Der schwarze Obelisk - A. M. Berger - E-Book

Der schwarze Obelisk E-Book

A. M. Berger

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Beschreibung

In einer nahen Zukunft, in der ein implantierter Chip über Zugehörigkeit entscheidet, lebt ein einsamer Aussenseiter im Schatten der Gesellschaft. In seinem Antiquariat beschafft er zwielichtigen Kunden obskure Objekte, bis ihm ein rätselhaftes Buch über uralte Kulte und dunkle Rituale in die Hände fällt. Als er für eine Verbrecherbande arbeitet, kreuzt das Buch erneut seinen Weg und zieht ihn in ein Netz aus Geheimnissen. Seine Suche führt ihn zu einem verborgenen Kult, der einen schwarzen Obelisken verehrt - und ein unheilvolles Ziel verfolgt. Eine packende Geschichte, die Elemente von Cyberpunk, Noir und Weird Fiction vereint, und den Leser in eine düstere Welt von Verrat, verbotenem Wissen und den finsteren Abgründen der Menschheit entführt.

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Seitenzahl: 157

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

PRÄAMBEL: ZUR VORGESCHICHTE DES SCHWARZEN OBELISKEN

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

DER SCHWARZE OBELISK

PROLOG

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

PRÄAMBEL

ZUR VORGESCHICHTE DES SCHWARZEN OBELISKEN

1

Es gibt Begebenheiten, welche durchaus abenteuerlich sind, die sich durch die Jahrhunderte und Jahrtausende ziehen, sich durch fremde Länder und Nationen erstrecken, obgleich sie von einem gar kaum erfordern, die Bequemlichkeit seines Kämmerleins zu verlassen. So auch jene, welche ich berichten kann, bei welcher es sich um eine seltsame Nachforschung handelte, die ihren Ursprung in einer kurzen Erwähnung in Adalbert Hürlimanns «Chronik des Urner Landes in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts» findet:

IM JAHRE 1835 WURDE EIN ÜBERAUS BEFREMDLICHER VORFALL BERICHTET, BEI WELCHEM DIE GESAMTE BEWOHNERSCHAFT DES KLEINEN BERGDORFES GRIMSALP, DAS DAMALS KAUM MEHR ALS EINHUNDERT SEELEN ZÄHLTE, IN IHRER GESAMTHEIT TOT AUFGEFUNDEN WURDE. SO SEHR ENTSETZTEN SICH DIE LEUTE DES NACHBARDORFES, DIE DIESEN GRAUENVOLLEN ANBLICK ERSCHAUTEN, DASS DIE NACHRICHT HIERVON BIS ZUM LANDAMMANN IN ALTDORF GELANGTE. MANGELS EINER ANDEREN ERKLÄRUNG NAHM MAN AN, EINE RÄTSELHAFTE SEUCHE HABE DIE BEWOHNER VON GRIMSALP DAHINGERAFFT. AUS SCHEU VOR DEMUNHEIMLICHEN MIEDEN DIE ÜBRIGEN MENSCHEN DAS NUNMEHR ALS VERFLUCHTE STÄTTE ZURÜCKGEBLIEBENE DORF, BIS DIESES VIELE JAHRE SPÄTER, UM 1879, DURCH EINEN ERDRUTSCH VERSCHÜTTET WURDE. BIS ZUM HEUTIGEN TAGE SIND DER VORFALL UND DER GENAUE ORT JENES EINSTIGEN DORFES GÄNZLICH IN VERGESSENHEIT GERATEN.

Diese kurze Randnotiz der Geschichtsschreibung wäre für jeden Anderen von geringer Bedeutung gewesen, doch wie es der Zufall wollte, hatte ich in den Katakomben der Universität Thurikon Teile eines unveröffentlichten Forschungsberichtes aus dem Jahre 1922 ausfindig machen können, dessen Autor zwar nicht überliefert war, aber in welchem ein Mann namens Erich Huber befragt worden war, welcher, nun 94 Jahre alt, mutmasslich ein Überlebender des Massensterbens von Grimsalp gewesen sei.

ERICH HUBER, GEB. 1828, WAR SIEBEN JAHRE ALT, ALS DIE GESAMTE BEWOHNERSCHAFT DES DORFES GRIMSALP AUF RÄTSELHAFTE WEISE IHR LEBEN LIESS. DER VORFALL WAR DERART NACHHALTIG, DASS HUBER, UNGEACHTET SEINES DAMALIGEN JUGENDLICHEN ALTERS UND DER LANGEN ZEITSPANNE, DIE SEITDEM VERFLOSSEN IST, BIS HEUTE EINE KLARE UND GENAUE ERINNERUNG DARAN BEWAHRT.

