Die Chroniken von Eskandria - Marcel Kircher - E-Book

Die Chroniken von Eskandria E-Book

Marcel Kircher

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Beschreibung

Das Böse, die Manifestation aller negativen Gefühle, umkreist dich, so nah, dass du seinen heißen Atem spürst. So nah, dass das Dunkel einfach nach dir greifen und dich mit sich in den Abgrund ziehen kann. Du schreist die Angst aus dir heraus, doch kein Ton kommt über deine Lippen. Du willst die Hände abwehrend über dem Kopf zusammenschlagen, doch dein ganzer Körper ist wie gelähmt, ein Gefängnis, das deine Seele einschließt. Raum und Zeit, Zukunft, Vergangenheit, Erinnerungen. All das ist bedeutungslos geworden. Nur der Schrecken ist real. Doch dann entdeckst du ein Schlupfloch, eine kleine undichte Stelle zwischen den wirren Konstrukten deines Verstandes, eine Chance, endlich aufzuwachen, um dem Grauen zu entfliehen. Du siehst das Licht, rennst darauf zu, lässt die schwere Finsternis hinter dir und öffnest die Augen... Nachdem er nur knapp dem Tod entrinnen konnte, aber das Drachenbündnis besiegelt und den Frieden in Eskandria hergestellt hatte, hofft Marcel auf ein ruhiges Leben mit seiner Gefährtin Tamina auf ihrem kleinen Anwesen in Smorland. Doch das Schicksal hat etwas Anderes mit ihm vor – nachdem Marcel, Tamina und Rodge mit ihren neuen Begleitern Koni und Dogo ein geheimnisvolles Rätsel in Galluria gelöst haben, erscheint Marcel ein sonderbarer Wandersmann. Er spielt gerne gefährliche Spiele – und Marcel ist seine Spielfigur! Selbsterfüllende Prophezeiungen, ein silbernes Horn, Wiedergänger und der drohende Verlust über die eigene Menschlichkeit und das Verwandeln in eine totbringende Bestie bieten die Prüfungen des Wanderers. Wird es dem Drachenprinzen auch dieses Mal gelingen die Schicksalsspiele zu gewinnen und Eskandria erneut von dem Untergang bewahren?

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Seitenzahl: 395

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Marcel Kircher

Die Chroniken von Eskandria

Schicksalsspiele

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Schicksalsspiele

Kapitel 2 – Geheimnisvoller Fremder

Kapitel 4 – In die Falle gegangen

Kapitel 7 – Nowkuns Experimente

Kapitel 9 – Der Heerwurm

Kapitel 12 - Seelensturm

Kapitel 20 – Ein neuer Anfang

Impressum neobooks

Schicksalsspiele

Einleitung

Das Böse, die Manifestation aller negativen Gefühle, umkreist dich, so nah, dass du seinen heißen Atem spürst. So nah, dass das Dunkel einfach nach dir greifen und dich mit sich in den Abgrund ziehen kann. Du schreist die Angst aus dir heraus, doch kein Ton kommt über deine Lippen. Du willst die Hände abwehrend über dem Kopf zusammenschlagen, doch dein ganzer Körper ist wie gelähmt, ein Gefängnis, das deine Seele einschließt. Raum und Zeit, Zukunft, Vergangenheit, Erinnerungen. All das ist bedeutungslos geworden. Nur der Schrecken ist real. Doch dann entdeckst du ein Schlupfloch, eine kleine undichte Stelle zwischen den wirren Konstrukten deines Verstandes, eine Chance, endlich aufzuwachen, um dem Grauen zu entfliehen. Du siehst das Licht, rennst darauf zu, lässt die schwere Finsternis hinter dir und öffnest die Augen...

Nachdem er nur knapp dem Tod entrinnen konnte, aber das Drachenbündnis besiegelt und den Frieden in Eskandria hergestellt hatte, hofft Marcel auf ein ruhiges Leben mit seiner Gefährtin Tamina auf ihrem kleinen Anwesen in Smorland. Doch das Schicksal hat etwas Anderes mit ihm vor – nachdem Marcel, Tamina und Rodge mit ihren neuen Begleitern Koni und Dogo ein geheimnisvolles Rätsel in Galluria gelöst haben, erscheint Marcel ein sonderbarer Wandersmann. Er spielt gerne gefährliche Spiele – und Marcel ist seine Spielfigur! Selbsterfüllende Prophezeiungen, ein silbernes Horn, Wiedergänger und der drohende Verlust über die eigene Menschlichkeit und das Verwandeln in eine totbringende Bestie bieten die Prüfungen des Wanderers. Wird es dem Drachenprinzen auch dieses Mal gelingen die Schicksalsspiele zu gewinnen und Eskandria erneut von dem Untergang bewahren?

Kapitel 1 – Der Fluch des Schlosses

Es war einmal ein mächtiger König, dessen Bestreben über alle Maßen darin bestand, seine Güter und Besitztümer zu vermehren. Bald schon war seine Schatzkammer bis obenhin gefüllt. Mit Gold, Schmuck und wertvollen Steinen. Doch mit des Königs Vermögen wuchs auch die nagende Furcht, er könnte all dies eines Tages wieder verlieren, Opfer gemeiner Diebe werden. Also befahl er seinem obersten Magier, einen Zauber zu wirken, der das Gold für alle Zeit vor dem Rest der Welt beschützen sollte. Der Magier beschwor daraufhin einen mächtigen Drachen, Dragorak, der fortan verflucht war, die Schatzkammer zu bewachen. Doch das Leuchten des Goldes und das Glitzern all der Edelsteine vermochte die Finsternis in des Königs Herzen nicht vertreiben. Er misstraute allen Menschen, die ihn umgaben, sah in jedem einen Schurken, der es auf sein Allerheiligstes abgesehen hatte. Selbst dem Magier - dem einzigen, der den Bann des Drachen hätte aufheben können - unterstellte er bald die bösesten Absichten und steigerte sich schließlich so in seinen Wahn, dass er ihn ermordete. Der König wähnte sich glücklich, jetzt, da es niemanden mehr gab, der ihm hätte seines Schatzes berauben können. Leider ist das ganze Gold der Welt nur Staub in den Händen eines Mannes, dessen letzte Stunde schlägt. Der König starb - unendlich reich, aber einsam und verlassen. Zurück blieben Gerüchte, die sich um den größten Schatz rankten, den ein Mensch sich nur vorstellen konnte. Viele mutige Männer hatten seitdem versucht, die Kammer tief in den Eingeweiden des Schlosses zu finden, doch bezahlten sie alle ihre Tollkühnheit mit dem Leben. So kam es, dass das Königreich unterging und in Vergessenheit geriet. Dragorak, der Drache, fiel in einen tiefen Schlaf, der solange fortwähren sollte, wie das Siegel zur Kammer, die er bewachen musste, unversehrt blieb. Was jedoch die Jahrhunderte überdauerte, war die Legende von einem unermesslichen Schatz und die Warnung, jenen für alle Zeit an seiner verfluchten Lagerstätte ruhen zu lassen. Aber die Gier der Menschen ist stärker als ihre Furcht - und so geschah, was niemals hätte geschehen dürfen:

Räuber drangen in das Schloss ein, ignorierten alle Mahnrufe, umzukehren; und fanden sich schließlich vor dem Eingang der Schatzkammer. Sie brachen das Siegel - und erweckten die Bestie...

„Habt ihr nicht auch das Gefühl, dass etwas nicht stimmt?“ Einer der fünf Männer blickte sich ängstlich und verstohlen um. „Wir dürften nicht hier sein. Ich habe euch doch eindringlich vor dem Fluch gewarnt.“

„Fluch! Pah! Welch ein Unsinn, Heydahl.“ Der Anführer der Räuberbande baute sich vor seinem Komplizen auf. „Reine Legenden und Märchen nenne ich so etwas. Märchen, um dumme Jünglinge wie dich vor dem größten Schatz des Reiches fernzuhalten.“

„Aber“, flüsterte Heydahl, „alle Menschen denen wir begegneten versuchten uns umzustimmen. Warum sollten sie sich irren?“

„Weil es naive Bauerntrottel sind“, grummelte der Anführer. „Aber gut, dann geh doch nach Hause und verkriech in deinem Nest, wie ein ängstlicher Takk. Hat auch für uns seine Vorteile, dann müssen wir schon nur noch durch vier, anstatt durch fünf teilen.“

Heydahl schwieg und blickte sich weiterhin um, während der Anführer mit dem Rest der Gruppe an die versiegelte Tür der Schatzkammer trat.

