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James Herriot

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Beschreibung

Heiteres vom beliebtesten Tierarzt der Welt Menschlichkeit und Humor sind die herausragenden Eigenschaften dieser köstlichen Geschichten aus der Praxis eines Tierarztes in Yorkshire. Das tiefe Mitgefühl mit seinen Patienten, den Tieren, und ihren Besitzern, den Menschen, hat James Herriot zu einem bekannten und beliebten Autor werden lassen. Auch die Fernsehserie zu diesen köstlichen Tierarztgeschichten bleibt unvergessen.

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James Herriot

Der Tierarzt

Die zweite Folge der heiteren Tierarztgeschichten

Aus dem Englischen von Ulla H. de Herrera

Über dieses Buch

Heiteres vom beliebtesten Tierarzt der Welt

Menschlichkeit und Humor sind die herausragenden Eigenschaften dieser köstlichen Geschichten aus der Praxis eines Tierarztes in Yorkshire. Das tiefe Mitgefühl mit seinen Patienten, den Tieren, und ihren Besitzern, den Menschen, hat James Herriot zu einem bekannten und beliebten Autor werden lassen. Auch die Fernsehserie zu diesen köstlichen Tierarztgeschichten bleibt unvergessen.

Vita

Unter dem Pseudonym James Herriot verfasste der 1916 geborene britische Tierarzt James Wight unzählige warmherzige Tierarztgeschichten. Er wuchs in Schottland auf, studierte in Glasgow Tiermedizin und erhielt eine Assistentenstelle in den Nord Yorkshire Dales. Sein Sohn übernahm später die väterliche Praxis, während seine Tochter Ärztin wurde. James Herriot starb am 23. Februar 1995 in Thirsk/Nordengland.

Meiner Frau und meiner Mutter in Liebe zugeeignet

Kapitel 1

Es war drei Uhr in der Frühe, als ich frierend und übermüdet von einem nächtlichen Besuch nach Skeldale House zurückkehrte. Müde ging ich zu Bett und legte den Arm um Helen. Und wieder einmal dachte ich, dass es kaum etwas Schöneres auf der Welt gab, als nachts halb erfroren heimzukommen und ein angewärmtes Bett vorzufinden.

In den dreißiger Jahren gab es noch keine elektrischen Heizdecken, und ich hatte manchmal große Mühe, wieder warm zu werden, wenn man mich nachts aus dem Bett geklingelt und zu einem weit abgelegenen Gehöft gerufen hatte. Ich lag dann oft noch lange wach und konnte nicht einschlafen, weil ich bis auf die Knochen durchgefroren war.

Aber seit unserer Heirat gehörten diese Leiden der Vergangenheit an. Helen regte sich halb im Schlaf – sie hatte sich daran gewöhnt, dass ich sie oft mitten in der Nacht verlassen musste und kalt wie ein Eisblock zurückkam – und kuschelte sich an mich. Mit einem dankbaren Seufzer spürte ich, wie ihre Wärme mich umhüllte, und sank sofort in tiefen Schlaf.

Als der Wecker klingelte, stand ich auf und ging ans Fenster. Es war ein schöner, klarer Morgen. Die ersten Sonnenstrahlen fielen auf das verwitterte Rot und Grau der dicht aneinandergedrängten Dächer, von denen einige sich unter der Last ihrer alten Ziegel senkten, und erhellten die grünen Wipfel der Bäume, die sich zwischen den dunklen Schornsteinkappen empordrängten. Und dahinter das ruhige Massiv der Fells, wie in Yorkshire die heidebewachsenen Berge genannt werden.

Das Glück war mir hold, dass ich dies allmorgendlich als Erstes zu sehen bekam; nach Helen natürlich, was noch schöner war.

Nach unseren etwas ungewöhnlichen Flitterwochen, die wir mit Tuberkulinproben verbrachten, hatten wir uns unser erstes Heim in der obersten Etage von Skeldale House eingerichtet. Siegfried, bis zu meiner Heirat mein Chef und jetzt mein Partner, hatte sich erboten, uns die leerstehenden Zimmer im zweiten Stock kostenlos zu überlassen, und wir hatten sein Angebot dankbar angenommen; und wenn es sich auch nur um eine vorübergehende Notlösung handelte, war unser hochgelegenes Nest doch so angenehm luftig und reizvoll, dass uns sicher viele darum beneidet hätten.

Es war behelfsmäßig – wie alles zu jener Zeit einen provisorischen Charakter hatte und weil wir nicht wussten, wie lange wir dort bleiben würden. Siegfried und ich hatten uns beide freiwillig zur Air Force gemeldet und waren vorläufig vom Militärdienst zurückgestellt, doch damit soll das Thema Krieg auch schon beendet sein. Ich will in diesem Buch nicht von derlei Dingen berichten, die ohnedies sehr weit von Darrowby entfernt waren, sondern von den Monaten nach unserer Hochzeit bis zu meiner Einberufung. Ich erzähle von den alltäglichen Dingen, die immer unser Leben ausgemacht haben: von meiner Arbeit, den Tieren, den Yorkshire Dales.

In dem vorderen Raum war unser Wohnschlafzimmer, und wenn er auch nicht luxuriös eingerichtet war, so gab es darin doch ein sehr bequemes Bett, einen Teppich, einen hübschen Beistelltisch, der Helens Mutter gehört hatte, und zwei Lehnsessel. Auch ein alter Kleiderschrank stand darin, aber das Schloss funktionierte nicht, und wir konnten die Tür nur geschlossen halten, indem wir eine von meinen Socken dazwischen klemmten. Die Fußspitze hing heraus, aber das störte uns nicht.

Ich ging über den kleinen Treppenabsatz in die Küche, die zugleich unser Esszimmer war. Dieser Teil unserer Behausung war eindeutig spartanisch. Ich polterte über nackte Dielen zu einem Arbeitstisch, den wir an der Wand neben dem Fenster angebracht hatten. Mangels anderer Küchenmöbel diente er als Abstellplatz für einen Gaskocher und unseren gesamten Bestand an Geschirr und Bestecken. Ich ergriff einen großen Krug und machte mich auf den Weg nach unten in die eigentliche Küche, denn die Mansardenräume hatten den Nachteil, dass es hier oben kein Wasser gab. Zwei Treppen hinunter zu den drei Zimmern im ersten Stock, dann zwei weitere und ein kurzer Galopp durch den langen Flur zu der großen, mit Steinplatten ausgelegten Küche auf der Rückseite des Hauses.

Ich füllte den Krug und kehrte, zwei Stufen auf einmal nehmend, zu unserem hochgelegenen Wohnsitz zurück. Heute würde es mir weniger gefallen, für jeden Tropfen Wasser einen solchen Weg machen zu müssen, aber damals machte es mir nicht das Geringste aus.

