Epistemologie der Postmoderne - A. M. Berger - E-Book

Epistemologie der Postmoderne E-Book

A. M. Berger

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Beschreibung

Das konzept der Postmoderne wird zwar geläufig verwendet, ist aber bisher nur schwer definierbar. Allem voran liegt das Wesen der Postmoderne darin, das rationalistische Verständnis der Realität, welches in der Moderne gilt, zu verlassen. Die Postmoderne lässt sich gleichwohl als Epoche festlegen, indem die erkenntnistheoretischen Grundlagen, also die im Zeitgeist vorherrschenden Auffassungen bezüglich der Erkenntnis über die Realität, analysiert und aufgezeigt werden. Auf Grundlage der Ideen des Poststrukturalismus wird eine gänzlich neue erkenntnistheoretische Auffassung geformt, welche sich in der Art, wie die Realität verstanden wird, auswirkt. Das Resultat wird im Alltag ersichtlich in Form emotionaler und auch irrationaler Auslegungen. Ebenso wie die Ideen der Aufklärung die zuvor geltenden Dogmen verdrängten, etabliert sich nun ein neues Epistem, was das Ende der Moderne und den Anbruch der Postmoderne bedeutet. "Epistemologie der Postmoderne" geht diesem fundamentalen Wandel des Zeitgeistes nach, von der Moderne zur Postmoderne, der Bedeutung dieses Wandels und seinen durchaus greifbaren Auswirkungen. Es ist der erste Text, der den Anbruch dieser neuen Epoche eingrenzt, indem deren Zeitgeist durch ein erkenntnistheoretisches Verständnis definiert wird.

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Inhaltsverzeichnis

1. Präambel

2. Theorie der Postmoderne

2.1 Von der Moderne zur Postmoderne

2.2 Eudokese: Herzstück postmoderner Epistemologie

2.3 Bedeutung der postmodernen Epistemologie

3. Das Narrativ

3.1 Konzept des Narratives

3.2 Die Zeugung des Narratives

3.3 Auswirkung des Narratives

4. Praxis der Postmoderne

4.1 Das Bild in der Postmoderne

4.2 Politik und Postmoderne

4.3 Der Film als Kulturphänomen der Moderne

4.4 Die Angst vor dem Unbekannten

5 Die Neuschöpfung der Realität

5.1 Die Relativierung der Ästhetik

5.2 Die Verehrung der Hässlichkeit

5.3 Der Mensch erhebt sich zum Gott

5.4 Das neue Mittelalter; oder, „Clownwelt“

6. Nachwort

7. Addendum: Kurzgeschichte

1. PRÄAMBEL

„Die Wissenschaften steuern alle in unterschiedliche Richtungen und haben uns bislang nur wenig Schaden zugefügt, doch eines Tages wird uns das Aneinanderfügen einzelner Erkenntnisse so erschreckende Perspektiven der Wirklichkeit und unserer furchtbaren Aufgabe darin eröffnen, dass diese Offenbarung uns entweder in den Wahnsinn treibt oder uns aus der tödlichen Erkenntnis in den Frieden und den Schutz eines neuen dunklen Zeitalters flüchten lässt.“

– H. P. Lovecraft

Der Mensch war im Ursprung, wie jedes andere Geschöpf, kein rationales Lebewesen, sondern, wie das Tier, ein Wesen geleitet von Trieben, Instinkten und Verlangen, welche ihm das Überleben und schliesslich seine weitere Entfaltung überhaupt erst ermöglichten. Erst die Entwicklung des abstrakten Denkens konnte die Grundlage für das rationale Denken darbieten, wenngleich nicht jedes abstrakte Denken bereits rational ist. Seither lebt der Mensch in einem Zwiespalt zwischen seinen Ur-Sein, dem Irrationalen; und dem abstrakten Rationalen. Die soziale Natur des Menschen erlaubte in Zusammenhang mit dem rationalen Denken komplexe Zivilisationen aufzubauen, während die irrationalen Triebe und Instinkte ein entgegengesetzter Ausschlaggeber für die emotionale Entwicklung wurden; eine Evolution, die keineswegs linear ist, sondern zirkular: Auf Epochen in welche Rationalität im Zeitgeist vorherrschend ist, folgen Epochen in welchen die irrationalen, emotionalen, instinktiven Urtriebe die Überhand erlangen.

