Die Brüder des Adlers - Simon Scarrow - E-Book

Die Brüder des Adlers E-Book

Simon Scarrow

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Beschreibung

Britannien, A. D. 44. Mit nadelstichartigen Attacken zerstören die britischen Barbaren immer mehr der wichtigen römischen Versorgungswege! Allein Macro und Cato können die Nachschublinien jetzt noch retten – an der Spitze einer Schar von keltischen Rekruten. Doch zunächst müssen die beiden Zenturionen den einheimischen Kriegern zwei Dinge beibringen: Disziplin und Treue zu Rom – ihrem größten Feind …

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Seitenzahl: 606

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Simon  Scarrow

DIE BRÜDERDES ADLERS

Roman

Aus dem Englischen von Barbara Ostrop

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Die Originalausgabe THE EAGLE AND THE WOLVES erschien beiHeadline Publishing Group, London
Copyright © 2003 by Simon Scarrow Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München Covergestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Motivs von © Stephen Mulcahey
ISBN: 978-3-641-21441-8V003
www.penguinrandomhouse.de

ZUM BUCH

Als die römische Armee in Britannien einmarschierte, rechnete niemand mit allzu großem Widerstand. Im Sommer A. D. 44 jedoch bringen die zahlreichen nadelstichartigen Attacken der unbeugsamen Einheimischen die Invasion allmählich zum Erliegen. In Calleva, der Hauptstadt der Atrebates, einem romtreuen Stamm im Süden der Insel, kommt es zu Unruhen: Stürzt der atrebatische König Verica, droht ein Bruch des für Rom so wichtigen Bündnisses. Daher erteilt General Plautius den Centurionen Macro und Cato folgenden Befehl: Sie sollen unter den Angehörigen des Stammes fähige Krieger auswählen und sie zu einer schlagkräftigen Schutztruppe formen. Macro und Cato wissen genau: auf ihren Schultern lastet das Schicksal der gesamten Invasionsarmee …

Ein ausführliches Werkverzeichnis von Simon Scarrow findet sich unter www.randomhouse.de/content/download/speziell/Simon_Scarrow.pdf

ZUM AUTOR

Simon Scarrow wurde in Nigeria geboren und wuchs in England auf. Nach seinem Studium arbeitete er viele Jahre als Dozent für Geschichte an der Universität von Norfolk, eine Tätigkeit, die er aufgrund des großen Erfolgs seiner Romane nur widerwillig und aus Zeitgründen einstellen musste.

Besuchen Sie Simon Scarrow im Internet unter www.scarrow.co.uk

Inhaltsverzeichnis

ZUM BUCHZUM AUTORDie Organisation einer römischen LegionKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Kapitel 37Kapitel 38Kapitel 39Kapitel 40Kapitel 41Anmerkung zum Stand der historischen ForschungDanksagungCopyright

Das vorliegende Buch ist meiner Verlegerin Marion Donaldson gewidmet sowie Wendy Suffield, die – als meine Agentin – Marion vor langer Zeit dazu bewegte, den ersten Band zu lesen. Die Arbeit mit euch war immer ein Vergnügen.

Die Organisation einer römischen Legion

Die Hauptprotagonisten von Die Brüder des Adlers sind Zenturio Macro und Zenturio Cato. Für Leser, die mit dem Aufbau der römischen Legionen nicht vertraut sind, sei hier die Rangordnungsstruktur der römischen Armee, soweit zum Verständnis erforderlich, dargestellt. Die Zweite Legion, Macros und Catos »Heimat«, umfasste etwa fünfeinhalbtausend Mann. Die Basiseinheit war die achtzig Mann starke Zenturie, die von einem Zenturio befehligt wurde, als dessen Stellvertreter der Optio fungierte. Die Zenturie war in acht Mann starke Unterabteilungen gegliedert, die sich im Lager eine Baracke beziehungsweise im Feld ein Zelt teilten. Sechs Zenturien bildeten eine Kohorte, und zehn Kohorten bildeten eine Legion; die erste Kohorte hatte jeweils doppelte Größe. Jede Legion wurde von einer hundertzwanzig Mann starken Kavallerieeinheit begleitet, unterteilt in vier Schwadronen, die als Kundschafter und Boten Verwendung fanden. Die Ränge in absteigender Folge lauteten folgendermaßen:

Der Legat war ein Mann aristokratischer Herkunft. Im Allgemeinen Mitte dreißig, befehligte der Legat die Legion bis zu fünf Jahre lang und hoffte darauf, sich einen Namen zu machen, um dergestalt seine darauf folgende Politikerkarriere voranzubringen.

Beim Lagerpräfekt handelte es sich zumeist um einen angegrauten Kriegsveteran, der zuvor eine Zenturie befehligt und die Spitze der einem Berufssoldaten offen stehenden Karriereleiter erklommen hatte. Er verfügte über große Erfahrung und Integrität und übernahm das Kommando über die Legion, wenn der Legat abwesend oder im Kampf gefallen war.

Sechs Tribunen dienten als Stabsoffiziere. Dies waren Männer Anfang zwanzig, die zum ersten Mal in der Armee dienten, um administrative Erfahrung zu erwerben, bevor sie untergeordnete Posten in der Verwaltung übernahmen. Anders verhielt es sich mit dem Obertribun. Er entstammte einer Senatorenfamilie und war nach einer Zeit als Legionskommandant für ein hohes politisches Amt vorgesehen.

Die sechzig Zenturionen sorgten in der Legion für Disziplin und kümmerten sich um die Ausbildung der Soldaten. Sie waren aufgrund ihrer Führungsqualitäten und ihres Todesmuts handverlesen. Demzufolge war bei ihnen die Sterblichkeitsrate weit höher als bei den anderen Rängen. Der oberste Zenturio befehligte die erste Zenturie der ersten Kohorte, war hoch dekoriert und genoss großes Ansehen.

Die vier Dekurionen der Legion befehligten die Kavallerie-Schwadronen und hofften darauf, zum Befehlshaber der Kavallerie-Hilfseinheiten befördert zu werden.

Jedem Zenturio stand ein Optio zur Seite, der die Aufgabe eines Ordonnanzoffiziers wahrnahm. Ein Optio wartete für gewöhnlich auf einen freien Platz im Zenturionat.

Unter dem Optio standen die Legionäre, Männer, die sich für fünfundzwanzig Jahre verpflichtet hatten. Theoretisch durften nur römische Bürger in der Armee dienen, doch wurden zunehmend auch Einwohner der römischen Provinzen angeworben, denen beim Eintritt in die Legion die römische Staatsbürgerschaft verliehen wurde.

Nach den Legionären kamen die Männer der Hilfskohorten. Diese wurden in den Provinzen rekrutiert und stellten die Reiterei sowie die leichte Infanterie des römischen Reiches und nahmen andere Spezialaufgaben wahr. Nach fünfundzwanzigjährigem Armeedienst wurde ihnen die römische Staatsbürgerschaft verliehen.

1

»Halt!«, rief der Legat und hob den Arm.

Seine Eskorte zügelte die Pferde und Vespasian lauschte angestrengt nach dem Geräusch, das er einen Moment zuvor gehört hatte. Jetzt, als der dumpfe Hufschlag auf dem primitiven, von Einheimischen angelegten Weg das Geräusch nicht länger verdeckte, drang aus der Richtung des einige Meilen entfernten Calleva leise der Ruf britischer Kriegshörner herüber. Das Städtchen mit seinen verwinkelten Gassen war die Hauptstadt der Atrebates, eines der wenigen mit Rom verbündeten Stämme, und einen Moment lang fragte sich der Legat, ob der feindliche Kommandant Caratacus etwa einen kühnen Vorstoß gegen die rückwärtige Front der römischen Kräfte gemacht hatte. Sollte Calleva angegriffen sein …

»Los, weiter!«

Vespasian trieb sein Pferd mit den Stiefelabsätzen an, beugte sich vor und preschte den Hang hinauf. Seine Eskorte, ein Dutzend Kundschafter der Zweiten Legion, galoppierte hinter ihm her. Es war ihre heilige Pflicht, den Kommandanten zu beschützen.

Der Weg führte einen lang gezogenen, steilen Hügel schräg hinauf, hinter dessen Kuppe es nach Calleva hinunterging. Die Stadt wurde als vorgeschobenes Nachschublager der Zweiten Legion genutzt. Diese Legion war vom Armeekommandanten General Aulus Plautius abkommandiert worden, um getrennt von den anderen Legionen gegen die Durotriges zu operieren, dem letzten der südlichen Stämme, die noch auf Seiten Caratacus’ kämpften. Erst nach einem vernichtenden Sieg über die Durotriges wären die römischen Nachschublinien so gut gesichert gewesen, dass die Legion weiter nach Norden und Westen hätte vorstoßen können. Ohne ausreichenden Nachschub konnte General Plautius unmöglich siegen, und das Volk in Rom würde merken, dass die voreilige kaiserliche Feier der Eroberung Britanniens nur ein fauler Schwindel gewesen war. Das Schicksal General Plautius’ und seiner Legionen – und eigentlich sogar das Schicksal des Kaisers selbst – hing von den überdehnten Lebensadern ab, die die Legion mit Nahrung versorgten und jederzeit mit einem einzigen Schlag durchschnitten werden konnten.