Bald kochte das Wasser im Kessel, und wir tranken unsere erste Tasse Tee neben dem Fenster, das auf den langen, schmalen Garten hinausging. Wie aus der Vogelperspektive sahen wir von hier oben den ungepflegten Rasen, die Obstbäume, die Glyzinie, die an den verwitterten Backsteinen bis zu unserem Fenster emporkletterte, und die hohen Mauern mit ihren alten Kappensteinen, die sich bis zu dem gepflasterten Hof unter den Ulmen erstreckten. Jeden Tag ging ich dort entlang zur Garage im Hof, aber von oben sah alles ganz anders aus.

«Einen Augenblick, Helen», sagte ich. «Lass mich auf diesem Stuhl sitzen.»

Sie hatte das Frühstück auf den Arbeitstisch zurückgestellt, an dem wir immer saßen, und dies war der Punkt, wo die Schwierigkeiten begannen, denn der Tisch war sehr hoch, und unser jüngst erstandener hoher Hocker hatte die richtigen Maße, nicht aber unser Stuhl.

«Nein, ich sitze sehr bequem, Jim. Wirklich.» Den Teller quasi in Augenhöhe, lächelte sie mir von ihrem niedrigen Platz aus beruhigend zu.

«Du kannst nicht bequem sitzen», erwiderte ich. «Du hältst dein Kinn ja praktisch in die Cornflakes. Bitte, gib mir den Stuhl.»

Sie klopfte auf den Sitz des Hockers. «Komm, mach keine langen Geschichten. Setz dich und iss dein Frühstück.»

Als ich merkte, dass es so nicht ging, versuchte ich es auf andere Art.

«Helen!» Mein Ton war streng. «Steh von diesem Stuhl auf!»

«Nein», entgegnete sie, ohne mich anzusehen; trotzig schob sie die Lippen vor, was ihr einen bezaubernden Ausdruck verlieh, aber gleichzeitig bedeutete, dass sie nicht scherzte.

Was sollte ich tun? Ich spielte mit dem Gedanken, sie vom Stuhl zu ziehen, aber sie verfügte über große Körperkraft. Wir hatten unsere Kräfte einmal gemessen, als eine kleine Meinungsverschiedenheit sich zu einem Ringkampf auswuchs, und wenn ich dieses Spiel auch gründlich genossen und letztlich gewonnen hatte, so war ich doch erstaunt gewesen, wie stark sie war. Zu dieser frühen Stunde verspürte ich keine Lust darauf. Ich setzte mich auf den Hocker.

Nach dem Frühstück stellte Helen Wasser für den Abwasch auf – der nächste Schritt in unserem Tagesrhythmus. Unterdessen ging ich hinunter, holte meine Instrumente sowie Katgut für ein Fohlen, das sich am Bein geschnitten hatte, und trat durch die Seitentür hinaus. Genau dem Steingarten gegenüber drehte ich mich um und sah zu unserem Fenster hinauf. Die untere Hälfte war geöffnet, und ein Arm mit einem Geschirrtuch kam zum Vorschein. Ich winkte, und das Geschirrtuch winkte ungestüm zurück. So begann jeder Tag.

Als ich aus dem Hof fuhr, überlegte ich mir, dass es ein guter Beginn war. Tatsächlich war alles gut: das lärmende Krächzen der Krähen droben in den Ulmen, wenn ich das Eisentor schloss, die würzige Luft, die mich jeden Morgen empfing, und mein mich täglich aufs Neue fordernder, nie langweiliger Beruf.

Das verletzte Fohlen war auf Robert Corners Hof, und ich hatte kaum mit meiner Arbeit begonnen, als ich Jock, den Collie, entdeckte. Ich beobachtete ihn, denn über die Hauptaufgabe hinaus, seine Patienten zu behandeln, erfährt man als Tierarzt bei der täglichen Arbeit ja auch immer viel von der Persönlichkeit der Tiere, und Jock war ein interessanter Fall.

Hofhunde haben oft eine Vorliebe dafür, sich ein wenig Abwechslung von ihren Pflichten zu verschaffen. Sie spielen gern, und eines ihrer Lieblingsspiele besteht darin, Wagen vom Grundstück zu verjagen. Oft galoppierte, wenn ich einen Hof verließ, ein behaartes Etwas neben mir her; für gewöhnlich ließ der Hund nach ein paar hundert Metern ein letztes, herausforderndes Bellen ertönen, ehe er kehrtmachte. Doch Jock war anders.

Er war mit Hingabe bei der Sache. Wagen nachzujagen war für ihn eine todernste Angelegenheit, der er sich tagaus, tagein ohne eine Spur von Nachlässigkeit widmete. Corners Hof lag am Ende eines ungefähr eine Meile langen, auf beiden Seiten von niedrigen Steinmauern gesäumten Feldwegs, der sich durch leicht abfallende Felder bis zur unten gelegenen Straße schlängelte, und Jock sah es als seine Pflicht an, jedes Fahrzeug bis dorthin zu begleiten. So war sein Hobby reichlich mühevoll.

Ich beobachtete ihn, während ich die letzten Nahtstiche am Bein des Fohlens machte und dann den Verband anlegte. Er schlich verstohlen zwischen den Gebäuden umher und tat so, als nähme er nicht die geringste Notiz von mir – ja, als sei er an meiner Anwesenheit völlig uninteressiert. Doch seine heimlichen Blicke in Richtung Stall und die Tatsache, dass er ein ums andere Mal mein Blickfeld kreuzte, verrieten ihn. Er wartete auf seinen großen Augenblick.

Als ich meine Schuhe anzog und die Stulpenstiefel in den Kofferraum warf, sah ich ihn wieder. Oder besser gesagt, einen Teil von ihm: nur eine lange Nase und ein Auge, die unter einer ausrangierten, zerbrochenen Tür hervorlugten. Erst als ich den Motor anließ und der Wagen sich in Bewegung setzte, gab er seine Absicht kund: Den Bauch dicht an den Boden gepresst, den Schwanz nachschleifend, die Augen starr auf die Vorderräder des Wagens geheftet, kam er verstohlen aus seinem Versteck, und als ich mit zunehmender Geschwindigkeit den Feldweg hinunterfuhr, ging er in einen mühelosen Galopp über.

Ich hatte dies schon mehrmals erlebt und war immer voller Angst, dass er vor den Wagen springen könnte; deshalb trat ich aufs Gaspedal. Der Wagen sauste bergab. Auf diesen Augenblick hatte Jock gelauert. Die schlanken Glieder streckten sich unermüdlich wieder und wieder nach vorn, flogen mit freudiger Leichtigkeit über den steinigen Boden und hielten mühelos Schritt mit dem schnellfahrenden Wagen.

