Die 10 größten Führungsfehler - und wie Sie sie vermeiden - Maren Lehky - E-Book

Die 10 größten Führungsfehler - und wie Sie sie vermeiden E-Book

Maren Lehky

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Beschreibung

Wer die Hierarchie strapaziert, falsche Informationspolitik betreibt oder kein Vertrauen zeigt, bekommt die Mitarbeiter, die er verdient: demotivierte und unwillige. Leider werden diese Fehler immer wieder unbewusst von Führungskräften gemacht. Anhand zahlreicher Beispiele aus ihrer Beratungs- und Coachingtätigkeit erklärt die Autorin, wie diese Fehler zustande kommen und vor allem, wie man es besser machen kann. So kann man das eigene Führungsverhalten überprüfen und systematisch verbessern.

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Lehky, Maren

Die 10 größten Führungsfehler - und wie Sie sie vermeiden

www.campus.de

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Copyright © 2007. Campus Verlag GmbH

Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de

E-Book ISBN: 978-3-593-40250-5

Vorwort

Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

bevor Sie mit dem Lesen beginnen, möchte ich Ihnen gern etwas zu der Entstehung und Handhabung dieses Buchs erzählen. Der Auslöser war ein Vortrag, den ich bei einem Kundenunternehmen vor der versammelten Führungsmannschaft hielt. Das letzte Chart meiner Präsentation beinhaltete die aus meiner Sicht typischen zehn Fehler im Führungsalltag – es war mehr als Abrundung und zur Eröffnung einer nachfolgenden Diskussion gedacht. Die Reaktion darauf war jedoch so leidenschaftlich, kontrovers, lebendig und gleichzeitig selbstkritisch, dass mir die Idee kam, zu diesem Thema ein Buch zu schreiben.

Beginnt man dann als Autor, konkret über das Schreiben eines weiteren Führungstitels nachzudenken und schaut sich im Buchhandel nach Konkurrenz um, dann bekommt die Frage »Warum ein weiterer Titel zum Thema Führung?« schlagartig das Gewicht einiger Hundert Kilo vorhandener Bücher. Die Frage, was dieses Buch von den anderen unterscheidet, möchte ich Ihnen also gleich zu Beginn – vielleicht also vor Ihrer Kaufentscheidung – beantworten.

Meine Tätigkeit als Beraterin, Coach oder auch Leadership-Trainerin zeigt mir immer wieder, dass es stets die gleichen Fehler sind, die Führungskräfte unglücklich, gestresst oder wenig erfolgreich sein lassen, obwohl sie manchmal die besten Absichten hegen, sich mit dem Unternehmen identifizieren und sich sehr engagieren. Meine Erfahrung zeigt, dass es häufig die banalen Dinge sind, die nicht funktionieren und zu unzufriedenen Mitarbeitern und zweifelndem Topmanagement führen. Ich möchte Sie daher mit verschiedenen typischen Fehlern vertraut machen und Ihnen zeigen, wie man sie vermeiden oder sogar zum Positiven verändern kann.

|10|Jedes Kapitel beginnt mit ein paar Fragen, die Sie veranlassen werden, kurz über sich selbst zu reflektieren. Da niemand Ihre Gedanken lesen kann, dürfen Sie an der Stelle ruhig ehrlich mit sich sein. Nach den konkreten Inhalten, zahlreichen Beispielen und Handlungsempfehlungen folgen dann zum Abschluss jedes Kapitels im Sinne einer gedanklichen Checkliste ein paar Denkanstöße, die Ihnen die Wahl lassen, bestimmte Punkte in Ihrem bisherigen Verhalten zu überdenken, zu optimieren oder – weil Sie sehr zufrieden mit sich sind – so zu belassen, wie sie sind.

Wie liest man das Buch? Man kann es nutzen, um es Kapitel für Kapitel durchzuarbeiten, und anschließend jedes der zehn Themen für sich und seine eigene Abteilung, seine Teammitglieder und seinen Chef anwenden. Genauso gut eignet es sich aber auch für die entspannte Liegestuhl-Lektüre im Urlaub, wo die Arbeit dann eher in Gedanken erfolgt und beim Eindösen nach jedem Kapitel in tiefere Schichten Ihres Bewusstseins dringen kann. Fragen und Checklisten können also im Geiste oder auf Papier beantwortet werden, und so kann der Leser oder die Leserin am Ende mit einem gestärkten Bewusstsein über die eigene Rolle und ein paar guten Vorsätzen die wieder aufgefrischten Erkenntnisse oder Tipps ausprobieren und die eigenen Führungsfähigkeiten weiter verbessern.

Sie dabei ein Stück zu begleiten, Ihnen gedanklich gegenüberzusitzen und als Sparringspartner für Ihre Fragen rund um das Thema Führen zu dienen, das ist mir Freude und Ehre zugleich. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen erfolgreiche und gleichermaßen unterhaltsame oder auch nachdenkliche Stunden oder Abende mit diesem Buch.

Abschließend noch eine Bemerkung: Die hier gewählte Schreibweise mit den männlichen Bezeichnungen umfasst gedanklich natürlich auch alle Frauen in Führungssituationen, alle weiblichen Bezeichnungen. Aus Lesefreundlichkeitsgründen wurde auf die gesonderte Schreibweise verzichtet. Ich bitte um Verständnis.

Für das Lesen wünsche ich Ihnen nun viel Vergnügen, zahlreiche Erkenntnisse und viel Erfolg bei der Umsetzung.

Hamburg, im Frühjahr 2007

Maren Lehky

Fehler 1

Sich nicht mit Menschen auseinandersetzen mögen

Nehmen Sie die Führungsrolle bewusst an!

Ertappen Sie sich manchmal bei dem Gedanken, dass Ihre Mitarbeiter Sie nur Zeit kosten und Sie von Ihrer »eigentlichen« Arbeit abhalten?

Trommeln Sie schon mal mit den Fingern auf die Tischplatte, wenn Mitarbeiter ausführlich von Problemen berichten?

Erzählen Kollegen oder Vorgesetzte Ihnen hin und wieder Dinge über Ihre Mitarbeiter, die Sie selbst gar nicht wussten?

Sind Sie heimlich erleichtert, ein dringendes Meeting zu haben, wenn einer Ihrer Mitarbeiter zum Geburtstag auf einen kleinen Imbiss einlädt?

Wünschten Sie sich manchmal, die Arbeit in Ihrem Verantwortungsbereich auch ohne Menschen erledigen zu können?

Haben Sie sich schon öfter nach einem ruhigen Home-Office gesehnt: Nur Sie und Ihr Computer – und so richtig was wegschaffen?

Worum geht es?