Vom riesigen Basislager an der Mündung des sich durchs Herz Britanniens schlängelnden Flusses Tamesis, wo Nahrungsvorräte und Ausrüstung aus Gallien angelandet wurden, rollten regelmäßig schwere Wagenkolonnen los. Seit zehn Tagen hatte die Zweite Legion jedoch keinen Nachschub mehr aus Calleva erhalten. Vespasian hatte seine Kräfte, die eine der größeren Hügelfestungen der Durotriges belagerten, zurückgelassen und war selbst nach Calleva geeilt, um der Angelegenheit nachzugehen. Die Zweite Legion gab inzwischen reduzierte Rationen aus, und in den umliegenden Wäldern lauerten feindliche Truppen auf umherstreifende römische Kräfte, die sich auf Nahrungssuche zu weit vom Hauptkörper der Legion fortwagten. Falls es Vespasian nicht gelang, Nahrung für seine Männer zu beschaffen, würde die Zweite Legion sich bald ins Nachschublager in Calleva zurückziehen müssen.

Vespasian konnte sich mühelos vorstellen, wie verärgert General Plautius einen solchen Rückschlag aufnehmen würde. Aulus Plautius war von Kaiser Claudius zum Kommandanten des in Britannien operierenden römischen Heeresteils ernannt worden und hatte den Auftrag, die britischen Stämme dem Imperium anzugliedern. Obgleich Plautius im Sommer zuvor mehrere Siege über die barbarischen Stämme errungen hatte, hatte Caratacus eine neue Armee zusammengezogen und leistete Rom noch immer Widerstand. Er hatte viel aus dem Feldzug des Vorjahres gelernt und vermied offene Schlachten gegen die römischen Legionen. Stattdessen kommandierte er Teile seiner Truppe ab, um die Nachschublinien der schwerfälligen römischen Kriegsmaschinerie anzugreifen. Mit jeder Meile, die General Plautius und seine Legionen vorrückten, wurden diese Lebensadern verwundbarer.

So hing der Ausgang des diesjährigen Feldzugs davon ab, wessen Strategie erfolgreicher sein würde. Falls es General Plautius gelang, die Briten in die offene Schlacht zu zwingen, würden die Legionen gewinnen. Falls es den Briten aber gelang, eine Schlacht zu vermeiden und die Legionen auszuhungern, mochten sie das Heer durchaus so stark schwächen, dass der General zu einem gefährlichen Rückzug bis an die Küste gezwungen war.

Je näher Vespasian mit seiner Eskorte dem Hügelkamm kam, desto durchdringender schallten die Kriegshörner. Jetzt hörten die Soldaten auch die Schreie von Männern, das scharfe Klirren sich kreuzender Klingen und das dumpfe Scheppern der Schläge, die auf Schilde trafen. Die Silhouette langer Grasbüschel stand vor dem klaren Himmel, und dann hatte Vespasian die Szenerie auf der anderen Hügelseite vor Augen. Zur Linken lag Calleva, ein wucherndes Durcheinander strohgedeckter, überwiegend jämmerlich kleiner Hütten, umgeben von einem Erdwall mit Palisade. Ein dünner Schleier von Holzrauch hing über der Stadt. Der Weg vom hohen Turm des Torhauses zur Tamesis war wie eine dunkle Wunde aus aufgewühltem Matsch. Auf diesem Weg, eine halbe Meile von Calleva entfernt, waren von einer Nachschubkolonne nur noch eine Hand voll Wagen übrig, verteidigt von einer dünnen Linie von Hilfstruppen. Rundum wimmelte es von Feinden: kleine Gruppen schwer bewaffneter Krieger und leichtere, mit Schleudern, Pfeil und Bogen sowie Wurfspeeren ausgerüstete Truppen. Sie unterhielten einen steten Geschosshagel auf die Kolonne und ihre Begleitmannschaft. Von den Flanken der verwundeten Ochsen floss das Blut, und hinter der Kolonne war der Weg mit Leichen übersät.

Vespasian und seine Leute zügelten ihre Pferde, während der Legat kurz seine Möglichkeiten abwägte. In diesem Moment stürmte eine Gruppe von Durotriges zum hinteren Ende der Kolonne und warf sich auf die Hilfstruppen. Der Kommandant der Wagenkolonne, in seinem scharlachroten Mantel auf dem Kutschbock des vordersten Wagens nicht zu übersehen, legte die Hände an den Mund, brüllte einen Befehl, und die Kolonne kam langsam zum Stehen. Die Hilfstruppen schlugen die Angreifer mühelos zurück, doch ihre Kameraden an der Spitze des Wagenzugs boten dem Feind ein leichtes Ziel, und als die Wagen sich wieder in Bewegung setzten, lagen noch weitere Soldaten auf der Erde.

»Wo steckt denn die verdammte Garnison?«, knurrte einer der Kundschafter. »Die müssten die Kolonne doch inzwischen längst gesehen haben.«

Der Legat blickte zu den säuberlich geraden Barackenreihen des an Callevas Verteidigungswall angebauten, befestigten Nachschublagers. Auf den Wegen sah man zwar Menschen hin und her eilen, doch von irgendeiner Truppenaufstellung war nichts zu bemerken. Vespasian nahm sich vor, den Garnisonskommandanten tüchtig zusammenzupfeifen, sobald er das Lager erreichte.

Falls er das Lager überhaupt erreichte, überlegte er dann, denn das Scharmützel spielte sich zwischen seinem Reitertrupp und den Toren Callevas ab.

Wenn die Garnison nicht bald einen Ausfall machte, würde die Wagenkolonne weiter aufgerieben und schließlich in einem letzten Angriff vom Feind ausgelöscht. In der Erwartung des entscheidenden Moments drängten die Durotriges sich immer dichter an die Wagen heran, stießen ihre Kriegsschreie aus und trommelten mit ihren Waffen gegen die Ränder ihrer Schilde, um sich richtig in Kampfstimmung zu bringen.

Vespasian riss sich den Mantel von den Schultern, packte die Zügel fest mit der einen Hand, zog mit der anderen das Schwert und drehte sich zu seinen Kundschaftern um.

»Angriffslinie bilden.«

Die Männer blickten ihn überrascht an. Wenn der Legat die Absicht hatte, den Feind anzugreifen, war das praktisch Selbstmord.

»Linie bilden, verdammt noch mal!«, brüllte Vespasian, und diesmal reagierten seine Männer sofort, reihten sich zu beiden Seiten des Legaten auf und griffen nach ihren Speeren. Gleich darauf hieb Vespasian sein Schwert nach unten.

»Los!«

Dieses Manöver wäre nichts für den Paradeplatz gewesen. Die kleine Reiterschar trieb einfach ihren Pferden die Fersen in die Flanken und hielt in wildem Galopp den Hang hinunter auf den Feind zu. Das Blut hämmerte Vespasian in den Ohren, doch gleichzeitig fragte er sich, ob dieser wilde Angriff nicht der reine Wahnsinn war. Er hätte ohne weiteres einfach die Vernichtung der Kolonne beobachten und abwarten können, bis der siegreiche Feind alles demoliert hatte und abmarschiert war. Aber das wäre feige gewesen und außerdem wurden die Vorräte dringend benötigt. Also biss er die Zähne zusammen, umklammerte das Schwert mit der Rechten und stürmte auf die Wagen zu.

Am Fuß des Hügels veranlasste das Trommeln der Hufe manchen feindlichen Krieger zum Innehalten, und das Sperrfeuer auf den Konvoi ließ nach.

»Dort! Dort drüben!«, brüllte Vespasian und zeigte auf eine lose Reihe von Schleuder- und Bogenschützen. »Mir nach!«

Die Kundschafter schlugen die gleiche Richtung wie ihr Legat ein und galoppierten schräg zum Hang auf die leicht bewaffneten Durotriges zu. Schon flüchteten die Briten vor den Reitern, und das Triumphgebrüll erstarb auf ihren Lippen. Vespasian sah, dass der Kommandant der Kolonne die Atempause genutzt hatte, und die Wagen nun wieder auf Callevas sichere Befestigungsanlagen zurollten. Doch der Anführer der Durotriges war kein Dummkopf und Vespasian erfasste mit einem raschen Blick, dass die schwere Infanterie und die Streitwagen sich der Kolonne näherten, um zuzuschlagen, bevor ihre Beute die Tore erreichte. Fast unmittelbar vor ihm versuchten bemalte Krieger mit verzweifelten Seitwärtssprüngen, den römischen Reitern auszuweichen. Vespasian fasste einen hoch gewachsenen Schleuderschützen ins Auge, der ein Wolfsfell über den Schultern trug, und nahm ihn mit der Schwertspitze aufs Korn. Im letzten Moment spürte der Brite das Nahen des Pferdes und schaute sich hastig um, die Augen vor Entsetzen aufgerissen. Vespasian zielte auf eine Stelle unterhalb des Halses und machte sich für den Zusammenstoß bereit, doch im letzten Moment warf der Schleuderer sich auf den Boden und die Klinge verfehlte ihr Ziel.

»Scheiße!«, zischte Vespasian durch zusammengebissene Zähne. Diese verdammten Infanterieschwerter waren zu Pferde unbrauchbar, und er verfluchte sich dafür, dass er nicht wie seine Kundschafter ein langes Kavallerieschwert trug.

Wie aus heiterem Himmel tauchte ein anderer feindlicher Krieger vor ihm auf. Der Legat hatte gerade noch Zeit, den schmalen, schwächlichen Körperbau und das in weißen Stacheln abstehende Haar wahrzunehmen, dann hieb er ihm mit einem knirschenden, schmatzenden Laut das Schwert in den Hals. Der Mann stöhnte auf, brach zusammen und verschwand unter den Hufen, während Vespasian weiter auf die Wagenkolonne zugaloppierte. Er warf einen Blick auf seine Kundschafter und stellte fest, dass die meisten ihre Pferde zum Stehen gebracht hatten und ihre Speere in jeden Briten stießen, der sich windend auf der Erde lag. Das war der perfekte Moment für jeden Kavalleristen: der Blutrausch nach dem Durchbrechen der feindlichen Linien. Doch sie missachteten die Gefahr der Streitwagen, die den Hang entlang auf den kleinen römischen Reitertrupp zupolterten.

