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Die Hobbymalerin Frauke wird unfreiwillig Kandidatin bei einer Fernsehshow. Um ihr großes Ziel zu erreichen, eine erfolgreiche Malerin zu werden, geht sie einen gefährlichen Pakt ein. Falls sie das gesteckte Ziel nicht erreicht, wird sie ihre Schwester nie wiedersehen. Doch Frauke ist nicht ohne Freunde, auch wenn es eine Weile dauert, bis sie Freund von Feind zu unterscheiden lernt. Und sie muss vorsichtig vorgehen, um den Pakt zu beenden, denn die Macher der Fernsehshow wollen ihre Einschaltquoten nicht verliefen.
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Seitenzahl: 263
Veröffentlichungsjahr: 2023
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E.S. Harmondy
Der Pakt mit dem Teufel
Impressum
Texte: © 2022 Copyright by E.S. Harmondy
Umschlag:© 2022 Copyright by Pittie
Verantwortlich
für den Inhalt:E.S. Harmondy
Druck:epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin
„Und hier ist sie wieder! Die Show, auf die ihr alle gewartet habt! Die beste Show eures Lebens. Die einzige Show im Universum, die es lohnt, anzusehen!
Ich bin Dietmar, euer Showmaster. Und wir sind alle schon sehr gespannt auf unsere heutigen Kandidaten. Wer wird es diesmal sein, der die unglaubliche Chance erhält, sein Leben in einen Traum zu verwandeln? Erinnert euch an unsere früheren Kandidaten! Da hatten wir Karlotta aus Wuppertal, die Königin werden wollte und dafür ihre kleine Tochter hergegeben hätte. Da war Manfred aus Leipzig, der der beste Konzertpianist der Welt werden wollte und dafür seine rechte Hand gegeben hätte. Welchen Traum können wir für euch erfüllen? Und was wärt ihr bereit, dafür zu geben? Ja. Das ist hier die Frage, wenn es wieder heißt: „Ein Pakt mit dem Teufel“! Verpasst nicht diese sensationellste aller Shows, denn es könnte euer Leben verändern!“
Das Bild des blondgelockten Showmasters verschwand vom Fernsehschirm und die Werbung setzte ein. Obwohl sehr werbelastig, war nahezu jeder Fernseher, Computerbildschirm oder Tablett in der Nation eingeschaltet. Die Show lief seit drei Jahren und war das Erfolgreichste, was je im Fernsehen gezeigt worden war. Nie zuvor wurden solche sensationellen Einschaltquoten von mehr als 80% erreicht und nie zuvor war mehr Geld für eine Show ausgegeben worden. Die Show spaltete die Nation. Die einen verehrten sie glühend. Die anderen verachteten sie. Und doch schalteten alle ein: die Verehrer und die Kritiker, denn niemand konnte sich dem Bann entziehen. Was musste dem Kandidaten geboten werden, damit er bei der Show mitmachte? Bislang waren alle Kandidaten bereit gewesen, mitzumachen. Jeder hatte seinen Preis. Jeder war käuflich. Man musste ihm nur das Richtige anbieten. Auch diesmal hofften die Kritiker wieder, dass jemand nicht käuflich sei und den Showmaster abweisen würde. Nur deshalb sahen sie zu. Aber die Verehrer wussten: in jedem Menschen schlummerten geheime Träume und Sehnsüchte. Und wer würde nicht zugreifen, wenn man die Chance erhielt, sie zu verwirklichen?
Als der Werbeblock zu Ende war, schaltete man wieder zurück in das Fernsehstudio zu Dietmar und seiner Crew. Sie standen vor einem großen Plasmabildschirm, auf dem blitzschnell Namen von oben nach unten durchscrollten, so als blättere jemand in einem Onlinetelefonbuch, allerdings zu schnell, als dass man die Namen hätte lesen können.
„Willkommen zurück, verehrtes Publikum! Ich weiß, ihr seid genauso gespannt wie ich. Hier auf unserer Leinwand seht ihr die Namen aller Menschen über 18 in unserem Land. Ihr seid hier alle drin vermerkt! Und gleich werden wir die virtuelle Lostrommel anwerfen und einen Namen herausfinden. Einen aus 82 Millionen Menschen in unserem Land. Drückt euch die Daumen oder macht das Zeichen gegen den bösen Blick. Gleich geht es los! Dann werden wir wissen, wessen geheime Wünsche wir erfüllen können und wir werden herausfinden, was er oder sie dafür bereit ist, zu geben. Alles klar?“
Der Showmaster trat näher an die Hauptkamera heran und zwinkerte dem Publikum zu.
„Sollen wir loslegen? Ja?“
Er machte eine dramatische kleine Pause. Dann hob er die Hände in die Luft und rief:
„Es geht looooos!“
Der Bildschirm hinter ihm begann zu flackern und zu blinken, als die Namenslisten immer schneller und schneller durchliefen. Der Showmaster trat zu einem Podest auf dem ein großer, roter Not-Aus-Schalter installiert war. Theatralisch hob er die Hand über den roten Knopf.