Führung heißt, sich mit Menschen auseinanderzusetzen. Ein Leitsatz meiner persönlichen Arbeit und ein Kernsatz unserer Unternehmensbroschüre lautet: »Wer Menschen beschäftigt, kommt nicht umhin, sich mit Menschen zu beschäftigen.« Nur ein schönes Bonmot? Dass mehr dahintersteckt, zeigt ein Blick in die Praxis.

|12|M. ist Informatiker und mit Mitte 30 Chef einer kleinen Software-Firma, die er selbst aufgebaut hat. Im Coaching stellt sich schnell heraus: Er weiß wenig über seine Mitarbeiter, und sie wissen von ihm allenfalls, welche Automarke er bevorzugt – dazu genügt schließlich der Blick auf den Firmenparkplatz. Nach dem Motto »Geschäft ist Geschäft« vermeidet M. jedes persönliche Wort. Auch wenn er nicht außer Haus unterwegs ist, leitet er sein Unternehmen, wie er meint, höchst effizient: Knappe E-Mails halten den Laden am Laufen. Trotzdem gibt es Sand im Getriebe. Die Fluktuation ist hoch, gerade hat sein »bester Mann« gekündigt. Die dritte Sekretärin in zwei Jahren ist kürzlich in Tränen ausgebrochen und hat ihm »Kaltschnäuzigkeit« vorgeworfen. Im Coaching möchte er »effektive Führungsinstrumente entwickeln«.

Effektive Führungsinstrumente sind sicher hilfreich, um die Komplexität der heutigen Business-Welt zu managen und die Fäden in der Hand zu behalten. Sie sind aber nicht alles, denn diejenigen, die die Arbeit machen und Ideen liefern, die umsetzen, was Sie anregen, die auf Probleme hinweisen, mit feinem Gespür Trends oder Missstimmungen bei Kunden entdecken und vieles mehr, sind nach wie vor Menschen. Und so modern unsere Welt auch geworden ist, so viel Technik auch in unser Arbeitsleben eingezogen ist: Wir bleiben ganz archaische Wesen, die immer noch die gleichen emotionalen Bedürfnisse haben wie vor 50 oder weit mehr Jahren.

Was veranlasst Menschen, tagtäglich aufzustehen und zur Arbeit zu gehen? Man muss Geld verdienen, natürlich, doch dass der Mensch nicht vom Brot alleine lebt, ist sprichwörtlich. Menschen suchen Anerkennung, Wertschätzung und persönlichen Kontakt. Und genau damit war der Inhaber der oben genannten Firma äußerst zurückhaltend.

Das wirft die Frage auf: Muss eine gute Führungskraft ein Menschenfreund sein? Vielleicht nicht unbedingt, jedoch bin ich mir sicher, dass es die Führungsaufgabe erleichtert; weil sie mehr Spaß macht, wenn man Freude daran hat, sich mit den unterschiedlichsten Charakteren, Neurosen, Bedürfnissen und Ticks auseinanderzusetzen, wenn man vielleicht sogar den Menschen an sich als »kleines Wunder« verstehen kann. Dann schmerzt auch so manche Verhaltensweise etwas weniger, da man einen anderen Blick darauf werfen kann. Menschen zu »mögen« macht Führung einfacher und vor allem für die Geführten wirksamer und angenehmer.

Dies belegen auch Umfragen, wie sie das renommierte Gallup-Institut aus den USA regelmäßig durchführt. Es geht hier allerdings nicht darum, aus rein humanistischen Gründen den Menschen in den Vordergrund zu |13|stellen – obwohl das ein durchaus wünschenswerter »Nebeneffekt« ist. Es geht vielmehr darum, dass eine Führungskraft, die die Beziehung zu ihren Mitarbeitern positiv und konstruktiv gestaltet, wirksamer führt.

Kenneth Blanchard brachte dieses Thema anlässlich eines Vortrags im Oktober 2006 auf die einfache Formel: »Leadership is love – loving customers, people and yourself.« Einer der Zuhörer fragte, wie man denn Ergebnisse sichern sollte, wenn man gleichzeitig die Menschen lieben soll. Und Kenneth Blanchard freute sich und sagte: »You should love them, you do not have to like them.« Ein wesentlicher Unterschied.

Die Kehrseite der Medaille

Erkennen Sie sich in M. wieder? Es sind häufig die eher introvertierten, zahlenorientierten, sachbezogenen Manager, die dazu neigen, die menschliche Seite zu vernachlässigen. Unter Ingenieuren oder Naturwissenschaftlern ist diese Haltung nicht selten. Dem stehen oft ausgeprägte analytische Fähigkeiten und Kompetenzen gegenüber – eine hohe Problemlösungskompetenz, ein scharfer Intellekt, bestechende Sachkompetenz. Die sozialen Kompetenzen sind weniger stark ausgeprägt, doch daran kann man arbeiten.

Was für Möglichkeiten Sie haben, um den Kontakt zu Ihren Mitarbeitern zu verbessern, lesen Sie ab Seite 33. Und dass sich eine solche Verhaltensänderung auch im privaten Leben auszahlt und positive Nebenwirkungen mit sich bringt, macht es vielleicht noch attraktiver, ein wenig »menschlicher« zu werden.

Was Mitarbeiter motiviert

Zu Motivation ist viel geschrieben und diskutiert worden. Dass es einen starken Zusammenhang zwischen Motivation und persönlichem Engagement und damit Erfolg in Unternehmen gibt, belegen sehr eindrucksvoll seit fast drei Jahrzehnten Studien des Gallup-Instituts. Das US-amerikanische Institut hat es sich zur Aufgabe gemacht, in Langzeitstudien den Eigenschaften erfolgreicher Führungskräfte und erstklassiger Arbeitsplätze |14|auf den Grund zu gehen, und untersucht in bekannten Unternehmen weltweit immer wieder den Zusammenhang zwischen Mitarbeitermotivation und Produktivität. Dabei haben sich im Laufe der Zeit zwölf Fragen als besonders relevant herauskristallisiert, die in standardisierter Form weltweit gestellt werden. Werfen wir einen Blick darauf. So viel schon vorweg: Es kommt auf die Führungskräfte an!

Die zwölf Fragen des Gallup-Instituts

Folgende Fragen setzt das Gallup-Institut zur Messung der Qualität und Vitalität eines Arbeitsplatzes ein (©The Gallup Organization):

Weiß ich, was bei der Arbeit von mir erwartet wird?

Habe ich die Materialien und Arbeitsmittel, um meine Arbeit richtig zu machen?

Habe ich bei der Arbeit jeden Tag die Gelegenheit, das zu tun, was ich am besten kann?

Habe ich in den letzten sieben Tagen für gute Arbeit Anerkennung und Lob bekommen?

Interessiert sich mein/e Vorgesetzte/r oder eine andere Person bei der Arbeit für mich als Menschen?

Gibt es bei der Arbeit jemanden, der mich in meiner Entwicklung unterstützt und fördert?

Habe ich den Eindruck, dass bei der Arbeit meine Meinungen und Vorstellungen zählen?

Geben mir die Ziele und die Unternehmensphilosophie meiner Firma das Gefühl, dass meine Arbeit wichtig ist?

Sind meine Kollegen bestrebt, Arbeit von hoher Qualität zu leisten?

Habe ich innerhalb der Firma einen sehr guten Freund?

