Der letzte Tag - Colin Dexter - E-Book
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Der letzte Tag E-Book

Colin Dexter

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Beschreibung

Der Tod von Yvonne Harrison beschäftigt das Thames Valley Police Department bereits seit einem Jahr. Gefesselt und geknebelt starb sie auf ihrem eigenen Bett, und alles deutet darauf hin, dass sie sich freiwillig in diese Lage begab. Anonyme Anrufe bringen neue Bewegung in den Fall – ein Rätsel, wie geschaffen für Inspector Morse. Doch aus unerklärlichen Gründen wehrt er sich dagegen, den Fall offiziell zu übernehmen. Seinen langjährigen Partner Sergeant Lewis quält mehr und mehr der Verdacht, dass der große Morse ein dunkles Geheimnis hat.

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Über dieses Buch

Der Tod von Yvonne Harrison beschäftigt die Polizei schon seit einem Jahr. Gefesselt starb sie auf ihrem eigenen Bett, und alles deutet darauf hin, dass sie sich freiwillig in diese Lage begab. Doch unerklärlicherweise will Inspector Morse den Fall nicht übernehmen. Sergeant Lewis quält der Verdacht, dass er ein dunkles Geheimnis hat.

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Colin Dexter (1930-2017) studierte Klassische Altertumswissenschaft. Er ist der Schöpfer der vierzehnteiligen Krimireihe um Inspector Morse. Für sein Lebenswerk wurde er mit dem CWA Diamond Dagger und dem Order of the British Empire für Verdienste um die Literatur ausgezeichnet.

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Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Colin Dexter

Der letzte Tag

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Ute Tanner

Ein Fall für Inspector Morse 13

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

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Impressum

Dieses E-Book enthält als Bonusmaterial im Anhang 1 Dokument

Die englische Originalausgabe erschien 1999 bei Macmillan, London.

Die deutsche Erstausgabe erschien 2000 unter dem Titel Und kurz ist unser Leben im Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek.

Für die vorliegende Ausgabe hat Eva Berié die deutsche Übersetzung nach dem Original überarbeitet.

Originaltitel: The Remorseful Day

© by Macmillan, an imprint of Pan Macmillan, a division of Macmillan Publishers International 1999

Übernahme der Übersetzung mit freundlicher Genehmigung des Rowohlt Verlags, Reinbek

© by Unionsverlag, Zürich 2022

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: Tomasz Zajda (Alamy Stock Foto)

Umschlaggestaltung: Sven Schrape und Peter Löffelholz

ISBN 978-3-293-31036-0

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Version vom 03.06.2022, 13:28h

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Über dieses Buch

Titelseite

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Inhaltsverzeichnis

DER LETZTE TAG

Prolegomenon1 – Du holde Kunst, in wie viel grauen Stunden,Wo …2 – Wenn Napoleon sein Adlerauge über die Liste der …3 – Und er sprach zu ihnen: Wer unter euch …4 – Er und der düster schweigend Geist traten sich …5 – Im Lande der Blinden ist der Einäugige König6 – Der englische Landedelmann, der im Galopp einen Fuchs …7 – Wer würde schon auf den Gedanken kommen …8 – Banker sind genau wie andere Menschen. Nur reicher9 – Er schaute mich mit Augen an10 – Er war ein Selfmademan, der seinen Mangel an …11 – Merkt, ihr Herren, welch treues Herz12 – Ein kleines Denkmal, das als Ehrenschild13 – Ponderanda sunt testimonia, non numeranda14 – Der Mann, der zu dem einen sagt …15 – Ich habe in meinem ganzen Leben nicht mehr …16 – Die ärgsten Taten wie giftiges Kraut im Gefängnishof …17 – Was rasselt da so hundsgemein18 – Jeder Trottel kann die Wahrheit sagen; aber zum …19 – Hoffen ist eine gute Sache; was einem den …20 – Da sprachen die Juden zu ihm: Du bist …21 – BURMA (Be Undressed Ready My Angel  …22 – … eine Gebirgskette wie ein alter Vulkan …23 – Ein Roman sollte, wie ein Bettler, stets in …24 – In so manchem Ale-House in Oxfordshire wird das …25 – Der Blick des Forschers fand nicht selten mehr …26 – STUDENT: Aber Sie pumpen ja den falschen Reifen …27 – Sie kamen nachmittags zu einem Land28 – Ach, armer Yorick! – Ich kannte ihn29 – KALIF: Wie sollen wir nun die Zeit bis …30 – Häufig wüsste der Schwerhörige die Antworten, hätte er …31 – »Weißt du eigentlich, wie spät es ist?« …32 – Falls ein junger oder älterer Polizeibediensteter beim Anblick …33 – Die Guten sind immer die Frohen34 – Sunt lacrimae rerum et mentem mortalia tangunt35 – Dumm nur, dass es so schwierig ist …36 – Dr. Franklin zeigte mir, dass die vereinten Flammen …37 – Feind hört mit38 – Alle Menschen sind Rätsel, bis wir endlich in …39 – Frage: Wie viele Obduktionen haben Sie an Toten …40 – Gelegentliche Beispiele merkwürdiger Zufälle sind im Grunde vielleicht …41 – Doch hat er erst die höchste Spross’ erreicht42 – Und was nützen Bücher, dachte Alice, ohne Bilder …43 – Um auch nur ein Viertel jener Laufstrecke zu …44 – CLINTON WINS ON BUDGET, BUT MORE LIES AHEAD45 – Nunquam ubi sub ubi46 – Das Aufeinanderprallen von Klassizismus und Neugotik kann der …47 – Verschiedene Dinge können auf verschiedene Weise so aufaddiert …48 – Wir begehen hoffentlich keine Todsünde, wenn wir feststellen …49 – Gott schütze, alter Seemann50 – Ich weiß nicht, was eine Lüge ist …51 – Die Hintergangenen – sei es nun der Ehemann …52 – Taxifahren ist cool, o Mann53 – Zu jener Zeit gab es in der Marine …54 – Du siegtest auf der Aschenbahn55 – Darum wir auch, dieweil wir eine solche Wolke …56 – Have I Got News for You57 – Ach, könnte dein Grab in Carthago sein58 – Mit einer Zahnprothese Klarinette zu spielen ist nach …59 – Wo immer Gott ein Gotteshaus begründet60 – Schau auf den Bund; denn die dunklen Winkel …61 – Hand: Handschrift, Art zu schreiben: Shakespeare, Maß für …62 – Sag nicht, Schatz, ich hätt rohe Gier63 – Denn mit viel Gerede will er dich verführen …64 – Seid zur Nacht enthaltsam65 – Eifersucht ist jener Schmerz, den ein Mensch empfindet …66 – Es ist durchaus möglich, dass wir jetzt durch …67 – Vor Problemen davonzulaufen ist eine Form der Feigheit …68 – Es sind nicht die kriminellen Taten, die zu …69 – Zweiter Gerichtsdiener: Antonio, ich verhafte Euch auf Befehl …70 – Ich rief nach wild’ren Klängen und nach stärk’rem …71 – Es gibt wohl kein angenehmeres Ambiente als das …72 – Unter mir das Dörfchen, so klein und still73 – Wenn Furcht mich fasst, dass nun das Ende …74 – Wir klammern uns ans Leben noch mit dem …75 – Der Karren geht in Trümmer, und gleich ist …76 – Sag, warum man Hopfen kennt77 – Sehr geehrte Dame, sehr geehrter Herr, bitte nehmen …78 – u. man soll mich nicht auf geweihtem Boden …79 – Der Himmel kennt keinen Zorn80 – Ich bin die Muße in Pension. Man kann …EpilogZitatnachweis

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Über Colin Dexter

Colin Dexter: »Ich liebe es, von einem Krimi an der Nase herumgeführt zu werden.«

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Für George, Hilary, Maria und Beverley

DanksagungBesonderen Dank schulde ich insbesondere Terry Bencizk aus New Jersey, der mir so viele treffende Zitate geschickt hat; Cyndi Cook aus Hawaii, die mir beim Schreiben dieser Kapitel vorgesungen hat; Allison Dexter, die mich an ihrem Fachwissen über die Behandlung von Herzkrankheiten hat teilhaben lassen; Eddie Andrews, einem meiner früheren Schüler, der mich (endlich) in einige Geheimnisse der Spurensicherung eingeweiht hat; und Chris Burt, Produzent so vieler Morse-Sendungen im Fernsehen, für ständigen Zuspruch und Unterstützung.

