Die Eskapaden des Julian Bört - Wolfgang Berg - E-Book

Die Eskapaden des Julian Bört E-Book

Wolfgang Berg

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Beschreibung

Der junge Musiker Julian Bört glaubt, mit der Serviererin Lina die große Liebe gefunden zu haben, doch der Schwur der ewigen Treue zerbricht mit seiner Einberufung zum Militär schon nach wenigen Jahren. Die Sehnsucht bleibt. Ohne Lina gerät sein Leben aus dem Ruder. Kein Befehl ist imstande, daran etwas zu ändern. Eine Eskapade löst die andere ab, die Liebe und ihr seltsames Spiel erlebt Julian in all ihren Facetten. Verliebtsein, erste Liebe, Leidenschaft, Affären, Trennung und vieles mehr wird ihm zuteil, bis er Jana heiratet. Die Hoffnung, sein Leben mit ihr in geordnete Bahnen lenken zu können, erfüllt sich nicht. Julian erkennt, dass Jana ihn betrügt, steuert selbst den Hafen der verbotenen Liebe an. In ruhiges Fahrwasser gelangt er erst mit seiner nie erloschenen Jugendliebe. Leseprobe: Anne tat auch den letzten Schritt in Richtung Tür und stand nun körpernah vor Julian, aber nicht rücklings. Julian nahm nun all ihr Potenzial wahr. Ihre Brüste rammten ihn wie Puffer eines Schienenfahrzeuges oberhalb seiner Magengrube. Anne redete auf ihn ein und ließ nichts unversucht, ihn zum Reinkommen zu bewegen. Dabei konnte er sich zwar etwas von der Tür lösen, fand sich aber sofort in der Ausgangsposition wieder. Nachdem er so zwei, dreimal nach vorn gewippt war, traf ihr Lippenpaar wie zufällig auf seines. Annes Kopf hatte eine passgenaue Rücklage und sie schien nicht gewillt, dieser zu entkommen. "Die versteht ihr Handwerk", stellte Julian fest. Er hielt stille und fand diese neue Erfahrung gar nicht so verkehrt.

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Seitenzahl: 365

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Wolfgang Berg

Die Eskapaden des Julian Bört

Der Autor

Wolfgang Berg, Jahrgang 1944, ist von Beruf Kaufmann. Er wuchs in Burg/Spreewald auf, lebt seit 1971 mit seiner Familie in Drachhausen, einem Dorf, nahe der Lieberoser Heide. Neben seiner Liebe zur Musik, insbesondere dem Saxofonspiel, schreibt er jetzt als Rentner in seiner frei gewordenen Zeit Bücher. Einem Regionalkrimi, in dem es um die unkonventionelle Wildnisschaffung in der Lieberoser Heide und im Spreewald geht, folgte aufgrund der großen Nachfrage eine Neuauflage der Geschichte um „Wilhelmine“. Das aktuelle Buch ist eine überarbeitete Neufassung der Romane, „Liebes Lovestory“ und „Sehnsucht nach Lina.“

Wolfgang Berg

Die Eskapaden des Julian Bört

Liebesdrama

© 2023 Wolfgang Berg

Website: www.spreewald-heide-pension.de

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5,

22926 Ahrensburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland.

ISBN: 978-3-384-04231-6

Inhalt

Cover

Halbe Titelseite

Titelblatt

Urheberrechte

Prolog

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Kapitel VIII

Kapitel IX

Kapitel X

Kapitel XI

Epilog

Weitere Bücher

Die Eskapaden des Julian Bört

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

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Weitere Bücher

Die Eskapaden des Julian Bört

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Prolog

Die Reifen der Luxuslimousine bewegten sich mühsam durch den weißen Sand.

„Das muss er schon abkönnen“, murmelte Julian Bört mit ein wenig Stolz vor sich hin. „Von der Sandwüste hatte Jonas allerdings nichts gesagt, nur, dass hier niemand hinfinden würde.“

„Diese Wildnis muss man aber auch erst mal finden“, erwiderte Lina. Sie schaute in den Rückspiegel und wischte sich den Schweiß von der Stirn, als würde sie das Auto selbst durch die Botanik manövrieren.

„Was hat denn deinen Enkel überhaupt dazu bewogen, ausgerechnet in dieser Einöde Urlaub zu machen?“

„Mir hat er erzählt, dass er geil darauf sei, mit seinen Kumpanen ungestört, ohne Weiber, Eltern, eben ganz allein mal so richtig die Sau herauszulassen.“

„Und nun kommen wir? Das passt doch nicht.“

„Passt schon, schließlich muss ich meinen Gewinn abholen, hab die Wette gewonnen – hergefunden. Jonas hat gesagt, da findest du eh nicht hin.“

„Gewinn?“ Lina lachte, „den werden die Fahrkosten allemal schlucken. Und womöglich bleiben wir hier noch stecken.“ Sie ließ die Seitenscheibe nach unten gleiten. Der harzige Duft von Kiefernholz strömte in das Wageninnere, dazu Gesprächsfetzen, die an die betagten Ohren drangen. Sie waren jetzt deutlich wahrzunehmen.

„Das ist Jonas! Das ist Jonas!“, rief Julian aufgedreht und ließ den Motor des Wagens verstummen. „Lina, gucke da, der spricht gerade mit diesem Berber von Menschen.“

„Ich sehe ihn, aber Hurra schreiend klingt das nicht.“

In diesem Moment sagte Jonas: „Da kommt mein Opa, und ich dachte, der findet nicht her.“

„Lass gut sein, Bruder“, röhrte der Große mit voluminöser, tiefer kratziger Stimme. Mit seinem Bart sah er wie der Riese vom „Tapferen Schneiderlein“ aus Grimms Märchen aus. „Deinen Opa nehmen wir in unseren Clan auf.“

„Und die Alte da?“

Lina hielt ihre Hand vor den Mund und prustete los: „Ich kann nicht mehr, der Junge ist einfach klasse.“ Julian öffnete die Autotür und ließ seinen Blick kurz über den Ort des Geschehens schweifen, als wägte er ab, ob es sich lohne, auszusteigen. Die Gespräche stockten, nur der Bärtige hatte noch etwas zu sagen: „Joni, bleib doch mal schön geschmeidig!“, dann stapfte er in Richtung Nobelkarosse. Julian kam ihm bereits entgegen.

„Tach Großer!“

„Hey Julian!“

Umarmung, Schulterklopfen; eine Begrüßung wie unter alten Freunden, dabei kannten sich die beiden nur von zwei, drei Feiern, zu denen Jonas diesen Herkules nach Hause eingeladen hatte.

Julian streckte sich, beschattete mit der Hand seine Augen und schaute in alle Himmelsrichtungen.