Etwa auf der Hälfte der Strecke beschrieb der Weg eine scharfe Kurve, und hier segelte Jock unweigerlich über die Mauer, sauste, sich als kleiner dunkler Punkt von dem Grün abhebend, quer über das Wiesenstück und tauchte, nachdem er so geschickt die Ecke abgeschnitten hatte, jenseits der Kurve wieder auf. Dies gab ihm einen guten Vorsprung für den Wettlauf zur Straße, und wenn er mich schließlich bis dorthin begleitet hatte, sah ich als letztes, wie er mir keuchend, doch mit triumphierend erhobenem Kopf noch lange nachblickte. Offensichtlich war er überzeugt, seine Sache gut gemacht zu haben, und vermutlich wanderte er jetzt zufrieden zum Hof zurück, um auf die nächste Hetzjagd, sei es mit dem Postboten oder dem Bäckerwagen, zu warten.

Aber Jock hatte noch andere Qualitäten: Er war sehr gut abgerichtet, schnitt bei allen Dressurprüfungen hervorragend ab, und Mr. Corner hatte schon viele Preise mit ihm gewonnen. Er hätte das Tier ohne weiteres für viel Geld verkaufen können, aber nichts konnte den Bauern dazu bewegen, sich von ihm zu trennen. Vielmehr kaufte er eine Hündin, die selbst etliche Preise gewonnen hatte. Mit diesen beiden Tieren glaubte Mr. Corner, unübertreffliche Collies züchten zu können. Bei meinen Besuchen auf dem Hof schloss sich die Hündin der Hetzjagd an, aber ich hatte den Eindruck, dass sie es mehr oder weniger nur ihrem neuen Gefährten zu Gefallen tat, denn sie gab jedes Mal bei der ersten Kurve auf und überließ Jock das Feld. Man konnte unschwer erkennen, dass ihr Herz nicht daran hing.

Als die Jungen kamen, sieben flaumige schwarze Wollknäuel, die im Hof herumkugelten und jedem zwischen die Füße gerieten, sah Jock nachsichtig zu, wie sie versuchten, ihm beim Wettlauf mit meinem Wagen zu folgen, und man meinte fast, ihn lachen zu sehen, wenn sie über ihre kurzen Beine stolperten und weit zurückblieben.

Dann kam ich etwa zehn Monate lang nicht auf den Hof, aber ich begegnete Robert Corner hin und wieder auf dem Markt, und er erzählte mir, dass er die jungen Tiere abrichte und sie sich gut entwickelten. Viel brauche er gar nicht mit ihnen zu üben, es läge ihnen im Blut. Kaum dass sie richtig laufen konnten, hätten sie versucht, die Rinder und Schafe zusammenzutreiben. Als ich sie schließlich wiedersah, hatte ich das Gefühl, sieben Jocks vor mir zu haben, und ich merkte bald, dass sie mehr als nur das Schafehüten von ihrem Vater gelernt hatten. Die Art, wie sie im Hof herumlungerten, als ich mich daranmachte, in den Wagen zu steigen, wie sie verstohlen hinter den Heuballen hervorlugten und sich mit betonter Gleichgültigkeit an einen günstigen Platz für einen raschen Start schlichen, war mir nur allzu vertraut. Und als ich mich auf meinem Sitz niederließ, spürte ich, dass sie alle darauf lauerten, die Verfolgung aufzunehmen.

Ich schaltete den Motor ein, ließ ihn auf vollen Touren laufen, legte krachend den Gang ein und fuhr schnell davon. Binnen einer Sekunde kamen sie alle aus ihrem Versteck hervorgeschossen. Sobald ich auf den Feldweg kam, gab ich Vollgas, und zu beiden Seiten meines Wagens stürmten Schulter an Schulter die kleinen Tiere dahin, in ihren Gesichtern jener gespannte, fanatische Ausdruck, den ich so gut kannte. Als Jock über die Mauer sprang, taten die sieben Jungen es ihm nach, doch beim Endspurt nach der Kurve bemerkte ich etwas Neues: während Jock bei früheren Gelegenheiten immer den Wagen im Auge behalten hatte – denn das war für ihn der Gegner –, blickte er jetzt auf den letzten fünfhundert Metern auf die Jungen, als seien sie seine Hauptkonkurrenten.

Und kein Zweifel, er hatte Schwierigkeiten. So gut er auch in Form war, diese kleinen Bündel aus Sehnen und Knochen, die er gezeugt hatte, waren ebenso schnell wie er und besaßen zudem die Zähigkeit der Jugend. Er musste seine ganze Kraft aufbieten, um mit ihnen Schritt zu halten. Und es gab sogar einen recht kritischen Augenblick, wo er stolperte und von den dahinrasenden Jungen eingeschlossen wurde; es schien, als ob alles verloren sei, aber in Jock steckte ein Kern aus Stahl. Wild kämpfte er sich durch die Meute, und bis wir zur Straße kamen, war er wieder an der Spitze.

Aber es hatte ihn arg mitgenommen. Ich verringerte das Tempo und blickte auf Jock hinunter, der mit heraushängender Zunge und fliegenden Flanken am Straßenrand stand. Er musste das Gleiche auch mit anderen Fahrzeugen erlebt haben, und es war kein lustiges Spiel mehr. Es klingt wahrscheinlich albern, wenn ich sage, man könne die Gedanken eines Tieres lesen, aber alles in Jocks Haltung verriet die steigende Befürchtung, dass die Tage seiner Vorherrschaft gezählt seien. Jeden Augenblick konnte ihm jetzt die unvorstellbare Schmach widerfahren, hinter seiner Nachkommenschaft zurückzubleiben, und als ich davonfuhr, blickte Jock mir nach, und er schien zu fragen:

«Wie lange kann ich das noch mitmachen?»

Ich hatte Mitleid mit dem kleinen Hund, und bei meinem nächsten Besuch, etwa zwei Monate später, bangte mir davor, die endgültige Entwürdigung erleben zu müssen, die ich für unvermeidlich hielt. Doch auf dem Hof herrschte nicht das gewohnte Leben und Treiben.

Robert Corner war im Kuhstall mit dem Einfüllen von Heu in die Futterraufen beschäftigt. Er drehte sich um, als ich hereinkam.

«Wo sind denn Ihre Hunde?», fragte ich.

Er ließ die Heugabel sinken. «Alle weg. Die Nachfrage nach gut abgerichteten Collies ist sehr groß, und ich habe, glaube ich, ein gutes Geschäft mit ihnen gemacht.»

«Aber Jock haben Sie doch behalten?»

«Natürlich, das brachte ich nicht übers Herz, mich von dem alten Kerl zu trennen. Er ist da drüben.»

Und tatsächlich, dort war er, schlich umher wie in alten Zeiten und gab vor, keinerlei Notiz von mir zu nehmen. Und als schließlich der große Augenblick kam und ich losfuhr, war alles wie früher: Entspannt, beglückt über das Spiel, sauste das kleine Tier neben dem Wagen her, schoss mühelos über die Mauer und jagte ohne jede Schwierigkeit dem Wagen voraus zur Straße hinunter.