„Hier muss sein“, meinte er stolz. „Hinter dieser Tür muss er sich befinden.“

„Da könntest du Recht haben, Vater“, jubilierte ein anderer Mann des Quintetts. „Während vieles in diesem Gemäuer schon zu längst zu Staub verfallen ist, ist dieses Siegel vollkommen unversehrt. Wie durch Zauberei.“

„Richtig Kevdi, mein Sohn. Dann lass uns mal das Siegel öffnen.“ Mit einem mächtigen Hieb seines Schwertes zerschlug der Anführer das Siegel und öffnete die Tür. Der Inhalt der Kammer und dessen Glanz blendeten die Männer und beinahe ehrfürchtig betraten sie den Raum.

„Irgendwas stimmt hier nicht“, stammelte Heydahl. „Das ist der Fluch. Er wird uns treffen.“

„Halt die Schnauze!“ Der Anführer war drauf und dran Heydahl eine Ohrfeige zu verpassen. „Sieh dir das an. Von jeder einzelnen Münze in dieser Kammer könnte man sich ein halbes Königreich kaufen. Endlich raus aus unserem Bauernkaff.“

„Dann wären wir die reichsten Männer“, stimmte Kevdi ein. „Wir könnten uns Fürsten nennen. Die reichsten Fürsten Eskandrias. Die Frauen würden Schlange stehen.“

„Das ist eine gute Einstellung, Sohn. Mach dir die Taschen voll und nimm dir, so viel du tragen kannst.“

Der junge Mann war gerade dabei sich seinen Beutel mit Goldmünzen zu füllen, als aus der Ferne ein Rauschen und Brüllen zu hören war. Dragorak war, wie es der Zauber ihm befahl, in der Schatzkammer erschienen und nahm das Quintett ins Visier. Kevdi ließ seinen Beutel langsam sinken, doch es war zu spät – ein Feuerschwall kam aus dem Rachen des Untieres und ließ dem Räuber keine Chance. Die Hitze des Drachenfeuers schmolz den jungen Mann förmlich in die Marmorfließen der Schatzkammer.

Der Anführer schrie vor Trauer und Schmerz auf, als er bemerkte, dass sein Sohn getötet wurde. Der Drache vollführte seinen Zauberbann weiter. Heydahl war der nächste Schatzdieb, den er verbrannte.

„Lauf“, flüsterte der Anführer seinem Begleiter zu und sie eilten los. Dragorak bemerkte sie nicht. Ein weiterer Räuber, der seinen beiden Komplizen nicht folgen konnte, rannte zu spät los, ehe ihn die Feuerbrunst des Drachens in den Boden schmolz. Der Fluch Dragoraks war geweckt.

„Nimm das!“ Ein wuchtiger Schwertschlag prallte auf die gerüstete Frau, die den Schlag mit Mühe parierte. „Und das!“ Der nächste Schlag und die nächste Parade.

„Und so einer behauptet, er hätte Shandra, die Jägerin besiegt“, höhnte die Frau und setzte den Konter, den der junge Mann abwehren konnte.

„Shandra konnte ich durch eine List töten. Jedoch war ich es der die Drachen geeint hat und Goor in die ewigen Jagdgründe geschickt hat.“

„Und jetzt ist aus dem Drachenprinzen ein Sekretär des Königs Kanzlers geworden“, spöttelte die junge Frau.

„Nun ja. Eine lebenslange Leibrente als Drachenprinz war der königlichen Schatzkammer wohl doch zu viel“, entgegnete Marcel.

„Dafür hast du eine im wahrsten Sinne des Wortes bezaubernde Frau an deiner Seite, die nun die Waffen vor diesem tollkühnen Schreibtischrecken streckt.“ Die Frau ließ ihr Schwert und Schild sinken und trat auf Marcel zu.

„Das stimmt, Tam“, erwiderte Marcel. „Ich hätte echt mal wieder Lust unsere Freunde zu treffen.“

„Was hältst du davon, wenn du morgen Abend Balon und Rodge zum Essen bei uns einlädst und ich uns was Leckeres koche. Zurzeit ist es eh sehr ruhig an der Akademie und als Dozentin kann ich mir meine Dienste gut selbst einteilen.“

„Es ist echt toll, dass König Edrapos euch erlaubt hat Folriks Magierschule neu zu eröffnen.“

„Ja. Rackturan ist ein toller Schulleiter und Lehrmeister. Vielleicht nicht so gut, wie Tumar in Tyrrell, aber ein ganz anderer Mensch, wie Folrik es war“, berichtete Tamina stolz.

„Ihn würde ich gerne mal kennenlernen“, seufzte Marcel.

„Irgendwann wird das bestimmt mal klappen“, flüsterte Tamina. „Was hältst du davon, wenn wir ins Haus gehen?“

„Ins Haus?“

„Na ja, die Sonne geht unter und wir müssen Morgen wieder früh raus“, entgegnete Tamina grinsend. „Und ich könnte noch ein wenig Nachhilfe im Nahkampf gebrauchen.“

Zärtlich küsste Tamina Marcel auf die Stirn, während er sie umarmte und ihren Kuss erwiderte. „Einverstanden, holde Maid. Aber zuerst bereite ich dir dein Leibgericht aus meiner Welt zu.“

„Kordel blö? Korden blöd?“ Leicht hilflos blickte Tamina mich an. „Es ist ein Gericht der Götter, aber schwieriger auszusprechen als sämtliche Dämonen der Unterwelt.“

„Cordon bleu“, erwiderte ich lachend. „Keine Ahnung, warum wir nicht auf die Idee gekommen sind dem Gericht einen leicht auszusprechenden Namen zu geben.“

„Gegrilltes Schwein mit Schinken und Käse gefüllt?“, schlug Tamina grinsend vor. „Das andere klingt einfach nur blöd.“

„Also zwei Portionen gegrilltes Schwein gefüllt mit Schinken und Käse.“ Ich küsste sie auf die Lippen. „Kommt sofort. Machst du uns einen leckeren Wein dazu auf?“

„Natürlich mein Küchenmeister.“

Am nächsten Tag hatte ich Balon und Rodge eine Zusage abgerungen, uns zum Essen zu besuchen. Die beiden waren auch der Meinung, dass es mal wieder an der Zeit war, sich zu treffen. Gemeinsam mit Tamina stand ich in der Küche und bereitete die drei Gänge zu. Als Vorspeise hatten wir eine leckere Fleischsuppe vorbereitet. Zum Hauptgang bereiteten wir Lammkoteletts mit grünen Bohnen und Ofenkartoffeln zu und als Nachtisch gab es Arme Ritter mit Zucker und Zimt. Alle Rezepte stammten aus dem Kochbuch, das ich aus meiner Welt mitgebracht hatte. Zunächst war Tamina leicht verwirrt, doch die ehemalige Zauberschülerin fand im Laufe der Zeit Gefallen daran ihre Welt mit der meinen zu vermischen. Den großen Tisch hatten wir einigermaßen festlich eingedeckt und kaum hatten wir uns frischgemacht, sahen wir unsere Freunde schon die Auffahrt hinauflaufen.

„Ich öffne schon mal unseren Gästen die Tür“, rief ich Tamina zu.

„Alles klar, dann schenke ich schon mal den Wein ein“, antwortete sie.

Kaum hatte es an der Tür geklopft, öffnete ich unseren Freunden die Tür.

„Balon. Rodge“, begrüßte ich meine beiden Gefährten aus unserem letzten Abenteuer höflich. „Schön, dass ihr euer Kommen einrichten konntet.“

„Es ist schon so lange her, dass wir einen netten Abend verbringen konnten in unserer trauten und fröhlichen Runde“, erwiderte Balon. „Schön euch wiederzusehen. Wie geht es euch beiden?“

„Wirklich gut“, antwortete ich, lächelnd und schob Balon in den Salon unseres Hauses, während mich Rodge umarmte.