»Lasst sie liegen!«, brüllte Vespasian. »Liegen lassen! Schnell zu den Wagen! Los!«

Die Kundschafter besannen sich, schlossen die Reihen und galoppierten hinter Vespasian her, der auf den keine hundert Schritt entfernten hintersten Wagen zufegte. Die aus Hilfstruppen bestehende Nachhut der Kolonne feuerte sie, ihre Wurfspeere schwenkend, mit rauen Rufen an. Als die Reiter beinahe bei ihren Kameraden angelangt waren, hörte Vespasian ein leises Schwirren, und ein Pfeil zischte wie ein dunkler Strich an seinem Ohr vorbei. Dann hatten er und seine Männer die Wagen erreicht und zügelten ihre keuchenden Pferde.

»Schließt die Reihen! Hinter dem letzten Wagen!«

Während seine Männer sich mit ihren Pferden am Ende des Zuges formierten, trabte Vespasian nach vorn zum Kommandanten der Kolonne, der noch immer breitbeinig auf dem Kutschbock seines Wagens stand. Sobald er das an der Brustplatte des Legaten befestigte Rangabzeichen sah, salutierte er.

»Danke, Herr.«

»Wer bist du?«, fuhr Vespasian ihn an.

»Zenturio Gius Aurelias, Vierzehnte Gallische Hilfskohorte, Herr.«

»Aurelias, halte deine Wagen in Bewegung. Bleib auf keinen Fall stehen. Auf gar keinen Fall, verstanden? Ich übernehme deine Männer. Du kümmerst dich um die Wagen.«

»Ja, Herr.«

Vespasian wendete sein Pferd, trabte zu seinen Männern zurück und holte tief Luft, bevor er seine Befehle brüllte.

»Vierzehnte Gallische! In Gefechtsordnung aufstellen!«

Vespasian schwenkte sein Schwert, und die Überlebenden der Eskorte nahmen eilig ihre Plätze ein.

Die Durotriges hatten sich von dem Überraschungsangriff erholt, und jetzt, als sie sahen, dass sie vor einer Hand voll Reiter in Panik geraten waren, brannten sie vor Scham und dürsteten nach Rache. In einem dichten Gewimmel von leichten und schweren Infanterietruppen eilten sie heran, während die Streitwagen seitlich an der Wagenkolonne vorbeipolterten, um ihr den Weg abzuschneiden, bevor sie das Tor erreichte, und sie dann zusammen mit der Infanterie in die Zange zu nehmen. Vespasian sah ein, dass er gegen die Streitwagen nichts ausrichten konnte. Falls es ihnen gelang, die Kolonne vom Tor abzuschneiden, müsste Aurelias eben versuchen, mit der Massigkeit seiner Ochsen die leichteren Ponys der Durotriges samt der Streitwagen beiseite zu drängen, um sich den Weg freizukämpfen.

Alles, was Vespasian jetzt tun konnte, war die feindliche Infanterie so lange wie möglich aufzuhalten. Falls sie die Wagen erreichte, war alles verloren. Vespasian warf einen letzten Blick auf seine magere Truppe und auf die grimmig entschlossenen Gesichter der immer näher kommenden Briten und begriff augenblicklich, dass er und seine Männer keine Chance hatten. Fast hätte er bitter aufgelacht. Da hatte er also im vergangenen Jahr die blutigen Schlachten gegen Caratacus und seine Armeen überlebt, um nun hier in diesem jämmerlichen Scharmützel zu sterben – das war einfach schändlich. Dabei wollte er noch so viel erreichen. Er verfluchte sein Schicksal und den Kommandanten der Garnison von Calleva. Hätte dieser Idiot die Verstärkung nur rechtzeitig losgeschickt, hätten sie eine Chance gehabt.

2

»Raus hier, sofort!«, schrie Macro. »Hier ist reserviert für Offiziere.«

»Tut mir Leid, Herr«, antwortete der Bahrenträger, der ihm am nächsten stand. »Befehl des obersten Wundarztes.«

Macro starrte ihn einen Moment lang finster an und legte sich dann vorsichtig aufs Kissen zurück, sorgsam darauf bedacht, sich nicht auf die verletzte Seite seines Kopfes zu legen. Zwei Monate war es jetzt her, dass ein Druide ihn mit einem Schwerthieb beinahe skalpiert hätte, und obgleich die Wunde inzwischen verheilt war, setzte sie ihm noch immer zu; und die schrecklichen Kopfschmerzen ließen erst jetzt ein wenig nach. Die Sanitäter traten in die kleine Kammer und setzten die Tragbahre, vor Anstrengung keuchend, behutsam auf dem Boden ab.

»Wie lautet seine Geschichte?«

»Kavallerist, Herr«, antwortete der Pfleger, nachdem er sich aufgerichtet hatte. »Ihre Patrouille geriet heute Vormittag in einen Hinterhalt. Vor kurzem sind die ersten Überlebenden zurückgekehrt.«

Macro hatte vor einer Weile den Sammelruf der Garnison gehört. Er setzte sich wieder auf. »Warum hat uns keiner Bericht erstattet?«

Der Pfleger zuckte mit den Schultern. »Warum hätten wir euch informieren sollen? Ihr seid hier einfach nur Patienten, Herr. Wir hatten keinen Grund, euch zu stören.«

»He, Cato!« Macro wandte sich seinem Zimmergenossen im Nachbarbett zu.

»Cato! Hast du das gehört? Der Mann hier denkt, dass mickrige kleine Zenturionen wie wir nicht über die neuesten Entwicklungen auf dem Laufenden gehalten werden müssen … Cato? … CATO!«

Macro fluchte leise, griff nach seinem Offiziersstock, der neben dem Bett an der Wand lehnte, und verpasste der bewegungslos daliegenden Gestalt im anderen Bett einen kräftigen Stoß mit der Spitze. »Los, Junge! Aufwachen!«

Unter der Decke stöhnte es, dann wurden die Falten des groben Wollstoffs beiseite geschoben und Catos dunkle Locken tauchten auf. Macros Gefährte war erst kürzlich in den Rang eines Zenturio befördert worden, davor hatte er als Macros Optio gedient. Mit achtzehn war Cato einer der jüngsten Zenturionen der Legionen. Er hatte die Aufmerksamkeit seiner Vorgesetzten auf sich gezogen, zum einen durch seinen Mut in der Schlacht, vor allem aber durch sein Geschick bei einer äußerst heiklen Rettungsmission, die sie zu Beginn des Sommers tief in feindliches Gebiet geführt hatte. Damals waren er und Macro von den feindlichen Druiden schwer verwundet worden. Der Anführer der Druiden hatte Cato mit einer schweren Zeremonialsichel auf Brusthöhe einen Hieb in die Seite versetzt. Cato wäre an der Wunde beinahe gestorben, doch jetzt, viele Wochen später, hatte er sich schon recht gut erholt und betrachtete die lange rote Narbe mit einem gewissen Stolz, obgleich es höllisch wehtat, wenn er die Muskulatur dieser Körperseite auch nur im Geringsten belastete.

Catos Augenlider zuckten hoch und er wandte sich blinzelnd Zenturio Macro zu. »Was ist denn?«

»Wir haben Gesellschaft.« Macro zeigte mit dem Daumen auf den Mann, der auf der Tragbahre lag. »Offenbar hatten Caratacus’ Burschen mal wieder was zu tun.«

»Die werden hinter einer Nachschubkolonne her sein«, meinte Cato. »Müssen wohl zufällig auf unsere Patrouille gestoßen sein.«

»Das ist doch schon der dritte Angriff in diesem Monat.« Macro sah den Pfleger an. »Oder nicht?«

»Doch, Herr. Der dritte Angriff. Die Krankenstation wird immer voller, und wir schuften uns krumm und lahm.« Die letzten Worte sprach er mit besonderem Nachdruck aus, und beide Pfleger bewegten sich zur Tür. »Du hast doch nichts dagegen, dass wir zu unseren Pflichten zurückkehren, Herr?«

»Moment mal, nicht so schnell. Was ist denn jetzt mit dieser Nachschubkolonne los?«

»Ich weiß es nicht, Herr. Ich kümmere mich nur um die Verletzten. Ich habe aber jemanden sagen hören, die Reste des Geleitschutzes seien noch immer auf der Straße, nicht allzu weit entfernt, und versuchten, die letzten paar Wagen zu retten. Dumm, wenn du mich fragst. Die hätten die Wagen den Briten überlassen und zusehen sollen, dass sie die eigene Haut retten. Und jetzt, wenn du gestattest …?«

»Was? Oh, ja. Geht nur, verpisst euch.«

»Danke, Herr.« Der Pfleger lächelte verhalten, schob seinen Kollegen vor sich her aus der Kammer und schloss die Tür hinter sich.

Sobald die Tür zu war, schwang Macro die Beine über die Bettkante und griff nach seinen Stiefeln.

»Wohin gehst du, Herr?«, fragte Cato verschlafen.

»Zum Tor, schauen, was los ist. Auf mit dir. Du kommst mit.«

»Ach, wirklich?«

»Ja, natürlich. Willst du denn nicht sehen, was abläuft? Reicht es dir nicht allmählich, dass wir seit beinahe zwei Monaten hier in diesem verdammten Lazarett eingesperrt sind? Außerdem«, fügte Macro hinzu, während er seine Stiefel schnürte, »hast du schon den halben Tag verschlafen. Frische Luft wird dir gut tun.«

Cato runzelte die Stirn. Er schlief nur deshalb tagsüber so viel, weil sein Zimmergenosse so laut schnarchte, dass das Schlafen nachts beinahe unmöglich war. Tatsächlich hatte er das Lazarett allmählich gründlich satt und freute sich darauf, wieder in den aktiven Dienst zurückzukehren. Doch das würde noch eine Weile dauern, gestand sich Cato widerwillig ein. Inzwischen war er gerade einmal kräftig genug, ohne Hilfe aufzustehen. Sein Gefährte war trotz seiner grässlichen Kopfverletzung mit einer robusteren Konstitution gesegnet und, von den gelegentlichen Kopfschmerzattacken einmal abgesehen, beinahe wieder einsatzfähig.

