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In einer Zeit, in der Kolumbus die Weltmeere umsegelte und die Macht von Königen schier unbegrenzt war, legte der Augsburger Jakob Fugger den Grundstein für seinen unglaublichen Reichtum. Innovative Ideen, Verhandlungsgeschick und vor allem Nervenstärke zeichneten den Bankier aus, der dem Papst die Erlaubnis für Zinsgeschäfte abrang. Greg Steinmetz zeigt Jakob Fugger, wie man ihn noch nie gesehen hat, und enthüllt, mit welchen Methoden Fugger sein gigantisches Imperium aufbaute, Fürsten- und Königshäuser in die Abhängigkeit drängte und die europäische Politik maßgeblich mitprägte. Ein einzigartiger Blick auf den ersten »Global Player« der Geschichte. Um unseren modernen Kapitalismus zu verstehen, muss man Jakob Fugger verstehen.
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Seitenzahl: 444
Veröffentlichungsjahr: 2025
GREG STEINMETZ
DER REICHSTE MANN DER WELTGESCHICHTE
Leben und Werk vonJAKOB FUGGER
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2. Auflage 2026
© 2025 by Finanzbuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Türkenstraße 89
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Tel.: 089 651285–0
© der Originalausgabe 2015 by Greg SteinmetzDie englische Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel The Richest Man Who Ever Lived bei SIMON & SCHUSTER.
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Übersetzung: Almuth Braun, Dr. Ulrich Korn (Vorwort)
Redaktion: Werner Wahls
Korrektorat: Silvia Kinkel
Umschlaggestaltung: Kristin Hoffmann, München
Umschlagabbildung: Getty Images, Photo 12/Kontributor
Satz: Daniel Förster, Belgern | Kerstin Stein, München
eBook: ePUBoo.com
ISBN Print (Softcover) 978-3-95972-837-9
ISBN Print (Hardcover) 978-3-89879-961-4
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-98609-148-4
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Vorwort der Taschenbuchausgabe
Einführung
1Staatsschulden
2Partner
3Drei Brüder
4Bankensturm
5Die Nordmeere
6Wucher
7Der Gülden im Becken
8Die Wahl
9Der Sieg
10Die Luft der Freiheit
11Die Bauern
12Die Trommeln verstummen
Epilog
Nachwort
Endnoten
Literaturhinweise
Über den Autor
Für meine Eltern, Art und Thea Steinmetz, zwei Schwaben, die – wie Fugger – den Wert harter Arbeit und Sparsamkeit kennen.
Das Jahr 2025 markiert den 500. Todestag des reichsten Mannes, der je gelebt hat: Jakob Fugger. Am 30. Dezember 1525 starb er friedlich in seinem Stadtpalast im Zentrum von Augsburg; er wurde 66 Jahre alt. Fuggers Leben hätte jedoch beinahe einen anderen Ausgang genommen; denn zu Beginn desselben Jahres hatten deutsche Bauern sich gegen die herrschende Ordnung erhoben – es war der erste Massenaufstand in der Geschichte Europas. Aufgewiegelt durch das Joch der Leibeigenschaft zogen die Bauern plündernd durchs Land. Sie stürmten Klöster, raubten deren Schätze und töteten Mönche und Nonnen. Paläste wurden verwüstet, Waffen an sich gerissen und Weinkeller geplündert. In Weinsberg, einer fränkischen Stadt, waren sie für die Hinrichtung des Grafen Ludwig V. von Helfenstein-Wiesensteig verantwortlich. Bevor sie ihn ermordeten, zwangen sie ihn zu einem Spießrutenlauf. Auch seine sechzig Diener wurden nicht verschont – sie starben durch Lanzenstiche.
Die aufständischen Bauern richteten ihren Blick auf Weißenhorn, eine Stadt unter der Herrschaft der Fugger. Kaiser Maximilian I. hatte der Kaufmannsfamilie die Stadt – und damit auch das Recht auf Steuereinnahmen – Jahre zuvor als Gegenleistung für ein Darlehen überlassen. Den Bauern gelang es, bis zu den Stadttoren vorzudringen, bevor sie von den Soldaten an den Wällen zurückgeschlagen wurden. Auch Augsburg war ein verlockendes Ziel. Nur wenige deutsche Städte verfügten über ein so großes Waffenarsenal, so viele Schätze und so viele Weinvorräte wie die unglaublich reiche Fuggerstadt. Es war jedoch mitnichten ein Ort, der von den Aufständischen leicht anzugreifen war. Wäre die Stadt weniger stark befestigt gewesen, hätten die Bauern ohne Umschweife in den Fuggerpalast eindringen können und mit Jakob Fugger das Gleiche gemacht wie mit dem armen Graf Ludwig: In ihrem Wutrausch hätten sie ihn in Stücke gehackt.
Die zeitliche Überschneidung von Fuggers bewegtem letztem Lebensjahr mit dem Ausbruch des Deutschen Bauernkriegs macht einen Grundkonflikt sichtbar, der die Menschheitsgeschichte bis heute prägt: den Zwiespalt zwischen einem rücksichtslosen Kapitalismus, in dem der Sieger alles erhält, und dem Streben nach sozialer Gerechtigkeit. Männer wie Maximilian und Fugger verfügten über Macht und Reichtum. Sie eigneten sich nicht nur die Erträge der bäuerlichen Arbeit an – insbesondere die Ernten –, sondern nutzten auch das handwerkliche Geschick und die Fähigkeiten der unteren Schichten, um ihren eigenen Vorteil zu mehren und ihre Stellung weiter auszubauen. Den Bauern hingegen überließen sie nur das Notwendigste, sodass sie mehr schlecht als recht überleben konnten. Um die soziale Demütigung der Landbevölkerung noch zu verschärfen, untersagten Kaiser Maximilian, Jakob Fugger und andere Adlige den einfachen Menschen das Fischen in ihren Bächen und das Jagen auf ihren Ländereien. Es ist daher kaum überraschend, dass sich die Bauern – nun in der Lage, sich dank der erst kürzlich erfundenen Druckerpresse durch Gutenberg über weite Entfernungen hinweg auszutauschen – organisierten, um Vergeltung zu üben.
Ich habe dieses Buch geschrieben, um Jakob Fugger einem amerikanischen Publikum näherzubringen. In Deutschland ist sein Name so geläufig wie der von Rockefeller in den Vereinigten Staaten. Doch außerhalb der Fuggerei – einer bis heute funktionierenden, günstigen Sozialsiedlung – haben nur wenige Amerikaner je von ihm gehört. Dabei, so dachte ich, würden englischsprachige Leser sicher gern mehr über diesen Titanen der Finanzgeschichte erfahren: einen Mann, der den Handel revolutionierte, das Weltreich Kaiser Karls V. mitfinanzierte und Martin Luther so herausforderte, dass dieser schließlich seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg schlug – und damit die Reformation auslöste. Wie sich zeigte, lag ich mit meiner Vermutung richtig: Die Leserschaft meines Buches reicht heute bis in die einstigen Herrschaftsgebiete Karls V. Es wurde nicht nur ins Deutsche übersetzt und stand in Deutschland mehrere Monate lang auf der Bestsellerliste des Manager Magazin, sondern wurde auch in acht weiteren Sprachen verlegt, darunter Koreanisch. Ein Teil des Interesses, so kann ich mir vorstellen, rührt wohl daher, mehr über die Geheimnisse erfahren zu wollen, wie Fugger sein Geld verdiente. Noch faszinierender ist jedoch, vermute ich, wie es ihm gelingen konnte, seinen Reichtum anzuhäufen und wie er sein Geld ausgegeben hat.
Die Frage, die mir im Laufe der Jahre am häufigsten begegnet ist, lautet: War Fugger wirklich der reichste Mensch aller Zeiten? Fast immer folgt darauf die nächste: Und was ist mit Mansa Musa – dem neunten Herrscher des Mali-Reichs, der sich im 14. Jahrhundert angeblich das gesamte Gold von Bambuk und Bure aneignete? Einige Historiker bezeichnen ihn als den reichsten Mann der Geschichte. Ich hingegen bin der Ansicht: Niemand weiß mit Sicherheit, wie groß Musas Vermögen tatsächlich war. Wir wissen lediglich, dass er bei einem Besuch in Kairo im Jahr 1324 großzügig mit Gold um sich warf. In Fuggers Fall wissen wir jedoch genau, wie groß sein Reichtum war, da er ein Hauptbuch führte. Sein Nettovermögen belief sich auf 2 Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung; das entspricht inflationsbereinigt circa 400 Milliarden Dollar. Rockefellers Vermögen betrug gerade einmal 200 Milliarden Dollar. Wie dem auch sei: Selbst wenn Mansa Musa, Dschingis Khan, August Cäsar oder die anderen auf der Liste der reichsten Menschen der Welt mehr Geld besaßen als Jakob Fugger, ragt der Augsburger Finanzier gleichwohl heraus: Denn er war ein Bürgerlicher. Anders als alle anderen erarbeitete er sich seinen Reichtum ohne den Vorteil einer königlichen Herkunft.