„Aaachtung!“
Die Nation hielt den Atem an. Dann hieb er unvermittelt auf den Knopf und das wirre Flimmern auf dem Plasmabildschirm hielt an. Ein schlichter Kasten umrahmte einen Namen:
„Frauke aus Sálzgitter“, las Dietmar vor. Er zögerte ein wenig bei dem unvertrauten Ortsnamen und betonte ihn falsch auf der ersten Silbe. Dabei hieß es doch korrekt „Salzgítter“, denn es wird auf der zweiten Silbe betont. Später sollten mehrere Zuschauer beim Sender anrufen und sich darüber beschweren. Doch der Showmaster überspielte seine kleine Schwäche rasch und grinste spitzbübisch in die Kamera.
„Also, wenn ihr Frauke heißt und aus dieser Stadt kommt, dann könnt ihr fast schon damit rechnen, dass wir euch demnächst besuchen kommen. Und ihr anderen, die ihr nicht Frauke heißt und aus Hamburg, Berlin oder München kommt. Seid nicht traurig. Auch ihr könnt dabei sein. Am Samstag schon geht es weiter mit unserer Show. Seid dabei, wenn wir Frauke das erste Mal besuchen und mit ihr reden. Was werden wohl ihre geheimen Träume sein? Wird sie es uns anvertrauen? Seid live dabei, wenn es am Sonntag wieder heißt: „Ein Pakt mit dem Teufel“! Ich bin Dietmar, euer Host. Verpasst es nicht! Ich zähl‘ auf euch!“
*
Sie hatten diese Frauke ausfindig gemacht. Sie wohnte gar nicht in einer Stadt, sondern auf einem kleinen Dorf mit kaum tausend Einwohnern. Die ganze sogenannte Stadt schien nur aus Dörfern zu bestehen. Die Filmcrew machte ein paar pittoreske Schwenks, doch viel gab die Gegend nicht her. Ein großes Stahlwerk, eine Autofabrik, der Harz in der Ferne und ansonsten noch ein Atommülllager, das keiner wollte, aber das man auch nicht mehr wegbekam.
„Ich schätze, diese Frauke wünscht sich, auszuwandern oder einen tollen Urlaub in der Karibik“, grollte der Produktionsleiter Hanno mürrisch. Er kam aus München und das hörte man ihm auch an. Ohne Berge fühlte er sich unwohl und diese mauligen Niedersachsen konnte er schon gar nicht leiden. Die waren seiner Meinung nach noch idiotischer, als die unverständlich schwafelnden Sachsen und die Fischköppe aus Hamburg.
Dietmar blickte sich träge um.
„Ist das tot hier! Wie kann man nur in so einer öden Gegend leben.“
Er gähnte.
„Gott, wie ich das Land hasse! Gut, dass wir nicht wirklich live senden. Was wissen wir denn eigentlich über diese Frauke?“
Die Produktionsassistentin Gabi kramte ein Clipboard hervor und blätterte die daran gehefteten Notizen durch. Mit emotionsloser Stimme fasste sie zusammen:
„Frauke Hellenberg. 43 Jahre. Arbeitet als Leiterin der Dokumentation bei einer Maschinenbaufirma, die Messgeräte für die Werkstoffprüfung herstellt. Unverheiratet. Lebt im eigenen Haus, offenbar mit der Schwester zusammen.“
„Berauschend“, seufzte Dietmar.
„Zum Kotzen“, fügte Hanno hinzu. Gabi grinste freudlos.
„Das wird ein hartes Stück Arbeit.“
„Haben wir schon Plan B? Ich meine, wenn sie sich wirklich sowas Banales wünscht wie eine Reise?“
Wieder blätterte Gabi durch die Papiere.
„Das Team hat einige Ideen gesammelt. Schönheitskönigin, Flug zum Mars, Teilnahme an den Olympischen Spielen, falls sie sportlich genug ist.“
„Oh je. Das mit dem Mars lassen wir besser weg“, fand Dietmar kopfschüttelnd. Hanno widersprach.
„Wieso? Der Shuttle soll doch beim Start in die Luft fliegen. Glaubst du, wir könnten einen echten Flug finanzieren? Aber das würde klasse Einschaltquoten bringen und eine medienunwirksame Person doch noch interessant machen.“
„Ich finde die Idee trotzdem nicht gut“, beharrte Dietmar schulterzuckend und blinzelte genervt hinaus, als der elegante Mercedestransporter in einer ruhigen Wohnstraße zwischen modernen Einfamilienhäusern anhielt.
„Sind wir etwa da? Du liebe Güte! Ist das spießig hier! Wie sollen wir das nur aufpeppen?“
Aus dem zweiten Transporter war bereits das Filmteam ausgestiegen und machte erste Aufnahmen.
„Wollen wir sie nicht relokalisieren und eine andere Herkunft organisieren?“ wollte Dietmar leise wissen. Doch Hanno schüttelte entschieden den Kopf.
„Nein. Das ist genau das, was wir brauchen. Leicht gehobene Mittelklasse. Zweimal im Jahr Urlaub. Zwei Autos vor der Tür. Gutes Einkommen, aber trotzdem nicht reich. Damit können sich die Leute identifizieren. Wir machen das hier.“
Mit dem Filmteam zusammen war auch ein hochgewachsener, älterer Mann ausgestiegen. Er trug eine helle Leinenhose und einen weißen Pullover über dem Hemd. Sein Haar war schon recht schütter und mehr grau als braun. Er trug eine Brille und hatte ein freundliches, von Falten durchzogenes, hageres Gesicht. Mit klaren, blauen Augen sah er sich aufmerksam um und nickte leicht, als Hanno ihm einen Blick zuwarf.