Während Macro sich nach seinen Stiefelbändern bückte, betrachtete Cato die bläulich rote Narbe, die quer über seinen Kopf verlief. Das höckrige Narbengewebe war dem Blick ungeschützt preisgegeben. Der Wundarzt hatte Macro beruhigt, dass dort mit der Zeit ein Teil des Haars nachwachsen würde. Zumindest genug, um die Narbe größtenteils zu verdecken.

»Bei meinem Glück«, hatte Macro säuerlich angemerkt, »bekomme ich wahrscheinlich gerade dann eine Glatze.«

Cato musste bei der Erinnerung lächeln. Dann fiel ihm noch etwas ein, was er anführen konnte, um im Bett zu bleiben.

»Bist du dir wirklich sicher, dass wir ausgehen sollten, da du doch das letzte Mal, als wir im Lazaretthof saßen, das Bewusstsein verloren hast? Hältst du das wirklich für klug, Herr?«

Macro blickte gereizt auf, während er weiter die Bänder schnürte, ganz automatisch wie beinahe jeden Morgen in den letzten sechzehn Jahren. Er schüttelte den Kopf. »Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du mich nicht ständig ›Herr‹ zu nennen brauchst – nur vor den Männern und wenn es förmlich zugeht. Von jetzt an heiße ich für dich ›Macro‹. Kapiert?«

»Ja, Herr«, antwortete Cato sofort, zuckte zusammen und schlug sich gegen die Stirn. »Tut mir Leid. Es fällt mir einfach noch ein bisschen schwer. Ich hab mich noch immer nicht an den Gedanken gewöhnt, dass ich jetzt Zenturio bin. Wahrscheinlich der jüngste in der Armee.«

»Im ganzen verdammten Imperium, denke ich.«

Einen Moment bereute Macro die Bemerkung und erkannte eine gewisse Bitterkeit darin. Obgleich er sich über Catos Beförderung zu Beginn ehrlich gefreut hatte, hatte er seine Begeisterung doch schnell überwunden, und jetzt entschlüpfte ihm immer mal wieder der etwas bissige Kommentar, dass ein Zenturio Erfahrung brauche. Oder er versah Cato mit dem einen oder anderen Ratschlag, wie ein Zenturio sich zu verhalten habe. Das war natürlich, wie Macro sich selbst schalt, ein wenig überheblich, da er ja selber erst vor anderthalb Jahren ins Zenturionat befördert worden war. Gewiss, davor hatte er schon sechzehn Jahre unter dem Adler gedient und war ein äußerst geachteter Veteran, doch im Zenturionat selbst war er beinahe so neu wie sein junger Freund.

Cato, der Macro beim Stiefelschnüren zusah, fühlte sich mit seiner Beförderung selbst nicht recht wohl. Er konnte sich einfach der Überzeugung nicht erwehren, dass sie ihm zu früh zugefallen war, und deshalb hatte er das beschämende Gefühl, Macro, der ein so vollendeter Soldat war, wie man es nur sein konnte, nicht das Wasser reichen zu können. Cato fürchtete schon jetzt den Moment, wenn er so weit wiederhergestellt war, dass man ihm seine eigene Zenturie zuweisen würde. Man brauchte nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie Männer, die weit älter und erfahrener waren als er, darauf reagieren würden, dass nun ein Achtzehnjähriger das Kommando über sie führte. Gewiss, sie würden die Medaillen auf seiner Brustplatte sehen und wissen, dass er ein Mann mit gewissen Verdiensten war und sich Vespasians Achtung erworben hatte. Vielleicht bemerkten sie auch die Narben an seinem rechten Arm, die Catos Kampfesmut zusätzlich unter Beweis stellten, doch das alles änderte nichts an der Tatsache, dass er gerade erst das Mannesalter erreicht hatte und so jung war, dass er der Sohn so mancher dieser Männer sein könnte. Dieser Gedanke würde ihnen keine Ruhe lassen, und Cato wusste, dass sie ihn genau beobachten und keinen einzigen Fehler verzeihen würden. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, ob es nicht eine Möglichkeit gab, unauffällig um eine Rückversetzung in seinen alten Rang zu bitten und in die bequeme Rolle als Macros Optio zurückzuschlüpfen.

Macro war inzwischen mit seinen Stiefelbändern fertig, stand auf und griff nach seinem scharlachroten Militärumhang.

»Komm schon, Cato! Auf die Beine. Los geht’s.«

In den Korridoren vor den Krankenzimmern wimmelte es von Sanitätern und Verwundeten, während immer mehr Verletzte eintrafen. Wundärzte drängten sich durch, machten sich ein knappes Bild von den Verwundungen und ließen die tödlich Verletzten in den kleinen Saal an der hinteren Wand bringen, wo man sie so gut wie möglich bettete, bevor der Tod sie abrief. Der Rest wurde untergebracht, wo immer sich ein Plätzchen auftreiben ließ. Da Vespasian den Feldzug gegen die Hügelfestungen der Durotriges fortsetzte, war das Lazarett von Calleva längst bis an den Rand gefüllt, doch der neue, im Bau befindliche Lazarettblock war noch nicht fertig gestellt. Die fortgesetzten Überfälle auf die Nachschublinien brachten zusätzliche Patienten in das ohnehin überfüllte Gebäude, und inzwischen wurden die Männer schon auf einfachen Matten zu beiden Seiten des Korridors gebettet. Zum Glück war Sommer, sodass sie nachts wenigstens nicht froren.

 

Macro und Cato machten sich auf den Weg zum Haupteingang. Nur mit Tunika und Umhang bekleidet, die sich nicht von denen eines einfachen Soldaten unterschieden, trugen sie ihre Offiziersstöcke als Rangabzeichen, und die anderen Männer machten ihnen respektvoll Platz. Macro trug außerdem das Filzfutter seines Helms auf dem Kopf, einerseits um seine Wunde zu verbergen – er hatte die angeekelten Blicke der einheimischen Kinder satt –, überwiegend aber, weil die Narbe sonst an der frischen Luft schmerzte. Cato trug den Offiziersstock in der Rechten und hielt den linken Ellbogen abgewinkelt, um seine verletzte Seite zu schützen.

Der Lazaretteingang führte auf die Hauptstraße des befestigten Nachschublagers, das Vespasian in unmittelbarer Nachbarschaft zu Calleva errichtet hatte. Vor dem Eingang standen mehrere leichte Wagen, und vom letzten wurden noch immer Verwundete abgeladen. Auf den Ladepritschen lag ein Durcheinander herrenloser Ausrüstungsgegenstände in schmierigen Blutlachen.

»Die Gegner werden ganz schön ehrgeizig«, bemerkte Macro. »Das hier ist nicht das Werk eines kleinen Überfallkommandos. Sieht so aus, als würden sie mit einer richtigen Truppe zuschlagen. Sie werden von Mal zu Mal frecher. Wenn das so weitergeht, werden die Legionen bald ein richtiges Nachschubproblem bekommen.«

Cato nickte. Die Lage war ernst. General Plautius hatte sich bereits genötigt gesehen, eine Kette befestigter Lager anzulegen, um die langsamen Fuhrwerke der Nachschubkonvois zu beschützen. Mit jeder neuen Garnison, die angelegt wurde, standen weniger Soldaten für die Front zur Verfügung, und in diesem geschwächten Zustand würden die kämpfenden Truppen sich irgendwann als unwiderstehliches Ziel für Caratacus erweisen.

Die beiden Zenturionen eilten zum Lagertor, wo die kleine Garnison sich gerade eilig formierte. Die Männer hantierten an ihren Bändern und Gurten, während Zenturio Veranius, Kommandant der Garnison, wilde Beschimpfungen in die Barackeneingänge brüllte und mit dem Stock nach den Nachzüglern schlug, die, mit ihrer Ausrüstung kämpfend, auf ihre Kameraden zustolperten. Macro wechselte einen wissenden Blick mit Cato. Die Garnison bestand aus dem Ausschuss der Zweiten Legion, nämlich aus den Männern, die Vespasian auf seinem Blitzfeldzug ins Herzland der Durotriges nicht gebrauchen konnte. Die jämmerliche Qualität der Soldaten konnte einem erfahrenen Auge nicht entgehen und war eine herbe Beleidigung für Macros Berufsehre.

»Scheiße noch mal, wie muss dieses Chaos auf die Einheimischen wirken. Wenn das irgendwie aus Calleva raussickert, kapiert Caratacus, dass er jederzeit hier einmarschieren und Verica mit einem einzigen Arschtritt rausschmeißen kann.«

Verica, der greise Atrebateskönig, war seit der Landung der Legionen in Britannien vor einem Jahr mit den Römern verbündet. Es war ihm auch gar nichts anderes übrig geblieben. Im Austausch für seine Reinthronisation als König der Atrebates hatte er sich noch vor dem Vorrücken der Legionen gegen Caratacus’ Hauptstadt Camulodunum zum Bündnis verpflichtet. Sobald der Feldzug sich auch gegen die feindlichen Stämme im Südwesten richtete, hatte Verica General Plautius die Stadt Calleva bereitwillig als Operationsbasis angeboten, so dass man dort das Nachschublager errichtete. Damit hatte Verica sich nicht nur die Gunst Roms gesichert, sondern besaß nun auch ein leicht zugängliches Schlupfloch für den Fall, dass die Atrebates sich von den romfeindlichen Stämmen dazu anstiften ließen, ihm die Gefolgschaft zu kündigen und die Seite zu wechseln.