HUBER BERICHTET, DASS EINIGE WOCHEN VOR DIESEM EREIGNIS EINE UNGEWÖHNLICH HOHE ANZAHL VON REISENDEN DAS DORF PASSIERTE, WAS BEMERKENSWERT WAR, DA GRIMSALP FERNAB JEGLICHER PASSSTRASSE LAG. ZWEI DIESER FREMDEN, EIN ÄLTERER UND EIN JÜNGERER MANN, VON DENEN HUBER VERMUTET, SIE KÖNNTEN VATER UND SOHN GEWESEN SEIN, FANDEN UNTERKUNFT IM HAUSE SEINER FAMILIE, DA DAS DORF KEINE GASTHÄUSER BESASS UND DIE BEHERBERGUNG VON REISENDEN EINE WILLKOMMENE EINNAHMEQUELLE DARSTELLTE. DIE BEIDEN SPRACHEN WENIG, DOCH WENN SIE REDETEN, FÜHRTEN SIE EIGENTÜMLICHE GESPRÄCHE IN EHRFÜRCHTIGEM TONE, DIE DARAUF SCHLIESSEN LIESSEN, IHRE REISE SEI EINE ART WALLFAHRT ZU EINEM FEST ODER RITUAL GEWESEN. NÄHERES INDES ERFUHR HUBER NICHT.

DER JÜNGERE DER BEIDEN FREMDEN SCHLOSS WÄHREND SEINES AUFENTHALTS IN GRIMSALP DEN KLEINEN ERICH INS HERZ, WIE SICHHUBER ERINNERT; DER MANN SEI DURCHAUS WOHLWOLLEND GEWESEN UND HABE ZUWEILEN MIT IHM GESPIELT. KURZ VOR SEINER ABREISE ÜBERREICHTE ER ERICH EIN GESCHENK: EINEN KLEINEN, SCHWARZEN STEIN, DER AN EINER SCHNUR BEFESTIGT WAR. DIESER STEIN, SO ERKLÄRTE DER MANN, SEI „EIN STÜCK VOM MONDE“.

NACH DER ABREISE DER REISENDEN SCHIMPFTE HUBERS VATER ÜBER SIE UND NANNTE SIE „DES TEUFELS GESINDEL“. ÄHNLICHE ÄUSSERUNGEN VERNAHM MAN VON ANDEREN DORFBEWOHNERN, DIE WEITERE REISENDE, VERMUTLICH AUS DERSELBEN GRUPPE, BEHERBERGT HATTEN. HUBERS VATER WOLLTE DEM JUNGEN DEN STEIN ENTREISSEN, DOCH ERICH VERBARG IHN UNTER EINEM HOLZBALKEN IN SEINER KAMMER UND BEHAUPTETE, IHN VERLOREN ZU HABEN. DAFÜR ERHIELT ER EINE ZÜCHTIGUNG, DA DER VATER IHN DER LÜGE BEZICHTIGTE.

WOHL AN DIE ZWEI WOCHEN NACH JENEM SONDERBAREN BESUCH EREIGNETE SICH EIN MERKWÜRDIGES GEWITTER, VON WELCHEM, SO HUBER, DIE BLITZE KEINEN DONNER MIT SICH BRACHTEN, KEIN REGEN DARAUF FOLGTE UND EIN KLARER STERNENHIMMEL ZU SEHEN WAR. IN JENER NACHT, SO BERICHTET ER, BEFIEL EIN RÄTSELHAFTER WAHNSINN DIE BEWOHNERSCHAFT. MITTEN IN DER NACHT BEGABEN SICH ALLE AUF DIE STRASSE UND EILTEN, OBSCHON ES BEREITS OKTOBER WAR UND DIE NACHT BITTERKALT, OHNE MÄNTEL ODER UMHÄNGE IN RICHTUNG DER BERGE. HUBER BEOBACHTETE DIES ALLES DURCH DAS KLEINE FENSTER SEINER KAMMER, BLIEB JEDOCH SELBST VON DIESEM WAHN UNBERÜHRT. ALSBALD EILTE ER HINUNTER UND SAH SEINEN VATER UND SEINE MUTTER, WIE SIE GLEICHFALLS HINAUSGINGEN. ER ZERRTE AN IHREN KLEIDERN UND SUCHTE SIE ZUR VERNUNFT ZU BRINGEN, DOCH SIE BEACHTETEN IHN NICHT UND SCHRITTEN WIE IN TRANCE HINAUS IN DIE BERGE.