Fuggers Erfolgsgeheimnisse waren im Grunde gar keine. Er arbeitete unermüdlich, beherrschte den Umgang mit Zahlen meisterhaft und wusste, wie man sich mit fähigen Köpfen umgibt. Doch das, was ihn wirklich auszeichnete, war etwas, das man nicht lernen kann: ein außergewöhnliches Urteilsvermögen. Er hatte ein feines Gespür dafür, wie weit er seine Kunden belasten konnte, ohne ihren Unmut zu riskieren. Kaiser Maximilian und Karl hätten ihn jederzeit verhaften und sein Vermögen beschlagnahmen können – doch sie taten es nicht. Sie brauchten ihn. Fugger hatte sich unentbehrlich gemacht. Ging es darum, rasch Mittel für einen Krieg oder eine standesgemäße Hochzeit aufzubringen, war er der Einzige im Reich, der sofort liefern konnte.
Rückblickend über fünf Jahrhunderte können wir Fuggers Einfluss auf unsere Zeit deutlich erkennen. Er verstand es, Buchhaltung, Geldmanagement und Kapitalbildung weiterzuentwickeln. Zugleich war er ein Vorreiter dessen, was man heute mit der Blockchain vergleichen kann. Anstatt Geld mühsam über gefährliche Land- und Seewege zu seinen Kunden zu transportieren, bewegte Fugger es durch Buchungseinträge. Er schrieb einem Konto an einem Ort ein Guthaben gut und belastete gleichzeitig ein anderes an einem anderen Ort. Fugger tat dies mit Feder und Tinte – nicht mit Bits und Bytes. Aber das Prinzip war dasselbe. In gewisser Weise war Fugger der erste »Krypto-Bro«.
An einem Frühlingstag im Jahr 1523 rief der Augsburger Bankier Jakob Fugger, genannt »der Reiche«, einen Schreiber zu sich und diktierte ihm ein Mahnschreiben. Ein Kunde war mit seiner Darlehenstilgung im Verzug. Nach Jahren der Nachgiebigkeit hatte Jakob schließlich die Geduld verloren.
Jakob Fugger schrieb ständig Mahnbriefe. Dieses Mahnschreiben war jedoch außergewöhnlich, denn es richtete sich nicht an einen säumigen Pelzhändler oder einen Gewürzimporteur in Geldnöten, sondern an keinen Geringeren als Karl V., den zu jener Zeit mächtigsten Mann der Welt. Karl besaß 81 Titel, darunter Heiliger Römischer Kaiser, König von Spanien, König von Neapel, König von Jerusalem, Herzog von Burgund und Gebieter über Asien und Afrika. Er herrschte über das größte Reich seit den alten Römern; es erstreckte sich über Europa und den Atlantik bis nach Mexiko und Peru. Es war das erste Reich in der Geschichte, in dem niemals die Sonne unterging. Als der Papst Karl trotzte, ließ dieser Rom plündern. Als Frankreich ihm die Stirn bot, nahm er dessen König gefangen. In den Augen der Menschen haftete ihm etwas Göttliches an, und sie versuchten ihn wegen seiner angeblichen Heilkräfte zu berühren. »Er ist das leibhaftige Gesetz und steht über allen anderen Gesetzen«, sagte ein kaiserlicher Rat. »Seine Majestät ist ein Gott auf Erden.«
Jakob Fugger war der Enkelsohn eines Bauern. Karl hätte ihn für seine Impertinenz leicht foltern lassen können. Daher muss es ihn überrascht haben, dass Jakob sich nicht nur auf Augenhöhe an ihn wandte, sondern diesen Affront auch noch dadurch verstärkte, dass er ihm in Erinnerung rief, wem der Kaiser seinen Erfolg verdankte. »Es ist auch bekannt und liegt am Tage, dass Eure Kaiserliche Majestät die Römische Krone ohne meine Hilfe nicht hätte erlangen können«, schrieb Jakob Fugger. »Dessen eingedenk lautet meine respektvolle Bitte an Eure Kaiserliche Hoheit, dass Ihr (…) befehligt, dass das Geld, das ich verauslagt habe, zusammen mit den allfälligen Zinsen aufgerechnet und ohne weiteren Aufschub zurückgezahlt werde.«1
Menschen werden reich, indem sie Geschäftschancen aufspüren und wahrnehmen, sich in Verhandlungen durchsetzen oder neue Technologien entwickeln. Das alles traf auf Jakob Fugger zu, aber darüber hinaus besaß er eine weitere Qualität, die ihm echte Überlegenheit verlieh. Wie der Brief an Karl beweist, besaß er Mut und eine unerschütterliche Selbstsicherheit. In einem seltenen Moment der Nachdenklichkeit sagte Jakob, er habe keine Schlafprobleme, weil er das Tagesgeschäft vor dem Zubettgehen so leicht abschütteln könne wie seine Kleidung. Jakob Fugger überragte die Masse um Längen. Das berühmte Porträt von Albrecht Dürer zeigt einen Mann, dessen fester ruhiger Blick innere Überzeugung ausstrahlt. Dank seiner kühlen Gelassenheit und Selbstsicherheit gelang es ihm, Monarchen zum Einlenken zu bewegen, erdrückende Schuldenlasten zu tragen und angesichts des drohenden Ruins vor Jovialität und Selbstvertrauen zu bersten. Starke Nerven waren unerlässlich, denn das Geschäftsleben war nie gefährlicher als im 16. Jahrhundert. Betrügern wurden die Hände abgehackt oder die Wange mit einem heißen Schürhaken durchbohrt. Bankrotteure verrotteten im Schuldengefängnis. Bäcker, die bei der Manipulation und Verunreinigung von Brot erwischt wurden, wurden öffentlich geschupft, oder mit der HalsgeigeI durch die Stadt geführt und dem Hohn und Spott der Massen ausgesetzt.
Geldverleihern drohte das grausamste Schicksal. Wie die Pfarrer ihren Gemeindemitgliedern stets in Erinnerung riefen, mussten Geldverleiher – die Kirche bezeichnete sie als Wucherer – im Fegefeuer schmoren. Zum Beweis gruben die Kirchenmänner die Gräber vermeintlicher Wucherer aus und deuteten auf die Würmer, Maden und Käfer, die sich durch das verfaulende Fleisch bohrten. Wie jeder wusste, war dieses Ungeziefer Satans Verbündeter. Gab es einen besseren Beweis, dass dies die Leichname von Wucherern waren?
Angesichts der Konsequenzen eines Misserfolgs ist es ein Wunder, dass Jakob Fugger einen derart brennenden Ehrgeiz hatte. Er hätte sich auf dem Land zur Ruhe setzen und wie manche seiner Kunden sein Leben der Jagd, der Eroberung des schönen Geschlechts und ausgelassenen Orgien widmen können, bei denen zur Belustigung der Anwesenden Zwerge aus riesigen Pasteten sprangen. Einige seiner Erben taten das. Er aber wollte immer höher hinaus, selbst wenn das bedeutete, dass er seine Freiheit und seine Seele riskieren musste. Seine kühle Rationalität legte seinem inneren Drang jedoch gewisse Zügel an. Er wusste, dass seine Mitmenschen ihn als »unchristlich und unbrüderlich« betrachteten. Er wusste, dass seine Feinde ihn einen Wucherer und einen Juden nannten und behaupteten, er sei verdammt. Er setzte den Angriffen jedoch Logik entgegen. Der Herr musste wohl gewollt haben, dass er reich werde, ansonsten hätte er ihn nicht mit einer solchen Gabe zum Geldverdienen gesegnet. »Viele Menschen sind mir gegenüber feindselig gesinnt«, schrieb Jakob. »Sie sagen, ich sei reich. Ich bin reich durch Gottes Gnaden, ohne irgendjemandem Harm zuzufügen.«2
Jakobs Behauptung, Karl wäre ohne ihn niemals zum Kaiser gekrönt worden, war keine Übertreibung. Nicht nur hatte Jakob mit hohen Bestechungsgeldern Karls Wahl zum römisch-deutschen König und damit seine anschließende Kaiserkrönung sichergestellt, Fugger hatte zudem Karls Großvater finanziert und dessen Familie, die Habsburger, von den Rändern der europäischen Politik in den Mittelpunkt gerückt. Jakob setzte aber auch auf andere Weise wichtige Wegmarken. Er weckte den Handel aus seinem mittelalterlichen Schlummer, indem er den Papst dazu überredete, die Ächtung des Geldverleihs aufzuheben. Er trug dazu bei, das freie Unternehmertum vor einem frühen Siechtum zu bewahren, indem er das Heer finanzierte, das den Bauernkrieg gewann, den ersten großen Zusammenprall zwischen Kapitalismus und Kommunismus. Er brach der Hanse, Europas mächtigster Handelsorganisation vor Jakob Fugger, das Rückgrat. Er war Miturheber eines dubiosen Finanzplans, des berüchtigten Petersablasses, der unbeabsichtigterweise Luther dazu veranlasste, seine 95 Thesen zu verfassen – das Dokument, das die Reformation auslöste; das welterschütternde Ereignis, das die europäische Christenheit in zwei Teile spaltete. Höchstwahrscheinlich finanzierte er Magellans Weltumsegelung. Außerdem war Fugger einer der ersten Kaufleute nördlich der Alpen, der die doppelte Buchführung verwendete, und der Erste überhaupt, der die Ergebnisse vielfältigster Geschäfte und Transaktionen in einer einzigen Firmenbilanz abbildete – ein Durchbruch, der es ihm ermöglichte, sein Finanzimperium im Blick zu behalten und immer zu wissen, wie es um seine Finanzen bestellt war. Er war der Erste, der interne Prüfer in seine Faktoreien entsandte. Die Gründung eines Nachrichtendienstes, der ihm einen Informationsvorsprung vor seinen Rivalen und Kunden verschaffte, brachte ihm zudem eine Erwähnung in der Geschichte des Journalismus ein. Aus all diesen Gründen kann man Jakob Fugger mit Fug und Recht als einflussreichsten Geschäftsmann aller Zeiten bezeichnen.
