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James Herriot

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Beschreibung

Kätzchen und Kuhschwänze: der abenteuerliche Alltag eines Tierarztes in Yorkshire Ein Tierarzt, der auch als Erzähler ein Naturtalent ist und der mit seinen Büchern weltberühmt wurde, erinnert sich an all die verrückten, komischen, manchmal auch traurigen Fälle aus den Anfängen seiner Landpraxis. Auch als Fernsehserie ein großer Publikumserfolg.

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James Herriot

Der Tierarzt kommt

Die dritte Folge der heiteren Tierarztgeschichten

Deutsch von Helmut Kossodo

Kapitel 1

Kein Tier ist wie das andere.

Viele Leute glauben, meine Patienten seien alle gleich, aber Kühe, Schweine, Schafe und Pferde können launisch, bösartig, störrisch oder auch folgsam, geduldig und lieb sein.

Da war zum Beispiel ein ganz besonderes Schwein namens Gertrud, aber bevor ich zu ihr komme, muss ich bei Mr.Barge beginnen. Die jungen Leute, die uns Tierärzten heutzutage Arzneimittel anbieten, bezeichnen wir schlicht als Vertreter, aber als Berufsbezeichnung für Mr.Barge wäre uns das niemals eingefallen. Er war in jeder Hinsicht ein Repräsentant der Chemischen Manufaktur Cargill und Söhne, gegründet 1850, und er war so alt, dass man hätte annehmen können, er habe schon immer dazugehört.

An einem eisigen Wintermorgen öffnete ich die Haustür. Draußen stand Mr.Barge. Er lüftete kurz den schwarzen Hut über seinem Silberhaar, und sein rosiges Gesicht blühte in einem wohlwollenden Lächeln auf. Er behandelte mich immer wie einen Lieblingssohn, und in Anbetracht seiner Würde war das ein Kompliment.

«Mr.Herriot», flüsterte er mit einer leichten Verbeugung. Die Geste war sehr würdevoll und passte zu seinem dunklen Gehrock, den gestreiften Hosen und der auf Hochglanz polierten Aktentasche.

«Bitte, kommen Sie herein, Mr.Barge», sagte ich.

Er kam stets um die Mittagszeit und blieb zum Essen. Mein junger Chef, Siegfried Farnon, der sich sonst nicht leicht beeindrucken ließ, behandelte ihn mit großem Respekt. Mr.Barge war eine Art Staatsgast für uns.

Der moderne Vertreter kommt kurz vorbei, erwähnt beiläufig, wie sich Antibiotika im Blutspiegel niederschlagen, weist auf den Mengenrabatt hin, legt die Bestellzettel auf den Tisch und eilt davon. Eigentlich tun mir diese jungen Leute leid, denn sie verkaufen alle das Gleiche.

Mr.Barge dagegen hatte – wie es zu seiner Zeit üblich war – einen dicken Katalog ausgefallener Heilmittel bei sich, die alle exklusiv von seiner Firma hergestellt wurden.

Siegfried wies ihm den Ehrenplatz am Mittagstisch zu und rückte ihm den Stuhl zurecht. «Bitte, nehmen Sie doch Platz, Mr.Barge.»

«Sehr liebenswürdig von Ihnen.»

Wie gewöhnlich wurde während des Essens nicht über Geschäfte gesprochen, und erst beim Kaffee ließ Mr.Barge ganz beiläufig seinen Katalog auf den Tisch gleiten, als ob dieser Teil seines Besuches ganz nebensächlich sei.

Siegfried und ich blätterten in dem Buch und genossen jenen Hauch von Hexenkunst, den der Wind der Wissenschaft aus unserem Beruf vertrieben hat. Hie und da gab mein Chef eine Bestellung auf.

«Wir brauchen wieder Latwerge. Schreiben Sie uns bitte zwei Dutzend Packungen auf, Mr.Barge.»

«Vielen Dank.» Der alte Herr öffnete sein ledernes Bestellbuch und machte die Eintragung mit seinem silbernen Bleistift.

«Und Fiebertränke…» Siegfried schaute mich an. «Wie steht es damit, James? Ja. Ein Gros könnten wir brauchen.»

«Bin Ihnen sehr verbunden», hauchte Mr.Barge und schrieb es auf.

Mein Chef bestellte noch Salpetergeist, Formalin, Kastrationsklemmen, Kaliumbromid, Teersalbe – alles Dinge, die heute nicht mehr verwendet werden–, und Mr.Barge bestätigte jeden Auftrag mit einem feierlichen «verbindlichen Dank» oder «recht herzlichen Dank» und einer schwungvollen Eintragung mit dem Silberbleistift.

Schließlich lehnte sich Siegfried in seinem Stuhl zurück. «Nun, das wär’s wohl, Mr.Barge – oder haben Sie noch etwas Neues zu bieten?»

«Zufällig haben wir das, mein lieber Mr.Farnon.» Die Augen blinzelten im rosigen Gesicht. «Ich kann Ihnen unser neuestes Präparat empfehlen. Relax, ein herrliches Beruhigungsmittel.»

Das ließ uns aufhorchen. Jeder Tierarzt ist besonders an Beruhigungsmitteln interessiert. Alles, was unsere Patienten gefügiger macht, ist ein Segen. Mr.Barge erläuterte die einzigartigen Eigenschaften von Relax, und wir stellten zusätzliche Fragen.

«Wie ist es mit Säuen, die ihre Jungen anfallen?», fragte ich. «Nützt es da was?»

«Mein lieber junger Herr.» Mr.Barges Lächeln glich dem eines Bischofs, der einen jungen Priester auf Abwegen ertappt hat. «Relax ist spezifisch für solche Fälle entwickelt worden. Eine einzige Injektion bei der werfenden Sau, und Sie haben keine Probleme mehr.»

«Großartig», sagte ich. «Und wie wirkt es auf Hunde, die das Autofahren nicht vertragen?»

