Die Bibel. Eine Biographie - Martin Urban - E-Book

Die Bibel. Eine Biographie E-Book

Martin Urban

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Beschreibung

Die Heilige Schrift ist nicht vom Himmel gefallen! Die Bibel muss heute anders verstanden werden, als dies über 2000 Jahre lang der Fall war. Die Bibel ist das wirkmächtigste Buch der Weltgeschichte. Wie jedes Geschöpf hat sie eine Biographie: eine Familiengeschichte mit Eltern (Gott-Vater und dem Heiligen Geist) und Ahnen (den Göttern und Göttinnen des Alten Orients), eine Entwicklungsgeschichte, eine Geschichte von Deutungen, Wirkungen und Nebenwirkungen – die wiederum jeweils ihre eigene Geschichte haben. Wer ohne zusätzliche Informationen die Bibel liest, kann dies nicht erkennen. Am Schluss eines Gottesdienstes etwa spricht der Pfarrer üblicherweise die Worte: »Der Herr segne dich und behüte dich, der Herr lasse leuchten sein Angesicht über dir …« So steht es im Vierten Buch Mose. Der Gott mit dem leuchtenden Antlitz ist der altägyptische Sonnengott. Im Laufe einer langen Geschichte hat der biblische HERR Gott viele andere Gottheiten integriert. Der Bibelleser kann nicht erkennen, das die vielen Götter des Orients in dem einen Gott der Juden, Christen und Muslime aufgingen, der allerdings immer noch voller Widersprüche ist. Auch die Geschichten um Moses, Noah oder die Königin von Saba haben einen historischen Hintergrund. Die Berichte und Deutungen des Lebens von Jesus durch die Evangelisten und Apostel sind ohne die Kenntnis der Bücher des Alten Testaments, der Bibel von Jesus und seinen Jüngern, nicht zu verstehen. Heute wissen wir: Der Auszug der Kinder Israels aus Ägypten fand ebenso wenig statt wie die Eroberung des Gelobten Landes. Mancher biblische Prophet ist eine Erfindung der alten jüdischen Theologen. Die Zehn Gebote sind ein Konstrukt. Die Psalmen Davids stammen nicht von David, die Sprüche Salomos nicht von Salomo. Jesus war kein Christ, Petrus war nicht katholisch und schon gar nicht der erste Papst, und er hat auch keine Briefe hinterlassen. Nur sieben von 13 Paulus-Briefen gelten als echt. Vieles, was in der Bibel steht, darf man nicht wörtlich nehmen. Die Kirchen beider Konfessionen sind jedoch, freundlich gesagt, noch nicht so weit, aus den Erkenntnissen der Wissenschaft Konsequenzen zu ziehen. Denn damit würden sich die zu Dogmen erstarrten Bilder relativieren. Das macht manchem Frommen Angst. Das aber gäbe auch eine Chance, aus den verstaubten heiligen Räumen herauszukommen und sich in größerer Freiheit an der Auseinandersetzung über Gott und die Welt zu beteiligen. Dass die Kirchen diese aufregenden, hochspannenden Erkenntnisse der verschiedensten Wissenschaftsbereiche nicht aufnehmen, nicht einmal die ihrer eigenen Theologen, ist Martin Urban ein Dorn im Auge. Mit Hilfe der historisch-kritischen theologischen Forschung, der modernen Sprach- und Textwissenschaften, der Archäologie, der Geschichtswissenschaften sowie insbesondere auch der Erkenntnisse der Naturwissenschaften, erzählt er die Biographie der Bibel und zeigt, dass sie heute anders verstanden werden muss, als dies über zweitausend Jahre lang der Fall war. Das zu wissen, macht die Bibel nicht weniger wichtig, sondern glaubwürdiger. Martin Urbans Fazit: »Für mich bleibt das Alte Testament zusammen mit dem Neuen Testament als eine Bibel Grundlage unserer Kultur und aller Bemühungen, Gott und die Welt zu suchen und zu verstehen.«