Jakob Fugger war in der Lage, den Verlauf der Geschichte zu beeinflussen, weil er in einem Zeitalter lebte, in dem Geld erstmalig über den Ausgang von Kriegen und somit über die Politik bestimmte. Und Jakob Fugger hatte Geld. Er residierte in Palästen und besaß eine ganze Reihe von Schlössern. Nachdem er sich den Adelsstand erkauft hatte, war er Lehnsherr über so viele Lehen, dass sein Name selbst auf Landkarten erwähnt wurde. Er besaß ein atemberaubendes Collier, das später von Königin Elisabeth I. getragen wurde. Als er im Jahr 1525 starb, betrug sein Vermögen knapp unter zwei Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung.3 Selbst John D. Rockefeller konnte ihm nicht das Wasser reichen. Jakob Fugger war der erste dokumentierte Millionär. Vor ihm gab es die Medici, die ebenfalls sehr viel Geld besaßen, aber in ihren Geschäftsbüchern sind lediglich Beträge bis zu fünfstelligen Summen verzeichnet, obwohl sie mit Währungen in einem Volumen handelten, das ungefähr Jakob Fuggers Vermögen entsprach. Letzteres war jedoch das erste siebenstellige Vermögen.
Jakob Fugger wurde mit Bankgeschäften und Bergwerken reich. Daneben handelte er aber auch mit Textilien, Gewürzen, Juwelen und heiligen Reliquien, wie zum Beispiel den Knochen von Märtyrern und Holzsplittern des Jesuskreuzes. Eine Zeit lang hielt er ein Monopol auf das brasilianische Guajakharz, das angeblich Syphilis heilte. Er prägte Papstmünzen und gründete die erste Päpstliche Schweizer Garde. Andere versuchten ihn zu imitieren, vor allem sein Augsburger Nachbar Ambrosius Hochstetter. Während Jakob Fugger jedoch als unermesslich reicher Mann starb, ging Hochstetter, der Pionier des Bankengeschäfts für Massenkunden, bankrott und starb im Gefängnis.
Jakob Fugger begann seine Laufbahn als Angehöriger des einfachen Bürgertums, dem dritten und untersten Stand im europäischen Ständesystem. Wenn er vergaß, sich vor einem Baron zu verbeugen, oder auf einer geschäftigen Straße nicht den Weg für einen Ritter frei machte, riskierte er einen Schwerthieb. Seine gewöhnliche Herkunft war jedoch kein Hindernis. Alle Kaufleute waren einfache Bürger, und die Familie Fugger war reich genug, um sich jeden Vorteil zu erkaufen. Sie waren erfolgreiche Tuchhändler. Aufzeichnungen belegen, dass sie zu den größten Steuerzahlern Augsburgs gehörten. Dennoch mangelte es nicht an Herausforderungen. Jakob Fuggers Vater starb, als Jakob zehn war. Hätte es nicht seine starke, erfindungsreiche Mutter gegeben, wäre möglicherweise nichts aus ihm geworden. Ein weiteres Handicap war sein Platz in der Geschwisterreihe. Er war der Jüngste von sieben Söhnen, was ihn normalerweise eher ins Kloster als ins Geschäftsleben geführt hätte. Jakob war eigensinnig, selbstsüchtig, hinterlistig und gelegentlich grausam. Einst schickte er die Familie seines wichtigsten Stellvertreters und Vertrauensmanns ins Armenhaus, weil er sich nach dessen Tod geweigert hatte, der Familie die Schulden des Toten zu erlassen. Aber zumindest eine dieser Schwächen – die Neigung, mit seinen Leistungen zu prahlen – verwandelte er in einen Vermögenswert. Indem er potenzielle Kunden wissen ließ, wie viel er für einen Diamanten bezahlte oder welche Darlehenssummen er bereitstellen konnte, machte er publik, dass er mehr für seine Kunden tun konnte als andere Bankiers.
Die Abseiten seiner Bekanntheit waren Neid und Missgunst. Seine Feinde verfolgten ihn während des Großteils seines Arbeitslebens. Die ständigen Angriffe, denen er ausgesetzt war, ließen sein Leben wie ein Videospiel erscheinen. Seine Neider griffen ihn sowohl frontal als auch aus dem Hinterhalt an und konfrontierten ihn mit zunehmendem Reichtum und wachsender Macht mit immer größeren Herausforderungen. Luther wollte ihn und seine Familie in den Bankrott treiben, indem er verkündete, er wolle »dem Fugger und dergleichen Gesellschaft einen Zaum ins Maul legen.« Der Reichsritter und berühmte humanistische Dichter Ulrich von Hutten trachtete ihm nach dem Leben. Doch mit jeder Attacke wurde Jakob Fugger noch reicher und mächtiger.
Machte der Erfolg ihn glücklich? Wahrscheinlich nicht, zumindest nicht im herkömmlichen Sinne. Er hatte fast keine Freunde, fast nur Geschäftspartner. Sein einziges Kind war außerehelich. Seine Neffen, an die er sein Imperium abtrat, enttäuschten ihn. In seiner Sterbestunde war niemand bei ihm außer bezahlten Hilfskräften – seine Frau war bei ihrem Liebhaber. Nach seiner eigenen Maßgabe war er allerdings erfolgreich. Wohlbehagen oder gar Glück gehörten nicht zu den Dingen, die er anstrebte. Sein Ziel lautete Geld anzuhäufen, und zwar bis zum letzten Atemzug. Vor seinem Tod verfasste er seinen eigenen Nachruf. Dabei handelte es sich um eine schamlose Selbstpreisung, die noch eine Generation zuvor – bevor die individualistische Philosophie der Renaissance das Heilige Römische Reich Deutscher Nation eroberte – undenkbar gewesen wäre, als sogar ein Selbstbildnis, eine Kunstform, die zu Jakob Fuggers Lebzeiten besonders Dürer pflegte, als provozierend selbstbezogene Verletzung der gesellschaftlichen Normen gegolten hätte.
DEM ALLMÄCHTIGEN UND GUTEN GOTT! Jakob Fugger von Augsburg, Zierde seines Standes und seines Landes, kaiserlicher Ratsherr unter Maximilian I. und Karl V., unvergleichlich in der Anhäufung außerordentlicher Reichtümer, in Liberalität, reiner Lebensführung und Seelengröße; so unvergleichlich wie er zu Lebzeiten war, so unvergleichlich ist er im Tod.
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Heute ist Jakob Fugger bekannter für sein philanthropisches Werk, insbesondere die Fuggerei – eine Reihenhaussiedlung für sozial Schwache in Augsburg –, als für seine Unvergleichlichkeit »in der Anhäufung außerordentlicher Reichtümer.« Die Fuggerei, die bis heute erhalten und bewohnt ist, zieht dank Jakob Fuggers Stiftungen vor fünf Jahrhunderten jedes Jahr Tausende von Besuchern aus dem Ausland an. Jakobs Vermächtnis reicht jedoch weit darüber hinaus. Seine Taten beeinflussten den Lauf der Geschichte stärker, als die der meisten Herrscher, Revolutionäre, Propheten und Dichter. Seine Methoden ebneten den Kapitalisten der folgenden 500 Jahre den Weg. Wir können in Jakob Fugger leicht eine moderne Gestalt erkennen. Im Kern war er ein äußerst aggressiver Geschäftsmann, der möglichst viel Geld verdienen wollte und dabei keine Skrupel kannte.5 Er nahm jede noch so gewaltige Chance wahr und pokerte dabei sehr hoch; er gewann die Gunst zahlreicher Politiker; er benutzte sein Geld, um die Spielregeln zu seinem Vorteil umzuschreiben; er umgab sich mit Rechtsgelehrten und Rechnungsprüfern und informierte sich ständig. Heutzutage füllen Milliardäre mit den gleichen Instinkten und der gleichen Geldgier die Seiten der Finanzpresse. Jakob Fugger bahnte ihnen den Weg. Insofern war er der erste moderne Geschäftsmann, der Erste, der Reichtum um des Reichtums willen anhäufte, und zwar ohne Furcht vor ewiger Verdammnis. Um unser heutiges Finanzsystem zu verstehen und seine Entstehung nachzuvollziehen, ist es hilfreich, Jakob Fugger zu verstehen.