Die edlen Züge verklärten sich in stillem Triumph. «Ebenfalls eine klassische Anwendungsmöglichkeit, Mr.Herriot. Eigens dafür gibt es Relax in Tablettenform.»

«Ausgezeichnet.» Siegfried trank seine Tasse aus und stand auf. «Schicken Sie uns davon bitte einen reichlichen Vorrat. Wenn Sie uns jetzt bitte entschuldigen wollen, Mr.Barge – wir müssen auf unsere Nachmittagstour. Besten Dank für Ihren Besuch.»

Wir gaben uns die Hände. Vor dem Haus lüftete Mr.Barge abermals den Hut, und die feierliche Visite war beendet.

Eine Woche später traf die bei Cargill und Söhne bestellte Ware ein. Medikamente wurden damals in Teekisten versandt, und als ich den Holzdeckel abnahm, interessierte ich mich besonders für das schön verpackte Relax in Ampullen- und Tablettenform. Und seltsamerweise hatte ich sofort Verwendung dafür.

Mr.Ronald Beresford, ein Bankdirektor, kam in die Praxis.

«Mr.Herriot», sagte er. «Wie Sie wissen, habe ich hier einige Jahre die Bank geleitet, aber man hat mir die Leitung einer größeren Zweigstelle im Süden angeboten, und ich fahre morgen nach Portsmouth.» Er blickte mich aus seiner Höhe kühl und herablassend wie immer an.

«Portsmouth? Donnerwetter, da haben Sie einen weiten Weg.»

«Ja, so ist es. Etwa fünfhundert Kilometer. Und ich habe da ein Problem.»

«Ein Problem?»

«Leider ja. Vor kurzem habe ich einen sechs Monate alten Cockerspaniel erworben, und er ist sonst ein ausgezeichneter kleiner Hund, aber im Wagen führt er sich äußerst seltsam auf.»

«Was macht er denn?»

Er zögerte. «Er ist jetzt draußen. Wenn Sie einen Augenblick Zeit haben, kann ich es Ihnen vorführen.»

«Natürlich», sagte ich. «Ich komme gleich mit.»

Wir gingen zum Wagen. Seine Frau saß auf dem Beifahrersitz, und sie war so dick, wie er mager war, war jedoch genauso herablassend wie er. Sie nickte mir kühl zu, aber der hübsche kleine Hund auf ihrem Schoß begrüßte mich begeistert.

Ich streichelte ihm die langen seidigen Ohren. «Ein lieber kleiner Kerl.»

Mr.Beresford sah mich von der Seite an. «Ja. Er heißt Coco, und er ist wirklich reizend. Aber sobald der Motor läuft – dann fängt der Ärger an.»

Ich setzte mich auf den Rücksitz, Mr.Beresford ließ den Motor an, und wir fuhren los. Mir wurde sofort klar, was er meinte. Der Spaniel machte sich steif, stieß die Schnauze bis an die Wagendecke und brach in ein schrilles Heulen aus.

«Huuh, huuh, huuh, huuh», jaulte Coco.

Ich war wirklich erschrocken, denn etwas Derartiges hatte ich noch nie gehört. Ich weiß nicht, woran es lag – ob an der Gleichmäßigkeit der Jauler, am durchdringend schrillen Ton oder daran, dass Coco sich keine Pause gönnte–, jedenfalls bohrte sich das Jaulen in mein Gehirn, und nach zwei Minuten dröhnte mir der Schädel. Ich atmete auf, als wir wieder vor der Praxis hielten.

Mr.Beresford stellte den Motor ab – und damit auch den Lärm, denn das kleine Tier beruhigte sich augenblicklich und leckte mir die Hand.

«Ja», sagte ich. «Das ist wahrhaftig ein Problem.»

Er zog nervös an seinem Schlips. «Und je länger man fährt, desto lauter wird es. Wenn Sie noch etwas Zeit haben, kann ich es Ihnen…»

«Nein, nein, nein», unterbrach ich ihn hastig, «das ist nicht nötig. Ich weiß schon Bescheid. Aber schließlich haben Sie Coco ja noch nicht lange, und außerdem ist er fast noch ein Baby. Ich bin sicher, dass er sich mit der Zeit ans Autofahren gewöhnt.»

«Das ist durchaus möglich.» Mr.Beresford klang leicht gereizt. «Aber ich denke an morgen. Ich muss mit meiner Frau und diesem Hund nach Portsmouth fahren, und ich habe es mit Pillen gegen Reisekrankheit versucht – aber vergeblich.»

Dieses Gejaule einen ganzen Tag lang aushalten zu müssen war eine grauenhafte Vorstellung, aber da kam mir der rettende Gedanke. Wie ein ältlicher Schutzengel erschien Mr.Barge vor meinem geistigen Auge. Welch ein unglaublicher Glücksfall!

Ich lächelte zuversichtlich. «Gerade ist ein neues, sehr wirksames Mittel für solche Fälle auf den Markt gekommen», sagte ich. «Und durch einen glücklichen Zufall ist es heute bei uns eingetroffen. Kommen Sie herein, ich gebe es Ihnen mit.»

«Na, Gott sei Dank.» Mr.Beresford musterte die Packung. «Also eine halbe Stunde vor der Abfahrt eine Tablette, und dann ist alles in Ordnung?»

«So ist es», erwiderte ich fröhlich.

«Ich bin Ihnen sehr dankbar. Sie haben mir einen Stein vom Herzen genommen.» Er ging zum Wagen zurück, und ich sah ihm zu, wie er den Motor anspringen ließ. Wie auf ein Signal richtete sich der kleine braune Kopf zur Wagendecke.

«Huuuh, huuh, huuh», heulte Coco, und sein Herr warf mir einen verzweifelten Blick zu, als er abfuhr.

Ich stand auf den Eingangsstufen und lauschte fassungslos. Viele Leute in Darrowby mochten Mr.Beresford nicht besonders, wahrscheinlich wegen seiner kühlen Art, aber meiner Meinung nach war er im Grunde kein schlechter Kerl, und mein Mitgefühl war ihm gewiss. Noch lange nachdem der Wagen um die Kurve von Trengate gebogen war, hörte ich Coco jaulen.

