"Der wird mal Profi!" - Daniel Wiechmann - E-Book

"Der wird mal Profi!" E-Book

Daniel Wiechmann

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  • Herausgeber: Riva
  • Kategorie: Lebensstil
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2019
Beschreibung

Daniel Wiechmann ist Fußballvater. Woche für Woche schaut er seinem Sohn beim Training zu, fährt ihn kilometerweit zu den Spielen und wäscht verschwitzte Trikots. Mit viel Humor beschreibt er die kleinen und großen Dramen, die sich jedes Wochenende auf und neben dem Fußballplatz abspielen. Er weiß, was es heißt, am Spielfeldrand Stimme und Nerven zu verlieren, kennt das Ohnmachtsgefühl, wenn der eigene Sohn allein auf den gegnerischen Torwart zuläuft und vor Angst den Ball verstolpert und fragt sich, ob Schiedsrichter bereits in der F-Jugend Spiele verschieben. Eine großartige Hommage an alle Eltern, die ihrem Nachwuchs an der Seitenlinie beistehen. *Bei diesem Buch handelt es sich um eine Neuausgabe des Titels Wir bedanken uns für die Einladung und gratulieren dem Turniersieger*

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Seitenzahl: 213

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DANIEL WIECHMANN

»Der wird mal Profi!«

DANIEL WIECHMANN

»Der wird mal Profi!«

Aus dem Leben eines Fußballvaters

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

1. Auflage 2019

© 2014 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH, Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Bei diesem Buch handelt es sich um eine Neuausgabe des 2014 erschienenen Titels Wir bedanken uns für die Einladung und gratulieren dem Turniersieger.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Antje Steinhäuser

Umschlaggestaltung: Isabella Dorsch

Umschlagabbildung: shutterstock.com/Rob Hainer

Satz: Georg Stadler, München; Andreas Linnemann, München

Druck: CPI books GmbH, Leck

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print: 978-3-7423-1151-1

ISBN E-Book (PDF): 978-3-7453-0833-4

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-0834-1

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.rivaverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Inhalt

Ein Spiel für Masochisten

Grün ist die Hoffnung

Futter für die Säbelzahntiger

Theater der Träume

Fußball ist Chaos

Eine Frage von Leben und Tod

Schicksalsgemeinschaft

Fußballunser

Wo eine Mutter ist, ist auch ein Wille!

Saturday Night Fever

Teufels Werk und Gottes Beitrag

Krieg der Streifen

Eine Hand wäscht die andere

Moderner Fußball

Die Schönheit des Spiels

Drin oder nicht drin? Das ist hier die Frage

Alternativlos

Wer ist hier der Boss?

Rehe im Lichtkegel eines Lkws

Das Fußballvater-Grundgesetz

Gute Verlierer

Die Wahrheit liegt auf dem Platz

Godzilla greift an

Füße zu Streitäxten?

Trainerhandwerk

Das Ameisen-Tattoo

Richtig jubeln

Tatort Siebenmeterraum

Trikottausch

Wir bedanken uns für die Einladung und gratulieren dem Turniersieger

Das Vater-Sohn-Kicken

Die erste Geliebte

Ein Leben in Angst

Die Schuldfrage

Abpfiff. Eine Schule des Lebens?

Für meinen Sohn Olivier

Falls du dieses Buch eines Tages lesen solltest: Es tut mir sehr leid, dass ich damals während des Spiels gegen die Alemannia so laut gerufen habe, dass der Rasen schneller wachsen würde, als du den Ball abspielst.

Und was ich über den Schiedsrichter im Spiel gegen die Sportfreunde gesagt habe, stimmte so auch nicht!

Meine Einschätzung deiner Leistung in der Partie gegen Wacker allerdings war richtig. Vielleicht hätte ich in der Spielanalyse auf Formulierungen wie »Betonfuß«, »Schusskraft einer Qualle« oder »Stehgeiger« verzichten können. Das war gemein, und ich schäme mich heute dafür. Sehr!