„Jonas hat recht, das hier ist wirklich der Arsch der Welt – Bäume, Bäume und noch mal Bäume und dieser Tümpel, na ja, Jonas sprach von einem See.“

„Ha!“, stieß der Hüne aus. „Aber Fische sind drin, da gucke, die ziehen gerade einen raus, ein Prachtexemplar. Ach, komm doch erst mal mit.“

„Komm ran, Opa!“, rief einer aus der Gruppe, die um ein Lagerfeuer herumsaß.

Julian fühlte sich gut, wie in alten Zeiten.

„Damals kampierte ich mit meinen Kumpels genauso tagelang in irgendeiner Einöde“, sann er zurück. „Auch wir wurden überrascht, jedoch von Mädels, die dieses Versteck fanden. Jetzt nach fast sechzig Jahren so etwas erleben? Das ist schon ein Hammer.“

Die engen Jeans und das AC/DC-T-Shirt verbargen bei aller Liebe nicht das Alter dieses Julian Bört. Jedoch sah man ihm die Fünfundsiebzig bei Weitem nicht an. Sein bewegtes Leben hinterließ keine Falten oder gar Altersflecke. Mit einer straffen, gebräunten Haut und der sportlichen Figur würde er auch als zehn Jahre jüngerer durchgehen. Das hatte er den Gesprächen der am Feuer Sitzenden wohlwollend entnommen. Doch dann wiesen ihn knöcheltiefer Sand und die schnellen langen Schritte seines Weggefährten in die Schranken.

„Nein, Julian, zwanzig bist du nicht mehr“, stellte er fest, keuchte und gab sich dennoch mit flotten Sprüchen cool.

„Ich weiß, dass ihr hier ohne Weiber seid, aber ich habe noch einen Schatz im Auto, Lina. Darf ich sie ran holen?“

„Opa, wer ist Lina?“, schaltete sich Jonas augenblicklich ein. „Ich habe sie ja im Auto schon gesehen, aber wer ist sie? Hast du mit ihr etwa so ein kleines Bratkartoffelverhältnis?“

Lachsalven.

„Jungs, sehe ich wie ein Seitenspringer aus? Zu Hause ist schon alles stimmig.“

Jetzt sprach der Bärtige sein Machtwort: „Hole deine neue Flamme, wir wollen sie auch kennenlernen.“

Julian bewegte sich gemächlich zum Auto und war mit Lina bald zurück.

Mit den Worten „Tolle Karosse“, empfing einer der Jungs die zwei.

„Tolle Frau, würde ich eher sagen“, witzelte Julian.

Gejohle.

Jonas grinste wie ein Honigkuchenpferd.

„Das ist mein Opa, wie er leibt und lebt.“

„Der Benz ist schon nicht schlecht“, antwortete Julian wieder ernsthaft. Ein genüsslich amüsanter Zug in seinem Gesicht verriet, wie sehr ihm diese Atmosphäre gefiel. „Viel wichtiger ist es aber, das Leben in allen Zeiten so zu gestalten, dass man Spaß daran hat. Eine schöne Jugendzeit gehört nämlich auch dazu. Davon zehrt man ein ganzes Leben.“

Julian legte seinen Arm um Linas Schulter und fragte beinahe wie ein jung Verliebter: „Stimmts Lina?“ Dann schlenderte er mit ihr in Richtung Feuer. Zwei hochkant gestellte Bierkästen boten ihnen der Situation entsprechend bequeme Sitzgelegenheit. Lina war dabei, sich zu setzen, da schoss sie wieder hoch, als habe sie auf der Kiste einen Schmutzfleck entdeckt.

„Ich möchte mich vor Julians Frage nicht drücken“, sagte sie und sah allen in der Runde fest in die Augen. „Wenn er es noch nicht gesagt hat, dann sage ich es jetzt. Wir zwei haben eine schöne gemeinsame Sturm-und-Drang-Zeit genossen, hatten uns getrennt und haben uns jetzt, genauer gesagt vorige Woche, wieder gefunden.“ Sie sah auf ihre Hände, bevor sie fortfuhr: „Diese Trennung damals war ein Fehler. Merkt euch das, geht diesen Irrweg nicht, wenn ihr glaubt, die wahre Liebe gefunden zu haben.“ Dann wandte sie sich Julian zu, drückte ihm einen unüberhörbaren Kuss auf die Lippen und sagte: „So, nun kannst du weiterreden.“

„ach, ich möchte nicht viel sprechen, vielleicht das noch, was man zu irgendeiner Zeit versäumt hat, kann man selten nachholen, Punkt.“

Großes Schweigen – einer sagte:

„Richtig.“

Ein anderer klatschte Beifall.

Begeisterung sieht anders aus, dachte sich Julian, er hatte das Bauchgefühl, Langeweile zu verbreiten.

„Übrigens ist meine Karosse nicht zum schön aussehen da“, wechselte er das Thema. „Man kann damit auch nützliche Dinge transportieren. Jonas, hol doch bitte mal meinen Einstand.“

Jonas schien zu wissen, wie sein Opa tickte. Er sprang auf und lief mit schnellen Schritten zum Auto. Als sich die Heckklappe öffnete, nahm er sein Handy zur Hand.

„Was hat der denn nun noch?“, dachte Julian. Zwei weitere Kumpels eilten Jonas zu Hilfe. Sie hatten den zweiten Kasten Bier am Wickel, da rief Julian:

„Stopp, Stopp, nur einen Kasten, der Rest ist für die Verlobungsfeier!“

In diesem Augenblick schaltete sich der Bärtige wieder ein:

„Ey, Julian, eure Verlobung feiern wir am besten gleich hier!“

„Ohne Ringe?“ Mit hochgezogenen Augenbrauen schaute Julian bei seiner Frage in die Runde.

Lina feixte und ihr Verlobter in spe fand den Vorschlag aus Sicht der Dinge jetzt auch nicht mehr verkehrt. Jonas kehrte inzwischen mit seinen Kumpels, einer Gitarre und den Bierkästen zurück.

„Gut“, sagte Julian, grinste und warf die Hände in die Luft. „Dann greifen wir die drei Kästen Bier mal an. Und meiner Gitarre, die ihr mir freundlicherweise mitgebracht habt, werde ich bei dieser Gelegenheit ein paar Töne entlocken.“ Zwei jugendgemäße Lieder, wie er mutmaßte, gab er zum Besten, dabei schielte er immer wieder auf seine Zuhörer.

„Werden sie endlich mitsingen, diese Hits aus den aktuellen Charts?“ Er legte sein Instrument ab.