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Inhalt

Vorwort

Einleitung

I Die Vorgeschichte

Hilfsmittel

Die Namensgebung

Die Ahnen

Noahs Vorgänger wird entdeckt

Der Babel-Bibel-Streit

Das »älteste Buch der Menschheit« ist ziemlich jung geworden

II Das Alte Testament

Heilige Schriften der Hebräer

Die hebräische Bibel – auch auf Griechisch

Qumran: Ein Beduine findet die ältesten Bibelmanuskripte

Minimale Abweichung gegenüber dem heutigen Text

Spekulationen über eine Gemeinde in Qumran

Folgenreiche Falschübersetzung: Wie Maria zur Jungfrau wird

Geschichtsbücher

Gott und seine Familie

Eva – einst eine Göttin

Wie aus Geschichte Geschichten werden

Genesis. Das Erste Buch Mose oder von der Sünde

Die Erfindung der Welt und die Erfindung der Sünde

Spätwirkungen des Sündenmythos

Gott ist ungerecht, die Menschen sind böse

Keine Spuren, sondern literarische Figuren: Die Erzväter und -mütter

Abraham als Symbol des Opferkults

Fatale Verbindung: Adam der Sünder und der gehorsame Abraham

Der Stammvater und seine Familie

Josef und die israelische Diaspora in Ägypten

Exodus. Das Zweite Buch Mose oder eine sagenhafte Völkerwanderung

Moses ausländischer Name

Spuren der Gastarbeiter aus Kanaan

Der unwahrscheinliche Auszug aus Ägypten

Der Gründungsmythos Israels: Gottes Wort, Gottes Gebot, Gottes Bund

Die Bibel kennt keine »Zehn Gebote«

Wie Moses Hörner aufgesetzt wurden

Exkurs über die Moral

Die Opferbereitschaft des Affen

Gewalt gegen Unschuldige: Eine menschliche Eigenschaft

Auge um Auge

Fleischverzehr als Voraussetzung für die Menschwerdung

Die Kultur des Homo erectus

Von den Zehn Geboten zum Ethikboom

Levitikus. Das Dritte Buch Mose oder die Entdeckung der Nächstenliebe

Das Blut als ganz besonderer Saft

Numeri. Das Vierte Buch Mose oder Erinnerung an den Sonnengott

Deuteronomium. Das Fünfte Buch Mose oder der entscheidende Schritt zum Judentum

Eine Legende als Legitimation für Josias Reform

Offenbarung als »kreativer Akt«

Das Buch Josua – Und die Bibel hat nicht recht

Echte Ruinen, falsche Deutung

Kein Einmarsch ins Heilige Land

Literarischer Ausdruck von Sehnsüchten

Adams Nabel oder vom Gepäck der Vergangenheit

Die Entdeckungen der Archäologen

Die Geschichte der Besiedlung

Die frühen Israeliten waren Kanaanäer

Warum Galilei das Buch Josua zum Verhängnis wurde

Das Buch der Richter – Mythos von Held und Verräterin

Räuber und Retter

Eine Tragödie in Gaza: Simson und Dalila

Das Buch Rut – Treue unter Frauen

Die Bücher Samuel – David bringt Gott nach Jerusalem

Archäologischer Beleg für das Geschlecht Davids

Die Stimme des Volkes verlangt einen König

Ein Streit mit dem HERRN über fette Beute

Saul – von Gott verworfen

David und Goliat

Falsche Datierung – falsche Schlussfolgerung über Davids Eroberungen

Politische Propaganda aus Jerusalem: Der schwache Süden gegen den starken Norden

Jerusalem vereinigt in Jahwe die Gottheiten aus Ost und West

Die Bücher der Könige – König Salomos nachhaltige Wirkung

Keine Spur von Salomos Pracht

Das salomonische Urteil

Die Königin von Saba

Die sagenhafte Königin hinterlässt Spuren in drei Religionen

Der Mann der tausend Frauen

Soziale Spannungen spalten das Reich

Wettermacher Elia

Verhinderte Himmelfahrten

Das Ende Israels: Die babylonische Gefangenschaft

Bücher der Chronik – Motto für die ersten Zionisten

Heimkehr aus dem Exil

Exkurs über Motive und Fakten

Die Bücher Esra und Nehemia – Jüdische Selbstisolierung

Das Buch Ester – Ursprung des Purim-Fests

Lehrbücher und Psalmen

Das Buch Hiob (Ijob) – Vom Leiden des Gerechten

Suche nach dem Sinn des Bösen

Der Psalter – Hymnen und Klagelieder

Fortlaufend nachbearbeitete Dichtung

Die Sprüche Salomos – Der Stoff, aus dem die Redensarten sind

Spuren der Geliebten Gottes

Rechtfertigung häuslicher Gewalt

Kohelet oder Der Prediger Salomo – Die Alternative zur Moralpredigt

Den Gottlosen geht es gut, den Gottesfürchtigen schlecht

Genieße das Leben mit deinem Weibe

Sei nicht allzu gottlos

Das Hohelied Salomos – Ein Liebesgedicht, keine Allegorie

Wörter und ihre verborgene Bedeutung

Die Prophetenbücher

Prognosen und Prophezeiungen

Musik lässt Propheten in Verzückung geraten

Die Erfindung zeitlos gültiger Prophezeiungen

Die fragwürdige Idee einer Heilsgeschichte

Das Gehirn als Sinn-Erzeuger

Der Prophet Jesaja – Als Künder Jesu missverstanden

Aus drei mach eins: Komposition mehrerer Verfasser

Der Perserkönig als Messias

Viele Deutungen des Knechts Gottes

Der Prophet Jeremia – Die Zukunft richtig vorausgesagt

Höchstens ein Viertel selbst verfasst

Nebukadnezar erobert Gottes Wohnsitz

Suchet der Stadt Bestes

Der Tempel in Jerusalem wird zerstört

Die Klagelieder Jeremias – Deutungen des babylonischen Exils

Der Untergang Jerusalems als Gottesstrafe

Der Prophet Hesekiel (Ezechiel) – Der Mann mit der Sprechstörung

Visionen aus zeitgenössischem Bildmaterial Mesopotamiens

Der HERR ist kein Rachegott

Pornographische Bilder

Die Erfindung von Gog und Magog

Der Prophet Daniel – Ansage des Mene Tekel

Komposition aus uralten Geschichten

Drei Männer im Feuerofen

Die Bedeutung von Daniel für das Neue Testament

Das Zwölfprophetenbuch

Hosea – Von Jesus gegen den Opferkult zitiert

Joel – Aufruf zum Heiligen Krieg

Amos – Der Sozialkritiker

Obadja – Ärger über Gebietsverluste

Jona im Fisch und die Berufsprobleme eines Propheten

Der Fisch als Symbol

Micha – Hinweis auf Bethlehem

Nahum – Weissagungen über Ninive im Nachhinein

Habakuk – Ein Halbsatz für Paulus

Zefanja – Künder des »Dies irae«

Haggai – Falsche Voraussagen, unkorrigiert

Sacharja – Wie Jesus auf den Esel kam

Tochter Zion, freue dich

Maleachi – Dichtung mit Spätwirkung im Neuen Testament

Die Apokryphen

Von Luther ausgesondert, von Rom bestätigt

Judit – Sex und Tod

Die Weisheit Salomos – Nicht von ihm

Tobias (Tobit) – O Herr, er will mich fressen

Ein Engel gibt medizinischen Rat: Fischleber hilft gegen Dämonen

Jesus Sirach – Dem Kranken hilft nicht nur Beten

Männliche Ängste

Baruch – Voll von Übersetzungsfehlern

Das Erste und Zweite Buch der Makkabäer – Religionskriege in Jerusalem

Der Kampf gegen die Seleukiden

Bis heute nachwirkende Propaganda

Stücke zu Ester und zu Daniel – Helden- und Lügengeschichten

Ein verfressenes Kultbild und ein Kochkünstler

Exkurs: Das Alte Testament und die Erkenntnisse der Gehirnforschung

III Jesus und das Neue Testament

Deutungen der Evangelisten

Keiner der Evangelisten und Apostel kannte Jesus – Suche nach den Quellen ihres Wissens

Von den Schwierigkeiten, das Neue Testament zu verstehen

Mit kanonischem Anspruch geschrieben

Das Matthäus-Evangelium – Schlüsselworte für das Papsttum

Der Autor lebte vermutlich in Syrien

Ethische Abgrenzung vom Judentum

Ergänzungen und Deutungen des Matthäus

Evangelium der Gerichtsdrohungen

Die Erfindung der Schlüsselgewalt für Petrus

Pontius Pilatus und die Wurzeln des christlichen Antisemitismus

Wie der Papst heute für die Juden beten lässt

Das Markus-Evangelium – Das älteste Buch mit jüngeren Zutaten

Gottes Stimme als Referenz: Wie die Taube zum christlichen Symbol wurde

Jesu Probleme mit seiner Famili

Ergänzungen im 2. Jahrhundert: Der Taufbefehl und Jesu Himmelfahrt

Das Lukas-Evangelium – Das Buch von Erbarmen, Heil und Gnade

Lukas-Evangelium und Apostelgeschichte haben denselben Verfasser

Maria und die Schwangerschaft vom Heiligen Geist

Das Johannes-Evangelium – Jesus wird vergöttlicht

Eine ganz andere Deutung als die der Synoptiker

Der Logos als Brücke zur Philosophie der Antike

Zitate – Jesus in den Mund gelegt

Jesu Kampf gegen den Opferkult

Die Apostelgeschichte des Lukas – Wie die Kirche Jesus ersetzt

Die Erfindung apostolischer Traditionen

Die Apostelgeschichte als Rechtfertigung der Kirchengeschichte

Vom Saulus zum Paulus

Widersprüchliches über Petrus

Ein Herz und eine Seele als Idealzustand

Die Briefe

Die meisten Verfassernamen sind falsch

Selbst Petrus war kein Single

Die Paulus-Briefe – Viel älter als die Evangelien

Paulus’ trickreiche Deutung

Der Römer-Brief – Wirkmächtige Deutung von Jesu Tod

»Theologischer Essay« für die Jesus-Anhänger in der Hauptstadt

Das Gute, das ich will, das tue ich nicht

Der Erste und Zweite Brief an die Korinther – Unser Wissen ist Stückwerk

Unklarheiten über mögliche Kürzungen und Einfügungen

Das Hohelied der Liebe

Der Brief an die Galater – Umdeutung des Alten Testaments

Paulus will die Heiden gewinnen: Politik mit Zitaten

Der Epheser-Brief – Nicht von Paulus

Auftritt eines frühen Kirchenfunktionärs

Der Philipper-Brief – Schreiben aus der Gefangenschaft

Der Kolosser-Brief – Nicht echt, aber wirksam

Die Briefe an die Thessalonicher – Die erste christliche Schrift und ein umstrittener Text