Außerdem möchte ich dieses Buch all jenen Vätern widmen, die Woche für Woche beim Fußballtraining, auf Turnieren und bei Punktspielen an der Seitenauslinie des Spielfeldes ausharren und ihren Söhnen und Töchtern in der G- und F-Jugend dabei zusehen, wie diese an ihren Fingernägeln knabbern, in der Nase popeln, Grashalme pflücken oder während eines Angriffs der gegnerischen Mannschaft einfach an der Mittelinie stehen bleiben, weil ihnen ein Schnürsenkel aufgegangen ist.

Diese Männer leben den Traum.

Ein Spiel für Masochisten

Jungs sind verrückt nach Bällen. Sie können den ganzen Tag mit Bällen spielen. Je größer der Ball, desto besser. Ich habe eine Theorie, warum das so ist, aber ich habe Angst, diese Theorie aufzuschreiben, weil ich sicher bin, dass sie meiner Frau nicht so gut gefällt. Sie ist nämlich Teil dieser Theorie. Doch da ich meine Frau über alles liebe – und einige Teile an ihr ganz besonders –, werde ich einen Teufel tun, sie zu verärgern. Halten wir einfach fest: Jungs lieben Bälle. Warum das so ist – zwinker, zwinker! – weiß kein Mensch.

Ich selbst war nie ein guter Fußballer. Wenn früher auf dem Schulhof die beiden besten Spieler der Klasse die Mannschaften für den Pausenkick wählten, wurde ich stets als Letzter aufgerufen. Wenn ich dann fragte, auf welcher Position ich spielen solle, bekam ich meist die Antwort. »Die Null muss stehen! Du, Wiechmann, du bist der Pfosten.« Ob linker oder rechter, konnte ich mir aussuchen.

Für mich war das okay, denn wenn man es sich genau überlegt, ist Fußball ein sehr merkwürdiges Spiel. Nur ein Masochist kann es sich ausgedacht haben. Ich meine, die beiden Mannschaften, die gegeneinander antreten, haben ein ganz einfaches Ziel vor Augen: Ein kleiner Ball mit einem durchschnittlichen Umfang von 70 Zentimetern muss in ein 7,32 Meter breites und 2,44 Meter hohes Tor. Fein. Doch anschließend gibt es allerlei Regeln, die allesamt verhindern, dass während eines Fußballspiels überhaupt Tore fallen können.

Es geht damit los, dass die Feldspieler den Ball vorwiegend nur mit ihren Füßen berühren dürfen. Also mit genau jenem Teil des menschlichen Körpers, in dem nach den Arschbacken am wenigsten Körpergefühl und Feinmotorik steckt. Was soll das? Es kommt doch auch niemand in einem Auto auf die Idee, ins Lenkrad zu beißen und den Wagen mit den Zähnen zu steuern. Oder den Anruf an seinem Smartphone mit der Zunge entgegenzunehmen (Was übrigens recht gut funktioniert. Ich habe es in einer misslichen Lebenslage einmal ausprobieren müssen.) Fakt ist: Nur Masochisten benutzen für die Ausführung präziser und gefühlvoller Bewegungen ihre Füße. Jeder normale Mensch benutzt seine Hände. Fragen Sie doch mal nach bei Diego Armando Maradona, der bei der Weltmeisterschaft 1986 dieses wunderschöne »Kopfballtor« erzielte. Ja, der kleine Argentinier wusste ganz genau, wie man ein erfolgreicher Kicker wird.

Aber der Zwang, grobmotorische Füße einzusetzen, ist ja noch längst nicht das Einzige, was das Fußballspiel zur Via Dolorosa unter den Ballsportarten macht. Um ganz auf Nummer sicher zu gehen, dass der Ball seinen Weg ins Tor nur höchst selten findet, hat der Erfinder des Fußballspiels auch noch die Abseitsregel erfunden sowie den blinden Schiedsrichter. Und er hat den Fußballplatz so groß gemacht, dass die Spieler immer irre weit laufen müssen. Sind sie dann endlich einmal vor dem Tor angekommen – und glauben Sie mir, als Pfosten hat man eine ziemlich gute Sicht auf diesen Teil des Spielgeschehens –, sind die Spieler vom Sprint vollkommen ausgepumpt, japsen wie wild nach Luft und haben gerade noch genügend Kraft in den Beinen, den Ball im Schneckentempo Richtung Tor zu kullern. Leichte Beute für den gegnerischen Keeper, denn den Toreverhinderer auf der Linie, den gibt es im Fußball ja auch noch! Das ist alles so kontraproduktiv.