„War gut, aber ich stehe mehr auf Doom Metal“, sagte einer. Ein anderer meinte, „Crossover wäre auch nicht schlecht, reich doch das Gerät mal rüber.“

Weder Klassik noch Pop hatte der in seinem Repertoire, nein, er begleitete einen kräftig singenden und textsicheren Jugendchor zu dem alten Heino-Kracher „Blau blüht der Enzian“.

„Verrückte Welt“, meinte Julian nach weiteren Liedern vergangener Zeit, „wir hatten uns früher in dem Alter gar nicht getraut, deutsch zu singen, schon gar nicht fünfzig Jahre alte Schlager. Wir kannten keine deutschen Schlagertexte. Stones und Beatles waren angesagt. Am Lagerfeuer sangen wir aber auch so etwas Ähnliches. Lina, kennst du noch das Lied vom kleinen Haus am Rio Grande? Komm, wir singen das mal vor.“

„Das kennen wir nicht“, sagte der Bärtige in den Gesang hinein. „Macht mal weiter, das klingt gut.“

Rauchschwaden, mit dem Aroma des Gegrillten geschwängert, durchsetzten das Terrain. Es roch nach gebratenem Fleisch und nach einer langen Nacht. Vom anderen Ufer des Sees klang Mädchengelächter rüber. Da mahnte Lina zur Abfahrt. Selbst Julian hatte nicht die Absicht, sich zu verewigen, gedachte nicht, dem jugendlichen Geschehen im Wege zu stehen. Jonas hatte das bemerkt und bewirtete seine Gäste vor ihrem Aufbruch mit gegrillten Leckerbissen.

„Wenn es am schönsten ist, muss man gehen“, warf sein Opa inmitten der prächtigen Stimmung ein. „Danke für eure Gastfreundschaft. Lina und ich, wir zwei haben nach längerer Abstinenz eine Menge nachzuholen, ihr werdet verstehen, dass wir nicht bis zum Tagesanbruch bleiben können. Still und leise schleichen wir uns aber nicht davon, ein von mir geschriebenes Lied soll jetzt vor auserlesenem Publikum seine Primäre bekommen. Ich möchte es euch mit meiner bezaubernden Partnerin Lina vortragen.“

Lina boxte Julian in die Seite. „Charmeur“, sagte sie, fiel dessen ungeachtet in seinen Gesang mit ein.

Manchmal fragst du dich, hast du den rechten Weg gewählt?

Hast du dein Leben richtig aufgebaut?

Du warst doch noch zu jung, um alles wirklich zu verstehen,

und hast dich deinem Schicksal anvertraut.

Die Freiheit, die dir wichtig war, hast du bald eingestellt,

denn Freiheit ist auch manchmal Einsamkeit.

Dann warst du fast ein Leben lang in dieser heilen Welt,

doch dachtest oft auch an die Jugendzeit.

Diese Sinfonie der Liebe, des Sonnenscheins,

der Sehnsucht, des Glücklichseins, die du hast einst erlebt,

bleibt für immer auch Erinnerung und Träumerei,

fern deiner Wirklichkeit, in der du heute stehst.

Die Jugendzeit verflog geschwind, längst ist dein Haar ergraut,

doch rings um dir die Welt sich weiterdreht.

Sie dreht sich schnell, du merkst es kaum, und eh du dich versiehst,

dein Enkel vor dem Traualtar steht.

Das Leben ist so herrlich, man muss es nur verstehen,

in allen Zeiten mit ihm umzugehen.

Diese Sinfonie der Liebe, des Sonnenscheins,

der Sehnsucht, des Glücklichseins, die du hast einst erlebt,

bleibt für immer auch Erinnerung und Träumerei,

fern deiner Wirklichkeit, in der du heute stehst.

Das Lied war zu Ende, kein Wort fiel, bis der Bärtige sagte:

„Julian, ich habe genau zugehört und glaube verstanden zu haben, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“

Einer der Jungs fing an zu singen: Diese Sinfonie ….

„Davon bin ich überzeugt“, sagte Julian zustimmend. „Genießt euer Leben zu allen Zeiten in vollen Zügen. Nehmt euch für die schönen Phasen des Lebens auch viel Zeit, aber geht mit ihm behutsam um, ihr habt nur eines.“

„Das wollen wir versuchen“, versicherte ein anderer. „Dein Lied hat mir übrigens auch gefallen. Es wäre aber schön, wenn du uns beim nächsten Mal etwas aus deinem Leben erzählen könntest. Das stelle ich mir sehr interessant vor.“

„Und ob das interessant war, ich will euch das gern erzählen. Ihr braucht dazu nur mein E-Book, ‚Die Eskapaden des Julian Bört‘, zu öffnen.“

Während Julian und Lina sich verabschiedeten, schauten die neu gewonnenen Freunde längst auf ihre Handys. Sie hatten das Buch gefunden, ihre Mienen verrieten es.

I

Julian packte zufrieden seine Trompete, Notenständer und Noten zusammen. Im Hintergrund wartete eine Tanzgruppe einsatzbereit auf ihren Auftritt, den der Conférencier längst angekündigt hatte. Mit Gags versuchte er, die Zuschauer bei Laune zu halten. Er hatte es nicht leicht. Die eben noch von den packenden Rhythmen des Orchesters gefesselte Menschenmenge strömte wie ein Bienenschwarm auseinander.

Eine schwere Hand spürte Julian auf seiner Schulter.

„Junge, gut gemacht“, sprach ihn ein älterer Kollege des Orchesters an, „aber wir müssen jetzt das Feld räumen.“

„Hm“, reagierte Julian. Er hatte keinen Bock auf ein Gespräch. Die beiden verabschiedeten sich und verließen in unterschiedliche Richtungen die Bühne.

Aus den Lautsprecherboxen war das Hüpfen und Springen der Tänzer neben leise eingespielter Zupfmusik zu hören. Nur gut, dass ich Musiker und kein Traumtänzer bin, wie die da oben, dachte Julian, als er seinen Blick zur aktuellen Szene wandte.

Es war drückend heiß. Die Sonne sandte ihre Strahlen an diesem nach ihr benannten Tag erbarmungslos auf den Festplatz. Dieser Nachmittag war schweißtreibend für die Instrumentalisten des Orchesters. Die Zunge klebte Julian am Gaumen. Sein weißes Hemd haftete wie angeleimt an seinem Körper, es war klitschnass geschwitzt. Er wünschte sich in diesem Moment nichts sehnlicher als einen Schluck Wasser. Der Getränkestand am anderen Ende des Platzes, dort wo die Busse standen, war sein Ziel. Mit seiner Trompete, dem Notenständer und der Notenmappe unterm Arm, drängte er sich durch die Menschenmasse. Stimmengewirr umgab ihn. Sein Blick fiel auf seinen Orchesterleiter, der in der Menge jemanden begrüßte. Julian wurde von einer Gruppe Damen aufgehalten, die sich eifrig unterhielten. Dazwischen hörte er seinen Dirigenten sagen:

„Ey, Hübi, was machst du denn hier bei uns?“

Dann dominierte wieder das Geschwätz der albernen Mädchen, wie Julian sie empfand.

