvia zu seiner Zufriedenheit gearbeitet habe. Sie war pünktlich gewesen und ansonsten nicht weiter aufgefallen.

»War sie hübsch?«

»Nun – hm, ja also, ich denke schon.« Lewis machte sich eine Notiz und wünschte im Stillen, Morse wäre jetzt da. Der Inspector hatte jedoch gesagt, er brauche ein Bier, und sich ins Minster, einen Pub auf der gegenüberliegenden Straßenseite, zurückgezogen.

»Sie sagten, sie habe mit zwei Kolleginnen zusammengearbeitet. Ich würde gern mit den beiden reden, falls das möglich ist.«

»Selbstverständlich, Officer.« Palmer schien ein wenig erleichtert, aus dem Gespräch entlassen zu sein.

Lewis befragte die beiden jungen Damen in aller Ausführlichkeit. Sie hatten Sylvia nicht besonders gut gekannt. Ihres Wissens hatte sie keinen festen Freund gehabt. Ja, gelegentlich habe sie mit ihren Eroberungen geprahlt, aber das täten schließlich viele Mädchen. Sie sei ganz in Ordnung gewesen, habe aber irgendwie nie so richtig dazugehört.

Lewis machte sich daran, die Fächer in Sylvias Schreibmaschinentisch durchzusehen. Der übliche Krimskrams. Eine Spiegelscherbe, ein Kamm mit ein paar blonden Haaren darin, die Sun von Mittwoch, eine Menge Bleistifte, Radiergummis, Farbbänder und Blaupapier. An der Wand hinter ihrem Platz hing eine Fotografie von Omar Sharif, daneben ein getippter Urlaubsplan. Sylvia hatte in der zweiten Julihälfte Urlaub gehabt, und Lewis fragte ihre beiden Kolleginnen, ob sie verreist gewesen sei.

»Sie ist, glaube ich, zu Hause geblieben«, antwortete die ältere der beiden, eine ruhige, ernsthaft wirkende Frau Anfang zwanzig.

Lewis seufzte. »Sie scheinen nicht viel über sie zu wissen?« Die beiden blieben stumm. Lewis machte einen Anlauf, noch etwas mehr aus ihnen herauszubringen, hatte aber keinen Erfolg. Kurz vor Mittag verließ er das Büro und ging zum Minster hinüber.

»Arme Sylvia«, sagte die jüngere der beiden.

»Ja, die arme Sylvia«, wiederholte Jennifer Coleby.

Lewis entdeckte Morse zu seiner Überraschung in einem Nur für Herren geöffneten Gastraum an der Rückseite des Pubs.

»Ah, Lewis!« Morse erhob sich und stellte sein leeres Glas auf dem Tresen ab.

»Was trinken Sie?« Lewis wollte ein Bitter. »Zwei große Bitter«, sagte Morse zu dem alten Mann hinter der Theke und fügte dann gut gelaunt hinzu: »Und für Sie auch eins.«

Morse war offenbar, bevor Lewis dazukam, mit dem Alten in ein Gespräch über Pferderennen vertieft gewesen. Jetzt griff er nach einer Ausgabe von Sporting Life, die auf der Theke lag, und forderte Lewis auf, sich mit ihm in eine ruhige Ecke zu setzen.

»Wetten Sie, Lewis?«

»Ich setze manchmal ein bisschen was beim Derby oder beim Grand National, aber ich bin kein regelmäßiger Wetter.«

»Na, da seien Sie froh«, sagte Morse mit einem Unterton von Ernst in der Stimme. »Aber sehen Sie mal hier, was halten Sie davon?« Er schlug die Rennzeitung auf und deutete auf den Namen eines Pferdes, das um 3.15 Uhr in Chepstow starten sollte: Black Prince. »Wie ist es? Wollen Sie da nicht mal ein Pfund riskieren?«

»Komischer Zufall.«

»Zehn zu eins«, sagte Morse und nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas.

»Wollen Sie auf ihn setzen, Sir?«

»Schon geschehen«, antwortete Morse und sah zu dem Alten hinüber.

»Aber ist das nicht gegen das Gesetz, Sir?«

»Ich kenne mich in diesem Punkt nicht so aus.«

Hatte er nicht einen Mord aufzuklären?, dachte Lewis. Im selben Moment fragte ihn Morse, als könne er Gedanken lesen, was er bei Town & Gown über Sylvia Kaye erfahren habe. Lewis bemühte sich, alles möglichst genau wiederzugeben. Morse ließ ihn, ohne zu unterbrechen, ausreden. Man konnte fast den Eindruck haben, als gelte seine Aufmerksamkeit in erster Linie dem vor ihm stehenden Bier. Nachdem Lewis fertig war, wies Morse ihn an, ins Präsidium zurückzukehren, seine Berichte zu tippen und dann nach Hause zu fahren und sich auszuschlafen. Lewis kam das sehr recht. Er fühlte sich todmüde. Schlaf wurde während einer Mordermittlung häufig zu einem Luxus, von dem man nach einiger Zeit nur noch undeutlich wusste, dass es ihn überhaupt gab.