Würde man die Philosophie des Fußballspiels auf das wahre Leben übertragen, wären die Löschtanks von Feuerwehrmännern mit Benzin gefüllt, die Ampeln an Straßenkreuzungen stünden in allen Richtungen auf Rot und Computer müssten mit einem Betriebssystem laufen, das Bill Gates programmiert hat. Das will doch keiner!? Stellen Sie sich einmal vor, Sie schauen das olympische Sprintfinale über 100 Meter und keiner der Läufer erreicht am Ende das Ziel. So fühlt es sich an, Fußball zu gucken. Denn nicht wenige Fußballmatches enden aufgrund der sehr schlechten Voraussetzungen für die Spieler, erfolgreich zu sein, ja gänzlich ohne Tore. Null zu null. Das ist genau so, als würde man 90 Minuten lang an der nackten Gisele Bündchen rumfummeln dürfen, aber Sex gibt es keinen. Wie langweilig ist das denn? Wer tut sich denn so etwas freiwillig an?

Mein Sohn zum Beispiel.

Sobald Olivier mit anderthalb Jahren laufen konnte, spielte er am liebsten mit einem Stofffußball. Das heißt, ich kickte mit dem Ball nach ihm, und er kippte um, weil er das Gleichgewicht noch nicht so gut halten konnte. Doch er rappelte sich immer wieder auf. Er war verrückt nach seinem Fußball. Wann immer er seinen Ball sah, fing er vor Glück an zu schreien und tapste ihm hinterher. Wie ein Hund, der nicht anders kann, als den Autos auf der Straße nachzujagen.

Ich habe mich schon immer gefragt, warum Hunde das mit den Autos machen. Was genau ist ihr Ziel? Ich meine, sie können sich – sobald sie den Wagen gestellt haben – doch nicht hinters Steuer setzen und ein paar heißen Labrador-Hündinnen hinterherhupen? Das Einzige, was sie mit einem eingefangenen Auto machen können, ist, es anzupinkeln. Und komisch, mein Sohn, der in den ersten Monaten mit seinem Ball auch noch nicht wirklich viel anfangen konnte und häufiger darüberstolperte, als ihn zu schießen, tat eines Tages genau dasselbe. Er pinkelte seinen Ball an. Er war damals zwei, trug seit einigen Wochen keine Windeln mehr, und ich hatte das regelmäßige Toilettensprint-Training – ich schwöre – nur ein ganz klein wenig schleifen lassen.

Nach dem Waschen roch Oliviers Stoffball wie eine Katze, der man das Fell mit Fischgräten ausgebürstet hat. Er stürzte sich dennoch mit Inbrunst auf ihn, trat danach und war schier aus dem Häuschen, wenn der stinkende Ball mal wieder einen ganzen Meter weit rollte. In diesem Moment ahnte ich: Mein Sohn ist kein Pfosten. Er gehört zu den Masochisten, die auf das Spielfeld wollen. Und wenn mein Sohn den Fußball so sehr liebt, dann musste ich mir Gedanken machen, wie ich diesem kleinen Mann, der ungefähr so sicher auf den Beinen war wie ein Betrunkener nach dem 17. Bier, Hochgeschwindigkeitsdribblings, Präzisionsfernschüsse und Fouls, die der Schiedsrichter nicht sieht, beibringe, damit er in ein paar Jahren für den Tag des Probetrainings im Fußballverein vorbereitet ist. Wenn ich damals gewusst hätte, was das alles nach sich zieht … ehrlich, dann hätte ich lieber einem Hund das Autofahren beigebracht.