Am selben Abend gegen sieben rief mich Will Hollin an. «Gertrud ferkelt! Und sie will den Kleinen an den Kragen!»

Das war eine böse Nachricht. Es kommt gelegentlich vor, dass die Säue ihre neugeborenen Ferkel anfallen, und wenn man sie ihnen nicht gleich wegnimmt, bringen sie ihre Jungen sogar um. Und natürlich ist dann an Säugen gar nicht zu denken.

Dieses an sich schon vertrackte Problem war in Gertruds Fall besonders schlimm, denn sie war eine teure Zuchtsau, mit der Will Hollin seinen Schweinebestand verbessern wollte.

«Wie viele hat sie geworfen?», fragte ich.

«Vier – und auf jedes ist sie losgegangen.» Seine Stimme zitterte.

Da fiel mir wieder das Relax ein, und ich dankte dem Himmel für Mr.Barge.

Ich lächelte in den Hörer. «Ich habe ein neues Mittel, Mr.Hollin. Gerade eingetroffen. Ich komme sofort.»

Bevor ich die Ampullen einsteckte, las ich schnell noch den Beipackzettel durch. Ja, da stand es. «Zehn Kubikzentimeter intramuskulär. Innerhalb von zwanzig Minuten beruhigt sich das Mutterschwein und nimmt die Ferkel an.»

Es war nur eine kurze Fahrt bis zu Hollins Farm, aber als ich durch die Nacht raste, war ich dem Schicksal dankbar für die glückliche Fügung an diesem Tag. Erst am Morgen war das Relax eingetroffen – und schon konnte ich es beim zweiten dringenden Fall brauchen. Mr.Barge war ein Werkzeug der Vorsehung. Ein ehrfürchtiger Schauer lief mir über den Rücken.

Ich konnte es kaum erwarten, der Sau die Spritze zu geben, und kletterte schwungvoll in die Box. Gertrud gefiel es gar nicht, mit einer langen Nadel in den Schenkel gestochen zu werden, und sie grunzte mich wütend an. Aber ich schaffte es gerade noch, ihr die zehn Kubikzentimeter zu verpassen, bevor sie mich in die Flucht schlug.

«Jetzt müssen wir also zwanzig Minuten warten?» Will Hollin lehnte sich über die Boxwand und sah besorgt auf sein Schwein. Seine Farm war klein, er musste hart arbeiten, und ich wusste, dass Gertruds Wurf für ihn eine wichtige Angelegenheit war.

Ich wollte ihm gerade etwas Tröstliches sagen, als Gertrud wieder ein rosiges, zappelndes Ferkel warf. Will Hollin langte in die Box und schob das kleine Geschöpf sanft an das Gesäuge der auf der Seite liegenden Sau, aber sobald die kleine Nase die Zitze berührte, warf sich das große Schwein wutschnaubend in die Höhe und bleckte die gelben Zähne.

Er griff rasch nach dem Ferkel und legte es zu den anderen in einen großen Pappkarton. «Jetzt sehen Sie, wie es ist, Mr.Herriot.»

«Allerdings. Wie viele haben Sie jetzt da drinnen?»

«Sechs. Und es sind wahre Prachtferkel.»

Ich blickte in die Kiste. Sie hatten alle den langgestreckten Körperbau des guten Zuchtschweins.

«Ja, das kann man wohl sagen. Und sie sieht aus, als ob sie noch eine Menge im Bauch hat.»

Der Farmer nickte, und wir warteten.

Die zwanzig Minuten schienen eine Ewigkeit zu dauern, und schließlich nahm ich ein paar Ferkel und stieg in die Box. Ich wollte sie eben an die Sau setzen, als eines schrie. Gertrud stürzte wütig brüllend auf mich los, und ich sprang mit einer Behändigkeit hinaus, die mich selbst erstaunte.

«Sie sieht nicht sehr schläfrig aus», bemerkte Mr.Hollin.

«Nein… nein… eigentlich nicht. Vielleicht sollten wir noch ein bisschen warten.»

Wir gaben ihr noch zehn Minuten und versuchten es noch einmal, aber mit dem gleichen Ergebnis. Ich gab ihr eine zweite Spritze und eine Stunde später eine dritte.

Um neun hatte Gertrud fünfzehn herrliche Ferkel geworfen und mich und ihre Nachkommenschaft sechsmal aus der Box verjagt. Sie schien lebhafter und wilder als je zu sein.

«So, jetzt ist sie leer», sagte Mr.Hollin finster. «Sieht so aus, als ob sie fertig ist.» Er blickte traurig in den Pappkarton. «Und ich sitze da mit fünfzehn Ferkeln, die ich ohne Muttermilch großziehen muss. Wahrscheinlich gehen die mir alle ein.»

«Ach was!» Die Stimme kam von der offenen Tür her. «Kein einziges geht ein.»

Ich sah mich um. Es war Opa Hollin, und er lächelte wie gewöhnlich aus seinem runzeligen Gesicht. Er trat an die Box und stupste Gertrud mit seinem Stock gegen die Rippen.

Sie antwortete mit einem bösen Grunzen und einem noch böseren Blick. Das Lächeln des alten Mannes wurde noch strahlender.

«Dem ollen Mistviech werd ich’s eintränken», sagte er.

«Eintränken?» Ich trat verlegen von einem Fuß auf den andern. «Was wollen Sie damit sagen?»

«Ach, die braucht nur ’n bisschen Beruhigung, wissen Sie?»

Ich holte tief Luft. «Jawohl, Mr.Hollin, darum bemühe ich mich ja gerade.»

«Tja, aber Sie stellen’s nicht richtig an, junger Mann.»

Ich sah ihn scharf an. Mit Besserwissern und ihren großzügigen Ratschlägen muss sich jeder Tierarzt herumschlagen, aber über Opa Hollin ärgerte ich mich nicht. Ich mochte ihn. Er war ein netter Mann und das Oberhaupt einer liebenswerten Familie. Will war der älteste seiner vier Söhne, und einige seiner Enkel waren Farmer in der Gegend.