Den Himmel blutigrot färbend,Wie schwindet er westwärts sterbendDahin, bekümmert und zag.Hauch, Schau und Lauf sind vergangen,Sind nimmermehr zu empfangen,Wie hoffnungslos sinkt unter BangenIn die Erde der reuvolle Tag.

A. E. Housman, More Poems, XVI

Als ich meinen Brief für 1997 schrieb,war ich der Meinung, es gäbe wenig,worauf ich mich 1998 freuen könnte,aber das erweist sich jetzt als geradezuidiotischer Optimismus.

David Mackenzie, On the Dole in Darlington

Prolegomenon

Da itzo über mich du beugst die Brüste

Im frischen Mieder knusprig eingepresst,

Fürwahr, ich heftig weiter leiden müsste,

Wärst du mein Schutzengel wie einst gewest.

Edmund Raikes, 1537–1565, The Nurse

Ich hake mich dann mit dem Fuß an der Matratze ein.«

»Sie machen was?«

»Um auf meiner Betthälfte zu bleiben.«

»Doppelbett?«

»Nicht unüblich bei Ehepaaren. Zwei Menschen können sich ein Bett teilen, aber nicht ihre Gedanken – sagt ein altes chinesisches Sprichwort.«

»Macht mich trotzdem eifersüchtig.«

»Blödmann!«

»Eifersüchtig kann jeder mal sein.«

»Nicht jeder.«

»Sie nicht, Schwester?«

»Ich habe gelernt, mir nichts anmerken zu lassen, das ist alles. Und überhaupt geht Sie das gar nichts an.«

»Tut mir leid.«

»Ich mag es nicht, wenn Männer ›tut mir leid‹ sagen.«

»Soll nicht wieder vorkommen. Versprochen.«

»Versprechen Sie mir noch was? Dass Sie ein bisschen ehrlicher sind – sich selbst und mir gegenüber?«

»Großes Pfadfinderehrenwort.«

»Dass Sie bei den Pfadfindern waren, nehme ich Ihnen nicht ab.«

»Nein, aber –«

»Soll ich Sie testen?«

»Testen?«

»Möchten Sie, dass ich auf der Stelle zu Ihnen ins Bett komme?«

»Ja, allzeit bereit.«

»Sie schalten verflixt schnell.«

»Nächste Frage.«

»Glauben Sie, dass ich Lust hätte, zu Ihnen ins Bett zu kommen?«

»Ich möchte es gern glauben.«

»Und was ist mit den anderen Patienten?«

»Sie könnten die Vorhänge zuziehen.«

»Unter welchem Vorwand?«

»Notfalls können Sie ja meinen Blutdruck messen.«

»Schon wieder?«

»Warum nicht?«

»Ihr Blutdruck ist hier hinlänglich bekannt. Es ist ein bemerkenswert hoher Blutdruck. Besonders wenn ich in der Nähe bin.«

»Das machen Ihre schwarzen Strümpfe.«

»Sie stehen auf Strapse?«

»Unbedingt!«

»Zu schade, dass Sie auf dieser verdammten Station festliegen!«

»Ich könnte verlangen, dass man mich auf eigenen Wunsch entlässt.«

»In Ihrem Fall nicht empfehlenswert.«

»Wann haben Sie Dienstschluss?«

»Halb neun.«

»Und dann?«

»Ab nach Hause. Ich erwarte einen Anruf.«

»Sie wollen mich wieder eifersüchtig machen.«

»Danach werde ich wohl mit dem Dingsbums, Sie wissen schon, zwischen unseren vier Sendern hin und her zappen.«

»Inzwischen fünf.«

»Den neuen bekommen wir nicht.«

»Und Sky?«

»Bei uns auf dem Dorf werden Satellitenschüsseln strikt abgelehnt.«

»Sie könnten sich ein Video holen.«

»Nicht nötig. Wir haben selbst jede Menge Videos. Sie würden staunen. Auch Sexvideos.«

»So was sehen Sie sich an?«

»Wenn mir danach ist.«

»Wann zum Beispiel?«

»Oft.«

»Und auch, wenn Ihnen nicht danach ist?«

»Aber ja. Die törnen jeden an. Garantiert. Haben Sie noch nie eins von diesen Amsterdam-Videos gesehen? Da machen sie die bizarresten Sachen.«

»Nein, nie.«

»Möchten Sie so was mal sehen?«

»Ich glaube nicht.«

»Nicht mal, wenn ich mich dazusetze?«

»Ja, dann … ehe ich mich schlagen lasse …«

»Wir könnten uns irgendwann zum Fernsehen verabreden.«

»Wie … bizarr ist denn bizarr?«

»In einem ist eine Frau, etwa in meinem Alter, tolle Figur, mit Händen und Füßen an die Pfosten eines Himmelbetts gefesselt …«

»Und weiter?«

»Und zwei junge Kerle, ein schwarzer und ein weißer –«

»Also keine rassische Diskriminierung.«

»– sind abwechselnd damit beschäftigt –«

»– sie zu vergewaltigen.«

»Gott, was sind Sie naiv! Sie würde doch nicht mitmachen, wenn sie selbst keinen Spaß dran hätte. Manche Leute haben nämlich nur dann was vom Sex, wenn sie sich irgendwie unterwerfen können.«

»Müssen komische Frauen sein.«

»Komisch? Ungewöhnlich vielleicht, aber …«

»Wieso kennen Sie sich eigentlich auf dem Gebiet so gut aus?«

»Als wir in Amsterdam waren, wollte einer Pornovideos mit mir drehen. Frank hatte nichts dagegen. Ein sehr verlockendes Angebot.«

»Hoffentlich haben Sie ein anständiges Honorar ausgehandelt.«

»Moment mal! Ich hab gesagt, die Frau war etwa in meinem Alter …«

»… und hatte eine tolle Figur.«

»Würden Sie sich gern davon überzeugen, ob ich es war?«

»Unter einer Bedingung.«

»Nämlich?«

»Wenn ich komme, dürfen Sie nicht den Fuß am Matratzenrand festhaken.«

»Keine Bange.«

»Bleiben Sie noch ein bisschen.«

»Nein. Sie sind nicht mein einziger Patient, und manche von diesen armen Teufeln liegen noch hier, wenn Sie schon längst wieder draußen sind.«

»Kommen Sie vor Ihrem Feierabend noch mal vorbei und geben mir einen keuschen Kuss?«

»Nein. Ich muss schnellstens zurück nach Lower Swinstead, weil ich diesen Anruf erwarte.«

»Von … von Ihrem Mann?«

»Es darf gelacht werden! Frank ist ein paar Tage in der Schweiz und viel zu geizig, um von da aus anzurufen. Nicht mal zum Billigtarif.«

»Von einem anderen Mann in Ihrem Leben?«

»Von wem denn sonst? Oder denken Sie, ich bin andersrum?«

»Sie sind ein erstaunliches Mädchen.«

»Mädchen? Am Donnerstag werde ich achtundvierzig.«

»Ich würde Sie zu gern zu Ihrem Geburtstag ausführen und verwöhnen.«

»Nichts zu machen. Auf Ihrem Krankenblatt steht, dass Sie noch bis mindestens Ende der Woche hierbleiben müssen.«

»Irgendwie hätte ich gar nichts dagegen, auf Dauer hierzubleiben.«

»Also, eins kann ich Ihnen versprechen: Sobald Sie entlassen sind, melde ich mich.«

»Wär schön, wenn Sie es einrichten könnten.«

»Und dann besuchen Sie mich mal?«

»Wenn ich eine Einladung bekomme.«

»Betrachten Sie sich hiermit als eingeladen.«

1

Du holde Kunst, in wie viel grauen Stunden,Wo mich des Lebens wilder Kreis umstrickt, Hast du mein Herz zu warmer Lieb entzunden,Hast mich in eine beß’re Welt entrückt.

Franz Schubert, An die Musik

Mit Ausnahme von Wagner natürlich und mit Ausnahme von Mozarts Klarinettenkompositionen war Schubert einer der wenigen Tondichter, die ihn hin und wieder fast zu Tränen rühren konnten. An jenem frühen Abend des 15. Juli 1998, einem Mittwoch, saß Chief Inspector Morse, nachdem er sich die Archers zu Gemüte geführt hatte – den Sorglosen auf dem Zion gleich –, in Hausschuhen in seiner Junggesellenwohnung in Nord-Oxford und hörte, einen großzügig eingeschenkten goldenen Glenfiddich in Griffweite, einen von Radio 3 übertragenen Liederabend mit Schubert-Kompositionen. Er hatte ein paar Tage Urlaub, die bisher überraschend angenehm verlaufen waren.