„Wie geht es dir?“, fragte ich den Adjutanten des Hauptmanns.

„Danke, es geht mir echt gut, seit der Erneuerung des Drachenbündnisses und dem neuen Frieden“, antwortete er, doch ich ahnte, dass das nur die halbe Wahrheit war. Während unseres Abenteuers wurde seine Freundin Sarisse von einer Kopfgeldjägerin durch einen Giftanschlag ermordet. Auch wenn Rodge nie darüber redete, so war ich mir sicher, dass ihn die Sache noch sehr beschäftigte. Sarisse hatte aus dem bärbeißigen Soldaten die weiche Seite hervorgebracht.

„Habt ihr beide denn schon Pläne für eure gemeinsame Zukunft?“, versuchte Balon das Thema zu wechseln.

Tamina und ich wechselten mulmige Blicke. „Was meinst du?“

„Ich sehe bei niemandem von euch einen Verlobungsring am Finger“, antwortete Balon lächelnd.

„Das hat noch ein wenig Zeit“, beschwichtigte ich. „Als Sekretär sehe ich ja, wie viel ihr Krieger verdient und was ich erhalte. Und Tamina sollte schon eine ihr angemessene Hochzeit erhalten.“

An meiner Seite errötete Tamina und sie entschuldigte sich, dass sie nach dem Essen schauen müsste.

„Ihr seid so ein süßes Paar“, flüsterte mir Balon zu, als wir uns an den Tisch setzten. „Ich glaube Tamina ist es nicht wichtig, ob die Hochzeit irgendwelchen Pomp und Gloria bereithält. Deine Treue ist ihr das Wichtigste.“

Ich nickte zustimmend, als Tamina den ersten Gang servierte. In tiefen Holzschalen dampfte die Fleischsuppe. Etwas zögernd probierten die beiden Soldaten und mit jedem Löffel veränderten sich ihre Mienen.

„Das ist echt gut. Besonders mit dem vielen Fleisch“, stellte Rodge lobend fest. „Was ist das für ein Rezept?“

Tamina deutete auf mich. „Es ist ein Rezept aus der Welt unseres Drachenprinzen.“

„Kompliment“, lobte Balon und schlug mir freundschaftlich auf die Schulter. „In Sachen Essen ist deine Welt der Unseren mindestens ebenbürtig. Ich bin schon auf die weiteren Gänge gespannt.“

Der Rest des Abendessens verlief unterhaltsam und feucht fröhlich. Schuld daran war auch ein wenig das Fass Sakour-Bier, das Rodge als Gastgeschenk mitgebracht hatte.

Im Schatten einer Baumreihe beobachtete der Mann in dem schwarzgrünen Mantel und dem schwarzen Spitzhut die Gesellschaft durch das Fenster und lauschte den Wortfetzen, die durch das offene Fenster an sein Ohr drangen. Wie unvorsichtig sie doch waren. Doch wer konnte in Zeiten, wie diesen an Feindseligkeiten denken? Es war einfach zu wenig passiert. Er lauschte den Unterhaltungen, strich sich ab und an durch den akkurat geschnittenen Vollbart. Sein Plan hatte gerade erst begonnen. Er verschmolz mit der Dunkelheit der Nacht und verschwand genauso lautlos, wie er gekommen war.

„Und was gibt es bei euch so Neues?“, fragte ich Balon und Rodge.

„Ich breche Morgen für zwei Wochen in die benachbarte Provinz nach Basrafort auf, um die dortigen Truppen auszubilden“, berichtete Balon.

„Das ist der Vorteil, wenn man einfacher Soldat ist und nicht Hauptmann der königlichen Truppen ist“, entgegnete Rodge und streckte sich genüsslich. „Ich werde meinen mühsam angesparten Truppenurlaub nutzen, um meine Wohnung herzurichten.“

„Vielleicht können wir dir ein wenig zur Hand gehen“, bot ich dem Adjutanten unsere Hilfe an.

„Danke, das hört sich gut“, an meinte Rodge freundlich.

Tamina und ich boten später unseren Freunden an, doch bei uns zu übernachten, doch die beiden lehnten dankbar ab. Den kurzen Weg zu ihren Häusern würden sie auch alleine schaffen.

Kapitel 2 – Geheimnisvoller Fremder

Drei Tage waren vergangen. Ich nutzte meinen freien Nachmittag, um Tamina im Garten zu helfen. Plötzlich tauchte ein Mann auf und steuerte auf die Einfahrt unseres Hofes zu. Sein Aussehen hatte was von einer gerupften Vogelscheuche. Das Haar war zerzaust, die Augenringe deuteten auf starken Schlafmangel hin und sein Umhang war vergilbt und zerrissen. Mit Argwohn und Skepsis beobachtete ich ihn.

„Tam“, flüsterte ich. „Hol Rodge, der Kerl scheint mir nicht so ganz koscher zu sein.“

Tamina begab sich ins Haus und ging die Straße hinunter, wo die Soldaten ihre Wohnungen hatten. Ich trat auf den Fremden zu.

„Kann ich Euch behilflich sein?“, fragte ich bemüht höflich.

„Seid Ihr der Drachenprinz?“ Zumindest Höflichkeitsformen beherrschte der Fremde.

„Ja. Wer will das wissen?“

„Mein Name ist Yandir“, entgegnete der Fremde. „Und ich komme, weil wir in unserer Provinz ein großes Problem haben.“

„Euer Vertrauen in allen Ehren, doch diese Entscheidung möchte ich nicht alleine treffen.“ Ich blickte mich um. Von Tamina und Rodge war noch nichts zu sehen und ich vertraute diesem Kerl immer noch nicht so ganz. „Meine Gefährtin müsste gleich wieder da sein und dann können wir die Sache gemeinsam besprechen.“

Yandir wiegte den Kopf. „Damit kann ich leben.“

Es fühlte sich, wie eine Ewigkeit an, bis Tamina mit Rodge zurückkam. Die Zeit des Wartens hatte ich mit peinlichem Schweigen dem Fremden gegenüber verbracht. Beide tuschelten angeregt, als Rodge den Fremden erblickte.

„Seid gegrüßt.“ Rodge musterte ihn abschätzend, als er Yandir die Hand reichte. „Mein Name ist Rodge und ich bin Soldat des königlichen Heeres und Privatwachmann des Drachenprinzen. Was ist Euer Begehr?“

„Mein Name ist Yandir. Ich bin Mitglied des Rates der Ältesten von Galluria.“

„Für ein Ratsmitglied seht Ihr ziemlich gerupft aus“, spottete Rodge.

„Galluria? Das ist zwei Tagesritte von hier weg“, bemerkte Tamina.

„So ist es“, fuhr Yandir fort. „Doch im Moment sind die ruhigen Zeiten dort vorbei.“

„Was ist geschehen?“, wollte ich wissen.

„Vor ein paar Tagen begann es. Ein Drache sucht unsere Provinzen heim, brennt die Häuser nieder, vernichtet unser Vieh und er hat den Sohn eines Ratsmitglieds getötet“, berichtete Yandir. „Mir kam zu Ohren, dass Ihr mit den Drachen reden könnt.“

„Das kann nicht sein“, erwiderte ich. „Wir Menschen leben in Frieden mit den Drachen. Es gibt keinen Grund für Angriffe.“

„Es war ein Drache, so wahr ich hier stehe“, beharrte Yandir auf seine Aussage.

„Ein Schwarzdrache hätte genügend Boshaftigkeit ein Dorf anzugreifen“, wandte Tamina ein.