Grün ist die Hoffnung

Es heißt, dass ein Sportler eine Bewegung 10 000-mal ausführen muss, um sie perfekt zu beherrschen. Nachdem Olivier seiner Fußballleidenschaft frönend die dritte Vase in unserer Wohnung kaputt geschossen hatte, beschlossen meine Frau und ich, dass es keinen Sinn macht, Geld in 9997 weitere Vasen zu investieren. Olivier musste transferiert werden. Aus unserer Wohnung auf den Bolzplatz des Spielplatzes in der Nähe. Also ging ich mit meinem Sohn dorthin zum Kicken. Wann immer es das Wetter erlaubte. Oder besser gesagt, wann immer Oliviers Mutter es erlaubte. Sie entschied, ob ein plötzlich einsetzender Nieselregen oder Temperaturen unterhalb von 20 Grad Celsius gerade noch ungefährlich oder doch bereits schädlich für Oliviers Gesundheit waren.

Auf dem Bolzplatz, der sich auf einer Wiese unseres Spielplatzes befand, lernte Olivier den Fußball von seiner archaischen Seite kennen. Er war roh, ungezügelt und ungelenk. Die Regeln des Spiels wurden von den Kindern jeden Tag aufs Neue verhandelt. Mal kickte man auf nur ein Tor, mal auf zwei oder drei. Mal ließ man das lästige Rennen, mit dem das Fußballspielen ja zwangsläufig verbunden ist, lieber weg, und veranstaltete stattdessen ein zweistündiges Elfmeterschießen.

Was für eine geniale Idee: Fußball, ohne zu schwitzen.

So hätte Fußball sogar mir Spaß gemacht. Ich bewundere Kinder sehr oft für ihren Pragmatismus. Kinder können ja auch eine Kugel Eis, die ihnen in den Sandkasten gefallen ist, wieder sauber machen und weiteressen. Oder eine befleckte Unterhose für zwei weitere Tage tragbar machen, indem sie sie einfach auf links drehen. Kinder finden selbst für große Probleme immer eine einfache Lösung. Nicht die richtige Lösung, aber eine einfache. Da können wir Erwachsene viel von lernen.

Es dauerte nicht lange, bis mein Sohn sich auch mit dem Bolzplatz-Kodex vertraut gemacht hatte. Jenem machtvollen Regelwerk, dem sich alle Fußballkinder auf dem Spielplatz trotz mancher Meinungsverschiedenheit und Diskussion unterwerfen mussten. Die Regeln dieses Bolzplatz-Kodex lauten:

§ 1:

Der beste Fußballer entscheidet, mit welchem Ball gespielt wird.

§ 2:

Der beste Fußballer und der Junge, mit dessen Ball gespielt wird, wählen die Mannschaften.

§ 3:

Bringt der beste Fußballer einen Spielball mit, bestimmt er, wer außer ihm die Mannschaften wählt.

§ 4:

Wenn kein anderer ins Tor gehen will, muss der dickste Spieler einer Mannschaft ins Tor.

§ 5:

Besteht das Tor aus nur zwei Seitenmarkierungen und gibt es keine Latte, ist das Tor nur so hoch, wie der Torwart springen kann.

§ 6:

Sind die Mannschaften unfair aufgeteilt, ist es okay, dass die zurückliegende Mannschaft ihr Tor heimlich kleiner macht.

§ 7:

Jeder ist Schiedsrichter.

§ 8:

Wenn es blutet, war es ein Foul.

§ 9:

Wenn es nicht blutet, wird ausdiskutiert, ob es ein Foul war.

§ 10:

Können sich beide Mannschaften nicht einigen, erhalten beide Teams einen Strafstoß.

§ 11:

Fällt der Ball ins Dornengebüsch, muss ihn der Schütze holen. Es sei denn, es war ein Tor. Dann muss sich der Torwart die Hände im Gebüsch zerkratzen.

§ 11a:

Das Spiel endet bei Einbruch der Dunkelheit.

§ 11b:

Oder wenn alle müde sind.

§ 11c:

Oder wenn der Junge mit dem Ball nach Hause muss.

