Der will nur spielen - Manuel Rubey - E-Book

Der will nur spielen E-Book

Manuel Rubey

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Beschreibung

Manuel Rubey ist auf Tour – und dieses Mal dürfen wir mit! Er liebt es, seine Kunst in die österreichische Provinz zu bringen, aber hart ist es schon. Nachts, wenn er wachliegt in den ländlichen Hotelzimmern, denkt er nach: Warum bin ich immer unzufrieden? Warum quält mich der Erfolg der anderen? Warum bin ich in Attnang-Puchheim und nicht in Cannes? Warum brauche ich die Kunst so sehr? Warum will ich manchmal nicht mehr leben? Manuel Rubey schreibt seit Jahren nur über die Dinge, die mit ihm zu tun haben, die er beobachtet, mit denen er sich auskennt. Dann überlässt er seiner Füllfeder das Steuer und lässt sich von der Kreativität umarmen – denn nur so hat das Ganze einen Sinn. Sein Publikum vergisst er dabei nie: Immer wieder animiert er uns, zum Beispiel mal in ein paar gute Stifte zu investieren oder jeden Tag eine Seite zu schreiben ...

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Man denkt, sechs ist nicht viel, aber nach sieben kommt acht – und acht ist alt!

LUISE ANLÄSSLICH IHRES 6. GEBURTSTAGES

Dieses Buch ist meinen Vorfahren gewidmet.

1 Prolog

2 Ich ziehe ein frisches Hemd an

3 Graue Wolken

4 Neid

5 Feuerkörper

6 Die Fähigkeit zu verehren

7 Die Traurigkeit

8 Der Zufall

9 Der tragische Optimismus

10 Das Unglück muss zurückgeschlagen werden!

11 Vienna, meine Stadt

12 Paul McCartney

13 Die Zehn Gebote

14 Opa

15 Ich brauche noch einen guten Schluss

16 Der will nur spielen

1 Prolog

Das Telefon läutet. Ich weiß eh, wer dran ist, aber ich melde mich mit:

MANUEL

Ja bitte?

DIE VERLEGERIN

Hallo, mein lieber Bestseller. Wie geht es denn mit dem Schreiben voran?

MANUEL

Na ja.

DIE VERLEGERIN

Wir wollen es gerne in den Herbstkatalog geben, dein neues Buch. Das wäre doch schön!

MANUEL

Eh. Voll.

DIE VERLEGERIN

Also?

MANUEL

Ich glaube, irgendwas stimmt mit der Abrechnung nicht.

DIE VERLEGERIN

Wieso? Was meinst du?

MANUEL

Die Abrechnung des »Bestsellers« meine ich.

DIE VERLEGERIN

Was meinst du? Da muss ich bei der Buchhaltung nachfragen.

MANUEL

Ich meine, ich war nie gut in Mathe, aber ich habe einmal nachgerechnet. Wir haben wie viele Bücher verkauft?

DIE VERLEGERIN

Um die 25.000.

MANUEL

Genau. Das Buch kostet dreiundzwanzig Euro.

DIE VERLEGERIN

Wenn du das sagst. Das weiß ich jetzt nicht genau.

MANUEL

Doch, ist so.

DIE VERLEGERIN

Nun?

MANUEL

23 mal 25.000 macht 575.000 Euro.

DIE VERLEGERIN

Toll! Viel Geld ist das.

MANUEL

Korrekt. Weißt du, wie viel ich davon bekommen habe?

DIE VERLEGERIN

Nun?

MANUEL

15.000.

DIE VERLEGERIN

Nun?

MANUEL

Ich weiß zwar, dass es wohl rechnerisch stimmt, aber trotzdem habe ich das Gefühl, ihr habt mich da um eine Null betrogen.

DIE VERLEGERIN

Wieso?