„Gut. Dann wollen wir mal. Kamera bereit?“
Hanno wandte sich mit seinem Team dem betreffenden Haus zu. Eine Garage lag links neben dem Haus. Dazwischen führte ein breiter Gang nach hinten in den Garten. Vor der Garage stand ein blauer Polo. Nicht mehr ganz neu, aber gut gepflegt. Der Gang wurde durch eine schmiedeeiserne Tür versperrt, so dass Haus und Garten dem Besucher suggerierten, dass er eine andere, eine private Welt betrat, in der er nur zu Besuch war.
Die Eingangstür lag rechts hinter der schmiedeeisernen Pforte und hatte ein großes Fenster, durch das man in den angrenzenden Flur und das Wohnzimmer dahinter blicken konnte. Im Garten hinter dem Haus konnte man einen Gemüsegarten und Rasen erkennen. Kohl und Erdbeeren, Rhabarber und Birnen. Kartoffeln.
Aus dem Haus klang gedämpft das Geräusch eines Staubsaugers. Es verstummte, als Hanno klingelte. Gleich darauf hörte man Schritte auf einer Treppe und dann wurde die Tür von einer Frau in mittleren Jahren geöffnet. Sie hatte blondes, ungekämmtes Haar, das ihr bis auf die Schultern fiel und einen Haarschnitt nötig hatte. Ihre Figur war pummelig, ohne richtig dick zu sein. Der Produktionschef schätzte sie auf Kleidergröße 40. Aber sie war recht klein und trug zudem eine schlabbrige, alte Jogginghose und ein schlampiges, verwaschenes T-Shirt. An den Füßen hatte sie Badelatschen an. Attraktiv war sie jedenfalls nicht.
„Frauke Hellenberg?“ zwang sich Hanno zu einem strahlenden Lächeln. Die Kamera hinter ihm filmte dezent, obwohl diese ersten Szenen meist herausgeschnitten und durch neue, nachträglich gestellte Szenen ersetzt wurden.
„Ja?“
Das rundlich-hübsche Gesicht der Frau wirkte misstrauisch. Dietmar schob sich nach vorne und ergriff ihre Hand.
„Hallo! Sie kennen mich doch sicher aus dem Fernsehen!“
Als die Frau nicht antwortete, fuhr er geschwätzig fort:
„Haben Sie denn gar nicht unsere Show gestern gesehen?“
„Welche Show?“
Die Frau fuhr sich ungeduldig mit der Hand über die Stirn und strich sich einige der zu langen, blonden Strähnen beiseite. Sie sah aus, als wollte sie noch etwas sagen, war aber doch zu höflich dazu.
„Aber Frauke! Ich darf doch Frauke sagen, nicht wahr?“
Dietmar legte ihr mit einem breiten Grinsen den Arm um die Schultern, was sie dazu veranlasste, einen Schritt zur Seite zu treten und ihn ärgerlich anzufunkeln.
„Hören Sie. Ich bin gerade am Saubermachen und habe ganz wenig Zeit. In einer Stunde kommt meine Schwester und dann wollen wir joggen. Bis dahin will ich hier fertig sein.“
Dietmar warf Hanno einen leicht ratlosen Blick zu und der Produktionsleiter übernahm rasch, denn diese ersten Szenen konnten so unmöglich bleiben. Das musste nachgescriptet und neu gedreht werden.
„Frau Hellenberg. Sie kennen doch sicher unsere Show „Ein Pakt mit dem Teufel“.“
„Nein. Sowas gucke ich nicht. Ich bin nicht so für Spielshows“, gab die blonde Frau kopfschüttelnd zurück.
„Das ist keine Spielshow. Wir geben den Kandidaten die einmalige Chance, ihr Leben komplett zu verändern und sich ihren größten Traum zu verwirklichen. Egal wie fantastisch er auch ist“, erklärte der Produktionsleiter geduldig. Doch innerlich kochte er bereits. 60 Millionen Menschen sahen jede Woche diese Show. Und sie mussten ausgerechnet an jemanden geraten, der zu den 20 Prozent der Leute gehörte, die diese Show nicht ansahen, weil sie ohnehin kaum Fernsehen schauten. Wenn die Ziehung nicht bereits öffentlich gelaufen wäre, hätte er die ganze Angelegenheit hier und jetzt abgebrochen. Aber es bestand immer noch die Möglichkeit, eine falsche Frauke zu erfinden. Der Nachname der Kandidatin war ja bislang nicht öffentlich bekannt gegeben worden. Sie könnten eine Frauke inszenieren. Allerdings war das aufwändig und teuer. Und es war auch schwierig, die passende Authentizität zu erzeugen. Bislang hatten sie diese Möglichkeit noch nie gebraucht. Die Frau wirkte immer noch leicht genervt und ungeduldig.