Die Pastoralbriefe an Timotheus und an Titus – Werke eines Paulus-Imitators

Kein Freund der Frauen

Vorbild für den protestantischen Pfarrer

Ein Paradoxon missverstanden

Der Brief an Philemon – Ein entlaufener Sklave bringt Paulus in Verlegenheit

Der erste Brief des Petrus – Erfindung der Wiedergeburt

Der zweite Brief des Petrus – Ein falsches Beweisstück

Mythos der petrinischen Tradition – kein Beweis für Petrus in Rom

Die Johannes-Briefe – Konflikte unter Theoretikern

Texte aus einer eigenen Gemeinschaft

Merkwürdige »Immanenz«

Unterschiedliche Meinungen über die Wirkung der Taufe

Der Hebräer-Brief – Sicher nicht von Paulus

Der Jakobus-Brief – Quelle für die Krankensalbung

Der Brief des Judas – Quelle für Michaels Kampf mit dem Satan

Die Offenbarung des Johannes – Quelle christlicher Ängste

Stoff für die Sektierer von heute

Kaiser Nero macht die unbeliebten Christen zu Sündenböcken

Die Chiffre 666 und eine Legende als Hintergrund

»Unser HERR und Gott« – der römische Kaiser

IV Die Geburt der Bibel

Der Kanon entsteht

Viele Evangelien wurden als apokryph abgestempelt und verworfen

Zeit der Gnosis – Philosophen deuten Bibeltexte

Marcions Bibel – ohne das Alte Testament

Montanus und seine Lehre vom Weltende

Kanon und Hierarchie – Bürokraten ersetzen die Apostel

Das Christentum als Philosophie

Tertullian erfindet dogmatische Grundbegriffe

Dogma – Definitionsbemühungen um die Wahrheit

Die Idee einer »Selbstoffenbarung« Gottes

Jesu Vergottung nach kaiserlichem Vorbild

Reaktion auf Marcion: Altes und Neues Testament werden miteinander verbunden

Die lateinische Bibel

Spuren alter Texte: Die Codices

Der Codex Sinaiticus wird entdeckt

V Die Bibel in ihren jungen Jahren

Frühzeit der Kirche

Kirchenväter – die ersten christlichen Theologen

Sünde und Buße

Die Bibel und die Kirchen

Warum die Germanen Arianer wurden

Weitere Übersetzungen

Das Christentum wird Staatsreligion

Kreative Weiterentwicklungen der Opferpraxis

Nebenwirkung eines Bibelzitats – das Mönchstum

Das Papsttum – Erzeugnis antiken Römergeistes

Die Bibel in der mittelalterlichen Theologie

Der philosophische Trieb erwacht

Der Universalienstreit: Von der Realität der Ideen

Der Kampf der Kirche gegen heidnische Kunst und Wissenschaft

Bücher werden verbrannt, Kunstwerke zerstört

Bibliotheken werden geschlossen

Mit den Büchern verschwindet die Bildung

Bildungshunger bei den Protestanten, Bücherverbote bei den Katholiken

Warum Ideologien den kritischen Blick erschwere

Frühe Reformatoren erfahren den Hass der Kirche

John Wiclif, Johannes Hus und die ersten Religionskriege

VI Zeit der Differenzierungen

Die Bibel und die Reformation

Martin Luther und die Bibel

Allein die Schrift ist für Christen maßgebend – aber der Sinn muss richtig erfasst werden

Die katholische Kirche stellt sich über die Bibel

Orthodoxie bei Lutheranern: Die Idee der wörtlich offenbarten Schrift

Wie Martin Luther das Übersetzen verstanden hat

Die Protestanten und die Schriftauslegung

Die Bibel wird verzettelt

Das rechte Wort zur rechten Zeit – und wie die EKD das begründet

Der Hundertjährige Kalender als Modell

Geburt der Reformierten Kirchen: Ulrich Zwingli und Johann Calvin

Ein Gottesstaat in Genf

Krieg im Namen Gottes

Die Aufklärung und die Antworten der Kirchen

Das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes

Anfänge kritischer Bibelforschung: Strauss, Schweitzer und Harnack

Katholische Grenze des Bibelstudiums

Bekenntnisbewegung kontra Forschung

Antwort auf den Nationalsozialismus: Protestantischer Fundamentalismus

Anfänge einer Entmythologisierung der Bibel

VII Die Bibel und ihre Leser

Die Heilige Schrift und die Leichtgläubigen

Am 30. Mai …

Das Tausendjährige Reich und seine Zeugen

Der Zustand der Verzückung

Schamanen und Pfingstler

Das Gelobte Land

Der Antisemitismus der christlichen Zionisten

Die Bibel als Wegbereiterin des Aberglaubens

Die Suche nach einem Mindestmaß an Gewissheit

Wunder: Eine Frage der Deutung

Wie sich Körper-Erfahrungen als Einbildung erweisen

Die EKD und die Fundamentalisten

Auf der Suche nach dem Geist

Biblische Rituale: Die Taufe

Das Abendmahl: Widerspruch der Theologie

Mission: Frohe Botschaft und Gewalt

Die angeblich stille Sehnsucht der Indiane

Kolonisieren heißt missionieren

Biblische Rituale als Sakramente

Gott als Bild – Bilder von Gott

Die Bibel – heute

Ausdruck aller Bemühungen, die Welt zu verstehen

Die Deutungen der biblischen Autoren sind zeitbedingt

Jesus – der wichtigste Deuter Gottes und des Alten Testaments

Fazit

Jesus war kein Christ – Petrus war nicht katholisch

Die Bibel befreit vom ›finsteren Mittelalter‹ in uns

Anhang

Literatur- und Abbildungsverzeichnis

Karten und Tabellen

Übersichtskarte mit heutigen Staatsgrenzen

Israel und Juda zur Zeit des Alten Testaments

Palästina zur Zeit des Neuen Testaments

Wichtige Ereignisse der Geschichte Israels im Überblick

Die Kanonisierung der Bibel im Überblick

Wichtige Textfunde zur Bibel und berühmte Bibeln

Deutsche Bibelübersetzungen vor Luther

Begriffs- und Personenregister

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Vorwort

Die Bibel und ihre Geschichten sind aus der westlichen Kultur nicht wegzudenken. Im Gegenteil, das ›Buch der Bücher‹ bestimmt Denken und Fühlen, ja sogar selbst die Sprache derjenigen, die noch nie in der Heiligen Schrift gelesen haben. Auch sie kennen wohl die babylonische Sprachverwirrung, sie bekommen schon mal eine Hiobsbotschaft und wissen dann weder aus noch ein. Sie waschen ihre Hände in Unschuld. Sie wollen nicht um ein Jota abweichen von dem, was einmal festgelegt ist. Sie wissen: Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein, und sie wissen auch: Unrecht Gut gedeihet nicht. Sie kennen die Maxime: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Das sind alles Redewendungen aus der Bibel.

Viele Menschen hierzulande sind bereits mit dem Alten und Neuen Testament aufgewachsen. Ihnen sind die biblischen Geschichten natürlich vertraut. Sie wissen von Adam und Eva im Paradies und von Noah in der Arche, kennen Maria und Josef, Ochs und Esel und das Jesuskind in der Krippe. Sie wissen, dass Jesus am Karfreitag am Kreuz gestorben ist, und feiern an Ostern seine Auferstehung von den Toten. Sogar die merkwürdigsten biblischen Bilder sind ihnen mit der Zeit so selbstverständlich geworden, dass sie diese fraglos annehmen. Das ist so ähnlich wie mit einem sehr vertrauten Menschen, etwa Vater oder Mutter. Deren Eigenarten nimmt ein Kind ebenfalls als selbstverständlich hin. Es kennt ja nichts anderes.

Wer die Bibel liest, vielleicht sogar mit ihr lebt, kann sie zwar hoch schätzen und sogar lieben lernen, aber ohne zusätzliche Kenntnisse nicht wirklich verstehen. Welcher Kirchgänger denkt sich zum Beispiel etwas dabei, wenn der Pfarrer am Ende des Gottesdienstes nach traditioneller Art den Segen Gottes erbittet, so wie es im Vierten Buch Mose steht (Num 6,24–25): »Der HERR segne dich und behüte dich, der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir …« Hier müsste er eigentlich zögern. Denn er betet zum altorientalischen Sonnengott, dessen ›Angesicht‹ in Gestalt der Sonnenscheibe leuchtet. Der HERR Gott der Juden und Christen (und auch der Muslime) hat nämlich im Laufe seiner irdischen Geschichte viele Bilder in sich vereint. Unter anderem die eines Sonnengottes und solche eines Sturmgottes. Wer nur den Text der Bibel liest, kann dies nicht erkennen. Denn hier ist im Laufe ihrer Geschichte vieles bis zur Unkenntlichkeit geglättet worden. Und gerade das zu erfahren, ist ein spannender Prozess. Er macht die Bibel damit nicht weniger wichtig, wohl aber glaubwürdiger. Denn sie ist nun einmal nicht vom Himmel gefallen, sondern hat eine Geschichte, die zu verstehen sich lohnt.