Dieser Hübi war für ihn interessanter. Ihm war bewusst, dass er der Leiter der Bigband ‚Hübis Musikexpress“ war, und sofort war seine Neugier entfacht. Mitten in der Menge ließ er sein Handgepäck auf den Boden gleiten und konzentrierte sich auf das Gespräch dieser beiden Musikexperten. Den enormen Durst hatte er vergessen, die aufgenommenen Worte verdrängten ihn.

„Wer ist denn dein junger Trompeter?“, fragte dieser Hübi den Orchesterleiter. Julians Herzschlag beschleunigte sich. „Der hat ja ein Solo von allerbester Güte hingelegt. Den würde ich gern bei mir haben.“

Julian zuckte zusammen, fragte sich:

„War ich jetzt allen Ernstes gemeint? Ist das, was aus meiner Trompete kommt, wahrhaftig schon so tadellos, dass ein Herr Hübireit meinem Spiel lauscht, um mich womöglich zu engagieren?“

Er wähnte sich im falschen Film, spürte die Ellbogen nicht, die er im Gedränge abbekam und nahm keinen auf ihn gerichteten Blick wahr.

„Der Junge heißt Julian Bört“, antwortete der Dirigent. „Ja, er ist schon ein ganz Großer, aber das wird nicht funktionieren, er ist erst sechzehn.“

„Sechzehn erst?“, fragte Hübireit erstaunt zurück.

Julian registrierte es mit Hochgefühl.

„Hätte ich nicht gedacht. Na ja, er ist ein dunkler Typ. Mit seinen langen schwarzen Locken und dem Bartansatz könnte er durchaus als 18-Jähriger durchgehen. Der würde bei mir auf der Bühne nicht auffallen. Du weißt ja, um Zehn müssen Jugendliche unter achtzehn den Saal verlassen.“

„Ja und die Mädels macht er auch schon verrückt“, ergänzte der Dirigent lachend, „aber, das steht auf einem anderen Blatt Papier.“

Hübireit grinste. „Ist eben ein richtiger Musiker. Ich werde mich mal mit ihm unterhalten.“

Julian hatte unterdessen seine Sachen wieder aufgenommen, um sich aus dem Blickfeld des Bigband-Leiters zu entziehen. Keinesfalls wollte er als Lauscher ertappt werden. Er schob sich durch die Menschenmenge, doch Hübireit holte ihn ein.

„Hallo Julian, ich bin der Bandleiter von ‚Hübis Musikexpress‘.“

„Hallo.“

„Das ist aber auch eine Hitze heute, habt ganz schön geschwitzt, was?“

„Ja, ich schwitze immer noch. Mein Hemd ist klitschnass.“

„Willst du was trinken, ich habe Wasser im Auto.“

„Ja, gern.“

„Komm mit.“

Wortlos stapfte Julian neben Hübireit daher, der auf dem Weg zum Auto über verschiedene Musikgenres sprach.

„Die Blasmusik finde ich auch ganz gut“, sagte er, „wenn sie gut gemacht ist. Apropos, dein Auftritt eben war große Klasse. Das Trompetensolo aus ‚Die Post im Walde‘ habe ich lange nicht so gut gehört. Du würdest sehr gut auch in meine Formation reinpassen. Möchtest du einsteigen?“

In Julians Kopf herrschte völliges Chaos, als er nachdachte: „Ich beabsichtige, Musik zu studieren, und bekomme jetzt schon ein Profiangebot und kann es nicht einmal annehmen. Scheiße! Schule, Eltern – nein, ich habe keine andere Wahl, als ihm einen Korb zu geben.“

„Na Julian, keine Meinung?“

„Doch, doch. Ich freue mich über Ihre Anfrage, aber es kann für mich nicht in Betracht kommen, denn ich gehe noch zur Schule. Später möchte ich einmal Musik studieren. Wenn Sie mich danach noch brauchen sollten, würde ich bei Ihnen gern Trompete spielen, noch lieber singe ich aber und spiele Gitarre.“

„Desto besser.“

Hübireit ließ sich Namen und Adresse von Julian geben und reichte ihm die Hand.

„Ich bin übrigens Bernd und du bist mein perfekter Wunschkandidat. Wir bleiben miteinander in Kontakt.“

Völlig abwesend schlenderte Julian gedankenversunken in Richtung Bus. In seinem Kopf kreisten die Tageserlebnisse, die Melodien, sein Erfolg und vor allem das Interesse an seiner Person hin und her. Seine Beine funktionierten von allein, bis sie auf einmal stoppten. Sie hatten die Wahrnehmung der Sinnesorgane nicht in Empfang genommen, hatten nicht bemerkt, dass sich eine junge Dame in den Weg stellte. In seinem Trancezustand prallte Julian mit ihr zusammen. Nachdem er sich wieder gefangen hatte, sah er dieses Mädchen vor sich auf dem staubigen Festplatz liegen. Er hatte es umgerannt. Jetzt fixierten ihn von langen Wimpern umrandete große blaue Augen. Sie schienen aus ihren schattigen Höhlen ihm entgegenspringen zu wollen.

„Ist dir etwas passiert?“, fragte Julian wie hypnotisiert und stellte seine Musikutensilien ab.

„Ich weiß nicht, ich glaube nicht.“

Das Mädchen bemühte sich nicht, aufzustehen. Ihrem Gesicht entwich ein Strahlen, das wie eingemeißelt schien.

„Hat sie Schmerzen, aber dann würde sie mich doch nicht so anhimmeln oder geht es ihr gut und sie macht mich einfach nur an?“, fragte sich Julian.

„Na, dann steh doch endlich auf!“, fuhr er die Kleine an. Doch sie rührte sich nicht von der Stelle, sondern sagte: „Jetzt tut es weh.“

Julian hockte sich nieder und streichelte ihre Wangen. Auf seiner Stirn bildeten sich Sorgenfalten.

„Was tut weh?“

„Meine Hand, die ist schon ganz dick.“

Julian nahm ihre Hand, bewegte sie in alle Richtungen und sagte:

„Ich kann nichts erkennen, werde sie aber vorsichtshalber verbinden.“

Er zog sich sein mit Schweiß durchtränktes Hemd rasch aus und legte mit diesem einen feuchten Kompressionsverband an.