Morse hatte sich nie in die Heerscharen jener Zeitgenossen eingereiht, die es auf der Suche nach Abenteuern in ferne Welten zieht. Nicht einmal die entfernteren Ecken und Winkel seiner Heimat näher zu erkunden reizte ihn sonderlich, denn wenn er ehrlich war, konnte er sich nicht vorstellen, dass ihm ein Ort lieber werden könnte als eine Stadt, die zwar nicht seine leibliche Mutter war, ihn aber seit vielen Jahren mit der liebevollen Fürsorge einer Pflegemutter umgab. Was das Ausland betraf, so waren die Knabenträume, in denen er durch die Wüsten um Samarkand gestreift war, längst verweht, und wegen einer lebenslangen Flugangst war es ihm auch versagt, schnell einmal nach Bayreuth, Salzburg oder Wien zu fliegen, jene Städtedreiheit, die man, wie er sich hin und wieder sagte, eigentlich gesehen haben musste.

Wien …

Die Stadt, die Schubert kaum je verlassen, in der er so wenig Anerkennung gefunden hatte und in der er, erst einunddreißigjährig, am Typhus gestorben war.

Einunddreißig … Kein langes und wohl auch kein besonders glückliches Leben.

Morse lehnte sich zurück, lauschte der Musik und sah einigermaßen zufrieden durch die Terrassentür nach draußen. In seiner Ballade vom Zuchthaus zu Reading hatte Oscar Wilde von jenem kleinen Flecken Blau gesprochen, das Gefangene den Himmel nennen; der Blick von Chief Inspector Morse richtete sich jetzt auf jenen kleinen Flecken Grün, den die Wohnungsbesitzer von Nord-Oxford Garten zu nennen pflegen. Schon als Schuljunge hatte sich Morse sehr für Blumen interessiert, allerdings waren es mehr die Nomenklatur der verschiedenen Arten und ihre Beziehung zu den Werken der großen Dichter, die seine Fantasie beflügelt hatten: schnell welkende Veilchen, kugelige Päonien, die Felder wogender Narzissen … Morse kannte sich in der Etymologie und den mythologischen Assoziationen der Narzissen bestens aus, hätte aber ein einzelnes Exemplar auf einer flimmernden Technicolor-Leinwand wohl kaum erkannt.

Doch es stimmte schon: Je älter der Mensch wurde, desto wichtiger wurden für ihn die Freuden der Natur. Und zwar nicht nur die Blumen. Wie stand es mit Vögeln?

Für den zum Glück recht unwahrscheinlichen Fall seiner Wiedergeburt hatte Morse beschlossen, sich als Teilzeit-Quäker registrieren zu lassen und einen beträchtlichen Teil seiner Mußestunden der Ornithologie zu widmen. Zu letzterer Entscheidung hatte ihn die Erkenntnis bewogen – besser spät als nie! –, dass ein Leben ohne Vogelgesang wesentlich ärmer wäre. Deshalb hatte er in der vergangenen Woche auf ein Jahr die Zeitschrift Birdwatching abonniert, sich aus der Bezirksbücherei von Summertown ein Exemplar des Birdwatchers’ Guide geholt und ein gebrauchtes Fernglas 8 × 50 (£ 9,90) erworben, das er im Schaufenster des Oxfam-Ladens in der Banbury Road entdeckt hatte. Zur Abrundung dieses Programms hatte er in der Zoohandlung von Summertown einen kleinen walzenförmigen, mit Erdnüssen bestückten Drahtbehälter erstanden. Dieses Gebilde hing jetzt an einem Ast, der in seinen Garten hineinragte. An dem Ast, der in seinen Garten hineinragte.

Morse griff nach dem Fernglas und stellte es auf ein interessantes Exemplar scharf, das an den im Gras verstreuten Erdnüssen herumpickte. Es war ein kleiner Vogel mit grauem Kopf, dunkelbraunen Blockstreifen über dem schmutzig rötlichen Gefieder des Rückens und einem helleren Bauch. Morse bemühte sich sehr, sich das Aussehen des kleinen Prachtstücks einzuprägen, um es anhand seines bunten Federkleids im Guide identifizieren zu können.

Aber das hatte Zeit bis später.

Zunächst lehnte er sich wieder zurück, lauschte beglückt der warmen Stimme der Schwarzkopf und las dazu den Text, der auf seinem Schoß lag: »Du holde Kunst, in wie viel grauen Stunden …«

Wenig später schreckte er aus seiner angenehm melancholischen Stimmung hoch, weil jemand dreimal energisch die Wohnungstürklingel betätigt hatte, die nach Meinung etlicher Nachbarn eine selbst für Schwerhörige unangemessen hohe Dezibelzahl aufwies.

2

Wenn Napoleon sein Adlerauge über die Liste der zur Beförderung vorgeschlagenen Offiziere wandern ließ, pflegte er neben bestimmten Namen am Rand zu vermerken: »Aber hat er auch eine glückliche Hand?«

Felix Kirkmarkham, The Genius of Napoleon

Ich störe doch nicht?«

Morse antwortete nicht direkt auf die Frage, aber für die meisten seiner Zeitgenossen wäre die schicksalsergebene Miene Antwort genug gewesen.

Für die meisten seiner Zeitgenossen.

Er war genötigt, die Tür bis zum Anschlag aufzumachen, damit sein unerwarteter Besuch durch die relativ schmale Öffnung passte.

»Ich störe doch nicht …«

»Nein, nein. Es ist nur …«

»Also, ganz ehrlich, alter Freund …« Chief Superintendent Strange horchte mit schief gelegtem Kopf zum Wohnzimmer hin. »Ob ich Sie störe, ist mir verdammt egal. Mir wars nur unangenehm, dem alten Schubert in die Quere zu kommen.«

Wie schon so oft im Lauf ihrer Bekanntschaft ertappte sich Morse dabei, dass er seine Meinung über den Mann revidieren musste, der jetzt geräuschvoll schnaufend seinen mächtigen Leib auf einem Sessel unterbrachte und bequem zurechtrückte.

Morse hatte sich längst abgewöhnt, Strange nach Getränkewünschen zu fragen. Wenn Strange Alkoholisches oder auch Nichtalkoholisches zu trinken wünschte, pflegte er das sofort und ohne Umschweife kundzutun.

»Ist das Single Malt, was Sie da trinken, Morse?«

Erst nachdem Morse das Glas seines Besuchers einmal und noch ein zweites Mal gefüllt hatte, kam Strange auf den Zweck seines abendlichen Besuchs zu sprechen.

»Die Zeitungen – sogar die Boulevardblätter – haben mich mal wieder groß rausgebracht. Haben Sie die gestrige Times gelesen?«

»Ich lese nie die Times.«

»Was? Das verdammte Blatt liegt doch da drüben auf dem Couchtisch!«

»Nur wegen des Kreuzworträtsels. Und der Leserbriefe.«

»Nicht wegen der Todesanzeigen?«

»Die überfliege ich allenfalls.«

»Um festzustellen, ob Sie drinstehen?«

»Um festzustellen, ob Jüngere als ich dabei sind.«

»Wie bitte?«

»Wenn sie jünger sind als ich, habe ich – das hat mir mal ein Statistiker erklärt – eine etwas bessere Chance, älter zu werden als der Durchschnitt.«

»Hm.« Strange nickte, schien aber nicht ganz bei der Sache zu sein. »Haben Sie Angst vor dem Tod?«

»Ein bisschen schon.«

Strange griff unvermittelt nach seinem zweiten Scotch und kippte ihn in einem Zug hinunter, wie ein Besucher der russischen Botschaft den Begrüßungswodka.

»Und wie stehts mit Fernsehen, Morse? Haben Sie gestern Abend die Nachrichten aus dem Südosten gesehen?«

»Ich habe zwar einen Fernseher und auch einen Videorekorder, aber irgendwie komme ich nie dazu, den Kasten anzustellen, und mit dem Videorekorder schlage ich mich mehr schlecht als recht herum.«

»Und wie wollen Sie dann durchschauen, was draußen in der großen weiten Welt vorgeht? Von Ihnen wird erwartet, dass Sie wissen, was läuft. Als Kriminalbeamter, Morse …«

»Ich informiere mich über den Rundfunk …«

»Rundfunk! Seit dreißig Jahren sagt jeder vernünftige Mensch ›Radio‹.«

Morse nickte unbestimmt, aber Strange fuhr schon fort: »Bloß gut, dass ich das hier mitgebracht habe.«

Morse hätte ihn gern darauf hingewiesen, dass auch aufmerksame Times-Leser durchaus in den Geruch einer gewissen Rückständigkeit kommen konnten, hielt dann aber doch lieber den Mund und las langsam und konzentriert den fotokopierten Artikel, den Strange ihm in die Hand gedrückt hatte. Morse las immer langsam.