„Ja. Schön. Aber ich habe keine Träume, die ich nicht alleine verwirklichen könnte. Und ich möchte auch gar nicht bei so einer Show mitmachen. Können Sie nicht wen anderes nehmen?“
„Sie sind aus den 82 Millionen Einwohnern unseres Landes gezogen worden. Gestern Abend im Fernsehen“, informierte Dietmar die Frau leicht ironisch. Sie warf ihm einen misstrauischen Blick zu.
„Wieso? Ich habe aber bei gar nichts mitgemacht.“
„Jeder Mensch ab 18 nimmt automatisch an der Ziehung teil“, erklärte Hanno ihr geduldig.
„Das ist ja blöd!“ fand sie spontan und schüttelte den Kopf. „Da müssen Sie sich aber echt jemand anderen suchen.“
Hanno seufzte leise und winkte den hochgewachsenen, älteren Mann nach vorne.
„Bitte reden Sie zunächst mit Dr. Brenner. Er ist unser beratender Psychologe und kann Ihnen alles ganz genau erklären.“
„Wie gesagt. Ich habe echt keine Zeit für sowas“, wehrte die Frau unwillig ab. Der Psychologe nickte leicht.
„Das verstehe ich. Können wir nicht kurz eine Tasse Kaffee trinken? Die anderen werden jetzt schon gehen. Aber ich würde doch gerne noch ein paar Worte mit Ihnen wechseln und sie näher kennenlernen. Es kommt nicht oft vor, dass jemand so gelassen ist und ein Filmteam und die Chance auf Ruhm fortschickt, ohne mit der Wimper zu zucken.“
Über das Gesicht der Frau huschte ein halb spöttischer, halb amüsierter Ausdruck.
„Ruhm? Diese ganzen Fernsehshows vermitteln doch keinen Ruhm!“
„Nein? Wie würden Sie denn Ruhm definieren?“
Die Frau zuckte gleichmütig die Schultern.
„Ruhm muss man sich verdienen. Das kommt durch Talent und harte Arbeit. Niemand kann sich einfach so hinstellen und sagen: „Seht her, das ist der neue Superstar“. Nur Blödmänner glauben das.“
„Sehen Sie deshalb keine Fernsehshows?“
„Nein. Die sind einfach alle nur langweilig.“
Dr. Brenner nahm es kommentarlos hin und deutete auf die gefüllte Kaffeemaschine, die er in der Küche erkennen konnte.
„Laden Sie mich nun doch noch kurz auf einen Kaffee ein?“
Er lächelte dabei auf eine freundlich-distanzierte Art, so dass sie gegen ihren Willen nachgab, denn sie wollte nicht unhöflich sein, zumal der Kaffee ja bereits fertig war. Es kam ihr angesichts seiner guten Manieren und seines tadellosen Auftretens nicht richtig vor, ihn rundheraus hinauszuwerfen. Das verbot ihr ihre gute Erziehung.
„Na gut.“
Sie zögerte kurz, ob sie das gute Geschirr mit den Rosen nehmen sollte. Doch Dr. Brenner deutete rasch auf die abgewaschenen Becher.
„Machen Sie sich keine Umstände. So ein Becher ist ganz in Ordnung.“
„Mit Milch?“
„Nein. Schwarz.“
Sie schenkte den Kaffee ein und reichte ihm dann eine Tasse.
„Gehen wir ins Wohnzimmer“, schlug sie zögernd vor. Jetzt, da die ganze Filmcrew nicht mehr da war, wurde sie deutlich gastfreundlicher. Immerhin hatte sie nicht gelogen, was das Aufräumen anging. Ein Wäscheständer voller Wäsche stand neben der Terrassentür im Wohnzimmer und ein Staubsauger wartete nur darauf, benutzt zu werden.
„Tut mir leid. Ich hatte nicht mit Besuch gerechnet“, entschuldigte sich die Frau verlegen. Es war ein zweckmäßiger Raum mit neuen, vorwiegend hellen, nicht zu teuren Möbeln. Zwei Rattansofas standen sich gegenüber. Dazwischen ein Tisch, der mit Handarbeiten, Teegeschirr und Fernsehzeitung bekramt war. Sofadecken breiteten sich ungeordnet auf den Sitzflächen aus, so als hätte jemand vor kurzem ein Nickerchen gemacht. In der offenen Regalwand waren vor allem Bücher untergebracht. Hauptsächlich Romane, aber auch eine Lexikonreihe und einige großformatige Bildbände über Malerei. Ein ganzes Fach war voller Spiele. Dr. Brenner erkannte leicht amüsiert ein Rollenspielset „Das schwarze Auge“. Das halbe Spielefach war nur mit Zubehör zum Spiel gefüllt.
„Schön haben Sie es hier“, stellte er schließlich freundlich fest und setzte sich auf eines der Sofas. Die blonde Frau zuckte abweisend die Schultern.
„Es muss niemandem gefallen außer mir.“
Nachdenklich nahm der Psychologe die Abfuhr zur Kenntnis und wechselte geduldig das Thema.
„Das sind hübsche Bilder an den Wänden. Haben Sie die gemalt?“
„Ja. Früher einmal. Jetzt habe ich dazu keine Zeit mehr.“
„Hm.“
Der Psychologe erhob sich wieder und trat näher an die Wand heran, um zwei der Bilder genauer in Augenschein zu nehmen. Es waren Landschaftsbilder: eine tropische Strandszene und ein idyllischer Straßenzug mit Fachwerkbauten. Ein Ölbild und ein Aquarell.