„Bist du allein hier?“

„Ja, meine Schwester ist mit dem Bus schon nach Hause gefahren, ich beabsichtigte, den Nächsten zu nehmen, weil ich von dir noch ein Autogramm haben wollte.“

„Und was machen wir nun? Weißt du was, du stehst jetzt auf und bekommst von mir dein Autogramm, vielleicht hilft das schon.“

„Das hilft bestimmt“, sagte die Kleine und stand auf. „Und wenn du mir noch ein Lied auf der Trompete vorspielst, bin ich wieder kerngesund.“

Julian lachte und nahm das ihm gereichte Flyer seines Orchesters plus Kugelschreiber entgegen. Dann setzte er nach mehrfachem Drehen des Schreibarmes seinen Namenszug auf diesen Werbeprospekt. Seine Sorgenfalten glätteten sich zusehends.

„Dieses kleine Luder, faustdick hat sie es hinter den Ohren“, freute er sich mit stolzgeschwellter Brust. Er hatte soeben sein erstes Autogramm gegeben, einem Mädchen, das ihm bekannt vorkam. Oder ähnelt sie einer Sängerin oder Schauspielerin aus dem Fernsehen? Egal, diese Kleine ist von Kopf bis Fuß nach meinem Geschmack.

„Die Trompete packe ich jetzt nicht mehr aus“, sagte Julian, „aber dein Lied kriegst du trotzdem.“ Er legte beide Hände zu einer geöffneten Faust zusammen und setzte diese wie eine Trompete an den Mund. Dann blies er hinein und erzeugte damit unüberhörbare Töne, die denen eines Uhus glichen. Der Anfang der Melodie „Oh wie so trügerisch sind Frauenherzen“ tönte aus diesem seltsamen Instrument und erweckte die Aufmerksamkeit der um ihn versammelten Gruppe. Das Mädchen lachte ausgelassen. Julian war sich sicher, „dieser Lady ist wirklich nichts passiert.“

Aber etwas war geschehen und er spürte es in seinem gesamten Körper. Als die Fremde ihm näher kam, vergrub er seine Hände in den Taschen der Jeans, wollte sich cool zeigen und seine Erregung unter Kontrolle bekommen. Es gelang ihm nicht. Sein Herz pochte vor Aufregung.

„Ich, äh“, sagte er und versuchte dabei, seinen Klos im Hals runterzuschlucken, „ich habe mich soeben in dich verliebt.“

Sie sah ihn mit ihren großen blauen Augen an, tat, als spürte sie seine Erregung nicht, als sie antwortete:

„Das sagst du bestimmt allen Mädchen.“

„Nein, Mädchen in der Schule und anderswo brachten mich noch zu keiner Zeit aus der Fassung. Ich hatte mich bisher noch nie verliebt. Du bist wirklich die erste und wirst auch die einzige bleiben. Du hast mich einfach verzaubert.“

Während Julian sich von ihren Anschuldigungen versuchte reinzuwaschen, bewunderte er scheu dieses Mädchen und fragte sich:

„Und dieses Wunder der Natur, diese Schönheit par excellence hat ausgerechnet nach mir Verlangen?“ Die blonden langen Haare, strahlend blauen Augen und diese Lippen, naturbelassen, mit Zügen, die er bisher bei keiner anderen gesehen hatte, verdrehten ihm den Kopf. Er würde sie gern küssen, doch das traute er sich nicht. Er hatte in seinem Leben niemals ein Mädchen geküsst. Und dieses kannte er ja nicht mal beim Namen, hatte ein paar unbedeutende Worte mit ihr gewechselt, mehr nicht. Jetzt legte sie ihren Kopf in den Nacken, sodass sich ihre Lippen den seinen beachtlich näherten. Er bräuchte sich nur ein wenig zu neigen, dann hätte er sein Ziel erreicht. Nein, sagte er sich, und drückte lieber nur ihre Hand. Die Kleine hingegen stellte sich auf Zehenspitzen, schlang ihre schlanken weißen Arme um seinen Hals, zog ihn herunter und hatte so die Distanz der Lippenpaare auf null reduziert.

„Ich habe mich in dich auch verliebt“, rechtfertigte sie ihren Kuss. „Habe übrigens deine Musik gehört, sie gefällt mir.“

„Danke“, sagte Julian. Sein Herz fing wieder an zu pochen, als wollte es ihm jetzt aus dem Körper hüpfen. Von Schmetterlingen im Bauch hatte er schon gehört, in diesem Moment waren sie in echt da. Die Gefühle fuhren in ihm Karussell. Lange standen die zwei eng umschlungen auf dem Festplatz. Plötzlich riss er sich, wie von einer Tarantel gestochen, los.

„Mein Bus! Ich muss zum Bus!“ Er klemmte seine Trompete, Noten und Notenständer unter den Arm und war im Begriff, sich zu verabschieden. Dabei sah er an der ihm entgegen gestreckten Hand den Verband, der mittlerweile seiner zugedachten Bestimmung nicht mehr entsprach.

„Ach, mein Hemd“, sagte er, „brauchst du das noch?“

Die Kleine nickte. „Hm, ich würde es gern behalten.“

Julian schaute derweil in Richtung Bus, dann fluchte er:

„Verdammter Mist! Jetzt ist er weg.“

„Wer ist weg?“

„Na, mein Bus!“

Die Trompete samt Zubehör stellte Julian unsanft auf den Boden zurück und ging auf die Bitte des Mädchens ein:

„Bis zur Abfahrt des Nächsten kannst du das Hemd nun auch noch verwahren, dann brauche ich es aber wieder.“

„Ey, Uhu!“, rief jemand aus unmittelbarer Nähe. Es war Bernd, der mit seinem Auto neben ihnen auftauchte und durch das offene Fenster den Kontakt suchte. „Julian, du hast ja ungeahnte Talente, aber dass dein Bus weg ist, ist doch nicht so schlimm. Busse wird es geben, manch anderes findet man nur einmal im Leben.“

Julian spürte die Schamröte in seine Wangen steigen. „Nun steigt schon beide ein“, sagte Bernd darüber hinwegsehend, „ich fahre euch nach Hause.“

Die Kleine wehrte ab:

„Danke, mich braucht niemand nach Hause zu fahren, ich nehme den nächsten Bus.“ Dann wandte sie sich an Julian.

„Das Hemd behalte ich.“

„Einverstanden“, sagte er, „wenn du es für mich waschen willst, gern.“

„Nein, waschen werde ich es nie und zurück bekommst du es auch nicht mehr.“

Bernd trampelte mit den Füßen. Julian war derweil mit der Verabschiedung beschäftigt. Er entfernte gefühlvoll die umklammernden Arme und damit dieses inzwischen übelriechende Kleidungsstück aus der Nähe seines Geruchsorgans. Dieses Hemd ließ ihm einen herben, abgestandenen Schweißgeruch in die Nase steigen. Dann trennte er seine Lippen von ihren, atmete die wieder unbeeinflusste Luft ein und formulierte mit dem Ausatmen gleich eine Frage, die ihm auf der Seele brannte. Zugleich kramte er ein Notenblatt mit der Überschrift „Gruß ans Liebchen, von Johann Brussig“ aus seinem Gedöns hervor.

