Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Buch 1 in der Serie - Sex in Seattle Privatdetektiv Tony DeMarco soll in Seattle den Mord an einer jungen Frau aufklären. Dazu meldet er sich als Patient in der Sexklinik von Dr. Jack Halloran an, der das Opfer vor ihrem Tod behandelt hat. Tony arbeitet nicht das erste Mal als verdeckter Ermittler, aber dieses Mal möchte er am liebsten mit einem seiner Verdächtigen unter eine Decke kriechen. Er kann es nicht ändern – Jack Halloran ist der Typ von stahlhartem Mann, auf den Tony steht. Aber bevor Tony den Romeo spielen kann, muss er erst Jacks Unschuld beweisen und gleichzeitig verhindern, dass der Arzt sein falsches Spiel herausfindet. Dr. Halloran hat seine eigenen Probleme. Als Feldchirurg im Irakkrieg wurde er verwundet, ist seitdem am rechten Arm behindert und leidet unter PTSD. Der attraktive neue Patient, ein großer, amüsanter Italiener mit treuherzigem Blick, verwirrt ihn. Tonys Humor bringt Jacks kühle Fassade zum Wanken und weckt Gefühle in ihm, die er lange vergraben und vergessen glaubte. Können der Arzt und der Privatdetektiv trotz der trennenden Geheimnisse, die zwischen ihnen liegen, ihren Weg ins Glück finden?
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 178
Veröffentlichungsjahr: 2015
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Ich danke Kim, Kate, Vicki und Audra von goodreads.com, die den Text Korrektur gelesen haben. Und wie immer natürlich auch meinem Mann, der die vielen Stunden toleriert, die ich meiner Muse widme.
MARILYNWHITE war tot. Die Königin des Abschlussballs, Sekretärin der Grundschule, Schöpferin der besten Heidelbeer-Muffins und der Yahtzee-Champion ihrer Familie seit dem zarten Alter von acht Jahren lebte nicht mehr. Sie hatte jetzt einen Grabstein und eine abgeschlossene Akte im Polizeiarchiv von Seattle.
Tony DeMarco war es wichtig, solche kleinen Dinge über seine verlorenen Seelen zu wissen. Es machte den Verlust schmerzhafter und persönlicher. Außerdem half es ihm, die Freunde und die Familie der Opfer besser zu verstehen und einzuschätzen. Falls sich irgendwo im Gras eine Schlange verbarg, wollte er sie sofort finden und tottreten.
„Du bist spät“, beschwerte sich Detective Mark Woodson, als Tony in der Sitznische Platz nahm.
„Hey, ich habe dich zum Essen eingeladen, oder? Hör auf zu jammern, sonst gibt es nur ein Glas Tomatensaft und Chips.“
Sie tauschten Tratsch aus, bis ihre Hamburger serviert wurden. Tony erfuhr alle Neuigkeiten über die große Macho-Seifenoper, die sich bei der Polizei von Seattle abspielte. Er hatte dort selbst fünf Jahre seines Lebens verbracht, bis er eine Kugel ins Bein bekam und seine Prioritäten neu ordnete. Während seiner Zeit bei der Polizei hatte er aus seinen Neigungen nie ein Hehl gemacht, sie aber auch nicht öffentlich zur Schau gestellt. Die Mischung aus natürlicher Unbeholfenheit und Schwulsein hatte dazu geführt, dass er es nie zum Bullen des Jahres gebracht hatte. Als Privatdetektiv konnte er allein arbeiten und sich seine Fälle aussuchen, je nachdem, wie er sich gerade fühlte und welches Risiko er eingehen wollte. Normalerweise ermittelte er nicht in Mordsachen. Aber das Foto von Marilyn White mit ihren langen, braunen Haaren, den Sommersprossen und dem herzlichen Lächeln hatte ihn umgestimmt. Als ihre Eltern, Mr. und Mrs. Richardson, ihn mit traurigem Gesicht darum baten, den Fall doch zu übernehmen, hatte er nicht mehr Nein sagen können.