Seit zweitausend Jahren hilft das Buch der Bücher Menschen, in ihrem Leben Sinn zu finden und diesem eine Richtung zu geben. Beim Alten Testament, der Bibel der Hebräer, ist das noch ein paar Jahrhunderte länger der Fall.

Die Bücher der Bibel wurden und werden allerdings auch dazu benutzt, um im Namen des HERRN Politik zu machen oder zumindest Politik zu deuten. Dies geschieht vordergründig im Interesse der Moral. In Wahrheit geht es immer auch um Macht. Mit der Bibel kann man Vieles begründen, aber auch das Gegenteil. Denn die Welt ist so komplex, dass tatsächlich oft genug das Gegenteil einer Aussage ebenfalls wahr ist. Kurzum, es reicht nicht, die Bibel nur zu lesen, wie der Pfarrer die Weihnachtsgeschichte: Alle Jahre wieder. Einen Menschen lernt man ebenfalls nicht ›vom Anschauen‹ kennen. Man muss, um ihn besser zu verstehen, seine Biographie kennenlernen. Das gilt auch für die Bibel und ihre Biographie.

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Einleitung

Die Bibel ist das wirkmächtigste Buch der Weltgeschichte. Wie jedes Geschöpf hat es eine Familie. Als Eltern verstehen Juden und Christen Gott-Vater und den Heiligen Geist. Daneben gibt es noch sehr viel weitere Verwandtschaft.

Wie jedes Geschöpf hat auch die Bibel eine Biographie, ihre Vorgeschichte, ihre Entstehungsgeschichte sowie die andauernde Lebensgeschichte. Wie jedes Geschöpf hinterlässt die Bibel Spuren, ihre Wirkgeschichte und die Geschichte von Nebenwirkungen. Und weil der Mensch gezwungen ist, sich die Welt zu deuten, um sie zu verstehen, Missverständnisse und Fehlinterpretationen eingeschlossen, hat auch die Bibel ihre Deutungsgeschichte. Alle diese Geschichten ergeben eine Biographie, eine Lebensgeschichte zu Lebzeiten.

Mit der Bibel kann es einem gehen wie mit dem eigenen Vater: Man liebt ihn und versteht sich mit ihm anscheinend ohne jede Diskussion. Ein Idealfall. Es kann aber auch sein, dass man den Vater nicht versteht, vielleicht gar nicht kennt, ihn aber kennenlernen und verstehen möchte und um dieses Verständnis ringt. Weil man weiß, es ist wichtig auch für das eigene Leben. Das ist besonders schwer, wenn der Vater nicht mehr lebt. Dann ist man neben der eigenen Erinnerung auf Zeugenaussagen angewiesen, auf das Finden und Deuten von allerlei Spuren.

Eine Analogie, gewiss. Tatsächlich ist der Umgang mit der Bibel heute für einige Menschen selbstverständlich wie eh und je. Das heißt aber nicht, dass diese Menschen die Bibel verstehen. Andere tun sich ohnedies schwer damit. Und unter diesen gibt es wiederum solche, die neugierig sind. Die das Gefühl haben, es gebe hier etwas Wichtiges, das man verstehen möchte. Diesen soll die Biographie der Bibel eine Hilfe sein.

Die Existenz der Kirchen hat dafür gesorgt, dass die Bibel weltweit seit 2000 Jahren fast immer und fast überall für jedermann greifbar ist. Man muss sie freilich lesen lernen. Denn die Heilige Schrift hat es in sich: Sie kann Menschen helfen, ihr Leben zu bewältigen. Sie hat Menschen zu Helden und Heiligen gemacht. Sie kann aber auch Werkzeug dazu sein, die Menschen für dumm zu verkaufen. Auf die Bibel, den Teil, den wir heute Altes Testament nennen, hat sich Jesus berufen. Auf die um das Neue Testament erweiterte Bibel haben sich aber auch die Kreuzritter und die sie befehligenden Päpste bezogen. Darauf berufen sich weiterhin Menschen, die andere im Namen Gottes verfolgen. Darauf berufen sie sich, wenn sie ihre Wahrheit als die Wahrheit propagieren.

Die Bücher der Bibel wurden schon von ihren Verfassern mit jeweils unterschiedlicher, aber bestimmter Zielsetzung geschrieben. Und das Ziel war nicht, die Geschichte möglichst faktengenau zu dokumentieren, sondern sie – oft ohne Rücksicht auf die Fakten – zu deuten. Es hat lange gedauert, bis die Theologen das verstanden haben. Die Fundamentalisten unter ihnen begreifen es bis heute nicht.

Tatsächlich hat die intensive wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Buch der Bücher in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, dass wir die Bibel auf ganz andere Weise verstehen können, als dies früheren Generationen möglich war. Gleichzeitig ergeben die Erkenntnisse der Wissenschaften, die sich um das Verständnis dessen bemühen, was da in unserem Kopf passiert, wenn wir zu verstehen suchen, eine neue, darüber hinausgehende Interpretationsebene. Sie hat damit zu tun, dass wir begreifen können, wie und inwiefern wir uns Bilder von der Welt machen müssen, die aber nicht die Welt sind, sondern eben Welt-Bilder. Auch in diesem Buch bemühe ich mich, die Konsequenzen naturwissenschaftlicher Erkenntnisse für unser Weltbild aufzuzeigen und mit den Erkenntnissen der historisch-kritisch forschenden Geisteswissenschaftler zu verbinden.

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I

Die Vorgeschichte

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Hilfsmittel

Die Namensgebung

Ein Kind bekommt nach seiner Geburt einen Namen. Das gilt auch für die heiligen Schriften der Christen. In ihrem Fall geschah dies allerdings recht spät und in einem komplizierten Prozess. Namensgeber für die »Bibel« ist die phönizische Hafenstadt Byblos, heute Dschubail im Libanon. Im alten Griechenland hat man den Bast, der aus der ägyptischen Papyrusstaude gewonnen wurde, vornehmlich aus Byblos importiert und zu Papierrollen verarbeitet. Die Griechen nannten das verarbeitete Rohmaterial Byblos. Das davon abgeleitete byblion, dessen y, wie der Duden erklärt, an das nachfolgende i assimiliert wurde, entwickelte sich zu biblion, das heißt Papierrolle oder Buch. Daraus wurde klassisch-griechisch biblos. Kirchenlateinisch wiederum entstanden daraus im Plural biblia, Bücher; nämlich die Bücher des Alten und Neuen Testaments. Betont hat man das Wort auf der letzten Silbe, biblía. Mittelhochdeutsch entwickelte sich daraus biblie, und daraus wurde die Bibel, das Buch. Und wenn heute auch die Bibeln, die in der Kirche oder im Nachtkasten eines Hotelzimmers ausliegen, weder aus Papyrus hergestellt noch auf Rollen gedruckt sind: Der Name hat sich erhalten.

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Die Ahnen

Die »Heilige Schrift« der Christen besteht aus dem Alten Testament, also der hebräischen Bibel, und dem Neuen Testament, den Schriften der Evangelisten und Apostel. »Das Alte Testament ist ein durch und durch theologisches Buch und literarisches Kunstwerk. … Bei den Büchern der Hebräischen Bibel handelt es sich um eine Sammlung von Literaturen, die bestimmten Meinungen, Überzeugungen und Tendenzen verpflichtet sind und versuchen, ihren Adressaten diese Überzeugungen nahe zu bringen.« So formuliert es die Alttestamentlerin Angelika Berlejung von der Universität Leipzig (1).