„Hast du auch einen Namen und eine Adresse?“

„Schreibe“, sagte die Kleine augenblicklich, als würde sie diese Frage lange erwartet haben:

„Angelina Lobach, Verda, Dorfstraße Nr. 36. Da wohne ich, aber wenn du mich besuchen wirst, fahre bitte an diesem Haus vorbei, bis hin zu einer Lichtung im nahen Wald. Ich werde am kommenden Sonntag um fünfzehn Uhr an dieser Stelle auf dich warten. Zu mir nach Hause darfst du nicht kommen, meine Hauswirtin ist ein bisschen komisch. Sie will das nicht. Du kannst übrigens Lina zu mir sagen.“

„Schöner Name, wo bist du denn wirklich her?“

„Aus Ullersburg, das liegt in so einer Berggegend, da gibt es keine Ausbildung, kaum Arbeit, deshalb bin ich nach Verda gezogen. Meine Schwester wohnt dort drei Häuser weiter.“

„Nun steig schon ein, darüber könnt ihr ein andermal quatschen“, mahnte Bernd.

„Okay, ich komme.“ Julian trennte sich nur widerwillig von Lina.

Total happy und mit der Gewissheit auf ein Wiedersehen stieg er in das Auto, dessen Tür lange für ihn geöffnet und dessen Motor mehr als warmgelaufen war. Dabei rief er ihr zu:

„Bis Sonntag, mein Engelchen!“

Die Zeit schien Julian wie angenagelt. Die Sehnsucht nach Lina wurde ihm von Tag zu Tag unerträglicher, bis sie ihn gar veranlasste, sich am frühen Mittwochabend mit dem Fahrrad auf den Weg nach Verda zu begeben. Er trampelte kräftig in die Pedalen. Auf dem ausgefahrenen Radweg an der Seite einer löchrigen Schotterstraße kam er mühelos voran. Zwei Dörfer hatte er schon passiert, dann erkannte er von weitem schattenhaft Verda, das sich ihm bald als Domäne, einem Überbleibsel aus längst vergangener Fürstenzeit, präsentierte, so wie es Lina ihm beschrieben hatte. Aus Feldsteinen gemauerte riesige Scheunen und Wohngebäude mit rotbraunen Klinkerfassaden und rotem Ziegeldach darauf gaben diesem ehemaligen Landgut einen homogenen Charakter. Dazu passte auch die mit Kopfsteinen gepflasterten Dorfstraße, doch schien sie für sein Fahrrad nicht geeignet. Er wich auf die daneben führende, von Fuhrwerken durchfurchte Sandpiste aus, fluchte, „so ein Kuhnest“, denn er war in einer Fahrspur ins Schlingern geraten.

„Komm runter von deinem hohen Ross“, rügte er sich sofort.

Blaue Emailleschilder an den Eingangstoren mit ihren weißen Hausnummern darauf waren ein Blickfang, auch weit sichtbar die Nummer 36. Das zur Straße gewandte Giebelzimmer dieses Hauses war Linas, sie hatte es erzählt. Trotz des offenstehenden Fensters war sie im Raum nicht zu sehen. Stattdessen öffnete sich das Hoftürchen. Eine alte Frau mit strähnigen grauen Haaren lugte durch einen Spalt und sah Julian verwundert nach. Es musste die Hauswirtin sein, von der Lina sprach. Lina hatte sie ihm anschaulich geschildert. Ohne seine Absicht anmerken zu lassen, fuhr er weiter in Richtung Wald, entzog sich dem von Neugier erfüllten Blick. Jetzt waren es die Vögel im Wald, die ihre Aufmerksamkeit bekundeten und ihn mit ihrem Gesang in Empfang nahmen. Dort, wo der Baumbewuchs vor ihm eine merkliche Lücke aufwies, stoppte er sein Fahrrad.

„Das ist die Lichtung, wo Lina am Sonntag auf mich warten wird“, mutmaßte er.

Nach wenigen Augenblicken kehrte Julian um und fuhr langsam aus dem Wald heraus. Er nutzte die Straßenseite gegenüber der Hausnummer 36.

„Jetzt wird die Alte weg sein“, hoffte er, aber er hatte sich geirrt. Lina stand unterdes gemeinsam mit ihrer Vermieterin vor dem Hoftürchen. Julian warf sein Fahrrad schleunigst in den Straßengraben und fand hinter einem Baum seinen nötigen Sichtschutz, war aber so nahe an dem Objekt seiner Begierde, dass er die Worte des ungleichen Frauenpaares deutlich verstand.

„Lina“, hörte er, „wir sollten die Polizei rufen, dieser fremde Mann kommt mir nicht geheuer vor. Um diese Zeit ist hier noch nie ein Fremder lang gefahren.“

„Die Polizei?“, konstatierte Julian. „Um Gottes willen, die kann ich nicht gebrauchen.“ Ihm fiel das vergangene Wochenende ein, da brachte er Lina mit seinen Uhu-Imitationen zum Lachen. Diese mithilfe seiner Hände erzeugten Laute werden ihr sein Begehren verkasematuckeln.

Ein nicht enden wollendes Uhu-Rufen erfüllte die Umgebung.

„Der ist aber in diesem Jahr zeitig, früher kam der Uhu erst im Herbst wieder“, wunderte sich die Alte.

„Heute ist“, sagte Lina mit unterdrücktem Lachen, ein weiterer Uhu-Ruf brachte sie aus der Fassung, „ist alles anders. Ach ja, der Radfahrer ist übrigens Max, der trainiert wieder, um mal ein großer Rennfahrer zu werden.“

Lachend folgte Lina der Alten in den Hof. Julian hingegen verließ sein Versteck und wartete.

Fünf Minuten später war er sich Linas Nähe sicher. Sie kam aber nicht aus dem Hoftürchen, das Julian in seinem Visier hatte, er sah sie auch überhaupt nicht kommen. Aber dieses unverwechselbare Parfüm, das sie nutzte, verriet ihre Anwesenheit in nicht weiter Ferne. Es erinnerte ihn sofort an seine erste Begegnung mit ihr. Erwartungsfroh verharrte Julian nahezu wie in Schockstarre. Endlich. Schlanke Finger glitten über seine Augen und die ihm vertraute Stimme fragte neckisch:

„Wer bin ich?“

Da war es um ihn geschehen. Ihren Dialekt fand er imposant, auch wenn sie manchmal in ihm Worte einbrachte, die es in der deutschen Sprache nicht gibt.