§ 12:

Sollte es keinen Ball mehr geben, ist ein mit Jacken ausgestopfter Rucksack die erste Alternative.

§ 12a:

Gibt es keinen Rucksack, werden die Jacken aller Jungen fest miteinander zu einer Kugel verknotet.

§ 12b:

Wer seine Jacke nicht für den Ball opfern will, weil er Angst hat, dass seine Mutter hinterher mit ihm schimpft, spielt nicht mit.

§ 13:

Das letzte Tor entscheidet. Egal, wie es davor steht.

Die Wahl einer Fußballmannschaft auf dem Bolzplatz ist ein faszinierendes Ritual, eine der ersten harten Lektionen, was einem die Zukunft bringen wird. Manche Menschen sagen, dass es für einen kleinen Jungen keinerlei Hoffnung mehr im Leben gibt, wenn er bei der Wahl zweier Fußballmannschaften als Letzter ausgesucht wird. Ich sehe das nicht so. Ich zum Beispiel lernte während meiner glanzlosen Karriere als Torpfosten, die Zeit mit mir selbst zu genießen, mich allein nicht zu langweilen. Eine Fähigkeit, die mir noch heute ungemein hilft, acht bis zehn Stunden vor einem PC zu verharren und Texte zu schreiben, die keiner lesen will. Dafür bin ich dankbar. Ebenso wie für die Tatsache, dass in der Zeit, in der ich am Schreibtisch hocke, niemand auf die Idee kommt, mir einen Ball in den Unterleib zu schießen. Als Pfosten passierte mir das andauernd.

Allerdings muss ich gestehen, dass es ein seltsames Gefühl ist, wenn bei der Wahl zweier Fußballmannschaften Name um Name aufgerufen wird, und deiner oder der deines Sohnes ist nicht dabei. Es ist ja auch nicht so, dass der letzte Junge gewählt wird. Olivier blieb anfangs sehr oft einfach übrig. So, wie der schale Rest Bier in einem Glas, das zu lange in der Sonne gestanden hat und den nun keiner mehr trinken will. Ich habe auch nie erlebt, dass eine Mannschaft glücklich über den letzten Jungen war. Selbst dann nicht, wenn sie durch ihn einen Spieler mehr als der Gegner auf dem Feld und somit eigentlich einen Vorteil erlangt hatte. Der zuletzt gewählte Junge wurde stets so behandelt, als würde er an einer schlimmen Krankheit leiden, der Fußballpest oder so. Während des Spiels bekam er auch nie den Ball. Man könnte sich ja vielleicht bei ihm anstecken und fortan nur noch Fehlpässe spielen oder beim Dribbling ständig über den Ball stolpern. Olivier trug diese Last mit erstaunlicher Gelassenheit. Von dem Stigma des zuletzt Erwählten wurde er erst nach ein paar Monaten befreit. Nicht etwa, weil er nun so viel besser Fußball spielte, nein, er war in der Hierarchie aufgestiegen, weil ein neuer Schwung Kinder alt genug geworden war, um auf der Wiese zu kicken. Kinder, die kleiner und schmächtiger waren als er.

Ich fand den Gedanken sehr trostvoll, dass gesellschaftlicher Aufstieg nicht zwangsläufig mit Anstrengung verbunden sein muss, sondern dass es manchmal ausreicht, wenn man auf ein paar andere Menschen wartet, die einfach noch schlechter sind als man selbst. Wer weiß, wie weit es mein Sohn mit dieser Taktik im Leben noch bringen wird? Und vielleicht bestand ja sogar noch Hoffnung für mich?!