„Also … Marilyn White.“ Mark schüttelte niedergeschlagen seinen kahlen Kopf. „Unter uns gesagt bin ich froh darüber, dass sich jemand weiter um den Fall kümmert.“
„Du glaubst dem Untersuchungsergebnis der Gerichtsmedizin nicht, dass es sich um eine tödliche Überdosis aus Versehen gehandelt hat?“
„Es gibt keinerlei Hinweise auf Drogenmissbrauch. Wie dumm muss jemand denn sein, um eine ganze Packung Antidepressiva auf einmal zu schlucken?“ Mark schnaubte verächtlich in seine Kaffeetasse. „Ich sage dir, Tony, das ist das Problem mit der heutigen Zeit. Jeder arbeitet nur das Minimum und gibt sich mit der nächstbesten Lösung zufrieden. Niemand gibt sich mehr die Mühe, die ausgetretenen Pfade zu verlassen und für eine Sekunde über andere Möglichkeiten nachzudenken. Die Pathologie macht da keine Ausnahme.“
Für Mark war das eine ungewöhnlich philosophische Feststellung. Ganze fünf Sekunden lang hatte Tony das Gefühl, ihn bewundern zu müssen. Dann rülpste Mark und schlug sich mit der Faust auf die Brust. „Sorry. Sodbrennen.“
„Also, was glaubst du, wer es getan hat?“, fragte Tony. „Ihr Mann?“
Mark grunzte. „Ist das jetzt nicht dein Job? Was habe ich denn gerade über Bequemlichkeit gesagt, du Faulenzer?“
„Ja, schon gut. Ich wollte nur deine Meinung hören. Weil du mein Held bist, das weißt du doch. Ich will ein Baby von dir.“
Mark schnaubte. „Reiß dich zusammen.“ Er sah sich um, als ob er sicher sein wollte, dass sie niemand gehört hatte. Dann senkte er die Stimme. „Ihr Mann fällt aus. Er hat ein Alibi. Aber wenn der Chief nicht gesagt hätte, dass wir den Fall abschließen sollen … weißt du, worauf ich dann getippt hätte?“
„Nein, Mark. Deshalb frage ich dich ja.“
„Halt den Mund. Wir haben in Marilyns Versicherungsunterlagen gesehen, dass sie seit einigen Monaten in einer Sexklinik behandelt wurde.“ Den letzten Satz flüsterte er so leise, dass sich kaum seine Lippen bewegten. Wahrscheinlich hatte er Angst, dass am Nachbartisch jemand Lippenlesen konnte.
„Was?“
„Ja. Die Klinik heißt ‚Expanded Horizons‘ und liegt am Pike. Alles legitim – du weißt schon. Sie behandeln Frigidität und erektile Dingsbummse und was sonst noch alles.“ Mark klopfte mit dem Finger auf den Tisch. „Gott behüte.“
Tony wurde bei Marks Worte von einem tiefen Unbehagen erfasst und konnte seine Verlegenheit nur mit Mühe unterdrücken. Es ging um Marilyn, nicht um ihn selbst. Er dachte daran, wie sie auf den Fotos ausgesehen hatte – noch keine dreißig, schlank und sehr hübsch. „Was wollte Marilyn denn in einer Sexklinik?“
Mark lachte bellend. „Nicht den Hauch einer Ahnung. Natürlich bin ich hingefahren und habe den Arzt verhört, einen Dr. Jack Halloran. Aber alles, was ich von ihm bekommen habe, war eine kalte Schulter in der Größe von Alaska. ‚Ärztliche Schweigepflicht‘, hat er gemeint. ‚Sexuelle Probleme sind ein sehr sensibles Thema. Ihr Tod ändert nichts daran, dass ich ihre Intimsphäre wahre‘, hat er gesagt. Blah, blah, blah. Ich sage dir, der Kerl ist hart wie Eisen. Ich habe alles versucht – guter Bulle, böser Bulle, verdeckte Drohungen, einen Lutscher … Er hat nicht einmal geblinzelt.“
Dann lehnte Mark sich mit blitzenden Augen vor. „Aber eins kann ich dir sagen … In dieser Sexklinik machen sie nicht nur den üblichen Schwallkram, sie haben auch echten Sex mit Surrogatpartnern. Du weißt schon … Heilung im Bett und so. Ich kann mir gut vorstellen, dass dieser Halloran vielleicht eine tiefere Beziehung zu Marilyn hatte, als angemessen war. Anspielung beabsichtigt.“