Das Konzept der Erkenntniswissenschaft oder Epistemologie entstand im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts, als erstmals erkannt wurde, dass das, was wir als Realität empfinden, nicht eine vollkommene Realität ist, sondern eine Wahrnehmung der Realität, welche, infolge der Kapazität unserer Sinne und der Verarbeitung von deren Signale durch unseren Verstand, zusammengesetzt wird. Diese einstmals revolutionäre, jedoch heute schon fast alltägliche Feststellung, ebnete den Weg für die Ideen darüber, wie wir, obgleich unserer unvollkommenen Wahrnehmung, Erkenntnisse festhalten können; allen voran die Dialektik, die einfache Juxtaposition einer These mit seiner Antithese, um in der daraus folgenden Synthese eine Erkenntnis zu erlangen. Illustrativ für diese Entwicklung ist die kopernikanische Wende: in dem Augenblick, in welchem man den Geozentrismus überwand, und somit fundamental erkannte, dass das, was eine scheinbar unanfechtbare Tatsache der Sonne in ihrer Bewegung am Himmel sei, tatsächlich die Erde ist, welche die Sonne umkreist, so waren unsere Sinne, die diese Erkenntnis nicht hätten erreichen können, in ihrem Makel ein für alle Mal entlarvt.

Viele dieser Ideen waren nicht grundlegend neu, sondern entstammten philosophischen Ideen, die mindestens schon von den alten Griechen formuliert worden waren, und welche die philosophische Bewegung der Aufklärung entsprechend wieder aufgriff und weiterentwickelte. Jedoch richtete sich dieses Denken gegen die zu dem Moment geltenden Grundsätze (z.B. Kants „Kritik der reinen Vernunft“ wurde von der katholischen Kirche auf die Liste der verbotenen Bücher gesetzt), was die kontinuierliche Alternanz zwischen Rationalität und Irrationalität veranschaulicht.

Ebenso wie, gemäss dem Sender-Empfänger-Modell, für das gegenseitige Verständnis von Sprache eine gegenseitig geteilte Kodierung des Signals bzw. der Botschaft notwendig ist, so bildet sich schlussendlich, der Sprache gleich, eine gesellschaftlich weitgehend geteilte Prädominanz in der Erkenntnistheoretischen Auffassung oder Epistem, welches man auch als den sog. Zeitgeist verstehen kann, welcher Prägend für jedwede Epoche ist.

Die Ideen der Aufklärung wurden eventuell von der Gesellschaft assimiliert, und etablierten sich von dem Moment an als der vorherrschende Zeitgeist. Infolgedessen kam das auf, was von hier an als die Epoche der Moderne bezeichnet werden soll. Eine Epoche die nicht gleichzusetzen ist mit der Aufklärung als wegweisende Bewegung, sondern als eine folgende praktische und gesellschaftliche Implementation von deren, einst bahnbrechenden, Ideen. Die Konsequenz hiervon sollte, vor allem in Wissenschaft und Technik, eine aussergewöhnliche Entwicklung der Zivilisation sein: die Gesellschaft wandelte sich in kaum zweihundert Jahren von Kerzenlicht, Pferdekutsche, Aderlass und Druckerpresse zu Atomenergie, Düsenflugzeug, Antibiotika und Internet.

Das Prädikat „postmodern“, welches an sich nicht neu ist, und dessen teils sehr beliebige oder subjektive Verwendung, weist, gemäss einer strukturalistischen Anschauung, eine Anerkennung dessen auf, was hingegen als modern zu verstehen ist. Die Postmoderne als eine klar definierte Epoche bzw. als Epistem war bisher kaum oder gar nicht als solche erkannt oder beschrieben worden. Es ist Absicht dieser Schrift, den definitiven Übergang der Epoche der Moderne in die der Postmoderne aufzuzeigen, und letztere epistemologisch zu definieren.