MANUEL

Also, 15.000 klingt erst mal gut. Aber die Hälfte kriegt die Steuer, bleiben 7.500, dann gehen 1.500 für die Sozialversicherung weg. Bleiben 6.000 Euro über. Ach ja, die Kinder bestehen auch auf einem Anteil, weil ich so viele Zitate von ihnen verwendet habe. Bleiben in etwa 5.000. Wenn ich sage, dass ich ein Jahr lang jeden Tag zwei Stunden daran geschrieben habe, dann sind das 365 mal zwei ist 730 Stunden, folglich 5.000 dividiert durch 730. Bleibt ein Stundenlohn von 6,8493 Euro. Immerhin. Unserer Putzfrau zahle ich 13 Euro. Schwarz.

DIE VERLEGERIN

Ja, aber Schreiben ist auch schöner als Putzen.

33 wichtige Charaktere, die in diesem Buch mitspielen

2 Ich ziehe ein frisches Hemd an

Heute startet meine Tour durch Österreich. Ich werde ein Jahr lang das Land bereisen. Ein erster Arbeitstitel drängt sich auf: Der Charme der Peripherie. Ich sitze im Zug nach Attnang-Puchheim, wo ich mein erstes Buch in Form einer musikalischen Lesung vorstellen soll. Ich bin ein wenig nervös und unausgeschlafen. Anfangen ist immer schwer. Aber es warten in den nächsten Monaten über hundert Shows auf mich und da muss ich jetzt liefern. Lesungen, Konzerte und Kabarettauftritte. Am liebsten würde ich keine Genrebezeichnung aufs Plakat schreiben, aber wir leben in Österreich, da braucht alles seinen Stempel.

Ich habe meinen Kindern versprochen, dass ich die Tour möglichst mit dem Zug fahre. Nur an die Orte, wo es wirklich nicht anders geht, darf ich mit dem Auto fahren. Ich setze mich in den Speisewagen, bestelle Spritzwein und schaue mich um. Wir werden im Alltag ständig mit Gesprächsfetzen konfrontiert, die wir zufällig aufschnappen und ganz oft aber nicht hören wollen. Dennoch brauchen wir dieses wirkliche Leben als Türöffner für die Fantasie. Heute habe ich Glück und der Zufall serviert mir tatsächlich eine gute Geschichte. Am Nebentisch sitzen zwei Frauen und trinken Mineralwasser. Die eine erzählt der anderen gerade:

FRAU IM ZUG

Der Jakob hat gestern beim Zähneputzen gesagt, dass er seiner Kindergartenfreundin versprochen hat, sie zu heiraten. Ich habe ihn gefragt, warum. Jakob hat gesagt: Sie wollte es, und mir ist es wurscht.

Pragmatismus de luxe. Das nehme ich mir als Motto für die nächsten hundert Tage, die vor mir liegen. Wochen in trostlosen Hotels, vor abgestandenen Wurstplatten und witzlosen Veranstalteransprachen (»Das Einzige, was hier bei uns ansteckend ist, ist das Lachen«), obwohl im Vertrag ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass ich keine Ansprachen dulde. Wir sind aber in Österreich und da sind Verträge bloß Empfehlungen, juristische Spitzfindigkeiten. Es warten aber auch Wochen voller Freude, voller Dankbarkeit, weil es ein Privileg ist, davon zu leben, was man sich beim Spielen ausgedacht hat. Die Landschaft zieht vorbei. Schön ist dieses eigenartige Land ja schon. Beinahe übersehe ich es auszusteigen. Leicht beschwipst stolpere ich mit zwei Koffern und meiner Gitarre auf den Bahnsteig. Ein junger Mann steht da und sieht mich ein bisschen so an, wie wenn Phil Dunphy in Modern Family in die Kamera schaut. Plötzlich grinst er und sagt:

JUNGER MANN AM BAHNSTEIG

Sie sind der Florian Scheuba.

MANUEL

Nein.

JUNGER MANN AM BAHNSTEIG

Doch.

Dann dreht er sich um und geht. Im Verschwinden sagt er noch:

JUNGER MANN AM BAHNSTEIG

Ich bin auch Musiker, Jazzgitarrist.