AM NÄCHSTEN MORGEN FAND SICH HUBER GÄNZLICH ALLEIN IM DORFE WIEDER. VON FURCHT GETRIEBEN RANNTE DER KNABE INS NÄCHSTE DORF UND FLEHTE UM HILFE. ANFÄNGLICH WOLLTE MAN IHM KEINEN GLAUBEN SCHENKEN, DOCH ANGESICHTS SEINES BEHARRLICHEN DRÄNGENS ENTSCHLOSSEN SICH DREI MÄNNER, DIE ALS MILIZEN VERPFLICHTET WAREN, MIT IHM NACH GRIMSALP ZU GEHEN. TATSÄCHLICH FANDEN SIE DAS DORF MENSCHENLEER VOR UND MACHTEN SICH SOGLEICH IN DIE RICHTUNG AUF, IN WELCHE, LAUT ERICH HUBERSSCHILDERUNG, DIE BEWOHNER IN DER NACHT ZUVOR GEGANGEN WAREN. NACH EINER STUNDE MARSCH DURCH DAS TAL ERREICHTEN SIE EINE KLEINE HOCHEBENE, WO SIE DIE LEICHEN ALLER EINWOHNER VON GRIMSALP, KREISFÖRMIG UM EINEN TIEFSCHWARZEN FELSEN ANGEORDNET, VORFANDEN. DER ANBLICK ERFÜLLTE DIE MÄNNER MIT GRAUEN; SIE VERSUCHTEN, ERICH ZURÜCKZUHALTEN, DAMIT ER DIES NICHT SEHE, DOCH ER ERBLICKTE ALLES: JEDER TOTE HATTE DIE RECHTE HAND AUFS GESICHT GELEGT UND SICH DAS RECHTE AUGE HERAUSGERISSEN.

DIE DREI MILIZEN UND DER JUNGE ERICH BEGABEN SICH UNVERZÜGLICH NACH ALTDORF, UM DEM LANDAMMANN BERICHT ZU ERSTATTEN. DIESER BEFÜRCHTETE EINEN MÖGLICHEN ÜBERFALL UND ENTSANDTE SOGLEICH EINEN TRUPP SOLDATEN, DOCH ES FANDEN SICH KEINERLEI SPUREN FREMDER EINWIRKUNG. KEINE FUSSSPUREN IM SCHNEE, KEINE WAFFEN, KEIN ZEICHEN EINER AUSEINANDERSETZUNG. MANGELS WEITERER ANHALTSPUNKTE BLIEB NICHTS ÜBRIG, ALS DIE LEICHEN ZU BESTATTEN. ERICH HUBER, NUN VERWAIST, WURDE VON EINEM ONKEL IN WASSEN AUFGENOMMEN UND LEBTE FORTAN BEI IHM. ER SELBST KEHRTE NIEMALS NACH GRIMSALP ZURÜCK, UND DAS DORF WARD BEKANNTLICH 1879 DURCH EINEN ERDRUTSCH GÄNZLICH VERSCHÜTTET.

ZWECK DIESER UNTERSUCHUNG IST ES, DEN STANDORT VON GRIMSALP GEMÄSS DEN ANGABEN ERICH HUBERS GENAU ZU BESTIMMEN UND WOMÖGLICH AUSGRABUNGEN DURCHZUFÜHREN, UM WEITERE HINWEISE AUF DIE URSACHEN JENES MASSENSTERBENS VON 1835 ZU GEWINNEN.

Doch diesen Absichten wurde, aus Gründen, die ich nicht weiter nachvollziehen kann, nicht weiter nachgegangen. Bloss der Bericht von Erich Huber blieb als Teil einer unvollständigen Forschung erhalten.

2

Anschliessend, dass ich jenen Vorfall um das Dorf Grimsalp in etwa hatte rekonstruieren konnte, folgte meiner Nachforschung etwas völlig anderes, nämlich eine vorsintflutliche Überlieferung aus Mesopotamien, welche 1897 von Professor Robert von Waldesheim aus Texten der alten Sumerer übersetzt und interpretiert worden war.