I Öffentliches Untertauchen mit der Schuppe – das Schupfen – sowie die Halsgeige und der Pranger waren typische Ehrenstrafen des Mittelalters. (A.d.Ü.)
Im Deutschland der Renaissance gab es nur wenige Städte, die es mit der Energie und Geschäftigkeit von Augsburg aufnehmen konnten. Die Stadt glich einem Bienenkorb und ihre Märkte quollen über vor Waren – von Straußeneiern bis zu den Totenschädeln von Heiligen wurde alles feilgeboten. Wenn die Damen der Gesellschaft die heilige Messe besuchten, nahmen sie ihre Jagdfalken mit. Ungarische Viehhirten trieben Rinderherden durch die Straßen. Wenn der Kaiser Augsburg einen Besuch abstattete, wurden auf den Plätzen der Stadt Ritterturniere ausgetragen. Wurde am Morgen ein Mörder gefasst, fand am Nachmittag die öffentliche Hinrichtung am Galgen statt. Augsburgs Toleranz für Sünden war ansonsten hoch; das Bier floss in den Badehäusern so unbekümmert wie in den Tavernen. Die Stadt erlaubte die Prostitution nicht nur, sie unterhielt auch das Bordell.
Hier wurde Jakob Fugger im Jahr 1459 geboren. Augsburg lebte vom Textilhandel, und die Familie Fugger hatte ihren Reichtum damit erworben, Stoffe von örtlichen Webern zu kaufen und sie auf den Messen in Frankfurt, Köln und jenseits der Alpen, in Venedig, weiterzuverkaufen. Jakob Fugger war der jüngste von sieben Söhnen. Sein Vater starb, als er zehn Jahre alt war. Nach dem Tod des Vaters übernahm seine Mutter das Geschäft. Sie hatte genügend Söhne, um auf allen Messen präsent zu sein, Wegelagerer zu bestechen und die Stoffe in den Bleichereien zu begutachten. Und so beschloss sie, ihren Jüngsten von den Badehäusern und Zweikämpfen fernzuhalten und ihn einen anderen Weg einschlagen zu lassen: Er sollte Geistlicher werden.
Man kann sich nur schwer vorstellen, dass Jakob Fugger glücklich über diese Entscheidung war. Falls seine Mutter ihr Vorhaben in die Tat umsetzte und er in das Priesterseminar eintreten würde, würde er sich den Kopf rasieren und seinen Mantel gegen die schwarze Kutte der Benediktiner eintauschen müssen. Er würde Latein lernen, Thomas von Aquin lesen und achtmal täglich das Gebet sprechen müssen, beginnend mit dem um zwei Uhr morgens. Mönche waren auf sich selbst gestellt und mussten sehen, wie sie sich den Lebensunterhalt verdienten. Er würde also zum Beispiel Dächer flicken und Seife kochen müssen. Ein Großteil dieser Arbeiten war hart und mühselig, aber wenn er ein Gemeindepfarrer oder, besser noch, Sekretär in Rom werden wollte, würde er seine Pflicht tun müssen.
Die Schule befand sich in einem Kloster aus dem 10. Jahrhundert im Dorf Herrieden östlich von Nürnberg. Herrieden lag einen Viertagesmarsch von Augsburg entfernt, oder zwei Tage, falls jemand das Glück hatte, ein Pferd zu besitzen. Herrieden war ein völlig ereignisloser Ort, doch selbst wenn sich etwas ereignet hätte, hätte Jakob Fugger davon nichts mitbekommen. Die Benediktiner pflegten ein äußerst frugales Leben und Seminaristen blieben innerhalb der vier Wände der Klosterzellen. Dort würde Jakob etwas noch Schwierigeres tun müssen, als sich die Haare abzurasieren oder Wolle zu kämmen. Er würde einen Eid auf ein Leben im Zölibat, des Gehorsams und – welche Ironie angesichts seines späteren Lebens – der Armut ablegen müssen.
Es gab zwei Strömungen unter den Geistlichen: die Konservativen, die Rom blind folgten, und die Reformer, wie Erasmus von Rotterdam, den größten Intellektuellen der damaligen Zeit, der bestrebt war, die Korruption, die epische Ausmaße erreicht hatte, auszumerzen. Wir werden nie erfahren, welcher Richtung sich Jakob Fugger angeschlossen hätte, denn kurz vor seinem Eintritt in das Priesterseminar überlegte es sich seine Mutter anders. Inzwischen war Jakob 14, und sie beschloss, er könne ihr doch von Nutzen sein. Sie bat die Kirche, ihren Sohn aus seiner Verpflichtung zu entlassen, damit er frei wäre, um eine Handelslehre zu absolvieren und ein Leben als Kaufmann zu führen. Jahre später, als Jakob Fugger bereits ein reicher Mann war, wurde er einmal gefragt, wie lange er zu arbeiten gedenke. Jakob erwiderte, kein Geld der Welt sei ihm je genug. Egal wie viel er besäße, gedenke er »Profit zu machen, so lange ich dazu in der Lage bin.«
Damit folgte er der Familientradition, Vermögen aufzubauen. In einer Zeit, in der die Elite der Gesellschaft, das heißt, der niedere und höhere Adel, Handel und Gewerbe für unter ihrer Würde hielt und die meisten Menschen des dritten Standes keinerlei Ambitionen hegten, außer sich zu ernähren und den Winter zu überleben, waren alle Vorfahren Jakob Fuggers – Männer wie Frauen gleichermaßen – strebsame Menschen. Niemand brachte es damals über Nacht vom Tellerwäscher zum Millionär. Die Ständegesellschaft war wenig durchlässig; ein reicher Mensch stammte bereits aus einer betuchten Familie, deren Vermögen Generationen zurückreichte. Dabei galt, dass jede Generation noch reicher zu sein hatte als die vorhergehende. Doch die Familie Fugger, die dem gemeinen Bürgertum angehörte, war außerordentlich ehrgeizig und erfolgreich; jede Generation fügte dem Familienvermögen weiteres Vermögen hinzu.
Jakobs Großvater, Hans Fugger, war ein Bauer, der in dem schwäbischen Dorf Graben lebte. Im Jahr 1373, genau ein Jahrhundert, bevor Jakob ins Geschäftsleben eintrat, tauschte er sein sicheres, aber monotones Leben auf dem Dorf gegen die Stadt ein. Die Stadtbevölkerung in Europa nahm zu, und die neuen Stadtbewohner brauchten Kleidung. Augsburgs Weber erfüllten die Nachfrage mit Barchent, einer Mischung aus einheimischem Flachs und importierter ägyptischer Baumwolle. Hans wollte einer dieser Weber sein. Aus heutiger Perspektive kann man sich das nur schwer vorstellen, aber die Entscheidung, sein Dorf zu verlassen, erforderte einen unglaublichen Mut. Zu Hans Fuggers Zeiten war es üblich, dass die Männer dem gleichen Broterwerb nachgingen wie ihre Väter und Großväter. Einmal Müller, immer Müller. Einmal Schmied, immer Schmied. Hans war jedoch anders gestrickt. Er war ein junger Mann mit der rumpelstilzchenhaften Fantasie, er könne mit einem Webstuhl Gold spinnen. Angetan mit einem grauen Wams, Hose und Schnürschuhen, machte er sich zu Fuß auf in die Stadt und legte einen guten 30-Kilometer-Marsch entlang des Flusses Lech zurück.
Heute ist Augsburg eine hübsche kleine Stadt, die vor allem für ihr Puppentheater berühmt ist, die Augsburger Puppenkiste. Einen Steinwurf von München entfernt, hat der Ort im großen Welttheater nicht mehr Bedeutung als eine Kleinstadt im Mittleren Westen Amerikas. In den Fabriken, in denen Ingenieure von Weltklasseniveau arbeiten, die das moderne Deutschland so wettbewerbsfähig gemacht haben, werden Lastwagen und Roboter hergestellt. Gäbe es keine Universität und die dazugehörigen Kneipen, Kaffee-Bars und Buchhandlungen, würde Augsburg ein unbemerktes Dasein als wohlhabendes, aber langweiliges Kaff fristen. Als Hans nach Augsburg kam, war die Stadt jedoch auf dem Weg, sich zum wichtigsten Finanzschauplatz Europas zu entwickeln – zum London des 14. Jahrhunderts, einem Ort, an dem jeder, der größere Summen benötigte, eifrig bemüht war, Geldgeber zu finden. Augsburg, das im Jahr 14 v. Chr. zu Zeiten des Kaisers Augustus gegründet wurde, dem die Stadt ihren Namen verdankt, liegt an der Via Claudia Augusta, der alten römischen Handelsstraße, die von Venedig nach Köln führte. Im Jahr 98 v.Chr. beschrieb Tacitus die Germanen als kampflustige, schmutzige Trunkenbolde, wobei er besonders ihre »stechenden blauen Augen, ihre lohfarbenen Haare und massigen Körper« hervorhob. Allerdings pries er die Stadt Augsburg, der er das Attribut splendidissima verlieh.