Ich glaube, ich war ebenso erleichtert wie er, dass niemand ihm seine Vorherrschaft mehr streitig machte: dass er nach wie vor der Beste war.

Kapitel 2

Es war mein dritter Frühling in den Dales, und er war genau wie die beiden vorhergegangenen und wie alle danach. Das heißt, ein Frühling, wie ein Landtierarzt ihn kennt: das lärmende Durcheinander in den Pferchen, wo die Schafe lammten, das tiefe Geblöke der Mutterschafe und das hohe, beharrliche Brüllen der Lämmer. Darin kündigte sich für mich das Ende des Winters und der Beginn von etwas Neuem an – darin und in dem schneidenden Wind und dem harten, grellen Sonnenschein, der die kahlen Bergrücken überflutete.

Oben auf dem grasbewachsenen Hang standen in langer Reihe die notdürftig hergerichteten Pferche – Strohballen grenzten sie gegeneinander ab –, in denen sich jeweils ein Mutterschaf mit seinen Lämmern befand. Als ich dort eintraf, sah ich in der Ferne Rob Benson mit zwei Futtereimern näher kommen. Rob hatte alle Hände voll zu tun und ging zu dieser Zeit des Jahres etwa sechs Wochen lang überhaupt nicht zu Bett; er zog allenfalls seine Stiefel aus und döste nachts ein Weilchen am Küchenfeuer, aber er war sein eigener Schafhirte und entfernte sich niemals weit vom Schauplatz des Geschehens.

«Hab heut zwei Fälle für Sie, Jim.» Sein Gesicht, rissig und gerötet von Wind und Wetter, verzog sich zu einem Grinsen. «Weniger Sie selbst werden gebraucht als vielmehr Ihre kleine Frauenhand, und zwar ziemlich dringend.»

Er führte mich zu einem größeren Pferch, in dem sich mehrere Schafe befanden. Sie trippelten aufgeregt hin und her, als wir hineingingen, und versuchten zu entkommen, aber mit sicherem Griff hielt Rob eines fest. «Das hier ist das erste. Viel Zeit bleibt uns nicht, wie Sie sehen.»

Ich hob den wolligen Schwanz und hielt erschreckt die Luft an. Der Kopf des Lammes ragte aus der Vagina heraus und war zu mehr als seiner doppelten Größe angeschwollen. Die Augen wirkten wie aufgeblähte Schlitze, und die Zunge hing dem Tierchen blau und aufgetrieben aus dem Maul.

«Ich hab ja schon einige große Köpfe gesehn, Rob, aber dieser hier, glaube ich, übersteigt alles bisher Dagewesene.»

«Ja, das Kerlchen ist mit den Beinen nach hinten gekommen. Ich weiß, man muss sie rumbringen, aber mit solchen Flossen wie den meinen ist da nichts zu machen.» Er hielt mir seine riesigen Hände hin, die von den Jahren der Arbeit rau und geschwollen waren.

Während er sprach, zog ich mir meine Jacke aus, und als ich die Ärmel meines Hemdes hochkrempelte, traf der Wind wie ein Messer auf meine bloße Haut. Ich seifte mir rasch meine Rechte ein und begann, um den Hals des Lammes herum nach einem Zwischenraum zu suchen. Eine Sekunde lang öffneten sich die kleinen Augen und sahen mich tieftraurig an.

«Auf jeden Fall lebt es», sagte ich. «Aber ihm muss schrecklich zumute sein, und es kann doch nicht das Geringste dagegen tun.»

Behutsam tastete ich am Hals entlang und fand schließlich vorn an der Kehle einen Zwischenraum, wo ich durchzukommen hoffte. Bei solchen Gelegenheiten kam mir meine ‹kleine Frauenhand› zugute, und ich segnete sie jedes Frühjahr von neuem; ich konnte im Inneren der Muttertiere arbeiten, ohne ihnen viel Unbehagen zu verursachen, und das war von größter Wichtigkeit: durch das Leben im Freien sind Schafe zwar sehr widerstandsfähige Tiere, aber sie wollen zart angefasst werden.

Mit größter Vorsicht drang ich Zoll für Zoll an der lockigen Halswolle entlang bis zur Schulter vor, dann ein kleiner Schubs nach vorn, und ich konnte einen Finger um das Bein legen und behutsam daran ziehen, bis ich die Beugung des Knies fühlte; noch eine leichte Drehung, dann hatte ich den winzigen Fuß in der Hand und zog ihn sanft ans Tageslicht.

Damit war die Hälfte der Arbeit getan. Ich erhob mich von dem Sack, auf dem ich gekniet hatte, und ging zu dem Eimer mit warmem Wasser. Für das andere Bein wollte ich die linke Hand gebrauchen und seifte sie deshalb gründlich ein; eines der Mutterschafe, das seine Lämmer ehrfurchtsvoll umstanden, starrte mich dabei ungehalten an und stampfte warnend mit dem Fuß.

Ich kniete mich wieder hin, um die gleiche Prozedur noch einmal zu wiederholen, da schlüpfte plötzlich ein winziges Lämmchen unter meinem Arm hindurch und fing am Euter meiner Patientin an zu saugen. Und nach dem kleinen Schwänzchen zu schließen, das da dicht vor mir herumwirbelte, genoss es seine Mahlzeit in vollen Zügen.

«Wo kommt denn dieser kleine Bursche her?», fragte ich, ohne meine Arbeit zu unterbrechen.

Der Bauer lächelte. «Oh, das ist Herbert. Ein armer kleiner Kerl – seine Mutter will partout nichts von ihm wissen. Hat ihn vom ersten Augenblick an nicht gemocht, sondern kümmert sich nur um ihr anderes Lamm.»

«Ziehen Sie ihn mit der Flasche auf?»

«Nein, denn ich seh, dass er sich allein durchzuschlagen versteht. Flitzt von einem Mutterschaf zum andern und holt sich, sooft es geht, rasch ’n Schluck. Ich habe so etwas noch nicht erlebt.»

«Erst eine Woche alt und schon ein unabhängiger Geist, was?»

«Ja, Sie haben ganz recht, Jim. Da ich morgens sehe, dass sein Bauch voll ist, nehme ich an, seine Mutter lässt ihn während der Nacht doch mal trinken. Im Dunkeln kann sie ihn ja nicht sehen – und es scheint mit seinem Aussehen zu tun zu haben, weshalb sie ihn ablehnt.»

Ich beobachtete das kleine Geschöpf einen Augenblick. Für mich hatte es genauso viel x-beinigen Charme wie jedes andere. Schafe waren seltsame Wesen.