„Das wüsste das Triumvirat aufs Schärfste zu verurteilen“, entgegnete ich nachdenklich. „Außerdem haben die Schwarzdrachen unter ihrem neuen Anführer dem neuen Drachenbündnis zugestimmt.“

„Ich erbitte für unser Dorf Eure Hilfe, Drachenprinz und die Eurer Freunde“, flehte Yandir. „Egal was es kostet.“

„Also gut“, meinte ich. „Wir werden nach Galluria reisen und ich werde mir diesen Drachen vornehmen. Vielleicht kann ich dann seine Beweggründe erfahren und es gelingt mir ihn zu besänftigen.“

Rodge verdrehte die Augen. „Da geht meine mühsam angesparte Urlaubszeit dahin“, stöhnte er. „Na schön, ich begleite euch.“

„Ich komme natürlich auch mit“, warf Tamina ein. „An Rackturans Zauberschule habe ich mir eine Menge neuer Zaubersprüche angeeignet und sie alle ausprobiert. Also durchgelesen … überflogen. Es hakt zwar noch bei dem einen oder anderen, aber ich denke unterwegs kann man diese Fähigkeiten bestimmt verbessern.“

„Balon wird erdolchen, wenn er wüsste, worauf ich mich da schon wieder eingelassen habe“, jammerte Rodge, ehe seine Miene ernst wurde: „Wir organisieren uns ein paar Vorräte und ziehen bei Sonnenuntergang los. Wir treffen uns an den Toren der Stadt auf der südlichen Heerstraße.“

Pünktlich mit dem einsetzenden Untergang der Sonne trafen Rodge, Yandir und ich am Stadttor ein. Vier Pferde standen neben uns.

„Wo ist denn Tamina?“, fragte Rodge, als er mich mit zwei Pferden an den Zügeln ankommen sah.

„Tamina ging zum Markt und wollte dort Vorräte für unsere Reise besorgen. Dann wollte sie schnell zur Zauberschule, um noch etwas Literatur mit nützlichen Zaubern zu organisieren.“

„Soso.“ Rodges tadelnder Blick wirkte wie eine eiskalte Dusche. „Hoffentlich sitzt Yandir etwas stabiler im Sattel, als es sein allgemeiner Anblick vermuten lässt.“

Ich spürte den besorgten und leicht verärgerten Blick unseres Mitstreiters, doch Rodges Kampfeserfahrung wollte ich in dieser Sache nicht missen müssen.

Schließlich sah ich Tamina den Weg entlangkommen. Im Schlepptau zwei weitere Personen. Rodge schlug die Hände über dem Kopf zusammen.

„Wen schleppst du uns da noch mit an?“

„Oh“, entgegnete Tamina. „Das sind zwei Gelehrte der Akademie. Koni von der Witterau und Dogo.“

Da ich schon immer ein großer Fan von zahlenmäßiger Überlegenheit war, fand ich die Unterstützung der Beiden gar nicht schlecht. Insbesondere da Yandir nicht unbedingt, wie ein Kampfgigant wirkte und Balon ja in Basrafort weilte, war ich froh über die beiden Gelehrten. Ein amoklaufender Drache, da konnten wir schon etwas Magie vertragen. „Freut mich eure Bekanntschaft zu machen. Ich bin Marcel. Dann haben wir unseren Krieger Rodge. Der Kerl, da hinten, der aussieht, wie eine Krähe ist Yandir. Doch der gehört strenggenommen gar nicht zu uns.“

Erfreut nickten die beiden Zauberlehrlinge uns zu und erwiderten damit den Gruß.

„Sehr schön. Du weißt schon, dass wir unseren Auftrag nicht überall herumposaunen solltest?“, erwiderte Rodge genervt.

„Wir brauchen für unser Fachgebiet Anatomie der magischen Wesen noch die Kunst der Dragonogie und wie soll man das näher kennenlernen, als am lebenden Objekt“, wandte die Frau mit den roten Haaren ein. „Ihr dürft mich gerne nur Koni nennen, werter Krieger.“

„Seid Ihr denn in der Lage mit dem Schwert umzugehen?“, fragte Rodge kalt, ohne auf Konis Aussage weiter einzugehen.

Mit gesenktem Blick schüttelten Dogo und Koni ihren Kopf.

„Ich fürchte, das war in ihrer bisherigen Ausbildung nicht notwendig“, sprang Tamina ein.

„Dann will ich Rodges Frage umformulieren: Habt ihr eure eigenen Reittiere und Vorräte dabei und seid ihr in der Lage im Notfall euch selbstständig zu verstecken?“, wollte ich wissen.

„Welch eine bescheidene Frage.“ Dogo wirkte leicht entrüstet. „Die können wir bejahen und mit unsrem Wissen euch zur Seite stehen.“

„In Ordnung, aber wenn ihr zurückfallt, warten wir nicht auf euch. Und jetzt lasst uns aufbrechen, bevor wir hier noch Wurzeln schlagen.“ Rodge saß auf und ritt voran. „Von einem Kindergarten, der auszog, um mit einem jähzornigen Drachen zu reden.“

Als die Nacht einsetzte, schlugen wir am Rande eines Dorfes unser Lager auf. Die Stimmung war etwas gelöster, erst Recht als Koni ein Fässchen Sakour-Bier aus ihrem Vorratssack zog. Ich übernahm die erste Nachtwache, während sich die anderen in ihre Zelte zurückzogen. Es war eine dieser typischen Nachtwachen. Nichts passierte und man konnte schlecht einschätzen, ob schon Minuten oder Stunden vergangen waren. Ich blickte ins Feuer, legte zwei Scheite nach, damit es nicht komplett herunterbrannte, bemerkte ich einen Mann in der Nähe am Rand des Waldes. Im Licht des Mondes schien er fast schon hellgrün zu leuchten. Ich stand auf und näherte mich dem Fremden.

„Wer bist du?“, fragte ich, doch der Fremde schwieg beharrlich. Er trug einen schwarzen Umhang, der hellgrüne Musterungen aufwies, die im Licht des Mondes leuchteten und einen schwarzen Spitzhut. Ich versuchte noch einmal mein Glück: „Wer bist du?“

Wieder keine Antwort.

„Was tust du hier?“

Ich fuhr herum. Rodge hatte mir die Hand auf die Schultern gelegt.

„Dieser Fremde da, hält es nicht für nötig mir zu antworten.“

„Welcher Fremde?“ Rodge blickte an die Stelle, wo ich mit meinem Finger deutete. „Da ist niemand.“

„Aber gerade noch war da jemand.“ Die Gestalt war verschwunden. „Du musst ihn doch gesehen haben, als du zu mir gelaufen bist“, beharrte ich auf den mysteriösen Fremden.

„Wahrscheinlich ist dir ein Becher Sakour-Bier zu Kopf gestiegen“, spöttelte Rodge. „Marschiere zurück ins Lager und leg dich schlafen. Sollte dieser Fremde wiederauftauchen, werde ich dich wecken.“

„Aber …“, wandte ich ein. „Da war jemand. Ich bin mir tausendprozentig sicher.“

„Ich beobachte dich schon eine Weile und fragte mich, ob du nicht einfach nur Selbstgespräche führst“, beruhigte mich Rodge. „Wenn ich das Spurenlesen nicht gänzlich verlernt habe, dann sehe ich nur deine Fußabdrücke und die Meinen hier im lehmigen Boden.“

Missmutig glaubte ich Rodges Worten und trottete in Richtung Nachtlager, während er zu seinem Wachposten ging. Tamina schlief bereits tief und fest, als ich unser Zelt betrat und zu Bett ging. Vielleicht hatte ich mich doch geirrt, was den Fremden anging.

„Der Drachenprinz und seine Gefährten sind arglos.“ Yandir stand mitten im Wald und unterhielt sich mit einer schwarzgekleideten Gestalt mit Spitzhut. „Spätestens Morgen werden wir in Galluria sein.“

„Das hast du gutgemacht, Yandir. Ich bin sehr zufrieden mit dir“, antwortete der Fremde und ein Lächeln war zu erkennen.

„Wie geht es meiner Familie?“ Verzweiflung lag in Yandirs Stimme. „Werdet Ihr sie wieder freilassen?“

„Sobald der Drachenprinz und seine Freunde in der Höhle des Löwen sind.“ Die Antwort des Spitzhutträgers war kalt, wie die Nacht. „Doch sei dir versichert, dass deiner Familie kein Haar gekrümmt wurde.“

„Danke, Herr.“ Yandir sank auf die Knie.