Augsburg wurde von einem Bischof regiert, als sich die europäische Wirtschaft im 11. Jahrhundert aus dem Frühmittelalter – dem »Dunklen Zeitalter« – erhob und Kaufleute ihre Stände in der Nähe seines Palastes errichteten. In dem Maße, wie ihre Zahl zunahm, begannen sie sich gegen das Diktat des Bischofs aufzulehnen, und schließlich jagten sie ihn aus der Stadt in ein nahegelegenes Schloss. Augsburg wurde eine freie Stadt, in der die Bürger ihre Angelegenheiten selber regelten und keiner anderen Autorität unterworfen waren als der des fernen und mit anderen Dingen beschäftigten Kaisers. Im Jahr 1348 dezimierte eine verheerende Pestepidemie Europas Bevölkerung um ein gutes Drittel. Augsburg blieb jedoch auf wundersame Weise verschont. Aufgrund dieses außerordentlich gnädigen Schicksals konnten Augsburg und andere Städte in Süddeutschland das verwüstete Italien als Mittelpunkt der europäischen Textilindustrie verdrängen.
Es wäre nicht verwunderlich gewesen, wenn Hans Fugger geglaubt hätte, die Augsburger machten nichts anderes als Tuch herzustellen, als er vor dem Stadttor stand und die Türme der Stadtmauer erblickte. Soweit das Auge reichte, sah er Stangen, über denen Stoffe ausgebreitet waren. Sobald er durch das Stadttor geschritten war, wunderte er sich möglicherweise über die vielen Mönche, die das Stadtbild beherrschten. Zwar war der Bischof weg, aber Augsburg hatte immer noch neun Kirchen. Überall wimmelte es von Franziskanern, Benediktinern, Augustinern und Karmelitern, sogar in Bars und Bordellen. Hans waren sicher auch die Schwärme von Bettlern aufgefallen. Neun Zehntel des Reichtums Augsburgs und die gesamte politische Macht befanden sich in den Händen weniger reicher Bürger, die in vergoldeten Stadthäusern im Zentrum der Stadt residierten. Sie fanden, die Bettler böten einen unschönen Anblick und erließen Gesetze, um sie fernzuhalten. Wenn sich jedoch morgens die Stadttore öffneten und die Bauern vom Land in die Stadt strömten, um sich mit Straßenkehren oder Hühnerrupfen einige Pfennige zu verdienen, war es den Wächtern unmöglich, die Spreu vom Weizen zu trennen, und so kamen mit den Massen auch die Bettler hinein.
Nach seiner Ankunft trug sich Hans im Rathaus ein, indem er einen Schreiber beauftragte, seinen Namen ins Stadtregister einzutragen. Damals wurden offizielle Dokumente in Latein abgefasst. Der Schreiber überlegte einen Augenblick, welches die korrekte Übersetzung für den Namen Fugger sein könne. Er schrieb die Buchstaben auf, wie sie ihm in den Sinn kamen: F-u-c-k-e-r.6 Heute liest sich das im Stadtarchiv so: Fucker advenit – Fugger trifft ein. Dieser Eintrag sorgt unter Historikern immer wieder für Erheiterung.
Hans brachte es bald zu Wohlstand und konnte das Weben anderen überlassen. Er wurde Großhändler, der den Webern ihre Tuche abkaufte und sie auf Handelsmessen weiterverkaufte. Mit ihm begann auch die Familientradition, vorteilhafte Ehen einzugehen: Er heiratete Clara Widolf, Tochter des Zunftmeisters der Weberzunft. Sie war die mächtigste Handelsgruppe der Stadt. Im Jahr 1478 ließen sie ihre Muskeln spielen, als sie die Hinrichtung eines Bürgermeisters erzwangen, der zu viel Anteilnahme gegenüber den Armen gezeigt hatte. Nach Claras Tod heiratete Hans die Tochter eines anderen Zunftmeisters. Seine zweite Frau, Elisabeth Gfattermann, hatte einen erstaunlichen Geschäftssinn. Nach Hans’ Tod übernahm sie das Familienunternehmen und führte es 28 Jahre lang. Es ist kaum vorstellbar, wie weit sie wohl gekommen wäre, wenn ihr die Gesellschaft eine angemessene Chance geboten hätte. Frauen besaßen keine politischen Rechte und galten als Rechtsobjekte entweder ihrer Eltern oder ihrer Ehemänner. Wenn sie ohne Ehemann Geschäfte treiben wollten, mussten sie sich eines Mannes als Fassade bedienen, der die Geschäfte nach außen vertrat. So schwierig es auch war, gelang es Elisabeth dennoch, mit Lieferanten zu feilschen, mit Kunden zu verhandeln, in Immobilien zu investieren und gleichzeitig ihre Kinder großzuziehen. Sie achtete darauf, dass ihre zwei Jungen, Andreas und Jakob »der Ältere« die entsprechende Ausbildung erhielten, um in ihre Fußstapfen treten zu können. Da sie das Erbe nicht verwässern wollte, ging sie keine erneute Ehe ein. Als sie starb, war sie eine der größten Steuerzahlerinnen Augsburgs.
Augsburg prägte seine eigenen Münzen. Jakob Fuggers anderer Großvater, Franz Basinger, leitete die Prägeanstalt. Er wurde reich, indem er zusah, wie seine Arbeiter geschmolzenes Silber in Formen gossen und eine Münze nach der anderen prägten. Jakob der Ältere heiratete Basingers Tochter Barbara. Nur wenige Monate nach der Hochzeit erwischten die Behörden Basinger beim Strecken des Silbers – an manchen Orten ein Kapitalverbrechen – und warfen ihn ins Gefängnis. Jakob half ihm, seine Schulden zu begleichen und das Gefängnis zu verlassen. Basinger hatte Glück. Kaum dem Gefängnis entronnen, floh er nach Österreich, wo er trotz seiner kriminellen Vergangenheit Meister der Münzprägeanstalt vor den Toren der Tiroler Hauptstadt Innsbruck wurde.
Barbara hatte den gleichen ausgeprägten Geschäftssinn wie ihre Schwiegermutter Elisabeth. Sie und Elisabeth waren so außergewöhnliche Frauen, dass man mit Fug und Recht behaupten kann, Jakob Fugger habe seine Talente eher ihnen zu verdanken als seinen männlichen Vorfahren. Genau wie Elisabeth überlebte Barbara ihren Ehemann um fast 30 Jahre und traf die schwierige Entscheidung, Witwe zu bleiben. Wie Elisabeth entwickelte sie das Familienunternehmen weiter, indem sie die Gewinne reinvestierte und den Tuchhandel ausbaute. Doch das kam später. Nach der Heirat war es ihre Aufgabe zunächst, Kinder zu gebären.
Die Fugger lebten in einem dreistöckigen Haus an der Ecke, an der das alte jüdische Viertel mit dem Kaufmannsviertel zusammentraf. Das Haus befand sich gegenüber dem Zunfthaus der Weber. Eine Straße namens Judenberg wand sich hinter dem Haus abwärts und endete an einem Kanal. Die Kanäle waren von den Römern erbaut und mit Holzbalken verschalt worden. Nachts, wenn alles still war, konnte man das Wasser durch die Kanäle fließen hören.
Am 6. März 1459 brachte Barbara Jakob Fugger zur Welt. Jakob der Ältere hatte sich geweigert, irgendeinen seiner anderen Söhne nach ihm selbst zu benennen. Bei seinem siebten Sohn gab er nach. Er verbrachte kaum Zeit mit seinem gleichnamigen Nachwuchs und starb, als der junge Jakob gerade zehn Jahre alt war. Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten einige seiner Brüder – Ulrich, Peter und Georg – bereits im Geschäft. Ein weiterer Bruder, Markus, war Geistlicher geworden und gerade dabei, sich in der Hierarchie der vatikanischen Bürokratie nach oben zu arbeiten. Zwei andere Brüder waren jung gestorben. Was die Mädchen betraf – Jakob hatte drei Schwestern –, bereitete sie Barbara darauf vor, eine gute Partie zu machen.