Außerdem hatte ich nichts erreicht. Es war nicht der rechte Augenblick für Überheblichkeit.

«Eben habe ich ihr die letzte Spritze verpasst», brummte ich.

Er schüttelte den Kopf. «Sie braucht keine Spritzen. Sie braucht Bier.»

«Was?»

«Bier, junger Mann. Gutes starkes Bier.» Er wandte sich an seinen Sohn. «Hast du einen sauberen Eimer, Will?»

«Ja, in der Molkerei steht ein frisch ausgeschrubbter.»

«Gut. Dann geh ich mal zum Pub runter. Bin gleich wieder da.» Opa machte kehrt und schritt in die Nacht hinaus. Er musste um die achtzig sein, aber von hinten sah er wie ein junger Barsch aus – kerzengerade, elastisch und flott.

Will Hollin und ich hatten uns nicht viel zu sagen. Er war in finstere Grübeleien versunken, und ich schämte mich in Grund und Boden. So waren wir erleichtert, als Opa mit einem emaillierten Eimer voll brauner Flüssigkeit zurückkehrte.

«Donnerwetter», kicherte er. «Ihr hättet die Gesichter da unten im Wagon and Horses sehen sollen. Ich wette, bei denen hat noch niemand zehn Liter auf einmal bestellt.»

Ich starrte ihn an. «Sie haben zehn Liter Bier geholt?»

«Genau, junger Mann. Soviel wird sie brauchen.» Er wandte sich wieder an seinen Sohn. «Sie hat doch noch nichts getrunken, Will?»

«Nein. Ich wollte ihr Wasser geben, als sie fertig war, bin aber noch nicht dazu gekommen.»

Opa stellte den Eimer hin. «Na, dann wird sie schön durstig sein.» Er lehnte sich über die Box und goss das schäumende braune Getränk in einem Strahl in den leeren Trog.

Gertrud trottete gemächlich heran und beschnupperte die seltsame Flüssigkeit. Nach kurzem Zögern tunkte sie die Schnauze hinein, versuchte einen Schluck, und Sekunden später hallte ihr geschäftiges Schlürfen durch den ganzen Stall.

«Donnerwetter, es schmeckt ihr!», rief Will erstaunt.

«Kein Wunder», seufzte Opa. «Es ist John Smiths bestes Bitter.»

In erstaunlich kurzer Zeit hatte die große Sau den Trog leer getrunken, und als sie fertig war, leckte sie noch gründlich die Ecken aus. Sie zeigte keinerlei Neigung, sich wieder hinzulegen, sondern ging gemütlich in der Box spazieren. Hie und da blieb sie am Trog stehen, um sich zu vergewissern, dass nichts übrig geblieben war, und dann schaute sie zu den drei Gesichtern auf, die ihr über die Box entgegenblickten. Überrascht stellte ich fest, dass der eben noch so unheilschwangere Ausdruck einem wohlwollenden Blinzeln gewichen war. Man hätte fast meinen können, dass sie lächelte.

In den nächsten Minuten wurden ihre Schritte bedenklich unsicher. Sie torkelte und strauchelte, fiel einmal fast hin, und dann ließ sie sich mit einem laut vernehmlichen Rülpser auf das Stroh fallen und rollte sich auf die Seite.

Opa pfiff leise vor sich hin und stieß ihr den Stock an den Schenkel, aber sie rührte sich nicht und antwortete nur mit einem zufriedenen Grunzen.

Gertrud war sternhagelvoll.

Der alte Mann zeigte auf den Pappkarton. «Leg jetzt die Kleinen rein zu ihr.»

Will packte die Ferkel auf den Arm und stieg mit ihnen in die Box. Wie alle neugeborenen Tiere brauchten sie keine Anweisung, und bald hatten sich fünfzehn hungrige Schnäuzchen an den Zitzen festgesaugt, und ich starrte mit gemischten Gefühlen auf das Resultat, das ich mit meiner modernen tierärztlichen Kunst vergeblich zu erreichen versucht hatte. Ich war nicht sehr stolz auf mich.

Beschämt räumte ich die Relax-Ampullen weg und stahl mich heimlich, still und leise zu meinem Wagen, als Will mich rief.

«Trinken Sie doch noch eine Tasse Kaffee, bevor Sie gehen, Mr.Herriot.» Seine Stimme klang freundlich – er schien es mir nicht nachzutragen, dass ich so kläglich versagt hatte.

Ich folgte ihm in die Küche, und als ich an den Tisch trat, gab er mir einen Rippenstoß.

«Da, schauen Sie mal.» Er hielt mir den Eimer entgegen, auf dessen Grund noch ein reichliches Maß Bier herumschwappte. «Hier haben wir was besseres als Kaffee – reicht gut für zwei. Ich hole uns mal Gläser.»

Er kramte im Schrank, als Opa eintrat. Er hängte Hut und Stock weg und rieb sich die Hände.

«Kannst mir ruhig auch ein Glas holen, Will», sagte er. «Vergiss nicht, dass ich es ausgeschenkt hab – und extra so, dass wir drei auch noch was haben.»

Am nächsten Morgen war ich immer noch beschämt über mein gestriges Erlebnis, aber ich kam nicht dazu, darüber nachzugrübeln, denn noch vor dem Frühstück wurde ich zu einer Kuh mit Gebärmuttervorfall gerufen, und so etwas erfordert eine Konzentration, bei der man alles andere vergisst.

Um acht Uhr morgens kam ich nach Darrowby zurück und hielt an der gerade geöffneten Tankstelle auf dem Marktplatz. Bob Cooper füllte mir den Tank auf, und ich dachte an nichts Besonderes, als ich aus der Ferne das Geheul vernahm.

«Huuuh, huuuh, huuuh.»