„Ich verstehe nicht allzu viel davon, aber ich würde sagen, Sie sind nicht ganz ohne Talent. Haben Sie mal etwas ausgestellt?“
Die Frau lachte bitter auf.
„Ohne Kunststudium? Vergessen Sie’s! Ich habe mal bei einer Galerie gefragt. Die haben mich behandelt wie den letzten Penner.“
„Wir könnten Sie dahingehend ausbilden, dass Ihre Bilder von jeder Galerie auf der Welt ausgestellt würden.“
„Ach, dazu ist kein Können notwendig. Nur gute Beziehungen. Und die haben Sie zweifelsfrei“, spottete die Frau in milder Belustigung. Dr. Brenner warf ihr einen nachdenklichen Blick zu.
„Na schön. Wenn Sie kein Interesse daran haben, vergessen wir es wohl am besten. Danke für den Kaffee. Ich denke, ich werde jetzt auch gehen.“
Er ging in den Flur und die Frau folgte ihm höflich, um ihn hinauszulassen. Als er bereits an der Tür stand, hielt sie ihn jedoch einem Impuls folgend zurück.
„Sie könnten mich wirklich in der Malerei ausbilden?“
„Nun. Ich nicht. Aber wir würden jemanden engagieren, der das optimal könnte.“
„Und was ist mit meiner Arbeit? Ich müsste da kündigen?“
„So lange Sie für die Show tätig wären, würden Sie ein festes Gehalt von uns bekommen. Genug, damit Sie sorgenfrei leben könnten.“
Man sah der Frau an, dass es in ihrem Gehirn heftig arbeitete.
„Und was müsste ich dafür tun?“
„Wir definieren vorab Ziele, die Sie in einer bestimmten Zeitspanne erreichen müssen. Normalerweise ein halbes bis ein ganzes Jahr. Und Sie nennen uns einen Preis, den Sie bereit sind, zu zahlen, für den Fall, dass Sie das Ziel nicht erreichen.“
„Einen Preis?“
„Ja. Haben Sie die Show wirklich nie gesehen?“
„Nein.“
„Es muss etwas sein, das dem Kandidaten wirklich etwas bedeutet. Ein echtes Opfer, damit er sich auch wirklich anstrengt.“
„Mein Haus?“ schlug die Frau zögernd vor. Dr. Brenner schüttelte entschieden den Kopf.
„Nein. Solche Dinge sind zu leicht zu ersetzen. Es muss Ihnen wirklich etwas bedeuten.“
„Mein altes Auto?“
„Nein. Sie verstehen nicht. Was wären Sie bereit, für den Traum Ihres Lebens herzugeben?“
„Keine Ahnung. Nicht mehr laufen können? Meinen Sie so etwas?“
Dr. Brenner wiegte bedächtig den Kopf hin und her.
„Das wäre für manchen sicher ein hoher Preis. Aber ich schätze Sie so ein, dass es Ihnen im Grunde egal wäre, ob Sie laufen oder im Rollstuhl sitzen. Vielleicht wären Sie sogar insgeheim froh darüber, weil Sie dann nicht mehr zur Arbeit müssten. Habe ich Recht?“
Die Frau blickte ihn ziemlich verdutzt an.
„Ich weiß nicht. Vielleicht.“
Er sah sich nochmals in der Wohnung um und sein Blick blieb an einem Foto hängen, das an einer Pinnwand befestigt war. Ein Urlaubsfoto. Zwei Frauen, die sich sehr ähnlich sahen vor einem Zelt auf einem Campingplatz. Sie lachten unbeschwert und schienen viel Spaß zu haben.
„Ist das Ihre Schwester?“ wollte er unvermittelt wissen und nahm das Foto ab.
„Ja. Wieso?“
Dr. Brenner überlegte nur kurz. Dann stellte er bedächtig fest:
„Ich schlage vor, wenn Sie die Bedingungen nicht einhalten, wird Ihr Preis sein, dass Sie Ihre Schwester nie wieder sehen.“
Wie vom Donner gerührt blickte Frauke Hellenberg den Mann vom Fernsehen an.
„Nein. Auf gar keinen Fall!“ entschied sie dann vehement. Dr. Brenner nickte, als hätte er auch keine andere Antwort erwartet.
„Natürlich. Es ist Ihre Entscheidung. Der Weg zum Ruhm und zur Erfüllung seiner Träume ist eben nicht ohne Risiko. Die meisten Kandidaten haben bislang das Ihnen gesteckte Ziel erreicht und somit musste der Preis nicht eingelöst werden. Aber es ist eben eine Sache der Disziplin und des An-sich-Glaubens. Wenn man das nicht hat, scheitert man. Das ist überall so.“
„Darum geht es nicht. Ich kann nicht eine Sache zum Einsatz geben, die ich nicht alleine bestimmen kann“, widersprach die blonde Frau irritiert. Dr. Brenner lächelte unverbindlich.
„Es ist Ihre Entscheidung.“
Dann zog er eine blütenweiße Visitenkarte auf festem Büttenpapier hervor, edel und altmodisch zugleich.