„Lina, mein Engelchen“, antwortete Julian. „Ich habe dich sofort an deinem berauschenden Parfüm erkannt.“

Er entfernte ihre Hände behutsam von seinem Gesicht, drehte sich um und presste seine Lippen auf ihre. Das Funkeln in ihren Augen, die zarten Hände, die in seinen Haaren wühlten und dann streichelnd sein Gesicht liebkosten, verrieten ihre Leidenschaft.

„Gehen wir ein Stück?“ Lina sah Julian fragend an und zog ihn in die Richtung, aus der er ihr Kommen vermutete. Dabei zwang sie übermütig seine Hand, mit ihrer zu pendeln.

„Ja, gern. Wo bist du denn so plötzlich hergekommen?“, forschte er, wollte es genau wissen.

„Wenn du so urplötzlich bei mir erschienen bist, dann musste ich das doch genauso tun“, sagte sie und strahlte Julian mit ihrem unwiderstehlichen Lächeln an, das für ihn drei Tage zuvor Liebe auf den ersten Blick bedeutete.

„Übrigens, dass ich Max heiße, wusste ich noch nicht. Und dass ich mal ein großer Rennfahrer werde, auch nicht. Willst du trotzdem mit mir weiter gehen?“

„Dich haben ’se wohl in die Kulle gekniept!“

„Was haben ’se?“

„Na du bist wohl nicht ganz richtig im Kopf.“

Julian war von Linas „Max-Idee“ und ihren Neckereien total entzückt. Und da war es wieder, dieses Kribbeln im Bauch. Am liebsten würde er sie auf der Stelle durchknuddeln, aber hier in der Nähe ihrer Wohnung? Er legte seinen Arm um ihre Hüfte und schlug einen von Brennnesseln begrenzten Weg entlang eines Grabens ein. Ein laues Lüftchen, gemischt mit Stallgeruch, wehte durch die abendliche Dämmerung von Verda. In der Ferne lugte, hinter ausladenden Bäumen versteckt, ein stattliches Gebäude hervor.

„Was ist das dort hinten?“

„Das ist unser Gutspark, das Schloss dahinter ist unbewohnt. Im Park wären wir ungestört. Komm, wir gehen in diese Richtung.“

„Gute Idee.“

Julian kam nicht umhin, seine Blicke hin und wieder abschweifen zu lassen. Ihr blauer Minirock mit großen, weißen Punkten und dazu eine hellblaue Leinenbluse, deren dünner Stoff die prallen Formen ihrer Brüste preisgab, brachten ihre weiblichen Reize zur Geltung.

Viele Zwischenstopps ließen den Weg weit erscheinen. Endlich, die erste Parkbank. Julian wähnte sie für sein Stelldichein geeignet, doch auf weitere Liebeserklärungen schien Lina keine Lust mehr zu haben. Dieser Park barg außer harten Bänken ganz andere Ziele in sich. Einen nahen, urigen Baum, in deren Struktur ihr Rücken passgenau seine Aufnahme fand, bevorzugte Lina. Julian war von diesem Baum auch angetan. Er musterte überwältigt dieses Monstrum von der Krone bis unten zum wulstigen Stamm. Dort blieben seine Blicke hängen. Lina war darin fast verschwunden, hatte ihre Beine geringfügig gespreizt und schaute ihren Freund fordernd an.

„Denkt sie das gleiche, wie ich?“, fragte sich der romantisch veranlagte Julian, derweil er dem Baum, diesem Relikt uralter Zeiten so manch belauschte Liebesszene unterstellte. Augenblicklich verließ er seine Bank, stellte sich Lina gegenüber und zeigte seine Liebesbekundung mit unendlichen Küssen. Bald drehte sie ihren Kopf weg, schlang ihre Arme um Julians Hüften und zog ihn inständig heran. Dann hingen ihre Lippen wieder an seinen und sie flüsterte ihm zu:

„Julian, ich liebe dich.“

„Ich liebe dich auch ganz doll“, antwortete Julian mit leiser Stimme, dann tastete er sich unter ihren Minirock. Die Glieder seiner Hand forschten in für ihn unbekannten Welten, bis Lina wie von Sinnen mit sich kämpfte und ihre Hand aus seinem Hosenbund gleiten ließ. Spuren des Glückes bahnten sich ihren Lauf. Julian hing selbstvergessen an Lina, hatte keine Ahnung, wie ihm geschah.

In der Ferne rief jemand:

„Lina!“

Lina drehte ihren Kopf diesem Ruf entgegen.

„Die Alte“, sagte sie, „ich muss nach Hause.“

„Aber vorher verrätst du mir bitte noch, welchen Weg du vorhin gegangen bist, als du zu mir kamst.“

„Du Quälgeist! Komm mit, wir gehen gleich da lang, dann kennst du ihn.“

Durch ein Hintertürchen begaben sich beide zum Nebenhauseingang. Lina zog ihr Schlüsselbund hervor.

„Ich muss hoch, morgen früh ist Schule. Für dich auch?“

„Ja.“

Die Hauswirtin rief wieder und Lina antwortete, nachdem Julian ihre Lippen freigegeben hatte vom Hinterhof her: „Ich bin auf dem Klo.“

Julian neckte die Alte kurz mit einem Uhuruf und entfernte sich, begleitet von dem abklingenden Lachen Linas.

Zu Hause angekommen, ging ihm Lina nicht mehr aus dem Kopf. Die Nacht wurde zum Tag und in der Schule fiel er durch seine geistige Abwesenheit negativ auf. Der Lehrer schickte den sonst so aufgeschlossenen Schüler mit einem an die Eltern gerichteten Brief nach Hause. Julian öffnete ihn unterwegs und las, dass sie ihn wegen auffälliger Verhaltensstörungen zum Arzt schicken sollten. Er war nicht in der Lage, mit jemanden über die wahren Ursachen seines Gemütszustandes zu sprechen, schon gar nicht gab er den Eltern diesen Brief. In seinem Zimmer legte er sich aufs Bett und zermarterte sich den Kopf. Seit dem Wochenende war ihm klar, was Liebe bedeutet. Aber warum habe ich mich am Mittwoch nur so dämlich angestellt? Werde ich Lina nun verlieren?

Es war Freitag. Und bis Sonntag warten? Nein, unmöglich. Julians Entschluss stand fest, am Abend fahre ich nach Verda. Aber das Wiedersehen dem Zufall überlassen, schloss er aus. Er hatte Linas Schlüsselbund mit ausschließlich Bartschlüsseln gesehen. Damit war ihm klar, dass der Zugang zu ihrem Zimmer kein größeres Problem darstellen würde. Sein Gemütszustand hatte sich bei diesen Gedankengängen enorm verbessert, was bei seinem Lehrer für Beruhigung sorgte.