Wenn die Jungs auf dem Bolzplatz die Mannschaften gewählt hatten und loslegten, verwandelten sie sich. Innerhalb weniger Sekunden war keiner der Jungen mehr er selbst. Sie waren alle Messi. Müsste ein Sportreporter ein Spiel auf dem Bolzplatz kommentieren, würde es sich reichlich schizophren anhören:

»Messi spielt einen genialen Pass auf Messi. Der geht steil, verlädt Messi mit einer Finte an der Seitenlinie und dringt in den Strafraum ein. Doch dort wartet Messi. Messi legt den Ball an Messi vorbei. Der fährt das Bein aus. Messi fällt. Und alle stellen sich nun die bange Frage: Gibt es Elfmeter?«

In der Zeit auf dem Bolzplatz lernte ich sehr schnell, worum es beim Fußball wirklich geht. Schnell rennen? Tore schießen? Zweikämpfe gewinnen? Alles falsch. Wer einmal Kindern beim Kicken zugeschaut hat, lernt: Es geht beim Fußball vor allem um Gerechtigkeit. Kinder wissen das. Selbst wenn sie einen Ball noch keine zwei Meter weit schießen können und den Unterschied zwischen Anstoß und Abstoß nicht kennen. Sie diskutieren jede Spielszene untereinander. Damit es gerecht ist.

Das war Foul. Ich hab dich gar nicht berührt.

Der Ball war im Aus! Nie im Leben.

Das gibt Ecke, du warst noch dran! Nein, du hast den Ball als Letzter berührt.

Zum Glück gibt es beim Fußball auf der Wiese eine natürliche Zeitlupe, bei der man sich jede kritische Situation noch einmal ganz genau anschauen kann. Spätestens nach drei Minuten Diskussion nimmt ein Kind den Ball in die Hand und zeichnet damit die Spielsituation noch einmal nach.

Gaaaanz laaangsaaam.

In perfekter Slow Motion wird die strittige Szene nachgestellt. Die Kinder schauen sich diese Zeitlupe genau an und stellen fest: Okay, der Ball war wirklich noch nicht hinter der Torlinie. Kein Treffer! Ich weiß gar nicht, warum sich die deutsche Fußballliga so sehr gegen den Videobeweis bei den Profis sträubt. Bei den Kindern funktioniert er unheimlich gut.

Hochkomplex wurde das Spiel immer nur dann, wenn eines der Teams nach Diskussion und Videobeweis tatsächlich einen Freistoß zugesprochen bekam. In einem richtigen Fußballspiel pfeift der Schiedsrichter, verkündet seine Entscheidung, positioniert die Mauer neun Meter vom Schützen weg, der Ball wird am Tor vorbeigedroschen, weiter geht es. Nicht so auf der Fußballwiese. Dort kann die Ausführung eines Freistoßes bis zu einer Stunde in Anspruch nehmen, da er unheimlich oft wiederholt werden muss. Es gibt ein Dutzend Gründe für die rechtmäßige Wiederholung eines Freistoßes beim Wiesenkick:

Die Mauer steht zu nah.

Die Kinder in der Mauer sind zu groß.

Der Ball fliegt zu weit am Tor vorbei.

Das Tor ist zu klein.

Der Schütze wurde von der Sonne geblendet.

Eines der Kinder in der Mauer wird während der Ausführung des Freistoßes von seiner Mutter gerufen, weil diese endlich nach Hause gehen möchte, was den Schützen ablenkte.

Der Ball lag nicht an der richtigen Stelle.

Der Schütze hat zu wenig Anlauf genommen.

Der Schütze hat zu viel Anlauf genommen.

Der Schütze hat vor der Ausführung des Freistoßes vergessen zu sagen, dass er jetzt der Ribéry sei.

Der Wind wehte zu stark.

Der Wind wehte schwächer als beim letzten Freistoß.

Ich liebe es, der Ausführung von Freistößen auf dem Bolzplatz zuzuschauen. Es hat etwas Meditatives. In der Regel wird ein Freistoß so lange wiederholt, bis der Ball zweifelsfrei im Tor gelandet ist. Anschließend lässt sich der Schütze eine Viertelstunde lang feiern. Es gab Tage, da spielte Olivier drei Stunden lang draußen Fußball. In dieser Zeit war er 30 Meter weit gelaufen, hatte siebenmal gegen den Ball getreten, eine halbe Stunde lang in der Mauer gestanden und 40 Minuten lang gejubelt. Sie können sich sicherlich denken, was er am besten konnte, als wir ihn nach seinem sechsten Geburtstag endlich im Fußballverein unseres Viertels anmelden durften.