MORDDEZERNATSUCHTANONYMENANRUFER

Ein anonymer Anrufer lieferte der Polizei Informationen, welche zur Ergreifung des Mörders von Mrs Yvonne Harrison führen könnten, die vor einem Jahr mit Handschellen gefesselt tot aufgefunden worden war. Die Kriminalpolizei appellierte gestern an den Anrufer, sich noch einmal zu melden. Für den Mord an der achtundvierzigjährigen Krankenschwester in dem Dörfchen Lower Swinstead in Oxfordshire, deren Mörder durch ein Fenster im Erdgeschoss eindrang, hat sich bislang kein eindeutiges Motiv ergeben.

Laut Chief Superintendent Strange von der Thames Valley Police rief der Mann zweimal an. »Wir haben das größte Interesse daran, baldmöglichst wieder von dem Anrufer zu hören, und werden seine Mitteilungen natürlich streng vertraulich behandeln. Die Anrufe waren nach unserer Meinung kein schlechter Scherz, und der Anrufer war, soweit wir das beurteilen können, auch nicht selbst der Mörder, aber wir erhoffen uns von ihm einen wesentlichen Beitrag zur Aufhellung dieses brutalen Mordfalls.«

Mrs Harrisons Ehemann Frank hielt sich zur Tatzeit in London auf, wo er für die Swiss Helvetia Bank tätig ist. Simon, der Sohn des Hauses, arbeitet im Verlag Daedalus Press in Oxford, die Tochter Sarah ist Assistenzärztin im Diabeteszentrum der Radcliffe Infirmary in Oxford.

Hatte Morse beim Lesen des letzten Satzes die Augen leicht zusammengekniffen? Nicht ausgeschlossen, dass ihn etwas daran verwundert oder sein Interesse geweckt hatte, aber er enthielt sich jeden Kommentars dazu.

»Ich darf doch annehmen, dass die ›Aufhellung‹ nicht auf Ihrem Mist gewachsen ist?«, fragte er seinen Vorgesetzten.

»Na, hören Sie mal! Sie kennen doch den schlampigen Stil dieser Zeitungsfritzen.«

Morse nickte und gab den fotokopierten Artikel zurück.

»Nein, behalten Sie ihn, Morse. Ich habe das Original.«

»Sehr liebenswürdig, aber –«

»Interessiert Sie die Meldung nicht?«

»Nur der Schluss, wo vom Radcliffe die Rede ist.«

»Warum das?«

»Sie wissen ja, dass ich dort mal gelegen habe, nachdem sie mich diagnostiziert hatten.«

»Heiliger Himmel, das hört sich ja an, als wären Sie der Einzige, bei dem jemals ein Befund festgestellt worden ist.«

Morse hielt den Mund, denn natürlich wusste er, dass auch Strange etwa ein Jahr vor ihm Patient im Radcliffe gewesen war. Über seine Beschwerden war nichts Genaues bekannt. Im Flüsterton munkelte man etwas von »endokrinologischer Dysfunktion«, aber es gab im Präsidium nicht viele Mitarbeiter, die ein so vielsilbiges Leiden kannten und es ohne Weiteres hätten buchstabieren oder aussprechen können.

»Wissen Sie, warum ich Ihnen den Artikel mitgebracht habe, Morse?«

»Nein. Und ehrlich gesagt will ich es auch gar nicht wissen. Ich habe bekanntlich Urlaub. Hochgradige Erschöpfung, meint mein Arzt. Viel zu hohe Blutzuckerwerte. Viel zu hoher Blutdruck. Ruhen Sie sich ein paar Tage ordentlich aus, hat er gesagt, und vergessen Sie die große weite Welt da draußen.«

»Leider ist es nicht allen vergönnt, sie zu vergessen«, sagte Strange leise, und Morse stand auf und schaltete das Radio aus.

»Der Fall war nicht gerade ein Ruhmesblatt für Sie, wenn ich mich recht erinnere.«

»Einer der wenigen, sehr wenigen Fälle, Morse, die ich gegen die Wand gefahren habe. Dabei war es genau genommen gar nicht mein Fall, aber er fiel und fällt in meine Zuständigkeit.«

»Und was hat das mit mir zu tun?«

Strange schien noch breiter und mächtiger zu werden, als er herausbrachte: »Nach der Sache mit meiner Frau … das war ja alles nicht so einfach … ich dachte, es würde mir guttun, noch ein Jahr zu bleiben. Aber …«

Morse nickte mitfühlend. Mrs Strange war vor einem Jahr ganz plötzlich gestorben – an einem Herzinfarkt, was bei einer so mageren, so vorsichtigen, körperlich scheinbar so robusten Frau niemand erwartet hätte. Sie war kein sehr liebenswerter Mensch gewesen. Nach außen hatte sie der Welt das schwache Eheweib vorgespielt, im Haus aber ein strenges Regiment geführt. Strange hing offenbar trotzdem sehr an ihr. Freunde hatten von einer »Musterehe« gesprochen, und man war sich darüber einig, dass der Witwer, hätte er wie geplant im September des vergangenen Jahres mit dem Dienst Schluss gemacht, erst einmal völlig verloren gewesen wäre. Schließlich hatte er sich überreden lassen, seine Entscheidung zu überdenken und noch ein Jahr zu bleiben. Richtig wohl aber fühlte er sich nicht mehr im Präsidium, oft kam er sich dort vor wie ein pensionierter Studienrat, der plötzlich wieder im Lehrerzimmer auftaucht. Es war die falsche Entscheidung gewesen. Morse wusste es. Strange wusste es.

»Ich weiß trotzdem nicht, was das mit mir zu tun hat.«

»Ich möchte, dass die Ermittlungen wieder aufgenommen werden. Endgültig war die Akte ja sowieso noch nicht geschlossen. Die Sache lässt mir keine Ruhe. Wir hätten weiterkommen müssen.«

»Ich weiß trotzdem nicht …«

»Ich möchte, dass Sie sich den Fall noch mal ansehen. Wenn einer diese Nuss knacken kann, dann Sie. Und wissen Sie warum? Weil Sie ein Glückspilz sind, Morse. Darum. Und ich will, dass dieser Fall gelöst wird.«

3

Und er sprach zu ihnen: Wer unter euch hat einen Freund und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm: Lieber Freund, leih mir drei Brote; denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann, und der drinnen würde antworten und sprechen: Mach mir keine Unruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen und meine Kinder und ich liegen schon zu Bett; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben. Ich sage euch: Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, so viel er bedarf.

Lukasevangelium, Kapitel 11, Vers 5–8

Glückspilz?

Morse war sehr wohl der Meinung, dass Glück im Leben eine weit größere Rolle spielt, als die meisten Menschen, ganz gewiss aber jene hochmögenden Herrschaften meinen, die ihre Bedeutung allein persönlichem Verdienst zuschreiben. Wenn er auf sein Leben und seine Laufbahn zurückblickte, fand er allerdings nicht, dass ihn das Glück besonders begünstigt hätte – oder zumindest nicht in dem, was man gemeinhin Herzensangelegenheiten zu nennen pflegt. Andererseits hatte Strange vielleicht insofern recht, als Morse um die Karriere, die er bei der Thames Valley Police gemacht hatte, von den meisten Kollegen beneidet wurde. Seine Erfolgsquote war das Ergebnis – so die Analyse von Morse – der verschiedensten Faktoren, eine kuriose Kombination aus fleißigem Nachdenken und fleißigem Trinken (was für Morse bedeutungsgleich war), fleißiger Arbeit (für die gewöhnlich Sergeant Lewis zuständig war) und, ja, gewiss – hier und da einer Prise Glück. Die Römer hatten ihre Trankopfer nicht nur Jupiter und Venus und den ihnen angeschlossenen Gottheiten im Pantheon dargebracht, sondern auch Fortuna, der Göttin des Glücks.

Also doch ein Glückspilz?

Ein bisschen schon.

Jetzt musste Morse aber doch etwas sagen.