Als Epoche ist die Moderne durch den geltenden epistemologischen Zeitgeist einzugrenzen: Sie resultiert aus der Wende von der Prämoderne, dessen Epistem auf dem Dogma basiert, hin zum Epistem des Rationalismus, welches aus der Aufklärung hervorgeht. Die Postmoderne ist folglich eine erneute Wende, welche auf Grundlage vor allem des Poststrukturalismus in einen neuen epistemologischen Zeitgeist führt, welcher in diesem Fall im Wesentlichen der Emotionalität obliegt. Die fundamentalen epistemologischen Grundlagen, welche in einer Epoche vorherrschend sind, sind insofern als das definierende Element für die Epoche zu verstehen, wie auch die nun anbrechende bzw. angebrochene Postmoderne.

Seit Anbeginn der Zivilisation entsteht eine Alternanz zwischen Rationalität und Irrationalität, wobei zu keinem Zeitpunkt eine dieser Tendenzen vollkommen Dominierte: Eine rein irrationale Gesellschaft würde den animalischen Urtrieben verfallen, jegliches Konzept von Zivilisation verwerfen, und, den Tieren gleich, sich nur noch von niederen Instinkten führen lassen; eine rein rationale Gesellschaft wäre ein kaltherziges Konstrukt, welches die Gesellschaft skrupellos an abstrakte theoretische Modelle anzupassen suchen würde, oder gar den Menschen aufgrund seiner innewohnenden Irrationalität auslöschen könnte.

Die Übergänge zwischen Epochen sind zumal fliessend, so kann man die tatsächlichen Anfänge der Postmoderne vor allem im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts platzieren, angetrieben von den Traumata der industrialisierten Kriegsführung und dem Einfluss der Massenmedien sowie deren propagandistischer Anwendung, aber auch die wachsende Komplexität der globalisierten Gesellschaft und deren Diskurses, sowie dem gesellschaftlichen Zerfall des christlichen Glaubens, allesamt Phänomene die bis dahin geltenden Moral- und Wertvorstellungen in Frage stellten.

Ebenso wie der christliche Glaube, Grundlage des prämodernen Dogmas, eventuell in Form von Reformation, Studium der Philosophie und moralischer Grundlage zum wesentlichen Bestandteil der Moderne wurde; so wurde schliesslich auch der Rationalismus der Moderne in seiner abgewandelten Form zum Treiber der Postmoderne in Form von Poststrukturalismus, Dekonstruktion, Szientifismus und Relativismus.

Der Wandel erreichte eine exponentielle Beschleunigung nach Einbruch des 21. Jahrhunderts: die Intensivierung der Identitätspolitik als praktischer Auswuchs der Intersektionalität, die Präsidentschaft von Donald Trump wider allen Prognosen, oder auch die sog. Pandemie von 2020-2022 können als wesentliche zeitgeistliche Katalysatoren verstanden werden, soziokulturelle Steckenpferde die, unbeachtet ihrer tatsächlichen jeweiligen Bedeutung, in fast allen Facetten des Alltags präsent wurden, jegliche kulturelle Grundlage verdrängten, und schliesslich diesen Übergang vollendeten, wodurch Phänomene der Moderne nach und nach nur noch residual vorkommen sollten.

Im Jahre 2022 sind es genau drei Jahrzehnte seit Fukuyama das sog. „Ende der Geschichte“ zu ersehen meinte. Seine Erkenntnis war insofern relevant, dass er unwissentlich einen fundamentalen Umbruch des modernen bzw. aufgeklärten Zeitgeistes ausdrückte und somit ein unfreiwilliger Vorreiter der Postmoderne wurde. Die Ansicht, dass die liberale Demokratie der politische Endzustand der Menschheit sei, ist ein Gedanke der, bei rationaler Betrachtung und mit den Erfahrungen nach der Jahrtausendwende, von Arroganz und Emotionalität strotzt, aber vom postmodernen Denker als reelle Tatsache wahrgenommen werden kann: von eineremotionalen Präferenz wird ein, vermeintlich rationaler, Idealzustand abgeleitet, welcher aber tatsächlich nur auf emotionaler Grundlage zu rechtfertigen ist, obgleich er mit selektiv ausgewählten Fakten, entnommen aus einer immer grösseren Flut an Daten, beschmückt werden kann. Der fast religiöse Kult, der sich um die liberale Demokratie gebildet hat, welcher in ihrer Abwesenheit unweigerlich das Böse sieht, und der hingegen fast jede Handlung unter dessen Deckmantel zulässt, ist ein treffendes Beispiel für eine postmoderne Fassade eines Ideals, ein Bild eines Idealzustandes welches die Fehler und Unvollkommenheiten bedeckt, und damit auch freilich zulässt.