„Kehre zurück zu deinen Freunden, ehe sie Morgen in der Früh dich nicht vorfinden werden.“

Mit diesen Worten verschwand der Fremde im von ihm erzeugten Nebel und ließ Yandir zurück.

Am nächsten Morgen brachen wir nach einem kurzen Frühstück auf, um die restliche Wegstrecke nach Galluria in einem weiteren Tag zu schaffen. Unterwegs stießen wir auf die verkohlten Überreste einer Siedlung und einer Hinterlassenschaft.

„Da haben wir schon mal den Kot des Drachen“, bemerkte ich und stieg von Ventus‘ Rücken, um den Haufen zu begutachten.

„Bist du sicher, dass es …, dass es …?“, stammelte Dogo, als wenn er nach den richtigen Worten suchte.

„Ja, es ist Drachenscheiße“, beendete ich den Satz für den Zauberlehrling.

„Wie aufregend.“ Koni war neben mich geritten und saß ab. „Was macht dich so sicher? Es könnte doch eine Kuh oder ein Pferd gewesen sein.“

„Ich hatte über ein Jahr einen Drachen“, entgegnete ich. „Glaub mir, ich weiß, was aus so einem Magen ausgeschieden werden kann.“

In dem Drachenhaufen befanden sich unverdaute Knochenstücke, sogar ein halber Schädel eines Tieres war darin zu erkennen. Mit Mühe konnte ich einen Würgereflex verhindern und mein Frühstück bei mir behalten.

„Hier gibt es nichts weiter für uns zu tun“, meinte ich. „Lasst uns weiterreiten. Ich will mich mit dem Stadtrat von Galluria unterhalten.“

Die kleine Reisegruppe erreichte das kleine Städtchen Galluria am späten Abend. Freundlicherweise erklärte sich der Ältestenrat bereit die von Yandir organisierte Hilfe zu empfangen.

„Seid gegrüßt, werte Gäste“, begrüßte uns der Vorsitzende des Rates. Ein alter Mann, das graue Haar neigte zur Glatze, aber seine grünen Augen strahlten trotz der vorgerückten Stunde voller Energie und trug eine Plakette um den Hals, stellte sich uns vor. „Mein Name ist Arminus Ungernbis Bergstern und ich heiße euch herzlich willkommen.“

Ein anderer Mann, er war hünenhaft, schlaksig und hatte eine komische Armhaltung warf uns skeptische und Yandir zornige Blicke zu. „Yandir! Ich hatte dir ausdrücklich befohlen keine Fremden in unsere Angelegenheiten zu verstricken.“

„Aber Jodistlis, er ist der Drachenprinz. Er hat die Gabe“, erwiderte der Sonderling.

„Gabe. Pah. Mit diesem Drachen wären wir auch alleine fertig geworden“, tönte das Ratsmitglied.

„Jodistlis, ich bitte Euch.“ Arminus warf seinem Ratskollegen einen strengen Blick zu. „Der Drachenprinz ist zu uns gekommen, also soll er es versuchen.“

„Das stimmt“, wandte ich ein. „Vielleicht liegt da nur ein Versehen vor. Wenn ich mit dem Drachen reden könnte, dann ließ sich alles auf …“

„EIN VERSEHEN?“ Jodistlis unterbrach mich. Zorn lag in seinen Augen. „Die Zeit des Redens ist vorbei. Was dieser Drache braucht, ist Gewalt. Er muss sterben.“

„Wenn Marcel mit dem Drachen reden möchte, dann soll er es versuchen“, warf Rodge beschwichtigend ein. „Sollte das nichts nützen, dann müssen wir uns eine andere Lösung überlegen. Auch wenn der Drachen getötet werden muss.“

Ich warf Rodge einen strafenden Blick zu. Egal, wie schlimm das Vergehen war. Kein Mensch auf dieser Welt durfte sich das Recht herausnehmen einen Drachen zu töten. Die Bestrafung dieser majestätischen Geschöpfe oblag Volante und dem Triumvirat der Drachen. Das konnte Rodge natürlich nicht wissen.

„Ich vertraue euch“, versuchte Arminus ein. „Versucht mit dem Drachen zu reden und so den Grund für die Angriffe zu erfahren. In dieser Zeit betrachtet euch als hochwohlgeborene Gäste der Stadt Galluria mit all ihren Vorzügen. Unterkunft, Speis und Trank ist euch als Lohn für eure Mühen wert genug?“

„Vielen Dank, Arminus“, entgegnete Rodge dankbar. „Es ist mehr, als wir beim Antritt unserer Reise erwartet hatten. Wir werden die Gastfreundschaft des Rates nicht länger in Anspruch nehmen, als nötig.“

Mit einem freundlichen Lächeln geleitete uns der Vorsitzende des Stadtrates aus dem Gebäude. Die Diener des Rates kümmerten sich um unsere Pferde und die Verfrachtung unseres Gepäcks in ein Gasthaus im Zentrum Gallurias.

Am nächsten Morgen brachen wir auf. Von Arminus hatten wir erfahren, dass es etwa zwei Wegstunden vom Dorf ein altes und verwunschenes Schloss gab, das seit Jahrhunderten von keiner Menschenseele betreten worden sei.

„Es müsste doch eine Spur zu sehen sein“, brummte Rodge schließlich, als wir den Pfad hinaufliefen. „Wir sind jetzt schon eine Stunde unterwegs und haben nicht einen Hinweis entdecken können.“

„Was macht Euch so sicher Spuren zu finden?“, fragte Yandir.

„Wenn der Drache vor ein paar Tagen Amok gelaufen ist, dann müssen Fremde ins Schloss eingedrungen sein. Und die können wohl kaum geflogen oder ohne sonstigen Bodenkontakt zum Schloss gelangt sein“, entgegnete Rodge.

„Hier ist was“, bemerkte Koni. „Am Wegesrand im Morast sind Fußspuren und Grashalme plattgedrückt. Und am Gestrüpp sind Zweige abgebrochen.“

Ich begutachtete die Stelle, auf die Koni zeigte und nickte zustimmend. Dann wandte ich mich an Rodge. „Schäm dich, Rodge. Größter Spurensucher in ganz Smorland.“

„Jetzt wo du es sagst, fällt es mir auch auf“, meinte Rodge zustimmend. „Gut gemacht, Koni. Du bist wirklich eine große Hilfe.“

„Also folgen wir diesen Spuren?“, fragte unsere rothaarige Begleiterin.

Rodge nickte und schlug uns mit seinem Schwert einen Weg ins Unterholz.

„Vielleicht solltest du vorangehen“, wandte Tamina an Koni gewandt ein. „Du hast Rodge ganz schön bloßgestellt.“

„Ich denke er hat an das Gute geglaubt und gehofft, dass die Eindringlinge auf den befestigten Wegen zum Schloss gelaufen sind“, flüsterte Koni bescheiden. Ihr bleiches Gesicht wies Schamesröte auf. Offensichtlich mochte sie es nicht, sich in den Vordergrund zu stellen.

Wir liefen durch den Tannenwald. Bäume, die schier endlos gen Himmel zu reichen schienen, warfen in Kombination mit dem Sonnenlicht recht eigentümliche Schatten auf den Boden. Eine zarte Brise durchwehte ab und zu die Wipfel. Entschlossen zogen wir Schritt für Schritt voran. Plötzlich nahm das Rauschen in der Luft zu.

„Ein Sturm?“, fragte Tamina. „Aber dafür ist der Himmel zu blau.“

„Das ist kein Sturm“, entgegnete ich leise und schaute in die Luft. „Das ist der DRACHE!“

Das letzte Wort schrie ich. Gemeinsam mit Tamina, Rodge und den beiden Gelehrten tauchte ich ins Unterholz. Wir ein Tornado durchschlug das graue Ungetüm ganze Äste bei seinem Sturzflug. Sein Feueratem verfehlte uns nur knapp. Schließlich war der Drache wieder in den Wolken entschwunden. Erleichtert krochen wir aus unserem Versteck.