Zitternd vor Schreck sah ich mich auf dem Platz um. Kein Gefährt war zu sehen, aber der unheilvolle Klagelaut wurde immer lauter – und da bog auch schon Mr.Beresfords Wagen um die Kurve und kam auf mich zu.

Ich stellte mich hinter die Zapfsäule, aber es nützte nichts; der Wagen bremste neben mir.

«Huuuh, huuuh, huuuh.» Aus unmittelbarer Nähe war der Lärm unerträglich.

Ich trat zögernd hervor und begegnete dem verquollenen Blick des Bankdirektors, der die Scheibe herunterließ. Er stellte den Motor ab. Coco unterbrach sein Geheul und begrüßte mich mit freundlichem Schwanzwedeln.

Sein Herr dagegen sah gar nicht freundlich aus.

«Guten Morgen, Mr.Herriot», sagte er mit finsterer Miene.

«Guten Morgen», erwiderte ich heiter, zwang mich zu einem Lächeln und trat an den Wagen. «Und guten Morgen, Mrs.Beresford.»

Die Dame blickte mich vernichtend an und wollte etwas sagen, aber ihr Mann fuhr fort: «Ich habe ihm auf Ihren Rat hin heute früh eine dieser Wunderpillen gegeben.»

Sein Kinn zuckte leicht.

«Ja…?»

«Jawohl. Und es hat nicht geholfen, und ich gab ihm noch eine.» Er hielt inne. «Da die Wirkung die gleiche war, gab ich ihm eine dritte und eine vierte.»

Ich schluckte. «Tatsächlich?»

«Jawohl.» Seine Augen hatten einen kalten Glanz. «Und ich muss daraus schließen, dass diese Pillen völlig wirkungslos sind.»

«Aber… äh… nun ja… es sieht wirklich so aus, als ob…» Er hob die Hand. «Ich kann mir jetzt keine Erklärungen anhören. Ich habe schon genug Zeit vertan, und ich habe eine Fahrt von fünfhundert Kilometern vor mir.»

«Also, das tut mir wirklich furchtbar leid…», fing ich an, aber er drehte das Fenster wieder hoch. Er ließ den Motor an, und Coco stellte sich sofort in Positur. Ich sah dem Wagen nach, wie er über den Platz fuhr und in die Straße nach dem Süden einbog. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis ich Coco nicht mehr hörte.

Eine plötzliche Schwäche überfiel mich, und ich lehnte mich an die Zapfsäule. Mr.Beresford tat mir von Herzen leid. Er war im Grunde ein netter Mensch, aber trotzdem war ich dem Schicksal dankbar, dass ich ihm nie wieder begegnen würde.

Mr.Barge kam nur einmal im Vierteljahr zu uns, und so sah ich ihn erst Mitte Juni wieder am Ehrenplatz unserer Mittagstafel. Sein Silberhaar glänzte im sommerlichen Licht, und als die Mahlzeit beendet war, betupfte er sich den Mund mit der Serviette und ließ beiläufig seinen Katalog auf die Tischdecke gleiten.

Siegfried ergriff das dicke Buch und fragte wie gewöhnlich: «Haben Sie etwas Neues, Mr.Barge?»

«Mein lieber Mr.Farnon.» Das Lächeln des alten Herrn deutete an, dass die Torheiten der neuen Zeit ihm zwar unverständlich waren, aber durchaus ihren Reiz hatten. «Cargill und Söhne schicken mich nie zu Ihnen ohne eine Anzahl neuer Produkte mit verschiedenartigen Anwendungsmöglichkeiten und durchweg großer Wirksamkeit. Ich kann Ihnen viele unfehlbare Heilmittel empfehlen.»

Ich muss eine Art von Würgelaut von mir gegeben haben, denn er sah mich fragend an. «Ja, Mr.Herriot, wollten Sie etwas sagen, junger Herr?»

Ich schluckte einige Male, als mich die Wellen seines Wohlwollens überspülten, aber angesichts der Würde und Zuversicht, die er ausstrahlte, war ich hilflos.

«Ach… nein… nein, eigentlich nicht, Mr.Barge», erwiderte ich. Ich hätte es nicht über das Herz gebracht, ihm von meinen Erlebnissen mit dem Relax zu erzählen.

Kapitel 2

Ganz Darrowby war erkältet. Die halbe Stadt lag zu Bett und behauptete, es sei die Grippe, und die andere Hälfte nieste sich die Bazillen zu.

Bei mir stand es auf der Kippe. Während der Regen in schweren Schauern an die Fenster schlug, hockte ich am Kaminfeuer, lutschte Hustenbonbons und stöhnte jedes Mal beim Schlucken. Ich verspürte ein bedenkliches Kratzen im Hals und ein Jucken in der Nase. Ich war mutterseelenallein in der Praxis, denn Siegfried war für ein paar Tage verreist, und ich konnte mir einfach keine Erkältung leisten.

Alles hing von dieser Nacht ab. Wenn ich zu Hause bleiben und mich richtig ausschlafen konnte, hatte ich es überstanden, aber das Telefon kam mir vor wie ein lauerndes, sprungbereites Tier.

Helen saß neben mir am Kamin und strickte. Sie war nicht erkältet – sie war überhaupt nie krank. Und schon in jenen ersten Tagen unserer Ehe empfand ich das als ziemlich ungerecht. Auch jetzt, fünfunddreißig Jahre später, hat sich daran nichts geändert; und wenn ich schniefe wie ein Walross, ärgert es mich jedes Mal, dass sie mir nicht Gesellschaft leistet.

Sie hatte gerade eine Reihe zu Ende gestrickt. Es war ein Pullover für mich, schon halb fertig.

«Wie gefällt er dir?», fragte sie und hielt das Strickzeug hoch. Ich lächelte und wollte ihr gerade sagen, wie fabelhaft ich ihn fände, als das Telefon klingelte. Ich biss mir auf die Zunge.