UM DAS JAHR 4500 VOR CHRISTUS BESCHRIEB DER SCHRIFTGELEHRTE ZIUSHUBUL AUS ERIDU EIN EIGENTÜMLICHES VOLK, GENANNT DÎR HULGAL, WAS IN DER SPRACHE DER SUMERER ETWA „VOLK DER BÖSEN GÖTTER“ BEDEUTET. MIT DIESEM NAMEN BEZEICHNETEN DIE SUMERER JENE ISOLIERTE GEMEINSCHAFT. NACH DEN AUFZEICHNUNGEN DES ZIUSHUBUL WAR DIE KULTUR DER DÎR HUL-GAL BEREITS VIELE JAHRTAUSENDE ZUVOR ENTSTANDEN, ALS IHRE VORFAHREN EINEN SPALT IM GEFÜGE DER WIRKLICHKEIT ÖFFNETEN UND DADURCH IN VERBINDUNG MIT DEN SOGENANNTEN „HERRSCHERN DER LEERE“ TRATEN.

DIESE HERRSCHER DER LEERE, SO WIRD BERICHTET, TRATEN TELEPATHISCH MIT DEN SCHAMANEN JENER AHNEN DER DÎR HUL-GAL IN VERBINDUNG UND FORDERTEN SIE AUF, EIN TOR ZU IHRER DIMENSION ZU ERRICHTEN. ZU DIESEM ZWECKE SOLLTE EIN SCHWARZER OBELISK ERBAUT UND DURCH ZAHLREICHE MENSCHENOPFER DEN HERRSCHERN DER LEERE GEWEIHT WERDEN. UM SOLCHE OPFER ZU VOLLZIEHEN, BREITETE SICH DIESE KULTUR IN RÄUBERISCHER UND GRAUSAMER WEISE AUS, ENTFÜHRTE MENSCHEN, WO IMMER SIE IHRER HABHAFT WERDEN KONNTEN, UND BRACHTE SIE BEIM SCHWARZEN OBELISKEN DEN HERRSCHERN DER LEERE DAR.

INNERHALB DIESER ALTEN GEMEINSCHAFT WUCHSEN BALD SPANNUNGEN, DA DIE TYRANNISCHEN SCHAMANEN ZUNEHMEND ARGWÖHNISCH WURDEN. DAS VOLK ZEIGTE SICH UNZUFRIEDEN, DA ES DEN SINN DER FORTWÄHRENDEN KRIEGE UND RAUBZÜGE NICHT ERKANNTE, WÄHREND ES SELBST UNTER HUNGERSNÖTEN UND SEUCHEN LITT. MEHRERE AUFSTÄNDE WURDEN MIT GEWALT NIEDERGESCHLAGEN, UND DIE AUFRÜHRER WURDEN EBENFALLS RITUELL GEOPFERT. DOCH KURZ DARAUF WURDEN DIE SCHAMANEN ERMORDET, UND DER SCHWARZE OBELISK WARD IN TAUSEND STÜCKE ZERSCHLAGEN.

DIE KULTUR VERFIEL HIERAUF IN EINEN ZUSTAND DER STAGNATION, BIS SIE IN GESTALT DER DÎR HUL-GAL VON NEUEM ERSTARKTE UND SICH ABERMALS IN GEWALTTÄTIGER UND RÄUBERISCHER WEISE VERBREITETE. DIE SUMERISCHEN STADTSTAATEN ZAGMUK, ESHGALA UND GIRSU FIELEN DEN DÎR HUL-GAL ZUM OPFER UND WURDEN GÄNZLICH VERNICHTET. ALS SIE SODANN DEN STADTSTAAT ZALAK ÜBERFIELEN, VERMOCHTEN EINIGE BEWOHNER NACH ERIDU ZU ENTKOMMEN UND BERICHTETEN DORT VON DEN GESCHEHNISSEN. ANGESICHTS DER DROHENDEN GEFAHR SCHLOSSEN SICH DIE STADTSTAATEN ERIDU, URUK UND LARSA ZUSAMMEN, UM GEGEN DIE DÎR HUL-GAL IN DIE SCHLACHT ZU ZIEHEN.