„Wo ist Yandir?“, bemerkte Rodge das Fehlen unseres Begleiters.

Schon bald fanden wir ihn. Beziehungsweise das, was von ihm übriggeblieben war. Nur noch seine Stiefel standen an der Stelle, wo sich das Ratsmitglied befand. Asche lag ringsherum.

„Einmal gegrillte Krähe“, bemerkte ich mit schwarzem Humor und erntete Rodges Blick, der nicht tadelnd wirkte, sondern eher lächelnd.

„Ich hätte ihn gerne bei einer späteren Konfrontation im Schloss als Drachenfutter gehabt“, meinte er mit hochgezogener Augenbraue. „Was könnte den Drachen so verärgert haben, dass er nur Yandir verkohlt und uns verschont?“

„Wenn ich wüsste, was in Fuchur vorgeht, dann bräuchten wir diese Reise nicht zu machen“, antwortete ich.

Wir vergruben die Überreste Yandirs unter einer etwas gerupften Fichte und setzten unsere Reise zum Schloss fort. Schließlich erreichten wir eine Hängebrücke, die über einen gähnenden Abgrund führte. Etwa 20 Meter darunter, befand sich ein See. Dieser wirkte jedoch an einigen Stellen so seicht, dass wir einen Sturz kaum unbeschadet überstanden hätten.

„Ich hoffe nur, dass die Brücke stabil ist“, flüsterte ich und setzte einen Fuß auf die erste hölzerne Planke, die sofort nicht vertrauenswürdig knarrte.

„Bei den Göttern der Unterwelt“, stöhnte Koni, „die Brücke weist ja mehr Lücken auf, als das Gebiss meiner verstorbenen Großmutter.“

Rodge sondierte die Lage. „Einen anderen Weg zu finden würde zu viel Zeit kosten. Lasst uns vorsichtig einen Schritt vor den anderen sitzen. Und bleibt am äußersten Rand.“

Tamina und ich hangelten uns am rechten Rand Stück für Stück voran. Ein paar Schritte hinter uns folgten Rodge, Koni und Dogo auf der linken Seite. Nach jedem Schritt hielten wir kurz inne, ehe wir erleichtert weiterliefen. Wir hatten schon die Hälfte des Weges geschafft, als plötzlich hinter uns Rodge ins Leere trat. Der Balken, den Koni überschritten hatte, brach unter den Füßen des Adjutanten weg. Rodge griff verzweifelt nach dem Halteseil.

„LAUFT RÜBER!“, schrie er uns zu, während er über dem Abgrund pendelte. Wir rannten los. Mehr und mehr Balken stürzten in die Tiefe. Mit einem finalen Sprung gelang es uns die andere Seite zu erreichen. Ein Knarzen war zu vernehmen. Rodges Lebensretter hing nur noch an wenigen Sehnen.

„Tam! Gibt es nicht einen Zauber mit dem du Rodge auf die andere Seite bringen kannst?“, fragte ich meine Gefährtin verzweifelt.

„Es gibt da einen. Aber der ist nur für sehr hochvisierte Magier.“ Verzweiflung und Sorge lag in ihrem Blick.

„Versuch es“, flüsterte ich zu. „Nimm all deine Kraft und Konzentration zusammen und dann probiere es.“

Tamina schloss die Augen. Ich beobachtete Dogo und Koni, die angespannt die Magierin betrachteten. Dann zog sie ihren Zauberstab und deutete auf den pendelnden und schreienden Rodge.

„Wingadiffuso Rodge. Leviatan Anjocha Kabbula Wingadofo Rodge.”

Ein violetter Strahl erfasste den massigen Körper Rodges. Dann wurde der Adjutant in die Luft gehoben und Tamina wirkte mit ihrem Zauberstab, wie eine Dirigentin, leitete ihn auf unsere Seite des Abgrunds. Einen Augenblick später stürzte die komplette Brücke in die Tiefe. Nur noch die Haltepunkte auf den beiden Seiten des Abgrunds blieben.

„Auf jeden Fall brauchen wir einen anderen Heimweg“, bemerkte ich. „Das hast du sehr gut gemacht, Tamina. Du bist eine tolle Zauberin. Ich sage es dir ja immer wieder.“

Sie lächelte beschämt, als Rodge ihr auf die Schulter klopfte. „Ich bin dir zu Dank verpflichtet, Tamina. Sollte ich jemals wieder gemein zu dir sein oder etwas Gemeines sagen, dann …“

„Dann wissen wir, dass du den Schock deines Beinahe Absturzes überwunden hast und ganz der Alte bist“, vervollständigte ich grinsend.

„Treib es nicht auf die Spitze mein Freund“, entgegnete Rodge lachend. „Nur, weil du der Drachenprinz bist, heißt es nicht, dass du dir alles herausnehmen kannst.“

„Heißt es das nicht?“, fragte ich unschuldig dreinblickend. „Ewig schade.“

„Können wir die Verteilung der Erlaubnisse ein anderes Mal vornehmen?“, wandte Dogo zu Recht ein. „Wir haben es hier mit einem ziemlich miesgelaunten Drachen zu tun.“

Stumm nickend, wandten wir uns um zum Schloss. Das Gemäuer wirkte alt und zerfallen. Vorsichtig öffneten wir das hölzerne Portal und betraten das Gebäude. Die Räume waren riesig und mit Spinnweben dekoriert.

„Lasst uns den Gang zum Ostflügel probieren“, schlug Rodge vor. „Dort sind Fußspuren im Staub zu sehen.“

Wir folgten dem Gang, der mit Fußspuren übersät war. Es machte mich misstrauisch, dass die Spuren in beide Richtungen führten. Tamina teilte meine Sorge.

„Was ist, wenn wir diesem Untier direkt ins Maul rennen durch unsere Suche?“, fragte sie.

„Dann haben wir noch zwei Drachenköder, ehe wir dran sind.“ Rodges Antwort konnte Sarkasmus oder bitterer Ernst gewesen sein, doch das verriet er nicht.

Nach einem kurzen Fußmarsch standen wir vor einem Tor.

„Endstation“, murmelte Dogo. „Hier kommen wir nicht weiter.“

„Irrtum“, erwiderte Rodge. „Schaut euch das Siegel zur Kammer an.“

Rodge trat zur Seite. Tatsächlich. Das eiserne Siegel war beschädigt.

„Es hat sich tatsächlich jemand in der Kammer aufgehalten?“, entfuhr es mir.

„Das lässt sich herausfinden. Folgt mir“, befahl Rodge.

Wir betraten die Kammer und wurden von den darin lagernden Reichtümern geblendet. Fasziniert blickten wir uns um.

„Bei allen Göttern“, murmelte Tamina. „Der Schatz in der Mullrog-Höhle von Sakour wirkte fast schon fast mickrig dagegen.“

„Wir sind reich.“ Ein Glänzen lag in Dogos und Konis Augen. „Die reichsten Männer und Frauen Eskandrias.“

„Nein, seid ihr nicht“, zischte Rodge.

„Darf man nicht einmal vom Reichtum träumen?“, entgegnete Koni.

„In dem Fall nicht. Wir wissen nicht, warum der Schatz nach dieser langen Zeit hier immer noch lagert.“ Skeptisch blickte ich mich um und erschrak:

In den Marmorboden vor meinen Füßen war eine verbrannte Person in die Bodenfliese eingeschmolzen worden. Ich schluckte. Ein paar Schritte von mir entfernt, deutete Tamina auf eine weitere verschmolzene Leiche.

„Das müssen wohl die Schatzräuber gewesen sein“, murmelte Tamina. „Wir sollten uns hüten. Nicht, dass uns ein ähnliches Schicksal blüht.“

An den Mauern des Schlosses war ein dumpfes Grollen zu hören.

„Sieht so aus, als ob der Schicksalsbote sich gerade bemerkbar macht.“ In meiner Aussage lag neben Ironie auch ein Hauch Furcht. „Scheint so, als würde der Drache des Rätsels Lösung sein.“

Einen Moment warteten wir ab. Im Nachhinein betrachtet ein Nachteil für uns. Eine Feuerwalze erreichte die Kammer.