Jakob sah zu seinen Brüdern auf und beneidete sie um ihre Abenteuer. Seine Chance auf eigene Abenteuer sollte allerdings noch früh genug kommen. Nachdem Barbara von der Idee Abstand genommen hatte, aus Jakob einen Geistlichen zu machen, sorgte sie dafür, dass er als Lehrjunge nach Venedig ging. Venedig war damals die geschäftstüchtigste Stadt der Welt. Sie war der Knotenpunkt, der die Seidenstraße mit dem Rhein verknüpfte, an dem französische Weine nach Alexandrien und Konstantinopel verschifft wurden und Händler Pfeffer, Ingwer und Baumwolle aus dem Osten gegen Horn, Pelze und Metall aus dem Westen eintauschten. Venedig gründete auf Handel und die Stadt wurde von Kaufleuten regiert. Man redete über nichts anderes als Geld. »Die Venezianer«, so schrieb der Bankier und Chronist Girolamo Pruili, »haben ihre vereinten Kräfte auf den Handel gerichtet.«7 Neben Venedig wirkte Augsburg wie ein Dorf. Heiß, laut und überfüllt, war Venedig mit 200.000 Einwohnern eine der größten Städte Europas. Die Händler riefen sich von den Handelshäusern, die die Kanäle säumten, gegenseitig ihre Offerten zu. »Wer könnte die zahlreichen Geschäfte zählen, die so ausgestattet sind, dass sie wie Handelshäuser wirken«, schrieb der Geistliche Pietro Casola in sein Reisetagebuch. »Sie machen den Betrachter ganz benommen.«8 Alle Venezianer waren wohlhabend. Nach den Beschreibungen des Chronisten Sansovino schliefen die Einwohner Venedigs hinter Seidenvorhängen auf Betten aus Walnussholz und aßen vom Silberservice: »Hier sprudelt der Reichtum wie Wasser in einem Springbrunnen.«9
Der Gewürzhandel hatte all dies ermöglicht. Die Europäer liebten Gewürze, vor allem Pfeffer, mit dem sich fade Mahlzeiten beleben und der Geschmack von verfaultem Fleisch übertünchen ließ. Die Araber kauften ihn in Indien und brachten ihn per Kamel in die levantinischen Hafenstädte. Venedig verschaffte sich ein Monopol auf dieses Geschäft. Dank seiner vorteilhaften Lage an der nördlichen Adriaküste bot es die preisgünstigste Route zum übrigen Kontinent. Die Stadt der Kanäle wurde mit seiner Rolle als Handelsmittler reich. Jakob Fugger konnte es damals nicht wissen, aber eines Tages sollte er eine wichtige Rolle bei der Zerstörung dieses Systems spielen.
Natürlich wurde Venedig zum bevorzugten Ort für junge Männer, die das Handelsgeschäft erlernen wollten. Gut situierte Familien sandten ihre Kinder in die Lagunenstadt, damit sie in die Geheimnisse des Handels eingeweiht wurden und Kontakte knüpften. Jakob verabschiedete sich von seiner Familie und überquerte die Alpen, vermutlich über den Brenner Pass. Anschließend begab er sich in Richtung Fondaco dei Tedeschi, dem Handelskontor der deutschen Kaufleute in Venedig – dem einzigen Ort, an dem diese ihre Geschäfte betreiben durften. Venedig wollte sie alle unter einem Dach haben, um die Steuererhebung zu erleichtern.
Am Canal Grande gleich neben der Rialtobrücke gelegen, war der Fondaco dei Tedeschi eine Art überfüllter Basar, auf dem sich die Waren bis unter die Decke stapelten. »Ich sah Waren aller Art«, schrieb der Ritter Arnold von Hanff bei einem Besuch. Und Casola beobachtete: »Der Fondaco in Venedig ist so reich an Waren, dass man damit ganz Italien versorgen könnte.« Im Jahr 1505, lange nach Fuggers Zeit in Venedig, wurde das Gebäude durch eine Feuersbrunst zerstört. Die Stadt ließ den Fondaco wieder aufbauen und beauftragte Tizian und Giorgione, die zum Canal Grande zeigende Fassade mit Fresken zu bemalen, die den Fondaco zu einer Pilgerstätte für Kunstliebhaber gemacht haben. Zu Jakob Fuggers Zeiten war der Fondaco nicht nur die Arbeitsstätte der deutschen Kaufleute, sondern auch ihre Wohnstätte. Jakob schlief im Dachgeschoss auf strohbedeckten Böden neben seinen Landsleuten. Neben dem Erlernen des Import- und Exportgeschäfts machte er sich vielleicht auch nützlich, indem er Paletten packte, Waren auslieferte und Schreiben kopierte. Wenn Jakob sich dem Markusplatz von der Brücke Ponte della Paglia näherte, konnte er beobachten, wie die Handelsschiffe vom Bosporus und dem Heiligen Land in den Hafen einliefen. Er konnte die afrikanischen Sklaven – die Hausangestellten der reichen Bürger – auf den Plätzen bestaunen oder anderen Deutschen Gesellschaft leisten, die entlang der Riva degli Schiavoni, Venedigs berühmter Promenade, Perlen und Edelsteine zu astronomischen Preisen verhökerten. Und er konnte die Trompeten hören, die die Ankunft eines ausländischen Handelsschiffs verkündeten.
Abgesehen von den Spuren, die Jakobs Aufenthalt in Venedig hinterlassen haben, wissen wir nur wenig über seine Jahre in der norditalienischen Handelsstadt. Diese Spuren waren nicht zahlreich, aber tief. Einige waren modischer Natur. Hier entwickelte Jakob eine Vorliebe für das goldene Barett, das zu seinem Markenzeichen wurde. Hier begann er auch, seine Briefe mit lateinischem Namenszug zu versehen. Als Jakob, der gerade einmal lesen und schreiben konnte, ging er nach Italien. Als Jacobo, internationaler Kaufmann mit dem Ehrgeiz, Furore zu machen, kehrte er zurück.
In dieser Zeit erlernte er vor allem das Bankgeschäft. Jakob Fugger sollte in den folgenden Jahren vieles sein – Industrieller, Händler und bisweilen Spekulant –, aber vor allem anderen war er Bankier. In Venedig lernte er alles, was er über das Bankgeschäft wissen musste. Die Italiener hatten das moderne Bankwesen erfunden, wie man noch heute an den Worten credito, debito und Banca ablesen kann. In Venedig erlernte er zudem die nützliche Kunst der Buchhaltung. Die meisten Kaufleute im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation kritzelten immer noch Zahlen auf Papierfetzen, die nie organisiert wurden. Die Italiener waren schon längst weiter. Da sie zuverlässigere Methoden für den Umgang mit großen multinationalen Unternehmen brauchten, entwickelten sie die doppelte Buchführung, die diese Bezeichnung erhielt, weil jedem Eintrag ein entsprechender Gegeneintrag gegenüberstand, sodass sich die Bücher stets in der Balance befanden. Auf diese Weise konnten sie auf einen Blick selbst ein komplexes Unternehmen verstehen, indem sie die wichtigsten Daten zusammenfassten und den Wert des Unternehmens auf eine einzige Zahl, sein Nettovermögen, reduzierten. Jahre, nachdem Jakob Fugger Venedig verlassen hatte, schrieb der Mönch und Mathematiker Luca Pacioli das erste Lehrbuch für Buchhaltung. Jakob kannte alle Tricks, schon bevor Paciolis Buch erschien. Er überzeugte seine Brüder von diesem System und machte das Familienunternehmen damit noch professioneller. Das übrige Augsburg war dadurch gezwungen, ihm zu folgen. Die Tatsache, dass Jakob als Jugendlicher bereits die Bedeutung der Buchhaltung verstand und deren Vorteil erkannte und zu nutzen wusste, sagt einiges über seinen intuitiven Geschäftssinn aus. Er wusste, dass die Kaufleute, die eine schlampige Buchführung betrieben und Details übersahen, Geld verschwendeten – etwas, das für ihn unvorstellbar war. Ein venezianischer Botschafter hörte Jahre später einmal, Jakob Fugger habe seine Kompetenzen in Venedig erworben. Daraufhin erwiderte er, Fugger habe mehr gelernt, als Venedig zu vermitteln habe. »Wenn Augsburg Venedigs Tochter ist, dann stellt die Tochter die Mutter in den Schatten.«10
* * *
In dem Jahr, als Jakob Fugger nach Venedig aufbrach, geschah in Augsburg etwas, das für ihn und seine Familie – man kann es nicht anders sagen – monumentale Konsequenzen hatte: Die Familie bekam erstmals Kontakt zum Hause Habsburg, der Königsfamilie Österreichs. Schon nach kurzer Zeit waren die Habsburger Fuggers größter Kunde, und Jakob Fugger wurde ihr Berater und konkurrenzloser Finanzier. Die Beziehung zwischen ihm und dem Königshaus war nie einfach und drohte mehrere Male zu scheitern. Aber letztendlich hielt die Verbindung und wurde zur größten Partnerschaft zwischen dem privaten und dem staatlichen Sektor, die die Welt je gesehen hatte.