„Unglaublich“, meinte Tony. „Sie haben Sex mit den Patienten? Ist das nicht verboten?“
Mark zuckte mit den Schultern. „Das Einverständnis von Erwachsenen, ‚Therapie‘ und so weiter und so fort. Nee, es ist nicht verboten. Sie haben sogar eine offizielle Genehmigung für den Mist.“
Tony lehnte sich zurück und knabberte nachdenklich an seiner Unterlippe. Das hörte sich nicht gut an. Oder vielleicht doch. Ein eindeutiger Verdächtiger machte das Leben leichter. „Wieso habt ihr keinen Durchsuchungsbefehl für die Krankenakten bekommen?“
Mark sah ihn verächtlich an. „Ich habe es versucht, aber dann kam der Untersuchungsbericht aus der Pathologie und der Fall war abgeschlossen. Du kennst das doch. Uns geht es wie dem Rest der Idioten in dieser Stadt auch. Zu viel Arbeit und zu wenig Zeit.“
Ja, Tony kannte das sehr gut. Die Mordkommission kümmerte sich um verdächtige Fälle vom Zeitpunkt des Todes an. Aber es war nie gut, sich an einem Fall festzubeißen. Sobald die Todesursache als unverdächtig eingestuft wurde, bekam man den Fall wieder aus den Händen gerissen. Sie konnten nicht die eine Abteilung für eine Arbeit bezahlen, die eine andere für überflüssig hielt. Es war eine Schande, aber für Tony bedeutete es Aufträge, wenn er dazu bereit war. Er konnte Familien wie der Marilyns helfen, wenn die Polizei sich aus den Ermittlungen zurückzog.
„Was hast du über Halloran in Erfahrung gebracht?“, wollte er wissen.
Mark seufzte. „Ich habe einiges ausgegraben. Medizinabschluss an der University of Washington, hier in Seattle. Jahrgangsbester. Und – du glaubst es kaum – bis vor achtzehn Monaten Feldchirurg im Irak. Verwundet und nach Hause geschickt worden. Der Kerl ist entweder ein Superheld oder eine wandelnde Zeitbombe. Aber darüber musst du dir selbst eine Meinung bilden.“
Tony zog eine Augenbraue hoch und sah Mark fragend an. Und was denkst du?
„Ka-wumm“, sagte Mark.
KA-WUMM!
Überall explodierten Bomben. Der höllische Lärm und die Druckwellen durchfuhren Jacks Körper und schmerzten in seinen Ohren. Er rannte so schnell er konnte, aber mit den Armen nach hinten und einer Trage in den Händen fiel es ihm schwer. Irgendwo hinter ihm hielt Smith, einer der Sanitäter, die andere Hälfte der Trage hoch. Und zwischen ihnen lag eine blutige Masse Fleisch, die noch vor kurzer Zeit ein gesunder junger Mann gewesen war. Jetzt war es nur noch ein sterbender Körper. Ob der Junge noch eine letzte Überlebenschance hatte, hing davon ab, wie schnell Jack ihn aus diesem Schlamassel raus und in das Basislager bringen konnte.
Lauf schon, lauf, lauf …
Dann gab es eine gleißende Explosion und alles wurde schwarz. Jack fühlte keinen Schmerz, nur einen tiefen Schock und eine Taubheit, als wäre er schon tot.
Er landete auf dem Fußboden neben seinem Bett. Bei seinem Sturz hatte er sich das Bein angeschlagen und wurde dadurch genau in dem Moment geweckt, als ein gellender Schrei seiner Kehle entfuhr.
„Nein!“, schrie er aus voller Brust in die Dunkelheit.
JACKSTAND in der Teeküche der Klinik und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. Das Zittern in seiner rechten Hand war durch den Albtraum der letzten Nacht so schlimm wie seit Wochen nicht mehr. Es machte jede Bewegung zu einer Herausforderung. Nach seinen Aufzeichnungen, zu denen ihm sein Therapeut geraten hatte, war es der erste Albtraum seit vierzehn Tagen gewesen. Die Abstände zwischen diesen Episoden wurden langsam länger, aber das nahm ihnen nichts von ihrer erschütternden Wirkung.