Hat in den letzten sechs Monaten jemand in der Firma mit mir über meine Fortschritte gesprochen?

Hatte ich bei der Arbeit Gelegenheit, Neues zu lernen und mich weiterzuentwickeln?

Vielleicht lassen Sie diese Kernfragen einmal kurz Revue passieren: Wie viele dieser Aspekte sind in Ihrer eigenen Arbeitssituation gegeben? Und wie viele davon fließen in Ihren Führungsalltag ein? Denn wer, wenn nicht |15|Sie als Führungskraft, sollte Erwartungen vermitteln, für produktive Arbeitsbedingungen sorgen, loben, Interesse signalisieren und fördern?

Das Erstaunliche daran: Diese Instrumente kosten nichts, es handelt sich nicht um teure Incentives oder umfangreiche Budgets. Nicht zufällig fehlen Fragen nach Gehalt und Ausstattung von Positionen. Die Gallup-Forscher stellten im Laufe ihrer Arbeit schlicht fest, dass diese Kriterien zu vernachlässigen sind. Dass ein Unternehmen angemessene Entlohnung bietet, ist selbstverständlich, jedoch kein Alleinstellungsmerkmal oder ein wirkliches Argument für Mitarbeiter, bei diesem Arbeitgeber zu bleiben. Diesen Zusammenhang sehen Sie auch später im Kapitel 7, wenn es um Potenzialförderung geht.

Im Laufe von über 25 Jahren haben mehr als eine Million Arbeitnehmer diese zwölf Schlüsselfragen auf einer Skala von 1 (= starkes Nein) bis 5 (= starkes Ja) beantwortet. 1998 untersuchte Gallup mit einer Befragung von mehr als 100000 Mitarbeitern aus 24 Unternehmen und insgesamt 2500 Geschäftseinheiten gezielt den Zusammenhang zwischen der Beantwortung der Kernfragen einerseits und Faktoren wie Produktivität, Rentabilität und Mitarbeiterloyalität andererseits. Die Auswertungen zeigten: Die positive Beantwortung einer hohen Anzahl von Fragen korreliert sehr stark mit hoher Produktivität (zehn Fragen), in hohem Maße mit Rentabilität (acht Fragen) und stark mit Mitarbeiterbindung (fünf Fragen). Maßgeblich für Loyalität der Mitarbeiter waren dabei vor allem die Fragen 1, 2, 3, 5 und 7 aus der Liste – und damit klar diejenigen Faktoren, die vor allem durch den direkten Vorgesetzten gestaltet werden. Die naheliegende Schlussfolgerung: Mitarbeiter entscheiden sich für ein Unternehmen wegen des Firmenimages, der Stellenbeschreibung und des Gehalts. Die Entscheidung zu bleiben fällt man jedoch wegen des Chefs.

Ausführlich nachlesen können Sie all das übrigens in dem Buch Erfolgreiche Führung gegen alle Regeln, wo die Gallup-Forscher Marcus Buckingham und Curt Coffman ihre Erkenntnisse zusammenfassen.1

Was heißt das für die Führungsrolle?

Wer kein Kontaktmensch ist und stattdessen die Überzeugung pflegt, es gehe im Business allein um die Sache, der greift zu kurz und wird in seiner Führungsrolle wahrscheinlich nicht sehr zufrieden und erfolgreich sein. |16|Die Ebene hinter der Sache, die sogenannte Beziehungsebene (siehe auch Seite 118), wird durch diese Annahme vernachlässigt, wodurch ein großes Konfliktpotenzial entsteht. Die häufig vertretenen Managementansichten, dass »Menschen eher Mittel zum Zweck«, »kostenintensives Humankapital« oder sogar »nötiges Übel« seien, und das Bedauern darüber, dass es »ohne leider nicht gehe«, werden von der Belegschaft im Unternehmen entsprechend wahrgenommen. Kritik von Mitarbeitern zielt dementsprechend häufig darauf, dass Führungskräfte keinen Kontakt mit ihren Mitarbeitern suchen, ihnen aus dem Weg gehen, sich nicht zeigen, nie etwas Privates von sich geben, kein Interesse am Gegenüber haben und irgendwie unpersönlich sind.

Warum Kommunikation so wichtig ist

Manchmal drängt sich der Eindruck auf, Führung sei früher einfacher gewesen. Ein strenges Regiment von Befehl und Gehorsam sorgte für klare Verhältnisse: Der Vorgesetzte sagte, wo es langgehen sollte, die Mitarbeiter hatten zu folgen. »Motivation« war – im doppelten Wortsinne – ein Fremdwort, und über die richtige Kommunikation brauchte man sich als Chef keine Gedanken zu machen: Man war einfach der Chef. Heute dagegen sind ganze Bibliotheken mit Büchern zu diesen Themen gefüllt. Führungskräfte werden geschult, trainiert und gecoacht. Statt in Ruhe ihrem »eigentlichen Business« nachzugehen, sitzen sie in Zielvereinbarungs- oder Jahresgesprächen und verbringen ihre Zeit in Seminaren, in denen man ihnen die »vier Seiten einer Nachricht« beibringt. (Wenn Sie noch nicht in einem solchen Seminar waren: Lesen Sie ab Seite 115).

Heile Welt von gestern?

Bevor Sie sich in die gute alte Zeit zurückträumen, denken Sie daran: Bis Sie selbst ganz oben stünden, hätten auch Sie immer jemanden »über sich«, der Sie herumkommandierte. Würde Ihnen das gefallen? Das autoritäre Modell hat aber einen weiteren, noch entscheidenderen Haken: Wer »befehlen« will, muss bis ins Detail wissen, wo es langgehen soll – denn Kommunikation |17| wird hier zur Einbahnstraße. Für »allwissende« Führungskräfte ist die heutige Arbeitswelt jedoch viel zu komplex. Projektarbeit und Arbeitsgruppen, mitdenkende und selbstständige Mitarbeiter sind kein modischer Luxus, sondern schlicht notwendig, damit komplizierte, arbeitsteilige Prozesse überhaupt gelingen können. Den mündigen Mitarbeiter einerseits zu fordern, ihn andererseits aber nicht als Persönlichkeit individuell zu behandeln, passt schlecht zusammen. »Wollen, was wir sollen« hat das Wirtschaftsmagazin Brand Eins im April 2005 die Situation beschrieben, die erfolgreiche Führungskräfte für ihre Mitarbeiter kreieren müssen – und die wird selten durch einen autoritären Führungsstil erreicht.