ALS DIE VEREINTE STREITMACHT IN ZALAK EINMARSCHIERTE, FAND SIE DIE DORTIGE BEVÖLKERUNG BEREITS TOT VOR, SÄMTLICH IN EINEM KREISE UM EINEN SCHWARZEN OBELISKEN ANGEORDNET, DIE RECHTE HAND AUF DEM GESICHT UND DAS RECHTE AUGE HERAUSGERISSEN. HIERAUF SUCHTE DIE ARMEE DIE DÎR HUL-GAL AUF UND VERNICHTETE SIE IN EINER BLUTIGEN SCHLACHT UNTER HOHEN VERLUSTEN. SEITDEM GALT DAS VOLK DER DÎR HUL-GAL ALS AUSGEROTTET. INDESSEN BLEIBT DER VERBLEIB JENES SCHWARZEN OBELISKEN UNGEKLÄRT, WIE DER SCHRIFTGELEHRTE ZIUSHUBUL BERICHTET. ES SCHEINT, ALS SEI DIESER AUF UNERKLÄRLICHE WEISE VERSCHWUNDEN, BEVOR MAN GELEGENHEIT FAND, IHN ZU ZERSTÖREN UND DAMIT DAS LETZTE ÜBERBLEIBSEL DER DÎR HUL-GAL ZU TILGEN.

Jener schwarze Obelisk war lange Jahre unter den Archäologen insgeheim ein begehrtes Artefakt, welches aber selten erwähnt wurde, da dessen Geschichte von vielen Gelehrten als blosse Legende abgetan wurde. Austen Henry Layard, Paul-Émile Botta oder Hormuzd Rassam sollen angeblich erfolglos nach diesem Obelisken gesucht haben, doch es war ein anderer, nämlich der englische Major-General Horace G. Schwenck, welcher nebst seiner militärischen Tätigkeit auch als Archäologe tätig war, der während seiner Stationierung im Britischen Mandat Mesopotamien Anfang der 20er Jahre den schwarzen Obelisken gesehen haben wollte, wie er Jahre später berichtete. Die Universität Thurikon verfügt über eine seltene Tonbandaufnahme, auf welcher zu hören war, wie Schwenck in einer Radiosendung von 1947, wenige Jahre vor seinem Tod, sein Erlebnis erzählte:

Wir fuhren etwa eine Stunde mit einem Automobil aus der Stadt Nasiriya zu einer eher unscheinbaren Felsformation, von welcher ich allerdings aufgrund der geometrischen Form annahm, dass es sich tatsächlich um ein künstliches Bauwerk handelte, welches durch die Erosion so stark abgenutzt und durch die Kriege beschädigt worden war, dass es inzwischen nach wenig mehr als einigen Felsbrocken aussah.

Wir konnten eine Seite dieses Baus mit recht wenig Mühe freilegen und fanden tatsächlich einen Zugang, welcher ins Innere führte. Dort fanden wir eine enorme Kammer vor, welche sich weit in die Tiefe erstreckte. In dieser Kammer stand, scheinbar über die Jahrtausende unberührt, jener schwarze Obelisk, an dessen Suche sich schon manch ein anderer Archäologe die Zähne ausgebissen hatte.

Ich wusste zu diesem Zeitpunkt wenig über dieses Artefakt, so dachte ich auch selbst, dass es wohl wenig mehr als ein Ammenmärchen sei, und hatte lediglich auf einige Kuriositäten gehofft, welche ich an das British Museum hätte verkaufen können. Keineswegs hatte ich jemals erwartet, eine solch bahnbrechende Entdeckung zu machen.

Aufgrund der Form dieses Obelisken nahm ich in meinem damaligen Unwissen an, dass es womöglich ein ägyptisches Bauwerk war, welches seinen Weg bis nach Mesopotamien gefunden hatte. Vor allem die hochwertige Verarbeitung dieses pechschwarzen Granits war für mich faszinierend, wenn man mit den Fingern darüberfuhr, war das Gestein vollkommen glatt, den Jahrtausenden zum Trotz war es von einer Qualität, welche wir selbst heute mit unseren modernen Gerätschaften grosse Schwierigkeit hätten, nachzubauen.

Mit grossen Kosten, welche ich auf mich selbst nehmen musste, tat ich mich daran, diesen Obelisken abtransportieren zu lassen, denn man hatte mir in England bereits zugesichert, dass man mich für die Auslagen entschädigen würde, sobald das Artefakt dort angekommen sei. Doch unsere Probleme begannen, als die angeheuerten Arbeiter, welche allesamt Eingeborene waren, nach nur wenigen Tagen der Ausgrabung einem unerklärlichen Wahnsinn verfielen. Manche von ihnen liefen völlig verwirrt in die Wüste hinaus und damit ins sichere Verderben, andere wiederum rissen sich ihr rechtes Auge aus, und starben zumeist an Ort und Stelle an den selbst zugeführten Verletzungen.