Gleich nach der Schule, hämmerte es in Vaters Werkstatt, Julian entwickelte handwerkliche Fähigkeiten. Einen Schraubendreher hatte er fachgerecht zu einem Nachschlüssel umfunktioniert.

„Das Corpus Delicti habe ich, der Rest stellt kein Problem mehr dar“, so hoffte er.

Am späten Nachmittag war Orchesterprobe. Kaum hatte Julian den letzten Ton geblasen, die Trompete eingepackt, da stürzte er wie von Sinnen zur Tür hinaus. Die Frage des Orchesterleiters, „wohin so schnell?“, hatte er nicht beantwortet. Er saß ohne Zeitverzug auf seinem Fahrrad und hatte nur ein Ziel vor Augen – Verda.

Drohende schwarze Wolken in seinem Rücken kümmerten ihn nicht, im Gegenteil, sie hatten Sturmböen im Gepäck und trugen ihn fast von allein an sein Ziel. Im Wald versteckte er das Fahrrad und schlich wie ein Indianer, ungesehen und geräuschlos im Schutz der Bäume und Sträucher bis hin zum Nebeneingang des Hauses Nr. 36.

„Geniale Idee“, freute sich Julian diebisch, während sich die Haustür mit dem Dietrich öffnen ließ. Nur noch eines dieser „Liebesschlösser“ knacken, dann werde ich vor Lina stehen. Julian versteckte seine Trompete unter der ersten Stufe der nach oben führenden schmalen Wendeltreppe und setzte seinen ersten Fuß darauf.

„Mist“, entwich es leise seinen Lippen, „die Stufen knarren.“

Er befürchtete, dass diese Geräusche die Aufmerksamkeit der Hauswirtin erwecken könnten. Beim Blick auf seine Schuhe war ihm klar, „diese Quadratlatschen musst du ausziehen.“

Wie eine Katze schlich er auf allen vieren Stufe für Stufe empor, bis er vor dieser ersehnten Tür stand. Er erahnte sie nur, denn es war finster. Einen Lichtschalter hatte er nicht gefunden, dafür sorgte ein durch das Schlüsselloch fallender Lichtkegel für etwas Orientierung. Julian krümmte seinen Rücken, versuchte, den Dietrich ins Schlüsselloch zu stecken, da öffnete sich die Tür wie von Geisterhand ohne sein Zutun.

„Lina hat mich bemerkt“, schoss ihm durch den Kopf. Mit ausgebreiteten Armen stand er erwartungsvoll vor der geöffneten Tür. Das ihm entgegen strahlende Licht blendete ihn, als er sein Gegenüber umarmte und heftig an sich drückte.

Ein greller quietschender Schrei gefolgt von heftigen Lachsalven ließ ihm das Herz in die Hosen rutschen.

„War es vielleicht die Hauswirtin, die ich jetzt umarmt habe?“, schoss ihm durch den Kopf.

Als er wieder klare Bilder sah, wusste er, die Wirtin war es Gott sei Dank nicht.

Julian drehte sich um und war im Begriff, die Flucht zu ergreifen. Couragierte Arme hinderten ihn daran. Verdammt, dachte er, dieses Weibsbild ist flinker. Am liebsten würde er sich in Luft auflösen und seinen belanglosen Hausfriedensbruch revidieren. Mit seinen Schuhen in der linken und dem Dietrich in der rechten Hand stand er wie ein begossener Pudel vor der Fremden, wusste jetzt, nicht Lina habe ich umarmt, sondern eine andere, mir unbekannte weibliche Person.

„Lassen sie mich gehen!“, fauchte Julian sie entnervt an. Diese Frau dachte gar nicht daran, sie hatte ihr Lachen noch nicht aufgegeben und sagte:

„Du bist sicher Julian.“

„Ja, ich bin Julian“, stammelte er, „Entschuldigung, ich bin hier falsch!“

„Du bist schon richtig hier. Wenn du es bis oben geschafft hast, dann kannst du auch reinkommen.“

Vom Zimmer her hörte er ein Kichern.

„Das ist Lina, und die vor mir ist ihre Schwester, klar, die sieht ihr verdammt ähnlich.“

Julian zog sich seine Schuhe wieder an, ließ den Dietrich in seiner Hosentasche verschwinden und trat ins Zimmer ein.

„Hallo Lina“, sagte er etwas verlegen und reichte ihr die Hand. Als er mit verbiestertem Blick bei der Schwester zum Gruß ansetzte, wehrte sie ab:

„Wir hatten doch schon das Vergnügen, aber willst du deiner Freundin nicht wenigstens einen Kuss zur Begrüßung geben?“ Dabei musterte sie Julian auffallend, ihre Lachfalten wichen ihr nicht aus dem Gesicht.

„Ja, vielleicht ein andermal“, sagte er, drehte sich um und hatte schon die Klinke in der Hand. Lina stellte sich ihm blitzschnell in den Weg und hauchte ihm zu:

„Bleib bitte“.

Den Begrüßungskuss hatte sie dann selbst in die Wege geleitet.

Die Welt könnte für Julian in Ordnung sein, doch er dachte stinksauer:

„Dieses alberne Weiberpack. Wenn jetzt die Schwester bloß verschwände, ich würde Lina nicht nur küssen, sondern meinen Gefühlen freien Lauf lassen.“

Ihm war überhaupt nicht zum Lachen zumute. Und die Schwester blieb, schwärmte vom letzten Konzert, auch ein wenig von Julian. Und dann hatte sie zusätzlich eine Belehrung in petto:

„Lina ist erst fünfzehn Jahre alt und steht noch in der Lehre. Gegen eine Freundschaft habe ich überhaupt nichts, aber bitte nicht zu intim.“

„Ist ja gut, Karin, mach dir mal keine Sorgen.“

Lina schien die Belehrung ihrer Schwester nicht zu gefallen. Julian lehnte sich indes in seinem Sessel zurück, schlug ein Bein über das andere und trommelte mit seinen Fingern nervös auf der Tischplatte herum. Karin setzte augenzwinkernd noch einen drauf, hatte Spaß daran, ihn zu foppen:

„Weißt du auch, wie einer, der unerlaubt in eine Mädchenwohnung eindringt, bezeichnet wird? Kriminelles Element!“

Julian griente und stand auf. „Ich muss fahren.“

„O, habe ich dich jetzt verletzt? Julian, das wollte ich nicht.“

„Nein, nein, ist schon gut, ich muss wirklich los.“

„Kucke doch mal raus“, sagte Lina, „da geht ja die Welt fast unter, du kannst doch lieber noch einen Moment bleiben.“

„Nein, nein, ich komme schon durch den Regen.“