Ich kenne den Satiriker Florian Scheuba natürlich. Aber persönlich kaum. Noch nie wurde ich mit ihm verwechselt. Lustigerweise haben wir aber einen Hund von der Familie Scheuba übernommen. Das hat sich über einen gemeinsamen Bekannten so ergeben und würde hier jetzt den Rahmen sprengen. Aber unser Familienhund kommt tatsächlich aus dem Hause Scheuba. Ich denke, dass es lustig wäre, wenn ich dem jungen Mann erklären würde, dass ich zwar nicht Florian Scheuba bin, aber seinen Hund habe. Das würde ihn aber wohl verwirren und die Zeiten sind ohnehin schon verwirrend genug. Ich stapfe also los. Der Veranstalter hatte zwar versprochen, mich vom Bahnhof abzuholen, aber die Nummer stimmt nicht und es wartet auch niemand auf mich. Was sind schon zweieinhalb Kilometer mit zwei Koffern?! Ich mache mich also auf den Weg. Es ist alles sehr geräumig, und weil es ja neben der Schnellstraße eher nur Gegend und Windräder gibt, geizt man gerne mit Gehwegen. Es ist ein Parcours de force. Immer wieder muss ich die Straßenseite wechseln, weil Wege plötzlich zu Ende sind. Das erinnert mich an Wien. Da baut man auch tolle Radwege und diese enden dann aber irgendwo plötzlich oder münden in eine mehrspurige Straße. Man fährt gemütlich den Radweg entlang und ist von einer Sekunde auf die andere plötzlich Verkehrssünder, weil der Weg dann doch Autofahrbahnen weichen muss. Angst vor der eigenen Courage, oder doch der Versuch, es allen recht zu machen?

Es strengt mich ganz schön an. Das Gehen und die Vorstellung, was heute und in den nächsten Wochen vor mir liegt. Vielleicht tue ich immer noch viel jünger, als ich bin. Speziell wenn ich auf Tour bin, mute ich meinem Körper Dinge zu, die schon mit Anfang zwanzig nicht besonders klug waren. Vielleicht bin ich deswegen oft so deprimiert. Weil ich 43 Jahre alt bin und meine Sterblichkeit nicht nur nicht begreife, sondern immer noch nicht akzeptiert habe. Letzte Woche ist mir ein Gedichtband von Clemens Eich, dem so früh verstorbenen Sohn von Ilse Aichinger, in die Hände gefallen. Da heißt es:

CLEMENS EICH

Man wird ganz plötzlich alt.

Bist du mit dem Kranich davon?

Man wird ganz plötzlich alt. Das ist die größte Wahrheit, die ich seit langer Zeit gehört habe. Hinter den Windrädern geht eine glutrote Sonne unter. Warum bin ich hier und nicht in Cannes? Warum hat es nicht gereicht für den Nightliner? Warum ist es immer noch ein Kastenwagen oder ein Speisewagen? Warum bin ich immer unzufrieden? Warum werden weiße Handtücher von gewaschenen Händen schmutzig? Was macht der Wind, wenn er nicht weht? Wo hört der Himmel auf? Wann ist es zu spät?

Die österreichische Provinz hat mir Perlen beschert, die woanders so nicht möglich wären. Es gibt zum Beispiel einen Auftrittsort in Oberösterreich, wo es immer so spät wird, dass die Sonne längst wieder aufgegangen ist, obwohl wir uns immer vornehmen, um Mitternacht ins Bett zu gehen. Aber sobald man da ankommt, wird man verschluckt. Vielleicht weil es draußen immer schneit, wenn wir dort sind, und der Kamin im Backstage echt ist und mit wirklichem Holz geheizt wird und immer so eifrig nachgeschenkt wird? Einmal hängte ich eine nasse Hose vor dem Kamin in der Garderobe auf. Sie ist beinahe vollständig verbrannt. Als wir einmal einen anderen Techniker mithatten und ihm von diesem Ort erzählten, meinte er nur, dass er sicher vor Mitternacht schlafen würde, weil er dies immer tue. Beim Frühstück trafen wir ihn wieder. Sein Hals war starr. Er sah aus wie ein Hund mit Halskrause. Niemand konnte sich an die vergangene Nacht erinnern. Auf die Frage, was denn mit seinem Hals passiert sei, sagte er nur, dass ihm der Weg von der Eingangstür seines Zimmers bis zum Bett so lange erschienen sei, dass er auf halber Strecke eine Pause machen musste und wohl am Boden eingeschlafen sei.