„Sollten Sie Ihre Meinung wider Erwarten doch noch ändern, rufen Sie mich bitte an. Allerdings nur bis morgen Vormittag. Danach werden wir einen anderen Kandidaten auswählen.“
Er verabschiedete sich mit einem leichten Kopfnicken und ging ohne weiteren Kommentar. Frauke blickte ihm voller widerstreitender Gefühle nach. Sie war froh, dass er ging. Doch gleichzeitig hatte sie auch das Gefühl, einen Riesenfehler zu begehen und die Chance ihres Lebens achtlos fortzuwerfen. Ratlos blickte sie auf die Visitenkarte und setzte sich dann auf die Treppenstufen im Flur. Das Putzen hatte sie vergessen.
*
Das Klappen der Haustür ließ Frauke aufblicken.
„Hallo! Bin zurück“, meldete sich ihre Schwester fröhlich und stutzte, als sie die blonde Frau auf der Treppe neben dem Eingang sitzen sah.
„Nanu? Was ist denn los?“
Frauke folgte der Schwester in die Küche und nahm sich noch eine Tasse Kaffee.
„Also, das glaubst du mir nicht.“
„Wieso? Hast du im Lotto gewonnen?“ lachte die rothaarige Frau, die ihrer Schwester bemerkenswert ähnlich sah.
„Ach, ich spiele doch gar nicht“, wehrte Frauke belustigt ab und reichte ihr dann die Visitenkarte des Fernsehmannes.
„Du kennst doch diese Spielshow „Ein Pakt mit dem Teufel“.“
Die Rothaarige nickte gespannt.
„Klar. Mein Kollege guckt die immer und erzählt uns dann am nächsten Tag, was so alles los war.“
„Na ja. In der Show gestern haben die offenbar mich als neue Kandidatin ausgewählt.“
Die Rothaarige lachte auf.
„Was? Ist nicht dein Ernst!“
„Doch. Die rückten vorhin an und wollten mich überreden, bei dem Quatsch mitzumachen.“
„Ah ja? Und was wollten die mit dir anstellen? Neue Kaiserin von Österreich? Erste Frau auf dem Mond?“
„Haha!“ grollte Frauke und verzog trotzig das Gesicht.
„Die haben vorgeschlagen, dass sie aus mir eine richtige Malerin machen. Keine Ahnung, was dann das Ziel ist. Vermutlich eine Ausstellung in New York oder so.“
„Wow!“
Wider Erwarten war ihre Schwester beeindruckt. Doch Frauke wehrte genervt ab.
„Ach nö. Ich mache da aber nicht mit.“
„Warum nicht? Früher hättest du sonst was dafür gegeben, wenn du mal eine richtige Ausstellung hättest machen können.“
„Ja, früher“, gab Frauke gedehnt zurück. Ihre Schwester legte misstrauisch den Kopf zur Seite.
„Wie? Was haben die denn als Einsatz haben wollen?“
Die blonde Frau druckste herum, ehe sie zögernd bekannte.
„Na ja. Also das ist echt indiskutabel, finde ich. Sie schlugen vor, dass ich dich im Falle eines Misserfolgs nie wiedersehen soll.“
Verblüfft starrte die Rothaarige ihre Schwester an.
„Selten dämlich! Erstens können die uns das nicht vorschreiben. Und zweitens würdest du deine Ausstellung ohnehin mit Bravour bestehen.“
„Meinst du?“
„Klar! Also, ich an deiner Stelle würde das machen. So eine Chance hast du garantiert nicht nochmal. Man stell‘ dir vor! Nie mehr ins Büro! Das wär’s doch noch!“
Frauke seufzte tief und lehnte sich gegen die Spüle, den Blick nachdenklich aus dem Fenster gerichtet.
„Und du hättest echt nichts dagegen? Ich meine, eigentlich ist das eine Scheißidee, um es mal ganz deutlich zu sagen.“
Ihre Schwester lachte.
„Das machen die doch nur für das Publikum. Solche Pseudowetten sind doch vom Gesetz her gar nicht erlaubt.“
„Und was ist mit dem Typ, der sich den rechten Fuß amputieren lassen musste, weil er es nicht gepackt hat, den Mount Everest binnen eines Jahres ohne Sauerstoffflasche zu besteigen? Und der Typ, der in der Formel 1 mitfahren wollte und tödlich verunglückt ist?“
„Das waren blöde Wünsche. Aber sei mal ehrlich. Wer wollte uns verbieten, uns zu sehen, selbst wenn du das Ziel nicht packst? Das geht doch gar nicht. Da müssten die ja schon eine von uns wegsperren oder umbringen.“
„Trotzdem. Ich habe ein blödes Gefühl dabei“, beharrte Frauke.
„Ich nicht“, fand ihre Schwester resolut. „Ich finde, du solltest das machen. Wenigstens eine, bei der mal was Aufregendes passiert.“
„Na schön“, gab Frauke schließlich zögernd nach und griff nach der Visitenkarte von Dr. Brenner.