»Warum der Mord in Lower Swinstead? Warum nicht der in Hampton Poyle, in Cowley …«

»Mit denen hatte ich nichts zu tun.«

»Das ist der einzige Grund? Dass Sie vor Ihrem Abgang reinen Tisch machen wollen?«

»Ja, zum Teil«, sagte Strange etwas verlegen. »Aber …«

»Der Polizeipräsident würde die Wiederaufnahme der Ermittlungen nie genehmigen.«

»Es sei denn, wir hätten neues Beweismaterial.«

»Eine eitle Hoffnung …«

»Der Typ, der angerufen hat …«

»Bei uns rufen jede Menge Leute an. Aber wem sage ich das!«

»Er hat es zweimal versucht. Er weiß etwas. Bestimmt.«

»Haben Sie selbst mit ihm gesprochen?«

»Nein. Der Anruf ging bei der Zentrale ein. Er wollte nicht verbunden werden, sondern nur eine Nachricht hinterlassen.«

»Für Sie?«

»Ja.«

»Und es war bestimmt ein Mann?«

»Hörte sich so an.«

»Aber das Tonband gibt doch sicher …«

»Wir können nicht alle Spinner auf Band nehmen, die anrufen und wissen wollen, wie spät es ist.«

»Viel haben wir damit nicht in der Hand.«

»Zweimal, Morse? Das erste Mal am Jahrestag des Mordes? Ich bitte Sie! Wir haben die moralische Pflicht, den Fall wieder aufzurollen, begreifen Sie das nicht?«

Morse schüttelte den Kopf. »Zwei anonyme Anrufe sind für unsere Zwecke keinen Schuss Pulver wert.«

Plötzlich – warum eigentlich? – war die Befangenheit von Chief Superintendent Strange verflogen. Er rutschte noch tiefer in seinen Sessel.

»Sie haben natürlich recht. Es würde sich nicht lohnen, den Fall wieder aufzurollen, es sei denn …« Strange legte eine wirkungsvolle Pause ein und fuhr dann in verbindlich mildem Ton fort: »… es sei denn, unser Anrufer – der sich hinter der schützenden Anonymität versteckt, Morse! – hätte uns neue Hinweise geliefert. Nach meinem Appell – einem landesweiten Appell – sind noch mehr zu erwarten. Und dabei denke ich nicht nur an einen dritten Anruf unseres Freundes, auch wenn ich darauf hoffe. Ich denke an Hinweise aus der Bevölkerung, Hinweise von Leuten, die dachten, der Fall sei vergessen, Leuten, deren Gedächtnis ich mit meinem Aufruf auf die Sprünge geholfen habe, Leuten, die bisher gewisse Hemmungen hatten, sich zu melden.«

»So was solls geben«, räumte Morse ein.

Der Sessel knarrte, als Strange sich vorlehnte und fast gütig lächelnd das leere Glas vorstreckte. »Ein Genuss!«

Morse schenkte nach und stellte eine naheliegende Frage: »Sie hatten ursprünglich zwei Inspektoren auf den Fall angesetzt …«

»Drei.«

»… mehrere Sergeants, wer weiß wie viele Polizisten und Polizistinnen …«

»Uniformierte Ordnungskräfte meinen Sie wohl. Alles andere gilt als sexuell diskriminierend. Wobei mir einfällt: Hat man Ihnen eigentlich mal sexuelle Belästigung vorgeworfen?«

»Selten. Höchstens war es umgekehrt.«

Strange feixte und trank genüsslich einen Schluck von seinem Scotch. »Ich wollte Sie nicht unterbrechen …«

»Ja, wie gesagt: Sie hatten jede Menge Leute auf den Fall angesetzt, die sich eingehend mit ihm beschäftigt, die mit ihm gelebt haben, die …«

»… dabei keinen Schritt weitergekommen sind.«

»Vielleicht sollten wir nicht zu streng sein. Wir werden nie alles aufklären können. Die Mathematiker haben dreihundert Jahre gebraucht, um Fermats letzten Satz zu lösen.«

»Hm.« Strange schwenkte sein Glas und hielt es ans Licht wie ein Preisrichter den Humpen beim Bierfestival. »Die gleiche Farbe wie meine Urinprobe im Radcliffe.«

»Nur dass Scotch besser schmeckt.«

»Hören Sie zu, Morse. Ich bin kein Kreuzworträtselexperte wie Sie. Manchmal kriege ich nicht mal das Kaffeepausenrätsel im Mirror raus. Aber eins weiß ich. Wenn man nicht mehr weiterkommt –«

»– was selbst Könnern hin und wieder passiert –«

»– gibt es nur eine Möglichkeit. Sie lassen das Rätsel liegen, gehen weg, stellen sich Brigitte Bardot als süße Siebzehnjährige vor, setzen sich wieder dran und – Eureka! Das ist wie bei einem Namen. Je mehr man sich den Kopf darüber zerbricht, desto weniger fällt er einem ein, aber wenn man eine Weile nicht mehr dran denkt und dann einen zweiten Anlauf macht …«

»Ich hatte, abgesehen von ein, zwei Tagen ganz am Anfang, noch nicht mal einen ersten Anlauf genommen. Bekanntlich war ich mit einem anderen Fall beschäftigt und außerdem nicht in Bestform, ich war ja gerade erst aus dem Krankenhaus gekommen.«

»Ich muss den Fall wieder aufrollen, Morse. Sie wissen warum.«

»Versuchen Sies bei einem anderen.«

»Sie wollen es sich nicht wenigstens überlegen?«

»Ich habe Urlaub«, sagte Morse, jetzt leicht gereizt. »Ich bin ausgebrannt. Ich schlafe schlecht. Ich trinke zu viel. Ich bin niemandem verpflichtet. Ich habe keine Angehörigen mehr. Ich sehe nicht allzu viel Sinn in meinem Leben …«

»Mir kommen gleich die Tränen!«

»Mit einem Wort: ohne mich!«

»Das ist Ihr letztes Wort?«

»Ja.«

»Sie wissen, dass ich es nicht nötig habe, Sie auf den Knien anzuflehen. Ich mag Ihnen gegenüber nicht den Vorgesetzten herauskehren, Morse, aber vergessen Sie bitte nicht, dass ich es könnte, wenn ich wollte.«

»Warum versuchen Sie Ihr Glück nicht bei einem Kollegen?«

»Na gut: Vergessen Sie, was ich eben gesagt habe. Lassen Sie es mich so ausdrücken: Ich bitte Sie um einen Gefallen, Morse. Einen persönlichen Gefallen.«

»Vielleicht bin ich bald ja gar nicht mehr da.«

»Was soll das heißen?«

Doch Morse schien kaum hinzuhören; er sah aus dem Fenster auf sein Fleckchen Grün, wo ein kleiner Vogel mit grauem Kopf und dunklen Blockstreifen auf dem Rücken sich unter den schon viel leerer gewordenen Erdnussbehälter gesetzt hatte.

»Sehen Sie mal!«, er reichte Strange das Fernglas. »Nur ein paar Nüsse – und schon stellen sich die seltensten Vogelarten ein. Ich muss noch das Gefieder nachschlagen, aber …«

Strange hatte bereits – mit erstaunlich geübtem Griff, wie Morse fand – das Fernglas scharf gestellt.

»Verstehen Sie was von Vögeln?«

»Wahrscheinlich mehr als Sie.«

»Prächtiger kleiner Geselle, was?«

»Gesellin.«

»Bitte?«

»Noch nicht geschlechtsreifes Weibchen der Spezies.«

»Welcher Spezies?«

»Passer domesticus, Morse. Wissen Sie denn nicht mal, wie ein gewöhnlicher Haussperling aussieht?«

Wieder einmal war Morse genötigt, Chief Superintendent Strange in all seiner wunderlichen Widersprüchlichkeit insgeheim Abbitte zu leisten.

»Lassen Sie sich die Sache durch den Kopf gehen, Morse. Wollen Sie mir wenigstens das versprechen?«

Der Chief Inspector nickte matt.

Und Strange lächelte zufrieden. »Na also. Ich kann Ihnen die erfreuliche Mitteilung machen, dass ich Ihnen Sergeant Lewis als rechte Hand zur Verfügung stellen werde. Ich – äh – habe kurz mit ihm gesprochen, ehe ich herkam, und …«

»Soll das heißen, dass Sie schon …«

Strange schnippte mit einem Wurstfinger gegen den geschliffenen Whiskybecher. »Müsste das nicht gefeiert werden?«

4

Er und der düster schweigend Geist traten sich gegenüber –

Es kannt ein jeder des andren Herz bis in den tiefsten Grund;

So groß war ihre Stärke, dass doch keiner je darüber

Den früheren Freund und künft’gen Feind vergessen kunnt.