»Sonst noch was, Sir?«

»Hat alles Zeit bis morgen früh. Seien Sie um halb acht bei mir im Büro – das heißt, da wäre ja noch die Wette auf Black Prince. Wollen Sie nicht ein paar Shilling auf ihn setzen?« Lewis holte fünfzig Pence aus der Tasche.

»Auf Platz, oder?«

»Wenn er gewinnt, ärgern Sie sich schwarz«, sagte Morse.

»Also dann fünfzig Pence auf Sieg.«

Morse nahm die Münze, und Lewis sah im Hinausgehen, wie der Alte hinter der Theke sie einsteckte und dem Chief Inspector noch ein Bier zapfte.

4

Freitag, 1. Oktober

Am nächsten Morgen klopfte Lewis pünktlich um 7.30 Uhr an die Tür von Morse’ Büro. Als es drinnen still blieb, drückte er vorsichtig die Klinke hinunter und sah hinter der halb geöffneten Tür ins Zimmer. Der Raum war leer. Er ging zurück in die Eingangshalle und fragte den diensthabenden Sergeant, ob Morse schon da sei.

»Hab ihn noch nicht gesehen.«

»Er wollte um halb acht hier sein.«

»Na, du kennst doch den Inspector.«

Das kann man nun nicht gerade behaupten, dachte Lewis. Er holte sich die Berichte, die er gestern Nachmittag völlig übermüdet noch getippt hatte, und las sie sorgfältig durch. Er hatte sich Mühe gegeben, aber viel war nicht dabei herausgekommen. Er ging in die Kantine und bestellte sich einen Kaffee. An einem der Tische saß Constable Dickson und war dabei, eine große Portion Schinken mit Tomaten zu vertilgen. Lewis und er waren recht gut miteinander bekannt.

»Was macht dein Mord?«

»Bis jetzt kann man noch nichts sagen.«

»Arbeitest mit Morse, nicht?«

»Ja.«

»Komischer Kauz, was?« Lewis widersprach nicht.

»Er war bis nach Mitternacht hier. Hat alle ganz schön auf Trab gebracht. Die Telefone sind heiß gelaufen. Wenn der will, dann klotzt er ran, da kennt er nichts.«

Lewis leistete Morse im Stillen Abbitte. Er selbst hatte von sechs Uhr gestern Abend bis sechs Uhr heute früh tief und fest geschlafen. Der Inspector hatte seinen Morgenschlaf redlich verdient. Lewis setzte sich und bestellte sich einen Kaffee.

Zehn Minuten später kam Morse. Er war frisch rasiert und bestens gelaunt. »Hab mir schon gedacht, dass ich Sie hier finden würde. Tut mir leid, dass ich mich verspätet habe.« Er bestellte sich ebenfalls einen Kaffee und ließ sich Lewis gegenüber nieder. »Ich fürchte, ich habe schlechte Nachrichten für Sie.« Lewis sah ihn erschrocken an. »Ihr Geld sind Sie los. Der lahme Gaul ist nur Zweiter geworden.«

Lewis lächelte erleichtert. »Die fünfzig Pence machen mich schon nicht arm. Und Sie, Sir? Haben Sie viel verloren?«

Morse schüttelte den Kopf. »Nein, im Gegenteil. Ich habe ein paar Pfund gewonnen. Ich hatte auf Platz gesetzt.«

»Aber …«, begann Lewis.

»Kommen Sie«, sagte Morse, »trinken Sie Ihren Kaffee aus, wir haben eine Menge Arbeit vor uns.«

Während der nächsten vier Stunden waren die beiden damit beschäftigt, die Berichte auszuwerten, die jetzt aufgrund der Anfragen, die Morse seit gestern Nachmittag und die Nacht hindurch bis in die frühen Morgenstunden hinausgeschickt hatte, eintrafen. Nach einiger Zeit hatte Lewis das Gefühl, als wisse er über Sylvia Kaye mehr als über seine eigene Frau. Entsprechend Morse’ Anweisungen studierte er alle Mitteilungen sehr gründlich und merkte, dass die Fakten sich ihm einzuprägen begannen. Morse dagegen las die Berichte in erstaunlicher Geschwindigkeit und machte den Eindruck, als langweilten sie ihn. Nur wenige Berichte erregten seine Aufmerksamkeit. Er las sie mehrmals und mit einer Konzentration, die sein starkes Interesse zu verraten schien.