„Ich rufe dann mal bei denen an und sage Bescheid, wie ich mich entschieden habe.“
„Ja. Tu das. Meine Unterstützung hast du!“
*
Die Trucks kamen am Samstagmorgen ganz früh. Es waren drei: ein Aufnahmewagen mit der ganzen Sendetechnik, ein großer Camper, der zum Büro für den Aufnahmeleiter umgebaut worden war und ein Bus, der die Garderobe für den Showmaster und die passenden Umkleide- und Aufenthaltsräume beinhaltete. Dazu noch zwei Limousinen, die den Showmaster und verschiedene andere Filmleute hergefahren hatten. Die großen Fahrzeuge passten kaum in die ruhige Spielstraße hinein und verstopften die gesamte Durchfahrt bis zur Wendeplatte. Man hätte meinen können, dass die Anwohner darüber sauer gewesen wären. Doch Frauke stellte nur erstaunt fest, dass die Nachbarn eher neugierig, denn genervt waren. Schaulustige kamen herbei, Kinder auf Fahrrädern, Männer mit Hunden, die eigentlich auf dem Weg zum Dorfbäcker waren, Hausfrauen, die im Garten die Wäsche aufhängen wollten.
Das Filmteam ließ sich dadurch nicht stören. Sie waren Profis und kannten das. Es war schließlich überall das Gleiche. Während noch Kabel verlegt wurden und ein Team Hand an den Garten legte, kam ein zweites Team unter der Führung des Aufnahmeleiters zu Frauke und ihrer Schwester Svenja ins Haus.
„Guten Morgen, die Damen! Na? Gut geschlafen?“ begrüßte Hanno die beiden Frauen per Handschlag. Svenja und Frauke warfen sich einen kurzen Blick zu. Dann seufzte die Blonde schicksalsergeben.
„Fühlen Sie sich ganz wie zuhause.“
„Oh. Keine Sorge. Wir werden hier ein wenig umräumen. In der Zwischenzeit haben wir eine Menge zu besprechen. Darf ich Sie beide in unser Office bitten?“
Er deutete eine kleine Verbeugung an und wies hinaus zu dem riesigen Camper.
„Wie Sie meinen“, zuckte Frauke nur gleichmütig die Schultern. Sie wusste noch nicht so recht, ob sie diesen ganzen Trubel in ihrem Haus ertragen würde. Doch sie war gewillt, es zumindest zu probieren.
Im Camper gab es wirklich alles, was ein Büro brauchte: Computer, Fax, Telefon, Kopierer, eine kleine Küche und einen Salon, der als Sitzungszimmer mit Smartboard benutzt werden konnte.
„Nachdem sie gestern bei uns angerufen hatten, haben wir gleich die entsprechenden Verträge fertiggemacht“, erläuterte Hanno geschäftstüchtig und zog einige Bögen Papier aus einem Ablagefach hervor. Er reichte den Vertrag an Frauke weiter und nahm dann einen zweiten Papierstapel, den er ihrer Schwester in die Hand drückte.
„Wieso muss ich auch etwas unterschreiben?“ wollte Svenja misstrauisch wissen.
„Ganz einfach. Sie nehmen indirekt ja auch an unserer Show teil. Das ist ein Standardvertrag. Alle unsere Kandidaten haben ihn erhalten. Wir übernehmen für die Dauer der Show alle persönlichen Kosten des Teilnehmers und zahlen ein großzügiges Taschengeld. Dafür verpflichtet sich der Kandidat, bei der Show bestmöglich mitzumachen und die gesteckten Ziele zu erreichen. Bei Nichterreichen der Ziele oder wenn der Kandidat vorher aufgibt, wird eine bestimmte Strafe fällig, die jeweils zu benennen ist. In Ihrem Fall verpflichtet sich Frauke, ihre Schwester nicht mehr wiederzusehen. Svenja unterschreibt, dass sie diese Bedingungen kennt und akzeptiert. Ganz einfach. Ohne Hintergedanken oder Tricks.“
„Und was sind die Ziele?“ wollte Frauke stirnrunzelnd wissen. Die Sache gefiel ihr nicht wirklich. Aber sie sah auch nicht, wo der Haken sein sollte.
„Die Ziele? Ach ja. Es ist ihre Aufgabe, eine Künstlerin zu werden, die in der Kunstwelt für Aufsehen sorgt. Sie müssen innerhalb eines Jahres eine Ausstellung in New Yorks berühmter Galerie von David Zwirner machen und dort wenigstens acht Bilder zu einem Preis von 10.000 Dollar das Stück verkaufen.“
Frauke blies die Backen auf und schnaufte dann beeindruckt aus.
„Das ist aber ganz schön viel verlangt!“
Hanno winkte jedoch gelassen ab.
„Keine Sorge. Sie werden die besten Lehrer haben. Das ist nicht besonders schwierig, denke ich. Der Kunstmarkt ist vor allem elitär und verwöhnt. Dort berühmt zu werden, hat mehr mit Marketing und Vitamin B zu tun, als mit echtem Können.“
„Mein Reden“, grinste Frauke und griff zum Stift, um den Vertrag zu unterzeichnen. Auch Svenja tat es ihr nach.