In jenem Frühjahr, kaum dass der Schnee auf den Alpenpässen geschmolzen war, verließ Kaiser Friedrich III. Innsbruck, um sich auf eine wichtige diplomatische Mission nach Trier zu begeben. Dort wollte er mit Karl dem Kühnen zusammentreffen, dem geradezu fantastisch reichen Erzherzog von Burgund, und auf dem Weg dorthin machte er in Augsburg Halt. Abgesehen von seiner Kaiserwürde, war Friedrich auch Erzherzog von Österreich und Patriarch des Hauses Habsburg. Die Habsburger hatten ihre Wurzeln in der Schweiz, wo ein Kriegsfürst namens Radbot Graf im Klettgau im 11. Jahrhundert an der Straße von Zürich nach Basel die Habsburg errichtete. In Europa gab es Dutzende Familien von königlichem Geblüt; bis 1273, als das Familienmitglied Rudolf römisch-deutscher König und damit automatisch Kandidat für die Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches wurde, rangierten die Habsburger eher unter ferner liefen. Drei Jahre später nahm die Familie Wien ein und verschaffte sich eine angenehmere Residenz als die einsame Burg in der Schweiz. Doch selbst dann blieben die Habsburger im Vergleich mit den großen Königshäusern Europas eher eine nachrangige Dynastie. Rudolf starb, bevor er zum Kaiser gekrönt wurde, allerdings muss man gerechterweise hinzufügen, dass »Kaiser« damals ein großartig klingender Titel mit geringer Bedeutung war.
Napoleon soll einst gesagt haben, das Heilige Römische Reich sei nichts dieser drei Dinge. Es sei zu verdorben, um heilig zu sein, zu deutsch, um römisch zu sein und zu schwach, um ein Reich zu sein. Aber um Jakob Fuggers Leben zu verstehen, ist es hilfreich zu wissen, wie es ihm gelang, dieses merkwürdige Gebilde für sich zu nutzen, und warum der Kaiser einen Bankier brauchte. Auf dem Papier vereinigte das Reich das christliche Europa entlang der Grenzen des Römischen Reichs, wobei der Kaiser als säkulares Pendant zum Papst und als dessen Partner diente. Allerdings gelang es nur Karl dem Großen, dem ersten Kaiser, Europa annähernd zu beherrschen. Nach seinem Tod zerfiel Europa in verschiedene Königreiche, die sich wiederum in Fürstentümer, Herzogtümer und so viele weitere Einheiten aufspalteten, wie sie genügend militärische Macht besaßen, um ihre Unabhängigkeit zu verteidigen.
Zu Friedrichs III. Kaiserzeit war das Heilige Römische Reich Deutscher Nation auf den östlichen Teil des Fränkischen Reiches zusammengeschrumpft und beinhaltete kaum mehr als die deutschen Territorien. Es war immer noch groß, aber der Kaiser erhielt keine Gelder, außer aus seinen eigenen Staaten, und konnte daher nur ein kleines Heer unterhalten. Das machte ihn zu einer vernachlässigbaren Größe, und genau das taten auch die meisten. Selbst dort, wo die Menschen ihn als König der Deutschen bezeichneten, war er schwach, weil die deutschen Provinzfürsten – anders als in den zentralisierten Staaten Frankreich und England – eisern auf ihre Unabhängigkeit pochten. Der Kaiser wurde gewählt, ähnlich wie der Papst, allerdings war die Kaiserwürde eine leere Hülse, weniger als ein Königstitel. Wenn Frankreich oder die Türken deutsche Territorien angriffen, baten die deutschen Fürsten den Kaiser vielleicht darum, die Verteidigung anzuführen. Aber meistens waren sie glücklich und zufrieden, wenn er nichts tat.
Sieben Fürsten und Bischöfe (später waren es neun) – die mächtigsten unter den Territorialherrschern – spielten die Rolle vatikanischer Kardinäle und bildeten das Kurfürstenkollegium, das den römisch-deutschen König wählte. Als sie Friedrich 1440 die römisch-deutsche Königskrone antrugen, mit der er beinahe automatisch Anspruch auf die Kaiserkrone hatte, nahm er sie erst an, nachdem er beschlossen hatte, sie als Macht zur Zentralisierung zu nutzen, die die Wahlmänner so sehr fürchteten. Das wichtigste Spiel jener Zeit war die sogenannte Hausmachtpolitik, das Streben, die Machtbasis der eigenen Familie auszudehnen. Die Gewinner waren diejenigen, denen es gelang, die meisten Titel und Territorien auf sich zu vereinigen. Das war ein blutiges Geschäft, das die Teilnehmer vollkommen in Anspruch nahm und unter dem die gewöhnliche Bevölkerung schrecklich litt.
Die Habsburger gerieten im Vergleich zu den Valois in Frankreich und den Tudors in England ins Hintertreffen. Selbst im deutschsprachigen Europa standen sie Häusern wie den Wettinern in Sachsen und den Wittelsbachern in Bayern nach. Friedrich hatte die fantastische Vorstellung, die Kaiserkrone könne seine Familie zur mächtigsten Europas machen. Er glaubte so fest daran, dass er die Initialen AEIOU in sein Tischbesteck prägen ließ. Wie erst nach seinem Tod bekannt wurde, stand das für Alles Erdreich ist Österreich untertan. Er wagte es, sich selbst als einen weiteren Friedrich Barbarossa zu betrachten. Der legendäre Kaiser hatte einst während eines weiteren Tiefpunkts des Reiches Ordnung in das Heilige Römische Reich Deutscher Nation gebracht und in Italien mit wenig mehr als Charisma und einem hohen inneren Antrieb die kaiserliche Autorität wiederhergestellt. Andere stimmten mit Friedrich überein, was das Potenzial des Kaisertitels betraf. Zumindest verlieh der prächtige Titel dieser Position die Aura eines göttlichen Auftrags. »Sein Name ist groß«, sagte ein päpstlicher Abgesandter. »In einem zersplitterten Land kann er viel tun.«11 Aber dieser Friedrich war nichts weiter als ein Träumer. Als sich das Kurfürstenkollegium, bestehend aus drei geistlichen und vier weltlichen Reichskurfürsten, weigerte, Macht an ihn abzutreten, versäumte er, die Zersplitterung des Landes für sich zu nutzen. Stattdessen zog er sich zurück und widmete sich der Gärtnerei und der Völlerei. Unter seinen Gegnern hieß er nicht ohne eine gewisse Rechtfertigung Friedrich der Fette – nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Markgrafen von Brandenburg.
Dann kam es zum Zusammentreffen mit Karl dem Kühnen und zu der Chance, Geschichte zu schreiben. Karl, der einer Seitenlinie des französischen Königshauses Valois entstammte, besaß als Herzog von Burgund die gleichnamige Provinz sowie weitere Gebiete, die heute die Benelux-Länder ausmachen. Das waren damals die wohlhabendsten und am stärksten industrialisierten Regionen Europas. Burgund selbst setzte den Standard für europäischen Luxus und verfeinerte Lebensart unter dem Symbol des Goldenen VliesII. Karl, der zwar offiziell dem französischen König untertan war, tat, was er wollte und träumte – mit dem Rückhalt eines mächtigen Heeres – von Eroberungszügen. Er sah sich schon als Neuauflage von Alexander dem Großen. Ein englischer Staatsdiener bezeichnete Karl als »einen der mächtigsten Fürsten ohne Krone.«12 Mehr als alles andere träumte Karl davon, Burgund zu einem Königreich zu erheben und formell von Frankreich abzutrennen. Das war der Grund für seine Zusammenkunft mit Friedrich III. in Trier. Der konnte Karl zum König erheben, weil er als Kaiser eine altehrwürdige Macht besaß, die zu ihrer Ausübung weder Geld noch ein Heer benötigte. Mit einem einzigen Federstrich konnte er aus einer Laune heraus Königreiche und Monarchen erschaffen. Im Gegenzug für die Königskrone erklärte sich Karl bereit, seine einzige Tochter, die 15-jährige Maria von Burgund, mit Friedrichs 13-jährigem Sohn Maximilian zu verheiraten. Das war ein fantastisches Angebot. Wenn alles gut ging, würden Maximilian und seine Kinder später einmal Könige von Burgund werden. Die Habsburger würden nicht mehr länger Souveräne zweiter Klasse sein.
Auf seinem Weg nach Trier machte Friedrich – wie bereits erwähnt – in Augsburg Halt, um sich standesgemäß einzukleiden. Karl war der dandyhafteste Fürst Europas. Die Habsburger konnten nicht mit seinem Gold, seinen Diamanten und seinen Straußenfedern mithalten, aber sie mussten es wenigstens versuchen. Das Problem war, dass Friedrich, der sich mit seinen herzoglichen Einkünften keinen kaiserlichen Lebensstil leisten konnte, bankrott war, und sich die Augsburger Kaufleute, die Friedrich in der Vergangenheit um ihre Einnahmen geprellt hatte, weigerten, ihm ein Darlehen zu gewähren. Das führte Friedrich zu Ulrich Fugger, dem ältesten der Fugger-Brüder. Ulrich gab Friedrich Seide und Wolle, damit seine Schneider daraus kaiserliche Roben anfertigten.