Die Verfasser der Bücher des Alten Testaments haben sich der Hilfsmittel ihrer Zeit bedient. Sie waren insbesondere mit den Kulturen im Raum von Euphrat und Tigris sowie Ägyptens vertraut. Das 1. Buch Mose, auch Genesis genannt, weil es die Schöpfungs- und die Paradiesgeschichte erzählt sowie die der Sintflut, gehört zu den jüngeren Texten. Man nennt sie »Priesterschrift« und nimmt an, dass sie von Priestern verfasst wurde, in ihrer Gesamtkomposition vermutlich um 515 vor Christus, nach Rückkehr aus dem babylonischen Exil. Wesentliche Teile der Genesis sind freilich nichtpriesterlichen Ursprungs und waren ursprünglich eigene Erzählungen. So die Paradieserzählung und die Geschichte von Noah, der in der selbstgebauten Arche die Sintflut überlebte. Die nichtpriesterlichen Verfasser kannten seinerzeit auch das Gilgamesch-Epos. Denn ein in Palästina gefundenes Fragment davon zeigt uns heute, dass diese Geschichte dort bereits Mitte des 2. Jahrtausends vor Christus bekannt war.

Ein gewisser Sinleqe-unninni, der vermutlich gegen Ende des zweiten vorchristlichen Jahrtausends lebte, hat seine Version von Gilgamesch notiert, dem Erbauer des Schutzwalls um die erste Großstadt der Welt, Uruk, im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris. Der historische Gilgamesch hat vermutlich bereits um 2650 gelebt. Noah hieß ursprünglich Ut-napishti und war König von Shuruppak, einer nordöstlich von Uruk gelegenen Stadt. Sinleqe-unninni fügte in sein »Gilgamesch-Epos« die Geschichte von Noah und der Sintflut ein. Damit schockierte er dreitausend Jahre später die christliche Welt.

Noahs Vorgänger wird entdeckt

Die Wiege der menschlichen Kultur, das Zweistromland, war bis vor etwa 200 Jahren vom Rest der Welt vergessen. In den USA hat sich dies bis zum Beginn des Irak-Abenteuers von Georg W. Bush 2003 kaum geändert.

Anders in Europa. Hier ließen sich im 19. Jahrhundert Männer von den Erinnerungen an sagenhafte Kulturen im alten Orient begeistern und brannten darauf, diese wiederzuentdecken. So gelang es dem deutschen Kaufmann Heinrich Schliemann aus Neubukow 1868, Troja aufzuspüren. Der Brite Sir Austen Henry Layard hatte in London mit einer Ausbildung zum Anwalt begonnen, die ihn aber offensichtlich nicht befriedigte. Eigentlich wollte der 22 Jahre alte angehende Jurist in der Verwaltung von Ceylon (Sri Lanka), das zum britischen Kolonialreich gehörte, eine Stelle antreten.

Layard nahm, um dorthin zu gelangen, zunächst den Landweg über Kleinasien und Syrien nach Mosul am oberen Tigris, wo er anno 1840 eintraf. Im selben Jahr wurde nahe London ein gewisser George Smith geboren, von dem gleich noch die Rede sein wird. Henry Layard machte von Mosul aus einen Ausflug mit dem Floß und besuchte die Ruinen von Nimrud auf der gegenüberliegenden Seite des Tigris. Er träumte davon, hier einmal das biblische Ninive zu finden. Ceylon war damit vergessen. Zunächst aber unternahm er inoffizielle diplomatische Missionen im Auftrag des britischen Botschafters im Osmanischen Reich. 1845 kehrte der junge Mann nach Mosul zurück und begann, von dem Mäzen Sir Straford Canning unterstützt, mit Ausgrabungen im Tell Nimrud.

Hier stieß er auf den Palast des assyrischen Herrschers Assurbanipal (circa 668–627 vor Christus). Dieser hatte eine gewaltige Bibliothek mit Keilschrift-Zeichen beschriebener Tontafeln angelegt. Bevor anno 612 fremde Eroberer den Palast in Brand setzten, verwüsteten sie die Bibliothek und zerschlugen viele Tontafeln. Layard fand immer noch 26 000 dieser Tafeln sowie ihrer Bruchstücke und schickte sie an das Britische Museum in London.

Dort beschäftigte sich später als Erster ein Laie damit, der ehemaliger Banknotengraveur und eben erwähnte George Smith. Smith hatte sich als Autodidakt zum Assyriologen fortgebildet und war inzwischen Assistent der Abteilung für orientalische Antiquitäten geworden. 1872 stieß er bei der Sichtung der Layard’schen Funde auf eine Sensation. Er fand die am besten erhaltenen Fragmente des Gilgamesch-Epos, die eine in ganz anderem Zusammenhang bekannte Geschichte erzählen, nämlich die der Sintflut. Er berichtete darüber öffentlich, in Anwesenheit des britischen Premierministers. Die Sache erregte so viel Aufsehen, dass der Daily Telegraph eine Expedition von Smith nach Ninive sponserte. Er sollte dort die fehlenden Bruchstücke der Flut-Geschichte suchen – und fand sie bereits am fünften Grabungstag unter 384 Fragmenten.

Smith hatte nicht nur Geschick und Glück. Die Bibliothekare von Assurbanipal hatten ihm 2500 Jahre zuvor mit ihrer Sorgfalt die Arbeit ein wenig erleichtert. Sie hatten nämlich die Tafeln mit dem Gilgamesch-Epos nummeriert. Und auf der 12. Tafel hatten sie eigens vermerkt, dass dies die letzte mit dem Epos sei. Den Fund auszuwerten dauerte länger, genauer gesagt: Es dauert noch immer an. Der Übersetzer und Kommentator des Epos, Stefan M. Maul, verweist darauf, dass bis heute die philologische und »ganz grundlegende« Arbeit am Mythos noch nicht abgeschlossen sei (2).

 

Die »Sintflut-Tafel« des Gilgamesch-Epos (Tafel 11), auf der die Geschicke des ›mesopotamischen Noah‹ Ut-Napishti und seiner Frau während der großen Flut geschildert werden.

 

Der Babel-Bibel-Streit

Es dauerte nach dem Auffinden der Tafeln noch ein paar Jahre, bis, nunmehr in Deutschland, eine heftige Diskussion über die theologischen Konsequenzen der Entdeckung entbrannte, die als der sogenannte Babel-Bibel-Streit in die Geschichte eingehen sollte. Anlass war ein öffentlicher Vortrag des Assyriologen Friedrich Delitzsch am 13. Januar 1902 in Gegenwart von Kaiser Wilhelm II. vor der Deutschen Orientgesellschaft in Berlin. Delitzsch verkündete die Theorie, die jüdische Religion und das Alte Testament hätten ihre Wurzeln im Zweistromland an Euphrat und Tigris. In dieser Verallgemeinerung ist die These sicher falsch, wie wir heute wissen. Der Assyriologe wurde deshalb massiv von konservativer christlicher und jüdischer Seite angegriffen. Raoul Schrott, der eine Neuübersetzung der Texte des Gilgamesch-Epos vorgelegt hat (3), beschreibt den eigentlichen Grund für die Aufregung über den Fund am Tigris so: »… die Autorität der Bibel als Zeugnis göttlicher Offenbarung war damit ein für allemal im wahrsten Sinne des Wortes untergraben: das Wort Gottes war nichts als die Abschrift eines mesopotamischen Textes.«

Man kann das so deuten. Aber nur, wenn man die Bibel zuvor als wörtlich von Gott offenbart verstanden hat. Das aber ist im Lichte historisch-kritischer Forschung blanker Unsinn.

Die Sintflut-Sage ist unter den eingeborenen Völkern weltweit verbreitet. Bereits im Jahre 1925 hatten Wissenschaftler 268 davon handelnde Berichte zusammengetragen: von einer Flut, einer Überschwemmung, einer Tränenflut, einem Blutstrom und so weiter. Viele Details, etwa der Regenbogen als Zeichen der Versöhnung mit der Gottheit, stimmen mit dem biblischen Sintflutbericht überein – oder sind den örtlichen Gegebenheiten entsprechend verändert worden. So ist bei den Michoacán in Mexiko nicht wie in der Bibel von einer Taube die Rede, sondern von einem Geier. Und am Ende landet hier die Arche nicht, wie im Buch Genesis, im Gebirge Ararat in der heutigen Türkei, sondern auf dem Berg von Colhuacan (Johannes Riem, Die Sintflut, Agentur des Rauhen Hauses, Hamburg, 1925). Einfältige christliche Fundamentalisten nehmen die Geschichte wörtlich, und Geschäftemacher wollen Aufsehen erregen mit der Behauptung, die Arche im Gebirge Ararat gefunden zu haben.