Persönlicher Kontakt als Grundlage von Überzeugungskraft

Es ist kein Zufall, dass charismatischen Führungskräften häufig nachgesagt wird, sie seien im positiven Sinne Menschenfänger, könnten andere anstecken, hörten wirklich zu, worum es geht, suchten den Kontakt und das Gespräch mit anderen Menschen, um sich auszutauschen, gegenseitig zu befruchten und sich hinterfragen zu lassen. Nicolas G. Hayek, der Gründer der Swatch Group und »Retter der Schweizer Uhrenindustrie«, meint etwa, »der größte, wunderbarste, zufriedenste Unternehmer ist der, der es fertig bringt, die Leute um sich so zu motivieren, dass ihn alle lieben, auch wenn er sie kritisiert«. Was nicht heißt, dass man darüber die Arbeitsinhalte vergessen könne: »Es genügt aber nicht, nur zu kommunizieren, um die Menschen zu begeistern – sie müssen auch schnell umsetzen, was Sie kommuniziert haben.«2

Nun liegt es nicht jedem gleichermaßen, im persönlichen Kontakt zu überzeugen und diesen für Unternehmensinteressen gewinnbringend einzusetzen. Nun ist das aber nicht nur im Talent und in der Fähigkeit zur Führung begründet, sondern beginnt schon früher: nämlich beim Interesse für Menschen. Dieses Interesse beinhaltet verschiedene Facetten, die das Leben als Führungskraft in vielfältiger Hinsicht bereichern können und dazu führen, dass die Ausübung der Führungsrolle als weniger anstrengend empfunden wird. Die einzelnen Facetten sind folgende:

den Menschen als solchen wertschätzen;

neugierig darauf sein, wie andere »ticken«;

|18|aus der Nähe zu Menschen Energie schöpfen können;

aus dem Kontakt zu anderen inhaltliche Inspiration ziehen können;

mehr Spaß an Erfolgen haben, wenn man sie gemeinsam genießt;

froh sein, Frust und Ärger mit anderen teilen zu können;

anerkennen, dass Menschen Schwächen haben und nicht einfach nur funktionieren.

Wenn Sie diese Eigenschaften für sich persönlich bejahen können, haben Sie eine wesentliche Grundvoraussetzung für erfolgreiche Führung erfüllt.

Woran erkennt man einen Chef, der keine Freude an seiner Führungsaufgabe hat?

Erinnern Sie sich an die Vorgesetzten, die Ihren eigenen Weg kreuzten? Sicher finden Sie dann innere Bilder dazu. Häufig erkennt man Vorgesetzte, die keine Freude an Menschen haben, daran, dass sie sich in ihre Büros oder Meetings flüchten, dass man sie nie sieht und selten persönlich hört. Wenn man dann mit ihnen spricht, sind sie innerlich oder gar äußerlich auf dem Sprung, suchen keinen Augenkontakt oder wenden sich ab. Das gilt bis in die höchsten Ebenen: Vorgesetzte sind tagelang unerreichbar und lassen sich hervorragend von Sekretärinnen abschirmen. Manche kommunizieren ausschließlich über ihre Sekretärin oder Assistenten, die dann »sein Wort« weitertragen. Auch die Managerin, die, wenn sie nicht gestört werden will, ihr »Revier« mit dem gestreiften Plastikband absperrt, das man sonst nur von Baustellen kennt, ist leider keine Erfindung von mir – auch wenn das ein Extremfall ist. In der Regel sind Barrieren zwischen Führungskraft und Mitarbeitern unauffälliger in den Arbeitsalltag integriert.

Arbeitsaufgaben und Feedback gibt es von solchen Vorgesetzten fast nur in Form schriftlicher Anweisungen oder durch Übermittlungen von Assistenten oder Sekretärinnen. Heute macht es das E-Mail-System solchen Chefs zusätzlich leicht, sich abzuschotten: Eine Mail ist schnell geschrieben, und man muss sich zudem nicht mit lästigen Nachfragen oder gar Bedenken des Mitarbeiters herumschlagen.

Chefs, die keine »Lust auf Führung« haben, erkennt man auch daran, dass sie den Kontakt zu Menschen nicht suchen und nicht an Hintergründen oder Geschichten interessiert sind. Sie wissen kaum etwas von ihren |19|Mitarbeitern, weder, dass im vergangenen Monat die Mutter der Sekretärin starb, noch, dass der Junior der Abteilung demnächst Vater wird. Kurz: Sie sehen nicht den Menschen im Mitarbeiter. Doch genau das spüren die Mitarbeiter: Nicht erkannt zu werden in ihrer Einzigartigkeit demotiviert sie.

Ihre eigentliche Arbeit: Führung

Gar nicht selten ertappen sich Führungskräfte am Ende eines langen Arbeitstages bei der Frage: »Was habe ich eigentlich heute den ganzen Tag getan?« Sie auch? Das Büro war immer voller Menschen, irgendjemand wollte immer etwas von Ihnen, Sie waren dauernd im Gespräch – aber »geschafft« haben Sie eigentlich nichts. Bis Sie eines Tages erkennen: Sie haben nichts »geschafft«, Sie haben geführt.

Führen statt »schaffen«

Das ist es, wofür Sie als Manager eigentlich bezahlt werden: zu führen. Diesen Schalter im Kopf umzulegen, wird Teil Ihres Erfolges sein. Und dies gilt umso mehr, je weiter Sie in der Hierarchie nach oben gelangen, denn leider besteht ein starker Zusammenhang zwischen steigender Managementebene und abnehmendem Gefühl des »Wegschaffens«. Je weiter Sie in der unternehmensinternen Hierarchie nach oben kommen, umso abstrakter wird selbst die Aufgabe »Führung«. Dieser Zusammenhang wird erstmals sehr schön am Modell der Leadership Pipeline (siehe unten auf Seite 28) sichtbar und wird auch von Michael Löhner in adaptierter Form verdeutlicht, der in seinem Buch zwischen drei Managementstufen unterscheidet und die einzelnen Tätigkeiten der Führung auf die einzelnen Ebenen übersetzt.3

Je weiter Sie also nach oben kommen, umso abstrakter, weil strategischer und zukunftsweisender, wird die Aufgabe. Je weiter Sie am Anfang Ihrer Karriere stehen – zum Beispiel auf dem ersten Managementlevel – desto mehr haben Sie noch mit dem eigentlichen Tages- und Fachgeschäft zu tun und bewältigen die manchmal so befriedigenden »Berge von Arbeit|20|«, die man sehen oder anfassen kann. Und das wiederum können wir als Menschen einfach besser fassen und uns deshalb auch leichter erklären, warum wir manchmal davon erschöpft sind, als wenn wir den ganzen Tag »nur« gedacht, geplant, angeregt, auf hohem Niveau mit anderen gerungen und am Ende entschieden haben. Zumal die Vorlaufzeiten wesentlich länger sind, bis ein »großer Deal« abgeschlossen ist, als wenn es um die tatkräftige Entscheidung über einen konkreten Fall geht.

Aber wir greifen vor – kommen wir noch einmal zu der Frage, ob Sie sich wirklich mit vollem Herzen für die Führungsrolle entschieden haben und es heute wieder tun würden.

Warum kaum jemandem vorher bewusst ist, was Führung bedeutet

Im Laufe des Coachings berichten mir manche Manager, dass sie selbst nie darüber nachgedacht hätten, ob sie eigentlich »Lust auf Führung« hätten. Und es habe sie auch nie jemand danach gefragt, geschweige denn darüber aufgeklärt, was eine Führungsaufgabe an Kontakten, Kommunikation und Menschlichkeit mit sich bringen würde. Genau diesen Aspekt der Führung kann man schwer messen und jemand anderem erzählen. Wie müsste ein solches Aufklärungsgespräch aussehen?