»Nun, wie stehts?«, fragte er endlich.

»Ich glaube, ich habe die wesentlichen Dinge jetzt klar«, antwortete Lewis.

»Gut.«

»Einige der Sachen scheinen Sie sehr interessiert zu haben.«

»Wie kommen Sie darauf?« Morse klang überrascht.

»Für den Bericht der Sekretärinnenschule haben Sie fast zehn Minuten gebraucht, und der ist doch nur eine halbe Seite lang.«

»Sie sind ein aufmerksamer Beobachter, Lewis, aber was Ihre Schlussfolgerung angeht, da muss ich Sie enttäuschen. Der Bericht ist unsäglich, so etwas habe ich seit Jahren nicht mehr gesehen. Zwölf grammatische Schnitzer in zehn Zeilen! Wohin soll das noch führen?«

Lewis wusste nicht, wohin es noch führen sollte, hatte aber nicht den Mut zu fragen, wie viele Fehler der Inspector in seinen Berichten entdeckt hatte. Er fragte stattdessen: »Sind wir schon einen Schritt weiter?«

»Den Eindruck habe ich nicht«, sagte Morse.

Lewis war seine Skepsis unverständlich. Immerhin hatten sie jetzt ansatzweise eine Vorstellung von Sylvias letzten Stunden. Sie hatte das Büro gegen 17 Uhr verlassen und war dann mit großer Wahrscheinlichkeit die etwa hundert Meter die Straße hinunter zur Haltestelle des Zweier-Busses gelaufen, der dort vor dem University College hielt. Um 17.35 Uhr war sie zu Hause gewesen und hatte Abendbrot gegessen. Sie hatte ihrer Mutter gesagt, dass sie ausgehen wolle und vermutlich erst spät wieder zu Hause sein würde. Gegen 18.30 Uhr war sie aufgebrochen. So weit sich feststellen ließ, hatte sie die Sachen angehabt, in denen sie später auch gefunden wurde. Blieb die Frage, wie sie nach Woodstock gekommen war. Lewis fand, das vorläufige Ergebnis sei ein guter Ausgangspunkt für die weiteren Ermittlungen.

»Soll ich mich an die Busgesellschaft wenden, Sir, und die Fahrer befragen, die die Route nach Woodstock fahren?«

»Schon geschehen«, sagte Morse.

»Und? Kein Erfolg?« Die Stimme des Sergeants verriet Enttäuschung.

»Ich glaube nicht, dass sie den Bus genommen hat.«

»Ein Taxi?«

»Ziemlich unwahrscheinlich, denken Sie nicht?«

»Ich weiß nicht, Sir. Ist vielleicht gar nicht mal so teuer.«

»Das Geld ist nicht der Punkt. Wenn sie mit dem Taxi fahren wollte, hätte sie sich doch vermutlich von zu Hause aus eins gerufen. Sie haben ein Telefon.«

»Vielleicht hat sie das ja getan.«

»Nein, hat sie nicht. Vom Apparat der Kayes sind vorgestern überhaupt keine Telefongespräche geführt worden.«

Lewis fühlte seine Zuversicht schwinden. »Ich bin ja scheints keine große Hilfe«, sagte er. Morse tat, als habe er die Bemerkung nicht gehört.

»Lewis, wenn Sie von Oxford nach Woodstock wollten – wie würden Sie das machen?«

»Ich würde mit dem Auto fahren, Sir.«

»Sie hatte kein Auto.«

»Vielleicht hat sie eine Freundin mitgenommen?«

»Sie haben doch selbst in Ihrem Bericht geschrieben, dass sie wohl gar keine richtige Freundin gehabt hat.«

»Sie meinen, eher einen Freund?«

»Was meinen Sie denn?«

Lewis dachte einen Augenblick nach. »Haut auch nicht so ganz hin. Ein Freund hätte sie doch wahrscheinlich von zu Hause abgeholt.«

»Tja, das denke ich auch.«

»Aber sie ist nicht abgeholt worden, oder?«

»Nein. Ihre Mutter hat sie allein weggehen sehen.«

»Dann haben Sie inzwischen mit ihrer Mutter gesprochen?«

»Ja. Gestern Abend.«

»Geht es ihr sehr schlecht?«

»Sie hat ein breites Kreuz, Lewis. Ich mag sie eigentlich. Es hat sie natürlich ziemlich mitgenommen, aber andererseits auch nicht so sehr, wie ich zuerst befürchtet hatte. Ich habe den Eindruck, als ob ihre attraktive Tochter ihr so manchen Kummer bereitet hat.«