Baudrillard hat einst das Konzept des Simulacrum geprägt, und dieses Konzept muss hier aufgegriffen werden, doch das Simulacrum, indem es lediglich als Bild postuliert war, erkennt lediglich einen Bestandteil der Postmoderne, welche sich schlussendlich durch eine veränderte Grundlage in der Erkenntnis der Realität entfaltet, nämlich das, was hierin als emotionale Realität bezeichnet werden soll. Während ein Simulacrum ein Bild ist, das vorgibt eine Realität zu repräsentieren, welche gar nicht existiert, so führt sich dieses Phänomen in der Postmoderne auf Ebene der Wahrnehmung fort und bildet eine Hyperrealität aus, welche infolge eines Prozesses diskursiver Auseinandersetzung einer daraus resultierenden emotionalen Ausrichtung folgt.

Die emotionale Realität ist ein Simulacrum in der Wahrnehmung, nicht ein Bild einer Realität, die nicht existiert, sondern die emotional geformte Erkenntnis über eine Realität, die nicht existiert; welche konstruiert wird auf Grundlage von selektiv ausgewählten Simulacra, Bildern, die eine Realität darstellen, welche ebenfalls nicht existiert. Hierin liegt der bedeutende Schritt der Postmoderne, der diese von der Moderne ein für alle Mal abtrennt: Nicht mehr die Bilder der Realität unterscheiden sich, sondern die Realität selbst, insofern sie durch das Individuum erkannt wird, erlangt unterschiedliche Zustände, als handle es sich um Paralleluniversen.

Es ist das logische Resultat daraus, dass die bildliche Wahrnehmung, d.h. die Wahrnehmung der Realität über den Zwischenschritt des Bildes, zu einem grösseren Teil der Wahrnehmung wird, als dass es die sinnliche Wahrnehmung der Realität selber wäre, wodurch in der Praxis eine zusätzliche Ebene der Wahrnehmung hinzukommt: Die Realität wird vom Bild wiedergegeben, und das Bild wird von unseren Sinnen wahrgenommen. War das Bild in der Moderne noch der Wahrnehmung der Realität untergeordnet, so hat die immer grössere Komplexität unserer Welt das Bild zu einem unumgänglichen Mittler zwischen Realität und Wahrnehmung erhoben.

Diese Situation trifft auf das Simulacrum, jedoch ohne das Bewusstsein darüber, dass sie es tut, weshalb folglich auch der Dialektische Prozess umgangen werden kann, indem bereits These und Antithese selbst nicht mehr der Realität entsprechen: Die jeweiligen abgebildeten Thesen und Antithesen werden nicht als der imperfekten Wahrnehmung untergeordnet gesehen, sondern, bedingt durch das Bild (dessen Verfälschung unbemerkt bleibt) bereits als synthetisch und folglich nicht einem dialektischen Prozess zu unterziehen.

Der Grundsatz der Aufklärung, die eigene Wahrnehmung als unvollkommen zu betrachten, und sich folglich tiefgreifenderer Mechanismen zu bedienen, welche die rationale Erkenntnis jenseits der Wahrnehmung zu erfassen erlauben, ist somit in der Praxis aufgehoben, indem die Entstehung des Bildes selbst ein Teil unserer Wahrnehmung wird, aber die Unkenntnis über diesen Faktor des Bildes ein der Dialektik fremdes Simulacrum zulässt, welches dann als Erkenntnis betrachtet wird.