»Also, Herr Paul, stellen Sie sich mal darauf ein: Sobald Sie die Abteilung übernehmen, werden in Ihrem Büro dauernd Menschen stehen, die mit ihren ganz unterschiedlichen Bedürfnissen zu Ihnen kommen. Sie werden mit ihren Geschichten und der Suche nach Aufmerksamkeit bei Ihnen sein und ab und zu einfach nur mal reinschauen, um zu gucken, ob sie noch wohlgelitten sind; sie werden Sie von Ihrer Arbeit abhalten, werden von morgens bis abends etwas von Ihnen wollen. Am Ende des Tages werden Sie sich manchmal fragen, was Sie eigentlich gemacht haben. Manchmal werden Sie diese Ansammlungen schrecklich finden und in die Flucht schlagen wollen, weil Sie einfach keine Zeit haben, sich jetzt auch noch um andere zu kümmern, weil Sie nämlich genügend eigene Probleme und Fragezeichen im Kopf haben. Und manchmal werden Sie Spaß an diesen Auseinandersetzungen und Aufregungen haben. Aber das wird wahrscheinlich seltener sein. Sie werden eine Menge Verantwortung tragen, so manche Nacht schlaflos auf dem Flur verbringen, weil Sie Ihre Sorgen nicht mit Ihren Mitarbeitern teilen können. Sie werden unter Strom stehen |21|und sich manchmal fragen, ob Ihnen nicht alles entgleitet. Und dann werden Sie sich wieder zufrieden zurücklehnen und am Ende einer Woche auf die Themen schauen, die Sie mitgestalten durften, auf die Erfolge, die man auch Ihnen zu verdanken hat; Sie werden schmunzeln und so manches gute Erlebnis Revue passieren lassen, bevor Sie sich dann mit Bergen zum Lesen und Durcharbeiten wohlig erschöpft nach Hause ins Wochenende begeben.«

Ein solches Briefing hat wohl niemand vor seiner Entscheidung bekommen, den ersten Führungsjob anzutreten. Es wäre wünschenswert und hilfreich, denn wenn ich an meine erste Führungsaufgabe und die Verantwortung als Personalleiterin für einen Betrieb mit 750 Mitarbeitern im Alter von 28 Jahren zurückdenke: Ich hätte mich weniger oft verzweifelt fragen müssen, wie man das alles hinkriegen soll, und ich hätte gewusst, dass es normal ist, ab und zu fristlos bis zum nächsten Morgen kündigen zu wollen. Mir wäre klar gewesen, dass die Aufgabe einfach nicht in 45 Stunden zu schaffen ist; dass auch andere Berge von Arbeit mit nach Hause schleppen und manchmal mit schlechtem Gewissen ungelesen wieder zurück; dass viele Sorgen auch bei schwerer Gartenarbeit nicht so leicht von einem abfallen. Man hätte mir gesagt, dass es sich mit den Jahren wesentlich leichter anfühlt und man sich merklich entspannt; dass man nicht jeden Fehdehandschuh aufgreift; dass es sinnvoll ist, sich auf diejenigen Mitarbeiter oder Kollegen zu konzentrieren, die richtig Spaß daran haben, mit einem gemeinsam etwas zu bewegen. Ich hätte mir bei vielen anstrengenden oder konfliktreichen Tagen entspannt gedacht: »Das wird besser.«

Natürlich geht es auch anders, man wächst auch ohne Aufklärungsgespräch in seine Führungsrolle hinein, denn die Zeit bringt die Erkenntnisse irgendwann von alleine. Gespräche mit anderen Gleichgesinnten helfen, das Mäntelchen der Perfektion zu lüften und zu erkennen, dass andere auch manchmal fix und fertig sind; und in Seminaren lernt man das eine oder andere hilfreiche Werkzeug kennen.

Allerdings denke ich heute: Junge Nachwuchsführungskräfte darüber aufzuklären, was wir von ihnen im Unternehmen erwarten, wie wir wollen, dass sie führen, und was wir unter Führung verstehen – das ist nicht nur sinnvoll, sondern auch eine Voraussetzung für erfolgreiche Unternehmen beziehungsweise Organisationen, wie wir später im Kontext des Modells der Leadership Pipeline sehen werden. Insofern finden alle Mentoring- oder Patenprogramme meine volle Unterstützung, wenn sie mit Offenheit gelebt werden (dürfen).

|22|Der beliebte Wurf ins kalte Wasser

Die Praxis sieht leider häufig so aus: Die meisten Manager berichten, dass sie kaum gefragt wurden, sondern eines Tages im relativ kurzen Gespräch mit der neuen Aufgabe »beglückt« und dann ins kalte Wasser geworfen wurden. Die erste Orientierung erfolgt dann meist an den eigenen Erfahrungen. So haben die meisten Manager ein gutes Gefühl dafür, wie sie nicht behandelt werden wollen, und leiten daraus ihr eigenes Führungsverhalten ab: Man vermeidet, was einem selbst nicht gefällt. Dazu kommen dann die meist klaren eigenen Erwartungen daran, wie ein Chef sein sollte, und das dient ebenfalls der Orientierung.

Diese Richtschnur trägt eine ganze Weile. Oft bekommt sie jedoch den ersten Riss bei den auftauchenden Konflikten mit Mitarbeitern oder bei Fällen von schwacher Performance im Team. Plötzlich wird man mit der wenig spaßvollen Seite von Führung konfrontiert und ertappt sich das erste Mal bei dem Gedanken: »Das hat mir keiner gesagt, dass es so sein würde.«

Lieber Spezialist statt Führungskraft?

So stellt sich die Frage: Würden Sie heute wieder aus voller Überzeugung Ja sagen zur Verantwortung für Menschen? Und würden Sie in Kenntnis der Ausgestaltung einer klassischen Führungsrolle auch dann Ja sagen, wenn es gleichwertig entlohnte und anerkannte Positionen in Unternehmen gäbe, die ohne Führung von Menschen auskämen?

Die klassische Spezialistenkarriere ist in vielen Unternehmen eine Herausforderung für die Zukunft, die bisher nicht zufriedenstellend gelöst ist. Spezialisten, die hoch anerkannt im Unternehmen den gleichen Status und die gleiche Ausstattung ihrer Position genießen wie die »typischen Führungskräfte«, sind sehr selten. Häufiger bringt Karriere die Ausdehnung der Führungsspanne und die Verantwortung für immer mehr Menschen mit sich. So stellt sich für viele die Frage eher mit einem anderen Schwerpunkt: Würden Sie heute wieder die Verantwortung für die Auseinandersetzung mit Menschen auf sich nehmen, um Karriere zu machen? So herum ist die Frage realitätsnah, denn so beinhaltet sie bereits die Einschränkung, dass es ohne Menschen nicht geht.

|23|Zum Trost bleibt festzuhalten: Auch jenseits von Status und Einkommen ist das Expertentum ein fragwürdiger Ausweg aus der »Kommunikationsfalle«: Kaum ein Spezialist kann sich heute tatsächlich noch in seinem Labor, in der Entwicklungsabteilung oder im Büro verkriechen, um es nur zum Kantinengang zu verlassen: Es wird in Teams und projektbezogen gearbeitet. Kommunizieren, im Unternehmen für seine Ideen werben und Projektmitglieder anderer Abteilungen überzeugen, das muss heute jeder. Warum dann nicht gleich den Stier bei den Hörnern packen und die Führungsrolle annehmen – und engagiert angehen?