Die beiden Zenturionen marschierten zu dem nach Calleva führenden Lagereingang. Vespasian hatte zum Schutz des Lagers zwar nur zwei Zenturien unter dem Kommando eines einzigen Offiziers zurückgelassen, doch das von Verteidigungswällen umschlossene Gelände war groß genug für mehrere Kohorten. Hinter dem Exerzierplatz lagen das Lazarett und die Gebäude des Hauptquartiers. Daneben erstreckten sich einige Reihen von Holzbaracken, und dahinter befanden sich die Speicher für Getreide und andere Vorräte, die die Legion für den Vorstoß nach Westen brauchte. Der Anführer der Briten, Caratacus, hatte das Land vor Plautius’ heranrückenden Legionen verwüstet, so dass die römischen Truppen von langen Verbindungslinien abhingen, die bis zum großen Nachschublager in Rutupiae führten, wo die Römer zum ersten Mal britischen Boden betreten hatten.

Wieder einmal erschütterte Cato der Gegensatz zwischen dem geordneten Aufbau des römischen Lagers und dem chaotischen Durcheinander der Hütten, Scheunen, Viehställe und schmalen, schlammigen Gassen Callevas. Unter normalen Umständen hatte die Stammeshauptstadt an die sechstausend Einwohner, doch da der Feind im ganzen Königreich über Nachschubkolonnen und Bauernhöfe herfiel, war die Bevölkerung auf beinahe doppelte Größe angeschwollen. Die in den primitiven Bruchbuden Callevas zusammengepferchten Menschen wurden täglich hungriger und verzweifelter.

Als die beiden Zenturionen Callevas Haupttor erreicht hatten, drängte sich auf dem Wall eine gemischte Menge aus Einheimischen und Römern, die das sich weiter hügelabwärts abspielende Drama verfolgten. Abgesehen von den Garnisonssoldaten war das Imperium durch die erste Welle von Kaufleuten, Sklavenhändlern und Grundstücksmaklern vertreten, die auf einen raschen Gewinn hofften, bevor die neue Provinz zur Ruhe kam und die Einheimischen ihre Tricks durchschauten.

Jetzt drängelten sie mit den Atrebates um den besten Aussichtspunkt auf die Überreste der Nachschubkolonne, die sich der Sicherheit Callevas entgegenkämpfte. Cato fing den Blick des Optios auf, der die Wachmannschaft am Torhaus kommandierte, und hob zum Zeichen seines Ranges den Offiziersstock. Sofort kommandierte der Optio einige Leute ab, um den beiden Zenturionen den Weg zu bahnen, und die Soldaten machten sich mit typisch soldatischer Grobheit an ihre Aufgabe. Ohne jede Rücksicht auf Alter oder Geschlecht wurden die Einheimischen mit den Schildbuckeln beiseite gestoßen, und die Schreie der Überraschung oder des Schmerzes gingen sehr bald im allgemeinen wütenden Gebrüll unter.

»Jetzt mal langsam!«, schrie Cato über das Getöse hinweg und ließ seinen Offiziersstock auf den Schild des nächststehenden Legionärs niederkrachen. »Jetzt mal langsam, hab ich gesagt! Diese Menschen sind Roms Verbündete! Keine Tiere, verdammt noch mal. Kapiert?«

Der Legionär schlug vor dem Ranghöheren die Hacken zusammen und starrte auf einen Punkt oberhalb von Catos Schulter. »Ja, Herr!«

»Wenn ich noch einmal sehe, dass irgendeiner von euch so mit den Einheimischen umspringt, habt ihr für den Rest des Jahres Latrinendienst.« Cato beugte sich dichter zu dem Legionär und fuhr leise fort: »Dann steckt ihr wirklich in der Scheiße, oder?«

Der Mann bemühte sich, ein Grinsen zu unterdrücken, und Cato nickte. »Weitermachen.«

»Ja, Herr.«

Jetzt, als man gesehen hatte, dass die Grobheit der Soldaten bestraft wurde, beruhigten sich die Einheimischen, und die Legionäre gingen den beiden Zenturionen durch die Menge voran.

Macro stieß Cato in die Seite. »Was sollte denn das? Der Junge hat doch nur seine Arbeit gemacht.«

»Er wird nicht lange brauchen, um über die Kränkung hinwegzukommen. Gute Beziehungen zwischen uns und den Atrebates aufzubauen dauert dagegen wesentlich länger. Zerstört aber sind sie in null Komma nichts.«

»Mag sein«, räumte Macro widerwillig ein und erinnerte sich dann an das verstohlene Grinsen des Legionärs bei Catos letzter Bemerkung. Der kleine Scherz hatte den Groll des Mannes beträchtlich gemildert. »Jedenfalls hast du es auf die richtige Art gemacht.«

Cato zuckte mit den Schultern.

Sie traten in den schattigen Innenbereich des Torhauses und erklommen die Leiter zur Aussichtsplattform, die auf den dicken Deckenbalken ruhte. Als Cato sich durch die schmale Luke schob, erblickte er auf der einen Seite Verica und eine Hand voll Leibwächter. Cato grüßte den König, trat zur Palisade und blickte auf den Weg hinunter, der sich nordwärts der Tamesis entgegenschlängelte. In einer halben Meile Entfernung krochen sechs große Wagen, jeder mit vier Ochsen bespannt, langsam voran. Hilfstruppen umgaben den Zug mit einem kümmerlichen Geleitschutz, und eine kleine Gruppe berittener Kundschafter der Legion bildete die Nachhut. Cato sah eine Brustplatte im Sonnenlicht funkeln und musterte den Reiter, der seitlich an der Kolonne vorbeiritt.

»Ist das nicht der Legat?«

»Woher soll ich das denn wissen?«, gab Macro zurück. »Du hast die besseren Augen. Sag du es mir.«

Cato schaute noch einmal genau hin. »Ja! Das ist er tatsächlich. «

»Was hat der denn hier zu suchen?« Macro war ehrlich überrascht. »Der sollte doch bei der Legion sein und diesen verdammten Hügelfestungen die Hölle heiß machen.«

»Vermutlich will er wissen, wo sein Nachschub geblieben ist. Dabei muss er auf die Wagen gestoßen sein.«

»Das sieht unserem verdammten Vespasian ähnlich!«, meinte Macro lachend. »Der kann sich einfach aus keinem Kampf raushalten.«

Die Kolonne wurde zu beiden Seiten von feindlichen Fußtruppen verfolgt, unterstützt von einer Anzahl der schnellen Streitwagen, die von vielen britischen Stämmen noch immer geschätzt wurden. Ein steter Hagel von Pfeilen, Schleudergeschossen und Speeren drang auf die römische Kolonne ein. Unter Catos Augen traf ein Speer einen der Hilfssoldaten ins Bein, woraufhin der Mann seinen Schild fallen ließ und zu Boden stürzte. Der Söldner hinter ihm umging seinen verwundeten Kameraden einfach, und marschierte hinter seinen ovalen Schild geduckt ohne einen Blick zurück weiter.

»Das ist hart«, bemerkte Macro.

»Ja …«

Beide Männer litten unter ihrer Unfähigkeit, ihren Kameraden in irgendeiner Weise zur Seite zu stehen. Solange sie unter ärztlicher Obhut standen, waren sie im Lager einfach nur überflüssige Esser. Außerdem würde der Zenturio, dem die Garnison unterstellt war, sauer werden, wenn sie ihm irgendwie dazwischenfunkten.

Bevor die Kolonne den Verwundeten gänzlich hinter sich gelassen hatte, ließ einer der Ochsenführer sein Gespannpaar los und rannte zu dem Hilfssoldaten, der verzweifelt versuchte, sich den Speer aus dem Bein zu ziehen. Unter den Augen der Menschenmenge auf Callevas Torhaus packte der Ochsenführer den Speer und riss ihn heraus. Dann legte er sich den Arm des Verwundeten um die Schultern, und gemeinsam stolperte das Paar dem letzten Wagen hinterher.

»Das schaffen sie nicht«, sagte Cato.

Unter den verzweifelten Peitschenhieben der Fuhrleute zogen die Ochsen die rumpelnden Wagen auf Callevas sicheren Verteidigungswall zu, und der Abstand der beiden Männer zum letzten Wagen vergrößerte sich stetig, bis sie zwischen den Reihen der berittenen Nachhut verschwanden. Cato hielt angestrengt nach den beiden Ausschau.

»Hätte ihn liegen lassen sollen«, knurrte Macro. »Jetzt sind zwei Männer hinüber statt nur einer.«

»Da sind sie!«

Hinter der Nachhut aus Kundschaftern erblickte Macro jetzt das Paar, das noch immer hinter der Nachschubkolonne herstolperte. Dann sah er eine Gruppe von Briten, die auf diese leichte Beute zustürmten. Der Ochsenführer warf einen Blick über die Schulter und blieb unvermittelt stehen. Er zögerte nur einen winzigen Moment, ließ den Verwundeten los und rannte um sein Leben. Der Söldner sank in die Knie, die Hand dem Ochsenführer nachgestreckt, während der Feind heranstürmte. Im nächsten Moment verschwand er unter dem Ansturm bemalter Gestalten mit weiß gekalktem Haar. Einige der Briten rannten weiter, um den Ochsenführer einzuholen. Die jüngeren und daher schnelleren Männer verringerten den Abstand rasch und brachten den Mann mit einem Speerwurf in den Rücken zu Fall. Dann verschwand auch er unter den wilden Hieben der britischen Krieger.

»Ein Jammer.« Macro schüttelte den Kopf.