Bald hatte ich auch das zweite Bein draußen, und nachdem dieses Hindernis beseitigt war, folgte rasch das ganze Lamm. Es bot einen grotesken Anblick, wie es da auf dem Stroh lag; sein riesiger Kopf ließ den Körper winzig erscheinen, aber seine Flanken hoben und senkten sich beruhigend, und ich wusste, dass der Kopf ebenso schnell wieder zu seiner normalen Größe zusammenschrumpfen würde, wie er angeschwollen war. Ich tastete das Mutterschaf innerlich noch einmal ab, aber der Uterus war leer.

«Mehr ist nicht, Rob», sagte ich.

«Dacht ich mir fast», brummte der Bauer, «nur ein einziges großes Lamm. Aber die machen immer die meisten Schwierigkeiten.»

Während ich mir Hände und Arme abtrocknete, beobachtete ich Herbert. Er hatte meine Patientin verlassen, als sie sich umwandte, um ihr Lamm zu lecken, und wanderte jetzt prüfend zwischen den anderen Mutterschafen umher. Einige von ihnen verscheuchten ihn mit energischem Kopfschütteln, aber schließlich gelang es ihm doch, sich an ein großes, kräftig gebautes Schaf heranzuschleichen. Kaum hatte Herbert seinen Kopf unter das Tier geschoben, als es sich umdrehte und mit seinem harten Schädel heftig zustieß, sodass Herbert hoch durch die Luft flog und mit einem dumpfen Aufprall auf dem Rücken landete. Als ich eilig auf ihn zulief, sprang er auf und trabte davon.

«Alte Gifthexe!», rief der Bauer achselzuckend, als ich mich ihm fragend zuwandte. «Ich weiß, für den Kleinen ist es schwer, aber ich hab das Gefühl, er will es lieber so, als mit den anderen Neugeborenen im Pferch gehalten und zusätzlich gefüttert zu werden. Sehen Sie sich das an!»

Unerschrocken näherte sich Herbert einem anderen Mutterschaf, und als das Tier sich über den Futtertrog beugte, schnappte er nach dem Euter, und wieder trat der kleine Schwanz in Aktion. Kein Zweifel, dieses Lamm hatte Mumm.

«Wie kommen Sie gerade auf Herbert?», fragte ich Rob, als er meine zweite Patientin einfing.

«Ach, das ist der Name meines jüngsten Buben, und das Tierchen ist genau wie er. Muss auch immer seinen Kopf durchsetzen und hat vor nichts Angst.»

Ich untersuchte das zweite Schaf. Hier gab es ein herrliches Durcheinander von drei Lämmern; kleine Köpfe und Beine, ein winziger Schwanz, alle wollten hinaus ins Freie und hinderten einander doch aufs schönste daran, sich auch nur einen Zoll zu bewegen.

«Quält sich schon den ganzen Morgen herum und kann nicht werfen», sagte Rob. «Da muss doch etwas nicht in Ordnung sein.»

Mit einer Hand behutsam in der Gebärmutter umhertastend, machte ich mich daran, das Knäuel zu entwirren, eine Arbeit, die mir immer großes Vergnügen machte. Ich musste einen Kopf und zwei Beine zu fassen haben, um ein Lamm auf die Welt befördern zu können – aber sie mussten zu demselben Lamm gehören, sonst saß ich in der Tinte. Das bedeutete, jedes Bein in seiner ganzen Länge abzutasten, um herauszufinden, ob es sich um ein hinteres oder um ein vorderes handelte, und ob es sich mit dem Rücken verband oder sich in der Tiefe verlor.

Nach ein paar Minuten hatte ich ein Lämmchen mit all seinen Gliedern beieinander, doch als ich die Beine ans Tageslicht brachte, verdrehte sich der Hals, und der Kopf glitt zurück; es gab kaum genügend Platz, dass er zusammen mit den Schultern durch das Becken kommen konnte, und ich musste ihn mit einem Finger in der Augenhöhle behutsam hindurchziehen. Die Knochen pressten sich schmerzhaft gegen meine Hand, aber nur für ein paar Sekunden, denn das Mutterschaf gab der Sache noch einen letzten Schub, und die kleine Nase kam zum Vorschein. Der Rest war ein Kinderspiel, und wenige Augenblicke später lag das winzige Geschöpf im Gras. Es schüttelte ein paarmal krampfhaft den Kopf, und der Bauer rieb es rasch mit Stroh ab, ehe er es der Mutter hinschob.

Sofort fing sie an, ihm Gesicht und Hals zu lecken, wobei sie jene tiefen, glucksenden Laute der Zufriedenheit von sich gab, wie man sie nur zu dieser Zeit von einem Schaf zu hören bekommt. Und diese wohligen Laute waren auch dann noch zu vernehmen, als ich zwei weitere Lämmer, eines davon mit dem Hinterteil zuerst, ans Tageslicht beförderte, und beim Abtrocknen meiner Arme sah ich dem Muttertier zu, wie es erfreut an seinen Drillingen herumschnüffelte.

Bald fingen die Kleinen an, ihr mit zitternden, hohen Rufen zu antworten, und als ich meine Jacke anzog, versuchte Lamm Nummer eins schon, sich auf die Knie zu rappeln; aber es gelang ihm noch nicht ganz, und es fiel ein ums andre Mal vornüber, doch es kannte sein Ziel genau: mit einer Hartnäckigkeit, die bald belohnt werden würde, steuerte es auf das Euter zu.

Ein eisiger Wind wehte mir über die Strohballen hinweg ins Gesicht, doch ich merkte es kaum, so friedvoll war die Szene, die sich mir bot. Dies war stets der schönste Teil, das Wunder, das immer wieder neu war, das Geheimnis der Natur, das man sich nicht erklären konnte.

Ein paar Tage später rief Rob Benson mich abermals an. Es war ein Sonntagnachmittag, und seine Stimme klang höchst beunruhigt.

«Jim, da war ein Hund zwischen meinen trächtigen Schafen. Irgendwelche Leute waren um die Mittagszeit mit dem Wagen hier oben. Mein Nachbar sagte, sie hatten einen Wolfshund dabei, der die Schafe quer übers ganze Feld jagte. Es sieht schlimm aus, glauben Sie’s mir. Ich mag gar nicht hinschauen.»

«Ich komme sofort.» Ich legte den Hörer auf und lief rasch zum Wagen hinaus. Mir war Angst und Bange vor dem, was mich dort oben erwartete. Im Geist sah ich die hilflosen Tiere mit durchgebissener Kehle daliegen, über und über mit schrecklichen Wunden bedeckt. Das hatte ich schon erlebt. Einige von den Tieren waren vielleicht noch zu retten und würden genäht werden müssen – in Gedanken überprüfte ich unterwegs den Vorrat an Katgut, den ich im Kofferraum hatte.

Die trächtigen Schafe befanden sich auf einer neben der Straße gelegenen Weide, und mit klopfendem Herzen blickte ich über den Zaun. Es war noch schlimmer, als ich gefürchtet hatte: Der lange, schmale Grashang war mit niedergestreckten Schafen übersät – es müssen rund fünfzig Stück gewesen sein, die da auf dem Grün lagen.