Doch beider Augen zeigten edle ew’ge Trauer über

Ein grausam Schicksal, das sie zwingt, mehr als ihr beider Wunsch,

Und das als Zeitraum ihres Kampfes die Ewigkeit bestimmt

Und für ihr beider Kampfgebiet den ganzen Himmel nimmt.

Lord Byron, Die Vision des Gerichts, XXXI

Es gibt Menschen, die freundschaftlich miteinander umgehen können, ohne Freunde zu sein. Andere wieder können Freunde sein, ohne freundschaftlich miteinander umzugehen. Die Beziehung zwischen Morse und Strange gehörte seit jeher in die zweite Kategorie.

»Lesen Sie auch das«, verlangte Strange fast gebieterisch und holte, als er Morse ein liniertes DIN-A4-Blatt zuschob, so schwungvoll aus, dass sein Glas auf dem Parkettboden landete und in tausend Stücke ging.

»Tut mir leid.«

Morse erhob sich widerwillig, um Handfeger und Schaufel aus der Küche zu holen.

»Hätte schlimmer kommen können«, bemerkte Strange. »Gut, dass es nicht voll war.«

Während Morse sorgsam die Scherben zusammenkehrte – das Glas war eins von einem halben Dutzend (jetzt einem Vierteldutzend), das ihm seine Mutter vermacht hatte –, packte ihn eine dem Zwischenfall völlig unangemessene irrationale Wut. Er zählte bis zwanzig und beruhigte sich langsam, während Strange ein Loblied auf die Gläser zu fünfzig Pence pro Stück sang, die er neulich als Sonderangebot in der Markthalle entdeckt hatte.

»Ist wohl besser, wenn ich keinen Scotch mehr trinke.«

»Wenn Sie noch fahren müssen …«

»Ich muss nicht fahren, ich werde gefahren. Und dass ich mir ausgerechnet von Ihnen Belehrungen über Alkohol am Steuer anhören muss, ist eigentlich ein starkes Stück. Aber es stimmt schon – wir haben genug.«

Morse las, wie wir wissen, immer sehr langsam, und da er in diesem Augenblick das dringende Bedürfnis verspürte, mindestens bis zehn zu zählen, dauerte die Lektüre der beiden handgeschriebenen Absätze geraume Zeit. Als er fertig war, legte er das Blatt wortlos hin.

Strange brach das Schweigen.

»Also, wenn ich es mir recht überlege, könnten wir vielleicht doch … ein kleines Schlückchen, wie …?«

»Nicht für mich.«

»Das war als Pluralis Majestatis gedacht, Morse.«

Der kam zu dem Schluss, dass eine Drehung um hundertachtzig Grad genau genommen nichts anderes als die rationale Korrektur eines vorher irrtümlich eingeschlagenen Kurses war, und schenkte noch einmal ein, für Strange in eins der Billiggläser, die er vor ein paar Wochen für nur fünfzig Pence das Stück in der Markthalle erstanden hatte.

»Ist das der Text, den unser guter Sergeant vom Dienst sich notiert hat?« Morse deutete auf das linierte Blatt.

»N-nein, nicht ganz«, sagte Strange merkwürdig zögernd. »Das habe ich geschrieben, soweit ich … den genauen Wortlaut ausmachen konnte. Schwierig, wenn man so was aus zweiter Hand bekommt, womöglich noch entstellt …«

»So schwierig kann das doch nicht sein«, wunderte sich Morse. »Was im Präsidium einläuft, wird doch alles aufgezeichnet.«

»Ja, schon, aber die Qualität ist manchmal ziemlich mies, und wenn jemand leise und undeutlich spricht …«

Morse sah seinen Vorgesetzten an und lächelte schmal. »Mit einem Wort: Das Bandgerät hat gestreikt, und der Text ist weg.«

»Jede Mechanik streikt hin und wieder.«

»In beiden Fällen?«

»In beiden Fällen.«

»Sie müssen sich also ganz auf den Diensthabenden verlassen.«

»Genau.«

»Atkinson?«

»Äh … ja …«

»Ist das nicht der, der inzwischen nicht mehr für den Publikumsverkehr eingesetzt wird?«

»Äh … ja …«

»Wegen seiner Schwerhörigkeit?«

»Das ist kein Spaß, Morse. Schwerhörige sind bedauernswerte Menschen.«

»Soll ich mal mit ihm reden?«, fragte Morse mit einem merkwürdig in die Breite gehenden Lächeln.

»Ich habe schon – ähem …«

»Der Anrufer hat sich bei Ihnen zu Hause gemeldet, nicht?«

Strange rutschte unbehaglich in seinem Sessel hin und her, dann nickte er langsam.

»Ich denke, Sie stehen gar nicht im Telefonbuch.«

»Richtig gedacht.«

»Woher hatte er dann Ihre Nummer?«

»Keine Ahnung.«

»Die Nummer dürften eigentlich nur Ihre Freunde kennen, Angehörige vielleicht …«

»… und Leute aus dem Präsidium«, ergänzte Strange.

»Worauf wollen Sie hinaus?«

»Haben Sie meine Nummer?«

Morse ging in die Diele und kam mit einem Telefonverzeichnis aus weißem Plastik zurück. Er drückte den Buchstaben S und hielt die Liste der Namen und Nummern seinem Vorgesetzten unter die jetzt mit einer Halbbrille bewehrte Nase. »Hat sich nicht geändert, oder?«

»Am Anfang steht jetzt noch eine fünf, aber das wissen Sie ja.« Strange sah den Chief Inspector scharf an.

»Ja. Das ist bei meiner Nummer genauso.«

»Was meinen Sie, soll ich mein Telefon überwachen lassen?«

»Wäre nicht schlecht für den Fall, dass er sich noch mal meldet.«

»Was er bestimmt tut.«

»Wetten, dass es ein Spinner ist?«

»Müsste schon ein sehr gut informierter Spinner sein.« Strange deutete auf das Blatt, das noch bei Morse auf der Sessellehne lag. »Einer, der genau Bescheid weiß. Ein Insider? Ein, zwei Punkte sind nie an die Presse gegeben worden, es sind Sachen, die nur die Polizei wissen kann.«

»Und der Mörder«, ergänzte Morse.

»Und der Mörder«, wiederholte Strange.

Morse sah sich noch einmal an, was sich Strange in einer zu seiner Figur passenden überdimensionierten Krakelschrift notiert hatte:

Anruf 1

Die Puppe aus Lower Swinstead – Slipp rauf und runter wie ’n Jojo – jede Menge zahlende Kunden und ein paar nicht zahlende wie mich … Weit seid ihr in dem Fall nicht gekommen mit eurer Inkompetens. Als Vorspeise habt ihr überlegt, obs einer von den Hiesigen war, als Hauptgericht habt ihr eure Zeit mit dem Ehemann vertrödelt, und Nachtisch gabs nicht, weil das Geld alle war, stimmts oder hab ich recht? Idioten, einer wie der andere. Nein, unterbrechen Sie mich nicht. (Leitung plötzlich tot.)

Anruf 2

Also, dass Sie mich diesmal nicht unterbrechen, klar? Wenn ich auch nur einen Ton höre … Die Lady war angestochen wie ’n altes Dartbrett, daran hab ich mich auch beteiligt, und zwar nicht zu knapp, aber zu tun hab ich mit der ganzen Sache nichts. Wolln Sie ’n Tipp haben? In vierzehn Tagen kommt einer aus dem Knast, einer von den Hiesigen. Ist das deutlich genug? Damals habt ihr den Fall vermurkst, und dass ihr jetzt noch ’ne Chance kriegt, ist verdammter Dusel. (Leitung plötzlich tot.)

Morse sah auf und stellte fest, dass der Blick seines Vorgesetzten noch immer unverwandt auf ihn gerichtet war.

»›Inkompetenz‹ schreibt sich mit z am Ende.«

»Heißen Dank.«

»Und ›Slip‹, soviel ich weiß, nach wie vor mit nur einem ›p‹.«

Strange lächelte grimmig. »Und Yvonne Harrison hat, soviel ich weiß, auf dieses Kleidungsstück häufig ganz verzichtet.« Er rappelte sich aus dem Sessel hoch. »Am Montag bei mir im Büro. Gleich früh.«

»Acht?«

»Halb zehn?«

»Halb zehn.«

»Jetzt überlasse ich Sie wieder Ihrem Schubert. Warum eigentlich nicht Wagner? Genau richtig für ein paar ruhige Urlaubstage, der Ring. Besonders die Solti-Aufnahme.«

Morse sah seinem Besucher nach, der leise wankend zu dem frech auf dem »Parkplatz nur für Anwoner« stehenden Dienstfahrzeug ging. (Natürlich hatte Morse den Vorsitzenden des Mietervereins längst auf den Rechtschreibfehler hingewiesen.)