Futter für die Säbelzahntiger

Das Leben in einer Stadt hat viele Vorteile. Zum Beispiel, dass es in ihr Menschen gibt, die bereit sind, mir Sushi bis an die Wohnungstür zu bringen. Ich wohne in der fünften Etage, und unser Haus hat keinen Lift. Ich mag es auch, jeden Morgen um sechs Uhr von der Straßenreinigung geweckt zu werden, obwohl ich erst um sieben aufstehen muss. Ich meine, was gibt es Schöneres, als aufzuwachen und zu wissen, dass man noch eine Stunde in seinem Bett liegen bleiben darf? Aber das Leben in der Stadt hat natürlich auch Nachteile. Einer davon ist, dass es unheimlich viele andere Menschen gibt. In der Stadt verbringt man daher eine Menge Zeit damit zu warten. Hinter der Oma an der Kasse im Supermarkt, die in ihrer Geldbörse eine Viertelstunde nach einem Fünf-Cent-Stück sucht, welches sie nicht findet, weil sie erstens ihre Brille vergessen hat und sich zweitens gar kein Fünf-Cent-Stück mehr in ihrer Brieftasche befindet. Man wartet auf der Heimfahrt nach Hause, wenn man mal wieder eine rote Welle erwischt hat, oder man wartet am Abend im Bett, wenn man gern einschlafen würde, aber nicht kann, weil die Menschen ohne Kinder noch in den Kneipen in unserer Straße lärmen. Überall in der Stadt gibt es andere Menschen, die Straßen und Plätze sind überfüllt mit ihnen. Und die Fußballvereine auch.

Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem mein Sohn das Probetraining für die Aufnahme in den Fußballverein absolvierte. Bereits im Vorfeld hatte der Verein verkündet, dass man nur 20 Kinder neu aufnehmen könne. Genau 63 Bewerbungen lagen dem Verein jedoch vor. Es mussten also wohl oder übel ein paar Kinder auf der Strecke bleiben. Die Stimmung auf dem Trainingsplatz war entsprechend angespannt. Nicht bei den Kindern. Die Sechsjährigen hingen fröhlich im Tornetz und spielten Spiderman, zeigten sich gegenseitig ihre knallbunten Fußballschuhe oder vollführten Luftschüsse, die natürlich allesamt ins Kreuzeck gingen. Wirklich angespannt waren die Väter. Sie hatten regelrecht Angst. Weil sie wussten, dass es an diesem Tag nicht nur darum ging, ob ihr Kind halbwegs vernünftig gegen einen Ball treten kann. In Wirklichkeit ging es darum festzustellen, ob ihr Genmaterial etwas taugt oder ob es von der Evolution nicht besser aussortiert gehört hätte.

Der moderne Mensch lebt heutzutage ja in einer trügerischen Sicherheit. Er kennt außer dem Funkloch, dem Mittagessen mit den Schwiegereltern und den TV-Events auf Sat.1 keine Gefahren und Herausforderungen mehr. Überleben ist ein leichtes Geschäft geworden. Selbst die größten Luschen mogeln sich irgendwie durch. Ich bin das beste Beispiel. Früher, mit minus acht Dioptrien auf den Augen, da verhungerte einer wie ich noch jämmerlich, da er ein Mammut nicht mal erkannte, wenn es drei Meter vor ihm stand. Und rannte man die 100 Meter nicht unter 11 Sekunden – barfuß! –, erwischten einen garantiert die Säbelzahntiger. Früher, da überlebten nur die Starken. So wie heute beim Probetraining für den Fußballverein. Deswegen hatten alle Väter Schiss. Ich auch.

Es ist ja das Los moderner Eltern, dass, wenn ihrem Kind etwas nicht gelingt, immer sie die Verlierer sind. Weil sie ihr Kind nicht genügend unterstützt und gefördert haben. Manchmal denke ich, mein Leben als Vater wäre viel einfacher, wenn ich es öfter übers Herz bringen würde, meinem Sohn zu sagen, dass er eine Niete ist. So wie ich. So wie eigentlich jeder andere auch. Wir alle sind fehlbar.