Rob stand jenseits des Zauns. Er sah mich kaum an. Machte nur eine Bewegung mit dem Kopf.

«Sagen Sie mir, was Sie davon halten. Ich trau mich nicht einen Schritt weiter.»

Ich ließ ihn stehen und ging zwischen den unglücklichen Geschöpfen umher, drehte sie um, hob ihre Beine, teilte das Fell am Hals, um sie zu untersuchen. Sie waren alle mehr oder weniger ohne Bewusstsein; keines von ihnen konnte aufstehen. Mich überkam eine zunehmende Verwirrung, während ich da von einem Tier zum anderen ging. Schließlich rief ich den Bauern.

«Sehen Sie sich das mal an», sagte ich, als Rob Benson zögernd näher kam. «Das ist höchst seltsam. Nirgends auch nur ein Tropfen Blut oder eine Wunde, und trotzdem liegen sie alle wie tot da. Ich verstehe das nicht.»

Rob beugte sich vor und hob sanft den kraftlos herabhängenden Kopf eines Schafes. «Ja, Sie haben recht. Verflixt nochmal, was ist denn bloß mit ihnen los?»

Auf der Stelle wusste ich ihm keine Antwort zu geben, aber irgendwo in meinem Kopf regte sich eine schwache Erinnerung. Irgendwie war mir der Anblick des Schafes vertraut, das der Bauer da gerade angefasst hatte. Es war eines von den wenigen, die imstande waren, sich auf die Brust zu stützen, und es lag mit ausdruckslosen Augen da, blind gegen alles; aber … dieses trunkene Nicken des Kopfes, dieses wässrige Nasensekret … das hatte ich schon gesehen. Ich kniete mich neben das Schaf, und als ich mein Gesicht dicht an das seine legte, hörte ich bei jedem seiner Atemzüge ein schwaches gurgelndes Geräusch, beinahe wie ein Rasseln. Da wusste ich Bescheid.

«Kalziummangel», rief ich und eilte den Hang hinunter zum Wagen.

Rob lief neben mir her. «Aber wieso denn? Daran leiden sie doch erst nach dem Lammen, oder?»

«Ja, für gewöhnlich», erwiderte ich atemlos. «Aber plötzliche Anstrengung oder Schreck können ihn ebenfalls verursachen.»

«Das hab ich nicht gewusst», keuchte Rob. «Wie kommt das?» Ich schwieg. Mir stand der Sinn im Augenblick nicht danach, ihm einen Vortrag über die Auswirkungen einer plötzlichen Funktionsstörung der Nebenschilddrüse zu halten, sondern ich fragte mich voller Sorge, ob mein Kalziumvorrat wohl für fünfzig Schafe ausreichte. Doch aus dem Kofferraum blickte mir glücklicherweise eine lange Reihe von runden Blechverschlüssen entgegen; offenbar hatte ich meine Vorräte kürzlich erst aufgefüllt.

Beim ersten Schaf machte ich eine intravenöse Injektion, um meine Diagnose zu prüfen – Kalzium wirkt sofort bei Schafen –, und beobachtete mit freudiger Erregung, wie das bewusstlose Tier zu blinzeln begann, sich schüttelte und dann versuchte, sich auf die Brust zu drehen.

«Die anderen spritzen wir unter die Haut», sagte ich. «Das spart Zeit.»

Schaf für Schaf arbeitete ich mich das Feld hinauf. Rob zog das Vorderbein des jeweiligen Schafes nach vorn, sodass ich die Nadel in den kleinen Flecken nackter Haut knapp über dem Ellbogen einstechen konnte; und ich war kaum auf halber Höhe des Hanges angelangt, da wanderten die Schafe unten bereits umher und beugten sich über Futtertröge und Heuraufen.

Es war eines der befriedigendsten Erlebnisse meiner Praxis. Keine große Tat, aber eine magische Verwandlung: innerhalb weniger Minuten von Verzweiflung zu Hoffnung, vom Tod zum Leben.

Ich warf die leeren Fläschchen in den Kofferraum, als Rob zu mir trat. Er blickte staunend zu dem Schaf ganz oben auf dem Hang hinauf, das ich zuletzt behandelt hatte und das sich jetzt auf die Füße rappelte.

«Also, Jim, so etwas habe ich noch nicht erlebt. Aber wissen Sie, eins begreife ich nicht.» Er drehte mir sein von Wind und Wetter gegerbtes Gesicht zu, in dem ein Ausdruck von Verwirrung lag. «Ich kann verstehn, dass es einige von den Mutterschafen krank macht, von einem Hund gejagt zu werden, aber warum, zum Teufel, haben gleich alle daran glauben müssen?»

«Das weiß ich auch nicht, Rob», sagte ich.

Und auch jetzt, dreißig Jahre später, frage ich mich das immer noch. Ich weiß bis heute nicht, warum, zum Teufel, gleich alle daran glauben mussten.

 

Da ich der Ansicht war, Rob habe zurzeit genügend Sorgen, verschwieg ich ihm meine Beunruhigung, dass die Geschichte mit dem Wolfshund doch noch weitere Folgen haben könnte. Und so überraschte es mich nicht, als ich wenige Tage später ein weiteres Mal zur Benson-Farm gerufen wurde.

Ich traf Rob wieder oben auf dem Hügel, wo immer noch der gleiche Wind über die aus Strohballen improvisierten Verschläge peitschte. Eine wahre Geburtenwelle war ausgebrochen, und der Lärm war größer denn je. Rob führte mich zu meiner Patientin.

«Ich glaube, die da hat nur tote Lämmer im Bauch», sagte er, auf ein Mutterschaf deutend, das mit herabhängendem Kopf und keuchenden Flanken dastand. Es machte keine Anstalten, davonzulaufen, als ich mich ihm näherte; das Tier war wirklich krank, und als mir der Gestank von Fäulnis in die Nase drang, wusste ich, dass die Diagnose des Bauern richtig war.

«Bei einem musste nach dieser Sache ja was passieren», sagte ich.

«Das wundert mich gar nicht. Nun, lassen Sie uns sehen, was wir machen können.»

Eine Arbeit wie diese machte nicht den geringsten Spaß, aber sie musste getan werden, um das Mutterschaf zu retten. Die Lämmer waren verwest, ihre Bäuche aufgetrieben. Ich enthäutete die Beine mit einem scharfen Skalpell bis zu den Schultern, um die kleinen Körper mit dem geringsten Unbehagen für die Mutter herausholen zu können. Als ich fertig war, hing der Kopf des Mutterschafes fast bis zum Boden, es atmete keuchend und knirschte mit den Zähnen. Ich hatte ihm nichts zu bieten – kein zappelndes kleines Wesen, das es lecken und das seine Lebensgeister wieder wecken konnte. Was es brauchte, war eine Penicillinspritze, aber wir schrieben das Jahr 1939, wo es noch keine Antibiotika gab.