Einmal lud mich ein geschätzter, älterer Kollege ein, seiner Verleihung zum Kammerschauspieler beizuwohnen. Da wir gerade in der Steiermark auf Tour waren und ich an diesem Tag frei hatte, fuhr ich die ca. fünfzig Kilometer in seinen Heimatort, in dem er ein Kulturhaus betreibt und die Ehrung stattfand. Der Landeshauptmann persönlich fuhr mit Entourage vor und hatte aber wohl keine genauen Kenntnisse, wen oder was er hier laudatieren sollte. Nach einigen Allgemeinsätzen über die Bedeutung von Kultur drohte der Fürst sich zu verzetteln. Dann fiel der große Satz:

DER LANDESHAUPTMANN

Ich bin do angeblich in einem der wichtigsten Weinbaugebiete der Weststeiermark, aber ich spür’s noch nicht!

Man reichte Weißwein und der Abend fand einen harmonischen Ausklang. Irgendwo habe ich einmal den guten Satz gehört, dass es die Aufgabe der Politik sei, Komplexität zu moderieren und nicht von oben herab zu agieren. Mit viel Wohlwollen könnte man diese Ansprache so interpretieren.

Wenn Jugend und Provinz zusammentreffen, kann es hart, aber auch so schön sein. Der Mischer der Band Mondscheiner hatte einmal einen schweren Unfall. Mehrere Operationen später war immer noch nicht klar, ob er jemals würde wieder gehen können. Die Heilung schritt glücklicherweise gut und zügig voran. Ein Jahr später konnte er es. Sein erstes Konzert nach der langen Auszeit mischte er in der Cselley Mühle im burgenländischen Oslip. Ich gehe vor einem Auftritt gerne spazieren. An diesem Abend war es besonders schön. Weizenfelder und warmer Abendwind. Die Sonne ging gerade unter und ich sah mitten im Feld eine Silhouette. Walter hatte die Arme in den Himmel gereckt, setzte gerade zu einem Frühlingsschrei wie Ronja Räubertochter an. Er rief es nur für sich, aber gleichzeitig für die ganze Welt:

WALTER

I bin wieder dooooo!

Nur für sich und gleichzeitig für die ganze Welt, so verhält es sich auch bei den Größten unserer Zunft. So würde ich es beschreiben, wenn ganz Große ihre Arbeit tun. Paul McCartney oder Meryl Streep. Diese Menschen sind, obschon sie wissen, dass Millionen zusehen, ganz bei sich. Es macht keinen Unterschied, ob sie gerade in der Badewanne sitzen, in ein Weizenfeld pinkeln oder vor einem Millionenpublikum auftreten. Sie spielen und kehren dabei ihr Inneres nach außen, ohne auf die Wirkung zu schielen. Die Aktion gehört ihnen, die Reaktion muss ausgeblendet werden, weil sonst hat man die Spielposition verlassen und ist ins Beobachten gekippt.

Immer noch ziehe ich die Koffer hinter mir her. Die Karten-App sagt, dass ich schon siebenhundert Meter geschafft habe. Also, genau genommen sagt sie, dass noch zwei Kilometer vor mir und den zwei Koffern liegen. Der Algorithmus meines Streaminganbieters im Ohr sucht das passende Lied für meinen Fußmarsch aus:

BRITNEY SPEARS

My loneliness is killing me (and I)

I must confess I still believe (still believe)

When I’m not with you I lose my mind

Give me a sign, hit me baby one more time!