„LAUFT!“, brüllte Rodge.

In Windeseile hatten wir die Schatzkammer verlassen. Ich warf einen kurzen Blick über die Schulter. Das Drachenfeuer hatte den Schätzen nichts ausgemacht. Wir orientierten uns in Richtung Haupteingang, als uns eine erneute Feuerwand den Weg versperrte.

„Und nun?“, fragte Dogo.

Verzweifelt blickte sich Rodge um. „Lasst uns nach unten gehen. Um das Schloss ist ein Wassergraben. Da traut sich das Biest bestimmt nicht ran.“

Wir rannten los. Kaum hatten wir die erste Treppe passiert stürzte der Gang hinter uns zusammen. Eine weitere Feuerwalze erreichte uns. Hektisch duckten wir uns. Ich spürte die Hitze am Kopf und roch verbrannte Haarspitzen.

„Lasst uns weiterlaufen“, befahl Rodge. „Je länger wir hier verweilen, umso einfachere Beute sind wir für dieses Ungeheuer!“

Kaum hatte Rodge seine Befürchtungen ausgesprochen, ereilte das Gemäuer die nächste Welle an Feuer. Der Drache war wütend. Seine Ruhe war gestört worden, durch die Siegelbrecher und wir sollten für deren Schandtat büßen und brennen. Wir erreichten einen großen Raum, von dem wir aufgrund seines Aufbaus vermuteten, dass sich hier die Gefängniszellen des Schlosses befanden. Erschöpft gingen wir auf die Knie.

„Wie sollen wir hier rauskommen?“, fragte ich an Rodge gewandt.

„Alte Schlösser hatten immer mehrere Ein- und Ausgänge“, erklärte er. „Wenn mich nicht alles täuscht, müsste sich hier unten ein solcher Gang befinden, der uns ins Freie bringt.“

„Und was machen wir dann mit der Feuerbestie?“, wandte Koni ein.

„Wir suchen uns einen Weg ins Unterholz.“ Rodge wirkte entschlossen. Trotz des Drucks durch den Drachen und des aufkommenden Adrenalins war er ruhig und abgeklärt. „Das Wichtigste für uns, ist erst einmal hier rauszukommen. Und zwar unversehrt. Dann überlegen wir uns, wie wir Marcel dazu bringen können mit dem Biest zu reden.“

Ich schluckte. Bis jetzt hatte sich der Drache nicht sehr gesprächig gezeigt, sondern war gleich auf Angriff gepolt. Ein Grummeln holte mich aus meinen Gedanken.

„Was ist das?“ Panisch blickte sich Dogo um.

„Ich weiß nicht, aber könnte es sein …“ Ein erneutes Donnern unterbrach mich.

Rodge starrte mich erschrocken an. „Was tut er da?“

„Fuchur scheint am Grund des Sees zu sein und versucht das Gemäuer zum Einsturz zu bringen“, murmelte ich. „Wenn ihm das gelingt, steht uns das Wasser bis zum Halse.“

„Diese Mauern sind doch tausende von Jahren alt und dick“, meinte Dogo überheblich. „Die sollten das aushalten.“

Kaum hatte er diesen Satz ausgesprochen, brach die Wasserhölle über uns herein. Mit einem letzten Stoß hatte der Drache die Wand zum Einsturz gebracht. Jetzt war guter Rat teuer. Wie ein Tsunami schossen die Fluten in den Kerker. In Panik drängten uns Dogo und Koni in eine der Zellen, deren Türen durch den Druck des Wassers nicht sehr lange Stand hielten. Jetzt saßen wir erst recht in der Falle. Verzweifelt versuchten wir uns an der Oberfläche zu halten.

„Da drüben sind die Schlüssel an einem Haken“, warf Koni hechelnd ein. „Könntest du nicht probieren dich durch die Gitterstäbe zu quetschen und ihn zu holen?“

„Sehe ich aus, wie ein Magermodel?“, entgegnete ich. „Vergiss es die Stäbe sind zu eng.“

„Dann müssen wir wohl alle sterben“, jammerte Rodge.

„Nicht unbedingt.“ Selbstbewusst schwamm Tamina nach vorne und zog ihren Zauberstab. Sie fixierte die Schlüssel:

„Wingadiffuso Schlüsselbund. Leviatan Anjocha Kabbula Wingadofo Schlüsselbund.“

Wie schon der Krieger am Burggraben schwebte der Schlüsselbund auf uns zu. Trotz der stetig steigenden Massen bewahrte Tamina einigermaßen die Ruhe und dirigierte wortwörtlich den Schlüssel in Richtung Freiheit in unsere Richtung. Nur noch Zentimeter trennten den Bund von den Gittern. Doch da verkantete der Schlüssel und schmierte ab.

„VERDAMMT!“, schrie Rodge. „Jetzt werden wir jämmerlich ersaufen.“

„Moment.“ Geistesgegenwärtig und gegen meine eigenen Instinkte ankämpfend, tauchte ich ab. Durch das klare Wasser erkannte ich den Schlüssel. Ich streckte meine Hand aus, griff durch die Gitterstäbe und zog den Schlüssel vorsichtig auf unsere Seite der Zelle. Dem Hang nach Sauerstoff widerstand ich, steckte den Schlüsselbart ins Schloss und drehte es um. Es klickte und die Tür ließ sich öffnen. Mit den letzten Zügen an Sauerstoff tauchte ich auf und schnappte nach Luft. Rodge stieß die Tür endgültig auf und wir schwammen hinaus, bis wir zu einem Treppenaufgang gelangten.

„Wenn wir diesem Gang folgen, müssten wir den Ausgang erreichen“, erklärte Rodge nachdenklich.

Zu Fuß liefen wir die Treppen erst hinauf und folgten dem dahinterliegenden Gang. Hinter uns hörten wir das Tosen aus dem Kerker. Trotz aller Erschöpfung motivierten wir uns selbst zum ständigen Weiterlaufen. Der Angriff des Drachen hatte ein großes Stück Wand aus dem Kerkerbereich herausgerissen. Wir übersprangen den nächsten Treppenabgang und standen nach ein paar Metern vor dem nächsten Problem: Der Geheimgang, der uns aus diesem Schloss führen sollte, stand schon unter Wasser. Dieser Drache schien ein enormes Aggressionsproblem zu haben, dachte ich bei mir. Ich wünschte mir, dass in dieser Zeit das Smartphone und WhatsApp erfunden wäre. Dann hätte ich mühelos Kontakt zu Volante und Danaerya im Smaragdgebirge aufnehmen können. Das Triumvirat hätte diesen Drachen ohne Federlesen in seine Schranken verwiesen.

„Was tun wir jetzt?“, fragte Koni panisch.

„Uns bleibt nur die Flucht nach vorne“, entgegnete Rodge entschlossen. „Wir tauchen durch. Nach gut vierzig Metern sollten wir raus sein. Haltet euch an mir fest!“

Ohne weitere Worte sprangen wir ins Wasser. Ich hielt mich an Rodge fest, Tamina nahm meine Hand, während sich Koni und Dogo an Tam anschlossen. Mit einem kurzen Nicken begann der Tauchgang. Wir füllten unsere Lungen mit so viel Luft, wie wir fassen konnten und ließen uns von Rodge durch den überschwemmten Gang ziehen. Meine Lungen brannten und ich sah an Taminas Gesicht, dass auch ihr langsam die Luft ausging. Ich blickte zu Rodge, der uns wie eine Lokomotive durch das Wasser zog. Dann sah ich das Entsetzen in seinen Augen. Der Gang, der uns in die Freiheit führen sollte, war eingestürzt. Unser Leben war ausgehaucht.

Kapitel 3 – Der Drachentöter

Wie fühlt es sich an zu sterben? Die Schwelle vom Leben zum Tod zu überschreiten? Mit jedem Schwimmzug, den Rodge in seiner Verzweiflung tat, um sich an die Oberfläche zu kämpfen, wurde mir schwärzer vor Augen. Ich spürte, wie meine Lungen sich zusammenzogen und keine Kraft mehr hatten für Sauerstoff zu sorgen. Nach der Schwärze wurde es heller. War es der Übergang vom Leben in den Tod? Ich wollte ihm freudig gegenübertreten, denn Tamina war mit an meiner Seite, wenn wir das nicht überlebten.