Er schloss die Wohnungstür, blieb einen Moment stehen und bestätigte durch ein fast unmerkliches Nicken die schlichte Wahrheit um die Beziehung zweier Männer, die sich von ihrer besten wie von ihrer schlechtesten Seite in- und auswendig kannten.

Spiel, Satz und Sieg für Strange.

Oder doch nicht?

Denn etwas an dem, was er soeben erfahren, etwas, was er noch nicht einmal andeutungsweise analysiert hatte, machte ihn ein wenig ratlos.

Der Sonntag war angenehm sommerlich, und Morse beschloss – nicht anders als drei Viertel der Bevölkerung von Oxfordshire –, einen Ausflug nach Bournemouth zu machen. Er brauchte eine Stunde, um einen Parkplatz für den Jaguar zu finden, und weitere dreißig Minuten, bis er am Strand war, wo Wagen- und Busladungen furchteinflößender Familienverbände um zwei Quadratmeter Lebensraum feilschten. Je weiter er aber die Eiscremesalons hinter sich ließ, desto weniger Tagesausflügler liefen ihm über den Weg. Die wechselnden Stimmungen von Homers tief brausender See hatten ihn schon immer fasziniert. Das war auch heute so.

Bald stand er am träge plätschernden Wasser, überlegte, ob die Flut gerade ablief oder hereinkam, und sah auf das glasige Rund einer Qualle hinunter.

»Tot?«

Erst jetzt nahm Morse die junge Frau mit dem kastanienroten Haar und dem knappen Bikini wahr, die direkt neben ihm stand.

»Ich weiß nicht. Aber weil ich nichts Besseres zu tun habe, bin ich fest entschlossen, hier zu warten, bis die Flut kommt, dann wird man ja sehen …«

»Aber die Flut läuft doch gerade erst ab!«

Das Nicken des Chief Inspector war voller Melancholie. »Sie mögen recht haben.«

»Arme Qualle.«

»Hm.« Morse betrachtete erneut das allem Anschein nach dem Tod geweihte durchsichtige Geschöpf zu seinen Füßen. »Wie traurig, Qualle zu sein.«

Nach seiner Art zu reden schien er ein recht interessanter Mensch zu sein, und die junge Frau war versucht, noch ein Weilchen bei ihm zu bleiben. Doch dann zwang sie sich, die stahlblauen Augen zu vergessen, die sekundenlang die ihren festgehalten hatten, und ging ohne ein weiteres Wort davon, denn ihr waren plötzlich Zweifel am Verstand des Mannes gekommen, der so reglos dastand und auf den Boden starrte.

5

Im Lande der Blinden ist der Einäugige König.

Afghanisches Sprichwort

Am Dienstag, dem 14. Juli, einen Tag vor dem Besuch von Strange bei Morse, hatte Lewis sich nach telefonischer Aufforderung über den Hausapparat pünktlich im Büro des Chief Superintendent im Polizeipräsidium Thames Valley eingestellt.

»Arbeit für Sie, Lewis. Erinnern Sie sich noch an den Mord in Lower Swinstead?«

»Ja, aber nur dunkel. Und natürlich habe ich gelesen, was über die Anrufe in der Zeitung stand. Ich hatte mit dem Fall nichts zu tun, wir waren gerade anderweitig –«

»Jetzt haben Sie was mit dem Fall zu tun. Ab Montag. Wenn Morse von den Bermudas zurück ist.«

»Ich wusste gar nicht, dass er verreist ist.«

»Kleiner Scherz, Lewis.« Strange lächelte jovial und bettete sein oberstes Kinn bequem in die beiden anderen.

»Und der Chief Inspector hat zugestimmt?«

»Was will er machen? Und dass Sie gern mit dem alten Knaben arbeiten, weiß ich ja.«

»Nicht immer.«

»Na, er jedenfalls arbeitet immer gern mit Ihnen.«

Lewis, in dem sich ein merkwürdiges Gefühl der Genugtuung regte, antwortete nicht.

»Na?«

»Ja, wenn Morse einverstanden ist …«

»Ist er.«

»Ich ruf ihn am besten mal an.«

»Das lassen Sie schön bleiben. Er ist ziemlich kaputt und braucht Ruhe. Lassen Sie ihm Zeit, mal wieder zu sich selbst zu finden. Lassen Sie ihn ein bisschen kreuzworträtseln, tüchtig schlucken …«

»Und vergessen Sie seinen geliebten Wagner nicht. Er hat sich gerade noch eine Aufnahme von diesem komischen Ring-Dingsbums gekauft, hat er mir erzählt.«

»Welche?«

»Mit einem Dirigenten, der Sholty heißt. Oder so ähnlich.«

»Soso.« Strange deutete auf drei überquellende grüne Aktenboxen, die neben ihm auf dem Schreibtisch übereinandergestapelt waren. »Lektüre für Sie. Damit haben Sie die Chance, ein paar Züge Vorsprung vor Morse zu kriegen.«

Lewis stand auf, nahm die Boxen und schleppte sie, die oberste mit dem Kinn festhaltend, unbeholfen zur Tür. »Ich hab nie auch nur einen Zug Vorsprung vor Morse gehabt.«

»Sie dürfen sich nicht unterschätzen, Lewis. Das können Sie getrost anderen überlassen.«

Lewis brachte ein gutmütiges Lächeln zustande. »Es gibt nicht viele, die bei Morse einen Zug Vorsprung zustande bringen.«

»Nein? Moment, ich halte Ihnen die Tür auf … Ein, zwei Leute gibt es schon, die das gelegentlich schaffen.«

»Mag sein. Ich hab nur noch niemanden getroffen.«

»Wenn Sie sich da mal nicht irren«, sagte Strange leise.

Lewis verdrehte vielsagend die Augen, während er seine dreifache Last durch die Tür bugsierte.

Abends war Lewis gerade mit seinen Spiegeleiern und Fritten fertig geworden, hatte die letzte Scheibe braunes Brot durch die restliche HP-Sauce gezogen und den letzten Schluck kalte Vollmilch getrunken, als er von oben ein »Dad? Da-ad?« rufen hörte.

Gleich darauf sah sich Lewis mit dem ersten Satz einer Arbeit im Leistungskurs Französisch konfrontiert: »Noch eine Flasche von diesem vorzüglichen Wein, Herr Ober!«

»Ist doch ganz leicht.«

»Ist ›Flasche‹ auf Französisch männlich oder weiblich?«

»Wozu hab ich dir ein Lexikon gekauft?«

»Wenn ichs doch in der Schule gelassen hab …«

»Na und?«

»Mit anderen Worten: Du weißt es nicht.«

»Du bist schlauer, als ich dachte, mein Sohn.«

»Kannst du nicht raten?«

»Also … es muss entweder Maskulinum oder Femininum sein.«

»Na toll!«

»Sagen wir mal, die ›Flasche‹ ist weiblich. Dann heißt es … äh … Garçon! Une autre bouteille de cette …«

»Du bist unmöglich, Dad! Wenn du une autre bouteille sagst, heißt das eine andere Flasche Wein.«

»Ach so.«

»Es heißt encore une bouteille de und so weiter.«

»Warum fragst du mich dann erst?«

»Vergiss es. Ich sags ja: Totalausfall.«

Lewis hatte nie Little Dorrit gelesen, und anders als Morse wusste er nichts von der beruhigenden Wirkung des Zählens bis soundso viel. Deshalb wühlten Wut und Enttäuschung in ihm, als er leise die Treppe hinunterging, die Aktenboxen vom Dielentisch nahm, am Wohnzimmer vorbei, wo Mrs Lewis eine Seifenoper guckte, in die Küche ging und sich dort an den Tisch setzte. Er wollte sich mit den so verschiedenartigen Mitgliedern der Familie Harrison bekannt machen – Ehefrau, Ehemann, Tochter, Sohn –, die tragende Rollen in dem Drama von Lower Swinstead gespielt hatten.