Zitternd nahm ich den Hörer ab. Schreckliche Visionen von kalbenden Färsen erschienen vor meinem geistigen Auge. Eine Stunde mit nacktem Oberkörper im Kuhstall würde genügen, um mir den Rest zu geben.

«Hier ist Sowden von Long Pasture», krähte eine Stimme.

«Ja, Mr.Sowden?» Jetzt entschied sich mein Schicksal. «Hab da so ’n großes Kalb. Sieht jämmerlich aus und blökt zum Steinerweichen. Können Sie kommen?»

Ich seufzte erleichtert auf. Ein Kalb, das sich wahrscheinlich nur den Magen verdorben hatte. Es hätte viel schlimmer kommen können.

«Gut. In zwanzig Minuten bin ich da», sagte ich. Die behagliche Wärme unseres kleinen Zimmers ließ mich wieder einmal erkennen, wie ungerecht das Leben war.

«Ich muss weg, Helen.»

«Ach, du Armer.»

«Und das mit dieser Erkältung», jammerte ich. «Hör nur, wie es gießt.»

«Ja. Zieh dich nur warm an.»

Ich blickte sie vorwurfsvoll an. «Die Farm ist zehn Meilen weg von hier, und es ist eine trostlose Gegend. Nirgends ein warmer Fleck.» Ich fasste mich an den schmerzenden Hals. «Eine Fahrt dorthin fehlt mir gerade noch – ich habe bestimmt Fieber.» Ich weiß nicht, ob alle Tierärzte ihren Frauen die Schuld geben, wenn sie einen unerwünschten Ruf bekommen – ich jedenfalls habe es immer so gehalten.

Anstatt mir einen Tritt zu versetzen, lächelte Helen mich liebevoll an. «Das tut mir wirklich leid, Jim, aber vielleicht dauert es nicht lange. Und wenn du wiederkommst, kriegst du einen Teller heiße Suppe.»

Ich nickte schmollend. Ja, das war wenigstens ein kleiner Trost. Helen hatte eine wunderbare Rindfleischbrühe mit Sellerie, Lauch und Karotten gekocht, deren Geruch allein einen Toten zum Leben erwecken konnte. Ich gab ihr einen Kuss und machte mich auf den Weg.

Long Pasture Farm lag in dem Weiler Dowsett, und ich war die schmale Straße dorthin schon oft gefahren. Sie wand sich hinauf zum kahlen Hügelland, und an Sommertagen war es herrlich da oben, wenn der Wind über die weiten Grasflächen strich.

Aber in dieser Nacht starrte ich unglücklich durch die vom Regen gepeitschte Windschutzscheibe, sah nichts als ein paar Meter Straße vor mir, dachte an die nassen Steinmauern, die sich bis zu den Hügelkuppen erstreckten, wo der Regen über das Moorland zog, Heide und Farnkraut überflutete und die dunkle Erde in Schlamm verwandelte.

Als ich Mr.Sowden erblickte, kam ich mir beinah gesund vor. Ihn hatte es offensichtlich viel schlimmer erwischt, aber wie alle Bauern konnte er seine Arbeit trotzdem nicht liegenlassen. Er schaute mich aus tränenden Augen an, hustete mehrmals so heftig, dass es ihn schier in Stücke zu reißen schien, und führte mich mit der Öllampe in eine zugige Scheune. Im schwachen Licht erkannte ich rostige Geräte, einen Haufen Kartoffeln, einen Haufen Rüben und in der Ecke einen provisorischen Verschlag, wo mein Patient stand.

Es war nicht das zwei Wochen alte Kälbchen, das ich erwartet hatte, sondern ein kleines Tier von etwa sechs Monaten, schon fast ein Jungtier, aber nicht gut gewachsen. Es hatte alle Merkmale eines Kümmerlings – dürr, aufgetriebener Bauch und ausgefranstes, rötlich graues Fell, das um den Leib schlotterte.

«War schon immer ein armer Kerl», brachte Mr.Sowden hustend und keuchend hervor. «Hat nie Fleisch angesetzt. Heut Nachmittag hat der Regen mal aufgehört, und ich hab ihn rausgelassen, damit er frische Luft kriegt – und nun schaun Sie sich das an.»

Ich stieg in den Verschlag, und während ich das Thermometer einführte, sah ich mir den kleinen Burschen genauer an. Er leistete keinerlei Widerstand, als ich ihn auf die Seite drängte; er starrte teilnahmslos mit gesenktem Kopf zu Boden, aber am schlimmsten war das tiefe Stöhnen, das er von sich gab. Es wiederholte sich alle paar Sekunden.

«Es muss der Magen sein», sagte ich. «Auf welcher Weide war er denn heute Nachmittag?»

«Hab ihn nur ein paar Stunden im Obstgarten gelassen.»

«Aha.» Ich schaute auf das Thermometer. Die Temperatur war unter normal. «Da liegt wahrscheinlich allerhand Obst rum, was?»

Mr.Sowden hatte einen Hustenanfall und lehnte sich danach an den Bretterverschlag, um Luft zu holen. «Ja, jede Menge Äpfel und Birnen. War ’ne tolle Ernte dieses Jahr.»

Ich hielt das Stethoskop über den Pansen, in dem es normalerweise sprudelt und rauscht, aber ich hörte überhaupt nichts. Ich tastete die Flanke ab und spürte die typische Fülle einer Magenverstopfung.

«Mr.Sowden, meiner Meinung nach hat er den Bauch voller Obst, das er nicht verdauen kann. Es sieht böse aus.»

Der Farmer zuckte die Schulter. «Wenn’s weiter nichts ist, geb ich ihm ’ne gute Portion Leinsamenöl – dann wird’s schon wieder werden.»

«Leider ist es aber nicht so einfach», sagte ich. «Es ist ein schwerer Fall.»

«Na, und was sollen wir da machen?» Er putzte sich die Nase und sah mich trübselig an.