Für die Verfasser der biblischen Noah-Geschichte war die Keilschrift-Vorlage aus dem Gilgamesch-Epos Material, das sie benutzten, um damit ihre Deutung des Wirkens Gottes in der Welt vorzulegen. Wenn es um das Material geht, das die Verfasser für ihre Deutungen verwendet haben, zählt Gilgamesch zu den Ahnen der Bibel, oder in einem anderen Bild: Das Gilgamesch-Epos gehört zum ältesten Baumaterial. In der babylonischen Sintflutgeschichte spielen, wie man heute weiß, mindestens vier Gottheiten eine wichtige Rolle: der Gott der rechten Ordnung, Enlil, der Wetter- und Sturmgott, Hadad, der Gott der Weisheit, Ea, und die Muttergöttin, Ischtar. In der biblischen Version übernimmt Gott alle diese Rollen, was dazu führt, dass er »ziemlich inkohärent« wirkt, wie der Alttestamentler Othmar Keel von der Universität Fribourg sagt.

Das »älteste Buch der Menschheit« ist ziemlich jung geworden

Die Entdeckungen des Alten Orients, Ägypten eingeschlossen, haben dafür gesorgt, dass die Bibel innerhalb von hundertfünfzig Jahren vom ›Ältesten Buch der Menschheit‹ zu einer verhältnismäßig jungen Erscheinung geworden ist. »Der größte Teil ihres Inhalts ist von den Anfängen der altorientalischen Hochkulturen ebenso weit entfernt wie von uns«, so Othmar Keel, nämlich circa 2500 Jahre (4). Das heißt: Die Bibel hat eine uralte Vorgeschichte, ohne die sie nicht zu verstehen ist. Erst wenn man gewissermaßen die Familiengeschichte kennt, kann man sie verstehen und wie bei einem Individuum erkennen, was an ihr einzigartig ist.

Wer einen Menschen sehr gut kennenlernen will, darf sich nicht allein auf den Augenschein verlassen, auch nicht allein darauf, was dieser sagt. Er muss nicht nur die Sprache des anderen verstehen, sondern auch, was dieser mit Worten und Sätzen in welchem Zusammenhang meint. Er muss seinen biographischen und sozialen Hintergrund kennen. Er muss versuchen, bewusste und unbewusste Antriebe und Motive zu deuten. Analog gilt dies alles auch für die Bibel.

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II

Das Alte Testament

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Geschichtsbücher

Gott und seine Familie

Das Alte Testament ist nicht nur das Buch der Geschichte des Volkes Israel und seines Gottes Jahwe. Sie ist für den, der sie im Lichte weiterer Erkenntnisse zu lesen versteht, auch die Geschichte der übrigen altorientalischen Götterwelt. Jahwe als Gott Israels kommt auf Inschriften im alten Orient seit dem 9. vorchristlichen Jahrhundert vor. Wahrscheinlich taucht der Name bereits sehr viel früher in einer ägyptischen Ortsnamensliste im Tempel des Pharao Amenophis III. (1379–1340 vor Christus) auf (8). Als seine Heimat gilt, wie unter anderem ägyptische Listen nahelegen, eine bergige Gegend im Nordwesten Arabiens. Jahwe, so Othmar Keel, sei von Süden nach Palästina gebracht worden. König David (circa 990–950 vor Christus) brachte schließlich den Jahwe-Kult nach Jerusalem.

 

Jerusalem: Michael Wolgemuts Holzschnitt aus der Schedelschen Weltchronik von 1493. In der Mitte der Stadt der nur aus der Bibel bekannte große Tempel Salomons.

 

Jerusalem ist als Stadt um 1700 vor Christus gegründet worden. Der Name besagt wahrscheinlich, dass Jerusalem die »Gründung des Schalem« ist. Schalem und Schachar, ein kanaanäisches Götterpaar, bezeichnen die Abend- und die Morgengestalt der Sonne. Othmar Keel, auf den ich mich hier und im Folgenden beziehe, ist als Alttestamentler, Bibelwissenschaftler und Experte für altorientalische Kunst der Experte für diese Fragen. Nach über zwanzigjähriger Arbeit ist 2007 sein grundlegendes Werk mit fast 1400 Seiten Umfang erschienen (8).

 

»Der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir«. Der Biblische Segen erinnert an den ägyptischen Sonnengott Rah, dessen Symbol der Skarabäus war. Der Gott Israels hat im Laufe der Zeit viele Gottheiten in sich vereint, darunter auch den Sonnengott.

 

Der ugaritische Sturm- und Wettergott Baal (ein Nachfahre des El), wichtigster der tausend Götter Vorderasiens, mit Donnerkeule und Blitzspeer, hier auf einer Stele aus dem 15.–13. Jahrhundert vor Christus, die am Baal-Tempel in Ugarit gefunden wurde. Die Ägypter setzten ihn mit Seth gleich. Auch er ist integriert worden in das Bild des biblischen Gottes Jahwe.

 

Die Landbrücke, auf der, etwas abseits von den Hauptverkehrsströmen, Jerusalem entstand, verband die beiden ältesten Schriftkulturen der Menschheit, die sumerisch-akkadisch-keilschriftliche Kultur Mesopotamiens, des Zweistromlandes an Euphrat und Tigris, mit der ägyptisch-hieroglyphischen Kultur des Niltals. Beide Kulturen sind am Ende des 4. vorchristlichen Jahrtausends entstanden. Ihre Texte wurden »mindestens 2000 Jahre« (8) vor den ältesten Texten der Bibel niedergeschrieben.

Im »ersten, ausführlich schriftlich dokumentierten internationalen Friedensabkommen« (8) zwischen Pharao Ramses II. und dem Hetiterkönig Chattuschili III. aus dem Jahre 1258 vor Christus steht, dass unter den tausend Gottheiten Ägyptens der Sonnengott und unter den tausend Göttern Vorderasiens der Wettergott der wichtigste war. »In Jerusalem genossen seit der Gründung der Stadt beide kultische Verehrung« (8). In der mittleren und späten Bronzezeit (etwa 1700 bis 1200 vor Christus) spielte der ägyptische Sonnengott auch in Jerusalem eine wichtige Rolle. Sein Wahrzeichen, der Skarabäus (eine Art Mistkäfer, der Kotkügelchen vor sich Herrollt, Symbol für die Bewegung der Sonnenscheibe), fand sich dort in zahlreichen Nachbildungen. Neben ihm wurde der kanaanäische Wettergott Baal in Jerusalem verehrt.

Eva – einst eine Göttin

Die dortige Götterwelt war allerdings keine reine Männergesellschaft. Ein Jerusalemer Stadtfürst, der im 14. vorchristlichen Jahrhundert mit dem Pharao im mittelägyptischen Amarna korrespondierte, nannte sich Abdi-Cheba, »Diener der Cheba«. Der Name der Göttin Cheba lebt in der biblischen Eva (hebräisch Chawwa) weiter (8). Eva trägt im Buch Genesis, dem 1. Buch Mose, den Göttinnentitel »Mutter alles Lebendigen«. Der Leser der Luther-Bibel in der revidierten Fassung von 1984 kann dies freilich nicht mehr erkennen. Da heißt es in der Schöpfungsgeschichte: »Und Adam nannte sein Weib Eva; denn sie wurde die Mutter aller, die da leben.«

 

Aschera, die »Mutter der Götter«, als Statue, etwa 650 vor Christus. Sie wurde oft als Kultpfahl oder stilisierter Baum verehrt. Die syrische/ugaritische Fruchtbarkeitsgöttin wird im Alten Testament etwa 40 Mal erwähnt und galt zeitweise als ›Ehefrau‹ Jahwes.