Die Lesung ist ausverkauft, was in diesen Zeiten schon lange keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Hierzu sei gesagt: Es bringt nur ganz kurz etwas, wenn das Publikum dich aus dem Fernsehen kennt. Vielleicht verkauft man deswegen zwanzig Karten mehr. Wenn diese zwanzig Kartenbesitzer: innen in den ersten Minuten des Abends allerdings entscheiden, dass es nicht gut ist, was sie da sehen, werden sie dies jeweils zwanzig anderen Menschen weitererzählen. Es gilt also immer: Jede Vorstellung geht es um alles. Der Soundcheck verläuft ganz gut. Für Lesungen reise ich ohne eigenen Techniker, weil die Gagen so mickrig sind, dass man niemanden extra bezahlen kann. Das birgt ein gewisses Risiko, weil der Haustechniker mitverantwortlich ist, wie dein Abend verläuft. Hier und heute scheine ich Glück zu haben. Der hiesige ist interessiert und engagiert. Das ist schon viel wert. Ich trinke zwei Spritzer und bestelle für die Bühne einen Sommerspritzer. Ein kurzes Geplänkel mit dem Veranstalter, der in diesem Fall der lokale Buchhändler ist, und dann geht es auch schon los. Ich lese zu schnell, ändere meine Pläne währenddessen, lese spontan ein anderes Kapitel, spiele einen Dylan-Song, den ich viel zu schlecht geprobt habe, und vergesse prompt die zweite Strophe. Aber Pannen kann ich gut, da komme ich drüber und das Schöne bei ersten Auftritten ist, die Zeit verfliegt, weil alles noch so neu ist. Im Anschluss ist keine Zeit, um zu reflektieren, weil ich gleich zum Signieren rausmuss. Es stehen ganz schön viele Menschen an. Das ist ein gutes Zeichen. Ich bin ein bisschen zu betrunken, merke ich. Das muss besser werden bei den folgenden Lesungen. Eine Gruppe Frauen tuschelt. Sie überlegen, wer den Schlagabtausch eröffnen soll. Die Chefin, oder die Provokante. Die Provokante wird’s.

DIE PROVOKANTE FRAU

Na, können Sie sich noch erinnern?

MANUEL

Ja natürlich.

Lüge ich.

DIE PROVOKANTE FRAU

Wir waren letztens auch schon beim Konzert. Beim nächsten Mal wollen wir aber Freikarten.

MANUEL

Schauen wir.

DIE PROVOKANTE FRAU

Ich bin Tanzpädagogin.

Sie beginnt meinen Tanzstil nachzuahmen.

DIE PROVOKANTE FRAU

Das ist wirklich total arhythmisch, wie Sie tanzen.

Ich muss zugeben, dass ich mich ein wenig wiederentdecke in der Art, wie sie vortanzt. Aber das sage ich nicht. Nun prescht die Chefin der Gruppe vor.

DIE CHEFIN

Wir sind die Bügelgruppe.

Das Wort Bügelgruppe hat sie seltsam süffisant gesagt. Jetzt nur nichts Falsches sagen. Ich versuche es diplomatisch:

MANUEL

Ich bügle tatsächlich gerne.

Entspricht sogar der Wahrheit, aber darum geht es hier natürlich nicht.

DIE CHEFIN

Wir ja nicht. Wir tun alles außer Bügeln.

Ich hatte also recht mit meiner Vorsicht. Ich signiere weiter. Der Veranstalter sagt später:

DER VERANSTALTER

Du hast exakt dasselbe Publikum wie Daniel Glattauer.

Die Bügelgruppe kommt auch immer zu ihm.

Das freut mich. Wenn ich jetzt auch noch meinen Vertrag mit dem Verlag verbessere und dann auch so viele Bücher verkaufe wie Daniel, würde sich der ganze Zirkus auch lohnen.

Später sitze ich im Wohnzimmer eines relativ schicken Neubaus, ein paar Kilometer außerhalb von Attnang-Puchheim. Das Veranstalterehepaar hatte gemeint, irgendwie hätte es Probleme mit dem Hotel gegeben, aber ich könne gerne bei ihnen übernachten, sie hätten noch eine Quiche im Rohr und ein paar Freunde eingeladen. Also gut, ja klar, natürlich gerne. Doch noch kein Feierabend. Fragen beantworten, die oft keine sind: »Also, wenn Sie mal bei uns im Büro vorbeikommen würden, dann hätten Sie schon ein Programm fertig!«, oder: »Kann man von der Kunst wirklich leben, also ich könnte das nicht.« Es wird dann aber trotz meiner Skepsis noch ganz nett. Eine Richterin und ein Notar sind Teil der Runde und ich drehe den Spieß um und stelle viele Fragen, weil mich deren Berufe gerade mehr interessieren, als von meinem Beruf zu erzählen. Erstens kenn’ ich den gut und zweitens will ich ja ein Buch darüber schreiben. Um Mitternacht verabschiede ich mich. Ich finde den Lichtschalter nicht. Das Bett scheint kurz zu sein.