Ich zögerte. Es war bitterkalt in der Scheune, ich fröstelte und spürte ein Prickeln im Hals. Der Gedanke an Helen und das warme Zimmer war verführerisch. Aber ich hatte derartige Verstopfungen schon mehrere Male mit Abführmitteln zu kurieren versucht, und es hatte nie etwas genützt. Die Temperatur des Tieres sank rasch der tödlichen Grenze entgegen, und es hatte eingefallene Augen. Wenn ich nicht etwas Drastisches unternahm, war es am Morgen tot.

«Es gibt nur eine Möglichkeit, ihn zu retten», sagte ich. «Und das ist ein Pansenschnitt.»

«Ein was?»

«Eine Operation. Ich muss ihm den ersten Magen aufschneiden und all das Zeug rausholen.»

«Sind Sie sicher? Glauben Sie nicht, ein halber Liter Öl würde es schaffen? Das wär doch einfacher.»

Allerdings. Einen Augenblick lang leuchtete das Bild Helens im warmen Zimmer wie eine freundliche Vision vor mir auf, aber dann schaute ich auf das Kalb. Hager, zottelig, unscheinbar – und so hilflos.

«Ich bin ganz sicher, Mr.Sowden. Er ist so schwach, dass ich ihn mit örtlicher Betäubung operieren kann. Aber wir brauchen Hilfe.»

Der Farmer nickte. «Gut. Ich geh ins Dorf und hole George Hindley.» Er hatte wieder einen schmerzhaften Hustenanfall. «Aber bei Gott, das hat mir heute Nacht gerade noch gefehlt. Ich hab bestimmt Braunschitiss.»

Braunschitiss war unter den hiesigen Farmern eine weitverbreitete Krankheit, und zweifellos hatte sie den armen Kerl am Wickel, aber mein Mitgefühl verflog im Nu, als er mit der Öllampe verschwand und mich im Dunkeln allein ließ.

Es gibt viele Arten von Scheunen. Manche sind klein, behaglich und duften nach Heu, aber die hier war grausig. Ich war hier schon an sonnigen Nachmittagen gewesen, aber selbst dann umgaben einen die bröckligen Mauern und fauligen Balken wie ein nasskaltes Laken, und alle Wärme zog hinauf zu den dicken Spinnweben an den Deckenbalken. Man hätte diese Scheune allen Leuten, die sich Illusionen über das Landleben machen, zur Besichtigung empfehlen sollen. Sie war ein Paradebeispiel für die äußerst ungemütliche Schattenseite des Farmerdaseins.

Jetzt hatte ich sie ganz für mich allein. Der Wind rüttelte am Tor, eisige Zugluft drang von allen Seiten auf mich ein, der Regen tropfte erbarmungslos durch die kaputten Dachziegel auf meinen Kopf und in meinen Nacken, und während die Minuten verstrichen, hüpfte ich von einem Bein auf das andere – ein vergeblicher Versuch, mich warm zu halten.

Die Farmer in den Dales haben es nie eilig, und ich hatte auch keine schnelle Rückkehr erwartet, aber nach einer Viertelstunde in der undurchdringlichen Finsternis stiegen bittere Gedanken in mir auf. Wo zum Teufel blieb der Kerl? Saß er vielleicht gemütlich mit George Hindley bei einer Tasse Tee, oder spielten sie Domino? Die Beine zitterten mir, als die Öllampe endlich in der Tür erschien und Mr.Sowden mit seinem Nachbarn die Scheune betrat.

«Guten Abend, George», sagte ich. «Wie geht’s?»

«So leidlich, Mister Herriot», schniefte er. «Der verdammte – äh – äh – hatschi – Schnupfen.» Er schnäuzte sich kräftig in ein rotes Taschentuch und sah mich aus tränenden Augen an.

Ich schaute mich um. «Fangen wir gleich an. Wir brauchen einen Operationstisch. Könnten Sie ein paar Ballen Stroh aufschichten?»

Die beiden Männer verschwanden und kehrten mit Strohballen zurück. Sie reichten in der Höhe gerade aus, aber die Oberfläche war zu wacklig.

«Wir müssten ein Brett drauflegen.» Ich blies mir auf die erfrorenen Finger und stampfte mir die Füße warm. «Hat jemand eine Idee?»

Mr.Sowden kratzte sich das Kinn. «Tja, wir werden ’ne Tür nehmen.» Er schlurfte mit seiner Lampe in den Hof hinaus, und ich sah ihm zu, wie er eine Hälfte der Kuhstalltür aus den Angeln wuchtete. George half ihm, und während sie zogen und ächzten, stellte ich wieder einmal fest, dass tierärztliche Operationen mir eigentlich gar nicht so viel ausgemacht hätten, wenn die Vorbereitungen nur nicht so mühselig gewesen wären.

Endlich taumelten sie in die Scheune zurück, legten die Tür auf die Strohballen, und der Operationssaal war bereit.

«Jetzt heben wir ihn drauf», keuchte ich.

Wir hievten das widerstandslose kleine Tier auf den improvisierten Operationstisch und legten ihn auf die rechte Seite. Mr.Sowden hielt ihm den Kopf, während George Schwanz und Hinterteil ergriff.

Ich legte rasch die Instrumente zurecht, zog Mantel und Jacke aus und rollte die Hemdsärmel hoch. «Verdammt! Wir haben kein heißes Wasser. Würden Sie welches holen, Mr.Sowden?»

Jetzt hielt ich den Kopf und wartete wieder eine Ewigkeit. Dieses Mal war es schlimmer, denn ich hatte nichts an, und die Kälte fraß sich in mich hinein, während ich mir vorstellte, wie der Farmer in der warmen Küche herumtrödelte. Als er endlich mit dem Eimer erschien, schüttete ich ein Desinfektionsmittel hinein und schrubbte mir fieberhaft die Arme. Dann schnitt ich ein Stück Fell aus der linken Flanke und füllte die Spritze mit dem Betäubungsmittel. Aber als ich die Nadel einführte, ließ ich alle Hoffnung fahren.

«Verdammt nochmal! Ich kann überhaupt nichts sehen.» Ich blickte hilflos auf die Öllampe, die an einem Rübenschneider baumelte. «Das Licht hängt falsch.»