Jack verzog das Gesicht und versuchte, sich an seine neue Routine zu erinnern. Stelle die Tasse fest ab, lass sie los und schenke mit der linken Hand vorsichtig den Kaffee ein. Stelle die Kanne wieder ab. Es hatte einige Zeit gedauert, aber er hatte sich mittlerweile daran gewöhnt. Halte die Tasse immer – immer! – in der linken Hand.
Major Jack Halloran. Er kam sich mit seinen sechsunddreißig Jahren wie eine Glühbirne in einer eiszeitlichen Höhle vor. Seine besten Kenntnisse und Erfahrungen waren nutzlos geworden.
Er hatte es versucht. Nachdem sein Körper wieder einigermaßen geheilt war, hatte er sich einen Job in der Notaufnahme eines Krankenhauses in Seattle besorgt. Aber eines Nachts wurde das Opfer eines Motorradunfalls eingeliefert und das viele Blut, die gebrochenen Knochen, hatten einen Rückfall ausgelöst. Als er wieder zu sich gekommen war, hatte er mit tränenüberströmtem Gesicht in der hintersten Ecke eines kleinen Materiallagers gekauert. Das Krankenhaus hatte nicht versucht, ihn zum Bleiben zu überreden, als er seine Kündigung einreichte.
Glühbirne. Höhle.
So war er bei ‚Expandend Horizons‘ gelandet. Sam, ein alter Freund aus seiner Studienzeit, war mit der Eigentümerin der Klinik, Trudy, verheiratet. Trudy war eine sehr gute und kluge Ärztin. Sie war bereit gewesen, Jack eine Chance zu geben, falls er vorher einen Intensivkurs in Sexualtherapie absolvierte. Er machte den Kurs und sie gab ihm den Job.
Jack hielt sich seiner neuen Aufgabe gewachsen. Es war die Ironie des Schicksals. Er war immer ein schwuler Lothario gewesen – draufgängerisch und ständig am Flirten. Beim Militär hatten die Ärzte und Pfleger ihn ‚Mighty Jack Halloran‘ genannt. Es war eine liebenswerte Anspielung gewesen, denn Jack war nicht sehr groß und kräftig gebaut. Jedenfalls hatte er es dafür gehalten. Aber vor allem beschrieb es seine Begabung, eine Bar nur betreten zu müssen, und schon hatte er sich einen Mann geangelt. Jack war kein schüchterner Mann gewesen, und nach einigen Gläsern hatte er gerne und viel getanzt. Damals hatte er sich nie Gedanken darüber gemacht, dass er versagen könnte. Sex war eine natürliche biologische Funktion des menschlichen Körpers. Es war ein Vergnügen, eine angenehme Erleichterung, die ihm ermöglichte, den Stress und das Blut für kurze Zeit vergessen zu können. Jetzt war er hier und verdiente sein Geld damit, die Libido anderer Menschen zu heilen. Er erklärte ihnen, dass jeder Mensch körperlichen Kontakt brauchte und verdiente, aber sein eigenes Sexualleben war so erbärmlich wie nie zuvor.
Das Leben hatte einen schrägen Sinn für Humor. Ha, ha, ha.
„Ihr Terminplan, Dr. Halloran“, sagte Loretta fröhlich.
Jack stellte vorsichtig seine Tasse ab und drehte sich mit einem professionellen Lächeln zu ihr um. „Guten Morgen, Loretta.“
Sie reichte ihm einen Ausdruck mit den Terminen für den heutigen Tag. „Sie sehen aus wie durch die Mangel gedreht“, meinte Loretta und sah ihm mit kurzsichtigen Augen ins Gesicht.
„Danke gleichfalls“, erwiderte Jack höflich. Er legte den Ausdruck auf die Küchentheke und strich sich mit der gesunden Hand die Haare glatt.
„Nein, ich meinte Ihre Augen“, sagte Loretta.