Die Bequemlichkeit dieser Simulacra, welche anschliessend bewusst oder unbewusst den vorhanden emotionalen Erwartungen nachempfunden werden, führt in seiner Konsequenz dazu, dass nicht mehr das Bild die Realität abzubilden sucht, sondern die Realität selbst dem hyperrealen Bild folgen soll, dessen abgebildete Realität höhergestuft wird, als die Wahrgenommene. Schliesslich werden die Sinne als makelbehaftet anerkannt, nicht aber das Bild. Dies wird in der Praxis ersichtlich indem z.B. die Sprache als Ursache verstanden wird, und über die Sprache die Realität geformt werden soll, anstatt dass die Sprache der Realität hauptsächlich deskriptiv gegenübersteht. Im repräsentativen Sinne sucht man ebenso, dass die Realität zuerst im Abbild ideal ist; nicht in der sinnlichen, sondern in der zuerst ins Abbild übersetzten Wahrnehmung. Die Realität ist dann ideal, wenn das Bild der Realität ideal ist. Ob die Realität, die abgebildet wird, tatsächlich ideal ist, ist nicht mehr von Relevanz, da, indem alle Erkenntnis nun über das Bild geschehen muss, auch erst die abgebildete Realität wirklich real ist. Dies weist ebenfalls nach, wie die Erzeugung des Bildes die Dialektik umgehen kann.

Die zunehmende Komplexität unserer Welt macht diese immer weniger über unsere eigene sinnliche Wahrnehmung greifbar, stattdessen ist es unausweichlich, dass sich die Wahrnehmung des Bildes bedient; wobei allerdings das Bewusstsein über die Begrenzungen in der Abbildung von Realität, analog zu den Begrenzungen unserer eigenen Sinne, noch nicht ausgeprägt ist. Somit entsteht die paradoxe Situation, dass das Erlangen einer neuen Ebene der Wahrnehmung, welche erlauben sollte, eine viel weitreichendere und komplexere Realität wahrzunehmen, erst einmal zu einer erneuten Situation der Unkenntnis führt, wie es vor den Erkenntnissen der Aufklärung bezüglich unserer sinnlichen Wahrnehmung bereits der Fall war.

Indem das Simulacrum nicht als solches erkannt wird und somit die Verfälschung der Wahrnehmung ebenso wenig, folgt aus dem Konflikt zwischen diesen Ebenen der Erkenntnis, welche nicht als solche erkannt werden, die logische Interpretation einer Unzulänglichkeit des rationalen Denkens, welches der Aufklärung entstammte. Ein Gedanke, welcher auch dem Poststrukturalismus zu Grunde liegt.

Da die rationale Erkenntnis schon im Vornherein oftmals im Konflikt mit den emotionalen Neigungen stand, die dem menschlichen Wesen innewohnen, und nun diese Kapazität für die rationale Erkenntnis untergraben wird, wird alsdann unweigerlich die Emotionalität zur Ausflucht aus dieser Unkenntnis, und somit zum Wegbereiter für die emotionale Realität als letztendliche Antwort auf die fehlende Kohärenz der Erkenntnisse.

Ein somit immer wieder erscheinendes Phänomen ist das der Perversion aufgeklärter Werte und Ideale, welche nur noch als Fassade gehandhabt zu werden brauchen und zeitgleich ihren ursprünglichen Absichten entsagen können. Diese Verzerrung bleibt durch diese neue Möglichkeit einer bildlich generierten Fassade weitgehend unerkannt. Die Postmoderne wirkt den Mechanismen der Moderne dadurch gezielt entgegen. Andererseits wird die Moderne selbst in ihrem Wert der Rationalität dadurch untergraben, dass die technische Entwicklung ein solches Übermass an Information, in derart rasantem Rhythmus herbeigeführt hat, dass eine rationale Dialektik nur schwer mithalten kann.