Ohne ein Wort verließ Mr.Sowden seinen Standort und wickelte einen Strick um einen Balken. Dann warf er das lose Ende über einen zweiten Balken, band es daran fest und hängte die Lampe direkt über das Kalb.

So war es bedeutend besser, aber es hatte lange gedauert, ich war inzwischen völlig durchgefroren, und in meiner Brust brannte es. Die Braunschitiss meiner beiden Assistenten lauerte schon auf mich.

Immerhin konnte ich endlich anfangen. Ich durchschnitt Haut, Muskeln, Bauchfell und Pansenwand in Rekordgeschwindigkeit, fuhr mit dem Arm tief in das offene Organ, durch die gärende Masse des Mageninhalts – und im Nu waren meine Sorgen verflogen. Ganz unten lagen Äpfel und Birnen in Schichten aufgestapelt; einige angebissen, aber die meisten ganz unversehrt. Wiederkäuer fressen gewöhnlich alles in großen Stücken und zerkleinern es später, aber kein Tier wäre mit dieser Menge je fertig geworden.

Ich schaute auf, zufrieden mit mir. «Genau, was ich dachte. Er steckt voll Obst.»

«Hrrraach!», erwiderte Mr.Sowden. Husten gibt es in vielfältigen Formen, aber dieser hier war markerschütternd und kam von tief unten, von den Nagelsohlen der Stiefel direkt in mein Gesicht. Ich hatte nicht bemerkt, dass der Farmer mir so gefährlich nahe war – kaum ein paar Zentimeter von mir entfernt. «Hrrraach!», wiederholte er, und ein zweiter Schauer virusbeladener Feuchtigkeit sprühte mich an. Offenbar wusste Mr.Sowden nichts von Tropfinfektion, oder es scherte ihn nicht. Instinktiv drehte ich den Kopf in die andere Richtung. «Ha-ha-hatschumm!», prustete George. Es war zwar nur ein Niesen, aber es sandte einen ebenso tödlichen Strahl auf meine andere Backe. Es gab kein Entkommen. Ich war den beiden ausgeliefert.

Aber moralisch hatte ich Auftrieb. Ich schaufelte die verbotenen Früchte handvollweise aus dem Pansen, und innerhalb von Minuten war der Scheunenboden übersät mit Bramley-Äpfeln und Conference-Birnen.

«Damit kann man einen Laden aufmachen», lachte ich.

«Hrrraach!», erwiderte Mr.Sowden.

«Hapschumm!», pflichtete George ihm bei.

Als ich den letzten Apfel und die letzte Birne herausgeholt hatte, wusch ich die Wunde aus und nähte wieder zu. Das ist der längste und langweiligste Teil einer Pansenöffnung. Die Spannung der Diagnose und die Aufregung der Entdeckung sind vorüber, und gewöhnlich ist es jetzt an der Zeit, mit den Farmern zu plaudern und sich mit Geschichten die Zeit zu vertreiben.

Aber hier im fahlen Licht, wo mir der kalte Wind um die Füße blies und die eisigen Regentropfen den Nacken hinunterliefen, war ich gar nicht zu Gesprächen aufgelegt, und meine Assistenten waren vollauf mit der eigenen Unpässlichkeit beschäftigt.

Ich hatte schon halb zugenäht, als ich ein Prickeln in der Nase verspürte und meine Arbeit unterbrechen musste. «Äh – äh – pschui!» Ich fuhr mir mit dem Arm über die Nase.

«Jetzt fängt’s bei ihm an», brummte George mit trüber Genugtuung.

«Ja, ihn hat’s erwischt», stimmte Mr.Sowden ihm bei, sichtlich aufgeheitert.

Ich war nicht sonderlich besorgt. Mein Fall war ohnehin verloren. Nach einer so langen Zeit hemdsärmlig in der Kälte konnte der ständige doppelseitige Bakterienbeschuss es auch nicht mehr schlimmer machen. Ich hatte mich mit meinem Schicksal abgefunden, und als ich Nadel und Faden weglegte und dem Kalb vom Tisch herunterhalf, fühlte ich mich trotz allem recht stolz und zufrieden. Das schreckliche Stöhnen hatte aufgehört, und das kleine Tier blickte sich erstaunt um, als wäre es eine Weile weg gewesen. Es war zwar noch nicht ausgesprochen munter, aber ich wusste, dass es keine Schmerzen mehr hatte und dass es am Leben bleiben würde.

«Betten Sie ihn schön warm, Mr.Sowden.» Ich wusch die Instrumente im Eimer aus. «Packen Sie ihn in ein paar Säcke, damit er keinen Zug bekommt. In vierzehn Tagen bin ich wieder da und ziehe die Nähte.»

Diese vierzehn Tage wurden mir sehr lang. Meine Erkältung entwickelte sich, wie ich es erwartet hatte, zu einem entsetzlichen Katarrh, der zur unvermeidlichen Braunschitiss führte, und mein Husten konnte es mit dem Mr.Sowdens aufnehmen.

Mr.Sowden war kein besonders begeisterungsfähiger Mensch, aber ich hätte doch erwartet, dass er eine Spur glücklicher dreinschaute, als ich die Nähte zog. Das Kalb war inzwischen so lebhaft, dass ich es in seinem Verschlag herumjagen musste, um es einzufangen.

Trotz des Brennens in meiner Brust fühlte ich mich von meinem Erfolg beschwingt.

«Er hat sich ausgezeichnet erholt», sagte ich. «Aus dem kann noch einmal ein guter Ochse werden.»

Der Bauer zuckte trübsinnig die Achsel. «Möglich. Aber es war nicht nötig, all das Zeug anzustellen.»

«Nicht nötig…?»

«Nein. Hab mit paar Leuten darüber gesprochen, und die sagen, es war dumm, ihn so aufzuschneiden. ’n halber Liter Öl hätte es auch getan, wie ich gesagt hab.»

«Mr.