»Papa, warum darf ich nicht in den Fußballverein?«

»Weil das Spiel, das sie in diesem Verein spielen, Fußball heißt und nicht Ich-sitze-mit-ein-paar-anderen-Kindern-im-Mittelkreis-und-muss-erst-einmal-verschnaufen, du Loser.«

Stattdessen plagst du dich mit Gewissensbissen: »Du kannst nichts dafür, mein Sohn, dass das mit dem Fußballverein nicht geklappt hat. Es tut mir sehr leid, dass ich dich mit dieser schlechten genetischen Disposition in die Welt gesetzt habe. Dein niedriges Lungenvolumen, der schwache Herzmuskel … alles meine Schuld. … Aber die Streichholzbeine, die hast du von deiner Mutter.«

Der Trainer unseres Vereins war ein älterer kleiner Mann, der aussah, als hätte er zum Frühstück drei Fußbälle verspeist, deren Verdauung noch nicht abgeschlossen war. Als er sich uns als Detlef und künftiger Übungsleiter der Kinder vorstellte, zogen drei Väter mit ihren Sprösslingen ab. Detlef war ihnen wohl nicht athletisch genug. Vielleicht mochten sie auch seinen Namen nicht. Ich kenne einige Menschen, die eine Aversion gegen den Namen Detlef hegen. Detlef ließ alle Kinder auf dem Fußballplatz antreten, schaute freundlich in die Runde und sagte: »Guten Tag.«

13 Kinder rannten weinend zu ihren Eltern und waren nicht mehr zu beruhigen. War ich glücklich. Jetzt gab es 20 Plätze für nur noch 47 Kinder. Wenigstens war Olivier nicht Letzter. Ich bin ein bescheidener Mensch. Mein Mathematiklehrer pflegte mir bei der Rückgabe meiner Prüfungsaufgaben immer zu sagen: »Kopf hoch, die Note ›Drei‹ ist die ›Eins‹ des kleinen Mannes.« Da steckt viel Wahrheit drin.

Nach der Begrüßung mussten die Kinder Zweiergruppen bilden und Passübungen machen. Wieder erwischte es sieben Kinder. Sie standen einfach nur da, ohne sich zu rühren. Die Ärmsten hatten schlicht nicht verstanden, was Detlef von ihnen gewollt hatte, da sie kein Wort Deutsch sprachen. An dieser Stelle musste das Probetraining kurz unterbrochen werden, da einige der Väter mit Detlef ausdiskutieren mussten, ob Grundkenntnisse der deutschen Sprache wirklich Voraussetzung für die Teilnahme am Trainingsbetrieb seien. Nachdem das Seminar »Die schönsten Schimpfwörter aus aller Welt« beendet war und die Männer mit ihren Söhnen beleidigt gegangen waren, konnte es weitergehen. Mit Dribblings. Sechs Hütchen sollten die Kleinen so schnell wie möglich mit dem Ball umkurven. Am schnellsten fertig mit der Übung waren diejenigen Kinder, die über das erste Hütchen stolperten, hinfielen und von Detlef einen Freistoß haben wollten. Wegen Foulspiels.

Die nächste Übung war das Siebenmeterschießen. Endstation für neun weitere Kinder. Vier waren noch so klein, dass ihr Ball es nicht einmal bis zum Tor schaffte. Egal, wie hart sie schossen. Drei andere Jungen machten Detlef unmissverständlich klar, dass er die Bälle, die sie am Tor vorbeigebolzt hatten, gefälligst selber holen könne. Zwei Jungen drohten dem Torwart Prügel an, weil er ihre Schüsse gehalten hatte. Nach drei weiteren Übungen waren von ursprünglich 63 Kindern noch 27 im Rennen um die Aufnahme in den Fußballverein. Langsam wurde ich nervös.

Die verbliebenen Kinder wurden von Detlef in vier Mannschaften aufgeteilt und durften auf kleinen Feldern gegeneinander spielen.

Es war grauenhaft.