Wieder einmal bin ich an diesem gefährlichen Punkt. Aus dem Backstage habe ich mir eine Flasche Weißwein mitgenommen, die noch immer recht kalt ist. Also, wie gehen wir es jetzt an, lieber Manuel? Getrunken hast du eh schon zu viel, morgen wird schwierig sein, morgen wird der Optimismus ganz schön fremd geworden sein, morgen werden plötzlich ein paar ganz dunkle Gedanken hervorkommen, die schon sehr lange kein Tageslicht mehr gesehen haben, morgen wird die Laufstrecke wehtun. Jetzt ist aber jetzt. Sich die buddhistische Formel des Hier und Jetzt als Argument zum Weitertrinken herzunehmen, ist verlockend, aber auch erbärmlich und gefährlich. Wenn ein Rausch gelingt, dann ist es herrlich, dann macht das Hirn wie von selbst ein paar gute Assoziationen und haut vielleicht sogar einen Gag oder einen erhellenden Gedanken raus. Wenn der Rausch nicht gelingt, fängt das Hirn an zu dissoziieren, und das führt meistens zu Scham und Selbstvorwürfen. Aber heute, hier und jetzt wird ein guter Rausch gelingen, immerhin war heute Tourauftakt und das habe ich mir doch wirklich verdient … aber auf jeden Fall … also bitte … eben …

Betrunken sollte ich keine SMS schreiben. Alte Regel. Ich schreibe meiner Verlegerin.

SMS MANUEL

Ich bin wie Daniel!

Sie schreibt tatsächlich sofort zurück.

SMS VERLEGERIN

Wie meinst du das?

SMS MANUEL

Der Veranstalter sagt, ich hätte dasselbe Publikum wie Daniel Glattauer, also habe ich ja wohl auch ähnliches Talent. Warum verkaufe ich dann nicht genauso viele Bücher wie er? Das muss ja dann wohl an eurem Marketing liegen?! LG.

Die Argumentationsketten von Betrunkenen sind manchmal von bestechender Klarheit.

SMS VERLEGERIN

Ich glaube, wir besprechen das besser morgen.

Plötzlich läutet das Telefon. Meine Tochter ist dran.

MANUEL

Ja bitte.

LUISE

Wieso sagst du »ja bitte«, du wirst mich ja hoffentlich eingespeichert haben?!

MANUEL

Ja. Eh. Wie geht’s?

LUISE

Gut. Aber irgendwie verlottere ich hier.

MANUEL

Wie meinst du das?

LUISE

Na ja, ich sehe euch nie. Wo bist du?

MANUEL

Auf Tour. Wie spät ist es denn? Warum bist du noch wach? Wo ist die Mama?

LUISE

Arbeiten. Immer urlang. Weißt du was?

MANUEL

Was?

LUISE

Ich habe eine alleinerziehende Schwester.

MANUEL

Das wird schon wieder. Wir haben einfach beide viel gearbeitet in letzter Zeit, deine Mutter und ich.

LUISE

Warum sagst du »deine Mutter und ich«, warum sagst du nicht »die Mama«?

MANUEL

Ja, hast eh recht.

LUISE

Und wie war die Lesung?

MANUEL

Lieb, dass du fragst. Ganz gut, nur kann ich mich am Anfang der Tour immer so schlecht abgrenzen. Mir latschen dann immer alle Leute so in die Aura.

LUISE

Was ist »die Aura«?

MANUEL

Gute Frage. So etwas wie die Seele vielleicht.

LUISE

Deine Seele ist auf jeden Fall eine ziemliche Tussi.

3 Graue Wolken

BLUMFELD

Wo kommen all’ die grauen Wolken her?

Ich schau’ nach draußen auf den Tag

Es regnet und ich kann nicht mehr

Wo ist der blaue Himmel hin?

Ich weiß nicht, warum ich lebe

Nur, dass ich am Leben bin.