„Dann wollen wir mal, was?“
„Sehr gut, meine Damen. Von nun an übernehmen wir hier das Kommando. Sie brauchen uns nur zu folgen. Dann kann gar nichts schief gehen.“
*
Ein Team von drei Leuten kümmerte sich exklusiv um die Aufmachung der Kandidatin und ihrer Schwester. Da die Filmaufnahmen von Freitag bis auf wenige Ausnahmen unbrauchbar waren, hatte der Produktionsleiter beschlossen, die beiden Frauen gemäß der ihnen zugedachten Rollen zurecht zu machen. Eine der Stylistinnen durchwühlte Fraukes Kleiderschrank und förderte Sachen zutage, von denen sie gar nicht wusste, dass sie sie besaß und dass sie überhaupt noch passten.
Sie bekam eine alte, dunkle Jeans verpasst. Dazu ein weißes T-Shirt und darüber eine blaue Seidenbluse, die sie höchstens dreimal im Leben getragen hatte. Man legte ihr noch ein altes Seidentuch als Gürtel um und bat sie, schwarze Pumps zu tragen, die sie sonst nur mal ins Theater anzog, weil sie recht hochhackig und unbequem waren. Frauke fand sich seltsam verkleidet, als sie sich in ihrem Schlafzimmerspiegel betrachtete. Auch ihre Schwester war gestylt worden. Im Gegensatz zu Frauke wirkte Svenja sportlich-geschäftsmäßig in Blazer und dunkler, weiter Hose. Frauke kicherte unwillkürlich, als sie sah, wie ihre Schwester zurecht gemacht worden war. Besonders die hochgesteckten Haare und die viele Schminke passten überhaupt zu ihr. Das war nicht die Svenja, die sie kannte.
„Und was sollen wir jetzt tun?“ wollte Frauke ratlos wissen, als Hanno zu ihnen ins Obergeschoss kam, wo die Schlafzimmer und das Bad lagen.
„Wir gehen jetzt mal den ersten Empfang durch. Dietmar wird an der Tür klingeln und Frauke macht ihm auf. Du bist überrascht, verwirrt, ein wenig abweisend. Dietmar erklärt dir, weshalb wir hier sind und du lässt uns rein. Svenja kommt und begrüßt uns auch. Du erklärst ihr, was los ist, und sie findet das gut. Dann machen wir erst mal einen Cut. Je nachdem, wie die ersten Szenen laufen, wiederholen wir das noch zwei, drei Mal.“
Er war mittlerweile zum „Du“ gewechselt, weil das angeblich in der Filmbranche so üblich sei. Die beiden Frauen fügten sich kommentarlos.
*
Nach fünf Stunden war die Produktion im Kasten und das Filmteam zog ab. Für die unfreiwillige Hauptdarstellerin und ihre Schwester gab es vorerst nichts mehr zu tun. Im Schneideraum würden die vielen einzelnen Szenen gesichtet und bis spät in die Nacht hinein zusammengeschnitten werden.
„Was für ein Tag!“ seufzte Frauke erschöpft auf und ließ sich aufs Sofa fallen. Svenja warf einen Blick auf die jetzt makellos aufgeräumte und von Unkraut befreite Terrasse.
„Komm, lass uns draußen hinsetzen. Es ist noch so schön draußen.“
„Wie du meinst.“
Mit Sofadecken und Teetassen in der Hand zogen die beiden Frauen von drinnen nach draußen und machten es sich auf den Holzstühlen bequem, die um einen hölzernen Tisch herum unter einem riesigen Sonnenschirm standen. Außerhalb des Schattens war es selbst jetzt um halb acht Uhr abends noch zu warm. Auf der Straße spielten Kinder und man hörte einen Rasenmäher in der Ferne. Ein Trecker rumpelte scheppernd über den schlechten Asphalt der Dorfstraße. Irgendwo wieherte ein Pferd. Es war sehr friedlich, nun da das Filmteam abgezogen war. Frauke hatte ein seltsames Gefühl des Heimwehs und der Wehmut in sich, so als wüsste sie, dass dies für lange Zeit der letzte geruhsame Abend in ihrem Leben sein würde.
„Glaubst du, ich kann hier wohnen bleiben?“
„Klar. Warum denn nicht?“
Svenja hatte die Augen geschlossen und döste träge in der Wärme vor sich hin, die Lehne des Gartenstuhls fast in Liegeposition nach hinten geklappt. Die Sofadecke nutzte sie als Kopfkissenersatz. Frauke antwortete ihr nicht. Sie versuchte, sich vorzustellen, dass sie von nun an jeden Tag malen würde. Früher hatte sie genau das gemacht, als sie noch studierte und sich die Zeit nach den Vorlesungen frei einteilen konnte. Damals hatte sie viel mit Pinsel und Farben herum probiert. Sie war durch die Welt gelaufen und hatte alles aus dem Blickwinkel der Malerei gesehen. Meistens schleppte sie damals einen Fotoapparat mit sich herum, um all die Eindrücke und Motive festzuhalten, die sie dann später abmalen wollte. Auch aus Zeitschriften und Büchern hatte sie Motive gesammelt. Irgendwo musste noch eine Mappe mit diesen Anregungen herumliegen. Sie hatte jahrelang nicht mehr daran gedacht. Je länger sie einer geregelten Arbeit nachging und je älter sie wurde, umso weniger Lust hatte sie verspürt, einen Pinsel oder Bleistift in die Hand zu nehmen. Ihr Blick für Motive war irgendwann verlorengegangen.