„Ihre Ehrlichkeit ist herzerfrischend.“
Jack warf einen Blick auf seine heutigen Termine. Mr. Federman, ein Mann mit tiefsitzenden sexuellen Unsicherheiten. Mrs. Kendle, eine sechsundachtzigjährige Frau, die ihr Sexualleben noch nicht aufgeben wollte (gut für sie). Mr. Rose, der wegen einer Diabetes impotent geworden war. Aber es gab auch einen neuen Namen, der für zehn Uhr angemeldet war.
„War sie es wert?“, fragte Loretta. Jack sah sie an. Sie lächelte gezwungen und ihre Augenlider flatterten.
„Loretta“, gab er geduldig zurück. „Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass ich schwul bin. Leider hatte ich gestern Abend auch keine amouröse Verbredung. Und selbst wenn es so gewesen wäre, dann hätte es sich um einen Mann gehandelt.“
„Sicher doch“, meinte Loretta und zuckte verletzt mit den Schultern. „Ich habe schon verstanden.“
Jack rollte in Gedanken mit den Augen. Die Empfangsdame der Klinik war eine rothaarige Frau mit so großzügigen Proportionen, dass man sie schon fast als philanthropisch bezeichnen konnte. Sie war achtunddreißig Jahre alt, und aus unerfindlichen Gründen hatte sie einen Narren an Jack gefressen.
„Wirklich“, betonte Jack und sah sie todernst an. „Schwul.“
„Verstanden“, schnaubte Loretta übertrieben, als würde sie ihm kein Wort glauben.
Jack seufzte und sah wieder auf seinen Terminplan. Loretta hatte für die Mittagspause eine Verabredung mit Trudy in deren Büro eingetragen. Das passierte nur, wenn seine Chefin über ein ernsthaftes Anliegen mit ihm reden wollte. Aber er ließ sich nicht davon beunruhigen. Er würde es schon noch früh genug erfahren.
„Wer ist dieser Tony DeMarco, der um zehn Uhr kommt?“
„Ein Mann, dreißig Jahre alt. Hat extra nach Ihnen gefragt. Er wollte am Telefon nicht über Details reden, Sie werden sich also überraschen lassen müssen.“
Jack runzelte die Stirn. Er hasste Überraschungen.
ALSTONY Hallorans Büro betrat, wäre er vor Überraschung fast über seine eigenen Füße gestolpert. Aus irgendeinem Grund – wahrscheinlich, weil er eine Hete war, wie sie im Buche stand – hatte Mark nicht erwähnt, wie attraktiv Dr. Halloran war. Attraktiv wie in: Mannomann!
Halloran erhob sich von seinem Stuhl und kam um den Schreibtisch, um Tony die Hand zu geben. Er stellte sich so kurz vor, dass es schon fast wie eine Konfrontation wirkte. „Hallo. Ich bin Dr. Halloran. Nett, Sie kennenzulernen, Mr. DeMarco.“
Halloran war relativ klein, knackig und süß, schien Mitte bis Ende dreißig zu sein und etwa einssiebzig groß, also mindestens zehn Zentimeter kleiner als Tony. Sein sandblondes Haar war gut geschnitten, aber schon etwas ausgewachsen. Unter seinem blauen Oxfordhemd und den Khakihosen verbarg sich ein muskulöser Körper. Sein Gesicht war das eines typischen All-American-Boys – warm, intelligent und liebenswert, trotz der dunklen Ringe um die Augen. Und diese Augen … Obwohl sie sich hinter einer Lesebrille versteckten, sie waren blau. Blau, blau, blau. Die Iris war kornblumenblau und von einem feinen Ring aus dunklerem Navy-Blau umgeben. Sie passte genau zu seinem Hemd.
Tonys Verstand nahm diese Details zur Kenntnis und legte sie in seinem mentalen Ordner ab, den er über Jack Halloran angelegt hatte. Aber er ließ sich durch ein hübsches Gesicht nicht beeinflussen. Nein. Unglücklicherweise stand Tony über solchen Dingen. Oder auch darunter.
„Nehmen Sie Platz.“ Halloran deutete auf den Polstersessel, der vor seinem Schreibtisch stand. „Möchten Sie Tony genannt werden oder Mr. DeMarco?“
„Hey, Tony ist schon in Ordnung.“ Tony gab seiner Stimme einen etwas harschen Klang, um seine angeborene Schüchternheit zu verbergen, die durch Hallorans selbstbewusste Art zum Vorschein kam.