So füllen Sie die Führungsrolle aus

Bis hierher dürfte klar geworden sein: Eine Führungsposition erfolgreich auszufüllen – seine Mitarbeiter dazu zu bewegen, »zu wollen, was sie sollen« –, fordert Einsatz. Wer führt, tritt aus der Gruppe heraus und wird sichtbar. Und er (oder sie) agiert viel stärker und in viel größerem Umfang in der direkten Auseinandersetzung mit anderen Menschen. Der Alltag besteht ab jetzt überwiegend aus Kontakten – in Form von Instruktionen, Delegationsgesprächen, Erklärungen, Meetings, Mitarbeitergesprächen oder Konfliktschlichtungen.

Selbsterkenntnis: Wer sind Sie?

Sicherlich kann man das eigene Kommunikationsverhalten immer und wahrscheinlich lebenslang verbessern und trainieren (siehe dazu das Kapitel 6). Souverän werden Sie die Führungsrolle jedoch nur ausfüllen, wenn Sie sich in ihr einigermaßen wohl fühlen. Sie müssen nicht perfekt sein – wer ist das schon? Aber Sie sollten so weit als möglich authentisch sein. Dazu sollten Sie wissen, wie Sie selbst »ticken«, damit Sie reflektierter handeln und Reibungspunkte besser verstehen oder ihnen sogar vorbeugen können. »Wer führt, muss wissen, was ihm ganz persönlich wichtig ist«, meint beispielsweise Hans-Peter Meister, Geschäftsführer des Instituts für Organisationskommunikation (IFOK), »sonst kann er nicht kommunizieren.«4 Anders gesagt: Nur wer sich selbst kennt, kann mit Überzeugung führen.

|24|Erkennen Sie Ihre Kernwerte

Sie sollten sich deshalb einmal mit Ihren eigenen Kernwerten, bezogen auf das Thema Führung und Beruf, auseinandersetzen. Unsere Werte, also die Glaubenssätze und Grundannahmen, mit denen wir durch das Leben gehen, bestimmen unsere Haltung und unser Verhalten ganz wesentlich. Man sagt Werten nach, sie hätten eine so starke Energie, dass sie ihren eigenen Weg suchen, um Erfüllung zu finden. Das hieße, eine Situation, in der Sie gegen Ihre Grundwerte verstoßen, wird Sie auf Dauer nicht nur unglücklich machen, sondern sie wird auch schiefgehen.

Prüfen Sie einmal, was für Sie besonders wichtig ist, und versuchen Sie, diese Grundwerte auf die berühmten drei Punkte zu reduzieren, auf die es Ihnen ankommt. Ohne welche Werte können Sie nicht arbeiten oder sich in eine Organisation integrieren, ohne welche können Sie nicht führen, in welcher Umgebung können Sie nicht erfolgreich sein? Brauchen Sie Gerechtigkeit, Freiheit und persönliche Weiterentwicklung? Streben Sie nach Anerkennung, Erfolg und Wohlstand oder eher nach Gesundheit, Harmonie und Verlässlichkeit? Natürlich sind uns fast alle diese Punkte wichtig – aber was sind Ihre Top 3?

Sie werden sie leicht daran erkennen, wenn Sie sich klarmachen, wogegen Sie wirklich allergisch sind: Welches Verhalten oder welche »Regelverletzung« regt Sie so richtig auf – da hat man wahrscheinlich einen Ihrer Grundwerte verletzt. Ebenso geeignet zur Eingrenzung ist die kritische Frage: »Ohne was davon könnte ich nicht arbeiten?« Sobald Sie diese bestimmt haben, wissen Sie, welche inneren Leitsterne Ihnen den Weg durch den Karrieredschungel weisen und in welcher Unternehmenskultur Sie erfolgreich sein können oder wollen.

Kommunizieren Sie Ihre Kernwerte

Es hat sich übrigens als sehr wirksam und für Mitarbeiter erhellend erwiesen, seine Kernwerte einmal im Team zu kommunizieren. Denn wenn Ihre Mitarbeiter erst wissen, dass Erfolg und Anerkennung der Arbeit für Sie unerlässlich sind, lassen sich daraus ja eine Menge konkreter Handlungen ableiten: Erfolg erzielt man, wenn man Ziele erreicht, die gesetzt sind, Termine einhält, gute Ideen zum Gesamtunternehmen beiträgt, möglichst wenig Fehler macht, kein eigenes Projekt scheitert. Anerkennung |25|bedeutet für die Mitarbeiter, den Chef für die Führungsrolle zu loben, sie kann helfen, den gesamten Bereich zu vermarkten, über die Erfolge zu reden, Multiplikatoren einzusetzen, die ebenfalls positiv eingestellt sind, und so weiter (mehr dazu lesen Sie in Kapitel 9).

Sie können Ihre Werte also in einer Abteilungsbesprechung zum Thema machen, zum Beispiel, wenn Sie eine Gruppe neu übernehmen. Sie können dieses Instrument aber auch sehr gut nutzen, um einfach die Zusammenarbeit zu vertiefen, sich insgesamt näher zu kommen und noch besser zu verstehen, was Arbeit für jeden Einzelnen bedeutet. Hat man diese Frage beispielsweise zum Auftakt eines bereichsübergreifenden Projektes beantwortet, fällt es wesentlich leichter, spätere Reaktionen und Befindlichkeiten sowie die Arbeitsweise einzelner Projektmitglieder zu verstehen. Ebenso geeignet ist eine solche Diskussion für das Führen virtueller Teams, worum es auch in Kapitel 8 noch gehen wird (siehe Seite 172).

Managementpotenzialanalyse, Typentest und Feedback

Es gibt aber noch andere Wege, um sich selbst besser einschätzen zu lernen. Bei den Managementpotenzialanalysen und den meisten anerkannten Tests werden verschiedene Kompetenzen gemessen. Sie unterscheiden bei der Auswertung zwischen eher menschenorientierten und eher sachorientierten, eher extrovertierten und eher introvertierten, stärker intuitiv entscheidenden und stärker faktenbezogen entscheidenden Führungskräften (vergleiche dazu auch das Kapitel 6 über Kommunikation).