«Das Tier ist schlimm dran», brummte Rob. «Sehen Sie irgendwelche Hoffnung?»

«Ich lege einige Pessare ein und gebe ihm eine Spritze, aber viel wichtiger wäre ein kleines Lämmchen, für das es sorgen kann. Sie wissen so gut wie ich, Rob, dass Mutterschafe in diesem Zustand für gewöhnlich aufgeben, wenn sie nichts haben, womit sie sich beschäftigen können. Haben Sie nicht irgendein Neugeborenes, das wir ihm unterschieben können?»

«Nein, im Augenblick nicht. Und gerade jetzt braucht es eins. Morgen ist es zu spät.»

Just in diesem Moment kam eine bekannte Gestalt in Sicht – Herbert, das Lämmchen, von dem niemand etwas wissen wollte, leicht zu erkennen an der Art, wie es sich auf Nahrungssuche von einem Schaf zum anderen bewegte.

«Was meinen Sie, ob unser Schaf hier den kleinen Burschen annehmen würde?», fragte ich den Bauern.

Er blickte zweifelnd drein. «Ja, ich weiß nicht – er ist immerhin schon fast zwei Wochen alt. Ein Neugeborenes wäre besser.»

«Aber finden Sie nicht, wir sollten es versuchen? Und den alten Trick probieren?»

Rob grinste. «Na gut, versuchen wir’s. Wir haben ja nichts zu verlieren. Viel größer als ein Neugeborenes ist der kleine Kerl ja nicht. Ist nicht so schnell gewachsen wie seine Altersgenossen.» Er zog sein Taschenmesser heraus, enthäutete rasch eines der toten Lämmer und band das Fell über Herberts Rücken.

Und das Lamm, resolut wie es war, begab sich schnurstracks unter das kranke Mutterschaf und fing an zu saugen. Anscheinend hatte es nicht viel Erfolg, denn es versetzte dem Euter ein paar energische Stöße mit seinem harten Schädel; gleich darauf wackelte das Schwänzchen.

«Jedenfalls darf er ein paar Schlucke trinken», sagte Rob lachend.

Herbert war nicht von der Sorte, die man übersehen konnte, und das große Schaf, so krank es auch war, musste einfach den Kopf wenden und ihm einen Blick schenken. Es beschnüffelte misstrauisch das übergebundene Fell, fuhr ein paarmal rasch mit der Zunge darüber und ließ dann das vertraute tiefe Glucksen ertönen.

Ich suchte meine Instrumente zusammen. «Ich hoffe, er schafft’s», sagte ich. «Die beiden brauchen einander.» Als ich die Weide verließ, war Herbert in seinem neuen Kleid noch immer eifrig am Trinken.

 

In der folgenden Woche schien ich kaum in meine Jacke zu kommen. Die mit dem Lammen verbundene Flut von Arbeit war auf ihrem Höhepunkt, und ich verbrachte allein viele Stunden täglich damit, meine Arme in allen Ecken und Enden des Bezirks in Eimer mit heißem Wasser zu tauchen – in den Schafpferchen, in dunklen Winkeln von Wirtschaftsgebäuden oder häufig auch unter freiem Himmel, denn zu jener Zeit fanden die Bauern nichts dabei, einen Tierarzt stundenlang in Hemdsärmeln im Regen knien zu sehen.

Ich wurde noch einmal auf Rob Bensons Hof gerufen, zu einem Mutterschaf mit einem Uterusvorfall nach dem Lammen – eine vergnügliche Arbeit im Vergleich zu der ungeheuren Mühe, die es kostet, den Uterus einer Kuh zu reponieren.

Es war wirklich ein Kinderspiel: Rob rollte das Schaf auf die Seite, dann band er ihm einen Strick um die Hinterbeine und legte sich das Seil um den Hals. In dieser Stellung, mit den Hinterbeinen nach oben, konnte das Tier keinen Widerstand leisten. Ich desinfizierte das Organ, schob es mühelos zurück und langte zum Schluss behutsam mit dem Arm hinein, um es vollständig in die alte Lage zurückzubringen.

Kurz darauf trottete das Mutterschaf gelassen mit seinen Jungen davon, um sich zu der schnell wachsenden Herde zu gesellen, deren Blöken uns von allen Seiten umgab.

«Da, sehen Sie mal!», rief Rob. «Da ist das alte Mutterschaf mit Herbert. Da drüben rechts – in der Mitte dieser Gruppe.» Für mich sahen sie alle gleich aus, aber für Rob waren sie, wie für alle Schäfer, so verschieden wie Menschen, und er hatte die beiden sofort erkannt.

Sie grasten am oberen Ende des Feldes, und da ich mir beide genauer ansehen wollte, manövrierten wir sie in eine Ecke. Eifersüchtig seinen Besitz verteidigend, stampfte das Mutterschaf unwillig mit dem Fuß, als wir näher kamen, und Herbert, der sein wolliges Überkleid längst abgeworfen hatte, hielt sich dicht neben seiner neuen Mutter. Mir kam es vor, als habe er ganz schön Fett angesetzt.

«Na, von unterentwickelt kann jetzt wohl keine Rede mehr sein, Rob», sagte ich.

Der Bauer lachte. «Nein, die Alte hat ein Euter wie ’ne Kuh, und Herbert kriegt den ganzen Segen. Er hat weiß Gott das große Los gezogen, aber zugleich dem Schaf das Leben gerettet – es wäre uns glattweg eingegangen, doch inzwischen geht es ständig bergauf mit ihm.»

Ich blickte über die Hunderte von Schafen, die auf den Weiden umherwanderten. Dann wandte ich mich dem Bauern zu. «In den letzten Wochen haben Sie mich ja ein bisschen sehr oft zu sehen bekommen, Rob. Das heute ist hoffentlich das letzte Mal.»

«Ja, das denk ich fast. Jetzt sind wir ja allmählich durch … aber das Lammen ist ’ne höllische Zeit, nicht wahr?»

«Ja, das ist es. Aber jetzt muss ich weiter – machen Sie’s gut, Rob.» Ich drehte mich um und stieg den Hang hinunter, die Arme rau und wund unter der Jacke, das Gesicht von dem ewigen Wind gepeitscht, der in Böen über die Felder pfiff. Unten am Gatter blieb ich stehen und blickte zurück auf die weite Landschaft, die noch von den letzten Resten des winterlichen Schnees gestreift war, und auf die dunkelgrauen Wolkenbänke, die, von strahlend blauen Seen gefolgt, vor dem Wind dahintrieben; und in Sekundenschnelle waren die Felder und Wälder und Wiesen in leuchtendes Leben getaucht, und ich musste die Augen schließen vor dem grellen Glanz der Sonne. Ganz von fern drang ein schwaches Lärmen an mein Ohr, ein stürmischer Zusammenklang vom tiefsten Bass bis zum höchsten Diskant: fordernd, besorgt, zornig, liebkosend.