»Sieht so aus, als würden die anderen einen Angriff vorbereiten. « Cato beobachtete die größte Streitwagengruppe, in der auf dem vordersten Wagen eine hoch gewachsene Gestalt den Speer schwenkte, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Er deutete mit einem Stoß seiner Speerspitze auf die Überreste der Nachschubkolonne, und die Briten stießen ihren Kriegsschrei aus und preschten los. Die Hilfstruppen schlossen die Reihen, bildeten aber nur eine jämmerlich dünne Gefechtslinie zwischen den Durotriges und den Wagen. Der Legat hatte sich wieder zu seinen berittenen Kundschaftern gesellt, die sich nun zum Schutz der rückwärtigen Front zu einer Angriffsformation auffächerten.

»Was treibt der da eigentlich, verdammt noch mal?«, entfuhr es Cato. »Man wird sie in Stücke hauen.«

»Vielleicht erkauft er den anderen gerade so viel Zeit, wie sie brauchen.« Macro drehte sich um und blickte zum Befestigungswall des Nachschublagers. »Wo bleibt denn die Garnison?«

In der Ferne kündete das Donnern von Hufen und der herausfordernde Ruf »Augusta!« den Angriff der berittenen Kundschafter an. Cato und Macro beobachteten krank vor Sorge, wie die Hand voll Reiter über das sonnenhelle Wiesenland auf die brüllende Angriffswelle der Briten zufegte. Einen Moment lang waren die beiden Seiten noch voneinander unterscheidbare Kräfte, Römer gegen Briten, doch dann war da nur noch ein wildes Getümmel von Männern und Pferden, während Kriegsgebrüll und Schmerzensschreie deutlich zu den hilflosen Zuschauern herüberdrangen. Eine Hand voll Berittener löste sich vom Feind und preschte zu den Wagen zurück.

»Ist der Legat noch dabei?«, fragte Macro.

»Ja.«

Das Opfer der Kundschafter hielt den Feind nur für kurze Zeit auf, doch inzwischen waren die Wagen und ihr Geleitschutz nur noch zweihundert Schritte vom Tor entfernt. Die Beobachter auf dem Wall brüllten Ermutigungen und fuchtelten aufgeregt mit den Armen.

Schon stürmten die Durotriges heran, eine wogende Masse aus Männern und Streitwagen, und kamen ihrer Beute immer näher. Die Hilfstruppen stellten sich tapfer dem Angriff entgegen. Wie dunkle Striche flogen die verbliebenen Wurfspeere im hohen Bogen durch die Luft und gingen über den Feinden nieder. Cato sah, wie ein Speer ein Streitwagenpferd am Kopf traf, worauf das Tier herumwirbelte und dabei den Streitwagen umwarf, der Fahrer und Speerwerfer unter sich zerquetschte. Doch die Briten stürmten unbeeindruckt weiter, warfen sich gegen die Schilde und Schwerter der Hilfstruppen und drängten sie auf die fliehende Wagenkolonne zu.

Plötzlich hörte Cato hinter sich den steten Marschtritt vieler Männer, drehte sich um und sah, wie die Spitze der Garnison durch Calleva auf das Tor zumarschierte. Unter seinen Füßen vernahm Cato das Knarren der Balken, als die Torflügel vor den Legionären aufgestoßen wurden.

»Wurde aber auch verdammt noch mal Zeit«, knurrte Macro.

»Meinst du, sie können noch was ausrichten?«

Macro beobachtete den verzweifelten Kampf am Ende des Wagenzuges und zuckte mit den Schultern. Vielleicht waren die Briten beim Anblick der Legionäre ja einen Moment lang verunsichert. In den letzten beiden Jahren hatten die Briten gelernt, die Männer hinter den scharlachroten Schilden zu fürchten, und das mit gutem Grund. Hier kämpften jedoch die ältesten der Veteranen, Lahme, die nicht länger mit ihren Kameraden Schritt halten konnten, und jene Simulanten, denen man nicht mehr zutraute, in einer wütenden Schlacht ihren Mann zu stehen. Falls der Feind das wahre Format dieser Männer erkannte, war alles verloren.

Die ersten Reihen der Garnison kamen nun unter dem Torhaus durch. Der Zenturio bellte einen Befehl, und die Kolonne formierte sich zu einer vier Mann tiefen Gefechtslinie um. Dann rückten die Männer vor. Die hinteren Reihen der Briten wandten sich der neuen Gefahr zu, und Schleuderer sowie Bogenschützen empfingen die Römer mit einem Hagel von Geschossen. Die Salve prallte jedoch an den Schilden ab, ohne Schaden anzurichten, das Geklapper verstummte, und nun rückte die feindliche Infanterie den Legionären entgegen. Keine der beiden Seiten stürzte sich ungestüm nach vorn: Die beiden Gefechtslinien trafen einfach zusammen, vom immer lauter anschwellenden Getöse klirrender Schwerter und dumpfer Schildschläge begleitet. Die Legionäre bahnten sich gnadenlos einen Weg durch die Durotriges und bewegten sich langsam auf den ersten Wagen zu.

Die Zenturie kämpfte sich stetig vorwärts, doch für die Zuschauer auf dem Wachturm war unübersehbar, dass sie immer langsamer vorankam. Dennoch erreichten die Legionäre das erste Ochsengespann und bahnten ihm eine so große Lücke durch die feindlichen Massen, dass der Wagen aus dem Getümmel auf die geöffneten Tore zufahren konnte. Der zweite und dritte Wagen folgten und die überlebende Geleitmannschaft gab sich alle Mühe, sich mit den Legionärskameraden zu vereinigen und die Reihen zu schließen. Vespasian saß ab und warf sich Seite an Seite mit seinen Männern in den Kampf. Einen Moment lang verlor Cato seinen Legaten aus den Augen und machte sich große Sorgen, dann aber tauchte Vespasians unverkennbarer roter Helmbusch aus dem wilden Getümmel glänzender Helme und blutig schimmernder Waffen auf.

Cato beugte sich über die Palisade und sah den ins Torhaus einfahrenden Wagen nach, die jeder mit strohumwickelten Amphorenstapeln beladen waren. Dann war also wenigstens etwas von dem Getreide und Öl gerettet worden. Mehr aber auch nicht. Die beiden letzten Wagen waren in britische Hände gefallen, und Cato sah ihre Kutscher und die Ochsenführer tot am Boden liegen; nun ging es nur noch um einen einzigen Wagen. Unter Catos Augen trieben die Briten die Römer langsam zurück.

»Schau dort!«, bemerkte Macro und zeigte auf eine etwas abseits gelegene Stelle. Der Anführer der Briten hatte den größten Teil seiner Streitwagen um sich versammelt und führte sie in einem großen Bogen um das Getümmel herum, ganz offensichtlich in der Absicht, die römischen Gefechtsreihen von hinten zu überrumpeln. »Wenn die unsere Jungs noch erwischen, brechen sie die Reihen auf.«

»Aufbrechen?«, schnaubte Cato. »Die werden unsere Männer in Stücke hauen … Hoffentlich erkennen unsere Leute die Gefahr rechtzeitig.«

Unter der Wucht des britischen Angriffs wichen die römischen Reihen stetig zurück. Die Männer in der vordersten Reihe hatten genug mit Schwert und Schild zu tun, ganz in das Geschäft des Tötens vertieft, während ihre Kameraden dahinter sich nervös zum Tor umblickten und langsam dorthin zurückwichen. Plötzlich gaben die Streitwagenfahrer ihren Ponys mit wildem Triumphgebrüll die Peitsche und preschten auf die schmale Lücke zwischen den Legionären und dem Torhaus zu. Selbst von seinem erhöhten Beobachtungspunkt aus spürte Cato, wie der Boden unter den Hufen der Ponys und den Rädern der Streitwagen erbebte.

Der kommandierende Zenturio warf einen Blick auf die Streitwagen und brüllte eine Warnung. Sofort lösten sich die Legionäre und die Söldner vom Feind und flüchteten zum Tor, Vespasian unter ihnen. Oben auf dem Torhaus legte Verica die Hände trichterförmig an den Mund und rief den Männern, die die Palisade bemannten, einen Befehl zu. Die griffen nach ihren Wurfspeeren oder legten Pfeile ein, um den fliehenden Römern Feuerschutz zu geben. Die ersten Kämpfer hatten das Tor bereits erreicht, aber einige würden es nicht schaffen. Die ältesten unter den Soldaten quälten sich mit ihrer schweren Ausrüstung ab und fielen zurück. Die meisten hatten ihre Schwerter und Schilde von sich geworfen und rannten, so schnell sie konnten, immer wieder Blicke nach rechts werfend, von wo die Streitwagen heranrasten, von schäumenden Ponys mit geweiteten Nüstern und flatternden Mähnen gezogen; darüber sah man die wilden Gesichter der Wagenlenker und ihrer Speerkämpfer, die sich schon auf die bevorstehende Vernichtung der Römer freuten.

Als wahrer Zenturio hielt Veranius noch immer Schild und Schwert in der Hand und eilte neben seinen letzten Männern her, die er anbrüllte, schneller zu laufen. Als die Streitwagen bis auf zwanzig Schritte an ihn herangekommen waren, wurde ihm klar, dass sein Schicksal besiegelt war. Er blieb stehen, drehte sich zu den Wagen um, hob seinen Schild und hielt das Schwert auf Hüfthöhe. Mit einem elenden Gefühl sah Cato, wie der Zenturio einen Blick zum Torhaus warf und grimmig lächelte. Er nickte den Gesichtern, die sein letztes Gefecht bezeugten, einen Gruß zu, und wandte sich wieder zum Feind zurück.