Während ich versuchte, neue Arbeiter anzuheuern, dokumentierte ich den Obelisken, indem ich ihn photographieren liess und auch die Schrift und die Piktogramme, mit denen er versehen war, abzeichnete. Einige der Schriftzeichen sahen nach sumerischer Keilschrift aus, und ich konnte einige Worte davon übersetzen:

«Jenseits des Firmamentes … Herrscher der Leere … hungern nach Menschenleben … die Welten vereinen»

Ausser, dass es sich um einen abstrusen religiösen Kult handeln musste, konnte ich hieraus keinen tieferen Sinn stiften.

Als ich schliesslich einen neuen Arbeitstrupp hatte zusammenstellen können und wir uns zum Obelisken aufmachten, musste ich mit grossem Ärgernis sehen, dass dieser spurlos verschwunden war. Ich konnte es mir nicht erklären, denn dieses Artefakt musste viele Tonnen schwer gewesen sein, und der Zugang zu diesem Bau war nicht einmal gross genug, als dass es hindurchgepasst hätte. Ich selbst hatte vorgehabt, zu gegebenen Zeitpunkt den Zugang mit Dynamit aufsprengen zu lassen.

Das Interesse für meinen Bericht ebbte in England bald ab, als ich zugeben musste, dass der Obelisk spurlos verschwunden war. Man spottete über mich, man nannte mich den Magier des verschwindenden Obelisken. Selbst meine Photographien wurden nicht ernst genommen, man sagte, es seien blosse Fälschungen, denn niemand glaubte mir, dass der Obelisk einfach so hätte verschwinden können.

Die Glasplatten der Photographien zerbrachen auf meiner Rückreise nach England, und die einzigen Kopien der Bilder übergab ich, zusammen mit meinen restlichen Aufzeichnungen, dem Archivar Henri de Boulogne aus Genf, mit welchem ich seit langen Jahren eine rege Brieffreundschaft hegte, und welcher als einer der wenigsten meine Geschichte glaubte, und sich immerzu ernsthaft dafür interessiert hatte.

Heute, ein viertel Jahrhundert und ein Weltkrieg nach jenen Begebenheiten, zweifle ich manchmal selbst daran, was ich damals gesehen hatte, und ob es wohl alles bloss eine Halluzination gewesen sein sollte, denn bis heute frage ich mich, ob es tatsächlich möglich sein sollte, dass jener enorme, steinerne Obelisk ohne weiteres innert zwei Tagen und ohne einen Zugang von genügender Grösse aus jenem Bau hätte gestohlen werden können. Es ist wohl ein Rätsel, das ich wohl mit mir ins Grab nehmen werde.

3

Nachdem sich meine Erzählung bis zu diesem Zeitpunkt einzig in der Bibliothek und den Lagerräumen der Universität Thurikon abgespielt hatte, begab ich mich nun auf eine kurze und ereignislose Reise nach Genf, wo ich die Nachkommen von Henri de Boulogne ausfindig gemacht hatte. Die Familie des einstigen Archivars beschäftigte sich heute mit anderen Berufszweigen, hauptsächlich dem Bankwesen und dem Handel. Ein grosses Interesse für die Bestände von Henri de Boulogne bestand nicht.

Ich stellte mich als Howard K. Schwenck vor, ein fiktiver Name, den ich erdacht hatte, um mich als Nachkommen von Major-General Horace G. Schwenk auszugeben, der auf der Suche nach dessen Nachlass sei, den er Henri de Boulogne zur Aufbewahrung übergeben hatte. Herr Jacques Bonard, Urenkel von Henri de Boulogne, war sehr freundlich und, in reinster Schweizer Manier, zweifelte er zu keinem Zeitpunkt an meiner Person und dem Vorwand, den ich ihm aufgetischt hatte. Er führte mich in den staubigen Dachboden des Hauses, in welchem einstmals Herr de Boulogne gelebt hatte, und welches nun das seine. Einige Plastikkisten trugen ein Etikett darauf, auf welchem «Archive H. de Boulogne» zu lesen war.

Wir mussten mehrere dieser Kisten durchsuchen, bis wir einen grossen, vergilbten Umschlag fanden, welcher mit «Documents du M. Horace Schwenck» beschriftet war. Herr Bonard übergab mir lächelnd diesen Umschlag und sagte, er freue sich, dass diese Dokumente wieder zur Familie von Herrn Schwenck hätten zurückkehren können. Ich schaute kurz in den Umschlag und sah darin sogleich die alte Photographie sowie Schwencks Zeichnungen, dann schüttelte ich Herrn Bonards Hand und bedankte mich herzlich. Mit diesen Dokumenten in Händen machte ich mich auf den langen Heimweg.