 

In biblischer Zeit war die Göttin Aschera in kanaanäischer Tradition »Mutter der Götter« (8). Im 9. und 8. vorchristlichen Jahrhundert werden im Norden und im Süden, den späteren Königreichen Israel und Juda, Jahwe und Aschera als »das führende Götterpaar« verehrt (1). Aschera ist im Alten Testament 40 Mal erwähnt, teils als Göttin, teils als »Kultobjekt, das aus Holz bestand und aufgestellt bzw. ausgerissen oder umgehauen und verbrannt werden konnte. Es wird zumeist als Baum, stilisierter Baum oder Pfahl vorgestellt« (1). Wie auch der ägyptische Gott Seth war Jahwe, so beschreibt es Keel, »ein befremdlicher und befremdender Gott«. Und zwar war Jahwe wie Seth »ein Sturm- und Kriegs- aber kein Wetter- und Fruchtbarkeitsgott, obwohl das heute oft behauptet wird«.

Wie aus Geschichte Geschichten werden

Johann Wolfgang von Goethe nannte einst seine Biographie Dichtung und Wahrheit, wissend, wie viel davon Deutung im Nachhinein war. Die Hälfte des Alten Testaments sind »Geschichtsbücher«. Sie beschreiben zugleich die Menschheitsgeschichte und die des späteren Volkes Israel. Die Geschichten, wie wir sie heute lesen, sind, so der Alttestamentler Jan Christian Gertz von der Universität Heidelberg (1), »Ergebnis eines rückblickenden Gestaltungswillens«. Das heißt: Diese Biographie entstand Jahrhunderte später als ein Gesamtentwurf aus Teilstücken, die aus unterschiedlichen Intentionen aufgeschrieben worden waren. Nach Gertz sind die Geschichten der Erzväter als ältester Teil nach dem Untergang des Staates Israel 722 vor Christus entstanden, die Urgeschichte nach dem Untergang des Staates Juda 587 vor Christus. Dazu kommen noch die ebenfalls nach 722 entstandenen Erzählungen von Mose und der Landnahme Israels. Aus alledem machten Theologen um 515 vor Christus das »Priesterschriftliche Geschichtswerk«.

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Genesis. Das Erste Buch Mose oder von der Sünde

Die Erfindung der Welt und die Erfindung der Sünde

Im Buch Genesis erzählt die Bibel zwei Schöpfungsgeschichten – die Alttestamentler sprechen von dem priesterschriftlichen Schöpfungsbericht und der vermutlich etwas älteren nichtpriesterschriftlichen (also auf anderer Quelle beruhenden) Paradiesgeschichte. Beide Erzählungen widersprechen sich: In der ersten schuf Gott den Menschen am Ende »als Mann und Weib« (Gen 1,27) – in der Paradiesgeschichte erschuf er zunächst den Mann aus einem Lehmklumpen, und erst viel später eine Frau als dessen »Gehilfin« (Gen 2,18) aus der Rippe des Mannes.

In der ersten Geschichte war der Urzustand der Welt der eines Überschwemmungsgebietes. Und Gott sorgte dafür, »dass man das Trockene sehe« … und nannte »das Trockene Erde« (Gen 1,9–10). Im zweiten Bericht entspricht der Urzustand dagegen dem der trockenen Steppe, denn »Gott der HERR hatte noch nicht regnen lassen« (Gen 2,5).

Im ersten Schöpfungsbericht heißt es: »Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Weib.« Und weiter: »Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan …« (Gen 1,27–28). Die Gottebenbildlichkeit ist hier eine positive Beschreibung des Menschen. Diese Vorstellungen gehören »ursprünglich in den Kontext altorientalischer Königsideologie, welche im König den Beauftragten der Gottheit sah« (1). Sie werden hier zu einer anthropologischen Grundaussage umgeformt. Das heißt, die Gottesebenbildlichkeit gilt nicht nur für den König, sondern für jedermann.

In der zweiten Schöpfungserzählung dagegen beklagt Gott: »Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist« (Gen 3,22). Hier ist die Gottesebenbildlichkeit Ergebnis menschlichen Ungehorsams. Adam und Eva hatten verbotswidrig vom »Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen« gegessen. Seither können sich die Juden wie die Christen aussuchen, ob sie die Vollkommenheit des Menschen bewundern oder seinen Größenwahn beklagen wollen. Allein im ersten Schöpfungsbericht fand Gott selbst seine Schöpfung »sehr gut«.

Auch die alten griechischen Götter sorgten sich, dass Menschen in ihren Machtbereich eindringen könnten – was mit dem biblischen Wissen »was gut und böse ist« gemeint ist. Die Griechen nannten den menschlichen Drang, seine eigenen Grenzen zu ermessen und gar zu überschreiten, Hybris. Diese Vorstellung hat allerdings eine eigene Entwicklungsgeschichte. Denn noch zu Zeiten des großen Dichters Homer im 9. vorchristlichen Jahrhundert war Hybris eher Übermut und die Warnung davor ein guter Rat, vorsichtig zu sein.

Die Menschen selbst erkennen ihre eigene Unvollkommenheit, seit sie darüber nachdenken, und sie wollen sie verstehen. So versuchen auch die Verfasser der biblischen Texte zu erklären, warum der Mensch so ist, wie er ist. Dazu dient ihnen die Geschichte der Vertreibung aus dem Paradies, wo die Ur-Eltern Adam und Eva alles vermasselt hatten.

Auch die Naturwissenschaftler denken über die Ursache für die Unvollkommenheit der Welt nach. Charles Darwin, der Entdecker der Gesetze der Evolution, kam zu der Erkenntnis: Die Welt und alle ihre Lebewesen sind deshalb so unvollkommen, weil sie in einer Evolution entstanden sind. Diese Erklärung ist nüchterner als die des biblischen Schöpfungsberichts. Adams Söhne und Töchter sind nicht nur »arme Sünder«, sondern auch ziemlich schlecht für diese Welt eingerichtet: Sie sind relativ wackelig auf den Beinen, sterben womöglich schon als Kinder, weil sich ihr nichtsnutziger Blinddarm entzündet hat, brauchen alsbald eine Brille, später vielleicht ein Hörgerät, verlieren ihre Haare, ihre Zähne, und am Ende womöglich noch ihren Verstand. Die eigene Unvollkommenheit ist natürlicherweise Teil der Unvollkommenheit der Welt. Und diese »ist bis heute das schlagkräftigste Argument für die Evolutionstheorie geblieben«, so Jutta Voss vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte (9).

Spätwirkungen des Sündenmythos

Der Mythos von der ›Ursünde‹ des Adam zeitigt bis heute Wirkung. Und zwar deshalb, weil der Apostel Paulus den Kreuzestod Jesu als Wiedergutmachung von Adams Sündenfall interpretierte. Diese Deutung ist dann zweitausend Jahre lang zum Zentrum des christlichen Glaubens geworden. Paulus formulierte in seinem Brief an die Römer (Röm 5,12,18): »Deshalb, wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und der Tod durch die Sünde, so ist der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, weil alle gesündigt haben. … Wie nun durch die Sünde des Einen die Verdammnis über alle Menschen gekommen ist, so ist auch durch die Gerechtigkeit des Einen für alle Menschen die Rechtfertigung gekommen, die zum Leben führt.« Der erste »Eine« ist für Paulus Adam, der zweite »Eine« Jesus. Ich komme darauf noch zurück.

Man sieht hier, wie eng Altes und Neues Testament miteinander verzahnt sind. Der Ur-Grund dafür ist, dass die Jünger Jesu dessen für sie unbegreifliche Hinrichtung am Kreuz zu begreifen suchten. Weil sie alle fromme Juden waren, suchten sie in ihrer Bibel, dem Alten Testament, die Antwort auf ihre Frage. Allerdings verwendeten sie schon die griechische Septuaginta und nicht die hebräische Bibel. »Bereits Paulus lebte mit der LXX und seine Argumentation funktioniert oft nur aufgrund der LXX.« So Othmar Keel.