Ein Schrei stieg auf und verstummte ganz plötzlich, als die Streitwagen die ersten Nachzügler erreichten und die Leiber der Legionäre trotz der schützenden Kettenpanzer einfach unter sich zermalmten. Veranius sprang vor und stieß sein Schwert dem vordersten Pony in die Brust, dann wurde auch er niedergetrampelt und verschwand im Getümmel aus gepanzerten Pferden und den Korbwänden der Streitwagen.

Die schweren Torflügel knirschten und fielen mit einem dumpfen Schlag zu, bevor man den Riegel in seine Halterung rammte. Die Streitwagen wurden vor dem Tor herumgerissen und Geschrei und das schrille Gewieher der Ponys stieg auf, als die Wurfspeere und Pfeile von Vericas Palisadenposten auf das dichte Getümmel unten niederregneten. Die Briten antworteten ihrerseits mit einem Geschosshagel, und unmittelbar unter Catos Beobachtungsplatz krachte ein Schleudergeschoss gegen die Palisade. Cato packte Macro bei der Schulter und zog ihn zur Leiter zurück.

»Hier können wir ohnehin nichts tun. Wir sind nur im Weg.«

Macro nickte und folgte ihm die Leiter hinunter.

Als sie auf den von Wagenspuren zerfurchten Platz direkt hinter dem Tor traten, sahen sie das Durcheinander von Wagen, Ochsen und überlebenden Legionären und Hilfssoldaten. Einige Männer hockten keuchend auf dem Boden. Wer noch auf den Beinen war, stützte sich auf einen Speer oder schnappte vorgebeugt nach Luft. Viele hatten noch nicht gemerkt, dass sie verwundet waren, und das Blut tropfte einfach auf den Boden. Vespasian stand am Rand, hatte sich, die Hände auf die Knie gestützt, vorgebeugt und atmete schwer. Macro schüttelte bedächtig den Kopf.

»Was für ein verdammtes, beschissenes Chaos …«

3

Der Schlachtenlärm wurde rasch leiser, als die Durotriges sich zurückzogen. Zwar hatten sie den Römern und ihren verachteten atrebatischen Verbündeten eine blutige Schlappe beigebracht, doch ihnen war klar, dass jeder Versuch, die Befestigungswälle zu überwinden, nur eine Verschwendung von Menschenleben wäre. Mit lautem Hohngeschrei rannten sie außer Reichweite der Geschosse und setzten ihre Schmährufe bis zum Anbruch der Dämmerung fort. Als es immer dunkler wurde, verzogen sich die Durotriges; nur das leise Gerumpel der Streitwagenräder hallte noch eine Weile herüber, und dann versank Calleva in Stille und Dunkelheit.

Die Einheimischen, die das Torhaus und den Befestigungswall bemannten, kamen herunter und ließen sich erschöpft auf den Weg sinken. Nur einige wenige Wachposten blieben oben und hielten nach irgendwelchen Anzeichen Ausschau, ob die Durotriges ihren Abzug vielleicht nur vorgetäuscht hatten und im Schutze der Nacht heimlich zurückkommen würden. Als Verica aus dem Torhaus trat, wirkte er erschöpft. Die Bewegungen des alten, mageren Mannes waren unsicher und er hatte die Hand auf die Schulter eines seiner Leibwächter gestützt. Im flackernden Schein einer einzigen Fackel zog die kleine Gruppe langsam über die Hauptstraße zu den hohen, strohgedeckten Häusern der königlichen Umfriedung zurück. Entlang ihres Weges verstummten die Einwohner, sobald ihr König vorbeikam; in ihren vom orangeroten Flackern der Fackel beleuchteten Gesichtern stand Groll. Während Verica und sein Gefolge von Edelleuten gut genährt waren, litt sein Volk Hunger. Die meisten Getreide-Vorratsgruben waren leer, und innerhalb der Befestigungsmauern gab es nur noch einige wenige Schweine und Schafe. Außerhalb Callevas lagen viele Bauernhöfe verlassen oder waren niedergebrannt; ihre Bewohner waren entweder tot oder hatten in der Stadt Zuflucht gesucht.

Das Bündnis mit Rom hatte keinen der von Verica versprochenen Vorteile gebracht. Die Atrebates wurden keineswegs von den Legionen beschützt und hatten, so schien es, den Zorn aller Caratacus treuen Stämme auf sich gezogen. Kleine Plünderertrupps aus den Gebieten der Durotriges, der Dubonni, der Catuvellauni und sogar der wilden Silures schlüpften zwischen den vorrückenden Legionen durch und drangen tief ins Gebiet hinter der Front ein. Nicht nur wurden die Atrebates ihrer eigenen Nahrungsmittelvorräte beraubt, Rom blieb ihnen auch die versprochenen Getreidelieferungen schuldig, da die Nachschubkolonnen von Caratacus’ Kriegern verfolgt und ausgeplündert wurden. Das wenige, was den Transport von Rutupiae überstand, kam ins Vorratslager der Zweiten Legion, und so kursierten unter den Bewohnern Callevas Gerüchte über Legionäre, die sich die Bäuche vollschlugen, während die Portion Gerstengrütze auf dem Teller ihrer Verbündeten immer kleiner wurde.

Dieser Groll entging Cato und Macro nicht, die inzwischen auf einer roh gezimmerten Bank vor den Toren des Lagers saßen. Ein Weinhändler aus Narbonensis hatte seinen Stand so nah wie möglich bei seiner Legionärskundschaft aufgebaut und unter einem ledernen Zeltdach zwei Bänke und eine improvisierte Theke aufgebaut. Macro hatte zwei Becher billigen Mulsumwein erstanden, und nun saßen die beiden Zenturionen da und beobachteten, wie der König der Atrebates mit seinen Leibwächtern vorbeizog. Die Torposten nahmen Haltung an, doch Verica warf ihnen nur einen kühlen Blick zu und stolperte weiter auf die königliche Umfriedung zu.

»Nicht gerade ein dankbarer Verbündeter«, grummelte Macro.

»Kannst du ihm das verdenken? Sein Volk scheint ihn ja noch mehr zu hassen als den Feind. Er wurde den Atrebates von Rom aufgezwungen, aber bis jetzt hat er seinen Leuten nichts als Leid gebracht, und wir können wenig tun, um ihm zu helfen. Kein Wunder, dass er uns mit Bitterkeit begegnet.«

»Trotzdem finde ich, der Saukerl könnte uns ein bisschen mehr Dankbarkeit entgegenbringen. Da rennt er zum Kaiser und heult ihm die Ohren voll, die Catuvellauni hätten ihn vom Thron gestoßen. Darauf macht Claudius sich sofort auf, dringt in Britannien ein und gibt Verica als Allererstes sein Königreich zurück. Mehr kann man wohl kaum verlangen.«

Cato starrte einen Moment lang in seinen Becher, bevor er antwortete. Wie üblich sah Macro die Dinge ausschließlich von ihrer allereinfachsten Seite. Es war zwar richtig, dass Vericas Appell an Rom ihm Vorteile gebracht hatte, doch ebenso gewiss war die Tatsache, dass die Notlage des alten Königs genau die richtige Gelegenheit für Kaiser Claudius und seinen Stab gewesen war, die schon nach einem militärischen Abenteuer gelechzt hatten. Der neue Kaiser brauchte einen Sieg, und die Legionen mussten von ihrer gefährlichen Begeisterung für politische Machenschaften abgelenkt werden. Seit Caesars erstem Versuch, die Grenzen des glorreichen römischen Reiches übers Meer auf die nebligen Inseln auszudehnen, war die Eroberung Britanniens jedem politischen Lenker Roms verlockend erschienen. Nun hatte Claudius die Gelegenheit, sich einen Namen zu machen, der den großen Taten seiner Vorgänger würdig war. Was spielte es für eine Rolle, dass Britannien längst nicht mehr das geheimnisvolle Land war, über das Caesar, der keine Gelegenheit ausließ, seinen Nachruhm zu mehren, so lebhaft in seinen Kommentaren geschrieben hatte. Bereits zu Augustus’ Regierungszeit war Britannien in allen Richtungen von Händlern und Reisenden des Kaiserreichs durchquert worden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch diese letzte Bastion der Kelten und der Druiden erobert und dem Provinzenbestand der Cäsaren hinzugefügt wurde.

Verica hatte unbeabsichtigt das Ende der traditionellen stolzen Unabhängigkeit der Insel herbeigeführt. Cato hatte Mitgefühl mit dem König und, wichtiger noch, mit seinem Volk. Sie waren zwischen die unaufhaltsam unter dem goldenen Adler vorrückenden Legionen einerseits und den grimmig verzweifelten Caratacus andererseits geraten, der mit seinem lockeren Bündnis britischer Stämme zu allem bereit war, um die Soldaten Roms von der britischen Küste zu vertreiben.