Es fiel ihm nicht ganz leicht, sich zu konzentrieren, da die grausamen Worte in seinem Kopf noch nachhallten. Nach einer Weile aber war er zunehmend gefesselt von den traurigen Erfahrungen jener Unbekannten: des Ehemanns Frank, der Tochter Sarah, des Sohns Simon und der Mutter Yvonne, die im Dorf Lower Swinstead in den Cotswolds so brutal ermordet worden war.

6

Der englische Landedelmann, der im Galopp einen Fuchs verfolgt – der Unsägliche auf der Jagd nach dem Ungenießbaren.

Oscar Wilde, Eine Frau ohne Bedeutung

Zuerst hatte er gezögert, sie so bald schon zu einem Gespräch zu bitten. Doch dann hatte er sich eines Besseren besonnen. Lieber heute als morgen, hatte er sich gesagt und sie – allerdings lange nicht so gebieterisch, wie Strange es vor drei Tagen mit Lewis gemacht hatte – für halb fünf in sein Büro beordert.

Sie war pünktlich, blieb ein paar Sekunden stumm und regungslos vor der Tür stehen und klopfte dann leise. Sie kam sich vor wie ein Schulmädchen vor der Tür der Direktorin.

»Herein.«

Sie betrat das Büro und setzte sich ihm gegenüber an den Schreibtisch.

Professor Turner hatte helle Haut und höfliche Manieren. Er war Anfang sechzig und als Leiter des Diabeteszentrums im Radcliffe Infirmary, Oxford, eine international hoch angesehene Kapazität.

»Sie wollten mich sprechen?«

Zunächst aber wollte er ihr ein wenig die Befangenheit nehmen.

»Wir werden, so wie es aussieht, in den nächsten Monaten, vielleicht sogar Jahren viel miteinander zu tun haben. Ich schlage deshalb vor, dass Sie mich Robert nennen.«

Sarah Harrison, eine schlanke Frau Ende zwanzig mit braunem Haar und braunen Augen, spürte, wie sich ihre Schultermuskeln leicht lockerten.

Aber nicht lange.

»Ich habe mir ein- oder zweimal Ihre Gespräche mit Patienten angehört …«

»Dreimal.«

»… und habe den Eindruck gewonnen, dass Sie Ihre Sache gut machen werden, dass Sie ihr gewachsen sind. Sie wissen, was ich meine?«

»Danke.«

»Allerdings sind Sie noch nicht gut genug.«

»Ich dachte, ich wäre schon besser geworden.«

»Gewiss. Nur sind Sie – nehmen Sies mir nicht übel – immer noch erstaunlich naiv. Sie scheinen alles zu glauben, was Ihre Patienten Ihnen erzählen.«

»Woran soll man sich denn sonst halten?«

»Es gibt da einige bewährte Hilfsmittel. Ein gewisses Maß an gesunder und notwendiger Skepsis. Und natürlich Erfahrung. Beides werden Sie sich sehr bald selbst aneignen. Ich will damit nur sagen, dass Sie so schnell wie möglich anfangen sollten, daran zu arbeiten.«

»Denken Sie an etwas Bestimmtes?«

»An all das, was die Patienten Ihnen über ihre Blutzuckerwerte, sexuellen Aktivitäten, ihre Ernährung, ihren Alkoholgenuss erzählen. Das Einzige, womit man Sie nicht hinters Licht führen kann, ist das Gewicht.«

»Und der Blutdruck.«

Turner schenkte seiner Schülerin ein mildes Lächeln. »Mein Vertrauen in unsere Blutdruckmessungen ist nicht so grenzenlos wie das Ihre.«

»Aber nicht alle schwindeln uns doch an.«

»Das nicht, nein. Aber seien wir ehrlich – wer verstellt sich nicht hin und wieder? Wir sagen alle gern, dass es uns großartig geht, auch wenn wir uns erbärmlich fühlen, nicht wahr?«

»Mag sein.«

»Und unsere Hauptaufgabe ist es«, erklärte Turner ruhig, aber bestimmt, »aufklärend zu wirken und unsere Patienten anzuleiten, mit einer potenziell sehr gefährlichen Erkrankung umzugehen.«

Sarah sagte nichts. Sie wirkte ein bisschen deprimiert.

»Eine stattliche Zahl unserer Patienten«, fuhr er fort, »sind professionelle Lügner. Einige kenne ich seit Jahren, und sie kennen mich. Dass wir einander beschwindeln, spielt keine Rolle, weil wir wissen, was wir wechselseitig von unseren Märchen zu halten haben … Aber genug davon.« Turner warf einen Blick in die vor ihm liegende Akte. »Wie ich sehe, haben Sie für Montag David Mackenzie auf Ihrer Liste. Ich werde dazukommen. Ich glaube, sein Geburtsdatum hat er korrekt angegeben, ansonsten aber improvisiert er munter drauflos. Sie werden Ihren Spaß an ihm haben.«

Wieder blieb Sarah stumm. Sie schickte sich zum Gehen an, als Turner plötzlich zu einem unerwarteten Thema wechselte. Oder war es vielleicht gar nicht so ganz unerwartet?

»Ich habe natürlich die Zeitungsartikel gelesen … Und in der Abteilung wurde darüber gesprochen.«

Sarah nickte.

»Wäre es Ihnen sehr wichtig, wenn sich herausstellen würde, wer Ihre Mutter umgebracht hat?«

»Ja, was glauben Sie denn?«

Das klang fast aufsässig, aber Turner wies sie nicht zurecht. Er wusste selbst, dass es keine besonders gescheite Frage gewesen war.

»Dann können wir nur hoffen, dass die Zuständigen diesmal mehr Glück haben.«

»Und mehr Verstand.«

»Vielleicht geben sie diesmal Morse den Fall.«

Sarah sah ihn voll an. »Morse?«

»Sie kennen ihn nicht?«

»Nein.«

»Haben aber vielleicht schon von ihm gehört?« Turner betrachtete sie forschend, und sie zögerte einen Augenblick.

»Ich glaube, Mutter hat mal erzählt, dass sie ihn gepflegt hat«, sagte sie dann.

»Würden Sie ihn gern kennenlernen, wenn er das nächste Mal kommt?«

»Bitte?«

»Wussten Sie nicht, dass er zuckerkrank ist?«

»Wir haben hier jede Menge Diabetiker.«

»Gottlob nicht allzu viele von seiner Sorte. Er muss sich viermal am Tag eine hohe Dosis spritzen. Wie er mir sagte, ist es ihm gelungen, die Menge so einzustellen, dass sie seinen erheblichen Alkoholkonsum ausgleicht. Und wenn ich erheblich sage, dürfen Sie das ruhig wörtlich nehmen … Außerdem neigt er dazu, wenn er eine Aufstellung seiner Blutzuckerwerte mitbringen soll, einfach den derzeitigen Stand zu nehmen und rückwärts zu extrapolieren. Das kann er aus dem Effeff.«

»Begreift er denn nicht, was für einen Raubbau an seinem Körper er da treibt?«

»Sie können ihn ja fragen. Ich setze ihn auf Ihre Liste.«

»Nur wenn Sie versprechen, dass Sie dazukommen und ein bisschen aufpassen.«

»Das wäre Morse garantiert nicht recht.«

»Wie alt ist er?«

»Zu alt für Sie.«

»Junggeselle?«

»Kann man wohl sagen … Viel zu unabhängig für die Ehe. Na ja, das wärs wohl. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. Haben Sie was Aufregendes vor?«

»Nicht sehr aufregend, aber wichtig. Morgen haben wir eine Sitzung in Hook Norton, im Pear Tree Inn. Wir bereiten den nächsten Protestmarsch vor.«

»Die Bewegung, die sich für die Aufrechterhaltung ländlicher Traditionen einsetzt, nicht? Fuchsjagden …«

»Unter anderem.«

»… Herrenvolk und Leibeigene …«

Sarah schüttelte verärgert den Kopf. »Das sind so die Kommentare, die wir von den intellektuellen Schwätzern in der Stadt gewöhnt sind.«

»Pardon.« Turner hob kapitulierend die rechte Hand. »Sie haben schon recht, ich weiß so gut wie nichts über Fuchsjagden, und sicher kann man auch Positives darüber sagen. Aber bitte sprechen Sie Morse nicht darauf an. Zufällig kamen wir bei seinem letzten Besuch auf das Thema – es war in den Nachrichten gewesen –, und ich weiß noch, was er gesagt hat.«

»Was denn?«, fragte sie kalt.

»Erstens, dass er nicht viel von dem Argument hält, dem Fuchs mache es Spaß, gejagt und von den Hunden in Stücke gerissen zu werden.«