Verzweifelt kämpfte Rodge, um irgendwie einen Weg an dem eingestürzten Gang vorbei zu finden. Schließlich ließen auch die Kräfte des Recken nach. Die Ohnmacht setzte ein und so bemerkte keiner der fünf Helden, wie zwei kräftige Hände sie einzeln aus dem Wasser angelte. Die Gestalt trug einen schwarzgrünen Umhang und einen eigentümlichen Filzhut in schwarz. Behutsam legte er sie auf die Wiese am Burggraben und prüfte die Atmung jedes Einzelnen. Sie war schwach, aber regelmäßig. Die Mittagsonne am Himmel wärmte die durchnässten Körper. Mehr konnte und wollte der Fremde nicht für Marcel und seine Freunde tun. Mit einem Wink seines Wanderstabes verschwand er auf der Stelle.

Langsam aber sicher merkte ich ein wärmendes Gefühl auf der Brust. Die nasse Kleidung fühlte sich warm an. Wie eine Solaranlage nahm mein Körper die Wärme der Sonne an. Die frische Luft füllte meine Lungen mit Sauerstoff und ich begann kräftig zu atmen, drehte mich zu Seite und spie einen Schwall Wasser aus, den ich verschluckt hatte. Ich wandte mich an Tamina, die auch langsam zu sich kam. Vorsichtig begann ich mit der Mund zu Mund Beatmung, um sie zurückzuholen. Rodge war bereits wieder auf den Beinen und begann in der Sonne herumzulaufen, um sich zu trocknen. Eine Ladung Wasser, den Tamina mir entgegenspuckte, bedeutete mir, dass meine Bemühungen erfolgreich waren. Langsam öffnete sie die Augen und blickte mich an.

„Den Göttern sei’s gedankt“, seufzte sie, „dann hat Rodge uns doch gerettet.“

„Nein“, erwiderte ich und meine Erinnerungen kamen wieder. Ich erinnerte mich an kräftige Hände, die unsere leblosen Körper aus dem See in dem ruinösen Gang gezogen hatten, während wir den Tod durch Ertrinken erwartet hatten. Wie durch einen Schleier hatte ich die Gestalt wahrgenommen. Sie trug einen schwarzgrünen Umhang. Es war der Gleiche gewesen, wie ich ihn vor ein paar Tagen an unserem Nachtlager wahrgenommen hatte. Zumindest von der Kleidung her. „Wir wurden von einem Wanderer mit schwarzgrünen Umhang gerettet. Andernfalls wären wir ertrunken.“

Verwirrt blickte Tamina mich an, während Rodge, der unser Gespräch wohl mitbekommen hatte, zu uns kam.

„Rodge“, meinte ich an den Adjutanten Balons gewandt. „Du hast es doch auch mitbekommen. Deine Kräfte waren am Ende.“

„Erst als ich euch endlich durch den Gang hier raus auf die Wiese geführt hatte“, ergänzte er entschlossen.

„Aber …“, begann ich, doch Rodge würgte mich ab.

„Wenn man so lange unter Wasser ist und der Körper zu wenig Sauerstoff bekommt, ist es völlig normal an Dinge zu glauben, die man gesehen haben will“, erklärte Rodge. Ich habe es geschafft eine Passage durch den eingestürzten Bereich zu finden. Danach habe ich euch ins Gras gelegt, damit ihr euch erholen konntet und trocken werdet.“ Sein Blick fiel auf Koni und Dogo, die langsam zu sich kamen. „Ich hatte schon die Befürchtung, ich würde es nicht mehr rechtzeitig schaffen, uns alle zu retten.“

Ich wollte etwas erwidern, doch ich ließ es sein. Rodges Erklärung klang plausibel und es war wirklich ein langer Aufenthalt im Wasser.

„Komm mit, Marcel“, rief Tamina mir plötzlich zu und ich folgte ihrem Ruf.

Als ich in ihre Nähe kam, verstand ich ihr Ansinnen. Die Nässe hatte die weiße Bluse, die sie trug durchsichtig gemacht und sorgte für mehr Einblick auf den Oberkörper als nötig. Ich nahm meinen Umhang ab und sorgte für eine zusätzliche Abdeckung. Koni hatte mit ihrem Begleiter weniger Glück. Dogo starrte wie gebannt auf die durchscheinenden Brüste seiner Gefährtin, bis Rodge ihr seinen mittlerweile trocken gewordenen Umhang reichte, in den sie sich hüllte.

„Du bist ein echter Kavalier, Rodge“, flüsterte sie und warf dem Adjutanten einen dankenden Blick zu.

„Nichts zu danken. Ich dachte dein Begleiter wäre bereit seinen Umhang zu geben, doch dem ist ja mit dem Sabber fast die Zunge aus dem Mund gefallen“, entgegnete Rodge in seiner rauen Art und strafte Dogo mit strengem Blick.

„Ich … ich … ich … ähm … wollte ja …“, stammelte Dogo, doch Koni würgte ihn ab.

„Du wolltest einfach glotzen, wie alle Kerle“, beendete Koni den Satz. „Da merkt man, dass du nur in einem Ziegenstall großgeworden bist. Ein ausgebildeter Ritter achtet, was eine Dame benötigt, wie du an Marcel und Rodge siehst.“

Schmollend verkroch sich Dogo in die andere Ecke des Ufers. Er hegte seit Beginn der Ausbildung an Rackturans Magierakademie Gefühle für seine Begleiterin, doch war er zu schüchtern diese offenzulegen. Als wir die Kleidungen einigermaßen trocken hatten, zogen wir weiter. Wir wollten zurück nach Galluria, um nach weiteren Hinweisen über den Zorn des Drachen zu suchen. Der Hinweg war durch diverse Umstände unpassierbar gewesen und so suchten wir uns einen neuen Weg.

„Es muss etwas vorgefallen sein“, meinte ich während des Marsches zu Tamina, „das den Drachen zornig macht und erst ruhen lässt, sobald diese Schuld beglichen ist.“

„Aber was?“, entgegnete sie.

„Es muss etwas mit der Schatzkammer zu tun haben.“ Ich dachte angestrengt nach. „Und ich will ab heute Idiotix heißen, wenn das nicht so ist.“

„Dazu müssten wir erst einmal zurück in die Stadt“, schnaufte Dogo. Der kleine dickliche Zauberschüler war lange Fußmärsche nicht gewohnt. „Dort könnten wir im Archiv und in der Bibliothek nach Hinweisen suchen.“

„Und ich werde mir erst einmal eine Schutzausrüstung besorgen“, meinte ich und griff auf den leicht brennenden Nacken. Die Nackenhaare und die Haare des Hinterkopfes waren durch den Feuerangriff angesengt.

„Eine Salbe würde auch nichts schaden“, fügte Tamina besorgt hinzu. „Du hast großes Glück gehabt. Hättest du dich einen Wimpernschlag später geduckt…“

„Könntet ihr in den Gasthäusern „Marcel à la Flambée“ anbieten“, ergänzte ich sarkastisch. „Aber du hast Recht. Etwas später und ich wäre als Niki Lauda in Eskandria unterwegs.“

„Dickie wer?“, fragte Rodge.

„N I K I L A U D A“, versuchte ich zu erklären. „Das ist ein berühmter Rennfahrer in meiner Welt gewesen.“

„Was ist denn ein Rennfahrer?“, unterbrach mich Tamina.

„Die kannst du mit den Rittern und Kriegern hier vergleichen. Und ihre Schlachtrösser sind vierrädrige Blechkutschen, die irrsinnig schnell sind. Und dieser Niki Lauda hatte 1976 einen schweren Unfall, bei dem seine Kutsche brannte und er dabei schwere Verbrennungen erlitt, die ihn zeichneten“, erklärte ich weiter.

„Augenblick mal“, wandte Tamina ein. „Du bist doch erst Jahre später geboren. Wie kannst du das miterlebt haben?“