Dr. Halloran setzte sich wieder hinter seinen Schreibtisch. Er nahm einen Stift in die Hand und spielte damit. Dabei ließ er Tony nicht aus den Augen. „Also gut, Tony. Warum erzählen Sie mir nicht, warum Sie zu mir gekommen sind?“
Tony lächelte unschuldig. Er hatte sich auf der Website der Klinik über die Krankheiten und Probleme informiert, die hier behandelt wurden. Dann hatte er sich eine glaubwürdige Geschichte zurechtgelegt.
„Es ist nämlich so, Doc … Ich bin süchtig nach Sex.“
„Oh?“ Halloran sah ihn überrascht an.
„Ja. Und es wirkt sich auf meine Arbeit und alles aus, deshalb … Ich brauche Hilfe, glaube ich.“
Tony setzte eine verstörte Miene auf. Er war vielleicht kein Mann für Hauptrollen, aber er hatte in der Vergangenheit doch schon einige Erfolge gehabt mit seinen Schauspielkünsten. Mit einer Mutter wie der seinen war das auch dringend nötig gewesen. Ma schien immer instinktiv gewusst zu haben, ob er sich auch wirklich hinter den Ohren gewaschen oder am Morgen im Bett masturbiert hatte. Und dann hatte sie ihn beim Frühstück danach gefragt, so dass sein Vater und seine vier Brüder auch nur nichts verpassten.
„Was arbeiten Sie?“, wollte Halloran wissen.
„Ich untersuche Versicherungsfälle“, antwortete Tony ausweichend. Es war zumindest teilweise die Wahrheit. Wenn man es nicht so genau nahm.
„Ich verstehe.“
In der nächsten Minute sagte Dr. Halloran nichts, aber er studierte Tony aufmerksam. Hätte er nicht wenigsten einen Ton des Mitgefühls äußern sollen? Oder Fragen stellen? Hilfreiche Ratschläge geben? Tony rutschte unruhig in seinem Sessel hin und her. Er kam sich vor wie ein Insekt, das unter die Lupe genommen wurde.
„Wie oft masturbieren Sie?“, fragte Halloran.
Tony verschluckte sich fast, überspielte es aber einigermaßen geschickt. „Äh … zwei bis dreimal am Tag.“ Er zwang sich zu einem frechen Grinsen. „An meinen schlechten Tagen.“
Halloran hob den Stift und klopfte sich nachdenklich damit ans Kinn. Seine stahlblauen Augen waren unerbittlich auf Tony gerichtet.
„Und Sie haben auch Partner?“
„Oh ja, zum Teufel! Viele.“
„Weiblich? Männlich?“
Tony zuckte mit den Schultern. „Doc, ich mache keine Unterschiede. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich süchtig bin.“
Halloran kniff die Augen zusammen. Er steckte den Stift in den Mund und saugte leicht daran. Aber sein durchdringender Blick ließ nicht nach. Wo lag das Problem? Was immer es auch war, Tony fühlte sich mächtig unter Druck. Er kam sich vor, wie in Schwester Mary Frances’ Mathematikstunde. Diese Nonne hatte auch einen Blick gehabt, der einen aufspießen konnte.
„Sehen Sie Porno?“, fragte Halloran seelenruhig.
Tony erstarrte. Was war die richtige Antwort auf diese Frage? Er musste sich an die Geschichte halten, die er sich zurechtgelegt hatte. Schnaubend ruderte er mit der Hand. Komm schon! „Wieso sollte ich Pornos brauchen, wenn ich doch ständig Sex habe?“
Halloran schoss aus seinem Stuhl hoch und kam um den Schreibtisch gelaufen, bis er direkt vor Tony stand. Tony schnappte erschrocken nach Luft, als der Arzt sich nach unten beugte und – schnell wie eine Schlange – die Hand auf Tonys Schwanz legte.