»Dieser Vespasian ist ganz schön verrückt!«, meinte Macro kichernd und schüttelte leise den Kopf. »Ein Wunder, dass er noch lebt. Hast du ihn gesehen? Er ist auf sie losgegangen wie so ein verdammter Gladiator. Der Mann ist verrückt. «

»Ja. Nicht gerade die vornehme Art für einen Angehörigen des Senatsadels.«

»Was ist denn mit ihm los?«

»Er meint wohl, sich beweisen zu müssen. Er und sein Bruder sind die ersten Angehörigen ihrer Familie, die in den Rang des Senatsadels aufgestiegen sind – was sie von den anderen Aristokraten, die ihre Zeit als Legat abdienen, deutlich unterscheidet.« Cato drehte sich zu Macro um. »Eigentlich eine erfrischende Abwechslung.«

»Du sagst es. Die meisten Legaten, unter denen ich gedient habe, hätten den Kampf gegen eine Horde von Barbaren für unter ihrer Würde gehalten.«

»Aber nicht unser Legat.«

»Richtig«, stimmte Macro zu und leerte seinen Becher. »Aber das wird ihm auch nicht viel helfen. Ohne Nachschub ist der Feldzug der Zweiten Legion für dieses Jahr bald zu Ende. Und du weißt, was mit Legaten passiert, die es nicht schaffen. Der arme Kerl wird als Verwalter irgendeines flohverseuchten afrikanischen Hinterlandes enden. So läuft es nun mal.«

»Mag sein. Aber ich wage die Vorhersage, dass andere Legaten dasselbe Schicksal teilen werden, wenn wir diesen Überfällen auf unsere Nachschublinien keinen Riegel vorschieben. «

Beide Männer verstummten eine Weile und dachten über die Folgen des feindlichen Strategiewechsels nach. Für Macro bedeutete er, dass die Essensrationen unerquicklich klein wurden und sie zurückweichen mussten. Die Legionen würden sich zurückziehen und bessere Schutzmaßnahmen für ihren Nachschub ergreifen müssen, bevor sie wieder zum Angriff übergingen. Schlimmer noch, General Plautius und seine Legionen würden sich die Stämme in unbarmherzigen Vernichtungsfeldzügen einen nach dem anderen vorknöpfen müssen. Dadurch würde die Eroberung nur noch im Schneckentempo vorankommen. Wahrscheinlich waren Cato und er selbst längst an Altersschwäche gestorben, bevor die vielen Stämme dieser rückständigen Insel endlich unterworfen waren.

Cato machte sich ganz ähnliche Gedanken wie sein Kamerad, ging aber bald zu einer strategischeren Ebene über. Die hier angestrebte Erweiterung des Reiches mochte durchaus unklug sein. Natürlich ergaben sich kurzfristige Vorteile für den Kaiser, der damit beim Volk Punkte sammelte. Doch obgleich die feindliche Hauptstadt Camulodunum in römische Hand gefallen war, hatte der Feind wenig Verhandlungsbereitschaft gezeigt, von einer Unterwerfung ganz zu schweigen. Seine Entschlossenheit schien sogar noch gewachsen: Unter der zielstrebigen Führung Caratacus’ unternahmen die Briten jede nur denkbare Anstrengung, den Vormarsch der Legionen zu behindern. Das ganze Unternehmen erwies sich mit Gewissheit als wesentlich teurer, als der kaiserliche Generalstab jemals vorausahnen konnte. Cato vermochte daraus nur eine einzige logische Schlussfolgerung zu ziehen, nämlich dass es an der Zeit war, den britischen Stämmen eine Tributzahlung und ein Bündnisversprechen abzuverlangen und die Insel zu verlassen.

Doch dazu würde es nicht kommen, solange die Glaubwürdigkeit des Kaisers auf dem Spiel stand. Man würde den Legionen und ihren Hilfskohorten niemals gestatten, sich von der Insel zurückzuziehen. Aber gleichzeitig würde man immer nur für die geringstmögliche Verstärkung sorgen, gerade genug, um gegenüber den Eingeborenen minimal im Vorteil zu bleiben. Wie immer schob die Politik alle anderen Notwendigkeiten beiseite. Cato seufzte.

»Haltung!«, zischte Macro und nickte zum Tor des Nachschublagers hinüber.

Im flackernden Schein der Kohlebecken zu beiden Seiten des Tors marschierte ein kleiner Trupp auf die Straße Callevas hinaus. Zuerst kamen vier Legionäre, dann Vespasian und dann nochmals vier Legionäre. Die kleine Einheit schlug die Richtung zu Vericas Umfriedung ein und stapfte unter den Blicken der beiden Zenturionen in die Dunkelheit davon.

»Was da wohl los ist?«, brummelte Cato.

»Ein Höflichkeitsbesuch?«

»Ich glaube kaum, dass der Legat mit einem herzlichen Empfang rechnen kann.«

Macro zuckte mit den Schultern, offensichtlich wenig darum besorgt, ob die Beziehungen zu einem der wenigen Stämme, die zu einem Bündnis mit Claudius bereit waren, sich nun herzlich gestalteten oder nicht. Ihm ging eine weit dringlichere Frage durch den Kopf.

»Noch ein Becher? Ich lade dich ein.«

Cato schüttelte den Kopf. »Besser nicht. Ich bin müde. Am besten kehren wir ins Lazarett zurück, bevor irgend so ein verdammter Sanitäter unsere Betten anderweitig vergibt. «

4

Trotz seiner Freude, den verzweifelten Kampf vor den Toren Callevas überlebt zu haben, war Vespasian finster gestimmt, als er den stinkenden Weg zu Vericas Umfriedung einschlug. Und nicht nur, weil er dem König übel nahm, wie unverschämt knapp er ihn herbeizitiert hatte. Sobald er hinter Callevas schützenden Toren wieder zu Atem gekommen war, hatte Vespasian die Überlebenden ins römische Lager geführt. Jeder verfügbare Mann war als Wachposten auf die Wälle geschickt worden, um für den Fall bereit zu sein, dass die Durotriges einen ernsthafteren Angriff auf den Feind wagten. Im Lager musste der Legat sich mit einem Strom von rangniedrigen Offizieren befassen, die sich um seine Aufmerksamkeit drängten. Vespasian begab sich in die kleine Schreibstube des gefallenen Zenturios Veranius und ließ einen nach dem anderen vor. Das Lazarett war überfüllt, und der oberste Wundarzt der Legion forderte zusätzliche Männer an, um eine neue Abteilung einzurichten. Der Zenturio, der den Wagenzug kommandierte, verlangte, dass man ihm für die Rückfahrt zum Basislager an der Tamesis eine Kohorte der Zweiten Legion unterstellte.

»Ohne angemessenen Schutz kann ich die Verantwortung für den Nachschub nicht übernehmen, Herr«, verteidigte er sich.

Vespasian betrachtete den Offizier mit kalter Verachtung. »Die Verantwortung für den Nachschub hast du unter allen Umständen, und das weißt du auch.«

»Ja, Herr. Aber diese verdammten spanischen Hilfstruppen, die ich zugeteilt bekommen habe, sind nutzlos.«

»Ich hatte eben den Eindruck, dass sie ihre Sache durchaus gut machen.«

»Ja, Herr«, gab der Zenturio zu. »Aber es ist nicht dasselbe, wie von Legionären beschützt zu werden. Unsere schwere Infanterie jagt den Eingeborenen eine Heidenangst ein.«

»Möglich, aber ich kann keinen einzigen Mann entbehren. «

»Herr …«

»Keinen einzigen. Aber ich werde morgen beim General zusätzliche batavische Kavallerie anfordern. Bis dahin brauche ich ein vollständiges Inventar der hier gelagerten Vorräte, und dann mach alles an Wagen fahrbereit, was da ist.«

In der Erwartung zusätzlicher Erklärungen verharrte der Nachschubzenturio einen Moment lang schweigend, doch Vespasian nickte knapp zur Tür hin und winkte den nächsten Mann herein. Vespasians Priorität war, seine Männer an der Front so schnell wie möglich mit Nachschub zu versorgen. Unterdessen ritt bereits einer der Kundschafter mit dem Befehl zur Zweiten Legion zurück, zwei Kohorten nach Calleva zu entsenden. Das mochte eine überzogene Reaktion sein, doch Vespasian brauchte die Gewissheit, dass so viele Vorräte wie möglich vom Nachschublager zur Legion gelangten. Angesichts der massiven Plünderungen des Feindes war eine stete Versorgung sonst nicht zu garantieren.

Caratacus hatte ihn da in eine hübsche Zwickmühle gebracht: Falls er weiter vorrückte, schnitt man ihm den Nachschub ab; wenn er sich aber darauf konzentrierte, seine Nachschublinien zu schützen, geriet der Vormarsch ins Stocken. Weiter im Norden waren General Plautius’ Kräfte schon gefährlich weit auseinander gezogen, und es waren beinahe keine Männer mehr übrig, um den Geleitschutz der Wagenzüge zu verstärken oder die Zwischenstationen und insbesondere das überlebenswichtige Depot hier in Calleva angemessen zu bemannen. Das Versagen der Garnison an diesem Nachmittag zeigte deutlich, was für eine erbärmliche Qualität die Legionäre hatten, die man für diese Aufgaben entbehren konnte. Im Moment brauchte Vespasian nichts dringender als zusätzliche Männer. Gesund und durchtrainiert. Doch er musste sich erbittert eingestehen, dass er sich ebenso gut den Mond wünschen könnte.

Dann gab es noch ein weiteres Problem. Der Kommandant der Garnison war tot. Veranius war ein durchaus passabler Offizier gewesen – zumindest für ein Kommando hinter der Front –, aber die Zweite Legion konnte es sich kaum leisten, den Feldzug gegen die Hügelfestungen um einen weiteren Zenturio zu schwächen. Die Todesrate unter den Zenturionen war wie immer hoch, da es ihre Pflicht war, den Männern in der Schlacht voranzugehen. Einige Zenturien wurden inzwischen bereits von Optios befehligt, was man ja nun keineswegs als zufrieden stellende Situation bezeichnen konnte …

An diesem Punkt war ein Bote Vericas eingetroffen, der Vespasian aufforderte, ihn schnellstmöglich aufzusuchen.

Von all diesen Gedanken bedrückt, schritt Vespasian durch die dunklen Gassen Callevas, immer darauf bedacht, nicht in Schlamm und Dreck auszurutschen. Hier und da fielen aus den offenen Türen von Eingeborenenhütten Pfützen von orangefarbenem Licht auf den tief ausgefahrenen Weg. Drinnen erblickte Vespasian ums Herdfeuer versammelte Familien, doch nur die wenigsten von ihnen schienen zu essen.