Der Typentest nach Myers-Briggs (MBTI)

Ein sehr namhaftes und weit verbreitetes Instrument ist der Myers-Briggs-Typenindikator (MBTI), der auf der Basis der Jungschen Psychologie folgende Pole misst und hier repräsentierend für eine Reihe anderer Potenzialtests erwähnt werden soll. Mit einem umfangreichen Test werden gemessen:

Extraversion (E) versus Introversion (I),

sinnliche Wahrnehmung (über die fünf Sinne) (S) versus intuitive Wahrnehmung (N),

|26|analytisches Urteilen (T) versus werteorientiertes (soziales) Urteilen (F),

wahrnehmende (eher spontane) Einstellung zur Außenwelt (P) versus strukturorientierte (eher urteilende) Einstellung zur Außenwelt (J).

Auf der Basis der vier gemessenen Skalen sind insgesamt 16 Kombinationsmöglichkeiten (Persönlichkeitstypen) denkbar, die mit einer Buchstabenformel ausgedrückt werden. Der »ESTJ«-Typ beispielsweise ist eher extrovertiert, verlässt sich stärker auf seine Sinneseindrücke, urteilt vorwiegend rational-analytisch und nimmt gegenüber seiner Umgebung eine eher normative Haltung ein. Salopp könnte man sagen: ein richtiger Macher, bei dem »die Sache« an erster Stelle steht. Jemand, der eher dem Typus »INFP« entspricht, ist dagegen introvertiert, denkt ganzheitlicher und intuitiver, bezieht beim Urteilen den menschlichen Faktor stärker mit ein und handelt lieber spontan-flexibel, als lange Pläne zu machen und Vorhaben zu strukturieren.5 Natürlich ist niemand ein reiner »Typ« – das sei auch an dieser Stelle schon für alle folgenden Typisierungen in den anderen Kapiteln festgehalten; es geht hier lediglich um Tendenzen und Vorlieben, die den Blick auf die eigene Person schärfen.

Besonders wichtig im Leadership-Kontext ist hier die Skala T versus F, also analytisches versus personenbezogenes Entscheiden – wenn man so will: Faktenorientierung versus Menschenorientierung.

Feedback durch Dritte

Daneben ist systematisches Feedback durch Dritte ein gutes Mittel, sich selbst besser einschätzen zu lernen. Das kann ein professioneller Coach sein oder auch vertrauenswürdige Kollegen oder Freunde, denen Sie ein unvoreingenommenes Urteil zutrauen. Hellhörig sollten Sie werden, wenn man Ihnen wiederholt Hinweise gibt wie:

Du hörst mal wieder nicht zu.

Mussten Sie so hart mit ihm umspringen?

Ich glaube, dem Meier sind Sie mit Ihrer Kritik ziemlich auf die Zehen getreten!

Sie sind doch wirklich der Einzige, der hier mal ein offenes Wort wagt! Bravo! (Ein recht zwiespältiges Lob. Es könnte sein, dass sich |27|hier schlicht jemand freut, dass Sie die Kohlen aus dem Feuer holen, während er selbst gut angesehen bleibt.)

Was, Sie wussten gar nicht, dass Ihre Sekretärin gestern 40 geworden ist?

Du bist immer so direkt!

Sie sieht man ja auch nie bei uns …

Toleranz zeigen: »anders« heißt nicht unbedingt »schlechter«

Was können Sie tun, wenn Sie sich selbst eher der »faktenorientierten« Fraktion zuordnen? Dann sollten Sie zunächst einmal lernen, dass »menschenorientierte« Kollegen andere, aber genauso wichtige Stärken haben. Sir Peter Ustinov hat einmal gesagt: »Die Akzeptanz des Andersseins hilft, sich über Gemeinsamkeiten zu freuen«, und da ist sicher etwas Wahres dran. Hat man erst einmal wirklich akzeptiert und innerlich abgehakt, dass jeder Mensch anders ist als die übrigen, einzigartig in seinen Stärken, Schwächen und Neurosen, die er aufgrund eigener Entwicklung und Sozialisation mitbringt, dann freut man sich über die wenigen Gemeinsamkeiten, die es gibt. Dann kann man noch mehr wertschätzen, wenn es plötzlich gelingt, gemeinsam an einem Strang zu ziehen, obwohl vielleicht jeder individuelle Partikularinteressen verfolgt – Sie selbst eingeschlossen.

Anders ausgedrückt: Nicht jeder arbeitet so wie Sie; dennoch kann man Erfolg haben. Mehr noch: In Kapitel 8 (Teammanagement) werden wir sehen, dass in der Kooperation unterschiedlicher Charaktere mit unterschiedlichen Stärken und Denkweisen ein Erfolgsgeheimnis starker Teams liegt. »Strength through diversity« lautet die Formel im modernen Management. Ihre Aufgabe als Führungskraft besteht nicht darin, alle in Richtung Ihres Arbeitsmodells zu trimmen, etwa nach dem Motto »Können die nicht alle so systematisch sein wie ich selbst?«. Dieses Unterfangen dürfte kaum von Erfolg gekrönt sein, denn dann wären Sie als Team zwar für ein paar bestimmte Aufgaben sehr gut aufgestellt, für einen großen Teil jedoch überhaupt nicht gut gerüstet. Ihre Aufgabe besteht vielmehr darin, die Arbeit im Team und die unterschiedlichen Teammitglieder in eine gute Balance zu bringen – und dazu gehört es auch, fakten- und menschenorientierte Mitarbeiter zu vereinen.

|28|Entwickeln Sie Toleranz

Wie entwickelt man mehr Toleranz? Dazu einige Anregungen und Stichworte:

Selbstreflexion (siehe oben): Wer sich der eigenen Schwächen bewusst ist, kann Schwächen anderer eher akzeptieren.

Ausgewogenheit: Wer sich die Stärken der anderen bewusst macht, kann ihre Schwächen eher ertragen.

Zweiter Blick: Stärken und Schwächen sind selten absolut, sondern meist kontextabhängig – was in der einen Situation eine Schwäche ist, kann in der anderen von Vorteil sein. So ist die zeitraubende Gründlichkeit eines Mitarbeiters für bestimmte Aufgaben vielleicht gerade richtig.

Hinterfragen: Was uns an anderen besonders stört, weist manchmal auf etwas hin, das wir an uns selbst nicht mögen. Oder anders herum: Wenn wir neidisch auf jemanden sind, könnte dies ein Hinweis darauf sein, was wir gern wären oder hätten.

Toleranz ist also die Voraussetzung dafür, wertschätzend mit Mitarbeitern umzugehen, die anders »ticken« als man selbst. Das bedeutet auch, sich nicht zu stark von eigenen Sympathien und Antipathien leiten zu lassen. Sympathie macht zwar vieles leichter, sollte aber nicht Vorbedingung dafür sein, produktiv mit jemandem zusammenzuarbeiten. Paradoxerweise werden Sie als Führungskraft gleichzeitig Nähe zulassen und innere Distanz wahren müssen – die Herausforderung ist, Kontakte positiv zu gestalten, ohne rein emotional zu reagieren. Und wenn man erst erkannt hat, dass man mit dem für einen selbst unsympathischen Mitarbeiter, der so ganz anders ist als man selbst, ein schlagkräftiges Team bildet, ist man einen großen Schritt weiter.