Die gesellschaftliche Tragik der Aufklärung ist, dass sie, wenn man die ideellen Postulate betrachtet, selber den Grundstein legt für ihren Niedergang, indem humanistische Ideale definiert wurden, welche, in Abwesenheit rationaler Gegenüberstellungen, nach und nach der Emotionalität folgend ad absurdum geführt werden können, bis sie schliesslich, infolge einer unermesslichen gesellschaftlichen Komplexität, in der Postmoderne zu ihrem eigenen Gegenteil entstellt werden, in Form sentimentalistischer Stereotypen, die dann zur quasi-dogmatischen ad hoc Vorgabe instrumentalisiert werden. Die postmoderne Wahrnehmung bestätigt sich damit selbst: Die Vorgabe ist wahr, weil jeder der sie anzweifelt auch jegliche Grundlage der akzeptierten Wertvorstellung anzweifelt, und seine Kritik folglich ungültig ist, da ihr Ursprung ausserhalb des Spektrums der tolerablen Wertvorstellung liegt.

Diese fortschreitende Verringerung des zumutbaren Meinungs- und Ansichtsspektrums führt mit sich, dass sich spezifische Ansichten zu tiefgreifenden Realitätsauffassungen entwickeln, wodurch diese nicht mehr als ein möglicher Weg unter vielen innerhalb der Realität verstanden werden, was sie auch einer dialektischen Prüfung unterliegen liesse, sondern als Realität selbst; während alle anderen Ansichten eine unsinnige oder gar pathologische Entfernung von der Realität darstellen. Dies wird im öffentlichen (v.a. medialen) Diskurs ersichtlich, worin nicht nur das Meinungsspektrum extrem beschränkt wird, was faktisch einer diskursiven Gleichschaltung gemäss einer dogmatischen Vorgabe entspricht, sondern auch jegliche Abweichung, die erscheinen könnte, als realitätsfremd, pathologisch oder subversiv angeprangert wird, was auch rechtfertigt, sie sofort mit aller Kraft zu unterdrücken, ohne dass auch nur die Chance eines dialektischen Austausches zugestanden werden muss. Dies wird folglich nicht als Unterdrückung des Diskurses und damit als Angriff der aufgeklärten Wertvorstellung verstanden, sondern lediglich als die Pflicht, eine Gefährdung der gesellschaftlichen Wertegrundlagen im Keim zu ersticken, als handle es sich um eine Gangräne die abgegrenzt und entfernt gehört, bevor sich die Fäulnis ausbreitet.

Von wesentlicher Relevanz bezüglich der Entwicklung der Moralvorstellung ist hierbei auch der allmähliche Rückgang in der Prävalenz der christlichen Moralität. Das Konzept der christlichen Moralität ist dabei nicht buchstäblich als eine „biblische“ Moralität zu verstehen, zumal die moderne christliche Moralität eine Abwandlung dieser ist: Die biblischen Konzepte von Moralität bildeten eine Grundlage, auf welcher sich schliesslich die spätere christliche Moralität entwickelte. Während der Aufklärung kristallisierte ein modernes Verständnis der christlichen Moralität als moralische Grundlage der westlichen Zivilisation, welche zumeist implizit war, da in einer grösstenteils homogenen Kultursphäre keine Notwendigkeit darin bestand, die moralische Grundlage, wie auch nicht andere kulturelle Grundlagen, explizit festzuhalten. Dies entwickelt sich in der Postmoderne nach und nach zur Auffassung einer Abwesenheit kultureller wie moralischer Grundlagen, und entsprechend zu einem Ausgangspunkt für den moralischen Relativismus, der das endgültige Entfallen der christlichen Moralität als gesellschaftlich geteilte Moralvorstellung erlaubte.

Diese Abwesenheit einer kohärenten Moralvorstellung führt zu einer Form von moralischem Vakuum, welches durch das was man eine „ad hoc Moralität“ der emotionalen Hysterie nennen kann, gefüllt wird, und somit einen Nährboden für die emotionale Realität schafft. Die Abwesenheit einer gesellschaftlich geteilten und akzeptierten Moralität entzieht dem Prozess für die rationale Wahrnehmung die Grundlage einer objektiven Moralvorstellung, wodurch zwingend eine neue Moralität definiert werden muss, welche sich alsdann an den emotionalen Urtrieb heftet.