Die Frage, wie das Böse in die Welt gekommen ist, beschäftigt wohl seit Urzeiten den Menschen. Eine zufriedenstellende Antwort gibt es nicht. Doch die Suche danach hört nicht auf. Denn der Mensch hat nun einmal das Bedürfnis, nach dem Warum zu fragen. Es resultiert aus der Notwendigkeit, die Welt, die er mit seinen Sinnesorganen nur unvollständig wahrnehmen kann, zu deuten. Das geschieht, indem der Mensch sich Bilder von der Welt macht, die jedoch nicht die Welt sind, was er wiederum leicht verwechselt. Ich habe das an anderer Stelle genauer beschrieben (10).

Gott ist ungerecht, die Menschen sind böse

Im biblischen Mythos begann die Urgeschichte mit einem Mord. Der Sohn Adams und Evas, Kain, erschlug seinen älteren Bruder Abel. Der Grund: Eifersucht. Denn Gott »sah gnädig an Abel und sein Opfer, aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an« (Gen 4,4–5). Die Schöpfungsgeschichte gibt keine Antwort darauf, warum Gott so ungerecht war. Wohl aber begründet Gott später die Sintflut mit der Bosheit der Menschen: »Als aber der HERR sah, dass der Menschen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar, da reute es ihn, dass er die Menschen gemacht hatte auf Erden, und es bekümmerte ihn in seinem Herzen, und er sprach: Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, vertilgen von der Erde …« (Gen 6,5–7). Und zwar alle, bis auf einen Gerechten, Noah. Den ließ der HERR samt Familie, Vieh und allen anderen Tieren die Sintflut in der Arche überleben, um am Ende gewissermaßen den Menschen so zu nehmen, wie er ist (Gen 8,21): »Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.« Und dann segnet er Noah und seine Söhne. Im Gilgamesch-Epos segnet nach der Flut Enlil, der Herrscher über die Erde und Ratgeber des höchsten Gottes Anu, den mesopotamischen »Noah«, Ut-napishti, und seine Frau.

Der Mörder Kain musste zwar fortziehen und sich einen neuen Lebens- und Kulturraum erschließen. Aber rechtlos war er nicht. Die Genesis zitiert den HERRN mit dem Satz (Gen 4,15): »… wer Kain totschlägt, das soll siebenfältig gerächt werden. Und der HERR machte ein Zeichen an Kain, dass ihn niemand erschlüge, der ihn fände.« So entstand das Kains-Mal. Damals gab es zwar neben Kain und seinen Eltern noch keine Menschen auf der Welt. Aber ein Mythos muss nicht logisch sein. Die Verfasser der Geschichte haben damit auch nicht, wie man denken könnte, den Rechtsstaat erfunden. Hammurabi, König von Babylonien (1728–1686 vor Christus) und Herrscher über ganz Mesopotamien, kodifizierte seinerzeit bereits das damals offenbar längst entwickelte Straf-, Zivil- und Handelsrecht. Der Codex Hammurabi, die wichtigste Gesetzessammlung des Alten Orients, wurde 1902 in Susa im Zweistromland auf einer Diorit-Stele eingemeißelt gefunden, die heute im Louvre in Paris steht.

Keine Spuren, sondern literarische Figuren: Die Erzväter und -mütter

Der Erzvater Abraham gilt Juden, Christen und Muslimen als Stammvater des Glaubens. Das Buch Genesis beschreibt Abraham als Vater von Isaak und Isaak als Vater von Jakob sowie dessen ein bisschen älterem und weniger glücklichem Zwillingsbruder Esau. Allerdings wissen die Theologen bereits seit dem 19. Jahrhundert, dass Abraham, der erste der drei Patriarchen, wohl »die jüngste Figur in dieser Gesellschaft und wahrscheinlich erst verhältnismäßig spät seinem Sohn Isaak vorgesetzt« worden ist (1). Die älteste Geschichte aber ist die des jüngsten Patriarchen Jakob. Dieser betrügt seinen Bruder Esau um das Erstgeburtsrecht und den Segen des Vaters. Aber Segen ist Segen, und so bleibt Jakob der Gesegnete und Esau der ohne Angabe von Gründen Verworfene.

Die Geschichten der drei Erzväter und ihrer Familien sind nach dem historisch-kritischen Befund unabhängig voneinander komponiert worden; die älteste Geschichte, die von Jakob, ist im »Nordreich«, das heißt in Israel, vermutlich nach dessen Untergang und Umwandlung in eine assyrische Provinz, anno 722 vor Christus, aufgetaucht. Es ist wohl so, dass sich das Volk Israel in schwierigen Zeiten besonders intensiv mit seiner Herkunft auseinandersetzte. Die Geschichten von Isaak, sowie noch später die von seinem Vater Abraham, entstanden danach im »Südreich«, in Juda. »Die Erzählzyklen wurden ursprünglich eigenständig überliefert, sie wurden sukzessive miteinander zur Vätergeschichte verbunden und erweitert« (1). Und so kamen sie dann ins Erste Buch Mose.

Erst in den vergangenen Jahrzehnten wurde deutlich, dass die »Erzväter« – politisch korrekt reden Theologen neuerdings von »Erzvätern und Erzmüttern« oder »Erzeltern« – literarische Figuren sind. Jahrzehntelang hatten im 20. Jahrhundert Archäologen nach Spuren der Väter gesucht. Die Begründung des französischen Dominikaners und Ausgräbers von Qumran in den 1950er Jahren, Roland de Vaux: »Wenn sich der historische Glaube Israels nicht auf Geschichte gründet, ist solch ein Glaube und daher auch unser Glaube falsch.« Und Jahrzehnte später noch schrieb der Nestor der biblischen Archäologie aus den USA, William F. Albright: »Das Bild im Buch Genesis aufs Ganze gesehen ist historisch, und es besteht kein Grund, die allgemeine Genauigkeit der biographischen Details anzuzweifeln« (11). Allerdings wusste bereits 1905 der deutsche Theologe J. Wellhaus die Erzvätergeschichte im Buch Genesis so zu deuten: »Über die Patriarchen ist hier kein historisches Wissen zu gewinnen, sondern nur über die Zeit, in welcher die Erzählungen über sie im israelitischen Volke entstanden; diese spätere Zeit wird hier, nach ihren inneren und äußeren Grundzügen, absichtslos ins graue Altertum projiziert und spiegelt sich dann wie ein verklärtes Luftbild ab.«

Abraham ist nach dem Zeugnis der Genesis der Erste, dem sich Gott Jahwe offenbart hat. Ihm und seinen Nachkommen hat er Land verheißen, zahllose Nachkommen, seinen Segen und seinen Beistand. So verstehen jüdische und christliche Gläubige die Botschaft der Bibel bis heute. Verheißt doch der HERR dem Abraham (auch Abram geschrieben): »durch dein Geschlecht sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden« (Gen 22,18). Alttestamentler wissen neuerdings, dass die Verheißungstexte »kaum zum Urgestein der Vätergeschichte gehören, sondern spätere Kompositionselemente darstellen« (1).

Die Geschichte mit Abraham aus Ur in Chaldäa beginnt (Gen 12,1) so: »Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.« Der Erzvater des Volkes Israel, auch wenn er eine erdachte Figur ist, kann natürlich nicht aus der Provinz kommen, sagen wir aus Marktl am Inn. Der General Nabopolassar (626–605 vor Christus) hat die chaldäische Dynastie begründet und mit der Einnahme der alten und der neuen assyrischen Hauptstadt Assur am Westufer und der Ninives am Ostufer des oberen Tigris zugleich den babylonischen Thron erobert. Assyrien wurde damit zu einer unbedeutenden Provinz, das Reich zwischen Babylonien und Medien geteilt. Die Meder hatten Nabopolassar gegen Assyrien unterstützt. Die Chaldäer errichteten in Südbabylonien ein letztes babylonisches Großreich. Damit wurde auch die alte Stadt Ur am unteren Euphrat, die bereits in früherer Zeit Hauptstadt Babyloniens war, die Stadt der Chaldäer, und Abraham kam somit aus dem Zentrum eines Weltreiches.

Abraham als Symbol des Opferkults