Das Modell der »Leadership Pipeline«: Was sich mit der Karriere ändert

Während in Europa häufig noch die Idee von der geborenen Führungspersönlichkeit vorherrscht und viele Unternehmen den Führungsnachwuchs deshalb einfach ins kalte Wasser werfen, sieht man das Thema Führung jenseits des Atlantiks pragmatischer. Besonders hilfreich ist in diesem Zusammenhang |29|das Modell der »Leadership Pipeline«, das drei ehemalige Topmanager amerikanischer Konzerne entwickelt und 2000 in einem Buch gleichen Titels publik gemacht haben.6 Das Modell der Leadership Pipeline geht davon aus, dass Unternehmen dann Erfolg haben, wenn drei Faktoren gegeben sind:

Wenn Führungskräfte wissen, worauf es ankommt und was von ihnen erwartet wird,

wenn Nachfolger gezielt entwickelt und aufgebaut werden und

wenn bei einer Beförderung von einer zur nächsten Karrierestufe jeweils drei Dinge angepasst werden: die eigenen Werte, die eigenen Zeitprioritäten und die eigenen Fähigkeiten.

Hier wird das Thema Leadership eindeutig als etwas angesehen, das man entwickeln und an dem man lebenslang arbeiten muss. Man geht davon aus, dass Führung erlernbar ist und dass jede neue Stufe neue Kompetenzen erfordert. Eine weitere Kernbotschaft des Modells lautet: Für Führungsaufgaben muss Zeit eingeräumt werden und mit jeder Ebene verändert sich die jeweilige Verteilung der Zeit. Und schließlich lenkt der Ansatz die Aufmerksamkeit darauf, dass beim erfolgreichen Weg nach oben eine Veränderung der eigenen Werte stattfindet, zum Beispiel der Wertetransfer von »etwas wegschaffen« zu »andere arbeiten lassen«.

Das Modell unterscheidet insgesamt sieben Hierarchiestufen und geht dabei von einem typischen internationalen Konzern als Musterbetrieb aus. In eher mittelständischen Betrieben endet die Leadership Pipeline nach unseren Definitionen mit dem Business Manager. Die Erklärung der Hierarchiestufen erfolgt auf einer gedachten Karriereleiter von unten her mit folgenden Stationen:

Managing Self (Mitarbeiter oder Experte) Er hat keine Führungsverantwortung, sondern ist für einen Arbeitsbereich zuständig. Der Expertenstatus kann in vielen Fällen trotz erfolgreicher Karriere beibehalten werden und wäre dann die klassische Spezialistenkarriere ohne Führungsverantwortung.

Managing Others (Gruppen- oder Teamleiter) Die Aufgabe besteht zum Teil aus Führung, zum Teil aber noch aus der bisherigen Fachoder Sacharbeit. Das heißt, neben den zahlreichen Fähigkeiten, die hier |30|erstmals für eine Führungsrolle erworben und trainiert werden müssen (siehe unten), geht es hier darum, die Balance zu finden zwischen Tagesgeschäft und neuer Führungsrolle. Der wichtigste Schritt hier ist unter anderem die Erkenntnis, jetzt zu »denen da oben« zu gehören und sich nicht als bester Sachbearbeiter/Verkäufer/Ingenieur zu beweisen, sondern als guter Chef.

Managing Managers (Abteilungsleiter) Ein Abteilungsleiter führt ein Team von Gruppenleitern oder Meistern, die wiederum selbst Führungsverantwortung haben; die Arbeit besteht fast ausschließlich aus Führung. Hier liegt die Kunst darin, die Fähigkeit zu erwerben, andere nicht mehr daran zu messen, wie sie arbeiten und wie viel sie »wegschaffen«, sondern genau hinzuschauen, wie sie führen. Sie müssen sicherstellen, dass in Ihrem und im Unternehmenssinne geführt wird, ohne dass Sie direkten Einfluss haben. Führungskräfte zu führen bringt daher einen anderen Führungsstil mit sich, der trainiert werden muss: mehr Delegation, also auf der Werteebene auch wesentlich mehr Vertrauen, dass die Dinge in Ihrem Sinne, wenn auch nicht auf Ihre Art gelöst werden. Gleichzeitig müssen Sie Ihre Führungskräfte entwickeln und die Kontrolle dabei nicht ganz abgeben – das gilt es hier auszubalancieren.

Functional Manager (Bereichsleiter) Er verantwortet einen Funktionsbereich, hat in der Regel zwei Führungsebenen unter sich, darunter auch »fachfremde Bereiche«, bei denen er nicht im Thema steckt. Die Aufgabe umfasst jetzt neben Führung auch Strategie: Es wird die strategische Kompetenz und der breite Horizont gefordert, das Unternehmen als Ganzes zu sehen, die Grenzen der Fürstentümer einzureißen und den Gesamtkontext nach vorn zu stellen. Daneben wird die Fähigkeit verlangt, einen thematisch fremden Bereich verantwortlich zu führen. Auch hier ist also eine besondere Art von Vertrauen gefordert sowie eine spezielle Fragetechnik und analytischer Verstand, die Sie logische Widersprüche und Argumentationsschwächen aufdecken lassen, ohne das Thema inhaltlich ausfüllen zu können. Denken Sie an den kaufmännischen Leiter, der vielleicht Jurist ist und nun neben Finanzen und Controlling auch noch für IT zuständig ist: Er muss die Entscheidung seines IT-Leiters über die millionenschwere Ablösung der Systemlandschaft mittragen und im Vorstand argumentieren, obwohl er nicht wirklich versteht,  |31|worum es genau geht. Genau das ist bei zunehmender Karriere die Herausforderung.

Business Manager (Geschäftsführer/Vorstandsmitglied) Er leitet Geschäftsbereiche oder ganze Unternehmenseinheiten, im Mittelstand wäre dies bereits die Spitze der Hierarchie; diese Position hat einen starken strategischen Fokus und keine funktionale Verantwortung mehr. Hier hat man sich vollkommen von den Fachbereichen und ihren inhaltlichen Themen gelöst und beschäftigt sich mit dem Großen und Ganzen, also mit der Zukunft, mittel- und langfristigen Fragen der Geschäftsausrichtung, mit der Repräsentation des Unternehmens an wichtigen Stellen, mit der Marktabsicherung oder -erweiterung und so weiter. Bezogen auf die Führungsaufgabe geht es hier vor allem darum, dafür zu sorgen, dass die Funktionsmanager miteinander arbeiten statt gegeneinander, darauf zu achten, dass alle zusammen die Unternehmensleitlinien leben, dass Sie das Unternehmen voranbringen, weniger sich als das Unternehmen in den Vordergrund stellen und möglichst ein Team aus Ihrer Führungsmannschaft formen.

Group Manager (Konzerngruppenchef)