Da waren sie also. Tony saß in seinem Sessel, Halloran stand über ihn gebeugt und hatte durch die Hose Tonys Schwanz in der Hand. Hallorans stahlblaue Augen waren viel zu scharf. Wie hatte Tony sie nur mit Kornblumen vergleichen können? Mist, sie waren eisblau, kalt und stahlhart. Und nur Zentimeter von seinen eigenen entfernt. Diese Augen fixierten ihn wie ein ganzes Schusswaffenarsenal.
Tonys Schwanz, der sich schon bisher nicht geregt hatte, versuchte nun, sich in seinen Körper zurückzuziehen wie Napoleons Armee vor Moskau. Spitze. Danke auch, du verdammter Feigling.
Halloran lächelte ihn kühl an und seine Stimme klang tief und endgültig. „Sie. Lügen. Mich. An.“ Mit diesen Worten ließ er Tonys Schwanz los und richtete sich wieder auf.
JACKWAR stinkig. Wenn er eines hasste, dann Lügner. Und der Kerl war noch nicht einmal ein guter Lügner. Er hätte zumindest seine Hausaufgaben über Sexsucht erledigen können. Aber offensichtlich hielt er Jack für einen kompletten Idioten. Es war mehr als nur respektlos.
Die Alarmglocken in Jacks Kopf hatten schon geklingelt, als Tony DeMarco das Büro betrat. Er war ein ganzer Mann – ein großes, breitschultriges Prachtexemplar von Italiener mit schulterlangen, schwarzbraunen Haaren und großen, treuherzigen Augen. Seine selbstbewusste Ausstrahlung erinnert Jack an die Brooklyn-Italiener, die er beim Militär kennengelernt hatte, aber darunter lag eine inhärente Unbeholfenheit verborgen. Ob unbeholfen oder nicht, DeMarco war nicht die Art von Patient, die normalerweise die Klinik konsultierte. Jack hatte sofort gewusst, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Sein Verdacht war allerdings in eine andere Richtung gegangen.
Jack war schon lange genug Arzt, um zu wissen, dass bestimmte Patienten alles dafür taten, um sich entweder Drogen oder Aufmerksamkeit zu beschaffen. Es war nicht ungewöhnlich, dass gesunde Männer Impotenz vorspiegelten, um Viagra verschrieben zu bekommen, in der Hoffnung, sich dadurch einen Ruf als unermüdlicher Liebhaber zu erwerben. Doch selbst Tony konnte nicht so dumm sein, um für eine Diagnose als Sexsüchtiger Viagra zu erwarten. Blieb also die Aufmerksamkeit. Tony wirkte eigentlich nicht so, aber vielleicht hatte er irgendeine Macke, die dazu passte. Erregte es ihn, wenn er einem Arzt über seine unbezähmbare Libido berichtete? Wenn ja, dann konnte er sich einen anderen Idioten suchen. Jack war jedenfalls nicht dazu bereit, sich Lügen über Tonys Sexualleben anzuhören.
Er lehnte sich an seinen Schreibtisch und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich schätze es nicht sehr, wenn man mir die Zeit raubt, Mr. DeMarco.“
„Ähm …“
„Wenn Sie also keinen triftigen Grund haben, mich zu konsultieren, dann ist dort die Tür.“ Jack deutete mit einer ärgerlichen Geste in Richtung der Tür.
Tony sah ihn verwirrt und etwas verstört an. Es war die erste ehrliche Reaktion, die er bisher gezeigt hatte. Sein Mund klappte zu, öffnete sich und klappte wieder zu. Er sah aus wie ein Fisch auf dem Trockenen. „Okay, ich … Na gut, ich gebe es zu. Ich war nervös und habe mir das ausgedacht.“
„Wirklich?“, fragte Jack trocken.
„Ja. Das ist nicht wirklich mein Problem.“ Tony sah verlegen in seinen Schoß. Er schien einen innerlichen Zwiespalt auszutragen. Was immer es auch war, es war sehr intensiv. Dann stieg eine Röte in ihm auf, die von seinem Hals auf sein Gesicht übergriff. Als sie an den Ohren ankam, wurden die erst dunkelrosa und nahmen dann ein brillantes Fuchsia-Rot an.
Es war interessant.
„Ich höre“, sagte Jack etwas mitfühlender.
„Ich …“
Jack wartete.
„Ich …“