Marketing ist eine alte Kunst. Die römischen Ausrufer hängten Pergamente aus, um Streitwagenrennen anzukündigen, und die Liebesdienerinnen von Ephesos ritzten ihre Adressen in Marmorplatten nahe dem Tempel der Artemis. Indem er Friedrich aus der Bredouille half, sah Ulrich eine Chance, sich zu verkaufen. Er war alles andere als dumm; natürlich wusste er, dass der Kaiser bankrott war und das Darlehen nie zurückzahlen würde. Dafür erhielt er etwas von immateriellem, aber unleugbarem Wert – ein Wappen. Wappen waren nicht nur etwas für kämpfende Ritter. Monarchen verliehen sie jedem, der ihre Gunst erlangte, auch Kaufleuten. Ein Wappen, das an einem Geschäft, Handelshaus oder Messestand prangte, verkündete jedem, dass die Produkte des Wappenträgers eines Königs würdig waren. Diese königliche Bestätigung war den Fuggern gut und gerne einige Ballen Tuch wert. Ulrich hatte aber auch noch ein anderes, kleinlicheres Motiv. Elf Jahre zuvor hatte Friedrich der anderen Linie der Fugger-Familie, und zwar den Nachkommen von Andreas Fugger, Hans Fuggers zweitem Sohn, ein Wappen verliehen. Andreas’ Erben, die aufgrund des Rehkopfes in ihrem Wappen auch Fugger vom Reh genannt wurden, rieben Ulrich ständig das Wappen als Zeichen ihrer Überlegenheit unter die Nase. Ulrich hasste es, ein nachrangiger Fugger zu sein. Und sein jüngerer Bruder Jakob auch. In dem Bestreben, diese Scharte auszuwetzen, gab Ulrich Kaiser Friedrich, was dieser wollte. Eines Tages erreichte sie ein Schreiben mit einem Bild dreier Lilien auf einem Stück Pergament. Es kam vom Kaiser. Eine beiliegende Note erklärte, dies sei das Wappen, das der Kaiser der Familie für ihre »Respektabilität, Wahrhaftigkeit und Rationalität« verleihe.13 Der Brief nannte jeden der Brüder Ulrichs, einschließlich Jakob, als Empfänger. Damit wurde die Familienlinie Fugger von der Lilie begründet, die sich über die nachfolgenden Generationen fortsetzte.
Der Anblick des Kaisers, der um Hilfe bettelte, musste Jakob aufgerüttelt haben. Kein Glaube an die übermenschlichen Qualitäten des Kaisers, den er bis dahin vielleicht gehabt hatte, konnte die Tatsache leugnen, dass schlichte Krämer – gewöhnliche Menschen, wie er sie jeden Tag auf der Straße sah – dem angeblich mächtigsten Mann des weltlichen Europas Kredit verweigert hatten. Ob Fugger persönlich Zeuge dieser Weigerung wurde, ist unerheblich. Die Lektion war dieselbe: Geld war ein Gleichmacher. Es machte keinen Unterschied, ob jemand ein Kaiser oder ein gewöhnlicher Bürger war. Wenn ein gewöhnlicher Bürger Geld hatte, konnte er jeden – selbst einen Kaiser – Männchen machen lassen.
Jakob Fugger wurden im Verlauf seiner langen Karriere wesentlich größere Ehren zuteil, aber das Wappen gefiel ihm am besten. Jahre später bot er an, die Mitgliedern vorbehaltene Taverne zu renovieren, in der sich die führenden Kaufleute Augsburgs trafen, um über Geschäfte zu sprechen und zu trinken. Die Herrentrinkstube befand sich gegenüber dem Rathaus. Im Gegenzug für die Finanzierung der Renovierung verlangte Jakob Fugger, dass die drei Lilien auf der Fassade angebracht würden. Das war eine angemessene Forderung; die Medici brachten ihr Wappen überall an, selbst auf Kirchen. Die Mitglieder der Herrentrinkstube hatten jedoch einen größeren Stolz als die Geistlichen von Florenz. Sie lehnten ab. Eine Familienchronik der Fugger, die 1545 von einem Neffen Jakob Fuggers in Auftrag gegeben wurde, behauptete, der Klub habe diese Entscheidung später bereut.
* * *
Gerade als Jakob Fugger seine Ausbildung in Italien beendete, ereilte ihn eine traurige Nachricht. Sein älterer Bruder Markus war tot. Markus, der gerade einmal 30 Jahre alt geworden war, hatte den Weg eingeschlagen, der Jakob erspart geblieben war. Er hatte den Priesterschwur abgelegt, eine akademische Ausbildung genossen und in Rom als Aufseher über die päpstlichen Angelegenheiten im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gearbeitet. Im Jahr 1478 wurde Rom von der Pest erfasst, die ihn genau in dem Moment dahinraffte, als er begann, Einfluss zu gewinnen. Die Familie sandte Jakob, der damals 19 war, nach Rom, um die Angelegenheiten des Bruders zu regeln. Dieser Besuch war vermutlich prägend. Papst Sixtus IV., Erbauer der Sixtinischen Kapelle, befand sich in der Blüte seiner Jahre, Jakob sah die Pracht des päpstlichen Hofes und die Reichtümer, zu denen diejenigen gelangten, die dem Papst dienten. Zurück in Augsburg begann Jakob mit dem Aufbau der Firma Ulrich Fugger & Brüder.III Er reiste viel, besuchte Handelsmessen und inspizierte die Faktoreien der Firma. Das viele Reisen war eine Qual. Erasmus, ein anderer Vielreisender, beklagte sich über schmutzige Gasthäuser, grobe Wirte und scheußliches Essen. Persönliche Kommunikation von Angesicht zu Angesicht war jedoch die einzige Möglichkeit, Dinge zu bewirken. Ehrgeizige Menschen wie Erasmus und Jakob Fugger blieb daher nichts anderes übrig, als unermüdlich zu reisen.
Nachdem Jakob seine Aufgabe in Rom erledigt hatte, sandte seine Familie ihn nach Österreich, damit er in die Fußstapfen seines umtriebigen Großvaters Franz Basinger trete und in die aufstrebende Montanindustrie einsteige. Das war ein großer Schritt für Jakob. Man fragt sich allerdings, warum die Familie ihn nicht an einen etablierten, wichtigen Außenposten wie Nürnberg sandte. Jakob war inzwischen 26. Die Tatsache, dass seine Brüder ihn damit beauftragten, eine neue Industrie zu erkunden, und das an einem Ort, der für das bestehende Geschäft der Familie keine Bedeutung hatte, könnte ein Indiz dafür sein, dass sie an seinen Fähigkeiten zweifelten. Auf jeden Fall ging er nicht als Lehrling oder Juniorpartner nach Österreich, sondern als voll ausgereifter Kaufmann mit Entscheidungsbefugnis. Er nutzte diese Chance optimal. In Österreich entpuppte sich Jakob Fugger erstmalig als Geschäftsgenie. Seine österreichischen Geschäftsabschlüsse zeigen, dass er eine Begabung für den richtigen Umgang mit Kunden besaß, dazu die Bereitschaft, enorme Risiken einzugehen, sowie ein außerordentliches Verhandlungsgeschick.
Bis zu diesem Punkt hatte sich die Familie auf den Tuchhandel beschränkt. Bergbau bot sich jedoch als neues Geschäftsfeld an, weil er attraktivere Profite versprach. Dieses Gewinnpotenzial führte Jakob Fugger in den kleinen Ort Schwaz, rund 25 Kilometer östlich von Innsbruck. Für den größten Teil seiner Geschichte war Schwaz nichts weiter als eine Gemeinde armer Bauern. Aufgrund seiner Höhenlage war das Klima eher kühl und die Ackersaison kurz. Zudem wurden die Felder alle paar Jahre von dem über die Ufer tretenden Inn überschwemmt, sodass die Ernte zerstört wurde. Im Jahr 1409 wendete sich das Schicksal, als ein Bauernmädchen, das draußen auf dem Feld seine Kuh hütete, auf eine Stelle mit glänzendem Metall stieß, bei dem es sich, wie sich herausstellte, um Silber handelte. Der Zeitpunkt war günstig. Silber war knapp; im 15. Jahrhundert erreichte es einen historischen Rekordpreis, der beinahe mit dem Goldpreis gleichzog. Die Prägeanstalten brauchten Silber für Münzen, und die reichen Eliten benötigten Silber für ihr Essgeschirr und Tafelbesteck, das sie als eine Art Sparguthaben kauften.
Glücksritter strömten nach Schwaz und machten es zum SpindletopIV