Die uralten Laute der Schafe, die uralten Laute des Frühlings.

Kapitel 3

«Diese Masticks», sagte Mr. Pickersgill sachverständig, «ist wirklich eine regelrechte Plage.»

Ich pflichtete ihm mit einem Kopfnicken bei, denn in seinem Fall war wirklich Grund zur Besorgnis gegeben, und überlegte mir gleichzeitig, dass es typisch Mr. Pickersgill war, den wenn auch nicht ganz korrekten wissenschaftlichen Ausdruck zu gebrauchen, während die meisten anderen Bauern sich mit dem landläufigen Wort ‹Euterentzündung› begnügt hätten.

Er traf für gewöhnlich nicht allzu weit daneben – die meisten seiner Versuche waren knappe Fehlschlüsse, deren Ursprung durchaus noch zu erkennen war –, aber ich konnte mir nie recht erklären, wie er auf Masticks kam. Ich wusste jedoch, sobald er sich erst einmal auf einen Ausdruck festgelegt hatte, ging er nie wieder davon ab: eine Mastitis war für ihn von jeher ‹diese Masticks›, und so würde es auch bleiben. Und ich wusste auch, dass er hartnäckig darauf bestehen würde, recht zu behalten. Das hatte damit zu tun, dass Mr. Pickersgill eine in seinen Augen ‹akademische Vergangenheit› hatte. Er war um die sechzig und hatte in seiner Jugend einmal an einem zweiwöchigen Instruktionskursus für Landwirte an der Universität von Leeds teilgenommen. Dieser kurze Einblick in das akademische Leben hatte einen unauslöschlichen Eindruck auf ihn gemacht, und es war, als hätte die Andeutung von etwas Tiefem und Wahrem hinter den Tatsachen seiner täglichen Arbeit eine Flamme in ihm angefacht, die sein ganzes späteres Leben erhellte.

Keine würdevolle akademische Respektsperson hat je mit größerer Sehnsucht auf die zwischen den Turmspitzen von Oxford verbrachten Jahre zurückgeblickt als Mr. Pickersgill auf seinen zweiwöchigen Kursus in Leeds, und kaum je verfehlte er im Gespräch die Anspielung auf einen göttergleichen Professor Malleson – vermutlich der Leiter des Kursus.

«Ich weiß nicht, was ich davon halten soll», fuhr er fort. «Ich habe auf der Universität gelernt, dass es bei dieser Masticks immer ein großes, geschwollenes Euter und unsaubere Milch gibt, aber dies hier muss ’ne andere Art sein. Nur hin und wieder ein paar Flocken in der Milch, sonst nichts, aber ich hab’s gründlich satt, das kann ich Ihnen sagen.»

Mrs. Pickersgill hatte eine Tasse Tee vor mir auf den Küchentisch gestellt, und ich trank einen Schluck. «Ja, die Sache ist wirklich sehr beunruhigend. Ich bin sicher, es gibt eine ganz eindeutige Erklärung dafür – wenn ich nur wüsste, was.»

Aber in Wirklichkeit glaubte ich ziemlich genau zu wissen, was dahintersteckte. Ich war zufällig an einem Spätnachmittag einmal in den Kuhstall gekommen, als Mr. Pickersgill und seine Tochter Olive beim Melken ihrer zehn Kühe waren. Ich hatte den beiden zugesehen, und es sprang sofort in die Augen, dass Olive der Kuh die Milch durch fast unmerklich pressendes Streichen der Euterzitzen mit den Fingern entzog, während ihr Vater derart ungestüm an den Zitzen zerrte, als gelte es, das neue Jahr einzuläuten.

Diese kurze Beobachtung, verbunden mit der Tatsache, dass es immer nur bei den von Mr. Pickersgill gemolkenen Kühen jene Entzündung gab, genügte, mich davon zu überzeugen, dass die chronische Mastitis traumatischen Ursprungs war.

Aber wie sollte ich dem Bauern beibringen, dass es an ihm lag, dass er sein Handwerk nicht verstand und das Problem sich nur lösen ließ, wenn er entweder eine sanftere Methode anwendete oder Olive das Melken allein überließ?

Es würde nicht leicht sein, denn Mr. Pickersgill war eine eindrucksvolle Persönlichkeit. Ich bin sicher, dass er nicht einen roten Heller übrig hatte, aber selbst in dem zerschlissenen, kragenlosen Hemd mit den Hosenträgern darüber sah er noch wie ein Industriemagnat aus. Der wuchtige Schädel mit den fleischigen Wangen, der edlen Stirn und dem offenen Blick hätte einem ohne weiteres aus dem Wirtschaftsteil der Times entgegenblicken können. In gestreiften Hosen und mit einer Melone auf dem Kopf hätte man den perfekten Aufsichtsratsvorsitzenden vor sich gehabt.

Diese angeborene Würde durfte ich nicht gedankenlos verletzen, denn Mr. Pickersgill war im Grunde ein ausgezeichneter Viehzüchter. Der nicht sehr große Bestand an Kühen war – was übrigens für sämtliche Tiere jenes rasch aussterbenden Schlags von Kleinbauern zutraf – wohlgenährt, gepflegt und sauber. Man musste eben für das Vieh sorgen, wenn es die einzige Einkommensquelle darstellte, und dank der Milch, die seine Kühe gaben, und dem regelmäßigen Verkauf von ein paar Schweinen, dazu die Hühnereier von rund fünfzig Hennen, gelang es Mr. Pickersgill schlecht und recht, die Familie durchzubringen.

Mir war nie ganz klar, wie sie es fertig brachten, aber sie schafften es und waren glücklich. Alle Kinder außer Olive hatten geheiratet und waren fortgezogen, aber noch immer bemerkte man eine gewisse Schicklichkeit und Harmonie bei ihnen. Die augenblickliche Szene war typisch: während der Bauer in gesetztem Ton über seine Probleme sprach, machte sich Mrs. Pickersgill im Hintergrund zu schaffen und hörte ihm mit ruhigem Stolz zu. Auch Olive war glücklich und zufrieden. Sie war zwar schon Ende Dreißig, aber sie hatte keine Angst sitzen zu bleiben, denn seit fünfzehn Jahren machte ihr Charlie Hudson vom Fischladen in Darrowby beharrlich den Hof, und wenn Charlie auch kein stürmischer Freier war, hatte er doch nichts von einem Windhund an sich, und man rechnete zuversichtlich damit, dass er Olive im Laufe der nächsten zehn Jahre einen Heiratsantrag machen würde.

Mr. Pickersgill bot mir ein weiteres Brötchen mit Butter an, und als ich dankend ablehnte, räusperte er sich ein paarmal, als